Dr. jur. Karl Ulrich Voss, Kuckenberg 34, 51399 Burscheid

Leserbriefe: Standort Deutschland, Globalisierung, Technologie und ein bißchen Ökologie

 

31.01.1994

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 4.2.1994

Ökologie; Plädoyer v. Hannskarl Salger gegen Verkehrsbeschränkungen in Innenstädten; Stadt-Anzeiger v. 28.01.1994

Welche Lobby hat sich denn dieses Herrn bemächtigt? Bei Hannskarl Salgers Thesen zu Auto-freundlicheren Innenstädten gefriert mir glatt das Benzol in den Adern.

 

29.5.1995

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 30.5.1995

Umwelt; Autotechnik;
"Eine Klimaanlage ist heute kein Luxus mehr", Verkehrsteil v.25./26.5.1995

Eine kritische Ergänzung zu diesem Hochglanz-Beitrag zur Klimatisierung von Personenauts: Klimaanlagen kosten Kraft (etwa 10 PS) und damit Sprit (bis zu einem Liter ja 100 km); sie erhöhen den Ausstoß von klimawirksamem CO2 und produzieren unmittelbare Abwärme, letzteres gleich zweifach: durch zusätzliche Motorbelastung und den Wärmetausch. Sie machen genau das, vor dem sie schützen: heiße Luft. Oder auch: Klima für alle!

 

27.10.1995

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 14.11.1995

Standort Deutschland; Leistungseliten;
Kölner Stadt-Anzeiger v. 25.10.1995

Bundeskanzler Kohl wünscht Leitungseliten; dies helfe dem Standort wieder auf die Sprünge.

Erste Frage: Was haben denn unsere schon vorrätigen Eliten drauf (was versteht zB der durchschnittliche deutsche Manager von Wissenschaft und Technologie)?

Zweite Frage: Wie kann man smarte Eliten bei zunehmend weltweiter Orientierung noch für nationale Ziele einspannen? Die Zeit der Gründerväter mit lokalem Verantwortungsgefühl ist ferne Historie.

 

05.01.1996

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 9.1.1996

Neue Tarifstruktur der Telekom

Die neue Tarifstruktur der Telekom zielt selbstverständlich auf Mehreinnahmen. Sonst wäre sie unsinnig. Sie bezweckt ferner eine Umverteilung: Entlastung im Fernbereich und Verteuerung gleicher Leistungen im Nahbereich. Damit geht sie zu Lasten von kleinen Firmen, die im örtlichen Bereich operieren, und von alten und kranken Bürgern, die künftig häufiger mit Herzklopfen und Gebührenstreß telefonieren werden.

Wäre es der Telekom wirklich ernst mit dem kostenbewußten Bürger im neuen Tarifdschungel, sie könnte mit verfügbarer Technik leicht helfen: Wie wäre es mit einer maschinellen - und hoffentlich kostenlosen - Auskunft über die aktuellen minütlichen Kosten einer anzuwählenden Verbindung, wie mit der Option, sich durch Warnton das nahende Ende eines Gebührentaktes anzeigen zu lassen? Das beste Steuerungsinstrument in der Hand des Kunden aber wäre die Möglichkeit, vor einem Gespräch ein konkretes Gebührenlimit eingeben zu können.

 

07.02.1996

Kölner Stadt-Anzeiger

Standort Deutschland

Der neue Hauptgeschäftsführer des britischen Industrieverbandes, Adair Turner, hat einen erfrischenden Kontrapunkt zur gegenwärtigen deutschen Standort-Tristesse gesetzt: Einer Lohn-Preis-Spirale muß zweifellos entgegengewirkt werden. Aber ebenso selbstverständlich sind und bleiben reale Lohnsteigerungen das Ziel jeder Volkswirtschaft - auch im Interesse der Industrie. Mit einem depressiven Schmalhans als Verbraucher und Mitarbeiter kann niemand einen Blumentopf gewinnen.

Eine breitere Zuversicht braucht und verdient auch der deutsche Standort. Sonst haben wir ihn bald totgebetet.

 

14.02.1996

DIE ZEIT; zustimmende Antwort v. M. Miegel v. 28.2.1996

Globalisierung;
Meinhard Miegel in der ZEIT Nr. 7 v. 09.02.1996 (Der ausgefranste Arbeitsmarkt);

Eine Gesellschaft braucht unabhängig von Modernität ein Mindestmaß an Ruhe und Kontinuität, wenn sie nicht durchdrehen will. Aber unsere früh industrialisierten Staaten verschreiben sich heute einem immer rascheren Innovationstakt. Wir hetzen mit gesenktem Kopf in eine Zukunft, die wir als alternativlos erklären und die wir nicht mehr abzuschätzen, geschweige denn sozial zu gestalten wagen.

Am Beispiel Multimedia: Multimedia wird Dienstleistungen - etwa Bildungsleistungen - automatisieren, beliebig vervielfachen und aus dem In- und Ausland ins Haus liefern. Multimedia wird auch neue Arbeit schaffen, doch vor allem Echtzeit-Arbeit jeglicher Qualifikationsstufe entwerten und ersetzen wie keine Technologie zuvor. Der vielleicht deutlich negative Arbeitsplatzsaldo ist bei uns kein Thema, ebensowenig vorausschauende flankierende Maßnahmen zur Kanalisierung, mindestens zur Abfederung dieser Revolution.

So gerne ich auch wollte - ich kann Herrn Miegels Hoffnung nicht teilen, es liege bei dem Einzelnen, ob das Leben in Zukunft besser oder schlechter wird.

 

10.05.1996

International Herald Tribune

Standort Deutschland;
changes in German social systems
(International Herald Tribune of May 10, Guido Brunner: "Kohl Sets Out on a Middle Way)

It is sometimes overlooked: Germany also is a pillar against social degradation abroad. If Germany drops the standards, the surrounding and partly weaker economies are bound to react accordingly and even further. Movements on the part of Germany will be major contributions to a downward competition for working and living standards set in countries very far away and with a remarkably lower degree of democracy.

 

13.05.1996

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 31.5.1996

Standort Deutschland;
(Leitartikel im Stadt-Anzeiger v. 11.05.1996)

Die Standortdebatte wird heute bevorzugt als Arbeitskostendebatte geführt. Das ist interessenpolitisch gefärbt, falsch und mit seiner Wirkung auf ausländische Investoren wie inländische Konsumenten sogar gefährlich. Der gerade vorgestellte Bundesbericht Forschung zeigt eine andere Dimension: "Wo Innovationspotentiale geringer werden und Innovationsvorsprünge schwinden, nimmt der Preis- und Mengenwettbewerb zu." Das ist der Kern des arbeitsplatzvernichtenden Rationalisierungsdrucks - und das ist kein Verdienst dreister, verfressener Arbeiter, sondern eher wohl das einer innovationsfernen Führungsschicht.

Darum: Unten zu holzen und oben zu mästen bringt garnichts. Das ist nämlich das perfekte Rezept für noch mehr Wasserkopf.

 

26.09.1996

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 1.10.1996

Standort Deutschland;
Ausagen anläßlich der Bischofskonferenz im Stadt-Anzeiger v. 26.09.1996

Josef Homeyer, der Sozialbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, hält die Lohnfortzahlung in Krankheitsfall für einen sozialen Besitzstand, der auf den Prüfstand gehört.

Vorsicht! Könnte die Wirtschaft nicht eines Tages auch die institutionalisierte Kirche als unwirtschaftlichen sozialen Besitzstand, als in dieser Form unnützen Esser und damit als Standortnachteil einstufen? Kardinal Meisner muß seine - auf den Zölibat bezogene - Warnung vor dem unseligen Zeitgeist wohl anders fassen.

 

08.10.1996

Wirtschaftswoche; abgedruckt: 24.10.1996

Globalisierung;
Wirtschaftswoche Nr. 40 v. 26.09.1996 ("Unheimliches Wesen")

Der Standpunkt der Wirtschaftswoche v. 26. September preist die Chancen eines beschleunigten globalen Wettbewerbs der Rahmenbedingungen - mit Augen so blau und kühl strahlend wie das Ozonloch an einem antarktischen Sommertag. (Anm.: der Standpunkt ist illustriert mit einem Bild v. Stefan Baron, das dessen stahlblauen Augen sehr gut zur Geltung bringt).

 

08.10.1996

DER SPIEGEL

Standort Deutschland;
SPIEGEL 39 u. 40/1996

Gesellschaftliche Gestaltung ist passé. Rechtsfolgenabschätzung und Deregulierung stampfen Technikfolgenabschätzung in den Boden. Der Gedanke, der technologische Wettkampf könnte physische bzw. psychische Grenzen unumkehrbar überschreiten, ist Verrat an der Zivilisation. Club of Rome? Muß auf einem anderen Stern gewesen sein, auf dem die Naturgesetze noch nicht dereguliert waren.

09.10.1996

Wirtschaftswoche

Standort Deutschland;
"Forum" in der Wirtschaftswoche Nr. 41 v. 03.10.1996 (Klaus Kinkel: Ideologische Nachhutgefechte)

Leider läßt Kinkel entscheidende Fragen offen: Er will die spezifischen Vorteile unserer Ordnung im internationalen Wettstreit unter Beweis stellen - aber was darf unter dem beschriebenen gewaltigen sozialen Innovationsdruck übrigbleiben? Kann Kinkel wirklich ferne Märkte für standortstärkende deutsche Ausfuhren öffnen - oder sind Exporte nicht schon passé? Und der wesentlichste Punkt: es gab doch mal einen sagenhaften Club of werweißwo mit der Erkenntnis, daß die Welt nicht mehr genug Zeit und Raum für beschleunigte Wettläufe technologischen Wachstums hat.

 

30.01.1997

DIE ZEIT

Forschungsförderung;
in der ZEIT Nr. 5 abgedrucktes "Manifest gegen den Niedergang der Forschung" und Artikel v. Joachim Fritz-Vannahme (S.33)

Viel hilft viel? In der Natur gilt zumeist: Überfluß nährt Masse - und Mangel erzeugt Klasse. Falsch ist aus meiner Sicht auch eine Fixierung der öffentlich finanzierten Forschung auf Innovationen als volkswirtschaftliche - und gleichzeitig weltweite - Wachstumsbeschleuniger. Das sind unsere eigenen Rezepte von vorgestern, die uns schlicht als globalisiertes Echo wieder heimsuchen und uns bestenfalls noch schneller gegen Grenzen anrennen lassen.

Moderner und beifallfördernder wäre die Konzentration der staatlichen Forschung auf den Erkenntnisbedarf, der von Marktprozessen aus welchen Gründen auch immer nicht bedient wird. Ein simples Beispiel unter vielen mit alltäglicher Relevanz für uns Bürger: die wirtschaftliche Rückhaltung von Dieselruß.

 

22.03.1997

Kölner Stadt-Anzeiger

Globalisierung;
KStAnz. v. 18.03.1997: "Das Spiel ohne Grenzen"

Wirtschaftliche Globalisierung: Das ist etwa wie der untreue Gatte, der versichert, er müsse hinaus in die Fremde, um neues know how zu erwerben, und treuherzig hinzufügt, damit könne er dann seine Einzige und Beste noch besser vor den Versuchungen Dritter bewahren.

 

09.05.1997

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 21.5.1997

Standort Deutschland;
Herzogs Adlon-Rede v. 26.04.1997 (Stadt-Anzeiger v. 3./4. u. 7./8.05.1997: Appell an "stolze Bürger", Ein Prinzip namens Herzog)

Stolze, selbständige Bürger braucht es nur? Wenn sich ein Ertrinkender schnell zwischen Rettungsring und Schwimmkurs entscheiden soll, wird er wohl den Rettungsring nehmen. Die Wahl ist auch nicht groß: die Elitepositionen und die Erwerbschancen unserer Gesellschaft sind nicht eben frei zugänglich, eher hart verfestigt und zunehmend konzentriert, während viele Bürger ihr wegrationalisiertes Auskommen selbst bei bester Stimmung, quecksilbriger Mobilität und Lernbereitschaft bis zum Tode nicht wiederfinden können - vielleicht aber kurzatmige Chancen, die soziale Bindungen zerreißen oder von Anfang an unmöglich machen.

Brauchen wir nicht mehr Bürger, die sich in ihrem Staat gehört und ernstgenommen fühlen, sich mit ihm identifizieren und in ihm mit Erfolgsaussicht engagieren? Attraktive politische Partizipationsrechte sehe ich in der Berliner Rede aber nicht angemahnt, vielmehr lese ich eine m.E. eher bedenkliche Passage, die Führungsbereitschaft in Zeiten existentieller Herausforderungen verlangt, und eine weitere, die eine Ineffizienz öffentlicher politischer Diskussion und die Rolle der Medien problematisiert.

Auch ich wünschte, die Probleme wären trivialer und einfach durchzuschlagen. Sie sind es aber nicht.

 

09.05.1997

DIE ZEIT

Standortdebatte;
Bundespräsident Herzogs "Berliner Standpauke" (Robert Leichts Leitartikel aus der ZEIT Nr. 19)

Es hat Ironie: Herzogs Bürger-Analyse kommt zu dem gleichen Bild, das man vor sieben Jahren von den neuen Bürgern im Osten gemalt hat - verzagt, versorgungsorientiert und antriebslos. Das hat einmal die überlegene Hilfe des Westens begründet und pragmatisch ("wer soll's denn sonst schultern?") die langfristigen claims von Wessies im Osten legitimiert.

Als zweites fällt auf: Demokratisierung wird nicht erwähnt. Haben wir denn hier kein Defizit und hatten wir nach der Wiedervereinigung keine Chance, durch eine erwachsenere Verfassung die Bürger breiter für den Staat zu mobilisieren, als dies 1945 sinnvoll und möglich erschien? Herzogs Worte zu Führungsbereitschaft in Zeiten existentieller Herausforderung und zur Fragwürdigkeit mancher (?) veröffentlichter Meinung zeigen in eine andere Richtung.

Ein drittes: auch Umwelt spielt keine Rolle - dafür umsomehr ein technikorientiertes Wachstum und ein aus meiner Sicht hierzulande schon hysterisches Einlassen auf globale Beschleunigung, die die Gesellschaft atomisiert und der Welt schlicht den Atem nimmt.

 

04.07.1997

Frankfurter Allgemeine

Standortdebatte;
offener Brief der Vereinigung deutscher Wissenschaftler an den Bundespräsidenten - kommentiert im Leitartikel der FAZ v. 01.07.1997 (Christian Geyer: "Tun und Machen")

Der offene Brief spricht mir aus dem Herzen. Die Adlon-Rede hatte schon Ironie: Herzogs Bürger-Analyse kam zu dem gleichen Bild, das vor sieben Jahren von den neuen Bürgern im Osten gemalt wurde - verzagt, versorgungsorientiert und antriebslos. Das hat einmal recht selbstgerecht eine überwältigende Hilfe des Westens begründet, bizarre Strukturen zementiert und eigenverantwortliche Entwicklung fast ausgeschlossen. Und heute heißt es schlicht "Die Veränderungen, die uns (erg.: im Westen) bevorstehen, stehen in nichts dem Wandel nach, den die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern ertragen und meistern mußten" - so der Bundespräsident just am 30. Juni bei der Auszeichnung von 50 in den neuen Bundesländern erfolgreichen Unternehmen.

Als zweites fiel bei Herzog auf: Demokratisierung ist heute kein Thema mehr. Mit der Wiedervereinigung kam doch die veritable Chance, Bürger durch eine erwachsenere Verfassung breiter für den Staat zu engagieren, als dies 1945 sinnvoll und möglich erschien! Herzogs Worte zu Führungsbereitschaft in Zeiten existentieller Herausforderung und zur Fragwürdigkeit mancher (welcher?) veröffentlichter Meinung und mancher wissenschaftlicher Expertise weisen nun in die genau entgegengesetzte Richtung.

Ein drittes: auch Umwelt spielt keine Rolle - dafür umsomehr ein technikorientiertes Wachstum und ein hier und nun schon hysterisches Einlassen auf globale Beschleunigung, die die Gesellschaft atomisiert und der Welt schlicht den Atem nimmt. Hier ist die Politik nicht Avantgarde: die Wirtschaft bekennt zunehmend "Mut zur Langsamkeit" und definiert nachhaltigere Ziele.

 

11.07.1997

Kölner Stadt-Anzeiger

Standortdebatte;
Vorstoß von BDI-Präsident Henkel zur Abschaffung (KStAnz. v. 10.07.1997)

BDI-Präsident Henkel hat den Bundespräsidenten aufgefordert, initiativ die Abschaffung des Föderalismus zu betreiben. Naturgemäß bevorzugt die Wirtschaft Kommando- bzw. Kapitänsstrukturen. Mitbestimmte Modelle sind nicht eben nach ihrem Geschmack. Sie zieht dem Gewirr von Stimmchen ein kräftiges Organ vor. Irritierend ist aber, daß unser Bundespräsident in ähnlichen Bahnen denkt und im Berliner Adlon zum Ausdruck gebracht hat: Bei uns wird von zu vielen zu lange gequasselt, wo wenige schnell richtig entscheiden könnten (könnten sie?). Nur: die Verengung von Führung auf immer kleinere Gruppen von nicht immer zweifelsfreier Kompetenz und Uneigennützigkeit macht die Demokratie zu einem zunehmend theoretischen und dann tatsächlich nutzlosen Konstrukt. Vielleicht braucht Deutschland in den von Herzog beschworenen Zeiten existentieller Herausforderungen am Ende nur noch den BDI !

 

4.3.1998

Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 17.4.1998

Umwelt; zu einem Leserbrief im KStAnz. v. 27.2.1998 ("Erderwärmung - seriös betrachten")

Zum Thema globale Erwärmung verweist ein Leser auf einen recht harmlos anmutenden mittleren Temperaturanstieg von "lediglich 0,7 Grad Celsius in den letzten 150 Jahren". Nun, es gibt sehr seriöse Wissenschaftler, die eine durchschnittliche Erwärmung um 0,2 Grad Celsius in den letzten 25 Jahren (!) ganz aktuell mit der Zunahme von menschenverursachten Treibhausgasen in Verbindung bringen. Es bleibt uns überlassen, was wir gerne glauben wollen. Eine verantwortungsvolle Regierung ist allerdings gut beraten, bei hohem Einsatz und notorischem Expertenstreit vorsichtshalber von Handlungsbedarf auszugehen.

 

22.09.1999

Kölner Stadt-Anzeiger

Technologieentwicklung bei Automobilen; IAA (zu KStA v. 18./19.9.1999, S. 3)

Zwei Anmerkungen zu dem erfreulich nachdenklichen IAA-Kommentar aus der Wochenendausgabe:

Zum einen zur verfügbaren Technik: Mein Auto braucht ca. 4,3 l Diesel; dabei ist es mit 50 PS bei 720 kg Gewicht sehr munter motorisiert (alte Käfer-Fahrer wissen die Relation zu schätzen). Auto und Motor sind 7 Jahre und 210.000 km alt und rosten und rappeln um's Verplatzen nicht. Der Untersatz heißt AX und der Name des Herstellers erinnert - ganz zu Unrecht - an eine Zitrone. Nur: der Wagen wird schon lange nicht mehr gebaut.

Und zur Technologieentwicklung: Gehöre ich zu den glücklichsten Fahrern zwischen hier und Schottland? Nicht so ganz. Mein Diesel rußt. Wie jeder Diesel und schon von seinen ersten steuerfreien Tagen an. Und die aufopfernden und sicherlich unermüdlichen Anstrengungen der Industrie haben zwar vielen netten und energiefressenden Serien-Schnickschnack zur Welt gebracht - aber bis heute kein menschen-freundliches Rückhaltesystem für Dieselruß. Warum nicht?

 

21.10.1999

Frankfurter Allgemeine; Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt KStA v. 29.10.1999

Arbeitsplätze; Waffenlieferung an die Türkei - Entscheidung des Bundessicherheitsrates v. 20.10.1999 über die Test-Stellung eines Leopard-Kampf-panzers (zu FAZ u. KStA v. 20. u. 21.10.1999)

Viele spielen in Vorfreude auf das opulente Waffengeschäft schon mal flugs die Arbeitsplatz-Karte, ohne allerdings die wirtschaftlichen Strukturen näher zu erläutern.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich - und das hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach realisiert: Rüstungsexporte dieses Kalibers können zivile Arbeitsplätze kosten. Ist das paradox? Keineswegs. Die Türkei hat die geschätzten 31 Milliarden natürlich nicht auf der hohen Kante. Entsprechend völlig gängiger Praxis wird sie ein großes Segment im eigenen Land in Lizenz fertigen. Und von dem Rest wird sie einen wiederum maximierten Anteil durch sogenannte offset agreements mit gegenläufigen Material- und Warenströmen "finanzieren" und kräftig aus der Türkei nach Deutschland liefern.

So frisst der Rüstungsarbeitsmarkt einen Teil des zivilen Bereichs. Wegen der höheren Wertschöpfung der Rüstungssparte kann der Austausch auch einen deutlichen Netto-Verlust von Arbeitsplätzen auslösen. Diese Form der Spezialisierung ist nicht wünschenswert, oder?

 

03.11.1999

DIE ZEIT

Arbeitsplätze; Lieferung von deutschen Panzern an die Türkei (zu ZEIT Nr. 44 v. 28.10.1999, S. 1, 5, 28; insbesondere zu W. Hoffmann, "Die Panzerfalle")

Zwei Anmerkungen zu der von Krauss-Maffei-Wegmann geschätzten Sicherung von 6.000 Arbeitsplätzen, die bei vielen Zeitgenossen jegliche humanitäre Anwandlung blitzartig schwinden lässt.

Erstens geht es nicht um neue Arbeitsplätze, sondern eben nur um die später kaum nachweisbare/widerlegbare Sicherung vorhandener Stellen.

Zweitens spricht die Firma aus gutem Grund nur von Effekten im eigenen Betrieb und gerade nicht von den gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungswirkungen. Denn die Bilanz kann bei einem Waffen-Geschäft dieses Kalibers im Saldo kräftig negativ ausfallen: Im Waffenhandel ist gang und gäbe, dass die Konkurrenten die noch unentschlossenen Kunden mit attraktiven "offsets" umwerben. Dies sind gegenläufige Geschäfte, bei denen die selten besonders finanzstarken Käuferstaaten die Waffen und/oder Lizenzen mit zivilen Warenströmen oder zugelieferten Komponenten "bezahlen" dürfen. Die "offsets" können das Volumen des Waffendeals sogar deutlich übersteigen. Ca. 150% des Waffenwertes sollen sie bei einem Verkauf im Werte von 2,3 Mia. Dollar i.J. 1992 betragen haben, hier ging es primär um die Lieferung von F/A-18-Kampfbombern aus den USA an Kanada und im Gegenzug um Büromöbel, touristische Leistungen und Zulieferungen. Daher verursacht ein solches Waffengeschäft zumindest eine nationale Spezialisierung zugunsten der Herstellung/Planung rüstungstechnischer Güter und zulasten ziviler Produktion; wahrscheinlicher kommt es zu einem Netto-Verlust von Arbeitsplätzen, forciert durch die überdurchschnittliche Wertschöpfung der Rüstungsindustrie und insbesondere bei Abgeltung von Lizenzkosten durch Warenlieferungen.

Anm.: Die Informationen zu dem zitierten US-kanadischen Waffengeschäft sind einem Artikel von Lora Lumpe und Paul F. Pineo in Intersect 1994, S. 18 entnommen ("Do U.S. arms sales cost American jobs?"); Lumpe u. Pineo leiteten das Arms Sales Monitoring Project der Federation of American Scientists.
Siehe zu offsets i.Ü. auch http://worldpolicy.org/arms/natocost.html.