Burscheid, 7. August 1999

(Stand: 11.6.2000)

• Auf wessen Impulsen/Ideen/Initiativen beruht die gesetzgebende/regierende Arbeit des jeweiligen Staates in der Praxis? Wer hat realistischen Einfluss (Parteien, Verbände, Kirchen, Einzelpersonen)? Welche und wessen Interessen sind für die Einflussnahme auf die jeweilige Regierung am wirksamsten organisiert? Ist dieser Einfluss transparent?

• Haben die Parteien ein offenes Ohr für politische Wünsche der Bürger? Entwickeln die Parteien systematisch Schnittstellen für politischen Input der Bürger; findet ein evolutionsfördernder Wettbewerb um Bürgernähe statt? Zusammengefaßt: Ist das Wissen und Wollen der Bürgerschaft eine akzeptierte Ressource für Politik-Entwicklung? Oder ist die Gesamtmenge der denkbaren politischen Innovationen ohnehin im Blick der Parteien und wären daher solche Schnittstellen, die mit einer Kakophonie von Bürgerstimmen konfrontiert sein könnten, ein unwirtschaftlicher Aufwand? Sind Meinungsumfragen ein zuverlässiger Ersatz?

• Gibt es bei politischen Wegscheiden und Basis-Entscheidungen, die im Wahlkampf nicht vorbereitet werden konnten (z.B. rechtlicher/ökonomischer Rahmen der Wiedervereinigung, Bundeswehrauftrag, Asylrechtsänderung) üblicherweise eine öffentliche Debatte, um die inhaltliche demokratische Legitimation der anstehenden Regelungen zu verbessern?

• Regelt die Legislative stringent alle diejenigen Materien vorausgehend, generell und abstrakt, die in Grund- und Menschenrechte eingreifen können (Prinzip des Gesetzesvorbehalts)? Oder trifft sie hier auch ad-hoc-Entscheidungen, die den Gestaltungsspielraum der Administration fördern?

• Übt das Parlament in der Praxis eine lebhafte Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus? Oder bestätigt die Parlamentsmehrheit typischerweise das Regierungshandeln?

• Ist die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts gewährleistet?

• Fallen die wesentlichen Entscheidungen des Parlaments in öffentlich verfolgbarer Diskussion? Sind die Instrumente zur unmittelbaren Herstellung von Öffentlichkeit effizient? Oder werden sie nur von einer Minderheit angenommen? Gibt es für die Bürger relevante Bereiche, die nicht-öffentlich verhandelt und entschieden werden (z.B. Waffenhandel)?

• Gibt es zur Kontrolle der Administration ein praxisgerechtes Akteneinsichtsrecht / Auskunftsrecht?

• Sind alle finanziellen und geldwerten Zuwendungen an Parteien, parteinahe Einrichtungen, parlamentarische Gremien und Funktionsträger transparent? So transparent, dass sich jeder Bürger jederzeit einen Überblick verschaffen und sein Wahlverhalten daran orientieren kann? Gibt es Regeln oder einen Ehrenkodex gegen die Einflussnahme zu Gunsten singulärer Interessen? Ist eine relevante Menge der Abgeordneten durch berufliche Herkunft Verbänden und Interessengruppierungen verbunden? Ist dies transparent?

• Wie ist der Einfluss von Politik und Wirtschaft auf die Medien strukturiert (auch: Rolle der politischen Parteien bei öffentlich-rechtlichen Medien)?

• Haben die Wähler Einfluss auf die Zusammenstellung von Wahl-Listen und damit auf die Kandidatenaufstellung? Oder befinden sie ausschließlich über unterschiedliche Anteile der - vorgegebenen - Listen im Parlament?

• Sind außerparlamentarische Gesetzes-Initiativen vorgesehen (über die dann das Parlament zu entscheiden hat)?

• Sind außerparlamentarische Gesetzes-Entscheide möglich (die an die Stelle von Entscheidungen des Parlaments treten)? Ist das Verfahren realistisch gestaltet oder ist es in der Verfassungswirklichkeit durch Fristen und Mindest-Zahlen von Unterstützern behindert, die nur in Ausnahmefällen einzuhalten bzw. zu erreichen sind?
  Sind die möglichen Themen einer Initiative oder eines Entscheides vorab begrenzt durch Negativ- oder Positiv-Kataloge (Themen, die auf keinen Fall zur Disposition der Bürger stehen, oder solche, die abschließend vorgegeben sind)? Gehören zum etwaigen Negativ-Katalog Finanzen und Abgaben?
  Wie häufig waren Initiativen und Entscheide schon erfolgreich?

• Ist die Bürgerwahl herausgehobener staatlicher Funktionsträger vorgesehen (Präsident/Kanzler)?

• Können unabhängige Bürger Abgeordnete werden? Auch ohne Mithilfe von Parteien? Wie viele haben es versucht - wie viele haben es geschafft?

• Wie hoch ist die Wahlbeteiligung (bezogen auf die aktiv wahlberechtigten Bürger; z.B. für die USA einschließlich der nicht registrierten Wähler)? Ein wie großer Anteil der Bewohner des jeweiligen Landes legitimiert die konkrete Regierung?

• Sind Wechsel der Regierung bzw. der grundlegenden politischen Richtung in dem betreffenden Land typischerweise Folge von Wahlen oder von Koalitionsverhandlungen?

• Ist das Parlament im hohen Maße arbeitsteilig organisiert (Spezialisierung der Abgeordneten)? Ist die grundgesetzlich verbriefte Entscheidungsfreiheit die Regel oder Fraktionsdisziplin?

• Fallen die wesentlichen Entscheidungen, die die Lebensverhältnisse der Bürger beeinflussen, im öffentlichen oder im privaten Sektor?

• Von den Entscheidungen im öffentlichen Bereich: wird ein relevanter Teil in internationalen Gremien getroffen (z.B. EU, NATO)? Wie ist dort parlamentarische Kontrolle/Initiative gewährleistet?

• Ist (wie?) der Schutz/Einfluss von Minderheiten gesichert?

• Ist Demokratie Herrschaft durch die Bürger oder Herrschaft für die Bürger? Was zu kennen lässt sich leichter behaupten: den Willen des Volkes oder das Interesse des Volkes? Funktioniert der Kommunikationskanal in Richtung Bürger - Politiker? Oder - wenn überhaupt - eher in umgekehrter Richtung?

• Gibt es einen sachbezogenen Wählerauftrag? Kann eine Wähler-Entscheidung im Rahmen einer Bundestags- oder Landtagswahl einem oder mehreren Sachthemen zugeordnet werden? Wie signifikant sind Wahlergebnisse bei im Wahlkampf untergeordneten Sachfragen? Wie ist demokratische Legitimation nachzuweisen, wenn sich die maßgeblichen politischen Kräfte in einer Sachfrage über einen Richtungswechsel geeinigt haben und damit eine realistische Alternative nicht mehr zur Wahl steht? Oder ist die Wahlhandlung in ihrer verlässlichsten Aussage Personen-/Gruppen-/Partei-bezogen?

• Gibt es Politikbereiche, die sich mehr oder weniger für Demokratie oder für Partizipation der Bürger eignen (z.B. Auswärtiges, Finanzen, Sicherheit oder: Bundes-/Landes-/Kommunalpolitik)? Was sind die praktischen Wurzeln (oder: die ersten Anwendungsfälle) der mitteleuropäischen Demokratie?

• Ist Politik stärker durch (externe) Rahmenbedingungen geprägt oder durch den Willen von Politikern?

• Wird in Deutschland - wie Roman Herzog in der "Adlon-Rede" sagte - zu lange diskutiert und zu wenig entschieden? Wer benennt, was im Reform-Stau steht - und was nicht? Warum denken Politiker bei dem Begriff Reformstau zunächst an andere?

• Wenn im Einzelfall beides gleich richtige Ergebnisse brächte, was wäre vorzuziehen: Mitwirkung in Form direkter Demokratie oder Entscheidung in Form repräsentativer (vertretender) Demokratie?

• Ist Reichtum/Wohlstand eine Funktion von Demokratie? Ist Demokratie eine Funktion von Reichtum/Wohlstand?

• Sind Politiker eine Gruppe/Schicht (mit übergreifenden persönlichen Zielen und Interessen)?

• Ist Politik eine anerkannte Karriere-Chance? Wird gute/schlechte Politik belohnt? Wie? Gibt es eine nennenswerte Fluktuation bei Abgeordneten/Parteifunktionären? Werden Posten politischer oder gesellschaftlicher Mitwirkung typischerweise als dauerhafter Besitz angesehen? Sind die gesellschaftlichen Eliten festgefügt oder gibt es Lücken (gerade) für Neuerungs-willige Aufsteiger?

• Können die politischen Profile der Parteien durch eine gezielte Personalauswahl und durch parteiinterne Sozialisierungs- und Karrieremechanismen kontinuierlich reproduziert werden (mit der Folge, dass auch personelle Fluktuation die politischen Programme, Positionen und Ideen nur einem untergeordneten Evolutionsdruck aussetzen würde)? Oder haben politische Parteien einen notorischen Drang zur Selbstreform?

• Welche Sicherheit bietet eine ausgeprägt repräsentative, betont von den Bürgern distanzierte Demokratie gegen die rapide anwachsende Einflussnahme organisierter Kriminalität auf Politik?