Entscheidungen mit Bezug zu Auslandseinsätzen / Kompetenzordnung / Gesetzesvorbehalt

– Entscheidungsdaten, Urteilsformeln u. Leitsätze –

Stand: 28.8.2021

Gericht

Az. / link

Datum

Sammlg.

Thema

Urteilsformel / Leitsätze

BVerfG

1 BvQ 5/77

16.10.1977

E 46, 160

Schleyer-Entführung, Höchstwert des Lebensrechts (einstw. Anordng.)

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antrag hatte gelautet:

"Die Antragsgegner sind gehalten, den Forderungen der Entführer des Dr. Hanns-Martin Schleyer auf Freilassung und Gewährung freier Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland von namentlich von den Entführern benannten Häftlingen als unabdingbare Voraussetzung zur Abwendung gegenwärtiger, drohender Gefahr für das Leben des Antragstellers stattzugeben.

Hilfsweise: Die Antragsgegner haben es zu unterlassen, die Freilassung und Gewährung freier Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland von namentlich von den Entführern des Antragstellers benannten Häftlingen zu verweigern, die zur Abwendung der gegenwärtigen, nicht anders zu beseitigenden Gefahr für Leben und Leib des Antragstellers unabdingbar erforderlich sind."

 

BVerfG

2 BvL 8/77

08.08.1978

E 49, 89

Kalkar I

1. Aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie darf nicht ein Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als ein alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielender Auslegungsgrundsatz hergeleitet werden.

2. Die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheitsbereich und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen Lebensverhältnisse und wegen der notwendigerweise damit verbundenen Art und Intensität der Regelung eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes. Sie zu treffen ist allein der Gesetzgeber berufen.

3. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.

4. In einer notwendigerweise mit Ungewißheit belasteten Situation liegt es zuvorderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Bei dieser Sachlage ist es nicht Aufgabe der Gerichte, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Denn insoweit ermangelt es rechtlicher Maßstäbe.

5. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen.

6. Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.

 

BVerfG

1 BvR 385/77

20.12.1979

E 53, 30

Mülheim-Kärlich

1. Werden erstinstanzliche Beschwerdeentscheidungen über die sofortige Vollziehung atomrechtlicher Errichtungsgenehmigungen wegen Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, läßt sich die gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit des Grundrechtsträgers nicht deshalb verneinen, weil Gefahren für Leben und Gesundheit erst vom Betrieb eines Kernkraftwerks, aber noch nicht von vorherigen baulichen Maßnahmen ausgehen können.

2. Auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität sind derartige Verfassungsbeschwerden jedenfalls dann zulässig, wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und wenn diejenigen Voraussetzungen vorliegen, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann.

3. Die friedliche Nutzung der Atomenergie ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Zur Grundsatzentscheidung für oder gegen diese Nutzung ist der Gesetzgeber berufen.

4. Der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht, Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefahren der friedlichen Nutzung der Atomenergie zu treffen, ist der Staat durch den Erlaß materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken nachgekommen.

5. Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken und von wesentlichen Änderungen solcher Anlagen.

6. Eine Grundrechtsverletzung kommt auch dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche atomrechtlichen Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht erlassen hat.

 

BVerfG

2 BvE 11, 15/83

17.07.1984

E 67, 100

Flick-Untersuchungsausschuss

1. Zur Parteifähigkeit und Prozeßführungsbefugnis in einem Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG um das Beweiserhebungsrecht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

2. Wird ein Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Kontrolle der Bundesregierung eingesetzt, erstreckt sich das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses nach Art. 44 Abs. 1 GG auch auf das Recht auf Vorlage der Akten.

3. a) Auf ein solches Aktenherausgabeverlangen findet gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO sinngemäß, d.h. unter Beachtung des Sinnes parlamentarischer Kontrolle, Anwendung.

b) Das Wohl des Bundes oder eines Landes (§ 96 StPO) ist im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut. Die Berufung auf das Wohl des Bundes gegenüber dem Bundestag kann mithin in aller Regel dann nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden.

c) Nur unter ganz besonderen Umständen können sich Gründe finden lassen, dem Untersuchungsausschuß Akten unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes vorzuenthalten. Solche Gründe können sich insbesondere aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben. Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung voraus, der einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativbereich, Beratungsbereich und Handlungsbereich einschließt.

4. a) Zu den von § 96 StPO erfaßten öffentlichen Belangen kann auch das Steuergeheimnis im Sinne der § 30 AO gehören.

b) Der Ausnahmetatbestand der § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst c AO ist verfassungskonform so auszulegen, daß er auch den Fall des Aktenvorlageverlangens des Untersuchungsausschusses erfaßt, mit dem der Bundestag in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgeht, die auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten.

5. a) Das Beweiserhebungsrecht und das Recht auf Aktenvorlage gemäß Art. 44 Abs. 1 GG können durch die Grundrechte eingeschränkt sein. Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und grundrechtlicher Datenschutz müssen im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, daß beide soweit wie möglich ihre Wirkungen entfalten.

b) Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse kann indessen durch grundrechtliche Verbürgungen geboten sein.

c) Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, gestattet in der Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.

 

BVerfG

2 BvE 13/83

18.12.1984

E 68, 1

Pershing 2

1. a) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG auszulegen. Eine Erweiterung der dem Bundestag durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse bei der staatlichen Willensbildung im Bereich der auswärtigen Beziehungen über den Kreis der dort genannten völkerrechtlichen Akte hinaus stellte einen Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive dar und liefe dem vom Grundgesetz normierten Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider.

b) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung oder Mitwirkung bedürftigen völkerrechtlichen Vertrages gewählt werden müßte.

2. a) Art. 24 Abs. 1 GG setzt nicht voraus, daß die Übertragung deutscher Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung unwiderruflich ist.

b) Art. 24 Abs. 1 GG läßt sich nicht entnehmen, daß eine Übertragung von Hoheitsrechten immer nur dann vorliegt, wenn einer zwischenstaatlichen Einrichtung die Befugnis zu einem unmittelbaren Durchgriff auf Einzelne eingeräumt wird.

c) Art. 24 Abs. 1 GG hindert nicht, im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Stationierung verbündeter Streitkräfte zur Verfügung zu stellen und dem Verteidigungszweck des Bündnisses dienliche Entscheidungsstrukturen für den Einsatz dieser Streitkräfte zuzulassen, um den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor Angriffen zu gewährleisten und damit der Integrität ihrer Verfassungsordnung wie ihrer Souveränität zu dienen.

3. Einschätzungen und Wertungen außenpolitischer und verteidigungspolitischer Art obliegen der Bundesregierung. Das Grundgesetz zieht der Beurteilungsmacht, die der Bundesregierung insoweit zusteht, nur die Grenze offensichtlicher Willkür. Innerhalb dieser äußersten Grenze hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen, ob die Einschätzungen oder Wertungen der Bundesregierung zutreffend oder unzutreffend sind, da es insoweit rechtlicher Maßstäbe ermangelt; sie sind politisch zu verantworten.

4. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 24 Abs. 1 GG enthalten für die von ihnen erfaßten Sachbereiche eine abschließende Regelung, neben der sich Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages nicht selbständig aus dem Demokratieprinzip oder aus der Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung für das Staatsganze ergeben. Unter der demokratisch-parlamentarischen Herrschaftsordnung des Grundgesetzes ist auch die Regierung institutionell, funktionell und personell demokratisch legitimiert und nicht von vornherein auf Vornahme politisch weniger bedeutsamer Akte beschränkt.

 

BVerfG

2 BvE 5/93,
2 BvQ 11/93

08.04.1993

E 88, 173

Flugverbot Bosnien-Herzegowina / UNPROFOR (einstw. Anordng.)

Antrag SPD u. FDP

1. Der Beschluß der Bundesregierung von 1993-04-02, durch den mit rechtserheblicher Wirkung über die Teilnahme deutscher Soldaten an der Überwachung und Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina durch den AWACS-Verband entschieden wurde, stellt eine im Wege des Organstreitverfahrens angreifbare Maßnahme (BVerfGG § 64 Abs 1) dar, weil es zu dessen Umsetzung keiner weiteren Beschlußfassung bedarf.

Die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind, unbeschadet einer weiteren Prüfung der Zulässigkeit, nicht von vornherein unzulässig.

2 a. Da dem AWACS-Verband bei der Durchsetzung des Flugverbots nach Auffassung der NATO-Bündnispartner eine besondere Rolle zukommt, würde der Abbruch der Zusammenarbeit bei den Einsätzen des AWACS-Verbandes in dem Zeitpunkt, in dem aufgrund vorangegangener Resolutionen des UN-Sicherheitsrats ein besonders gewichtiger Einsatz bevorsteht, von den übrigen Mitgliedsstaaten des Verteidigungsbündnisses als eine empfindliche Störung der von der Völkergemeinschaft autorisierten und von der NATO unterstützten Maßnahme empfunden werden. Ferner wäre bei einem Abzug der deutschen Soldaten die Einsatzfähigkeit der AWACS-Einheit erheblich beeinträchtigt, da der deutsche Anteil am militärischen Personal des integrierten NATO-Verbandes ca 30 Prozent beträgt und die Flugsicherung ausschließlich von deutschen Soldaten gewährleistet wird. In der Folge muß nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon ausgegangen werden, daß die Durchsetzung des Flugverbotes gefährdet ist und so die mit der zugrundeliegenden UN-Resolution beabsichtigte politische Signalwirkung verfehlt würde. Falls die Bundesrepublik den ihr obliegenden Beitrag zur Friedenssicherung gerade in dem Zeitpunkt, in dem er gefordert ist, nicht leistet, wäre ein Vertrauensverlust bei den Bündnispartnern und den europäischen Nachbarn und der Eintritt eines nicht wiedergutzumachenden Schadens unvermeidlich.

b. Demgegenüber wiegen die Nachteile bei Absehen vom Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch dann weniger schwer, wenn sich die Mitwirkung deutscher Soldaten später als unzulässig erweist: Die Mitwirkung deutscher Soldaten in dem AWACS-Verband begründet keinen völkerrechtlich erheblichen Vertrauenstatbestand, da sie nur als vorläufige Zusammenarbeit gedeutet werden kann. Für die an dem Einsatz beteiligten Soldaten besteht keine erhebliche militärische Gefährdungslage. Gleichzeitig trägt der einzelne Soldat kein rechtliches Risiko, da die Verantwortung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit bei der Bundesregierung liegt. Auf diesen Umstand kann auch die Bundeswehrführung verweisen, wenn das Vertrauen der Soldaten in die Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes später enttäuscht wird. Hinsichtlich der innerstaatlichen Ordnung entsteht kein Schaden, zumal erkennbar über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des verfahrensgegenständlichen Einsatzes noch nicht entschieden ist. Folglich tritt weder eine wie immer geartete Präjudizierung künftiger Entscheidungen von Verfassungsorganen ein noch kann die bis dahin geübte Staatspraxis bei einer Entscheidung über die Hauptsache Gewicht erlangen.

 

BVerfG

2 BvQ 17/93

23.06.1993

E 89, 38

Somalia / UNOSOM II (einstw. Anordng.)

Antrag SPD

Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache darf die Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II gemäß Nr. 1 des Beschlusses der Bundesregierung vom 21. April 1993 (Bulletin vom 23. April 1993, S. 280) nur aufrecht erhalten und fortgeführt werden, wenn und soweit der Deutsche Bundestag dies beschließt; bis zu einem solchen Beschluß können die bisher verwirklichten Maßnahmen fortgeführt werden.

BVerfG

12 BvE 3/92 u.a.

12.07.1994

E 90, 286

Einführung des Parlamentsvorbehalts

Antrag SPD u. FDP

1. Die Ermächtigung des Art. 24 Abs. 2 GG berechtigt den Bund nicht nur zum Eintritt in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und zur Einwilligung in damit verbundene Beschränkungen seiner Hoheitsrechte. Sie bietet vielmehr auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden.

2. Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht entgegen.

3.a) Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die grundsätzlich vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.

b) Es ist Sache des Gesetzgebers, jenseits der im Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.

4. Zur Friedenswahrung darf die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG in eine "Beschränkung" ihrer Hoheitsrechte einwilligen, indem sie sich an Entscheidungen einer internationalen Organisation bindet, ohne dieser damit schon im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte zu übertragen.

5.a) Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist dadurch gekennzeichnet, daß es durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit begründet, der wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet und Sicherheit gewährt. Ob das System dabei ausschließlich oder vornehmlich unter den Mitgliedstaaten Frieden garantieren oder bei Angriffen von außen zum kollektiven Beistand verpflichten soll, ist unerheblich.

b) Auch Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung können Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG sein, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind.

6. Hat der Gesetzgeber der Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugestimmt, so ergreift diese Zustimmung auch die Eingliederung von Streitkräften in integrierte Verbände des Systems oder eine Beteiligung von Soldaten an militärischen Aktionen des Systems unter dessen militärischem Kommando, soweit Eingliederung oder Beteiligung in Gründungsvertrag oder Satzung, die der Zustimmung unterlegen haben, bereits angelegt sind. Die darin liegende Einwilligung in die Beschränkung von Hoheitsrechten umfaßt auch die Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Unternehmungen auf der Grundlage des Zusammenwirkens von Sicherheitssystemen in deren jeweiligem Rahmen, wenn sich Deutschland mit gesetzlicher Zustimmung diesen Systemen eingeordnet hat.

7. a) Akte der auswärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfaßt werden, sind grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden muß. Auch insoweit kommt eine analoge oder erweiternde Auslegung dieser Vorschrift nicht in Betracht (im Anschluß an BVerfGE 68, 1 [84 f.]).

b) Zur Reichweite des Zustimmungsrechtes des Gesetzgebers aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG.

NWVerfGH

VerfGH 11/98

09.02.1999

OVGE MüLü 47, 280

Klage gegen Zusammenlegung Innen-/Justizministerium (Gesetzesvorbehalt)

1. a) Die nordrhein-westfälische Landesverfassung weist dem Ministerpräsidenten keine ausschließliche Kompetenz zur Errichtung von Ministerien zu.

b) Dieser Teilbereich der Organisationsgewalt kann vielmehr zum einen dem Zugriff des Gesetzgebers, zum anderen einem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, solange nicht der Kernbereich der Organisationsgewalt der Regierung berührt ist.

c) Organisatorische Maßnahmen, die den Bereich der Gerichtsverwaltung und damit den Bereich der rechtsprechenden Gewalt betreffen, gehören nicht zu diesem Kernbereich.

2. a) Auch für Organisationsentscheidungen grenzt das Kriterium der Wesentlichkeit den Bereich ab, der dem Gesetzgeber zur ausschließlichen Regelung vorbehalten ist.

b) Organisationsentscheidungen können wesentlich sein für die Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der Gewaltenteilung, insbesondere für die Sicherung einer eigenständigen und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt.

3. Die Entscheidung, die Geschäftsbereiche eines herkömmlichen lnnenministeriums und, eines herkömmlichen Justizministeriums zu einem neuen Ministerium für Inneres und Justiz zusammenzuführen, ist wesentlich im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes.

a) Bei der Organisation der Gerichtsverwaltung geht es um die grundlegende Frage, wie die Dritte Gewalt institutionell gesichert und gestärkt und ihre verfassungsrechtlich vorgezeichnete Eigenständigkeit hervorgehoben werden soll.

b) Auch vor dem Hintergrund der historischen und verfassungsrechtlichen Entwicklung der Judikative verlangt die Tragweite einer Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium für die Stellung der Dritten Gewalt und für das Vertrauen des Bürgers in deren Unabhängigkeit, dass das Für und Wider einer solchen Zusammenlegung vor den Augen der Öffentlichkeit diskutiert und vom Parlament verantwortet wird.

 

BVerfG

2 BvE 5/99

25.03.1999

E 100, 266

Bombardierung i.R.d. Kosovo-Krieges

Antrag PDS

1.     Der Antrag wird verworfen.

2.     Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Anm. Dieser Antrag hatte gelautet:

1.     im Organstreitverfahren festzustellen, daß die Antragsgegner zu 1. und 2. durch die unmittelbare Beteiligung an militärischen Operationen der NATO gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) gegen Art. 87a Abs. 2, Art. 24 Abs. 2, Art. 25, Art. 26 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes verstoßen,

2.     im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragsgegnern den Einsatz der Bundeswehr bei den in Ziffer 1. genannten militärischen Operationen zu untersagen. …

BVerfG

2 BvE 6/99

22.11.2001

E 104, 151

neues NATO-Konzept, KFOR

Antrag PDS

1.     Die Einordnung Deutschlands in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit bedarf nach Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers.

2.     Die Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG, die keine Vertragsänderung ist, bedarf keiner gesonderten Zustimmung des Bundestags.

3.     Die Zustimmung der Bundesregierung zur Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit darf nicht die durch das Zustimmungsgesetz bestehende Ermächtigung und deren verfassungsrechtlichen Rahmen gem. Art. 24 Abs. 2 GG überschreiten.

4.     Der Bundestag wird in seinem Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt verletzt, wenn die Bundesregierung die Fortentwicklung des Systems jenseits der ihr erteilten Ermächtigung betreibt.

5.     Die Fortentwicklung darf nicht die durch Art. 24 Abs. 2 GG festgelegte Zweckbestimmung des Bündnisses zur Friedenswahrung verlassen.

6.     Das neue Strategische Konzept der NATO von 1999 ist weder ein förmlich noch ein konkludent zu Stande gekommener Vertrag.

 

BVerfG

2 BvQ  18/03

25.03.2003

E 108, 34

Türkei, AWACS (einstweilige Anordng.)

Antrag FDP

Der Antrag wird abgelehnt.

Dieser Antrag hatte gelautet:

1.     Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache darf die Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr in den zum Schutz der Türkei vor irakischen Angriffen in Ausführung der Entscheidung des NATO-Rates vom 19. Februar 2003 eingesetzten AWACS-Flugzeugen nur aufrecht erhalten werden, wenn und soweit der Deutsche Bundestag dies beschließt;

2.     die Antragsgegnerin wird angewiesen, soweit sie Soldaten der Bundeswehr in den unter 1. genannten AWACS-Flugzeugen belassen will, unverzüglich den Deutschen Bundestag um einen entsprechenden Beschluss zu ersuchen

 

BVerfG

2 BvR 1436/02

24.09.2003

E 108, 282

Kopftuchverbot (Gesetzesvorbehalt)

1.     Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.

2.     Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.

BVerfG

2 BvR 1379/01

28.06.2004

 

Schadensersatz für italienische Militär-Internierte im 2. Wk.

Klage wird abgewiesen; aus den (nicht amtlichen) Gründen (gem. juris):

4a. Art 3 des Haager Übereinkommens von 1907 begründet grundsätzlich keinen individuellen Entschädigungsanspruch, sondern positiviert nur den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz einer Haftungsverpflichtung zwischen den Vertragsparteien. Dieser sekundärrechtliche Schadensersatzanspruch besteht jedoch nur in dem Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten. Der Schadensersatzanspruch unterscheidet sich insoweit von dem primärrechtlichen Anspruch der betroffenen Personen auf Einhaltung der Verbote des humanitären Völkerrechts.

4b. Das Grundprinzip des diplomatischen Schutzes schließt nicht grundsätzlich aus, dass das nationale Recht des verletzenden Staates dem Verletzten einen individuellen Anspruch gewährt, der neben die völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates tritt (vgl. BVerfG, 1996-05-13, 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315 <330>). Maßgeblich ist insoweit die konkrete Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung. Besteht nach dieser kein Schadensersatzanspruch, kommt eine Verletzung der Eigentumsgarantie des GG Art 14 nicht in Betracht.

BVerwG

2 WD 12.04

21.06.2005

BVerwGE 127, 302

Fall "Pfaff" (Gewissensfreiheit, mittelbare Unterstützung des Irak-Kriegs)

Unter Zurückweisung der Berufung des Wehrdisziplinaranwalts wird auf die Berufung des Soldaten das Urteil der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 9. Februar 2004 aufgehoben. Der Soldat wird freigesprochen.

BVerfG

1 BvR 357/05

15.02.2006

E 115, 118

LuftsicherheitsG (Maßstab Grundrechtsschutz)

1.     Der Bund hat unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG das Recht zur Gesetzgebung für Regelungen, die das Nähere über den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nach diesen Vorschriften und über das Zusammenwirken mit den beteiligten Ländern bestimmen. Der Begriff des besonders schweren Unglücksfalls umfasst auch Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen.

2.     Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG erlaubt es dem Bund nicht, die Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen.

3.     Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.

BVerfG

2 BvR 1476/03

15.02.2006

 

Distomo/Griechenland (Schadensersatz für Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg); s.u. gleichlautende Entscheid. d. EGMR v. 31.5.2011

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Anm.: Diese Verfassungsbeschwerde hatte die Frage der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht der Bundesrepublik Deutschland für während der Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg von Angehörigen der deutschen Streitkräfte verübte "Vergeltungsmaßnahmen" betroffen.

BGH

III ZR 190/05

02.11.2006

BGHZ 169, 348

Varvarin/Jugoslawien ("Brücke bei Varvarin", Ersatzansprüche bei Kampfeinsätzen)

Im Falle von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts stehen auch heute noch etwaige völkerrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den verantwortlichen fremden Staat nicht einzelnen geschädigten Personen, sondern nur deren Heimatstaat zu (Ergänzung zu BGHZ 155, 279).

BGH

StB 18/06

31.01.2007

BGHSt 51, 211

verdeckte online-Durchsuchung / Trojaner (Gesetzesvorbehalt)

Die "verdeckte Online-Durchsuchung" ist mangels einer Ermächtigungsgrundlage unzulässig. Sie kann insbesondere nicht auf § 102 StPO gestützt werden. Diese Vorschrift gestattet nicht eine auf heimliche Ausführung angelegte Durchsuchung.

BVerfG

2 BvE 1/07

12.03.2007

E 117, 359

Afghanistan / Tornado (einstw. Anordng.)

Antrag MdB Gauweiler u. MdB Wimmer

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Anm.: Dieser Antrag hatte gelautet

I. festzustellen,

1.     dass die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz und Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz sowie die Rechte der Antragsteller aus Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz dadurch verletzt hat, dass sie es unterlassen hat, einem das Integrationsprogramm des Zustimmungsgesetzes zum NATO-Vertrag überschreitenden stillen Bedeutungswandel von Artikel 1 NATO-Vertrag entgegenzuwirken, und dass sie sich aktiv an diesem Bedeutungswandel beteiligt,

2.     dass der Deutsche Bundestag die Rechte der Antragsteller aus Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz dadurch verletzt hat, dass er durch den Beschluss vom 9. März 2007 über den Antrag der Bundesregierung vom 8. Februar 2007 (BTDrucks 16/4298) über die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan der Bundesregierung einen Militäreinsatz ermöglicht, der nur nach Änderung des NATO-Vertrages unter parlamentarischer Beteiligung in Form eines Zustimmungsgesetzes hätte ermöglicht werden dürfen,

II. im Wege der einstweiligen Anordnung

der Bundesregierung aufzugeben, den Vollzug ihres Beschlusses vom 7. Februar 2007 über die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (BTDrucks 16/4298), dem der Deutsche Bundestag am 9. März 2007 zugestimmt hat und der die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan zum Gegenstand hat, bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen,

BVerfG

2 BvE 2/07

3.7.2007

E 118, 244

Afghanistan / erweitertes ISAF-Mandat, Tornado

Antrag PDS/LINKE

Die Beteiligung an dem erweiterten ISAF-Mandat aufgrund des Bundestagsbeschlusses vom 9. März 2007 verletzt nicht die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

BVerfG

2 BvE 1/03

7.5.2008

E 121, 135

Türkei / NATO-Luftraumüberwachung

Antrag FDP

Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem wehrverfassungsrechtlichen Beteiligungsrecht in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verletzt, indem sie es unterlassen hat, seine Zustimmung zur Beteiligung deutscher Soldaten an Maßnahmen der NATO zur Luftüberwachung der Türkei vom 26. Februar bis zum 17. April 2003 einzuholen.

GBA

3 BJs 6/10

16.4.2010

 

Ermittlungsverfahren wegen des Luftangriffes auf Tanklastwagen bei Kundus am 3./4.9.2009

Das mit Verfügung vom 12. März 2010 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein und Hauptfeldwebel W. wegen des Verdachts einer Strafbarkeit nach dem VStGB und anderer Delikte ist nach den durchgeführten Ermittlungen und auf der Grundlage der nachfolgend dargestellten Erkenntnisquellen und den im Einzelnen ausgeführten Gründen gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.

BGH

3 Ars 23/10

17.8.2010

 

Antrag auf Gegenüberstellung der Zeugen Schneiderhan u. Dr. Wichert mit dem Zeugen
Dr. zu Guttenberg

Antrag der Ausschuss-minderheit

Zurückweisung der Anträge:

Ob im Rahmen der Beweiserhebung eines Untersuchungsausschusses die Gegenüberstellung von Zeugen durchzuführen ist, entscheidet gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1, § 24 Abs. 2 PUAG der Untersuchungsausschuss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen abschließend. Das Untersuchungsausschussgesetz räumt der qualifizierten Minderheit von einem Viertel der Mitglieder nicht die Befugnis ein, gegen den Willen der Ausschussmehrheit die Gegenüberstellung durchzusetzen oder die Entscheidung der Mehrheit gerichtlich überprüfen zu lassen.

EGMR

24120/06

31.5.2011

EuGRZ 2011, 477

Distomo/Griechenland (Schadensersatz für Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg); s.o. Entsch. des BGH v. 15.2.2006

Wegen des Massakers der Waffen-SS im Juni 1944 in Griechenland (Distomo) zur Vergeltung eines Partisanen-Angriffs besteht kein Entschädigungsanspruch der Hinterbliebenen aus Art. 1 des 1. ZP-EMRK gegen Deutschland.

Begründung gem. der deutschen Pressemitteilung des EGMR:

Zu Artikel 1 Protokoll Nr. 1:

Der Gerichtshof unterstrich, dass die Konvention nach seiner gefestigten Rechtsprechung den Mitgliedstaaten keine spezifische Verpflichtung auferlegt, Wiedergutmachung für Unrecht oder Schäden zu leisten, die ihre Vorgängerstaaten verursacht haben. Im vorliegenden Fall hatten die deutschen Gerichte nach Prüfung des anwendbaren innerstaatlichen und internationalen Rechts befunden, dass die Beschwerdeführer keinen individuellen Anspruch auf Entschädigung hatten. Unter Berücksichtigung des ihm vorliegenden Materials kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass die nationalen Gerichte – die grundsätzlich in einer besseren Lage sind, das innerstaatliche Recht auszulegen – das deutsche und das internationale Recht nicht willkürlich angewendet hatten. Folglich konnten die Beschwerdeführer keine berechtigte Erwartung haben, eine Entschädigung für den erlittenen Schaden zu erhalten. Die Entscheidungen der Gerichte, die ihre Entschädigungsklagen abgewiesen hatten, fielen also nicht in den Geltungsbereich von Artikel 1 Protokoll Nr. 1. Die Beschwerde unter Berufung auf diesen Artikel ist daher unzulässig.

Zu Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 Protokoll Nr. 1:

Der Gerichtshof hob hervor, dass das Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 14 nach seiner Rechtsprechung die materiellen Bestimmungen der Konvention ergänzt und keine davon unabhängige Geltung hat. Da der Gerichtshof bereits festgestellt hatte, dass die Beschwerdeführer keine berechtigte Erwartung haben konnten, eine Entschädigung zu erhalten und dass ihre Beschwerde nicht in den Geltungsbereich von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 fiel, war auch Artikel 14 nicht anwendbar. Die Beschwerde unter Berufung auf diesen Artikel ist daher ebenfalls unzulässig.

 

EGMR

55721/07

7.7.2011

 

strafrechtliche Ermittlungen nach Tötung von Zivilisten durch britische Streitkräfte im Irak

Fall: Al-Skeini et al. vs. The United Kingdom

1. Die Rolle des Gerichtshofs ist gegenüber staatlichen Gerichten subsidiär. Eine Regierung kann daher vor dem Gerichtshof grundsätzlich nur mit dem gehört werden, was sie zuvor den staatlichen Gerichten vorgetragen hat, so dass diese bereits darüber entscheiden konnten.

2. Ausübung von Hoheitsgewalt ist nach Art. 1 EMRK (Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte) notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Konventionsstaat für ihm zurechenbare Handlungen und Unterlassungen verantwortlich ist.

3. Die Hoheitsgewalt ist grundsätzlich territorial bestimmt. Handlungen von Vertretern der Konventionsstaaten, die außerhalb ihres Hoheitsgebiets vorgenommen werden oder dort Auswirkungen haben, können im Ausnahmefall Ausübung ihrer Hoheitsgewalt i. S. von Art. 1 EMRK sein.

4. Ein solcher Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn

·     diplomatische oder konsularische Vertreter im Ausland tätig werden,

·     ein Staat mit Zustimmung der Regierung eines anderen auf dessen Hoheitsgebiet Zuständigkeiten übernimmt,

·     Gewaltanwendung staatlicher Vertreter im Ausland Personen unter ihre Kontrolle bringt, insbesondere wenn die Personen gefangen genommen werden,

·     infolge rechtmäßiger oder unrechtmäßiger Militäraktion ein Staat die tatsächliche Kontrolle über ein Gebiet außerhalb seines Hoheitsgebiets ausübt.

5. Nach dem Sturz des Ba'ath-Regimes und bis zur Bildung einer irakischen Interimsregierung hat das Vereinigte Königreich zusammen mit den USA Teile der öffentlichen Gewalt im Irak übernommen, die normalerweise von einer souveränen Regierung ausgeübt werden. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen unterstanden die bei Sicherheitsoperationen der britischen Streitkräfte getöteten Personen der Hoheitsgewalt des Vereinigten Königreichs i. S. von Art. 1 EMRK.

6. Die sich aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) ergebende Ermittlungspflicht bei Todesfällen gilt auch unter schwierigen Sicherheitsverhältnissen nach einem bewaffneten Konflikt.

7. Die Ermittlungen über den Tod der Angehörigen einiger Beschwerdeführer entsprachen nicht den Anforderungen von Art. 2 EMRK, weil sie gänzlich im Bereich der unmittelbaren militärischen Hierarchie blieben und sich darauf beschränkten, Aussagen der beteiligten britischen Soldaten aufzunehmen. Auch die Sonderabteilung der Militärpolizei, die in einigen Fällen Ermittlungen geführt hat, war nicht gänzlich unabhängig von der militärischen Hierarchie. Deswegen ist Art. 2 EMRK verletzt.

8. Einer der Beschwerdeführer ist noch Opfer i. S. von Art. 34 EMRK (Individualbeschwerden), obwohl er Schadensersatz und ein Schuldanerkenntnis erhalten hat, weil keine umfassenden und unabhängigen Ermittlungen angestellt worden sind. Bei einem anderen Beschwerdeführer hat eine umfassende, öffentliche Untersuchung stattgefunden, so dass er nicht mehr Opfer der von ihm behaupteten Konventionsverletzung ist.

9. Der Gerichtshof verurteilt die britische Regierung nicht, weitere Ermittlungen anzustellen. Nach Art. 46II EMRK (Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile) ist es Aufgabe des Ministerkommitees des Europarats zu prüfen, welche Maßnahmen zur Durchführung des Urteils erforderlich sind.

EGMR

27021/08

7.7.2011

 

Unbefristete Inhaftierung eines Terrorverdächtigen durch britische Streitkräfte im Irak

Fall: Al-Jedda vs. The United Kingdom

1. Wie das House of Lords zu Recht festgestellt hat, unterstand der Beschwerdeführer britischer Hoheitsgewalt i. S. von Art. 1 EMRK (Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte), als er wegen des Verdachts terroristischer Aktivitäten über drei Jahre in einem militärischen Armeegefängnis festgehalten wurde. Die Ermächtigung in der Resolution Nr. 1511 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (VN) vom 16. 10. 2003 hatte nicht zur Folge, dass Handlungen von Soldaten der Multinationalen Truppe den VN und nicht den Staaten zuzurechnen sind, welche Truppen gestellt haben. Daran hat auch die Resolution Nr. 1546 des Sicherheitsrats vom 8. 6. 2004 nichts geändert.

2. Art. 5 I EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) erlaubt keine Internierung oder präventive Haft, wenn nicht beabsichtigt ist, binnen angemessener Frist Anklage zu erheben.

3. Die Internierung war weder nach Art. 5 I EMRK noch nach Völkerrecht, insbesondere nach den Resolutionen des Sicherheitsrats der VN, gerechtfertigt. Die Resolution des Sicherheitsrats Nr. 1546 hatte das Vereinigte Königreich zwar ermächtigt, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Irak zu treffen. Doch weder sie noch eine andere Resolution des Sicherheitsrats haben ausdrücklich oder stillschweigend vom Vereinigten Königreich verlangt, Personen auf unbestimmte Zeit ohne Anklage festzuhalten, weil sie eine Gefahr für die Sicherheit im Irak sind.

4. Bei Auslegung der Resolutionen des Sicherheitsrats der VN gilt die Vermutung, dass den Staaten keine Verpflichtung auferlegt werden soll, die den Grundrechten zuwiderliefen. Unter Berücksichtigung von Art. 1 III und 24 II der Charta der VN und der wichtigen Rolle der VN bei der Förderung des Schutzes der Menschenrechte muss angenommen werden, dass der Sicherheitsrat klare Worte finden würde, wenn er Maßnahmen von Staaten verlangte, die ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte widersprechen könnten. Deswegen ist nicht anzunehmen, dass die Resolution Nr. 1546 des Sicherheitsrats die Staaten dazu verpflichten wollte, unter Verletzung der Menschenrechte Personen unbefristet, ohne Anklage und ohne Richtergarantie in Haft zu halten.

5. Eine Rechtfertigung ergibt sich auch nicht aus dem der Resolution Nr. 1546 des Sicherheitsrats beigefügten Schriftwechsel zwischen der irakischen Regierung und der Regierung der USA im Namen der anderen Staaten, die Truppen im Irak gestellt haben. Darin heißt es, dass die Multinationale Truppe auf Ersuchen der Regierung des Irak dort bleiben und auch weiterhin internieren werde, wenn sie das aus zwingenden Sicherheitserwägungen für nötig halte. Eine Vereinbarung dieser Art kann aber bindenden Konventionspflichten nicht vorgehen. Deswegen ist Art. 5 I EMRK verletzt.

IGH

Germany vs. Italy

3.2.2012

 

Italienische Vollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches Staatseigentum (zur Sicherung individueller Entschädigungsansprüche nach Verbrechen der Wehrmacht im 2. Wk.); Klage der BRD hiergegen wg. Verletzung der völkerrechtlichen Immunität.

IGH gibt der Klage des deutschen Staates im Wesentlichen statt:

(1) By twelve votes to three, Finds that the Italian Republic has violated its obligation to respect the immunity which the Federal Republic of Germany enjoys under international law by allowing civil claims to be brought against it based on violations of international humanitarian law committed by the German Reich between 1943 and 1945;

(2) By fourteen votes to one, Finds that the Italian Republic has violated its obligation to respect the immunity which the Federal Republic of Germany enjoys under international law by taking measures of constraint against Villa Vigoni;

(3) By fourteen votes to one, Finds that the Italian Republic has violated its obligation to respect the immunity which the Federal Republic of Germany enjoys under international law by declaring enforceable in Italy decisions of Greek courts based on violations of international humanitarian law committed in Greece by the German Reich;

(4) By fourteen votes to one, Finds that the Italian Republic must, by enacting appropriate legislation, or by resorting to other methods of its choosing, ensure that the decisions of its courts and those of other judicial authorities infringing the immunity which the Federal Republic of Germany enjoys under international law cease to have effect.

BVerfG

2 PBvU 1/11

3.7.2012

 

LuftsicherheitsG: Gesetzgebungszuständigkeit Bund, Gebrauch militärischer Waffen grds. zulässig, Einsatzbeschluss durch Bundesregierung (teilw. Abkehr von der Entsch. v. 15.2.2006, 1 BvR 357/05, s.o.)

 

1.      Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2.      Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3.      Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

LG Bonn

1 O 460/11

11.12.2013

 

Bombardements von Tanklastwagen in der Nähe von Kunduz

1.      Es gibt keine völkerrechtliche Norm, die den Betroffenen für die Folgen des Bombardements der Tanklastwagen in der Nähe von Kunduz, Afghanistan, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einen Schadensersatzanspruch einräumen würde. (Rn.37)

2.      Aus den Regeln des humanitären Völkerrechts ergeben sich für Amtsträger der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar drittschützende Amtspflichten, bei deren schuldhafter Verletzung ein Schadensersatzanspruch nach § 839 Abs.1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG besteht. Der Befehl zum Bombenabwurf stellt jedoch keinen derartigen Verstoß gegen drittschützende Amtspflichten dar, da weder ein Verstoß gegen Art. 13 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer nicht internationales bewaffneter Konflikte noch gegen Art. 51 oder Art. 57 des Ersten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vorliegt. (Rn.44, 48)

3.      Soweit die Regelungen der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen den Schutz der von bewaffneten Konflikten betroffenen Individuen bezwecken, ist die hieraus folgende Amtspflicht, weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen zum Ziel militärischer Angriffe zu machen, nicht schuldhaft verletzt, wenn dem Kommandeur des PRT Kunduz nicht bewusst war, dass es sich bei dem Ziel des Angriffs um Zivilpersonen handelt und der Waffeneinsatz vielmehr den aufständischen Taliban und den von ihnen entführten Tanklastwagen gegolten hat und zudem auch keine schuldhafte Verletzung der Amtspflicht zur Aufklärung und Identifikation des Angriffsziels oder hinsichtlich der Auswahl des Angriffsmittels festzustellen ist.(Rn.57, 58, 60, 76)

BVerfG

2 BvE 5/11

21.10.2014

 

 

1.      Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert. Die Rüstungsexportkontrolle ist nicht wegen der außenpolitischen Bedeutung dieses Teilbereichs des Regierungshandelns von vornherein jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen. Auch die Zuständigkeitszuweisung des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG schafft für sich genommen keinen der parlamentarischen Verantwortung grundsätzlich entzogenen Raum gubernativen Entscheidens.

2.      Der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten besteht gleichwohl nicht grenzenlos. Er wird begrenzt durch das Gewaltenteilungsprinzip, das Staatswohl und Grundrechte Dritter.
a. Die Beratung und Beschlussfassung im Bundessicherheitsrat unterfallen dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Bundesregierung ist daher nur verpflichtet, Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes, das heißt hinsichtlich des Rüstungsguts, des Auftragsvolumens und des Empfängerlandes konkretisiertes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder dass eine Genehmigung für ein wie in der Anfrage beschriebenes Geschäft nicht erteilt worden ist. Darüber hinaus gehende Angaben sind verfassungsrechtlich nicht geboten.
b. Die Antwort auf Fragen zu noch nicht beschiedenen Anträgen auf Erteilung einer Genehmigung für die Ausfuhr von Kriegswaffen kann die Bundesregierung ebenso wie die Auskunft über Voranfragen von Rüstungsunternehmen auch aus Gründen des Staatswohls verweigern. Entsprechendes gilt für die Tatsache, dass ein Genehmigungsantrag abgelehnt wurde. Auch bei durch den Bundessicherheitsrat bereits gebilligten Anträgen auf Erteilung einer Genehmigung kann die Verweigerung der Antwort aus diesen Gründen gerechtfertigt sein.
c. Der mit einer Offenlegung von Informationen zu beabsichtigten Rüstungsexportgeschäften verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie ist generell insoweit gerechtfertigt, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort Auskunft darüber gibt, dass der Bundessicherheitsrat die Genehmigung für ein konkretes Kriegswaffenausfuhrgeschäft erteilt hat und in diesem Rahmen Angaben über Art und Anzahl der Kriegswaffen, über das Empfängerland, über die beteiligten deutschen Unternehmen und über das Gesamtvolumen des Geschäfts macht. Darüber hinaus gehende Angaben würden grundsätzlich in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit der Unternehmen eingreifen.
d. Eine Begründungspflicht besteht insoweit, wie die Bundesregierung die Auskunft über eine erteilte Genehmigung oder über die in diesem Rahmen mitzuteilenden Generalia des Exportgeschäfts verweigern will.

 

Ital. Verf.-
Gericht

238/14

22.10.2014

 

Einschränkung der Staatenimmunität bei Kriegsverbrechen; gegen IGH v. 3.2.2012, s.o.

LA CORTE COSTITUZIONALE

1.      dichiara l’illegittimità costituzionale dell’art. 3 della legge 14 gennaio 2013, n. 5 (Adesione della Repubblica italiana alla Convenzione delle Nazioni Unite sulle immunità giurisdizionali degli Stati e dei loro beni, firmata a New York il 2 dicembre 2004, nonché norme di adeguamento dell’ordinamento interno);

2.      dichiara l’illegittimità costituzionale dell’art. 1 della legge 17 agosto 1957, n. 848 (Esecuzione dello Statuto delle Nazioni Unite, firmato a San Francisco il 26 giugno 1945), limitatamente all’esecuzione data all’art. 94 della Carta delle Nazioni Unite, esclusivamente nella parte in cui obbliga il giudice italiano ad adeguarsi alla pronuncia della Corte internazionale di giustizia (CIG) del 3 febbraio 2012, che gli impone di negare la propria giurisdizione in riferimento ad atti di uno Stato straniero che consistano in crimini di guerra e contro l’umanità, lesivi di diritti inviolabili della persona;

3.      dichiara non fondata, nei sensi di cui in motivazione, la questione di legittimità costituzionale della norma «prodotta nel nostro ordinamento mediante il recepimento, ai sensi dell’art. 10, primo comma, Cost.», della norma consuetudinaria di diritto internazionale sull’immunità degli Stati dalla giurisdizione civile degli altri Stati, sollevata, in riferimento agli artt. 2 e 24 della Costituzione, dal Tribunale di Firenze, con le ordinanze indicate in epigrafe.

BVerfG

1 BvR 471/10

27.1.2015

 

Kein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen

1.      Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.

2.      Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57 Abs. 4 SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags - erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.

3.      Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden.

4.      Werden äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule zum Zweck der Wahrung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität gesetzlich untersagt, so muss dies für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich unterschiedslos geschehen.

OLG Köln

7 U 4/14

30.4.2015

./.

Berufungsentscheidung zu LG Bonn 11.12.2013, s.o.

OLG Köln bestätigt die Entscheidung des LG Bonn v. 11.12.2013, die Klage zweier afghanischer Zivilisten gegen die BRD auf Schadensersatz wegen der Tötung von Angehörigen bei der Bombardierung von zwei Tanklastern in der Nähe von Kunduz in Afghanistan abzuweisen (siehe dortige Leitsätze). Revision wird zugelassen.

BVerfG

2 BvE 6/11

23.9.2015

./.

Evakuierungsoperation aus Libyen am 26.2.2011; keine nachträgliche Genehmigung durch den Bundestag

1.      Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland und unabhängig davon, ob diese einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter haben.

2.      Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. In diesem Fall muss sie das Parlament umgehend mit dem fortdauernden Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen.

3.      Die Voraussetzungen dieser Eilentscheidungsbefugnis der Bundesregierung sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar.

4.      Ist ein von der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits beendet und eine rechtserhebliche parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung nicht, eine Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Einsatz herbeizuführen. Die Bundesregierung muss den Bundestag jedoch unverzüglich und qualifiziert über den Einsatz unterrichten (Anm. Voss: gemeint ist der Bundestag als Ganzes, nicht lediglich die Obleute, s. Rn. 104).

BVerfG

1 BvR 966/09
1 BvR 1140/09

20.4.2016

 

Ermittlungsbefugnisse des BKA zur Terrorismusbekämpfung

1. a) Die Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen (Wohnraumüberwachungen, Online-Durchsuchungen, Telekommunikationsüberwachungen, Telekommunikationsverkehrsdatenerhebungen und Überwachungen außerhalb von Wohnungen mit besonderen Mitteln der Datenerhebung) ist zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im Grundsatz mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar.

b) Die Ausgestaltung solcher Befugnisse muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Befugnisse, die tief in das Privatleben hineinreichen, müssen auf den Schutz oder die Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter begrenzt sein, setzen voraus, dass eine Gefährdung dieser Rechtsgüter hinreichend konkret absehbar ist, dürfen sich nur unter eingeschränkten Bedingungen auf nichtverantwortliche Dritte aus dem Umfeld der Zielperson erstrecken, verlangen überwiegend besondere Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie einen Schutz von Berufsgeheimnisträgern, unterliegen Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle und müssen mit Löschungspflichten bezüglich der erhobenen Daten flankiert sein. (Rn.103)

2. Anforderungen an die Nutzung und Übermittlung staatlich erhobener Daten richten sich nach den Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung. (Rn.276)

a) Die Reichweite der Zweckbindung richtet sich nach der jeweiligen Ermächtigung für die Datenerhebung; die Datenerhebung bezieht ihren Zweck zunächst aus dem jeweiligen Ermittlungsverfahren.

b) Der Gesetzgeber kann eine Datennutzung über das für die Datenerhebung maßgebende Verfahren hinaus im Rahmen der ursprünglichen Zwecke dieser Daten erlauben (weitere Nutzung). Dies setzt voraus, dass es sich um eine Verwendung der Daten durch dieselbe Behörde zur Wahrnehmung derselben Aufgabe und zum Schutz derselben Rechtsgüter handelt. Für Daten aus Wohnraumüberwachungen oder einem Zugriff auf informationstechnische Systeme müssen zusätzlich für jede weitere Nutzung auch die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die Gefahrenlage erfüllt sein. (Rn.279)

c) Der Gesetzgeber kann darüber hinaus eine Nutzung der Daten auch zu anderen Zwecken als denen der ursprünglichen Datenerhebung erlauben (Zweckänderung). (Rn.284)

Die Verhältnismäßigkeitsanforderungen für eine solche Zweckänderung orientieren sich am Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung. Danach muss die neue Nutzung der Daten dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von Straftaten eines solchen Gewichts dienen, die verfassungsrechtlich ihre Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen könnten. Eine konkretisierte Gefahrenlage wie bei der Datenerhebung ist demgegenüber grundsätzlich nicht erneut zu verlangen; erforderlich aber auch ausreichend ist in der Regel das Vorliegen eines konkreten Ermittlungsansatzes. (Rn.287)

Für Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen darf die Verwendung zu einem geänderten Zweck allerdings nur erlaubt werden, wenn auch die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die Gefahrenlage erfüllt sind. (Rn.291)

3. Die Übermittlung von Daten an staatliche Stellen im Ausland unterliegt den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen von Zweckänderung und Zweckbindung. Bei der Beurteilung der neuen Verwendung ist die Eigenständigkeit der anderen Rechtsordnung zu achten. Eine Übermittlung von Daten ins Ausland verlangt eine Vergewisserung darüber, dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten ist. (Rn.324)

BGH

III ZR 140/15

6.10.2016

 

Revisionsentscheidung nach der Bombardierung von Tanklastern am Kunduz (s.o. OLG Köln 30.4.2015)

a) Völkerrechtliche Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen stehen grundsätzlich weiterhin nur dem Heimatstaat zu (Bestätigung des Senatsurteils vom 2. November 2006 - III ZR 190/05, BGHZ 169, 348).

b) Das deutsche Amtshaftungsrecht (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) findet auch unter der Geltung des Grundgesetzes auf Schäden keine Anwendung, die bei dem bewaffneten Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte ausländischen Bürgern zugefügt werden (Fortführung des Senatsurteils vom 26. Juni 2003 - III ZR 245/98, BGHZ 155, 279).

c) Ein Soldat begeht keine Amtspflichtverletzung, wenn er aus tatsächlichen Gründen einen Völkerrechtsverstoß nicht voraussehen oder vermeiden konnte.

d) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein (schuldhafter) Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht vorliegt, ist Maßstab für die einzuhaltende Sorgfalt nicht die ex post getroffene Sichtweise. Vielmehr kommt es auf diejenigen Erkenntnisse an, die einem Befehlshaber ex ante bei der Planung und Durchführung einer militärischen Handlung zur Verfügung stehen.

BVerfG

2 BvE 2/16

17.9.2019

 

Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den sogenannten „Islamischen Staat“

Aus den Gründen [Klammerangabe: Rd.-Nrn.]

Die Antragstellerin hat die Möglichkeit, dass der Deutsche Bundestag durch den verfahrensgegenständlichen Einsatz in Rechten verletzt sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind (§ 64 Abs. 1 BVerfGG), nicht substantiiert dargelegt. Nach dem vorgetragenen Sachverhalt erscheint die von der Antragstellerin behauptete Verletzung von Gesetzgebungsrechten des Bundestages aus Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG von vornherein ausgeschlossen. [30]

Mit der Zustimmung zu einem Vertragsgesetz bestimmen die Gesetzgebungsorgane den Umfang der auf dem Vertrag beruhenden Bindungen und tragen dafür die politische Verantwortung gegenüber dem Bürger. Insoweit erschöpft sich die rechtliche und politische Verantwortung des Parlaments nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt, sondern erstreckt sich auch auf den weiteren Vertragsvollzug [33]

Die Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit unter Mitwirkung der Bundesregierung verletzt den Deutschen Bundestag allerdings dann in seinem Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt aus Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wenn sie über die mit dem Zustimmungsgesetz erteilte Ermächtigung hinausgeht und damit ultra vires erfolgt, weil der Bundestag den Vertrag, wie er sich in seiner tatsächlichen Handhabung durch die Vertragsparteien darstellt, dann nicht mehr mitverantwortet [36]

Damit ist das Gebot der Friedenswahrung stets zwingender Bestandteil der Vertragsgrundlage eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Die friedenswahrende Zwecksetzung ist nicht nur einmalige Voraussetzung des Beitritts, sondern fortdauernde Voraussetzung des Verbleibs Deutschlands in dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Diente dieses in seiner generellen Ausrichtung nicht mehr der Wahrung des Friedens im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wäre dadurch auch die verfassungsrechtliche Ermächtigung überschritten. [38]

Die vertretbare Interpretation von Rechten und Pflichten in einem System nach Art. 24 Abs. 2 GG und das Handeln in einem solchen System auch in Reaktion auf neue Sicherheitsherausforderungen (Anm.: das militärische Bekämpfen nichtstaatlicher Akteure, hier des IS) ist Aufgabe der Bundesregierung und bewegt sich regelmäßig innerhalb des vertragsgesetzlichen Ermächtigungsrahmens. [46]

Die Antragsgegner haben sich zur Rechtfertigung des verfahrensgegenständlichen Einsatzes auch auf Art. 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 42 Abs. 7 EUV berufen. Ein Streitkräfteeinsatz auf der Grundlage der Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 EUV ist verfassungsrechtlich dem Grunde nach jedenfalls nicht ausgeschlossen. [52]

BVerfG

1 BvR 2835/17

19.5.2020

 

Geltung von Grundrechten bei Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst/BND

Amtliche Gründe:

(1) Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ist nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt.
Der Schutz der einzelnen Grundrechte kann sich im Inland und Ausland unterscheiden.
Jedenfalls der Schutz des Art. 10 Abs. 1 und des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Abwehrrechte gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung erstreckt sich auch auf Ausländer im Ausland.

(2) Die derzeitigen Regelungen zur Ausland-Ausland-Telekommunikationsüberwachung, zur Übermittlung der hierdurch gewonnenen Erkenntnisse und zur Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten verletzen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG; der Gesetzgeber hat die Grundrechte bewusst als nicht betroffen erachtet, obwohl sie auch hier anwendbar sind. Sie genügen auch zentralen materiellen Anforderungen der Grundrechte nicht.

(5) Die strategische Auslandstelekommunikationsüberwachung ist mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht grundsätzlich unvereinbar. Als anlasslose, im Wesentlichen nur final angeleitete und begrenzte Befugnis ist sie jedoch eine Ausnahmebefugnis, die auf die Auslandsaufklärung durch eine Behörde, welche selbst keine operativen Befugnisse hat, begrenzt bleiben muss und nur durch deren besonderes Aufgabenprofil gerechtfertigt ist.
Erforderlich sind danach insbesondere Maßgaben zur Aussonderung der Telekommunikationsdaten von Deutschen und Inländern, eine Begrenzung der zu erhebenden Daten, die Festlegung qualifizierter Überwachungszwecke, die Strukturierung der Überwachung auf der Grundlage eigens festgelegter Maßnahmen, besondere Anforderungen an gezielt personenbezogene Überwachungsmaßnahmen, Grenzen für die bevorratende Speicherung von Verkehrsdaten, Rahmenbestimmungen zur Datenauswertung, Vorkehrungen zum Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen, die Gewährleistung eines Kernbereichsschutzes und Löschungspflichten.

(6) Die Übermittlung personenbezogener Daten aus der strategischen Überwachung ist nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter zulässig und setzt eine konkretisierte Gefahrenlage oder einen hinreichend konkretisierten Tatverdacht voraus. Ausgenommen sind hiervon Berichte an die Bundesregierung, soweit diese ausschließlich der politischen Information und Vorbereitung von Regierungsentscheidungen dienen.
Die Übermittlung setzt eine förmliche Entscheidung des Bundesnachrichtendienstes voraus und bedarf der Protokollierung unter Nennung der einschlägigen Rechtsgrundlage. Vor der Übermittlung an ausländische Stellen ist eine Vergewisserung über den rechtsstaatlichen Umgang mit den Daten geboten; hierbei bedarf es einer auf die betroffene Person bezogenen Prüfung, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass diese durch die Datenübermittlung spezifisch gefährdet werden kann.

BVerfG

2 BvR 477/17

18.11.2020

 

Entsch. BVerfG zur Bombardierung von Tanklastern bei Kundus (siehe oben Entscheidung des BGH v. 6.10.2016

Aus den Gründen [Klammerangabe: Rdnrn.]

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie jedenfalls unbegründet ist [12].

Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese liegt nur vor, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist. [13]

Die Annahme ist auch nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG angezeigt, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat. [14]

Sekundärrechtliche Ansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen stehen aber weiterhin grundsätzlich nur dem Heimatstaat des Geschädigten als originärem Völkerrechtssubjekt zu. [19]

Soweit der Bundesgerichtshof Ansprüche der Beschwerdeführer aus enteignungsgleichem Eingriff und Aufopferung abgelehnt hat, ist dies auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. [21]

Die deutsche Staatsgewalt ist grundsätzlich auch bei Handlungen im Ausland an die Grundrechte gebunden. Zwar kann sich diese Grundrechtsbindung von derjenigen im Inland unterscheiden. Die umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte lässt unberührt, dass sich die aus den Grundrechten konkret folgenden Schutzwirkungen danach unterscheiden können, unter welchen Umständen sie zur Anwendung kommen. Das gilt – wie schon für die verschiedenen Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Inland – auch für die Reichweite ihrer Schutzwirkung im Ausland. So mögen einzelne Gewährleistungen schon hinsichtlich des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs im Inland und Ausland in unterschiedlichem Umfang Geltung beanspruchen. [31]

Der Bundesgerichtshof setzt sich in seinem Urteil vom 6. Oktober 2016 zwar mit verfassungsrechtlichen Vorgaben auseinander. Er beschränkt sich jedoch auf Argumente, die gegen eine Anwendung des Amtshaftungsanspruchs aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG sprechen, insbesondere die Beeinträchtigung der internationalen Bündnisfähigkeit Deutschlands und die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Er erörtert hingegen nicht, inwieweit aus der territorial nicht begrenzten Geltung der Grundrechte und der daraus abzuleitenden staatlichen Verpflichtung zum Ausgleich oder zur Entschädigung für Grundrechtsverletzungen eine Auslegung des bestehenden gesetzlichen Amtshaftungsanspruchs folgt, die – gegebenenfalls mit Abweichungen von Ansprüchen bei innerstaatlichen Grundrechtsverletzungen – auch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu Ansprüchen führen kann. [32]

Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, weil das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Oktober 2016 jedenfalls nicht auf dieser zweifelhaften Vorstellung von Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 GG beruht. Dieser hat seine Entscheidung vielmehr auch damit tragend begründet, dass Oberst i.G. K. keine Amtspflichtverletzung begangen hat. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. [33]

Ob in einem bewaffneten Konflikt eine Amtspflichtverletzung deutscher Soldaten vorliegt, bemisst sich nach der Verfassung und dem Soldatengesetz sowie vor allem nach den gewaltbegrenzenden Regeln des humanitären Völkerrechts (vgl. Raap, NVwZ 2013, S. 552 <554>; Starski/Beinlich, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 66 <2018>, S. 299 <308 f.>). Vor diesem Hintergrund stellt – wie auch Art. 115a GG zu entnehmen ist – nicht jede Tötung einer Zivilperson im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen auch einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar (vgl. Schmahl, ZaöRV 66 <2006>, S. 699 <713, 716>). [34]

Nach der insoweit nicht zu beanstandenden Auffassung des Bundesgerichtshofs trägt der Anspruchsteller für einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht nach den allgemeinen Grundsätzen die volle Darlegungs- und Beweislast (vgl. Dutta, AöR 133 <2008>, S. 191 <220 f.>). Die Beschwerdeführer haben insoweit lediglich behauptet, dass der Befehl zum Bombenabwurf hätte unterbleiben müssen, weil nicht habe ausgeschlossen werden können, dass es sich bei den identifizierten Personen um Zivilisten gehandelt habe. Damit haben sie nach Auffassung des Bundesgerichtshofs einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht nicht dargelegt. Er sei vorliegend auch nicht ersichtlich, weil Oberst i.G. K. bei der Erteilung des Angriffsbefehls die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft, bei der notwendigen ex ante-Betrachtung eine gültige Prognoseentscheidung getroffen und daher keine Amtspflichtverletzung begangen habe. Das verstößt weder gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) noch gibt es dagegen somit etwas verfassungsrechtlich zu erinnern. [35]

 

ECHR

Hanan v. Germany (application no. 4871/16)

16.2.2021

 

Luftschlag von Kundus (s.o. Entsch. des BGH v. 18.11.2020 u. dortige Zitate

Auszug aus der Pressemitteilung des ECHR / Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:
The Court found that the facts surrounding the airstrike which killed the applicant’s two sons, including the decision-making and target verification process leading up to the ordering of the airstrike, had been established in a thorough and reliable manner in order to determine the legality of the use of lethal force.

Lastly, the Court observed that the investigation into the airstrike by the parliamentary commission of inquiry had ensured a high level of public scrutiny of the case.

Having regard to the circumstances of the present case, the Court concluded that the investigation by the German authorities into the deaths of the applicant’s two sons had complied with the requirements of an effective investigation under Article 2 of the Convention. There had accordingly been no violation of the procedural limb of Article 2.

BVerfG

2 BvE 3/15,

2 BvE 7/15

26.10.2022

 

Informationsrechte des Bundestages bei Auslandseinsätzen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik / GASP und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, GSVP (u.a. Krisenmanagement-Konzept zu EUNAVFOR MED SOFIA)

1.     Die Verpflichtung der Bundesregierung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des Bundestages gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gilt auch für Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).

2.     Adressat der Unterrichtung ist der Bundestag als Ganzer. Es ist in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden.

3.     Eine Geheimschutzregelungen unterliegende Information des Bundestages wird den Anforderungen von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht gerecht, weil die Information des Parlaments zugleich dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.

4.     Grenzen der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG können sich aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder dem Staatswohl ergeben. Geheimhaltungserfordernisse stehen der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. Will die Bundesregierung ihre Informationspflicht wegen der genannten Grenzen ganz oder teilweise nicht erfüllen, muss sie sich gegenüber dem Deutschen Bundestag darauf berufen und die Gründe hierfür darlegen.