Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahre 2009 / 2010
Stand:
Dezember 2010
(41) 31.12.2010
DER SPIEGEL
Befindlichkeit der Bundeswehr; Interview mit Egon Ramms (Ulrike Demmer u. Dirk
Kurbjuweit "Soldaten wollen geliebt werden", SPIEGEL 52/2010, S.
23f):
Nun kann man unseren Soldaten eines
nicht nachsagen: Dass sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Verfassung
stünden, wie Herr Ramms meint. Aber das ist auch nicht ihre Schuld. Die
Bundeswehr hat seit 1990 eine Wandlung vollzogen wie seit ihrer Gründung nicht,
ist heute Armee im Einsatz "mit scharfem Schuss". Unsere Verfassung
hat dabei nicht einmal einen Streifschuss abbekommen. Sie liegt in ihren
einschlägigen Artikeln - Artt. 20, 24, 26, 59, 87a, 115a und dem gesamten Grundrechtsabschnitt
- noch schlafend da, wie im ewigen Frieden.
Im Grunde ist eine liebevolle Lösung
einfach: Wenn Politiker grundrechtsrelevantes Handeln des Staates nicht in eine
generelle Norm gießen können, wenn sie es nicht einmal im Einzelfall erklären
können oder wollen, dann müssen sie darauf verzichten. Und dürfen nicht
Demokratie als Farce inszenieren - mit Bündnis-gerechten, aber
Rechtsstaats-fernen ad-hoc-Zustimmungen. Das ist auch kein Vorbild für
Landstriche, die wir nach unserem Muster zivilisieren wollen.
(40) 29.12.2010
Spektrum der Wissenschaften
Militär-Robotik; P. W. Singer "Der ferngesteuerte Krieg" (Spektrum
12/2010, S. 70ff)
Es ist nicht ungewöhnlich, dass
Machthaber Kriegshandlungen entformalisieren, camouflieren oder distanzieren. So
können sie diese elegant aus der rechtlichen oder öffentlichen bzw.
demokratischen Kontrolle heraushalten, können die auf Dauer verräterische
Schmerzleitung weitestgehend kappen. So dienen fernwirkende oder automatisierte
Waffen, Söldnersysteme, das so genannte targeting/decapitating und der Verzicht
auf Kriegserklärungen damit ähnlichen Interessen, sind aber alle ähnlich
kurzsichtig. Schon Kant brandmarkte in seiner hellsichtigen Schrift "Zum
ewigen Frieden" alle Feindseligkeiten, die ohnmächtigen Hass schüren und
das wechselseitige Vertrauen in einem künftigen Frieden unmöglich machen, als
"ehrlose Stratagemen", etwa auch die Anstellung von Meuchelmördern.
Heute müsste er konsequenterweise die Drohnen einbeziehen. Kurzsichtig sind
alle diese Strategien, weil der mit einem ähnlichen Denkapparat gesegnete
Gegner nur neue Wege ersinnen muss und wird, um die Kriegswirkung seinerseits
wieder zurück zum Volk, zum eigentlichen Ressourcengeber zu tragen, etwa durch
Terrorismus. Spanien war ein Beispiel.
Kant gab den entgegen gesetzten
Fingerzeig, indem entweder das Volk unmittelbar über die Kriegshandlungen
entscheiden sollte oder er - mit einem Augenzwinkern - die Rückkehr zum guten
alten Zweikampf der Häuptlinge empfahl, wo Plan, Ausführung und rückkoppelndes Schmerzempfinden
ohne jeglichen Signalverlust oder Irrtum in einer Person zusammen fallen, wo
verheerende und endlose Waffengänge dann per definitionem ausgeschlossen sind.
Quelle
Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, 2. Aufl. 1796:
- ehrlose Stratagemen: Präliminar-Artikel Nr. 6 (Reclam-Ausgabe v. 1984, S. 7),
- Beistimmung der Bürger zur Kriegserklärung: erster Definitiv-Artikel (Reclam
S. 12f),
- Zweikampf: zweiter Definitiv-Artikel, bei und in der Fußnote (Reclam S. 16f)
Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Zum_ewigen_Frieden
m.w.N.
(39) 29.12.2010
Süddeutsche Zeitung
"Peking will weniger Neuwagen zulassen" (Süddeutsche v. 28.12.2010,
S. 1 u. Kommentar Karl-Heinz Büschemann "Enttäuschung in Fernost", S.
20)
Müssten wir es uns bieten lassen,
wenn die Chinesen unsere etwas retardierte KFZ-Technik aus ihren Ballungsräumen
fernhalten wollten? Nimmermehr! Schon der gute alte Kaiser Willem hat bei
ähnlichen Eigenmächtigkeiten kein Pardon gegeben. Und sagt nicht unser
Bundeswehr-Weißbuch 2006 deutlichst, wie auch die geltenden
Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003, dass wir unseren lebhaften
Außenhandel verteidigen müssen? Jawoll - und Schiffe, die Landziele bekämpfen
können, die haben wir in weiser Voraussicht auch längst wieder angeschafft;
Kanonenboote hießen die früher.
Andererseits: Das Weißbuch 2006
spricht auch von den Folgen von Umweltzerstörung, denen wir wehren müssen. Das
könnte etwa sein, wenn die Chinesen zu viel Auto führen oder in Scharen ein
verschmutztes China verlassen würden, auf dem Weg in unser sauberes
Deutschland.
Was lernen wir daraus? Im Grunde
können wir uns immer munter verteidigen. Ein gutes Gefühl. Wie früher, vor dem
Grundgesetz. Nur ist China heute ein anderes.
Quellen:
Weißbuch 2006, S. 19ff: http://www.bmvg.de/fileserving/PortalFiles/C1256EF40036B05B/W26UYEPW631INFODE/WB2006_oB_sig.pdf.pdf
VPR 2003, S. 20ff: http://www.bmvg.de/fileserving/PortalFiles/C1256EF40036B05B/N264JEUC110MMISDE/VPR_BROSCHUERE.PDF
Hunnenrede von Wilhelm II., gehalten am 27.7.1900 bei Verabschiedung des
deutschen Südostasiatischen Expeditionskorps in Bremerhaven: http://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede
(38)
22.12.2010
Newsweek, published Jan 10/17, 2011, see article / my comment underneath
assassination of nuclear scientists of
Unfortunately,
there is a bad tradition in assassination projects deriving from
What's
worse: Those dirty tricks are deadly poisonous to the underlying values of the
West - values dating back to the Roman "Leges Duodecim Tabularum".
Even that very ancient code of 450 a.C.n. constituted, that no free man was
allowed to be killed without a judicial decision.
In
his booklet with the somewhat ironic title "Eternal Peace" Immanuel
Kant addressed means like assassination as an inherent obstacle to future
peace, right on his first pages: "No state shall, during war, permit such
acts of hostility which would make mutual confidence in the subsequent peace
impossible: such are the employment of assassins (percussores), poisoners
(venefici), breach of capitulation, and incitement to treason (perduellio) in
the opposing state". Or take Kant's Categorical Imperative: "Act only
according to that maxim whereby you can, at the same time, will that it should
become a universal law." And ask, whether we in the West should and would
accept assassination as a ubiquitous instrument of foreign policy. Knowing a
little about Hassan-i Sabbah, father of terrorism, I wouldn't propose.
Sources:
Trying to hit Adenauer: http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E35BBCD5A37DA47809AD4F6A865C6332B~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Duodecim Tabulae: http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lsante05/LegesXII/leg_ta09.html
Kant / Perpetual Peace: http://en.wikipedia.org/wiki/Perpetual_peace
Kant / Categorical Imperative: http://en.wikipedia.org/wiki/Categorical_imperative
History of assassinism: http://en.wikipedia.org/wiki/Assassins
My reader’s letter was published in
an abridged version, needing some additional comment:
http://www.newsweek.com/2010/12/13/killing-the-killers.html#comments
I’d like to obviate
misunderstandings in respect of my reader’s letter addressed to the “Killing
the Killers” article and published in the Jan 10/17 issue.
My reference for a “bad tradition of assassinations” had been the proven attack
on the German chancellor and clear philo-Semite Konrad Adenauer ordered by
Menachem Begin in the early Fifties. That reference was skipped whilst editing
and now the letter seems to point at the pre-war assassination of the German
diplomat Ernst vom Rath by the Jewish refugee Herschel Grynszpan mentioned in a
letter printed right on top of my comment.
To make it very clear: This is a completely different setting and none of the
respective conclusions in that letter seem very convincing to me: I very much
doubt that the 1938 pogrom in
Nevertheless there is a quite disturbing, even tragic aspect, and in that limited
context the Grynszpan-case may be cited here: I guess that the today behaviour
of Israel as a community is not to be understood without the collective trauma
of pogroms going on for centuries and culminating in the holocaust, becoming a
conditio sine qua non and a founding myth for the State of Israel. This may
have imprinted a deep xenophobia on the whole of a people, feeling completely
secure only amongst birds of a feather and being cruel to others, even to those
without any might. This may explain some of the “David vs. Goliath” -
techniques and not wanting to justify it I think there is much less fault in
that than in the organization of genocide. But cruelty seems to reproduce
especially on the side of former victims and may then be most detrimental on
and on. I would like to alter this path.
(37) 13.12.2010
DER SPIEGEL
wikileaks / Assange; Manfred Ertel, Marco Evers, Erich Pollath, Marc Hujer,
Marcel Rosenbach, Gregor Peter Schmitz, Hilmar Schmundt“ Der etwas andere
Krieg" (SPIEGEL 50/2010 v. 13.12.2010, S. 86ff):
China hätte die Debatte um moderne
Menschen- und Bürgerrechte kreativ erweitern können, hätte es Julian Assange
für seinen quasi antipodischen Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Leere Stühle
bei Verleihungen gehören inzwischen ja sowieso zum guten Ton. Okay - es hätte
ein paar lausige Yottabyte Selbstironie gebraucht, aber galaktisches Gelächter
wäre garantiert.
P.S. Näheres zur Maßeinheit
Yottabyte: http://en.wikipedia.org/wiki/Yottabyte
(36) 2.12.2010
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 8.12.2010
"Anschläge auf iranische Atomforscher"; F.A.Z. v. 30.11.2010, S. 6
"Targeting" und "decapitating"
oder das gezielte Ausschalten von strategisch interessanten Einzelpersonen, das
hat sich in den letzten Jahren in die Militärstrategien eingeschlichen, nach ein
wenig Konversionszeit auch in unser bürgerliches Denken. Eine Meldung wie die
aktuelle zu tödlichen Anschlägen auf iranische Atomforscher nimmt man heute
fast gelangweilt auf. Oder schon beifällig: Wie clever, vielleicht sogar
verhältnismäßig, könnte es doch helfen, einen handhaften Kriegseinsatz mit dann
wesentlich einschneidenderen Folgen zu vermeiden. Tatsächlich aber wären wir zu
den bösartigsten Formen des Terrorismus herabgestiegen, wie wir sie historisch
von den Assassinen kennen, und hätten zentrale Werte des Westens verraten.
Handelten wir so, dann wäre nicht
sehr abwegig zu denken: Auch die Katastrophe von Kundus mit allen ihren
Geheimnisschleiern könnte nur eine etwas aus dem Ruder gelaufene Bärenfalle
oder Leimrute gewesen sein - angelegt und exekutiert, um den Distrikt auf einen
Schlag von führenden Taliban zu säubern. In diese Richtung zeigte jedenfalls
der Versuch einer realpolitischen Rechtfertigung in den Wochen unmittelbar
danach: Seht her, Widerstand und Anschläge sind doch nachhaltig eingeschränkt
worden, die Zweck-Opfer-Bilanz daher eindeutig positiv!
Unter uns sagen wir gerne, der Zweck
heilige die Mittel. Nach außen aber bringen wir durch unsere Mittel unseren
Zweck ums Leben.
P.S. zu den Assassinen: http://de.wikipedia.org/wiki/Assassinen
(35) 1.12.2010
DIE WELT
"Atomkraftwerk Buschir im Januar betriebsbereit", WELT v. 29.11.2010,
S. 5
Der Bau des Kernkraftwerkes Buschehr
begann i.J. 1975. Erinnernswert scheint mir zu sein: Die damalige iranische
Führung war hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte ähnlich umstritten und
rief im Nahen Osten wegen militärischer Machtentfaltung vergleichbare Ängste
hervor wie die heutige. Allerdings wurde sie damals vom Westen unterstützt und
auch aktuell dürfte ein Gutteil der in Buschehr verbauten Technik aus dem
Westen stammen - weswegen Buschehr für den auf Siemens-Steuerungen optimierten
Computervirus "Stuxnet" besonders empfänglich gewesen sein soll.
Viele unserer Besorgnisse und Herausforderungen
lassen sich offenbar auf das unermüdliche Wirken außen- und
sicherheitspolitischer Zauberlehrlinge zurückführen.
P.S. zur Geschichte des KKW
Buschehr: http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Buschehr
(34) 17.11.2010
Süddeutsche Zeitung
CIA und Nationalsozialisten; Christian Wernicke "Unterschlupf in den
USA" (Süddeutsche 16.11.2010, S. 6) und Nicolas Richter u. Willi Winkler
"Nützliche Verbrecher" (Süddeutsche v. 17.11.2010, S. 11)
Man könnte es eine zeitlose
technologische Blutsbrüderschaft zwischen Deutschland und den USA nennen und zu
finden ist sie in bester Museums-pädagogischer Aufmachung in Washington, direkt
unterhalb des Capitol Hill und gratis dazu: Im National Air & Space Museum
stehen die erste Stufe einer Saturn Vb und eine flugfähige V2 einträchtig
nebeneinander. In der Nähe eine kleine Dokumentation der V2-Einschläge in
Europa und der mörderischen Zwangsarbeit im Mittelbau Dora, mit jeweils fast
identischen Opferzahlen. Aber auch ein prophetischen Zeitungsartikel aus den
Vierzigern, der die Technik deutscher Träger und amerikanischer Atombomben
waffensystemisch zusammen-denkt. Zehn Meter entfernt prangt ein großer Zeppelin
mit schreiend-roten Hakenkreuz-Emblemen, in einer Halle daneben führt eine
Me 262 die Evolutionslinie amerikanischer Kampfjets an und noch etwas
weiter - in Sichtentfernung zu den Gebrüdern Wright - schwebt Otto Lilienthal
unter der Decke.
Mehr Verbindung geht kaum. Oder
vielleicht doch. Der Transatlantikflieger Charles Lindbergh erhielt noch Mitte
1938 den höchsten nationalsozialistischen Auslandsorden - ebenso übrigens wie
Henry Ford, dessen antisemitisches Pamphlet "The International Jew"
vom Beginn der Zwanziger Jahre den heranwachsenden Nationalsozialisten
transatlantische Erweckungserlebnisse und verschwörungstheoretische
Denkschablonen verschafft hatte - so Baldur von Schirach im Nürnberger Prozess
- und der an seinen später kaum kriegsversehrten Kölner Fließbändern Lastwagen
für die Wehrmacht produzierte. Und - nun beginnt sich der unübersichtlich große
Kreis langsam zu schließen - Lindbergh war von dem amerikanischen
Militärattaché Truman Smith nach Deutschland gelotst worden, pflegte bald
bestes Einvernehmen mit Vertretern von Luftwaffe und Luftfahrtindustrie. Smith
hatte seit seinen ersten Begegnungen im Jahre 1922 Hitler wegen seines kantigen
Antikommunismus umworben, hatte ihm auch strategisch nützliche Mitstreiter wie
den kultivierten deutsch-amerikanischen Verleger Ernst Franz Sedwick Hanfstängl
zugeführt. Die CIA gab es damals noch nicht. Smith's Organisation war ihr
Vorläufer. Und sie setzte schon ebenso leichtfertig aufs falsche Pferd.
Das Technokratische vernetzt sich
offenbar viel nachhaltiger als das Demokratische, als das Rechtsstaatliche oder
gar das Humanistische. Manichäisches Schwarz-Weiß-Denken und technologische
Sieg-Phantasien gehen Hand in Hand. Davon lassen wir auch heute nicht ab, im
Zeitalter von Drohnen, Streubomben und Cyber-War.
P.S.
link zum National Air and Space Museum:
http://www.nasm.si.edu/museum/ ;
zu Hanfstängl und Smith: http://en.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl
zur Kooperation zwischen Smith und Lindbergh: http://www.ecommcode2.com/hoover/research/historicalmaterials/other/smith.htm
sowie den vollständigen Abdruck der Memoiren u. Berichte von Truman Smith in einer Kurzbesprechung
hier: http://www.foreignaffairs.com/articles/39008/fritz-stern/berlin-alert-the-memoirs-and-reports-of-truman-smith
Zum von Henry Ford zwischen 1920
u. 1922 herausgegebenen antisemitischen Pamphlet „The International Jew“ und
dem Einfluss auf die Nazi-Bewegung: http://de.wikipedia.org/wiki/The_International_Jew.
Eine berüchtigte antisemitische Geschichtsfälschung, die nahtlos in die
Verschwörungstheorien der Nationalsozialisten einging, waren die „Protocols of
the Learned Elders of Zion“; sie waren in dem hier dokumentierten Kapitel
besonders perfide behandelt: http://iamthewitness.com/books/Henry.Ford/The.International.Jew/ij12.html.
Hitlers US-amerikanische Ausgabe von „Mein Kampf“ hat später Ford’s Pamphlet
eingehend zitiert.
(33) 12.11.2010
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 18.11.2010
Wehrverfassung; Beitrag von Peter Blechschmidt: "Opposition: Guttenberg
verletzt Grundgesetz", Süddeutsche 11.11.2010, S. 5
Na sicher verletzt unser
Verteidigungsminister das Grundgesetz. Wie seine Vorgänger auch. Schon Strucks
Verteidigungspolitische Richtlinien von 2003, die noch heute gelten, weisen bei
der Risikoanalyse auf die besondere Verletzlichkeit der deutschen Wirtschaft
hin, auf ihre Abhängigkeit von Transportrouten (VPR v. 21.5.2003, S. 21, Nr.
27).
Das Dumme ist nur: Nichts davon
steht in einem Gesetz oder gar in einer Verfassung oder ist mit den Bürgern
debattiert. In klarem Deutsch, wie es künftig das Grundgesetz zur Mahnung an
alle ethnischen Dänen, Sorben oder Baden-Württemberger verlangen soll.
Richtlinien sind, wie auch
Weißbücher, die Sprachform der Exekutive. Sie sind rechtsstaatlich und
demokratisch betrachtet bestenfalls Unterholz und für die Bürger - und viele
Politiker, siehe Thomas Oppermann - meist schwer zu durchdringen. Was wir
brauchen, ist bekennender Verfassungspatriotismus: Gesellschaftliche Debatte,
dann Regelungsvorschlag mit Abwägung der zu schützenden und der
einzuschränkenden Rechte, dann Gesetz, besser noch: klare Verfassungsänderung.
Und wenn dann auch noch das internationale Recht eindeutig gemacht ist, dann
können wir auf den Weltmeeren beruhigt Piraten bekämpfen. Vorher nicht.
P.S.:
Text der VPR 2003: www.vo2s.de/mi_vpr-2003.pdf
(32) 11.11.2010
DIE WELT
Wehrverfassung; "Guttenberg: Handelsinteressen militärisch sichern",
WELT 10.11.2010, S. 2 (Paraphe tju)
Warum der Stress? Die militärische
Sicherung globaler Logistik ist Fakt, auch nach den geltenden
Verteidigungspolitischen Richtlinien v. 21.5.2003. Strucks (sic!) Regelwerk
stellt im Rahmen der Risikoanalyse ausdrücklich die besondere Abhängigkeit der
nationalen Wirtschaft von internationalen Transportwegen und -mitteln heraus
(S. 21 / Nr. 27). Allseitig tolerierter Fakt ist es also.
Recht ist es damit aber noch nicht.
Richtlinien sind - wie auch Weißbücher - das Mundwerk der Exekutive, nicht der
Legislative oder gar des Verfassungsgesetzgebers. Und auch das fehlt bis heute,
was in einer Demokratie allein zu grundlegend neuem Recht führen kann;
Bundespräsident a.D. Dr. Köhler hatte es in seiner sehr bemerkenswerten Rede
zum Fünfzigsten der Bundeswehr angemahnt, auf der Kommandeurtagung am
10.10.2005: Eine veritable gesellschaftliche Debatte zu dem, was militärische
Gewalt heute können soll. Etwa nach dem Maßstab der großen Debatten zur
Wiederbewaffnung, zum Notstand oder zum NATO-Doppelbeschluss - für
Verfassungspatrioten ein klares Muss.
P.S.: link zu den VPR 2003
http://www.bmvg.de/fileserving/PortalFiles/C1256EF40036B05B/N264JEUC110MMISDE/VPR_BROSCHUERE.PDF
(31) 18.10.2010
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 23./24.10.2010 (Satz 2)
Ausländerfeindlichkeit; Stadt-Anzeiger zur FES-Studie zur Zunahme
rechtsextremer Tendenzen (KStA v. 14.10.2010, S. 1 u. 7 "Deutschland rückt
nach rechts" u. "Die Angst vor Überfremdung"):
Ausländer sind, was wir daraus
machen - z.B. Inländer. Muslime sind, was sie sind - Mitmenschen.
P.S. link zur Studie von Oliver
Decker et. al., (c) Friedrich-Ebert-Stiftung Sept./Okt. 2010
http://library.fes.de/pdf-files/do/07504.pdf
(30) 4.9.2010
BILD
Sarrazin-Debattte; Claus Jacobi „Mein Tagebuch – Deutschland schafft sich ab“,
BILD v. 4.9.2010, S. 2
Völlig Recht hat er, der Claus
Jacobi: Die Deutschen haben das rechte Buch zur rechten Zeit gewählt. Und es
war einmal ein Buch, geschrieben von einem zornigen Mann mit viel Zeit und
Muße. Ein ermüdend langes und von vorne bis hinten unkorrektes Buch - in dem
aber jeder etwas fand, was seit Jahren aus ihm herausschreien wollte. Aus den
Händen gerissen wurde dem zornigen Mann das lärmende Buch, von Arbeitern, Bürgern
und auch Journalisten. Dem Mann brachte es später Millionen, was wenigen
bekannt wurde. Viel später zeugte es bekanntermaßen millionenfachen Tod und
mehrhundertjährigen Ehrverlust. Fast hätte sich Deutschland ganz abgeschafft,
mit einem rechten Buch zur rechten Zeit.
(29) 19.9.2010
Rheinischer Merkur
Hitlers Aufstieg; Joachim Riecker "Nur ein Propagandatrick" u. Peter
Meier-Bergfeld "Bibliothek des Grauens" (Rheinischer Merkur 32/2010
v. 12.8.2010, S. 6)
Mit Joachim Riecker sehe ich die
Deutung Hitlers als ausschließliche Selbst- oder Fremdinszenierung als verkürzt
an. Sein Charisma war völlig real und wirkte im großen wie im kleinen Kreis:
Bezeugtermaßen kamen nicht nur völlig demoralisierte Stalingrad-Kämpfer,
sondern sogar gestandene englische Spitzenpolitiker von Hitlergesprächen völlig
verwandelt, eingenommen oder "geläutert" zurück. Da war mehr als
Propaganda. Hitlers Resonanzboden ging auch schon von vornherein weit über
Deutschland hinaus: Schon 1922 führte der amerikanische Nachrichtenoffizier Truman
Smith ein ihn überwiegend begeisterndes Interview mit dem aufstrebenden lokalen
Parteiführer. Smith setzte unmittelbar danach den kultivierten, weltläufigen
und bestens vernetzten Münchener Verlegerssohn Ernst Franz Sedwick Hanfstaengl
auf die Schienen, dessen Hilfe bei der raschen Integration Hitlers in höchste
Kreise kaum zu überschätzen ist. Der Antisemitismus, den Hitler auf Smiths
Nachfrage völlig offen erklärt hatte, wurde zwar nicht von Smith geteilt, war
aber damals in weiten Teilen Europas und Amerikas verwurzelt, in Polen in der
Zwischenkriegszeit wohl gar ausgeprägter als in Deutschland. Und das von Henry
Ford zwar nicht verfasste, aber immerhin initiierte und herausgegebene grob
antisemitische Dreiband-Traktat "The International Jew" a.d.J. 1920
hatte, wie Hess viel später im Nürnberger Prozess anmerkte, mit seinen
paranoiden Verschwörungstheorien prägende und bestärkende Wirkung für den
aufkeimenden Nationalsozialismus gehabt (1). Hitlers amerikanische Ausgabe von
"Mein Kampf" hat sich dann auch auf das von Ford gesponsorte Pamphlet
bezogen.
Zustimmen möchte ich auch, dass der
zu kurz greift, der als Agens reine Machtinteressen sieht und jedes politische
Ziel verneint. Sebastian Haffner hat in seinen brillanten "Anmerkungen zu
Hitler" u.a. auf die egalitären Ziele Hitlers hingewiesen, die ihn
gesellschaftspolitisch sogar näher beim kommunistischen Stalin als beim
ständisch-faschistischen Mussolini einordnen lassen (2). Eine Konsequenz von
Hitlers "Volksgemeinschaft" war, dass der Krieg widerspruchslose
Breschen in Familien aller Klassen und Bildungsstände geschlagen hat. Weitere
politische Positionen waren m.E. die damals in Europa ebenfalls endemische und
selbst am 20. Juli 1944 nicht in Frage gestellte Auffassung, dass demokratische
Systeme endgültig abgewirtschaftet hätten; diesen Aspekt hat auch Mommsen
hervorgehoben (3). Auch als reinen Populisten kann man Hitler nicht einordnen:
Wie in der Ruhrgebietsfrage hatte Hitler auch zu den Reparationen eine
keineswegs dem Volk vom Munde abgeschaute Haltung: In dem erwähnten 1922er
Interview erklärte er, zwar den Umfang der Reparationen verhandeln zu wollen,
dann aber das Ergebnis als Frage der Ehre zu begleichen. Dies und insbesondere
seine klar antibolschewistische Positionierung, die in Smiths Memoiren an
mehreren Stellen herausgehoben wird, scheinen den amerikanischen
Nachrichtenoffizier im Jahre 1922 nachhaltig beeindruckt zu haben,
möglicherweise auch diejenigen, denen er sodann berichtete.
Das alles kann und soll die
Verbrechen der Zeit zwischen 1933 und 1945 und Hitlers persönliche
Verantwortung dafür nicht relativieren. Aber es mag doch mit erklären, dass
selbst bildungsbeflissene Schichten willigst einem Menschen folgten, der es wie
kein anderer verstand, die psychischen Kräfte des raschen Wechsels der
Aggregatzustände nach dem verlorenen ersten Weltkrieg aufzunehmen und zu
bündeln. Dabei hat ihm ganz offenbar eine besondere Disposition geholfen, die
der Psychologe Koch-Hillebrecht als eidetische Begabung beschrieben hat (4):
Hitler hatte danach nicht lediglich ein sehr gutes Gedächtnis, sondern konnte,
als wäre er mit einem multiplen Teleprompter ausgerüstet, praktisch alles
einmal Gelesene und Wahrgenommene jederzeit druckreif abrufen. Koch-Hillebrecht
vergleicht Hitler hier und in anderen Merkmalen der Persönlichkeit mit Thomas
Mann, der seinerseits über Hitler gesagt haben soll: "Der Bursche ist eine
Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und als Schicksal nicht
interessant zu finden." Koch-Hillebrecht erklärt auch Hitlers Scheitern
zum Teil mit der beschriebenen Veranlagung: Was ihm in den Anfangszeiten
Entschlossenheit und schnelle Siege vermittelt habe, habe ihn zunehmend in ein
versteinertes Gedächtnis eingemauert. Er habe sich, wie ein einmal abgefeuertes
Geschoss, nie wirklich auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen können und
Deutschland konnte dies ebenso wenig, solange es Hitler gab. Er ist, an
dauerhafter Zustimmung gemessen, vermutlich repräsentativer gewesen als es
Politiker heutiger Demokratien sind oder auch nur sein möchten.
P.S.:
Zu Truman Smith siehe "Berlin Alert. The Memoirs
and Reports of Truman Smith", Hrsg. v. Robert Hessen, 1984, insbes. S. 47, 60-66, 161, 163
Siehe ferner zu den Angaben im Text:
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/The_International_Jew,
Auszug z.B. in http://iamthewitness.com/books/Henry.Ford/The.International.Jew/ij12.html
(2) Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, 1978, Kap. 2, S. 49
(3) Hans Mommsen, Alternative zu Hitler, 2000, S. 8
(4) Manfred Koch-Hillebrecht, Homo Hitler. Psychogramm des deutschen Diktators,
1999, insbes. S. 93-210
(28) 24.8.2010
Frankfurter Allgemeine Zeitung, abgedruckt 4.9.2010
Bundeswehr-Reform u. Aussetzen der Wehrpflicht; Berthold Kohlers Leitglosse
"Rückzugsgefechte" (F.A.Z. v. 24.8.2010, S. 1):
Hat da jemand die Wehrpflicht
verzockt und nebenbei den Markenkern der Christdemokraten? Ganz neu ist die
Reform-Tendenz ja nicht: Seit 1990 sehen wir die Bundeswehr - und die NATO - in
einer kontinuierlichen Findungsphase, auf den verschiedensten Konfliktfeldern
und mit ständig runderneuerten und teilweise entschlackten Organisationsformen
und Rüstungen. Längst verfügen wir Deutschen wieder über Kriegsschiffe, die
Landziele bekämpfen können, und über durchtrainierte Eingreiftruppen.
'Kanonenboote' und 'Expeditionskorps' sagte man dazu um die vorletzte
Jahrtausendwende herum, etwa beim kolonialen Niederringen des Boxeraufstandes.
Bald lohnt wohl wieder, Kaiser Wilhelms damalige 'Hunnenrede' nachzulesen.
Erfolgsmeldungen der neuen
ambitionierten Außen- und Sicherheitspolitik sind dagegen rar, am ehesten noch
bei der blitzartigen "Operation Libelle". Warum wir uns dann schon
wieder auf neue martialische Herausforderungen einstellen sollen, dabei die
profilgebende und zu den Abgeordneten rückkoppelnde Wehrpflicht über die Planke
jagen müssen und letztlich eine neue Republik einläuten, all das bleibt mir
ehrlich gesagt völlig unklar. "Volenti non fit iniuria!" oder
"Berufssoldaten kann man alles antragen!"? Das sollte es eigentlich
nicht sein. Geht's dann bei der Reform tatsächlich nur um das Geld, das wir
nicht mehr haben, und um die Lebenslüge auswärtiger Potenz, die oft beschworene
neue Normalität?
P.S.: Zur Hunnenrede von Wilhelm
II., gehalten am 27.7.1900 bei Verabschiedung des deutschen Südostasiatischen
Expeditionskorps in Bremerhaven: http://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede
(27) 11.8.2010
DER SPIEGEL
Afghanistan; TIME-Titel; zu: Mathieu von Rohr "Die Ikone", DER
SPIEGEL 32/2010 v. 9.8.2010, S. 128
Die sowjetische Besatzung
Afghanistans hatte die Rechte der Frauen ganz im heutigen Sinne unterstützt. Nach
dem gewaltsamen Ende jener Mission gab es ähnliche und mehr Gräueltaten wie auf
dem packenden Frontispiz von TIME. Das Ende der sowjetischen Phase haben die
USA provoziert, vielleicht gar schon den Einmarsch mit dem Ziel eines späteren
Desasters. Einschließlich collateral damages - soviel zur Moral.
P.S.:
Siehe auch das Zeitzeugnis von Zbigniew Brzezinski, dem sicherheitspolitischen
Berater Jimmy Carters, in einem Interview des Pariser Nouvel Observateur. Er
beschreibt, motiviert und rechtfertigt dort die so genannte
"Bärenfalle" und ihre Konsequenzen für den islamischen
Fundamentalismus:
http://hebdo.nouvelobs.com/sommaire/documents/008877/oui-la-cia-est-entree-en-afghanistan-avant-les-russes.html
(26)
9.8.2010
TIME
Subject: Aryn Baker "What happens if we leave
What
happened when the Sowjets left
P.S.:
These things remind me badly of a most self assured interview given by Jimmy
Carter's adviser Zbigniew Brzezinski to the Paris Nouvel Observateur -
illustrating the role of the West in throwing the Sowjets into and out of
Afghanistan, also known as the "bear trap":
http://hebdo.nouvelobs.com/sommaire/documents/008877/oui-la-cia-est-entree-en-afghanistan-avant-les-russes.html
Those who pulled the ropes deliberately - and sustainably - strengthened Islam
forces not known for any chivalrous attitudes. Probably they had judged the
imminent slash against womens' rights a minor collateral damage.
(25) 5.8.2010
Süddeutsche Zeitung; abgedruckt 12.8.2010
Afghanistan-Strategie; Nico Frieds Beitrag „Westerwelle verteidigt gezielte
Tötungen“ (Süddeutsche Zeitung 5.8.2010, S. 1):
Seine Staatsrechtsvorlesungen hat
unser Außenminister verpasst, verträumt oder verdrängt. Sonst wäre ihm die
Rechtslage nicht ganz so eindeutig erschienen und die verschärfte
Vorgehensweise der Exekutive nicht ganz so legal. Vielmehr wären ihm massive
Widersprüche eines im Februar 2010 beschlossenen gezielten Bekämpfens von
Aufständischen zum Eingemachten unserer Verfassung aufgefallen. Als da wären:
Die Exekutive kann kein eigenes Recht kochen, insbesondere nicht den Eingriff
in grundlegende Bürger- und Menschenrechte ausrufen, so als wäre es eine etwas
fortentwickelte Verwaltungspraxis. Genauer: Eine vom Kabinett – ich ergänze: in
eigener höchster Not – selbst vorgenommene rechtliche Neubewertung des
Afghanistan-Einsatzes kann nicht selbstverständlich in Lebens- und
Freiheitsrechte aus Art. 2 Abs. 2 oder in Justizgrundrechte aus Artt. 103, 104
Grundgesetz eingreifen, womöglich sogar mittelbar den Art. 102 – Abschaffung
der Todesstrafe – aushebeln. Auch wenn es „nur“ um unbotmäßige Ausländer gehen
sollte. Selbst diese sind nämlich durch unsere Verfassung vor unserer Regierung
geschützt.
In seinem 2008er Urteil zur
Luftraumüberwachung hatte das Bundesverfassungsgericht der Exekutive noch
ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben: Grenzfälle eines möglichen Einsatzes
könnten nicht im Lichte exekutiver Gestaltungsfreiräume oder nach der Räson
einer Bündnismechanik wie etwa der im Verfassungsstreit angeführten „Bündnisroutine“
beantwortet werden. Der Bundesregierung käme eine Einschätzungsprärogative
ausschließlich für den Eilfall zu und auch da nur vorläufig.
Die Regierung will das zunehmend
sieche Afghanistan-Projekt offenbar gesünder und gesünder beten, versagt sich
aber eine offene Analyse der bisherigen Therapie und kann am Ende wohl nur
achselzuckend den ungewollten Exitus feststellen. Vielleicht denkt sie
hinsichtlich des Verhältnisses Verfassung / Auslandseinsatz auch ähnlich
dialektisch wie es ein Katechismus tat, der im ersten Weltkrieg gerne von
Feldgeistlichen eingesetzt wurde. Dort war das 5. Gebot mit einer die Seelsorge
erleichternden Fußnote versehen: "Gilt nicht im Kriege!"
P.S.
Wortlaut der zitierten Entscheidung des BVerfG an der betreffenden Stelle (2
BvE 1/03, 7.5.2008,
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/es20080507_2bve000103.html):
(Rn. 72) Diese
Verantwortungsverteilung zwischen Parlament und Regierung hat Auswirkungen auf die
Frage, wie Grenzfälle eines möglichen Einsatzes bewaffneter Streitkräfte zu
beurteilen sind. Sie kann nicht im Lichte exekutiver Gestaltungsfreiräume oder
nach der Räson einer Bündnismechanik wie etwa der von der Antragsgegnerin
angeführten „Bündnisroutine“ beantwortet werden. Angesichts der Funktion und
Bedeutung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darf seine
Reichweite nicht restriktiv bestimmt werden. Vielmehr ist der
Parlamentsvorbehalt entgegen der im vorliegenden Verfahren vertretenen
Auffassung der Antragsgegnerin vom Bundesverfassungsgericht im Zweifel
parlamentsfreundlich auszulegen (vgl. zum entsprechenden
Regel-Ausnahme-Verhältnis auch Epping, AöR 124 <1999>, S. 423 <455
f.>; Schmidt-Radefeldt, a.a.O., S. 166 f.). Insbesondere kann das Eingreifen
des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der
Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und
Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden; eine
Einschätzungsprärogative kann der Exekutive lediglich für den Eilfall und damit
nur einstweilen überlassen sein (vgl. BVerfGE 108, 34 <44 f.>).
Weitere Anm. dazu:
Auch der aktuelle ISAF-Antrag der Bundesregierung vom 9.2.2010 hebt keine
rechtliche Neubewertung und Verschärfung des Einsatzes hervor, betont vielmehr
die verstärkt zivilen und zivilschützenden Komponenten der Mission, s. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/006/1700654.pdf
. Die Wendung „nicht internationaler bewaffneter Konflikt findet sich dort gar
nicht; damit hat auch der folgende konstitutive Bundestagsbeschluss v.
26.2.2010 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17025.pdf
) diese Sichtweise nicht etwa "legitimiert" oder gar
"legalisiert".
(24) 4.8.2010
DER SPIEGEL
Afghanistan; Kooperation deutscher und amerikanischer Dienste; Ulrike Demmer et
al. "Abschusslisten Made in Germany" (DER SPIEGEL 31/2010, S. 28ff)
Die anfänglichen Trippelschritte
zurück zur militärpolitischen "Normalität" Deutschlands führen
angesichts zunehmender Hoffnungslosigkeit des Afghanistan-Projekts beschleunigt
zurück zum Geist der Hunnenrede Wilhelms II. Dem Expeditionskorps, das den
chinesischen Boxeraufstand niederschlagen sollte, hatte der Kaiser im Juli 1900
gegen den "gut bewaffneten, grausamen Feind" eingeschärft:
"Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht!"
Anzumerken ist noch: Das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner letzten einschlägigen Entscheidung v.
7.5.2008 eine im Zweifel parlamentsfreundliche Praxis des Parlamentsvorbehalts
angemahnt. Grenzfälle eines möglichen Einsatzes könnten gerade nicht im Lichte
exekutiver Gestaltungsfreiräume oder nach der Räson einer Bündnismechanik
beantwortet werden. Das diskrete Verfahren bei Einsatz von Spezialkräften -
Information jeweils nur der Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und
der Obleute von Auswärtigem Ausschuss und Verteidigungsausschuss - wurde sodann
in einem offenen Berichterstattergespräch des ersten Ausschusses am 25.9.2008
als mit dem Informationsanspruch des Plenums nicht vereinbar qualifiziert.
Geändert hat sich freilich bis heute nichts.
Da war selbst der Kaiser offener.
P.S. / Quellen:
Hunnenrede:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede
Zum Obleuteverfahren:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/053/1605317.pdf
Entscheidung BVerfG v. 7.5.2008 (2
BvE 1/03):
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/es20080507_2bve000103.html
Offenes BE-Gespräch des GO-Ausschusses
am 25.9.2008:
http://www.vo2s.de/mi_go08pr.pdf
(23) 15.7.2010
Süddeutsche Zeitung
Umwelt; Markus Balser / Michael Bauchmüller "Die Ära des billigen Öls geht
zu Ende" (Süddeutsche v. 8.7.2010, S. 17)
Das sprudelnde Leck eine
'Naturkatastrophe'? Das mag man apologetisch nennen. Vielleicht aber ist es
aber eine feinsinnige Sprachrevolution und meint den Menschen oder sein Handeln
als Zumutung für die Natur. Dann könnten wir etwa auch die Wolken von Tschernobyl
oder von Bhopal und vielleicht sogar Agent Orange als Naturkatastrophen
verstehen.
(22) 2.7.2010
Süddeutsche Zeitung
Deutsches Museum; Sebastian Beck„Unterm Zahnrad der Zeit“ (Süddeutsche Zeitung
v. 1.7.2010, S. 11)
Das Deutsche Museum schleppt sich
schon lange an seiner eisenhaltigen Tradition müde. Als Schüler bekam ich 1967
von der damaligen Carl-Duisberg-Gesellschaft eine ganze Museums-Woche
spendiert. Ich erinnere mich an die hübsch in einen gewundenen Treppenaufgang
hineingezwirbelte A4 alias V2, an die Me 262, die mir wie ein schicker Karman
Ghia vorkam, und an eine enervierend vollständige Sammlung von Zündsystemen für
Zwei- und Viertaktmotoren, in endlosen wie herzlosen Dioramen aufgereiht, viele
oder gar alle mit einem roten Knopf unter den Fensterchen für stereotype
Interaktion, alles in einem schummrig abgedunkelten Saal von Theatergröße.
Der Besuch hat nicht den
intendierten Erfolg gezeitigt: Das Deutsche Museum hat mich wohl sogar von
einem Ingenieur-Studium abgehalten. Eine ganz andere Ausstellung hätte mich
zurückgewinnen können – aber da war’s schon zu spät: Das war die geniale
HEUREKA, eine temporäre Präsentation von Wissenschaft, Technik, Geschichte und
modernen Anwendungen in der Nähe von Zürich im Sommer 1991. Angeordnet in riesigen,
aber eleganten und gut durchleuchteten Zelten in der Architektur des Münchner
Olympiastadions und mit vielen attraktiven, exemplarischen und vor allem
erinnerungsfähigen Experimenten, eingebettet in satte Natur. Unsere Kinder
schwärmen noch heute davon.
P.S.:
Mit der A4 / V2 und ebenso der Me 262 gab’s dann viel später ein Wiedersehen im
hellen und fast schon zu fröhlichen Washingtoner Air & Space Museum
(Eintritt frei!). Dort steht von Brauns Geschoss neben der Bodengruppe einer
Saturn V B und der Düsenjäger ist eingereiht als eine Art Anstoß zu den
nachfolgenden US-Jets; Lilienthal und ein großer mit leuchtenden Hakenkreuzen
gezierter Zeppelin grüßen von der Decke. Was eine gewisse Verwandtschaft und
einen versteckten oder gar offenen Respekt schon der damaligen Technokratien
nahelegen mag. Henry Ford, der noch 1938 vom Dritten Reich hoch dekoriert
wurde, war ein verbindendes Beispiel. Aber das nur nebenbei.
Zur Heureka: http://de.wikipedia.org/wiki/Heureka_(Ausstellung)
(21) 28.6.2010
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 21.7.2010
Wehrpflicht; Leserstandpunkt K. U. Voss „Die Politik muss die Hand ins Feuer
legen!“
Was für eine Bundeswehr will ich? Eine,
die bei ihren Einsätzen genauso repräsentativ ist und handelt wie die
Politiker, die diese Einsätze beschließen oder unterstützen. In der genau die
gesellschaftlichen und weltanschaulichen Strömungen vertreten sind, die auch zu
den Einsatzbeschlüssen führen und die von den Einsätzen in irgendeiner Weise
profitieren. Die sollte man antreffen, wo es wehtun kann – an der Front und
nicht nur in der Etappe. Das garantiert die beste Rückkopplung zwischen Planung
und Ausführung und umgekehrt.
Ich habe Verständnis für Politiker,
die sagen: "Jedes stehende Heer sorgt für Konflikte, ob mit oder ohne
Wehrpflichtige, und Deutschland braucht keine Armee." Das ist nicht meine
Position, aber sie ist immerhin konsequent. Nicht authentisch erscheinen mir dagegen
diejenigen, die da meinen: "Ich werde schon genug robuste Typen finden für
das, was ich militärisch durchsetzen will, und zwar außerhalb meiner Bekannt-
und Wählerschaft."
Wir mögen noch nicht bei einer
Unterschicht-Armee angekommen sein. Aber es gibt schon heute einen statistisch
hoch signifikanten Zusammenhang zwischen den Herkunftsregionen der Soldaten und
der dortigen Arbeitslosigkeit. In der Realität verteidigen die Söhne und
Töchter Mecklenburg-Vorpommerns die Freiheit ihrer Altersgenossen aus
Baden-Württemberg, die ihr Brot ziviler verdienen können. Und das, obwohl man
im Osten über die Auslandseinsätze kritischer denkt als im Westen. Das und die
attraktiven Auslandszulage haben sehr viel von Verleitung zur Prostitution; die
Berufsarmee würde es weiter verfestigen. Nicht vertrauen sollte man übrigens
darauf, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr ohne jeden Einfluss auf deren
ideologisches Spektrum bleibt. Schon 1993 verwiesen Umfrageergebnisse auf die
Gefahr, dass „die Bundeswehr zunehmend für junge Männer attraktiv ist, die den
demokratischen Prinzipien und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind.“
Blicken wir wieder auf Rom, aber
nicht auf die spätrömische Dekadenz, sondern auf die sagenhafte Frühzeit der
Republik, ca. 500 Jahre vor Christi Geburt. Porsenna, Fürst des etruskischen
Clusium, belagert Rom, will den vor kurzem verjagten Tarquinius Superbus dort
wieder einsetzen. Gerade hat man ihm Gaius Mucius vorgeführt, einen junger
Römer, der sich in das Lager geschlichen hatte und anstelle Porsennas irrtümlich
dessen Schreiber erdolcht hatte. Gaius Mucius legt seelenruhig seine rechte
Hand auf einen glühenden Rost und erklärt, wie er seien noch mindestens weitere
dreihundert junge Römer zum Letzten entschlossen. Porsenna hat, wie die Legende
sagt, vor so viel virtus kapituliert und ist schon am nächsten Tage abgezogen.
Bei Gaius Mucius – Scaevola oder Linkshand haben die Römer seinem Namen danach
hinzugefügt – fällt alles in einer Person zusammen: Plan, Ausführung und
Schmerzempfinden. Das gibt Respekt. Und Wirkung. Darum bin ich von Herzen für
die Wehrpflicht.
(20) 8.6.2010
DER SPIEGEL
Rücktritt und Neuwahl unseres Staatsoberhaupts (SPIEGEL Nr. 23 v. 7.6.2010, S.
18ff, 26f, 57)
Da hält der Mann die bisher
einfühlsamste Rede zur prekären Beziehung zwischen Militär, Politik und
Bürgern, am 10.10.2005, pocht dabei auf die lange überfällige
Übersetzungsarbeit der Parteien. Hätten diese ihren Job getan – es hätte sich
niemand über Köhlers Worte echauffieren dürfen. Die gingen ganz konform mit
Rühes Verteidigungspoltischen Richtlinien v. 26.11.1992 (dort 8.8), Strucks
erneuerten Richtlinien v. 21.5.2003 (dort Nrn. 27, 37) und Jungs Weißbuch v.
25.10.2006 (dort unter 1.2).
Ich würde den Köhler wiederwählen.
Aber wir dürfen ja nicht mitspielen.
P.S.:
Zu den mehr als 20 bis heute unbeantworteten Fragen aus der sehr
einsichtsvollen Rede des Bundespräsidenten am 10. Oktober 2005 zum
Fünfzigjährigen der Bundeswehr: http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf
(19) 16.5.2009
DIE ZEIT, aktuelle Studie des MPI für evolutionäre Anthropologie zum
Neandertaler-Genom; zum Beitrag von Ulrich Bahnsen "Die Formel
Sapiens", (DIE ZEIT Nr. 20/2010 v. 12.5.2010, S. 39f)
Nachdem in den letzten Jahren immer
mehr vormals als typisch menschlich begriffene Strategien bei anderen Säugern
identifiziert worden waren, aber auch bei Vögeln und Kraken, kann es tröstlich
sein, aus der aktuellen Studie des MPI für evolutionäre Anthropologie so etwas
wie intellektuelle Alleinstellungsmerkmale unserer Art herauszulesen. Aber was
mag das im Ego des weißen Mannes anrichten: Nun ist er nachweislich enger mit
einem wenig grazilen Vormenschen von eher unklarer Sprachbegabung verwandt als
sein vormals gering geschätzter afrikanischer Bruder!
Schade, dass wir kein Video über die
Berührungs- und Reibungsflächen der menschlichen Vettern haben. Vielleicht aber
gibt es dies doch schon lange, ganz unscheinbar in unseren Überlieferungen,
Mythen, Traditionen und Religionen: Man sollte einmal systematisch die
Erzählungen und Bräuche aus eben den Regionen auswerten, wo Mensch und
Neandertaler nachweislich koexistiert haben. In den mündlich teils über
Jahrtausende weitergebenen Bildern könnten sich signifikante Spuren der Fremden
finden. Mein Geheimtipp: Ein buckliger Teufel. Auch die traditionellen,
eifersüchtigen Verbote der Heirat außerhalb der eigenen Gruppe - insbesondere
der Heirat von fremden Männern - mag darin eine frühe Ursache haben. Vielleicht
ist unsere gewaltbereite Xenophobie, ist der Hang zu Vernichtungskriegen das
Erbe einer Phase, in der mehrere Menschenarten um knappe Ressourcen
konkurrierten.
P.S. für Herrn Bahnsen:
Ich bin nicht sicher, ob man aus den vorliegenden Ergebnissen bereits ableiten
kann, der Neandertaler sei dem Menschen "an Schöpfungsgeist ganz offenbar
unterlegen" gewesen. Zumindest das bloße Überleben unserer Version sagt
dazu wenig. Schaut man auf die uns umgebenden Lebensformen unterschiedlichster
Konstruktion, sollte man folgern, dass Intelligenz kein primäres Evolutionsziel
ist oder die weitere Ausprägung kein notwendiger evolutionärer Vorteil
(nebenbei nimmt das durchschnittliche Hirnkammervolumen unserer Spezies seit
etwa 10.000 Jahren wieder kontinuierlich ab - möglicherweise wird gerade Hirn
durch Kultur/Gesellschaft substituiert, was sich im Medienzeitalter noch
beschleunigen mag; Letzteres ist ohne Ironie geschrieben). Der Erfolg unserer
Spezies mag schlicht dem Umstand geschuldet sein, dass wir zur rechten Zeit im
richtigen Tal richtig abgebogen sind.
Was mir aber noch wichtiger zu sein scheint: Auch unsere Menschenform
hat ihre wesentlichen zivilisatorischen Fortschritte nicht eng gekoppelt an
eine signifikante Weiterentwickung des genetischen Inventars gemacht. So sind
die Dispositionen für differenzierte Sprache, für Symbolismus, Wissenschaft und
Handwerk nach Erkenntnissen, die m.E. nicht durch die aktuellen Ergebnisse der
MPI-Gruppe in Frage gestellt werden, über Zehntausende von Jahren ungenutzt
geblieben. Ein am ehesten "software"-artiges Ereignis hat eine dann
erdrutschartige kulturelle Evolution getriggert. Anm.: Das mag auch das
plötzliche (erneute) und sich dramatisch zuspitzende Zusammentreffen mit einem
anderen, prinzipiell kompetenten Menschentyp, mit einer "fremden
Intelligenz" gewesen sein.
Interessante Fragen wären für mich noch,
·
ob
auch das Neandertaler-Genom Spuren der "Mesalliancen" aus der
Zeit 100.000 a.D. aufweist, ob also
auch Neandertalerinnen im Spiel waren, was
ich rein statistisch unterstelle, und
·
ob
der genetische Zufluss nur bei dem frühen Zusammentreffen (100.000) biologisch
möglich war und sich die Genome beim finalen Zusammentreffen (ca. 30.000)
bereits soweit auseinander entwickelt hatten, dass eine Zeugung fruchtbarer
Nachkommen ausscheiden musste.
Übrigens möchte ich annehmen, dass
jedenfalls zum frühen Zeitpunkt (100.000) ein Mindestmaß von wechselseitiger
Kommunikation möglich gewesen ist. Anderenfalls hätte die Zahl der Kontakte
sicherlich nicht für einen nachhaltigen Beitrag zum sapiens-Genom ausgereicht.
(18) 10.5.2010
DER SPIEGEL
Afghanistan-Debatte; zu Herfried Müncklers Essay "Der tückische
David" (SPIEGEL 19/2010 v.10.5.2010, S. 28f)
Ein demokratischer Staat muss über Beginn
und Ende eines Krieges vernehmbar debattieren können. Sonst macht es überhaupt
keinen Sinn, diese Lebensform durch Krieger zu vermarkten. Und wenn man die
Zeit als tückische Waffe versteht, dann sind es Ort und Zusammenhang erst
recht: Wie die aus der Küstenregion nach Juda eingefallenen Philister stehen
auch wir in Kundus außerhalb unserer logistischen und kulturellen Heimat. Das
kann eine intelligente Aufklärung nur begrenzt und jedenfalls nicht
Kriegs-entscheidend ändern, auch nicht das Sammeln von vergänglichen
Loyalitätsanzeichen vor Ort.
(17) 4.5.2010
Süddeutsche Zeitung
Elektromobilität; zu Michael Bauchmüllers Beitrag "Im Tal der
Realitäten" (Süddeutsche v. 4.5.2010, S. 4)
Vor fast fünfzig Jahren las ich
meinem schönen "Durch die weite Welt", dem Pflicht-Jahrbuch für
Jungen&Technik, einen Beitrag zur Brennstoffzelle, mit schickem Labormuster
im Bild. Sie war schon damals intensiv beforscht und ist seitdem immer gerade
vor dem Durchbruch in die tägliche Praxis. Irgendein Natur- oder sonstiges Gesetz
scheint gerade das aber störrisch zu hintertreiben.
Zu den praktisch ungelösten Fragen
der Elektromobilität gehört übrigens auch, ob man winters mit saukalten Füßen
fahren will oder einen nochmals drastisch verringerten Aktionsradius in Kauf
nehmen möchte. Drum ist es schlüssig, (a) nicht auf einen blitzschnell
wirkenden politischen Zauber zu setzen und (b) sich die stromlose Beförderung
warm zu halten.
(16) 4.5.2010
DER SPIEGEL
Afghanistan / Euro-Krise; Matthias Matussek "Ein gerechter Krieg" und
Alexander Jung u.a. „Die letzte aller Blasen" (SPIEGEL 18/2010 v.
3.5.2010, S. 34 u. 60ff)
Ein Nebennutzen der Finanzkrise
könnte sein: Den gerechten und selbstgerechten Kriegen geht die Luft aus. Dem
Waffenhandel auch. Klar: Soldaten verdienen Unterstützung. Nur in der
Reihenfolge, deren Anlass die Schöpfer des Grundgesetzes vor Augen hatten, und
in der richtigen Währung: (1) Demokratische Debatte (2) Aktualisierung der
Verfassung und materiell-rechtliche Grundlage zum Eingriff in Grundrechte (3)
Mandat.
(15) 30.4.2010
BILD
Staatspleite in Griechenland; J.-W. Schäfer "Warum helfen wir diesen
Griechen-Milliardär?“ (BILD 30.4.2010, S. 1f)
Wir helfen natürlich nicht nur
diesen (diesem?) Griechen-Milliardär. Das fast produktionslose Griechenland ist
auch ein angenehmer Großabnehmer u.a. für deutsche Elektrotechnik, deutsche
Nobel-Karossen und deutsche Wehrtechnik. Bei den Waffen gehört es sogar –
direkt nach jenem geliebten Feind jenseits der Ägäis – zu unseren allerbesten
Kunden und macht uns die Taschen voll.
SIPRI zum Waffenhandel 2008
http://www.handelsblatt.com/newsticker/politik/ruestung-sipri-deutschland-verdoppelt-ruestungsexporte;2545898
Anm.: Die Front-Schlagzeile dieser
BILD-Ausgabe lautete in ca. 240-Punkt Schriftgröße tatsächlich "Warum
helfen wir diesen
Griechen-Milliardär?“ BILD bildet.
(14) 30.4.2010
DAS PARLAMENT
Afghanistan-Debatte; "Klares Bekenntnis gefordert", Das Parlament v.
26.4.2010, S. 1 u. Debattendokumentation
Das Grundgesetz verstehe ich als das
Buch, das die bürgerrelevanten Wegentscheidungen Deutschlands ebenso
kontinuierlich wie unmissverständlich ausweist. Und den darin postulierten
Vorbehalt des materiellen Gesetzes sehe ich als wesenstypische Eingrenzung der
Gewaltmittel eines Rechtsstaats - auch weil hier es um teils nicht revisible
Eingriffe in Grund- und Lebensrechte geht und weil nur ein
Gesetzgebungsverfahren die gebotene gesellschaftliche Debatte erzeugen kann.
Dann aber möchte ich der apodiktischen, wenn nicht barschen Feststellung
unserer Kanzlerin, das Afghanistan-Mandat sei "über jeden vernünftigen
völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben", eine
Halbwertzeit zubilligen wie der früher gebetsmühlenhaft bekräftigten
Ankündigung, die "Renten (wären) sicher".
Oder aber ich wäre, solange ich für
potenziell lebensbedrohende staatliche Handlungsformen eine geänderte
Verfassung und eine rechtlich wie gerichtlich nachvollziehbare Eingriffsgrundlage
fordere, ein unvernünftiger Verfassungspatriot.
(13)
21.4.2010
TIME
Somali pirates; Nicholas Wadhams "The down-and-out lives of former Somali
pirates" (TIME April 19. 2010, p. 4)
It
may be added: Too often the first lives of former Somali pirates were the lives
of simple fishermen, then pauperized by aggressive fishing fleets of developed
countries. That's what
we're fighting for.
(12) 16.4.2010
DIE WELT
Afghanistan: gesellschaftliche Debatte; Thomas Schmidt "Die Bürger
überzeugen" (DIE WELT v. 16.4.2010, S. 6)
Höchst richtig: Das Thema
Afghanistan gehört auf die Marktplätze. Und in die Straßenbahnen, Lokale,
Vereine und Schulen, gerne auch mit den gelben Solidaritäts-Schleifen und
-Bändern.
Aber nicht mit Ausrufezeichen.
Sondern mit dem ehrlichen Angebot zum demokratischen Diskurs, bis die zentralen
Fragezeichen aus Dr. Köhlers Rede zum Fünfzigjährigen unserer Bundeswehr
befriedigend abgearbeitet sind. Als da waren: Welchen Schutz verspricht die
neue Sicherheitspolitik für die Bürger? Welche Gefahren birgt sie? Ist der
Nutzen die Kosten wert? Welche politischen Alternativen bestehen? Woran messen
wir den Erfolg stabilisierender Strategien und wie vermeiden wir den Anschein
eines Besatzers? Und insbesondere: Erfordert der tiefgreifende Wandel des
militärischen Auftrags nicht verfassungspolitisch, wenn nicht gar
verfassungsrechtlich einen bewussten neuen Konsens der Gesellschaft? Das und
nur das wäre nachhaltig wirkende gesellschaftliche und politische Solidarität
mit denen, die umsetzen müssen - dort, wo es sehr wehtun kann.
Speziell am aktuellen Geschehen
alarmiert mich: Bei dem Vorfall am Karfreitag in Kundus ebenso wie bei dem
neuerlichen am 15.4. in Baghlan wurden mehrstündige Gefechte rapportiert. Wie
schon bei dem fast distanziert zu nennenden Vortasten am 3./4.9.2009 –
Tanklaster – legt dies eine real sehr eingeschränkte militärische
Entfaltungsmöglichkeit nahe. Sie kann wohl auch durch Panzerhaubitzen und
besser gepanzerte Fahrzeuge höchstens inkrementell verbessert werden, und auch
dann nur um den Preis ebenso wachsender Risiken für die Zivilbevölkerung. Wenn
dieses Dilemma besteht, stellt sich die Einsatzfrage umso dringender.
P.S.:
Zu den mehr als 20 bis heute unbeantworteten Fragen aus der sehr
einsichtsvollen Rede des Bundespräsidenten am 10. Oktober 2005 zum
Fünfzigjährigen der Bundeswehr: http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf
(11) 14.4.2010
DIE WELT
Entwicklung der Bundeswehr; Thorsten Jungholt "Guttenberg modernisiert die
Bundeswehr" (DIE WELT v. 13.4.2010, S. 2) Ernst-Christoph Meier
"Ferner Freund" (a.a.O. S. 7)
Eine außen- und
sicherheitspolitische Defizitanalyse muss, soll sie nachhaltig wirken, breiter
angelegt sein als Karl-Theodor zu Guttenbergs Auftrag, mit den vorhandenen
Ressourcen mehr militärische Handlungsfähigkeit, sprich mehr und/oder
effizienteren Auslandseinsatz zu organisieren.
Schon auf der Kommandeurtagung 2005
hatte Bundespräsident Dr. Köhler ein "freundliches Desinteresse" der
Bürger an der Bundeswehr diagnostiziert und überzeugende politische
Übersetzungsarbeit angemahnt, später auch nochmals speziell zu Afghanistan. Sie
ist, wie es auch Ernst-Christoph Meier in der WELT schreibt, unabweisbar, um
den Graben zwischen dem institutionellen Renommee der Bundeswehr und der
niedrigen Akzeptanz ihrer konkreten Aufgaben belastbar zu schließen. Dazu
gehört auch eine ehrliche öffentliche Evaluation der bisherigen Missionen und
ihrer Erfolgs- wie Misserfolgsfaktoren.
Eine Bundeskanzlerin sollte nicht
erneut im Rahmen einer Trauerfeier feststellen müssen, ein Einsatz gestalte
sich weitaus schwieriger, als man acht Jahre vorher gedacht habe. Denn dann
bliebe auch eine ausdrückliche Verneigung vor Toten ein leeres, unterschiedslos
multiplizierbares Ritual.
(10) 13.4.2010
DIE ZEIT
Afghanistan-Einsatz; ZEIT Nr. 15 v. 8.4.2010 (Matthias Nass "Ein schöner
Freund", S. 1; Ulrich Ladurner "Die Stadt und die Mörder", S.
17; Anita Blasberg / Winfried Nachtwei "Wir müssen uns ehrlich
machen", S. 18)
Ob, wie Winfried Nachtwei meint, ein
akkurateres Lagebild, mehr Kontinuität vor Ort und mehr Berliner Aufmerksamkeit
eine gut gemeinte Mission gerettet hätten? Ich glaube nicht daran. Im Grunde
ist es eine Frage politischer Ökologie, genauer der Zeit und der Ressourcen: Um
ein Land wie Afghanistan in einem befriedeten und befriedigenden Zustand nach
dem Bild westlicher Kulturen zu halten, bedürfte es eines dauerhaften
materiellen Inputs, militärisch, aber insbesondere ökonomisch. Diesen Aufwand
will der Westen nicht leisten. Vielleicht kann er es auch schon gar nicht mehr.
Und Afghanistan zu einer ökonomisch selbsttragenden "Schweiz des mittleren
Ostens" zu machen? Das ist ein sehr alter Traum, der aber nur bei einer
Stabilbaukasten-Mentalität schlüssig erscheint. Die derzeit hoch gehandelte
"Übergabe in Verantwortung" und selbst Karsais verblüffende Volten
sind letztlich ein Abgesang auf den untauglichen Versuch eines solchen "state
engineering".
Zeit wäre es, da gebe ich Winfried
Nachtwei sehr nachdrücklich Recht, für eine nüchterne Evaluation der
ambitionierten Außen- und Sicherheitspolitik, und zwar aller Missionen seit
1992. Die deutsche Friedens- und Konfliktforschung könnte sich dabei sehr verdient
machen. Dabei würde sich möglicherweise ergeben, dass die von Matthias Nass
letztgenannten Missions-Motive – Bündnisloyalität und Isolationsangst – die
alles übergreifenden Einsatzgründe sind. Sie haben allerdings am wenigsten zu
tun mit dem Schutz der Menschenrechte, die der Westen nach außen im Schilde
führt.
(9) 30.3.2010
DIE ZEIT
Exportüberschuss; "Prügel für den Streber", ZEIT v. 25.3.2010
Vor einigen Jahren hatte ein Buch
des renommierten Autors Robert Harris einige Probleme, einen deutschen Verleger
zu finden. Es war der history-fiction-Roman "Fatherland" mit einer
wohl schwer verdaulichen Pointe: Deutschland hat einen bombastischen Erfolg,
gleich ob es den Krieg verloren hat oder - wie bei Harris - ihn gewonnen hätte.
Manches heute erinnert mich an diese Geschichte.
Deutschland hat gerade einen Platz
auf dem Treppchen der Waffen-handelnden Nationen erobert. "Merchants of
Death" nennt man das manchmal. Und bei Griechenland schließt sich der
Kreis: Griechenland ist - wie sein Erbfeind jenseits der Ägäis - Top-Kunde für
deutsche Militaria. Und wenn dies den griechischen Haushalt nicht bereits
zugrunde gerichtet hat, so hat es doch gierig daran mitgewirkt.
Alles dies und die aktuellen
Korruptionsvorwürfe zusammengenommen, muss ich auf den aggressiven deutschen
Außenhandel nicht stolz sein. Zumal all dies offenbar nicht dazu beitragen
konnte, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Klüfte im Inland
zu schließen. Eher im Gegenteil.
(8) 27.3.2010
Süddeutsche Zeitung
Exportüberschuss; zu: Thomas Fromm: Zu fett Gas gegeben, Süddeutsche Zeitung v.
25.3.2010, S. 2
Drei Meldungen der vergangenen Tage,
die zusammen einen eigentümlichen Missklang ergeben: (1) Deutschland entrüstet sich
kollektiv gegen den französischen, doch ganz sicher nur neidgetriebenen Vorwurf
einer aggressiven Exportpolitik. (2) Deutschland hat nach der aktuellen
sipri-Bilanz die Bronze-Medaille der merchants of death errungen, also den
dritten Platz im internationalen Waffenhandel. (3) Deutsche
Vorzeige-Unternehmen haben sich in viele Länder hinein-bestochen.
Menschen, die sich zu den Realisten
rechnen, mögen achselzuckend auf die Arbeitsplatzsicherung durch Export
verweisen, zumal von high tech wie in der Rüstung. Auch das hat eine wenig
beachtete Kehrseite: Gerade wegen der komparativ hohen Wertschöpfung etwa bei
der Produktion von Rüstungsgütern und wegen der regelmäßigen Finanzierung durch
gegenläufige Warenströme im Rahmen von offset-agreements kosten Waffen-Deals
netto Arbeitsplätze. Unerwartet, aber nachweisbar.
Und speziell im Falle Griechenlands
schließt sich der Kreis: Das Land kennt nicht nur Lebensarbeitszeiten, die uns
heute seltsam erscheinen. Es hat auch einen völlig aufgeblähten Militär-Etat,
an dem u.a. die deutsche Industrie mit Gier und Inbrunst saugt. Und der den
Niedergang zumindest mit bewirkt hat. Darum sollte sich Deutschland ernsthaft
fragen, ob es nicht auch anders kann, ob es zum Wachstum auf Kosten anderer
verdammt ist.
(7) 4.3.2010
DIE ZEIT
Polit-Sponsoring; Robert Leicht: "Rüttgers Club" (DIE ZEIT Nr. 10 v.
4.3.2010, S. 1)
Danke, Herr Leicht! Geldflüsse von
juristischen Personen zu Parteien schaffen in der Tat keinen erkennbaren
demokratischen Mehrwert. Es ist auch Zeit, die Lobby zu entzaubern. Sie ist
keine in der Not eingerichtete Nachhilfeschule für zurückgebliebene Politiker. Die
Lobby ist der Wandelplatz der Sponsoren und Einfluss-Agenten, die hier auch
nicht am Markt werbend tätig sind, die nicht ihre Produkte, sondern ihre
Interessen absetzen. Und die Lobby ist überall - auf Parteitagen, auf Messen
und Konferenzen und in Pakten und Partnerships, in weltläufigen Delegationen
und bei Preis- und Ordensverleihungen, mit Schirmherren, Paten und
Key-Note-Speakern, in teils hellen, in teils halbdunklen und feuchtwarmem
Biotopen aus Machtreichtum und Reichtumsmacht. Medien - selbst ein Stück
Wirtschaft und ein Stück Politik - spielen im Sponsor-Geschäft die oft
willkommene Multiplikatoren-Rolle.
Gegenüber dem Sponsor sollten wir
den Mäzen oder den Stifter loben, die deutlich näher am Ehrenamt sind. Sicher
will auch der Mäzen gestalten und Goodwill schaffen. Aber eben nicht subkutan
über die exklusive Nähe zu Politikern, sondern in aller Regel mit der
unmittelbaren und offenen Förderung eines gesellschaftlichen Ziels.
(6) 3.3.2010
Süddeutsche Zeitung
Debatte um das Sponsoring von politischen Parteien (u.a. Süddeutsche v.
3.3.2010, S. 5 "Transparenz beim Sponsoring")
Dass der Macht-Reichtum der Politik
und die Reichtums-Macht der Wirtschaft einander anziehend finden – attraktiver jedenfalls als Armut und
Einflusslosigkeit – und dass sie sich gerne gegenseitig bedingen, das ist
nichts so Ungewöhnliches. So ist halt die Welt. Auch ein Vorgänger des heutigen
Düsseldorfer Ministerpräsidenten, einer, der noch in zugigen Eckkneipen mit der
Basis Skat drosch, der hatte sich ganz gerührt von einem nahestehenden
Geldinstitut ein unbestelltes, gleichwohl vielstelliges Geburtstagsständchen
ausrichten lassen. Erstaunlicher ist schon, dass die gerne so genannte
Public-Private-Partnership mit allen ihren beiläufig-schwülen Versuchungen und
angefütterten Loyalitäten noch immer den Ruf eines wohlfeilen Problemlösers
genießt.
Transparenz allein kann Verführung
nicht ausschließen: Ein Informations-Mehrangebot führt auch nicht notwendig zu
aktueller und breiter Informiertheit. Im Gegenteil kann daraus mehr Unübersichtlichkeit
folgen. Verlässlicher schiene mir daher das unbedingte demokratische
Selbstverständnis: Wir pflegen eine Demokratie realer Bürger und jedenfalls
juristische Personen dürfen die Chancen politischer Präsentation nicht durch
Zuwendungen manipulieren und dürfen Machtverhältnisse nicht im korporativen
Interesse zementieren. Dass die Denkmuster in den USA insoweit andere sind, das
braucht uns nicht zu beirren. Auch nicht, dass mancher "event" dann
nicht mehr ganz so chic und locker herüber kommen wird.
(5) 22.2.2010
Frankfurter Allgemeine Zeitung, abgedruckt 26.2.2010
soziale Sicherung; "Warum nicht Schnee schippen?" (F.AZ. v.
22.2.2010, S. 1f)
Aus nahe liegenden Gründen wäre der
Fall Roms durch Schneeschippen kaum zu kippen gewesen. Ein smarter Orator hätte
aber sicher schnell das tagtägliche
Ausräumen der cloaca maxima
aufgetischt.
Nur hätte vermutlich auch dies zur
wirtschaftlichen Gesundung wenig beigetragen. Denn die Probleme der späten
Republik ebenso wie der fortgeschrittenen Kaiserzeit waren eher eine
Globalisierung - die Verlagerung der Wertschöpfung an die Peripherie, in die
Kolonien - , die billige Sklavenarbeit und eine kontinuierliche Konzentration
des Grundbesitzes im Kernland, damit eine zunehmende Depravierung auch der
römischen Mittelschichten. Géza Alföldy hat diesen Prozess in seiner
herausragenden "Römischen Sozialgeschichte" überzeugend dokumentiert.
Dekadenz konnten sich höchstens
diejenigen leisten, die noch geraume Zeit fern der ökonomischen Wirklichkeit
Luxus zelebrierten oder sinnentleerte Reden schwangen. Wie sich die Bilder
gleichen.
(4) 1.2.2010
FOCUS, abgedruckt 8.2.2010
Wiedervereinigung; "Wer hilft dem Westen?" (FOCUS 5/2010, S. 42ff)
Packendes Bild: Dort die Zone
goldenen Glanzes, hier zerzaustes Gefieder. Aber das Bild trügt ein wenig: Was
immer an Aufbau-Gold herübergereicht wurde und wird, es war auch Teil eines
westdeutschen Konjunkturpakets und ist zum wesentlichen Teil flugs
zurückgerollt - als Erträge, als Löhne, als Steuern.
Es ist auch nicht ein adipöser Osten,
der westliche Kommunen aushungert und verlottern lässt. Es sind Bund und
Länder, die die Kommunen aus Eigennutz auf volatile Steuern gesetzt haben. Und
es sind Kommunalpolitiker, die sich und ihre Wiederwahlchancen an glitzernden
Projekten festmachen – die die Budgets und die Bürger zu häufig auf Jahre in
Schuldhaft nehmen.
Goldene Nasen sind halt weit
verbreitet. Eine besondere "Gegenleistung" wird übrigens häufig
übersehen: Der Osten stellt deutlich überproportional Soldaten; es sind am
ehesten sie, die unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigen. Sie kommen
bevorzugt aus arbeitslosen, aus gar nicht goldigen Landstrichen. Und dienen
dort, wo es sehr wehtun kann.
(3) 14.1.2010
DIE WELT
Antisemitismus und Antiislamismus; Essay "Sind Muslime die Juden von
heute?" von Henryk M. Broder (DIE WELT 13.1.2010, S. 7)
Mark
Twain sagte: „History doesn’t repeat itself. But it does rhyme!”. Und so wäre ein Gleichsetzen von
Antisemitismus mit Vorurteilen gegen Muslime ebenso unfruchtbar wie der fast eifersüchtige
Alleinverfolgtseinanspruch, den man aus Henryk Broders schäumendem Essay
herauslesen könnte.
Einen gegenüber Juden wie Muslimen
ähnlichen, resonanten Ton der Xenophobie herauszuhören und Annahmen über die
mögliche Entwicklung zu diskutieren, das aber ist nicht nur zulässig, es ist
notwendig. Die eigentliche Frage ist doch: Der Transfer von negativen,
entwürdigenden Einstellungen und Aggressionen gegen „den Juden“ der Propaganda
des frühen 20. Jahrhunderts auf „den Juden an der Ecke“ funktionierte wie von
selbst und garantierte das Wegsehen beim sozialen Mord, wenn nicht das
Mitmachen beim physischen Mord – zu einem wesentlichen Teil ja an Aschkenasim,
auf die die giftigen Stereotype erst recht nicht passten. Warum sollte die
gedankliche Zuweisung von extremistischen Dispositionen, die ja auch den
blutigen Militäreinsatz in Afghanistan auf unbestimmte Zeit trägt, an „den
Türken an der Ecke“ nun weniger gut gelingen? Weil unser Deutschland nach
Tausenden von Jahren plötzlich kollektiv xenophil geworden wäre? Weil wir
Muslime verschiedener Historien, Herkünfte und Bekenntnisse zu unterscheiden
geneigt wären?
Eher unwahrscheinlich; verlässlicher
scheint es mir anzunehmen, dass die meisten Deutschen ebenso verächtlich und
typisierend über Muslime denken, wie es etwa Ralph Giordano im Streit um die
Kölner Großmoschee einmal unverblümt aussprach, u.a. mit einem Vergleich aus
dem Tierreich. Und auch hier hätte Mark Twain festgestellt: Geschichte reimt
sich.
P.S.: Link zum Streitgespräch Ralph Giordano / Bekir
Alboga v. 16.5.2007: http://www.ksta.de/html/artikel/1176113436263.shtml
(2) 8.1.2010
DIE WELT
Traumatisierung von Soldaten; Interview mit Thomas Zimmermann "Der lange
Schatten des Krieges" (DIE WELT 8.1.2010, S. 3)
Das Interview macht klar: Neben den
sonstigen Lasten eines kriegerischen Konflikts oder eines Krieges häufen sich
in einer der beiden Waagschalen auch die Erfahrungen, Erinnerungen und Traumata
derjenigen, die ihn vor Ort ausführen. Wobei es überproportional viele
Erfahrungen von jungen Männern und Frauen aus arbeitslosen Landstrichen
Deutschlands sind, die zu einem guten Teil keine andere Alternative haben.
Was aber liegt in der anderen
Waagschale? Sold, ja. Aber gesellschaftliche Anerkennung, die der Psychiater zu
Recht als zentral ansieht? Die ist kaum zu erwarten, solange dieser Krieg einer
zunehmend zweifelnden Bevölkerung praktisch nicht erläutert wird. Auf dieses
eminente politische Defizit hat unser Bundespräsident bereits 2005 mahnend
hingewiesen und dies 2009 konkret zu Afghanistan wiederholt.
Eine Anmerkung: Mit der
Rekrutierungs-Werbung der Bundeswehr für moderne Einsätze betreiben wir –
nüchtern betrachtet – eine Art Verleitung zur Prostitution.
P.S.:
·
Die
beigefügten Einplanungszahlen hat mir das Sozialwissenschaftliche Institut der
Bundeswehr für das Einberufungsjahr 2002 zur Verfügung gestellt. In der
nachfolgenden Tabelle sind sodann die Verpflichtungszahlen mit den
Arbeitslosigkeitszahlen verknüpft; die zusammenfassende Übersicht auf dem
Tabellenblatt 1 zeigt den signifikanten Kontext. Ein Vergleich:
Baden-Württemberg stellte bei 10,6 Mio. Einwohnern 619
Unteroffiziere/Mannschaften, Mecklenburg-Vorpommern bei 1,7 Mio. Einwohnern
aber 1.032 Soldaten dieser Laufbahnen. Daraus ergibt sich eine ca. um den Faktor
10 höhere Wahrscheinlichkeit für den Dienst u. gfs. einen Auslandseinsatz.
Oder aber: MV verteidigt am Hindukusch die Freiheit BW’s.
Anm.: Die
überproportionale Herkunft des Bw-Nachwuchses aus den NBL verursacht zusammen
mit dem rapiden Bevölkerungsschwund gerade in den für die Werbung viel
versprechenden Regionen das schnell wachsende Rekrutierungsproblem der
Bundeswehr, über das seit zwei Jahren verstärkt diskutiert wird und das nun
durch die Wirtschaftskrise, dies wäre allerdings eine etwas zynische Bewertung,
etwas abgefedert werden könnte.
·
Zu
den Forderungen von Prof. Dr. Köhler am 10.10.2005:
http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf
·
Zur
Äußerung anlässlich des Truppenbesuchs des Bundespräsidenten am 28.8.2009:
hier.
(1) 6.1.2010
Süddeutsche Zeitung; Reaktion im Sprachlabor der Süddeutschen am 16./17.1.2010
(siehe unten)
"Was bringt das neue Jahrzehnt?" / "Streiflicht"
(Süddeutsche 31.12.2009, S. 10 / S. 1)
Man hört und liest es zwar in diesen
Tagen fast überall, aber es gehört zu den populären Irrtümern und es ist eine
Art iubilatio praecox: Ein neues Jahrzehnt können wir erst am 1. Januar 2011
feiern. Wie auch unser Jahrtausend noch keine zehn Jahre alt ist, jedenfalls
wenn wir der traditionellen Zählweise folgen. Die führt man gemeinhin auf
Dionysius Exiguus zurück, den gelehrten Erfinder des Jahres des Herrn.
Ich weiß, das klingt - wie man bei
uns sagen würde - drießhüßchensjenau und etwas freudlos. Und es macht mangels
eines Jahres Null sogar den Astronomen gewisse Probleme.
P.S.: http://de.wikipedia.org/wiki/Jahrtausend;
http://www.heiligenlexikon.de/BiographienD/Dionysius_Exiguus.html
Sprachlabor der Süddeutschen Zeitung
am 16./17.1.2010:
„Leser Dr. V. ist beileibe nicht der Einzige, der seit Sylvester/Neujahr daran
erinnert hat, dass das neue Jahrzehnt erst am 1. Januar 2011 zu feiern ist. Da
er aber hinzufügte, sein Hinweis klinge vielleicht freudlos und – alles mal
herhören – ‚drießhüßchensgenau’, sei der Kasus noch einmal festgehalten. Ende
Dezember werden wir, so Gott will, drießhüßchensgenau darauf zurückkommen.“
(51) 31.12.2009
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 6.12.2009
vereitelter Anschlag auf Passagierflugzeug am 25.12.2009; Leitartikel von Peter
Pauls ("Ein Scanner zur Ablenkung", KStA 31.12.2009, S. 4)
Völlig zu Recht mahnt der
Leitartikel zu nüchternem Augenmaß: Hier wird wieder einmal ein
milliardenschweres Ausrüstungsprogramm losgetreten, teils als bedingter Reflex,
teils als Kalkül. Die Lasten für die Bürger werden groß sein und der Nutzen
gering - so wie wenn man in ein Lehmhaus eine videoüberwachte
Hochsicherheits-Stahltür einbauen würde.
Vor allem: Wo bleibt - neben den notorischen
High-Tech-Angeboten - eine breite, langanhaltende und intelligent abgestimmte
Initiative des Westens gegenüber allen zivil und friedfertig gesonnenen
Menschen islamischen Glaubens, nicht nur in der Türkei, aber auch dort? Dass es
diese Menschen gibt, zeigt gerade dieser Fall. Allerdings hat dieser wohl
nachhaltigere, preiswertere, authentischere und letztlich christlichere Weg,
der mit Obamas Kairoer Rede einmal kurz aufblitzte, weniger mit Technik zu tun
und mehr mit den bei uns schon fast aus der Mode gekommenen
Geisteswissenschaften. Schade!
P.S.: Niederschrift zu Barack Obamas
Rede in Kairo am 4.6.2009: http://www.whitehouse.gov/the_press_office/Remarks-by-the-President-at-Cairo-University-6-04-09/
(50) 30.12.2009
DIE WELT
Position
von Margot Käßmann zum Krieg in Afghanistan; Thomas Schmid "Gott und
Frieden und Krieg" (DIE WELT 30.12.2009, S. 6)
Mir wäre wohler, stünden wir nicht
bald acht Jahre in Afghanistan und hätten wir nicht schon verschiedenste
Strategien versucht. Und wären unsere Ziele klarer - klarer jedenfalls als:
nicht als Verlierer abziehen. Und gäbe es nicht dieses Schwarz in unserer
Flagge, die Grundfarbe des Lützow'schen Freikorps. Das war eine nicht nur aus
Sicht der Franzosen höchst aufständische Farbe. "Insurgents" würde
man neudeutsch zu Lützows patriotischem Haufen sagen.
Schließlich zum Vergleich Nazis /
Taliban und zur Kompromisslosigkeit, die dem Westens so schicksalhaft
aufgegeben sein soll: Besser, es hätte nicht diese hochrangigen amerikanischen
Sympathien und Anschubhilfen für den aufkeimenden Nationalsozialismus gegeben,
etwa in Gestalt eines Henry Ford, Truman Smith oder Ernst Franz Sedgwick
Hanfstängl. So wie viel später die Schützenhilfe für Saddam Hussein gegen
Khomeini oder für die islamistischen Mujaheddin gegen die Sowjets. Wäre all das
nicht gewesen, man könnte die Zwangsläufigkeit und Legitimität eines
korrigierenden militärischen Eingriffs viel überzeugender vortragen und
bräuchte nicht - wie nun Margot Käßmann - ganz schlüssig eine durchaus mutige
Wegänderung vorschlagen, statt immer mehr Desselben.
P.S.:
·
zur
Herkunft von Schwarz-Rot-Gold:
http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCtzowsches_Freikorps
·
zu
Smith / Hanfstängl:
http://en.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl,
·
zu
Henry Ford und zu amerikanischen Schriften, die für junge Nazis wegweisend
wurden:
http://en.wikipedia.org/wiki/The_International_Jew
·
zur
Schützenhilfe für afghanische Islamisten:
http://hebdo.nouvelobs.com/hebdo/parution/p19980115/articles/a19460-.html
bzw. http://www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html;
siehe auch: http://www.globalsecurity.org/org/news/2001/011002-attack03.htm
·
zu
"mehr Desselben":
Paul Watzlawick beschreibt in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein"
eine Beharrlichkeit, die in immer weitere Verstrickung führt, treffend als
Syndrom einer doppelten Blindheit: "Erstens dafür, dass die betreffende
Anpassung (Bezug: eine früher sinnvolle Überlebensstrategie) eben nicht mehr
die bestmögliche ist, und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine
Reihe anderer Lösungen gegeben hat, zumindest nun gibt. Diese doppelte
Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie die Patentlösung immer erfolgloser
und die Lage immer schwieriger, und zweitens führt der damit steigende
Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen Schlussfolgerung, noch nicht genug
zur Lösung getan zu haben. Man wendet also mehr derselben "Lösung" an
und erreicht damit genau mehr desselben Elends." (Paul Watzlawick,
Anleitung zum Unglücklichsein, Piper, 16. Aufl. 1997, S. 28f)
Später beigefügt:
·
Wortlaut
der nachfolgenden Neujahrspredigt von Margot Käßmann
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/kaessmann2.html
(49) 23.12.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Thomas Kröter "Was tun wir in Afghanistan?" (KStA 22.12.2009, S. 4)
Auch "erst einmal massiv
militärisch hereingehen" kann eine Illusion sein, jedenfalls ein
Vabanque-Spiel. Richtig ist: Eine Verstärkung zielt hier nicht auf Sieg - wie
sollte der in einem Bürgerkriegs-Szenario auch definiert sein? Wenn überhaupt,
zielt Verstärkung auf einen gesichtswahrenden Abgang.
Und genau da sind wir beim
wesentlichsten Punkt, beim deutschen Gesicht. Der letzte Krieg war uns ein
gewalttätiger Lehrmeister. Er hat Deutschland aber auch eine neue, in der Welt
breit akzeptierte Identität als Zivilstaat verschafft, er hat die Deutschen
eine gehörige Skepsis vor der Staatsräson gelehrt und gleichzeitig den im
Weltvergleich besonders ausgefeilten ersten Teil der Verfassung erzeugt, den zu
den global verpflichtenden Grund- und Lebensrechten. Darum sollte die vom
Kommentator zu Recht angemahnte offene gesellschaftliche Debatte auch die Frage
umfassen, ob deutsche Soldaten überhaupt Krieg führen müssen. Mag auch in
vielen Bundestagsdebatten nach 1993 - unter markigem Schulterklopfen der
heutigen Verbündeten - von der Mehrzahl der Abgeordneten bereits eine neue
militärische Normalität der Deutschen gefeiert worden sein.
Diese hatten vielleicht etwas sehr
Zentrales schon wieder vergessen, was in Kundus erneut auf dem Lehrplan steht.
P.S.:
Die vielen Fragezeichen des Beitrages erinnern an die mehr als 20 bis heute
unbeantworteten Fragen aus der sehr einsichtsvollen Rede des Bundespräsidenten
am 10. Oktober 2005 zum Fünfzigjährigen der Bundeswehr (http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf).
(48) 17.12.2009
SPIEGEL
Umweltfolgen der Bombardierung am Kundus-Fluss (Ulrike Demmer u.a.
"Schatten auf der Lichtgestalt", SPIEGEL 51/2009 v. 14.12.2009, S.
18ff)
Anm.: Ausbuchstabiert bedeutet PRT
Provincial Reconstruction Team. Die PRT‘s sollen den Wiederaufbau der
afghanischen Infrastruktur unterstützen und sie schützen. Aber das ist nun wohl
eher Euphemismus oder politischer Flecktarn.
(47) 15.12.2009
Rheinischer Merkur, abgedruckt 14.1.2010
Kundus; Lothar Rühl " Melden macht frei" (MERKUR 2009/50 v.
10.12.2009, S. 7)
"Melden macht frei" gilt
nicht nur im Militärischen, sondern auch im Demokratischen. Das wäre, wenn die
Politik den Bürgern reinsten Wein zu ihren Zielen, zu Nutzen und Lasten der
aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik einschenken würde. Der Bundespräsident
hat genau das in seiner Rede zum fünfzigjährigen Bestehen der Bundeswehr im
Oktober 2005 angemahnt, einer Rede mit mehr als zehn ausdrücklichen
Fragezeichen, ähnlich wie Lothar Rühl sie nun setzt. Just wenige Tage vor dem
Tanklaster-Zwischenfall hat Herr Köhler nochmals politische Übersetzungsarbeit
zum Afghanistan-Einsatz gefordert, einem Einsatz, den eine Mehrheit der Bürger
heute bereits mit Misstrauen verfolgt.
Der Ball liegt bei der Politik. Primat
der Politik sollte aber im Interesse der Soldaten nicht so verstanden werden,
dass Einsätze primär den poltischen Akteuren nutzen sollten. Sondern, dass die
Missionen den nach demokratischen Spielregeln identifizierten Interessen der
Bürgerinnen und Bürger dienen müssen. Das bedeutet auch, dass Deutschland
verstärkt nationale, demokratisch von unten nach oben vermittelte Interessen
und Identifikationen in Bündnisentscheidungen einbringen muss, also sich nicht
etwa von Bündniszwängen treiben lässt. Auch das setzt mehr offenen Dialog
voraus.
Und Herrn Rühls abschließende
Prognose, dass nur das Erfolg Versprechende sich am Ende als angemessen
erweisen werde, verstehe ich nicht im Sinne von Mitteln, die durch den Zweck
geheiligt werden, sondern als weiteren Ansporn zu einer nüchternen Evaluation
von Kosten und Lasten bisheriger und künftiger Missionen. Als Lasten und
Risiken wären auch die nicht unmittelbar sichtbar werdenden Fernwirkungen
einzubeziehen, etwa den wahrscheinlichen Konnex zwischen der irrtümlichen
Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad und der späteren
chinesischen Militärreform, die im Westen wiederum große Besorgnis ausgelöst
hat.
(46) 14.12.2009
DIE WELT
Kundus; Jaques Schuster ""Himmel und Orkus" (DIE WELT
14.10.2009, S. 1)
Richtig, es ist nicht sehr fair,
Herrn zu Guttenberg für die Frucht eines lange vernachlässigten Feldes
verantwortlich zu machen. Seit Jahren fehlt die anspruchsvolle
gesellschaftliche Debatte über Lasten und Nutzen einer neuen Außen- und
Sicherheitspolitik, wie sie der Bundespräsident auf der Kommandeurtagung 2005
angemahnt hatte. An die Erklärungspflicht der Politik speziell zu Afghanistan
hatte unser oberster Bürger noch am 28.8.2009 erinnert, nur wenige Tage vor dem
Angriff am Kundus-Fluss.
Besonders überraschend allerdings
wirkt der sehr geringe Informationsgrad der politischen Spitzen gerade in einer
Phase, in der das Projekt Afghanistan auf der Kippe steht. Die signifikante
Änderung der Strategie - das gezielte Ausschalten hochrangiger Funktionsträger des
Widerstandes - deute ich als weitgehendes Scheitern des bisherigen, eher
empathischen Ansatzes. Und dass diese Eskalation zweifelsfrei
verfassungskonforme Verteidigung ist, das dürfte schon unter Juristen kaum zu
beweisen sein und gegenüber den inzwischen in Mehrheit misstrauischen Bürgern
noch viel weniger.
P.S.:
·
Grundsatzrede
des Bundespräsidenten am 10.10.2005:
http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf
· Truppenbesuch des Bundespräsidenten am 28.8.2009: http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLd4k3cQsESUGY5vqRMLGglFR9b31fj_zcVP0A_YLciHJHR0VFAFBC9EY!/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfRF8zM1E2?yw_contentURL=%2FC1256F1200608B1B%2FW27VFARM867INFODE%2Fcontent.jsp<http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLd4k3cQsESUGY5vqRMLGglFR9b31fj_zcVP0A_YLciHJHR0VFAFBC9EY%21/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfRF8zM1E2?yw_contentURL=%2FC1256F1200608B1B%2FW27VFARM867INFODE%2Fcontent.jsp>
(45) 14.12.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Kundus; Christian Rath "Im Krieg ist Töten vom Mandat gedeckt"
(Kölner Stadt-Anzeiger 14.12.2009, S. 6)
Die Überschrift des Beitrags erinnert
mich an eine Fußnote aus einer Bibel, die im ersten Weltkrieg gedruckt wurde.
Ein langjähriger Pfarrer unserer Gemeinde und früherer Wehrmachts-Seelsorger
hatte sie mir i.J. 1993 einmal gezeigt. Er triumphierte dabei sogar ein wenig,
weil er anders als ich nicht an dem damaligen Somalia-Einsatz zweifelte. Die
Fußnote war am fünften Gebot angebracht und lautete kurz und bündig: "Gilt
nicht im Kriege!"
Wäre die Bundeswehr als
Parlamentsarmee im Einsatz, hätte eine Eskalationsstufe wie das systematische
Ausschalten von höherrangigen Gegnern mit dem Parlament insgesamt abgestimmt
werden müssen, § 3 Parlamentsbeteiligungsgesetz / ParlBG. Ohne Gefahr im Verzug
war dies übrigens auch kein Fall nachträglicher Zustimmung gem. § 5 Abs. 1
ParlBG und völlig eindeutig hat es an der generellen Information des
Bundestages nach den § 5 Abs. 2 bzw. § 6
ParlBG gefehlt. Nach der derzeitigen Nachrichtenlage besteht allerdings der
Eindruck, als wäre weder das Verteidigungsministerium noch das Kanzleramt
selbst - ob willentlich oder unwillentlich - in den relevanten
Informationsstrang eingebunden gewesen. Auch wenn ich dies kaum glauben möchte:
Die Bundeswehr wäre dann in Afghanistan keine Parlamentsarmee, nicht einmal
eine Regierungs- oder Kanzlerarmee, sondern am ehesten eine weitgehend
eigengesetzlich operierende Bündnisarmee, die auch nicht wehrt, sondern
stoßartig attackiert - wie in einer taktisch ähnlichen Situation die
mittelalterlichen Assassinen.
Darüber hinausgehend bezweifele ich
sehr ernsthaft, ob eine Strategie des "decapitating" bzw. der
Menschenjagd jemals mit dem Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes und mit der
Friedensorientierung in den Artikeln 87a und 26 vereinbar sein könnte. Für mich
wäre das eine andere Republik.
P.S.: Zu den Assassinen
http://de.wikipedia.org/wiki/Assassinen
http://de.wikipedia.org/wiki/Raschid_al-Din
(44) 6.12.2009
DER SPIEGEL
Debatte um den Einsatz in Afghanistan (SPIEGEL Nr. 49 v. 30.11.2009, S. 22ff)
Ohne Worte (Titelbilder 47/2006 und
49/2009):
P.S.:
Mein Leserbrief v. 23.11.2006 zum SPIEGEL 47/2006 hatte gelautet:
„DER SPIEGEL titelt und schreibt mit
dem unwiderstehlichen Charme der Feldjägerei, die auch im Angesicht epochalen
Scheiterns die letzten Mutlosen und Feigen an die Front treibt. Zumindest
scheinen die Autoren ein blutreicheres deutsches Engagement als schicksalhaft
alternativlos zu erleben. Man kann auch anders. Mitte der Neunziger hat Rudolf
Augstein die raumgreifende neue Militärdoktrin nüchtern als zeitgenössische
"Strafexpeditionen des Westens" eingeordnet. Wie es aussieht, steht
das Konzept des Westens für Afghanistan - wenn es denn je eines gab - vor dem
Ende. Toten soll man keine Lebenden hinterherwerfen; das gilt vielleicht auch
für die NATO.“
P.P.S.
Zur rapide weiter zurückgehenden Unterstützung des Einsatzes in Afghanistan bei
Bürgerinnen und Bürgern und zum wachsenden Misstrauen hinsichtlich der Informationspolitik
der Bundesregierung siehe dimap-Umfrage v. 30.11.-2.12.2009, http://www.infratest-dimap.de/uploads/media/dt0912_bericht.pdf.
(43) 3.12.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Debatte um das Schweizer Minarett-Verbot (Peter Pauls "Unbehagen in der
Tabuzone", KStAnz. v. 2.12.2009, S. 4; Leserbriefe unter der Überschrift
"Die Schweizer haben gut entschieden", ebd. S. 28)
Der Kommentator hält der aktiven
Rolle des Stadt-Anzeigers zu Gute, dass die lange wabernde Kölner Debatte
Akzeptanz und Toleranz für Minarette gefördert hat. Das mag man auch
bezweifeln. Zwar muss ein Leserforum nicht repräsentativ sein. Aber am
2.12.2009 sprach der Schweizer Entscheid jedenfalls elf von zwölf regionalen
Stimmen geradezu aus dem Herzen. Die verbleibende eine, abwägend kritische
Position hatte dem Namen nach Migrationshintergrund und kam von weit her, aus
Frankfurt. Die Kölner könnten die Schweizer also locker in den Schatten
stellen, etwa im Verhältnis eines Domturms zu einem Minarett.
Ich habe nichts gegen
Volksentscheide, beileibe nicht. Sie lassen sich ja im Lichte weiterer
Erfahrungen auf dem gleichen Wege revidieren. Aber man darf nicht verkennen:
Auch Plebiszite können politisch gesteuert und instrumentalisiert sein, wie
hier in der Schweiz. Und: Im konkreten Fall richtet sich - wie schon im Falle
des Kopftuches - eine diffuse, im Grunde ausschließlich medial vermittelte
Angst mangels veritabler Gegner des täglichen Lebens gegen Symbole. Die vielen
sehr bürgerlichen, wackeren und ordnungstreuen Mitmenschen türkischer Herkunft
sind sicher keine aktuellen Gegner. Aber wäre ich ein Türke, ich hätte es schon
bei den Leserbriefen zur Kölner Moschee mächtig mit der Angst zu tun bekommen.
Für mich und meine Kinder und Enkel.
(42) 29.11.2009
Bonner General-Anzeiger
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 4.11.2009 (Ihr Artikel:
Volksverhetzung bleibt verboten, General-Anzeiger v. 18.11.2009, S. 4)
Das ist ein sehr schöner und auch
beruhigender Gedanke, den das Bundesverfassungsgericht am
4.11.2009 gegen die Heß-Gedenk-Veranstaltung formuliert hat: Die Verfassung ist
ein historisches Lehrstück, ein kollektives Gedächtnis und Gewissen, das -
ausgedrückt im Aufbau und in vielen Details - jede Wiederholung des
nationalsozialistischen Unrechts ein für alle Mal ausschließen soll (BVerfG Rn.
65). Das menschenverachtende Regime hat - wie das BVerfG hier auch ausführt -
unermessliches Leid über Europa und die Welt gebracht. Ziel und seine zentrale Handlungsform
der Führung war ja gerade der Angriffskrieg, ohne den auch der Holocaust
niemals seine historisch einzigartige, nicht zu bewältigende Dimension erhalten
hätte. Sichtbare konstitutionelle Reflexe dieser kollektiven Erfahrung sind das
Verbot von Angriffskriegen und die ausdrückliche Selbstbeschränkung auf
Verteidigung.
Wenn diese Haltung zum Krieg für
Deutschland Identifikations-stiftend ist, dann möchte man sich für die Frage,
unter welchen konkreten Umständen ein Krieg Verteidigungskrieg ist, eine ebenso
stabile Haltung der Republik wünschen wie die zu den rechtsradikalen
Aufmärschen. Es sollte nicht der Exekutive überlassen sein, Krieg und
Nicht-Krieg oder mögliche Zwischenformen zu definieren. Dies sollte entweder in
der Verfassung selbst angelegt sein - viele Juristen sehen durch die
Auslandseinsätze die Grenzen des wohlerwogenen Verfassungswortlauts längst
überschritten - oder der Handlungsrahmen sollte zumindest in einem materiellen
Gesetz rechtsstaatlich konkretisiert werden. Das wäre eine angemessene Lehre
aus dem Krieg - und aus der aktuellen Rechtsprechung.
P.S.: link zu BVerfG v. 4.11.2009,
Az. 1 BvR 2150/08: www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20091104_1bvr215008.html
(41) 17.11.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Debatte um Steuersenkungen und die etwaige Auswirkung auf die Finanzlage
speziell der Kommunen
Interessant im Zusammenhang mit
einer Steuersenkung und zu der Ankündigung der FDP, diese notfalls über den
Landtagswahlkampf NRW durchzusetzen, sind zwei aktuelle Zitate aus
verlässlicher Quelle. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sagt in eher ungewöhnlichem Klartext:
"Angesichts der enormen Konsolidierungserfordernisse sind derartige
Steuersenkungsversprechen ohne solide Gegenfinanzierung mit einer seriösen
Finanzpolitik nicht vereinbar" (Jahresgutachten 2009 S. 12, Rn. 24). Und
der NRW-Kommunalfinanzbericht 2009 spricht nüchtern aus, dass die Gemeinden an
ihren aufgelaufenen Schulden zu ersticken drohen: "Die kommunalen
Verbindlichkeiten sind daher trotz verbesserter Gesamteinnahmen um 928
Millionen Euro weiter gewachsen" (Bericht 2009, S. 10). Die trotzigen,
wenig realitätsbezogenen Vorstellungen der FDP gefährden - leider muss man es
drastisch sagen - jeden Spielraum zur Sanierung der völlig zerzausten
kommunalen Finanzen.
Nur nebenbei sei erwähnt: Der
Sachverständigenrat sieht in einem klaren Votum für mehr und bessere Bildung
eine besondere Priorität bei der frühkindlichen Erziehung. Das ist sehr
schlüssig, auch das muss auf der kommunalen Bühne geschehen und auch das
braucht die Förderung des Gemeinwesens.
Quellen / links
Kommunalfinanzbericht 2009
http://www.im.nrw.de/imshop/shopdocs/kommunalfinanzbericht_0909.pdf
Jahresgutachten 2009 der "Fünf Weisen"
http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gutacht/ga-content.php?gaid=55
(Bestellen / download
Jahresgutachten 2009)
http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/press/pressrelease.php?pm=0
(PM Jahresgutachten 2009)
(40) 30.10.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Koalitionsvertrag und desolate kommunale Finanzen
Auf drei Stellen des
Koalitionsvertrages sollten insbesondere die Bürger/innen der von Verarmung bedrohten
Kommunen sehr achten und sie sollten massiv auf ihre unverzügliche Umsetzung
drängen: Einerseits sind es zwei der etwas versteckten "goldenen
Regeln" auf S. 20, nämlich der grundsätzliche Finanzierungsvorbehalt und
die ausgewogene Lastenverteilung zwischen den Ebenen der öffentlichen
Haushalte. Zum anderen ist es das Versprechen auf S. 14, die
Gemeindefinanzierung neu zu ordnen. Die Ankündigung eines Arbeitskreises ist
zwar nicht fürchterlich viel, aber was lohnt das Klagen? Und wenn da nichts glückt,
dann haben wir den Staat in kurzer Zeit an der völlig falschen Stelle
kaputtgespart, nämlich an der Basis der Finanzpyramide. Dort, wo die Menschen
wohnen und das Geld verdienen und wo man Demokratie (noch) anfassen kann.
(39) 27.10.2009
SPIEGEL
Bundesfinanzen; zu "Vorsicht, Schwarz-Gelb" (SPIEGEL Nr. 44 v.
26.10.2009, S. 24ff)
Vermengt man sattes Schwarz mit
dunklem Gelb, so kann man Umbra mischen, die Farbe des Schattens. Oberster
Umbrist ist unser Vizekanzler in spe. Ihm war sein jahrelanges Seligkeitsding
nicht aus der Hand zu schlagen: das Mantra einer breiten Steuersenkung. Mag
dies bei mittelfristig miserabelster Haushaltslage heute auch mehr als trotzig
klingen.
Natur und Sicherheitstechnik nutzen
übrigens gerne den Kontrast zwischen Schwarz und Gelb - als Warnfarbe, wie es
auch der Spiegel-Titel schön illustriert hat. Sehr vertraut ist uns das
schwarz-gelbe Schild mit der Warnung vor radioaktiven Stoffen und ionisierenden
Strahlen. Die Halbwertzeit dieses Schildes in den Hausfarben wird die Koalition
konsequent verlängern.
http://de.wikipedia.org/wiki/Warnfarbe
http://de.wikipedia.org/wiki/Gelb
(38) 23.10.2009
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt: 30.10.2009
Koalitionsverhandlungen; Finanzierungsinstrumente (u.a.
"Bildstörungen", "Schwarz-Gelb zuckt zurück",
"Müllabfuhr / Gastwirte", F.A.Z. v. 23.10.2009, S. 1f, 11 )
"Warum bewerben Sie sich
überhaupt? Das macht doch bei der desolaten Lage der städtischen Finanzen gar
keinen Spaß!" So teilnahmsvoll erkundigte sich neulich einer meiner
Mitbewerber bei der Bürgermeisterwahl in NRW.
Wer Bürger einer deutschen
Opferstock-Gemeinde ist - und wir werden immer mehr -, der muss die derzeitigen
Finanzplanspiele auf Bundesebene mit zunehmender Verstimmung und Sorge
betrachten. Viele Orte taumeln dem finanziellen Exitus entgegen, dem
vollständigen Verzehr des Eigenkapitals, damit dem weiteren Abbau
bindungskräftiger örtlicher Infrastruktur wie Jugendzentren, Büchereien und
Bäder, in letzter Konsequenz dem Verlust politischer Eigenständigkeit.
Im Kommunalwahlkampf beschreiben und
entschuldigen die Parteien die offenbare Misere gerne als strukturell bedingt.
Etwa als Folge der volatilen Gewerbesteuer: es müsse halt endlich eine
nachhaltig wirkende Gemeindefinanzreform her. Doch davon hört man nun leider
gar nichts mehr. Im Gegenteil dürften die Ideen zur stärkeren Besteuerung
öffentlicher Müllentsorgung und zur steuerlichen Entlastung der Wirtschaft die
budgetäre Schieflage vieler Kommunen noch weiter verschärfen. Und die
ambitionierten Pläne der neuen Koalition werden auch mittel- und langfristig
jeden finanziellen Spielraum zur Entlastung des kommunalen Stockwerks
verzehren. Damit geht gleichzeitig immer mehr Demokratie verloren, genau die
für viele Bürger praktisch erfahrbare Mitgestaltung vor Ort. Und das ist
immerhin gleichzeitig die politische Petrischale für die Landes- und
Bundesebene.
(37) 23.10.2009
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 2.11.2009
Koalitionsverhandlungen; Schattenhaushalt (u.a. Süddeutsche 22.10.2009 S. 4,
Heribert Prantl "Das Narrenschiff")
Wer wie ich in einer sehr klammen
Gemeinde lebt, den stört auch eine im Effekt antidemokratische Komponente der
schönen neuen Finanz-Instrumente, gleich ob sie nun sofort greifen werden oder
mit ein wenig schamhafter Verzögerung: Bei zahlreichen deutschen Kommunen ist
das Tafelsilber ganz oder nahezu dahin. Ihre letzte Hoffnung lag in einer
unverzüglichen fairen Anpassung der Steuerverteilung im Gesamtstaat. Sie müsste
die Gemeinden vom willkürlichen Oszillieren der Gewerbesteuern befreien und
schlimmste regionale Fehlsteuerungen ausgleichen. Und in den aktuellen
kommunalen Wahlkämpfen waren die örtlichen Parteigliederungen denn auch nicht
müde geworden, auf die Verantwortung Ranghöherer für die um sich greifenden
Finanzlöcher zu verweisen - etwa gerade noch weiträumig in NRW. Wenn aber
überhaupt noch Spielraum für die angemessene Alimentierung des demokratischen
Kellergeschosses - der Gemeinden eben - bestand, die
Bundes-Koalitions-Aspiranten haben jetzt alles aufgefuttert mit
Haushaltsplanungen, die ihre Schatten auf Jahre im Voraus werfen. Ja, sie haben
die lokale Zukunft Stück für Stück eigennützig kannibalisiert.
Wenn nun den Kommunen reihenweise
Landesaufsicht und Sparkommissar ins Haus steht, wenn als letzte Lösung
vielfach nur die Zusammenlegung und Zentralisierung bleiben wird, dann war
schon die letzte Kommunalwahl eine Farce. Wir hätten sie besser gleich
eingespart. Denn über was haben diese Räte noch mündig zu entscheiden? Und
welcher befähigte Nachwuchs soll sich unter diesen Bedingungen noch für einen
kommunalen Einstieg in ein politisch aktives Leben interessieren?
"Ochsentour" erhält unter heutigen Bedingungen einen besonders masochistischen
Beiklang. Und die Ochsen werden grau und grauer.
(36)
29.9.2009
TIME
strategy for
Hun
or nun? Up to 1990 U.S. Media loved to stage German soldiers as huns, still due
to their fierce appearance in WW 1&2. In the new wars after 1990 Germans
were mostly derided as nuns. With the Kundus tanker incident they seem to be
switching to the hun character again.
The
way ahead? Maybe us Germans should at first apply Kant's categorical imperative
or the rule of law, and define democratically: "What are the precise and
numbered reasons to wage a war and kill men? Shall it be defense, humanity,
economic interest and/or world order?" That's what the world could draw
profits on, even the
(35)
18.9.2009
TIME
Islam; "A gentler Islam" by Ishaan Tharoor (TIME September 21, 2009,
p. 52)
What
a nice idea! To act authentically - which lies at the heart of Sufism - the West
should go ahead as a guide: No hierarchy, except of wisdom, no material assets,
neither paradise nor hell, no Manichaean Divide, only shades or intensities of
good, and any man with a lifelong chance to proceed to happiness and to unity
with God. Be sensible: That may sound quite like the original Jesus, but it
wouldn't be the West any longer.
Further
on: If we would exploit Sufism in a divide
et impera manner, just to erode and split up the world of Islam, there
would be uncounted numbers of victims. E.g. in Iran Sufis seem to be object of
severe discrimination and prosecution already.
(34) 17.9.2009
FOCUS
Afghanistan; Olaf Opitz / Thomas Wiegold: "Sprengsatz für die
Heimatfront" (FOCUS 38/2009 S, 20 ff)
Ich würde ja gerne empfehlen,
auszuharren und auf eine neue Wende im Kriegsglück zu warten. Allerdings fehlt
mir der Glaube.
Genau betrachtet ist die jüngere
Geschichte Afghanistans die Geschichte zweier verschachtelter Bärenfallen. Die
erste hatte Zbigniew Brzezinski, außenpolitischer Berater des am Ende
glücklosen Carter, in einem brisanten Interview des Nouvel Observateur
beschrieben: Wie nämlich Amerikaner und Pakistanis noch vor dem sowjetischen
Einmarsch i.J. 1979 die Glaubenskrieger Afghanistans ermutigt und gerüstet
hatten und die Russen dann ganz programmgemäß an dem vergifteten Happen
erstickt waren. "Afghanen" im Sinne von dort ertüchtigten und
globalisierten muslimischen Guerilla-Kämpfern kamen danach bei den
verschiedensten Terror-Attacken weltweit wieder an die Oberfläche, in Aden,
Basilan, Bosnien, Tadschikistan, Kairo, Kaschmir - und New York, schon beim
ersten Anschlag auf das World Trade Center im Februar 1993. Der zweite und
finale Anschlag im September 2001 war gleichzeitig die zweite Bärenfalle. Sie
verstrickte den Westen berechenbar in einen globalen Krieg gegen den Terror -
und führte ihn eben zurück nach Afghanistan.
Zbigniew Brzezinski warnt nun -
späte Einsicht -, wir könnten riskieren, ungewollt das Schicksal der Sowjets zu
wiederholen. Was sehr nahe liegt: Die russische Interventionsarmee umfasste
mehr als 115.000 Kräfte, die derzeitigen ISAF-Truppen machen nur etwas mehr als
die Hälfte davon aus. Im Irak konnten etwa 300.000 alliierte Truppen keine
nachhaltige Wende herbeiführen, trotz einer im Vergleich zu Afghanistan grundsätzlich
einfacheren Topographie und einer deutlich moderneren Gesellschaftsstruktur.
Der Trend geht in Afghanistan seit mindestens drei Jahren intensiv gegen den
Westen. Recht behalten wollen wird voraussichtlich zu mehr Elend führen und
gerade nicht unser Gesicht wahren.
P.S.
·
zu Abs. 2:
Brzezinski-Interview des Nouvel Observateur (Jan. 1998)
http://www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html
·
zur
blutigen Spur der "Afghanen" nach 1979 siehe Artikel von Hans-Josef
Horchem in der WELT v. 19.8.1993, den ich leider nur als Papier habe,
wiedergegeben aber auf meiner homepage:
http://vo2s.de/3600irak.html (dort am Ende)
·
zu
Abs. 3:
aktuelle Äußerung Brzezinskis (Interview Deutsche Welle, Okt. 2008)
http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,3710665,00.html
(33)
14.9.2009
NewScientist
Computer-based evolution; Susan Blackmore: "The third replicator"
(NewScientist 1 Aug. 2009, p.36 ff)
Would
the third replicator necessarily make for an evolution more blind or more
selfish than usually attributed to human politics? Perhaps it would be or will
be even fitter for extrapolating complex long term trends and for adapting just
in time - a new and cooler way, how Gaia would run itself. But of course, it
would be detrimental to the role of mankind.
As
for a name I would suggest "robe" or "
(32) 14.9.2009
Frankfurter Allgemeine
Widerstand und Afghanistan-Strategie; Hans-Walter von der Hülsen: "Was der
Feind fürchten muss in Afghanistan" (F.A.Z. 14.9.2009, S. 20)
Ich will Herrn von der Hülsen
keinerlei Position zu einem der gleich im Nachfolgenden beschriebenen Konflikte
unterstellen. Aber sein selbstgewisser oder selbstvergewissernder Leserbrief
mit dem Rat zu einer stärker selbstzentrierten, vereinfachenden und
durchschlagenden Vorgehensweise in Afghanistan, der hätte mit ähnlichen Details
im Jahre 1777 aus London kommen können, 1813 aus Paris, 1944 aus Berlin. Und
zwar jeweils zur Wende im Kriegsglück von Interventionsarmeen - der Briten in
Nordamerika, der Franzosen in Deutschland und der Deutschen auf dem Balkan.
Alle diese Armeen hatten massiv auch mit zivilem bzw. unkonventionellem
Widerstand zu tun und haben mit am Ende ganz unproduktiver Härte reagiert, die
übrigens auch jeweils sehr spät erst aufgearbeitet wurde.
Ganz anders als Herr von der Hülsen sehe
ich auch einen höheren ethischen Begründungszwang, was den Blutzoll von
Ausländern angeht. Diese haben keine Möglichkeit, "im eigenen Lager"
auf die deutsche Legislative und Exekutive einzuwirken, wie es Inländer haben,
auch unsere Soldaten. Sie müssen sich deren Entscheidungen daher auch nicht im
Zweifel als eigene zurechnen lassen. Leider gibt das traditionelle Völkerrecht
den zu Schaden gekommenen Ausländern nicht einmal zivilrechtliche oder die
Grundrechte schützende Waffen. Risiko
und Rückkopplung nach Einsatzentscheidungen bleiben daher für die nationale
Politik eher gering. Wir Zivilisten sollten schon selbst Solidarität und
Identifikation mit den Zivilisten im Ausland zeigen - am Ende im höchsteigenen
Interesse.
(31) 10.9.2009
DIE ZEIT, abgedruckt 24.9.2009
Afghanistan; Josef Joffe: "Deutschlands Krieg", Matthias Geis:
"Sein verlorener Krieg", Jochen Bittner u.a.: "Was haben wir
getan!" (DIE ZEIT Nr. 38 v. 10.9.2009, S. 1-3)
Der Verteidigungsminister ist
überfordert? Nur insoweit, als Deutschland und der Westen insgesamt mit dem
Ende der Nachkriegszeit überfordert waren und sind. Es gab nach 1990 keine
gesellschaftliche Debatte über Weltordnungspolitik und ihr komplexes Verhältnis
zu Souveränität und Menschenrechten, keine unter Schmerzen abgestimmte
Anpassung von völkerrechtlichen Verträgen und nationalen Verfassungen, nur das
von massiven Investitionen begleitete militärische Durchhangeln von Fall zu
Fall. Ohne öffentliche Evaluation, ohne rechtlich abstrahierbare Lehren, also:
ohne rechtsstaatliches Ehrlichmachen. Eine - unerhörte - Sternstunde blieb die
eindringliche Mahnung des Bundespräsidenten am 10.10.2005, zum fünfzigjährigen
Bestehen der Bundeswehr. Bei einem Truppenbesuch am 28.8.2009, also kurz vor
der Tanklaster-causa, hatte er nochmal an die noch immer ausstehenden
Hausaufgaben der Politik erinnert.
In ärgerlich-kämpferischer Pose hat
sich nun die Kanzlerin am 8.9.2009 im Bundestag jede Vorverurteilung verbeten,
von innen wie von außen. Viele schlossen sich an, rallying around the flag.
Treten wir doch einmal zehn Meter vom Geschehen zurück: Steckt nicht schon in
ihrer gleichzeitigen Aussage "Jeder in Afghanistan unschuldig Getötete ist
einer zu viel!" eine existenziell wirksame Vorverurteilung? Auf welche
Schuld steht Todesstrafe? Und wer will mit diesen Folgen über die Unterschiede
zwischen Patrioten, Aufständischen, Partisanen, Résistance-Kämpfern, Freikorps,
Milizen, Bürgerwehren, Landsturm, einer nordamerikanischen Continental Army und
Befreiungs-Kämpfern richten? Kann man überhaupt irgendjemandem im ländlichen
Afghanistan eine kritische Haltung gegenüber der Zentralregierung übel nehmen?
Hatte nicht der anfordernde Offizier mangels Kampfhandlungen am Boden
Kompetenzen überschritten? Und muss nicht ohnehin jeder durchschnittlich einfühlsame
Mensch mit einem Bombenangriff auf Tankzüge eine grausame Kriegführung
assoziieren wie mit Napalm, Phosphor oder den Flammenstürmen nach den
Flächenbombardements des 20. Jahrhunderts?
Letzte Anmerkung, und ich hoffe, der
Blick in die eigene Geschichte kann den Realismus stärken. Was verbindet unsere
Schützenvereine und die Taliban? Beide haben bzw. hatten wesentliche Wurzeln
und ihr emotionales Treibmittel in ungeliebten Besatzungen. Widerstand ist
Gewalt mit dem Vorteil des Heimspiels und die Zeit spielt immer für ihn. Zurück
bleiben Erinnerungen an wüste Kämpfer wie im Bergischen Land an den verwegenen
Gottfried Müller aus Odenthal. Sein nom de guerre war
"Kappes-Gottfried", weil er die Franzosen nach eigener Aussage wie
Kappes niedermähte. Und es blieben einige zivilisatorische Errungenschaften wie
die Standesämter im Rheinland, das Eau de Cologne - und die Fisternöllchen, die
"fils de nul". Neben Zehntausenden von Toten und den späteren
Revanche-Kriegen mit dann vielen Millionen.
(30) 9.9.2009
PSYCHOLOGIE HEUTE, abgedruckt im Februar-Heft 2010
(und die „erfrischende Unfertigkeit“ auch gleich Freunde gefunden, s. http://simplepower.blog.de/2010/01/14/gutes-gespraech-7755822/)
kreativer Dialog; Birgit Schönbergers Artikel "Wie entsteht ein gutes
Gespräch?" (PSYCHOLOGIE HEUTE, Okt. 2009, S. 31 ff)
Da ist es wieder, das
Seligkeitsding, das gute Gespräch. Aber was ist es wirklich? Für mich ist es
nicht vermessbar, nicht terminierbar, nicht protokollierbar, ist auch nicht zu
coachen. Es entscheidet nichts, kann aber für Entscheidungen öffnen. Es
therapiert nicht, denn es funktioniert erst jenseits der Jammerphase. Im Grunde
ist es ein kleines Austrittserlebnis, bei dem sich im Kreuzfeuer der
Spiegelneuronen Rollen und Hierarchien jeder Art auflösen, Resonanz entsteht
und sich die von Richard Dawkins "erfundenen" Meme neu arrangieren
können. Viel häufiger wohl als gemeinhin angenommen hat eine – von uns
bevorzugt individualisiert geortete – intelligente Leistung ihre Ursache in
einer inspirierenden Kommunikation, die die Dinge ganz neu gewürfelt hatte.
An einem schönen Sommertag saß
vielleicht eine kleine Gruppe Menschen an einer Quelle oder auf einem
Bergrücken am großen Grabenbruch und gab erstmals dem Gedanken Laut:
"Afrika ist beileibe nicht alles!" Das ist es, was ein gutes Gespräch
den Beteiligten immer wieder klar macht: Die erfrischende Unfertigkeit dieser
Welt.
(29) 8.9.2009
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 12.9.2009
Afghanistan-Einsatz (u.a. Heribert Prantl "Krieg und Wahlkampf";
Süddeutsche v. 8.9.2009) und zur aktuellen Regierungserklärung der Kanzlerin
Manchmal kommen Waffengänge im
Wahlkampf zupass, aber das sind meist die frischen, unabgenutzten Kriege. Sind
sie älter schon als der zweite Weltkrieg und zunehmend hässlich, dann mehren
sich die unbequemen Fragen. Fast unbeachtet blieb leider, was unser
Bundespräsident nur wenige Tage vor Entführung und folgendem Bombardement der
Tankzüge bei einem Besuch des Gefechtsübungszentrums in Letzlingen sagte:
"Wir alle, vor allem die Politik, haben die Aufgabe, den Einsatz in
Afghanistan zu erklären". Das knüpfte an seine fulminante, gleichwohl bis
heute weitgehend unerhörte Rede zum fünfzigjährigen Bestehen der Bundeswehr an.
An die Rede vom 10. Oktober 2005 nämlich mit mehr als 10 bohrenden Fragezeichen
zur Aufgabenstellung der Bundeswehr und zu ihrer wettersicheren Verankerung in
der Gesellschaft. "Das freundliche Desinteresse" hat sich nach seinem
Eindruck "noch nicht wirklich in ein auch sorgenvolles Interesse"
gewandelt.
Und wie schnell sich öffentliche
Eindrücke wandeln können: Dr. Köhler zeigte sich noch vor wenigen Tagen froh
darüber, dass die US-Amerikaner inzwischen stärker darauf setzen, die Menschen
im Lande von den Zielen des Einsatzes zu überzeugen.
Und, pardon, das kann man mit dem
ungelenken Versuch einer nachträglichen taktischen Rechtfertigung nun wirklich
nicht. Nicht die Taliban haben aus den immobilisierten Tankzügen einen
grauenhaften Molotow-Cocktail gemacht, sondern der Einsatz-lenkende deutsche
Offizier und alle, die ihn vorher und nachher unterstützt haben. Da kann ich
auch die selbstgewisse Betonung der Kanzlerin - wir fühlen mit den unschuldigen
Opfern - nur als unsäglich kalt und inhaltlich belanglos werten. Wem von uns
steht an, die am Konflikt Beteiligten sauber in schuldig und unschuldig
einzuteilen? Wo ist der leicht beweisbare Unterschied zwischen Patrioten,
Guerillas, Partisanen, Freischärlern, Widerständlern, Résistance- und
Befreiungskämpfern, die es auch in unserer Geschichte reichlich gab? Wer hat
die Mujaheddin stark gemacht?
Leider sind wir mit der kardinalen
Debatte - zu welchem Zweck wollen wir militärische Gewalt einsetzen und was
sind die belastbaren Erträge - extrem spät dran, für diesen Wahlkampf viel zu
spät. Aber die Prätendenten sollten uns diesen Dialog nun wenigstens fest
versprechen.
P.S.
Truppenbesuch des Bundespräsidenten am 28.8.2009:
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLd4k3cQsESUGY5vqRMLGglFR9b31fj_zcVP0A_YLciHJHR0VFAFBC9EY!/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfRF8zM1E2?yw_contentURL=%2FC1256F1200608B1B%2FW27VFARM867INFODE%2Fcontent.jsp
Grundsatzrede des Bundespräsidenten
am 10.10.2005:
http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf
(28) 8.9.2009
WZ / Bergischer Volksbote, abgedruckt 28.9.2009
Afghanistan; Angriff auf zwei Tanklastzüge in Afghanistan / Kommentar von
Miguel Sanchez "Angriff muss ein politisches Nachspiel haben" (WZ /
Bergischer Volksbote v. 7.9.2009, S. 2)
Auch wenn es Illusionen aufs Spiel
setzt: Der Trend geht in Afghanistan seit mindestens vier Jahren stramm gegen
uns. Die Tanklaster-Katastrophe - ob verschuldet oder nicht - wird die
Rahmenbedingungen nur weiter verschlechtern. Selbst eine "surge" nach
dem Vorbild des Irak-Krieges, also eine entschlossene militärische Verstärkung,
könnte uns vielleicht einen besseren Abgang verschaffen; sie gäbe aber nicht
die Aussicht auf eine neuerliche Wende. Das uns alle irritierende gegenseitige
Fingerzeigen der Verbündeten ist denn nichts anderes als der Ausweis
nachhaltiger Ratlosigkeit.
Bundespräsident Dr. Köhler hatte am
10.10.2005, zum "Fünfzigsten" der Bundeswehr, eine breite
gesellschaftliche Debatte zu Nutzen und Lasten von Auslandseinsätzen angemahnt.
Verpasst! So kurz vor der Wahl kann das niemand mehr seriös organisieren.
(27) 7.9.2009
Frankfurter Allgemeine
Afghanistan; Berthold Kohlers Kommentar "Der Wille des Westens"
(F.A.Z. 7.9.2009, S. 1)
Als - nach meiner Wehrdienstzeit -
heute völlig luftwaffenloser Leser teile ich die Frage meines Luxemburger
Leidensgenossen: Wieso feuert man auf immobilisierte, voll beladene Tanklastzüge,
festgefahren nicht einmal in Fahrtrichtung deutscher oder alliierter
Stellungen? Gab es zwischen Anordnung und Ausführung kein Korrekturglied?
Reicht die im ländlichen Afghanistan ubiquitäre Bewaffnung aus, um eine Gruppe
als vollständig oder überwiegend gegnerisch auszuweisen?
Und unabhängig davon: Offenbar für
alle Beteiligten sind wir in Afghanistan engagiert, weil wir einmal
hereingegangen sind und derzeit keinen Ausgang sehen, der unser militärisches
Drohpotenzial, unsere Akzeptanz im Bündnis und unser kulturelles Leitbild
schonen würde. Diese bereits lange währende allgemeine Ratlosigkeit der
Verbündeten und ihre Zerstrittenheit nach dem desaströsen Angriff passen leider
zu einander.
(26) 7.9.2009
DIE WELT, abgedruckt: 10.9.2009
Afghanistan; Kommentar von Dietrich Alexander "Bundeswehr am Pranger"
und zum Interview mit Reinhard Robbe "Das ist auch die Angst vor der
Geschichte" (DIE WELT 7.9.2009, S. 6 u. 4)
Wir haben uns schon fast daran
gewöhnt: "Kriegerische Konflikte ohne zivile Opfer gibt es nicht."
Oder: Selbst ein kontinuierlicher ziviler Blutzoll schließt deutsche
Beteiligung nicht aus.
Dabei liegt die eigentliche
verfassungsrechtliche Frage ungelöst dahinter und sie wird auch nicht durch die
schon routinehafte Verlängerung von Einsatzbeschlüssen erledigt: Welches zivile
(oder militärische) Opfer wird generell durch welche zu schützenden Grundwerte
gerechtfertigt, kraft welcher generellen Eingriffsgrundlage? Dies und
zuallererst dies schulden die Politiker den Soldaten - und wir, das Volk,
schulden unseren Soldaten die tragfähige gesellschaftliche Debatte dazu.
Fürbitten-Gebete, Denkminuten oder Autorenfilme, lieber Herr Robbe, können
diesen Prozess nicht einmal ansatzweise ersetzen.
(25) 7.9.2009
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 11.9.2009
Angriff auf Tanklaster in Afghanistan; Burkhard von Pappenheims Kommentar
"Afghanistan im Sog der Gewalt" (KStA v. 5./6.9.2009, S. 4)
Lassen wir die Frage beiseite, ob
der Angriff auf die festgefahrenen Tanklastzüge militärisch notwendig war.
Lassen wir auch ungeklärt, ob es heute eine unzweifelhafte
verfassungsrechtliche Grundlage für einen deutschen Militäreinsatz am
Hindukusch gibt - wenn es denn jemals eine solche gegeben hat.
Fragen wir lieber, warum die nach
1990 veränderte Aufgabenstellung der Bundeswehr in keinem bisherigen Wahlkampf
eine prominente Rolle gespielt hat, dies übrigens nicht einmal, nachdem der
Bundespräsident zum 50. Geburtstag der Bundeswehr die ausstehende
gesellschaftliche Debatte so nachdrücklich angemahnt hatte. Dann können wir
eine Aussage zum Wirkungsgrad von Demokratie in Fragen der Außen- und
Sicherheitspolitik treffen, immerhin einer der Lebensfragen der Nation.
"Den Einsatz erhöhen", wie
es Herr von Pappenheim erwägt, ist doppeldeutig. Manche Spieler handeln so.
Paul Watzlawick hat diese Strategie als ein Kernelement in seiner
"Anleitung zum Unglücklichsein" beschrieben: Mehr desselben Handelns
führt zumeist zu mehr desselben Elends.
P.S.: link zur Rede von Herrn
Bundespräsidenten Dr. Köhler am 10.10.2005:
http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_630701/Rede-Kommandeurtagung.pdf
(24) 30.8.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Bürgermeisterwahl in Burscheid / Finanzen (KStAnz Ausgabe Rhein-Wupper v.
27.8.2009, S. 37 "Auf jeden Fall ein neuer Bürgermeister")
Im Rahmen der Vorstellung einzelner
Kandidaten steht eine entwarnend klingende Aussage zu den städtischen Finanzen:
"... gelang es der Verwaltung, die Schulden der Stadt seit 2005 kontinuierlich
abzubauen - von 35 Millionen vor einigen Jahren auf zuletzt 26 Millionen in
2009. Schön wär's.
Leider ist die Wirklichkeit weit
weniger sonnig. Die 26 Millionen sind nur ein Betrag aus mehreren Schuldensparten
der Stadt, nämlich die so genannten Kommunaldarlehen. Will man wissen, für was
die Bürger/innen irgendwann gerade zu stehen haben, so bildet man
richtigerweise die Summe aller Verbindlichkeiten der Gemeinde,
einschließlich der Kassenkredite und der Kredite zu Gunsten der Technischen
Werke Burscheids (TWB). Das ergibt mit Stand 31.12.2008 die bekannten 50,978
Millionen, präzise nachzulesen im Internet-Angebot des Statistischen
Landesamtes. Summa summarum baut sich nach dem städtischen Haushaltssicherungskonzept
das städtische Vermögen kontinuierlich ab und wird in ca. drei Jahren
aufgebraucht sein. Weswegen jedes geldwerte Wahlkampfversprechen zweifelhaft
ist bzw. war.
P.S.
link zur Aufstellung des Statistischen Landesamtes: http://www.it.nrw.de/presse/pressemitteilungen/2009/pdf/94_09.pdf
(23) 24.8.2009
DER SPIEGEL, abgedruckt 31.8.2009
Ursachen, Verlauf und Folgen des zweiten Weltkrieges (Klaus Wiegrefe, "Der
Krieg der Deutschen"; SPIEGEL Nr. 35 v. 24.8.2009, S. 58ff)
Krieg der Deutschen oder doch Krieg
der Technokraten? Wesentliche Keime der beispiellosen Aggression und
Entmenschlichung können wir auch unabhängig von Staatsgrenzen finden, in einer
bereits damals globalisierten, kindlich wertefreien Technik-Elite. Exzellente
Beispiele sind Henry Ford und Charles Lindbergh, aber auch Wernher von Braun,
der amerikanische Militärattaché Truman Smith, der Deutsch-Amerikaner
"Putzi" Hanfstaengl und sogar Joseph Kennedy. Ford, der mit seinen
Kölner Lastwagen das logistische Rückgrat des Sudeten-Einmarsches gestählt
hatte, nahm ebenso wie Lindbergh noch 1938 den höchsten Auslandsorden des
Dritten Reichs entgegen, den Adlerorden. Ford Köln hat - anders als die Kölner
- auch nicht unter Flächenbombardierungen gelitten.
Und im imposanten National Air &
Space Museum kann man in fußläufiger Entfernung vom amerikanischen Kapitol eine
bruchlose Familiengeschichte des deutsch-amerikanischen Schreckens genießen, u.a.
mit Me 262, V1 und V2, sinnigerweise neben der Bodengruppe einer Saturn Vb.
Bleibt anzumerken: Die von Ford
herausgegebenen Hass-Schriften der frühen Zwanziger Jahre waren die Fibel der
noch unfertigen Nationalsozialisten in Sachen Paranoia und Rassismus, deutlich
vor "Mein Kampf". Hitlers Amerika-Ausgabe hat später beides
verklammert.
P.S.
Zum National Air and Space Museum: http://www.nasm.si.edu/exhibitions/gal114/index.cfm#v2
Quellen zu Absatz 3: http://de.wikipedia.org/wiki/The_International_Jew
(22) 14.8.2009
Westdeutsche Zeitung / Bergischer Volksbote
Kommunalwahl 2009; Informationspolitik des WDR bei unabhängigen Kandidaten
Traue bloß keinem Sender über
dreißig! WDR Lokalzeit hat am Abend des 12. August über den Kommunalwahlkampf
in Burscheid berichtet. Die Matadore der Parteien kamen ausführlich live und in
Farbe zu Wort. Und die einzige prägnante Alternative (mit Verlaub: der
Unterzeichner), immerhin ein sehr erfahrener Verwaltungspraktiker mit klaren
Ansagen zu den kritischen Lokalthemen Haushalt, Alleenradweg/Ortsumgehung und
Rastanlagen? Ja, der bekam ein Standbild ab und den treuherzigen Hinweis, er
wolle künftig die Bürger stärker einbinden. Na, toll! Im Übrigen: Lokale Idylle
und über den Wipfel ist Ruh', von kleinen neckischen Rangeleien unter alten
Freunden mal abgesehen. Seltsam nur: Der Kameramann, der auch mir angekündigt
war, hat lieber den städtischen Beigeordneten länglichst an der Carrera-Bahn
verewigt ("Pole-Position für Caplan!").
Auf meine verdatterte Nachfrage sagt
der WDR am Donnerstag: "Sorry, aber Sie haben doch sowieso keine
Chance!" Und wo kämen wir denn hin, müsste man alle Unabhängigen
interviewen. Was das dann kosten würde! Ein auf Demokratie-Förderung
verpflichtetes Medium stelle ich mir ganz anders vor und gerade unserem WDR
steht solch eine krasse "Vorwahl" nicht zu!
P.S.:
Den Stream zur Lokalzeit am Mittwoch (Element "Wahlcheck in
Burscheid") finden Sie unter
http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/rueckschau/2009/08/12/lokalzeit_bergisches_land.xml
(21) 3.8.2009
Westdeutsche Zeitung / Bergischer Volksbote
Debatte um die Wehrpflicht (Lothar Klein "Wie gerecht ist die
Wehrpflicht?", WZ / Bergischer Volksbote v. 1.8.2009, S. 5)
Ob die reine Berufsarmee
Gerechtigkeit schaffen kann, ist sehr fraglich. Gerade hatten wir noch die
berechtigte Debatte um den überproportionalen Beitrag arbeitsloser deutscher
Landstriche dort, wo es im Ausland militärisch brennt und wehtut.
Wenn schon ein Berufsheer, dann doch
bitte eines aus Parlamentariern und Parlamentären, etwa für Afghanistan. Die
gesunde Rückkopplung zwischen den Planenden und den Ausführenden hat schon
Immanuel Kant in seiner unsterblichen Schrift "Zum ewigen Frieden"
angeregt, und zwar mit diesem plastischen Negativ-Beispiel: So gab ein
bulgarischer Fürst dem griechischen Kaiser, der gutmütigerweise seinen Streit
mit ihm durch einen Zweikampf ausmachen wollte, zur Antwort: 'Ein Schmied, der
Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen
herauslangen'. (Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, 1795/1796, zitiert nach der
Reclam-Ausgabe 2005, S. 17 unten).
(20)
23.7.2009
Newsweek
German Standort; Stefan Theil: "What lurks beneath" (Newsweek July
27, 2009, p. 22ff)
Over
the years I read a lot of writings on the wall:
(19) 9.7.2009
Frankfurter Allgemeine
Bologna-Reform; Prof. Dr. Hans Joachim Meyer “Nur Mut zu einer Reform der
Reform!”, F.A:Z. 6.7.2009, S. 7
Danke für Hans Joachim Meyers Mut
machenden Appell! Richtig: Unsere eigenen Interessen und Stärken sollten im
Vordergrund stehen, nicht der Versuch, eine blasse Kopie teils falsch
verstandener, teils zu administrativen Zwecken missbrauchter Konzepte aus der
großen weiten Welt zu etablieren.
Bei der vom Autor angeregten
Herausforderung und Bewährungsprobe für den kulturellen Föderalismus möchte ich
zweierlei wünschen, das allerdings auf weniger abgezirkelte Curricula und auf
mehr “Losgröße 1" in der Bildung hinausliefe, gleichwohl die
Zweistufigkeit nicht hinderte. Das eine setzt in der Schlussphase der
Kompetenzvermittlung an, das andere ganz zu Anfang: “Beschäftigungsfähigkeit”
würde ebenso lebensfremd wie utopisch verstanden, zielte sie auf ein
unmittelbar produktives Losarbeiten am ersten ernsten Arbeitsplatz. Einen Teil
der Verantwortung muss die Wirtschaft - oder andere Nutznießer des
Bildungssystems - mit selbst gestalteten Integrations- und Weiterqualifizierungsphasen
tragen, und klugerweise tun sie dies ohnehin. Hier muss man besser in einem
Bildungskontinuum kooperieren. Zum anderen muss diese Verschränkung mit der
Praxis - letztlich der Grundgedanke dualer Qualifizierung - bereits in einer
frühen Phase akademischer Ausbildung gelebt werden und nicht etwa in einem
verschämten Interim zwischen einer ersten und einer zweiten Stufe. Mehr noch:
Wer aus einer voran gehenden beruflichen Qualifizierung den Praxistest bereits
mitbringt, sollte mit sehr offenen Armen aufgenommen werden und viel
gutgeschrieben erhalten.
Dank auch für die erleuchteten
Anmerkungen zur neuen akademischen Sprachenwelt! Dass diese am ehesten
schlechte Kopien blühen lässt, mag das ebenso geist- wie endlos reproduzierte
Motto “Think global - act local!” zeigen. Anm.: Hier ist eigentlich zweimal
Adverb gefragt und kein Adjektiv. Und man sollte die ernüchternde Erfahrung
mancher bilingualer Studiengänge beherzigen, dass das Hirn fremdsprachiges
Wissen teils abgesondert ablegt - und dann Verständnis- und Handlungsdefizite
sowohl in der nativen wie in der zugelernten Sprachebene entstehen können.
Sprache ist ohnedies nie weltanschaulich neutral - sie konnotiert immer
zugleich Richtungsentscheidungen, ist damit unbemerkter Partei ergreifender
Einfluss.
(18) 5.7.2009
Westdeutsche Zeitung
gesellschaftliche Debatte der Ziele und Ergebnisse der Außen- und
Sicherheitspolitik, insbesondere am Beispiel Afghanistans (Ihre
Berichterstattung in der WZ v. 4.7.2009, S. 1; Kommentar von Angela Gareis
"Eine vorgeschobene Begründung" auf S. 2) der folgende Leserbrief:
Ihrem Aufruf zu einer
Afghanistan-Diskussion stimme ich von ganzem Herzen zu. Die Bürger in Zivil wie
auch in Uniform "können nur schwer einschätzen, welchen Schutz die neue
Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie möglicherweise mit sich
bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche Alternativen Deutschland
und die Deutschen bei alledem haben. [...] Darum wünsche ich mir eine breite
gesellschaftliche Debatte - nicht über die Bundeswehr, sondern über die Außen-,
Sicherheits- und Verteidigungspolitik unseres Landes."
Diesen dringenden Bedarf hat unser
oberster Bürger, Herr Bundespräsident Dr. Köhler, am 10.10.2005 auf der
Kommandeurtagung zum fünfzigjährigen Bestehen unserer Bundeswehr angemeldet. Zu
den bereits fast 20 Fragezeichen seiner sehr nachdenklichen und lesenswerten
Rede sind durch die kritische Entwicklung in Afghanistan einige hinzugekommen.
Und wenn nicht in der Vorwahlzeit und bei der Wahl - wann sollte die Zeit für
"nötige demokratische Kontrolle" sein, wie sie auch Herr Dr. Köhler
dort gefordert hat? Die Wahl ist die Stunde des Volkes, für eine Rückkopplung
auch zum Nutzen der Exekutive.
P.S.:
Link zur Rede v. 10.10.2005: http://www.bundespraesident.de/dokumente/-,2.626864/Rede/dokument.htm.
In meiner Heimatgemeinde
Burscheid hatte ich Ende 1993 eine Podiumsdiskussion organisiert zu den
Fragen: "Was kann, was soll die Bundeswehr künftig leisten?" Siehe:
www.vo2s.de/1993podium.pdf.
Die Fragen sind noch sehr
aktuell.
(17) 10.6.2009
Westdeutsche Zeitung
Wahlpflicht; Vorschlag von MdB Jörg Thießen nach der geringen Wahlbeteiligung
bei der EU-Wahl (Berichterstattung u. Kommentierung in der WZ v. 10.6.2009, S.
1f)
Vielleicht muss man die Wähler/innen
gar nicht an den Haaren zu den Urnen schleifen, sondern könnte auch zwischen
zwei Wahlterminen ihre Nähe - und ihren Rat - suchen. Dann würden sie sicher
neugierig und kämen auch ganz zutraulich und in wieder wachsender Schar zum
Wählen.
Das betont Repräsentative an unserer
Demokratie hat halt immer auch das Risiko eines repräsentativen Anscheins oder
Vakuums. Wie bei des Kaisers neuen Kleidern.
(16) 28.5.2009
Kölner Stadt-Anzeiger
Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts v. 26.5.2009 (Heinz Tutt im
Stadt-Anzeiger v. 27.5.2009, S. 1, 4, 8)
Der - zumindest einstweilige -
Verzicht auf die Stichwahl ist plausibel; denn gerade Stichwahlen vermitteln
bei häufig ja sehr dünner Beteiligung nur eine im Wortsinne fadenscheinige
Legitimation. Beim Wahltermin aber sollten wir über eine ganz andere Lösung
nachdenken: Festlegung durch ein unabhängiges Gremium. Nur so können wir dem
Verdacht von "durchsichtigen, taktischen Motiven der Landesregierung"
vorbauen, der die Wähler nachhaltig und zu Recht verdrießen kann.
Dabei erscheint mir übrigens eine
Verbindung Bundes-/Kommunalwahl nicht einmal abwegig: Der demokratische Dialog
beginnt auch für Bundesfragen auf der Ebene der Bürger. Da kann nachgelegt
werden; Bundesrecht ist idR wesentlicher Rahmen für kommunales Handeln und
Leben. Und die vitalen, spezifisch lokalen Themen müssten die Matadoren gut
parallel hochziehen können - wenn sie denn wirkliche Substanz haben. Eher als
Schreckens-Szenario käme mir vor: Zwei weniger attraktive
"Kellerkinder" - EU- und Kommunalwahl - halten sich für immer
angstvoll umklammert, um nicht den demokratischen Kältetod zu sterben. Das wäre
schlechte Dramaturgie. Das Publikum bliebe bald fern.
(15) 28.5.2009
Westdeutsche Zeitung, abgedruckt 11.6.2009, S. 14
Entscheidungen des VerfGH zur diesjährigen Kommunalwahl (Frank Uferkamp in der
WZ v. 27.5.2009, S. 4)
Nachvollziehbar ist zunächst die
Entscheidung zum ein- oder mehrstufigen Wahlverfahren: Auch die Stichwahl sorgt
mit ihren teils sehr geringen Wahlbeteiligungen beim zweiten Urnengang
regelmäßig für Legitimationsdefizite - da gibt es halt keinen Königsweg. Wahlen
mit nur relativer Mehrheit sind allerdings deutschlandweit (noch) die große
Ausnahme; derzeit gibt es sie nur bei uns und in Thüringen.
Für die andere Frage aber - fairer
Wahltermin - empfehle ich eine Lösung, die dem Gericht hier nicht zu Gebote
stand: Festlegung durch eine unabhängige
Kommission, und gerade nicht durch die jeweils amtierende Regierung. Die
Wahlforschung ergibt zweifelsfrei: Für den späteren Ausgang ist Termin eben
nicht gleich Termin. Weil nämlich die verlässlichere Wahldisziplin der eher
älteren, konservativen Bevölkerung einen signifikanten Unterschied zwischen
eher unspektakulären und eher aufregenden Terminen bewirkt. Festlegung durch
die Regierungsparteien - und egal welche -
ist etwa so, als würde das schlaue Bäuerlein auf dem Wochenmarkt vor dem
Abwiegen schon mal ein Gewicht in die Schale mit den Kartoffeln legen. Wer
diese Absicht bemerkt, ist zu Recht verstimmt.
P.S.: Wortlaut der Entscheidungen
zur Stichwahl
und zum Wahltermin
(14) 20.5.2009
DIE ZEIT
Hessischer Kulturpreis 2009 (Thomas Assheuer "Ein Gotteslästerer?",
ZEIT Nr. 22 v. 20.5.2009, S. 11)
Ich hoffe, dieser zumindest
fahrlässig eskalierte Skandal gehört nicht am Ende doch zu den wahlzyklischen
Ritualen, etwa den wohlfeilen Übungen in Xenophobie.
Wenn man bei Vergabe des Hessischen
Kulturpreises die Messlatte anlegt, welcher Kandidat das aufnahmebereiteste und
ausdrucksstärkste Medium an den Gelenken und in den Falzen der Buchreligionen
ist, dann kann die Wahl trotz oder gerade wegen seiner noch jungen Jahre nur
auf einen der vier Vorgeschlagenen fallen, auf Navid Kermani. Seine
einsichtsvollen Leistungen füllen, auch wenn er die vierzig gerade erst
überschritten hat, mehr als ein Lebenswerk. Und auch darum trennen ihn
Generationen von den Mit-Kombattanten.
Übrigens: Wenn man uns schon einmal
die Gelegenheit gibt, unsere institutionell geprägte Innensicht zu überwinden
und das Marterl als das zu erkennen, was es objektiv nun einmal ist - ein Bild
der schlimmsten Folter des Römischen Reiches und der Inhumanität schlechthin -
, dann sollten wir dies intelligent nutzen. Und nicht in der sowohl von
Kardinal Lehmann als auch von Peter Steinacker auffällig häufig betonten Angst
verharren, von Dritten öffentlich missachtet zu werden.
(13) 20.5.2009
Frankfurter Allgemeine
Verleihung des Hessischen Kulturpreises (F.A.Z. v. 14., 15. u. 16.5.2009 mit Beiträgen
von Lorenz Jäger, Navid Kermani, Martin Mosebach und Peter Steinacker)
Kermani spricht mir aus der
Christenseele - mit seiner fundamentalen Kritik an der Kreuzigung als
kirchlicher Bildmarke. Vor Jahren sah ich in einer kleinen, sehr alten protestantischen
Kirche in Oberriexingen an der Enz eine Altar-Anordnung aus einem schlichten,
blanken Kreuz und einem segnenden Christus. Sie vermittelte ohne jeden
dramatischen Effekt, was ich glaube: In die Liebe der Schöpfung eingebettet zu
sein. Diesen Glauben kann ich wohl mit mehr Menschen teilen als Kardinal Lehman
und Peter Steinacker es könnten. Unter anderem mit Navid Kermani, einem jungen,
aber schon herausragend vernetzten und verbindenden Medium zwischen den
Kulturen.
(12) 20.5.2009
Süddeutsche Zeitung
Eklat um die geplante Verleihung des Hessischen Kulturpreises (Süddeutsche v.
18. u. 19.5.2009, jeweils S. 11; Beiträge von Johan Schloemann, Christoph
Hickmann u. Matthias Drobinski)
Die Argumentation des Protestanten
Steinacker hat mich überrascht. Natürlich gehört das Kreuz n i c h t
zum ethischen Kern des Christentums. Das Kreuz ist und war ein Zeichen,
Abzeichen, Trennzeichen, auch Heerzeichen. Und natürlich führt es für eher
Uneingeweihte - für Nicht-Christen, aber auch für Kinder - eine Schreckensbotschaft
mit, gerade in der elaborierten Form eines Kruzifix oder Marterl (sic!). Und
ein solches Kreuz bildet, gemeinsam mit dem so mühsam zu vermittelnden
Konstrukt der Dreieinigkeit, zumindest einen Widerspruch zum biblischen Verbot,
sich ein Gottes-Bild zu zimmern. Alles gute Gründe für nachdenkliche Menschen,
in einer implodierenden Welt ein sensibles Erlebnis wie das von Navid Kermani
als Brücke und nicht als Graben zu nutzen.
Darum ist eigentliches Agens des
erregten Konflikts wohl tatsächlich der mit der Nachbenennung Kermanis
entstandene generation gap zwischen etablierter Würde und jugendlicher Brillanz
und Sensorik.. Und dies wiederum hat eine großmaßstäbige Parallele im globalen
wie lokalen Nebeneinander eines alternden Westens und eines vitaleren Ostens.
Die diffizile lokale Kohabitation dürfte dann das besondere Problem Kochs
ausmachen."
P.S. Ich hatte vor drei Jahren ein
ähnliches Erlebnis wie Navid Kermani - in einer alten protestantischen Kirche
in Oberriexingen an der Enz. Die froh und heiter stimmende Anordnung auf dem
Altar: Ein blankes, schlichtes Kreuz und ein vitaler Jesus, der aufrecht davor
steht und die Gemeinde segnet (und ein zweites, leichtes Kreuz in Händen hat).
Siehe auch folgenden link: http://www.elkw.de/gemeinden/oberriexingen/georgskirche/dieorgel
(11) 19.5.2009
DER SPIEGEL
missglückte Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 (Matthias Bartsch
u.a.: "Anschwellende Unduldsamkeit", Navid Kermani / Julia Bonstein:
"Ich liebe Jesus"; SPIEGEL 21/2009 v. 18.5.2009, S. 130ff)
Mein Jesus lehrt Humanität und nicht
das Märtyrertum. Er trennt nicht nach Graden, Zeichen oder Richtungen. Er ist
alt und jung, lässt sich anfassen, ist bisweilen zornig, fast unbeherrscht -
siehe Markus 11, 13-14. Er könnte ein naher Verwandter von Navid Kermani sein.
(10) 6.5.2009
Süddeutsche Zeitung
Aufnahme von unschuldig Internierten der Guantanamo Bay Naval Base u.
Positionierung von Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (Süddeutsche v.
5.5.2009, S. 6: Bericht v. Daniel Brösser "Deutschland stellt Bedingungen
für Häftlingsaufnahme" auf; Kommentar auf S. 4: "Wahlkampf mit
Guantanamo")
Bei ganz linken und ganz rechten
Geistern kann ich eine Ohnemichel-Position letztlich nachvollziehen (Wer nix
bestellt, zahlt auch kein Geld). Nicht aber bei einem exponierten
Repräsentanten der christlichen Atlantiker wie Wolfgang Bosbach. Wirkt er nicht
wie ein Trittbrettfahrer, der beim Nahen des Schaffners behände von der Tram
hüpft und - flöt-flöt - in den Himmel schaut, als wäre nie etwas gewesen? Das
ist weder christlich noch atlantisch. Und es vergibt die humanitäre Chance, vom
Westen zerschmissenes Porzellan solidarisch zu kitten.
Ach ja: "Trittbrettfahrer"
und "Ohnemichel" war in den Neunzigern bei den Atlantikern die
probate Rhetorik, um Deutschland zu körperlichen Beiträgen zu einer aktiven,
raumgreifenden Außen- und Sicherheitspolitik des Bündnisses zu bringen.
(9) 28.4.2009
Spektrum der Wissenschaft, abgeduckt im Spektrum 07/2009, S. 8 und online
veröffentlicht 18.5.2009: www.spektrumverlag.de/artikel/995447,
H. J. Schlichting: "Schattentheater am Himmel" (Spektrum Mai 2009, S.
33)
Der am Ende des Beitrags erwähnte
umgekehrte Strahlenkranz hat mich lange an meinem Verständnis von Optik und
Himmelsmechanik zweifeln lassen: Vor Jahren stand ich abends am Westrand des
Großen Grabenbruchs in Ost-Afrika und die Strahlen konvergierten
irritierenderweise in einer Richtung, wo gerade keine Sonne sein durfte - im Osten nämlich. Es war spät und die
Filme waren schon voll - keine Beweise, nur Verwirrung der Sinne. Vor zwei
Jahren habe ich dann bei einer Reise durch den Westen der USA bewusst ähnliche
Situationen gesucht und bin auch fündig geworden, siehe Anlage. Dort ist jeweils oben die Ost-,
unten die Westrichtung festgehalten. Das Bild links oben zeigt übrigens auch
den typischen wachsenden Schattenbalken unter dem aufsteigenden
Sonnengegenpunkt.
Die für mich einfachste bildhafte
Erklärung: Zwei Flugzeuge fliegen parallel genau über uns hinweg und wir sehen
von unten auf zwei Kondensstreifen, die dann jeweils an den Horizonten
perspektivisch zusammenlaufen. Das beeindruckende Schauspiel ist ab und zu auch
in unseren Breiten gut sichtbar, wenn man weiß, wo und wann man auch kurz in
die Gegenrichtung des Sonnenunter- oder -aufgangs spähen sollte. Piloten
genießen den Anblick sicher häufiger.
P.S.
Eine Anmerkung noch zur Entwicklung unseres astronomischen Weltbildes: Die
geozentrische Betrachtungsweise dürfte auch deshalb so verführerisch und
nachhaltig wirksam gewesen sein, weil wir eine Korona wie auf dem mittleren
Foto im Spektrum Mai 2009, S. 33 ganz unwillkürlich als ein zeltähnliches Bild
interpretieren: Einige Strahlen scheinen räumlich vor der Sonne, die eher klein
und nah wirkt, auf die Erde zu treffen, viele aber auch dahinter. Das "Zelt" steht dann in unserer Vorstellung
aufrecht und der Winkel der "Zeltstangen" erscheint uns als relativ
groß. Tatsächlich blicken wir ja in einen sehr schräg stehenden, äußerst
spitzwinkligen Lichtkanal von nur kleinsten Bruchteilen einer Bogensekunde (ca.
100 [km] x 360 [Grad] / 1,5 x 108 [km]) und jeder für uns durch
Streuung sichtbar werdende Lichtstrahl liegt eine astronomische Einheit (1,5 x
108 [km]) vor der Sonnenebene.
(8)
14.3.2009
NewScientist
risks of science / wreck of the Large Hadron Collider; Mark Buchanan's article
"They said it could never happen" (NewScientist of 20 Jan. 2009, p.
32f)
In
1994 I joined a delegation to Australia, convincing our government colleagues
down under to underwrite a landing agreement for a project called EXPRESS
("Experimental Re-entry Space System"). Among others we made use of a
risk assessment of an Australian university that "proved" ultimately
low probabilities of damage in any scrutinized aspect.
Less
than one minute after takeoff from
The
scientific output of the EXPRESS experiment was marginal and wouldn't have been
much better without that deviation. All in all it made me feel that science -
especially when lots of energy, mass and speed are employed - has a lot of
child gambling. The wreck of the LHC now somewhat reminded me of EXPRESS, even
if it produced just a black hole of public money.
P.S.:
Some additional information concerning EXPRESS (in German):
- http://www-public.tu-bs.de:8080/~i9901701/common/vortraege/express.htm
- http://www.raumfahrtkalender.de/raumfahrtchronik/19950100
(7) 11.3.2009
Süddeutsche Zeitung
Wiedervereinigung; Ingo Schulze "Mein Westen" (Süddeutsche v.
7./8.3.2009, S. 13)
'Vor etwa zehn Jahren habe ich mir
meinen Osten so zusammengereimt:
"Vom Westen beschickt, zum Westen drainiert,
sorgsam entgrätet und nett filetiert;
der Osten ist offen und wird ohne Hoffen
statt zentralistisch nun ferngelenkt regiert,
nun ferngelenkt re - gier - t."
Ich fürchte, an diesem "Lehrjahre-sind-keine-Herrenjahre"-Muster
wird sich auch in diesem Jahrhundert nicht viel ändern.'
P.S.: Der Reim mit Ton: www.vo2s.de/nbl.wav
(6) 19.2.2009
Westdeutsche Zeitung, Ausgabe Burscheid
Kommunal-Wahltag 2009, Entscheidung des VGH NRW v. 18.2.2009; Ekkehard
Rüger: "Hohe Kosten schrecken
Politiker ab"; WZ am 18./19.2.2009
Wie ein schlechter Kalauer der 5.
Jahreszeit wirkt, was sich das Innenministerium aus der Pressemitteilung des
Verfassungsgerichtshofes v. 18.2. geschnitzt hat. Aus "Kommunalwahlen 2009
dürfen nicht am Tag der Europawahl stattfinden" wurde mal eben
"Verfassungsgericht: Zusammenlegung von Kommunal- und Europawahl
grundsätzlich zulässig". Eine eigene Welt, unser IM.
Meine hohe Anerkennung für Frau Dr.
Frese von der örtlichen FDP: Sie hat sich ihren gesunden Eigensinn für
bürgerliche Werte bewahrt und rät auch von dem Sonder-Urnen-Gang Ende September
ab, den Düsseldorf stracks und luppich parat hatte. In der Tat: Sonst könnten
wir mit gleicher Urne unsere verbrannten Steuer-Millionen zu Grabe tragen.
P.S. zu den Zitaten oben:
- PM VGH: http://www.vgh.nrw.de/presse/2009/p092018.htm
- PM IM: http://www.im.nrw.de/pm/180209_1502.html
- Entscheidung des VGH im Wortlaut
- zum rheinischen Adjektiv / Adverb "luppich": http://www.wiggersu.de/koelaz.htm
(5) 12.2.2008
DIE ZEIT, online
veröffentlicht
Doppelte Staatsangehörigkeit; Miltiadis Oulios: "Warst du auch mal
Deutscher?" (ZEIT Nr. 8 v. 12.2.2009, S. 11)
Der Doppelpass ist nicht - wie
mancher gerne zu Wahlkampfzwecken glauben macht - das Zeugnis
staatsbürgerlicher Vielehe und Untreue. Über mehrere Jahre habe ich Gutachten
zum internationalen Familien- und Erbrecht vorbereitet. Dabei lernt man, von
welchen Launen der politischen Natur die Zuordnung von Nationalität abhängt -
auch und gerade über die Zeiten.
Und man lernt die viel besser
durchblutete angelsächsische Anknüpfung an das effektive Domizil lieben. Die
Amis spinnen durchaus nicht immer und wertschätzen hier zu Recht den Inhalt vor
der Form. Die Zahl der Pässe spielt dann keine Rolle und man braucht sie auch
nicht eifersüchtig zu beschränken oder gar beleidigt zu revozieren.
(4) 3.2.2009
SPIEGEL
„Zeitungszeugen“; Markus Brauck u.a.: "Gift im Umschlag" (SPIEGEL
4/2009 v. 2.2.2009, S. 94f)
Gut - originell ist das
Geschäftsmodell der "Zeitungszeugen" nicht. Originell ist aber auch
nicht das verschwurbelte Hantieren mit der Geschichte, so als wären deutsche
Zeitungen von vorgestern Antrax oder Schlimmeres.
Originell wäre ein viel breiteres,
internationales Spektrum der Öffentlichkeit der 20er und 30er, das Folgendes
zeigen mag: Das Geheimnis von Hitlers beispiellosem Aufstieg war nicht nur,
dass er die Ängste, Bedürfnisse, Sehnsüchte und Vorurteile der damaligen
Deutschen wie kein anderer katalysierte. Sondern, dass er in seiner
Aufstiegsphase zentrale Einflussgruppen des Westens ebenso faszinierte, wie
sich an dem Harvard-kultivierten Deutsch-Amerikaner Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl
und seinen hilfreichen, erstklassigen Vernetzungen beispielhaft zeigen ließe.
Ein solches Netz von Sympathien
ließe sich über den Militärattaché Truman Smith, über den Atlantikflieger
Charles Lindbergh und den US-Botschafter in England, Joseph Kennedy, bis zu dem
Großindustriellen Henry Ford ziehen, dessen bösartig antisemitische Werke vom
Beginn der 20er ausweislich der Bekenntnisse in den Nürnberger Prozessen die
Nazi-Gründer beflügelt hatten, der noch 1938 mit dem höchsten Auslandsorden des
"Dritten Reichs" geehrt worden war und dessen Kölner Werke in den
massiven Flächenbombardements des Rheinischen Zentrums praktisch keinen Schaden
erlitten - trotz ihres veritablen Beitrags zur deutschen Kriegsrüstung.
P.S.
Zu
Hitlers schamanenhafter Wirkweise siehe insbesondere die Murray-Papiere von
1943 über die Persönlichkeit Hitlers http://library.lawschool.cornell.edu/WhatWeHave/SpecialCollections/Donovan/Hitler/Hitler-TOC.cfm, e.g.
Foreword p. 1: "Hitler's unprecedented appeal, the elevation of the status
to a demi-god, can be explained only on the hypothesis that he and his ideology
have almost exactly met the needs, longings, and sentiments of the majority of
the Germans."
Section I, p. 7: "He is the incarnation of the crowd's unspoken needs and
cravings; and in this sense he has been created, and to large extent invented,
by the people of
Zu Hanfstaengl, der nach seiner
Flucht aus Deutschland auch an der Erarbeitung des o.a. Psychogramms mitgewirkt
hat:
http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,754245,00.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl
(3) 28.1.2009
Frankfurter Allgemeine
USA, Russland und Afghanistan; Michael Ludwig: "Interesse am Erfolg des
Westens" (F.A.Z. v. 28.1.2009, S. 8)
Im Grunde ist jetzt dieses Leitbild
alternativlos - und in den letzten Tagen möglich geworden: Afghanistan zur
Schweiz des mittleren Ostens machen, es von allen Seiten mit zivilstaatlicher
Hilfe geradezu zuschütten. Dies kann ganz entsprechend dem Kern von Obamas
luzidem Al-Arabija-Interview von Konfrontationen zwischen den Weltreligionen
wegführen. Es ersetzt den zunehmend kompromittierten Ansatz der Härte durch ein
"Mehr vom Anderen" statt "vom Gleichen", verhütet
Friktionen zu Anrainern ohne militärische Ambitionen und trifft sogar auf eine
sehr aufnahmebereite und für viele unerwartet fähige Bevölkerung.
Trivial ist ein solcher Plan
natürlich nicht. Aber z.B. mit einem Zwei-Mentoren-Ansatz - einem Mentor für
jede afghanische Region aus dem Kreis der begüterten Nationen, einem zweiten
aus den jeweils angrenzenden, ethnisch verwandten Staaten - kann dies gut
gelingen, ebenso die Konversion der dynamisch eskalierenden Drogenökonomie.
Allerdings müssten die Mentoren-Staaten allen Versuchen kultureller Mission -
die ohnehin inzwischen zumeist desavouiert oder frustriert sind - entsagen und
sie müssten auf Satrapen verzichten. Das heißt: Ressourcen im Wortsinn
altruistisch hingeben, autonome lokale Entscheidungs- und Hilfsstrukturen ermöglichen,
afghanischen Produkten und Dienstleistungen Meistbegünstigung einräumen und
auch Ungleichzeitigkeiten mit der Geduld mindestens eines Jahrzehnts
akzeptieren. Die Früchte der Prosperität würden dann aber auch in den
angrenzenden Ländern eingefahren werden, gerade an den militärisch
unbeherrschten Schnittstellen. Dabei muss uns Pakistan besonders am Herzen
liegen.
Man kann den Plan "civil
surge" nennen oder "bürgerlicher Dschihad". Und: Wäre ein
solcher Ansatz denn ein größeres Wagnis als der tausendfach tödliche
militärische Pfad, dessen Gegenwert der letzten Jahre die Afghanen leicht hätte
versorgen können mit jeweils einem intakten Haus, Moped, Handy und täglich 100
Liter Wasser, so rein wie in der Schweiz? Nichts übrigens spricht dafür, dass
ein so begleitetes Land ein effizienterer Reaktor für Terrorismus wäre als der
Jemen, der Libanon, Saudi-Arabien oder Ägypten. Oder eben als das heutige
Afghanistan.
(2) 27.1.2009
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 28.1.2009
Edition „Zeitungszeugen“; Marc Felix Serrao: "Tanz der Teufel"
(Süddeutsche v. 26.1.2009, S. 1)
Die Position des Freistaats fügt
sich ohne fühlbare Kanten in eine verschämte Tradition des Begrabens und
Verdrängens. Dabei könnte man gerade in München, das ja später nie eine
Hochburg der Nationalsozialisten war, den gesellschaftlichen Nährboden der
ersten virulenten Phase mit großem Gewinn studieren - etwa an der Rolle des
kultivierten Ernst Franz Sedgwick ("Putzi" / "Hanfy")
Hanfstaengl.
Der jetzt erregt diskutierte
Presse-Nachdruck vermittelt - im Spektrum mehrerer einschlägiger Zeitungen,
auch und gerade in den nicht redaktionellen Partien - eine viel greifbarere
Atmosphäre, als es selektierende Lehrbücher und Wissenschaftler könnten. Und
der Nachdruck kann viele junge Menschen lebhaft gegen die schiefen Töne
wappnen, zu denen bisweilen selbst eine Staatsregierung fähig ist: In einer
bayrisch-amtlichen Dokumentation zum Obersalzberg las ich vor vielen Jahren
eine höchst irritierende Interpretation zu den Ursachen des Holocaust:
Lagerkommandanten hätten wegen unhaltbarer Zustände vom
Reichssicherheitshauptamt aktiv eine radikale Lösung gefordert - der Massenmord
quasi ein logistisch-technokratischer Betriebsunfall.
Selbstgesetzlichkeiten eines
mutwillig eskalierten Krieges mögen ja bei vielen massiven Inhumanitäten eine
mitursächliche Rolle gespielt haben, bei den Millionen Hungertoten Russlands,
bei den Flächenbombardements und auch beim Einsatz der Atombomben. Aber nur wer
die Schriften der nationalsozialistischen Akteure und ihrer Helfer gelesen hat,
weiß wirklich, dass die damaligen Eliten wollten, planten und wussten, was
geschieht. Mit einem Wort: Er weiß, wer die mörderische Verantwortung trug.
Dafür könnte und sollte der Freistaat "Mein Kampf" ganz unbesorgt
auch auf den Lehrplan weiterführender Schulen setzen.
P.S. zu "Putzi" /
"Hanfy"
http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,754245,00.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl
(1)
Jan. 7, 2009
TIME
We
know what it looks like on the moon or inside an atom, or even how an iPhone
has to be cleverly designed. But research on peace preservation seems to be
much less fruitful. How come? Maybe there are no hundreds of billions of
dollars or euros being employed in this special field. Or the gadgets used in
conflict research aren’t that gleaming and sexy.
Or
it may be an undying Cro-Magnon property, that – in the case of assumed
military superiority – he notoriously gives attacking the benefit of the doubt.
Und ein paar Sammlerstücke aus
früheren Jahren:
Die Mutter aller (meiner) Leserbriefe:
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStA. v.
29.9.1992)
Hätten wir am Deutschlandtag die
Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert.
Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme
legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale
Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum
Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt
worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche
Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun
begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu
absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne
auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der
count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine
verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und
unserer Repräsentanten im Inland.
Der
Leserbrief mit dem besten Verzögerungszünder:
29.5.2008
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 30./31.5.2009,
also bereits ein Jahr später
Wahl des Bundespräsidenten; Kandidaturen Hort Köhler / Gesine Schwan (KStA v.
27.-29.4.2008, u.a. Franz Sommerfeld "Mit Gesine Schwan nach links",
KStA v. 27.5.2008, S. 4)
Entscheidend
ist, so weiland ein großer Kanzler, was hinten raus kommt. Mehr Demokratie
kommt raus, wenn bei einer Wahl die Wahl besteht. Das andere haben wir früher -
meist nach Osten blickend - gerne als "Abnicken" verspottet und
versuchen es selbst im Miniaturmaßstab der Schuldemokratie nach Kräften zu
vermeiden.
Und
die Gefahr durch die ewig Linken? Na ja, wenn man böse Ränke und abgekartete
Spiele fürchtet oder wenn man ein barockes Theater von mehr als tausend
wohlbestallten Spesenrittern von Herzen verhindern will, dann gibt es doch eine
ganz natürliche Lösung: Die Wahl des obersten Bürgers durch die Bürger selbst.
Wäre sicher auch die bessere Remedur gegen deren nachhaltige Verdrossenheit.
Und
der am weitesten gereiste:
22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt: 28.8.1995
Mititärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of
August 14, 1995
I refer to reports on WW II and
especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August
14, 1995 (page 6). It is my impression that those two letters offer a
unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of
atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a
merciful decision"). So I would like to show an alternative view,:
It is certainly true, that Japanese
military leaders commenced the hostilities against the
The echoes of that demonstration of
power strongly outlived that event. We hear them over and over again - from Irak,
from