Balanced Scorecard Auslandsmissionen Bundeswehr

Der Vorschlag knüpft an an den Regierungsantrag v. 26.1.2016 (BT-Drs. 18/7360) „Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegration“. Dieser Antrag sollte u.a. eine regelmäßige bilanzierende Bewertung und ressortübergreifende Evaluierung einführen, siehe § 6 Abs. 4 neu, Drs. S. 3, 6, 10f. Der Gesetzentwurf war in der 18. LP durch Diskontinuität gegenstandslos geworden. Er ist in der Folge nicht erneut aufgenommen worden.

Das am 13.7.2016 im Kabinett verabschiedete und noch aktuelle Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr kündigt immerhin an (Hervorhebung des Autors):

Strategiefähigkeit fördern und ausbauen
Unsere sicherheitspolitischen Mittel und Instrumente sind umfangreich und vielfältig. Dennoch sind sie begrenzt. Es bedarf strategischer Entscheidungen, ob, wann und in welchem Maße sich Deutschland engagiert. Deswegen wird der Ausbau unserer Strategiefähigkeit konsequent weiterverfolgt. Dabei geht es auch um die Entwicklung von Kriterien, die Messbarkeit und Evaluierung ermöglichen.“ (S. 57)

Im Zusammenhang mit dem o.g. Entwurf erörtert der HSFK-Report Nr. 8/2016 von Matthias Dembinski u. Thorsten GromesAuslandseinsätze evaluieren. Wie lässt sich Orientierungswissen zu humanitären Interventionen gewinnen?“ Ansätze und Chancen einer ergebnisoffenen ziel- bzw. wirkungsorientierten externen Analyse für einen Teil der militärischen Auslandseinsätze der Vergangenheit, nämlich für die primär mit humanitärer Hilfe begründeten Missionen, siehe Tabelle der in Betracht gezogenen Interventionen 1946-2014 daselbst auf S. 11.

Der hier vorgeschlagene Diskussionsansatz einer Balanced Scorecard für Auslandseinsätze unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von den o.g. Herangehensweisen:

-      Kontinuierliche Publizität mit Zielfortschreibung
Hinausgehend über den Regierungsantrag soll die Exekutive die Evaluation nicht erst nach Abschluss des jeweiligen Einsatzes vorlegen und veröffentlichen. Vielmehr soll die Bundesregierung die Analyse als eine strukturierte und standardisierte Zielbeschreibung und Zielverfolgung bereits für den anfänglichen Einsatzbeschluss vorlegen und sodann für jede Verlängerung mit den zwischenzeitlichen Erkenntnissen und strategischen Anpassungen fortschreiben.

-      Regierungsinterne Analyse mit externem Votum
Insbesondere wegen der komplexen Fallgestaltungen von nicht primär humanitär motivierten militärischen Interventionen und wegen der bereits im genannten HSFK-Report beschriebenen potenziellen Hemmnisse erscheint ein Hybrid-Ansatz praxistauglicher: Die Bundesregierung formuliert und publiziert in eigener Verantwortung die Ziele und das Ranking von Teilzielen und schreibt die Zielerreichung über den Verlauf einer Mission fort. Externe Kapazitäten wie z.B. Institute der Friedens- und Konfliktforschung bewerten dies öffentlich in Form von Gutachten oder Empfehlungen, damit sichtbar für die Wahlbürger/innen. Damit wäre gegenüber dem status quo ein deutlicher Mehrwert an Reflektion, Transparenz und Rückkopplung erreicht, ohne dass das Verfahren überkomplex oder in der fachlichen Instruktion und Interaktion zu schwierig und träge organisiert würde.

Verfahren nach diesem Diskussionsansatz

-      Ziele definieren und mit Kennzahlen verknüpfen
Die Bundesregierung verbindet unter Nr. 3 der Balanced Scorecard (Anlage) bis zu drei Hauptziele der Mission mit Kennzahlen, die sich für ein Objektivieren der Einsatzentwicklung eignen. Diese Kennzahlen können entweder dem beschreibenden Teil der Scorecard unter den Nrn. 5-8 entnommen werden oder sie werden von der Regierung konkret für den zu analysierenden Einsatz definiert. Die Regierung kann die Ziele dabei auch differenziert gewichten/faktorisieren.

-      Voraussagen tätigen
Die Regierung stellt zu den gewählten Kennzahlen und zu der von ihr angenommenen oder bezweckten Entwicklung grundsätzliche Prognosen für die Veränderung innerhalb des folgenden Jahres auf („signifikant verbessert“ / „tendenziell verbessert“ / „unverändert“ / „tendenziell verschlechtert“ / „signifikant verschlechtert“).

-      Entwicklung nachverfolgen
Die Voraussagen und Gewichtungen werden turnusmäßig überprüft und fortgeschrieben, ebenso eine Einschätzung der Regierung zur Gesamt-Einsatzdauer. Die weiteren Daten/Kennzahlen werden unter Nachweis der jeweiligen Quelle jährlich fortentwickelt dargestellt.

Für bereits abgeschlossene Einsätze kann die Zielerreichung auf der Grundlage der jeweiligen Kabinettbeschlüsse (anfänglicher/letzter Kb.) dargestellt werden. Ergänzend soll auch zu den Nebenfolgen unter Nr. 7 der Balanced Scorecard berichtet werden.

-      Analyse der Regierung mit fachlichem Votum publizieren
Die Bundesregierung ermittelt die o.g. Daten und sie beschreibt die nicht mit Daten zu unterlegenden Entwicklungen des Einsatzes in eigener Verantwortung. Zu ihrem Ergebnis holt sie sodann das Votum bzw. die Empfehlung einer unabhängigen und in der Friedens- und Konfliktforschung als kompetent ausgewiesenen Einrichtung ein. Sie legt ihre Analyse und das Votum dem Bundestag zur Information vor, ggf. mit eigener ergänzender Stellungnahme bzw. Replik zu dem o.g. Votum.

Je nach Geheimhaltungsbedarf kann das Verfahren oder die Analyse eines abgetrennten Teils einer Mission auch für einen beschränkten Kreis organisiert werden (z.B. bei Spezial-Einsatzkräften: Obleute-Verfahren). Allerdings sollte immer ausdrücklich begründet werden: Für welchen maximalen Zeitraum darf das Geheimhalten einer laufenden Operation, z.B.  zum Schutze der Beteiligten, die demokratisch besonders hoch zu gewichtende Publizität des exekutiven Handelns verhindern?

Anm.: Die Struktur der hier vorgeschlagenen Balanced Scorecard ist ein Aufschlag und Diskussionsansatz m.d.B. um kritische Prüfung. Speziell bei den Missions-beschreibenden Parametern unter Nr. 5 - 8 mag es aussagekräftigere oder durch etablierte Datenpools besser gesicherte Alternativen geben. Ferner: Der Analyse-Aufwand erscheint zunächst als ungewohnt hoch – allerdings steht dieser Aufwand m.E. nicht außer Verhältnis angesichts der eingesetzten humanen und materiellen Ressourcen und der massiven zivilen Nebenfolgen etwa solcher militärischer Missionen, die auch in mehreren Einsatzjahren nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt werden konnten. Ich bin überzeugt: Eine höhere Publizität von Zielen und Erfolgen der Außen- und Sicherheitspolitik kann diesen Politikbereich, der typischerweise von den Bürger/innen weit entfernt ist, demokratisch besser verhandlungsfähig machen. Dies kann konkrete Einsätze durch eine bessere Rückkopplung humanitär verantwortbarer gestalten, auch tendenziell verkürzen.

K. U. Voss
Burscheid, 14.6.2021

Siehe hier mein zugehöriges  Schreiben v. 18.8.2021 an die Mitglieder u. stellvertretenden Mitglieder der Bundestags-Ausschüsse für Auswärtiges, für Verteidigung, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und für Menschenrechte und humanitäre Hilfe