Heiliger Hügel oder: Die Muschel in der Perle

Meinen Lateinlehrern, den begeisternden Herren Dr. Möllenhoff aus Minden und Dr. Krämer aus Leverkusen, und Herrn Prof. Dr. Heinz Hübner aus Köln, Initiator weit führender römisch-rechtlicher Seminare und Exkursionen.

Ein Berg, etwa ein halbes Jahrtausend, bevor sich Jesus erstmals verwundert die Augen reiben wird. Der Berg liegt ca. 3000 Schritt nordöstlich eines Fleckens, der dann zu Jesu Geburt der Nabel der westlichen Welt sein wird: Rom. Und den Berg nennen die Geschichtsschreiber mons sacer, heiliger Berg.

Oben ist ein Lager errichtet, befestigt mit einem ordentlichen Palisadenzaun und einem Graben drum herum, darin ein paar hundert Leute - vor allem Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren, einfache Männer, aber auch besser gekleidete, manche in prächtiger Rüstung. Alle freilich sind Römer, die von den Herrschenden naserümpfend als Plebejer bezeichnet werden, Einwohner, die nicht zu den alterwürdigen Geschlechtern zählen, Masse, die Volk und Stadt halt auffüllt. Plebs und plere, füllen, haben eine gemeinsame Wurzel.

Im Lager herrscht gespannte Ruhe. Fun-Faktor Null. Viele schauen angestrengt über die Palisaden nach Rom herüber. Aber außer Rauch der Feuerstellen ist über diese Distanz im Abendlicht nicht viel zu erkennen - auch dort offenbar Ruhe. Auf dem Berg werden erste Stimmen laut: "Es bringt nichts; weiß der Himmel, was da unten mit unseren Frauen und Kindern geschieht; lasst uns zurückgehen und unseren Frieden machen!" Andere halten dagegen: "Ohne oder gegen uns machen die gar nichts! Und die Versprechungen, die kennt ihr doch: Wenn sie uns für's Hauen und Schlagen brauchen, versprechen sie uns das Blaue vom Himmel. Aber wenn uns bei den ständigen Kriegen die Luft ausgeht, machen sie uns und unsere Familien zu Sklaven!" Und wieder andere, wahrscheinlich Junggesellen - oder Ehe-müde Bürger mittleren Alters: "Wir brauchen überhaupt nicht zurück zu gehen, nicht heute und niemals mehr. Wir gründen unsere eigene Stadt und sind unsere eigenen Herren." Als ein solcher Ableger war übrigens Rom einmal selbst entstanden.

Plötzlich Aufregung am Zaun: "Da kommen sie!" "Wie viele?" "Keine Panik, nur drei!" Eine Viertelstunde später ist die kleine Abordnung am Lager und wird - ohne Waffen - eingelassen. Den von zwei jungen Männern begleiteten Unterhändler erkennen die meisten sogleich: Menenius Agrippa, Mitglied des römischen Senates, Konsul vor neun Jahren - das war das Jahr 503 vor Christi Geburt - und ein Freund des Volkes. Dies lässt Shakespeare später in seinem Coriolanus von einem Bürger ausrufen ("Worthy Menenius Agrippa, one that hath always loved the people."). Das herzliche Verhältnis zu einem Patrizier ist die absolute Ausnahme und mag auch daran liegen, dass Menenius' Vorfahren Plebejer waren. So berichtet es Livius (Liber II 32, 8: "Placuit [patribus] ... mitti Menenium Agrippam, facundum virum et, quod inde oriundus erat, plebi carum."). Kleiner Widerspruch: die Agrippas waren bereits damals (!) ein altes Patriziergeschlecht; beste Erklärung: wahrscheinlich hatte ein früherer Agrippa eine fesche, reiche Plebejerin gefreit. Soll in den besten Familien vorgekommen sein - wurde aber bald danach verboten, dazu unten.

Der edle Menenius setzt sich also mit ans Feuer und erzählt eine Geschichte. Anfängliches Murren erstirbt; noch etwas Stirnrunzeln rings umher. Jetzt heitern sich die Mienen auf, unter heftigem Gestikulieren gehen ein paar Fragen hin und her. Befriedigtes Nicken, ein Handschlag schließlich. Alle packen ihre sieben Sachen und gemeinsam geht's den Berg hinunter "Soll'n wir die Palisaden abbauen?" "Nein, kommt, lasst ruhig stehen!" Und zurück nach Rom hinein.

Was zum Teufel war passiert? Was hatte Menenius bloß erzählt? Und warum hatten es alle gleich eingesehen? Menenius' Geschichte war ganz einfach und nicht einmal selbst gemacht. Sie ist altes kleinasiatisches Erzählgut und war schon vielfach sturmerprobt, wo das Unten das Oben in Frage stellen wollte. Oder wenn man unten witterte, was der österreichisch-amerikanische Ökonom Schumpeter einige Roms später einmal so fassen sollte: „Eigentum und Erbrecht sind das Festwerden sozialen Erfolges.“ Menenius hatte die Fabel vom Magen und den Gliedern präsentiert, den Klassiker unter den Polit-Fabeln, und diese Fabel geht so (wiedergegeben in der von Livius unter II 32, 9-11 reportierten Form; Übersetzung nach Hillen, Titus Livius, 2. Aufl. 1997, S. 233 - 235):

„Tempore quo in homine non ut nunc omnia in unum consentiant, sed singulis membris suum cuique consilium, suus sermo fuerit, indignatas reliquas partes sua cura, suo labore ac ministerio ventri omnia quaeri, ventrem in medio quietum nihil aliud quam datis voluptatibus frui;

conspirasse inde ne manus ad os cibum ferrent, nec os acciperet datum, nec dentes quae acciperent conficerent.

Hac ira, dum ventrem fame domare vellent, ipsa una membra totumque corpus ad extremam tabem venisse. Inde apparuisse ventris quoque haud segne ministerium esse, nec magis ali quam alere eum, reddentem in omnes corporis partes hunc quo vivimus vigemusque, divisum pariter in venas maturum confecto cibo sanguinem.”

"Zu der Zeit, als im Menschen nicht wie jetzt alles im Körper miteinander im Einklang war, sondern von den einzelnen Gliedern jedes für sich überlegte und für sich redete, hätten sich die übrigen Körperteile darüber geärgert, dass durch ihre Fürsorge, durch ihre Mühe und Dienstleistung alles für den Bauch getan werde, dass der Bauch aber in der Mitte ruhig bleibe und nichts anderes tue, als sich der dargebotenen Genüsse zu erfreuen.

Sie hätten sich daher verschworen, die Hände sollten keine Speise mehr zum Munde führen, der Mund solle, was ihm dargeboten werde, nicht mehr aufnehmen und die Zähne sollten nicht mehr kauen.

Indem sie in diesem Zorn den Bauch durch Hunger zähmen wollten, habe zugleich die Glieder selbst und den ganzen Körper schlimmste Entkräftung befallen. Da sei dann klar geworden, dass auch der Bauch eifrig seinen Dienst tue und dass er nicht mehr ernährt werde als dass er ernähre, indem er das Blut, von dem wir leben und stark sind, gleichmäßig auf die Adern verteilt, in alle Teile des Körpers zurückströmen lasse, nachdem es durch die Verdauung der Nahrung seine Kraft erhalten habe."

Wir bedienen uns noch heute dieser Bilder: Unser Staat ist gegliedert, er handelt durch eigenständige Organe, die meist mehr können und dürfen als wir Bürger, dabei nicht zu vergessen den Arm des Gesetzes. An der Spitze steht ein Staatsoberhaupt (mit allerdings eher frustrierend dünnem Auftrag) und die wichtigste Stadt ist eine Hauptstadt oder Kapitale. Auch religiöse Gemeinschaften rechtfertigen ihre Struktur gerne mit einem Körper-Vergleich: z.B. die christliche Gemeinde unter Verweis auf den Leib Jesu.

Als 14-jähriger habe ich die Geschichte vom Magen und den Gliedern in meinem Lateinbuch lesen dürfen/müssen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Plebejer wären verladen worden. Warum hatte keiner gerufen: "Wir sind der Magen!" Oder, etwas hinterlistiger: "Bleibt der Magen, wenn ihr unbedingt wollt. Dann machen wir halt den Kopf!" Oder, nachdenklicher: "Der Körper stirbt, wenn er sich nicht mehr wandelt!" Das eingängige Natur-Gleichnis hätten die Plebejer auch pathetisch in gleicher Münze zurückzahlen können: "Welch' Hochmut, dass die Welle denkt, ihr Wasser wär' auf immer oben!"

Immerhin war die Strategie des Menenius deutlich kommunikativer als die von Friedrich Wilhelm, dem Kurfürsten von Brandenburg (bekannt als der Große Kurfürst) im 17. Jahrhundert nach Christi Geburt. Jener war ein ambitionierter Herrscher, der seine Macht durch militärisches Engagement und listig wechselnde Allianzen stetig ausdehnte, und ein ambitionierter Reformer (Technokrat, würde man heute sagen), der in seinem aufstrebenden Land z.B. 1650 einen Postdienst organisierte und in dessen Berlin 1661 die erste Zeitung aufmachte. Mit widerständigen Untertanen zu sprechen, denen das alles zu schnell ging, zu gewaltsam oder einfach zu unerklärt, war nicht sein Ding. Er beschied sie einfach:

"Es ist dem Untertan untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen."

Aber Rom war nicht Berlin.

 

Die Lage

In welchem Umfeld spielte sich ab, was als die secessio plebis in montem sacrum in die Geschichte einging, also als Auszug des römischen Volkes auf den heiligen Berg, und was als erster größerer und - wie wir noch sehen werden - sogar recht erfolgreicher Streik gelten kann? Exkurs: Auf der Titelseite des Handelsblattes sah ich vor kurzem die Überschrift "Käuferstreik am Neuen Markt". Ich hatte es noch gar nicht recht realisiert: Die von der Talfahrt der hochgelobten Technologie-Werte verunsicherten Klein-Anleger müssen in der letzten Zeit irgendeiner rechtlichen oder moralischen Spekulationspflicht zuwidergehandelt haben! Jetzt aber wieder zurück nach Rom und 2,5 Kilo-Jahre in die Vergangenheit, wo es noch andere Sorgen gab.

Zunächst einmal ein paar Worte zum vermutlichen Wahrheitsgehalt der Überlieferung. Wir lesen die frührömische Geschichte in Aufzeichnungen im Wesentlichen von der Zeitenwende, wie etwa bei Livius, in Aufzeichnungen, die wiederum aus anderen, teilweise widersprüchlichen Quellen schöpfen. Um schriftliche Geschichte war in der alten römischen Zeit niemand sehr bemüht - da hatten die Griechen mit Thukydides zur etwa gleichen Zeit schon ein anderes Kaliber hervorgebracht - und selbst die "besseren Römer" werden zum größten Teil Analphabeten oder jedenfalls - mangels Post, Zeitung und Bertelsmann - keine geübten Leser und Schreiber gewesen sein. Die alten Römer haben ihre virtus eher in der Praxis, am Handeln hier und jetzt entwickelt als an feinsinnigen Betrachtungen über den Lauf der Dinge. Was wir über sie lesen, müssen wir verstehen als ein Bild einer frühen Zeit, das nur in Reflektionen mehrerer leicht verbeulter und teils matter Spiegel zu uns gelangt. Auch die Jahreszahlen und selbst die Abfolge der Ereignisse sind nur Ergebnis späteren Zusammenreimens. Trotzdem sollte man diesen Teil der römischen Geschichte nicht ins Reich der Märchen und Fabeln einordnen. Wo eine Kultur des Schriftlichen (noch) fehlt, kann dies durch eine mündliche Überlieferung mehr als kompensiert sein und anders als bei der zerteilenden, auswählenden Aufbewahrung von Texten und offiziellen Dokumenten sogar zu einer stärkeren Ausbildung eines gemeinsamen Bewusstseins des Volkes führen. Immerhin verblüfft, dass der viel später lebende Livius noch deutliche Sympathien für die Plebejer äußert; das wäre nicht der Fall, wenn die frühen Patrizier ihre Sicht der Geschichte verbrieft und besiegelt hätten. Also: Wenn auch Ort und Zeit nicht genau festzulegen sein werde, halte ich den Kern der Geschichte für wahr und für ein zu Recht prägendes Ereignis römischer Geschichte.

Der Auszug der plebs wird auf das Jahr 494 vor Chr. datiert und damals führten beileibe nicht alle Wege nach Rom. Tatsächlich waren die benachbarten etruskischen Städte wie etwa Veji deutlich größer; die von Rom beherrschte Fläche betrug weniger als 15 Quadratkilometer und die Bevölkerung wohl nicht mehr als 10.000 - 15.000 Menschen (Alföldi, Römische Sozialgeschichte, 3. Aufl. 1984, S. 17). Zum Vergleich: zur Zeit der größten Ausdehnung brachte es Rom in der Kaiserzeit auf ca. 70 Millionen Menschen in einem Gebiet von 3,5 Millionen Quadratkilometern.

Rom hatte gerade eine einschneidende Umwälzung hinter sich: Man hatte die Herrschaft des letzten - etruskischen - Königs abgeschüttelt. Die Geschichte hat ihm mit Tarquinius Superbus einen wohl etwas pateiischen Namen angehängt. So schlimm wird er gar nicht gewesen zu sein, meint z.B. Joachim Fernau der in "Cäsar lässt grüßen" u.a. die Zeit des Staatstreichs ebenso einfühl- wie unterhaltsam kommentiert (1971, S. 20-33). Folge jedenfalls: Rom firmierte seit dem Jahre 509 vor Chr. als Republik. Hatte die erfolgreiche Revolte gegen den König gestärkte Mitwirkungsrechte der breiten Bevölkerung zur Folge oder auch nur zum Ziel? Weit gefehlt! Sie war von den Patriziern angezettelt, natürlich ihnen zum Nutzen und dürfte die Lage des einfachen Volkes eher verschlechtert haben: Die Lage der einfachen Bevölkerung scheint sogar infolge einer umfassenden Handhabung harter Schuldgesetze und einer brutalen Aushebungspraxis bei den allfälligen kriegerischen Auseinandersetzungen verzweifelt gewesen sein und härter als in der Königszeit. Ein praktisches Beispiel, das zumeist nur als Ausweis der umfassenden Macht des Familienoberhauptes, des pater familias aufgetischt wird: Ein Römer konnte seine Kinder bis zu dreimal (!) in die Sklaverei verkaufen (dreimal, weil er sie jeweils wieder freikaufen durfte). Tatsächlich war dies eine Art Pfandknechtschaft: Gerade die armen Teile der Bevölkerung konnten nichts anderes als Kreditsicherung einbringen als ihre Familienangehörigen oder sich selbst. Die besseren Kreise haben auch dies zur stetigen Vermehrung ihres Landbesitzes, Reichtums und Einflusses zu nutzen gewusst. Livius erwähnt, dass gerade vor und zur Zeit der secessio die Wucherer ein Unwesen führten (Livius II 31, 7). Anmerkung: Das Problem der Schuldgesetze hat die gesamte römische Republik begleitet und zu bürgerkriegsartigen Krisen geführt, die Rom mehrfach in den Abgrund hätten treiben können.

Zu der secessio kam es aber erst durch ein Zusammentreffen ganz unterschiedlicher plebejischer Interessenlagen: Gleichzeitig mit dem Wachsen der Sorgen des ärmsten Teils der Bevölkerung hatte ein anderer Teil der Plebejer an kriegs-taktischer Bedeutung gewonnen. Die archaische Kriegführung des berittenen Adels (des ordo equester) hatte sich in den Feldzügen gegen das stark befestigte Veji und gegen die Bergstämme als nicht mehr ausreichend erwiesen. Die entscheidende Rolle in der neuen Kampftaktik kam nun den schwer gepanzerten Formationen der Infanterie zu (zwei Jahrtausende später wird sich dieser Prozess wiederholen). Diese Eliteeinheiten wurden von den reicheren Plebejern gestellt und mit der militärischen Stärke stiegen das Selbstbewusstsein und die politische Aktivität, ähnlich wie ab dem 7. vorchristlichen Jahrhundert die demokratische Entwicklung in Griechenland mit der Herausbildung der Hoplitenpoliteia eingeleitet worden war (Alföldy a.a.O. S. 23).

Gleichzeitig hatte sich die vorher offenere Schnittstelle zwischen Patriziern und Plebejern geschlossen; neue Familien wurden nicht mehr in die Oberschicht aufgenommen; die letzten newcomer scheinen i.J. 506 vor Chr. die aus der zugewanderte Sippe des sabinischen Claudius gewesen zu sein. Und im Zwölftafelgesetz von 450 vor Chr. wurde die Trennung von Tisch und Bett sogar amtlich: Die Ehe zwischen beiden Gruppen wurde ausdrücklich verboten. Was man mit Recht alles anstellen kann.

Zum Geschehen am mons sacer: Vor der secessio des Jahres 494 war unter dem Diktator Valerius ein römisches Heer ausgerückt, aber mit leichter Verzögerung: erst nach ausdrücklich geforderten - und auch von den Patriziern erklärten - Versprechen gerichtet auf größere Mitwirkungsrechte für reiche Plebejer und bessere Schutzrechte für die Armen. Bei der Rückkehr aber war das Versprechen nicht eingehalten worden. Jener Valerius war übrigens ein ganz sympatischer Diktator, der entsprechend römischer Praxis ad hoc wegen Bedrohung des Vaterlandes für den Feldzug eingesetzt war. Valerius war nach Erledigung des Jobs sofort zurückgetreten und hatte sich sogar wegen des Wortbruchs der Patrizier bei den Plebejern entschuldigt. Danach soll der plebejische Teil des Heeres auf den heiligen Berg (nach anderen Quellen auf den Aventin-Hügel Roms) gezogen sein und dort in abwartender Position verharrt haben. Zum Streik des Volkes hat damit die Summe aus Ambitionen der reichen und aus ganz handhaften Ängsten der ärmeren Plebejer geführt. Anmerkung zum Begriff secessio plebis: Es ging, wie wir sahen, nicht um das gesamte einfache Volk in unserem Sinne mit Mann und Frau, Greisen und Kindern, sondern um den wehrfähigen Teil des Volkes - was aber nach damaliger Sicht mangels politischer Wahrnehmung insbesondere der Weiblichkeit keinen Unterschied machte.

 

Die Muschel in der Perle

Die Geschichte von Magen und Gliedern, die manchen vielleicht als die Perle erscheint, ist eigentlich die Nebensache. Menenius hatte die Fabel nur als Türöffner benutzt, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen und für diese Klugheit wurde er von Livius bewundert. Keineswegs wollte er auf eine dauerhafte Arbeits- und Lastenteilung nach Art des status quo in der römischen Gesellschaft hinaus. Sonst hätte er nach der Vorgeschichte wohl auch keinen Erfolg haben können. Nur seine erste Botschaft war daher: "Zwietracht macht schwach." Tatsächlich hatte er einige Kernelemente der späteren römischen Verfassung im Marschgepäck und es würde mich gar nicht wundern, wenn sie auf seine persönliche Initiative im Senat zurückgegangen wären.

Eigentlich sehen wir hier bei der Herstellung des Tafelsilbers europäischer Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu. Es ist eben nur nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Perle: Das ist nur das Glatte, das Elegante, die perfekte Form der Rhetorik unseres Menenius. Aber die Perle transportiert hier einen ganz nüchternen, erdigen Inhalt. Das meine ich mit der – sonst umhüllenden – Muschel. Menenius hat die Plebejer nicht einfach um den Finger gewickelt oder verladen, sondern er hat mit ihnen etwas sehr Dauerhaftes ausgehandelt. Vielleicht hatten ihn seine auch plebejischen Wurzeln dafür besonders einfühlsam gemacht.

Im historischen Ergebnis war es eine für Rom und Europa entscheidende Verfassungsreform, die er anbahnte: Die Öffnung der Staatsführung gegenüber den Plebejern durch das wählbare Volkstribunat (s. Alföldy a.a.O. S. 23), ein Appellations- und Interzeptionsrecht bei unangemessener Inanspruchnahme durch den Staat – damals durch den Senat bzw. die Nobilität, etwa im Zusammenhang mit den Kriegen zur Konsolidierung des jungen Rom. Das ist eine Keimzelle des Menschenrechtsschutzes und der Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols gegen Willkür, ein Vorläufer der magna charta und letztlich des Grundrechtsabschnitts unserer Verfassung, auch des Art. 19 GG. In der weiteren Entwicklung wurde das Recht durch regelmäßige schriftliche Niederlegung, Klageformeln und festgelegte Gerichtsverfahren objektiviert – der Weg zum besonderen Schutz des römischen Bürgers, damit auch zu einer ersten Rechtsstaatlichkeit. Nun mag man auch einwenden, das Volkstribunat habe – gerade in der Spätzeit der Republik, etwa bei den Gracchen – massive gesellschaftliche Spannungen und am Ende den Kollaps der überlieferten Staatsform verursacht. Aber dies war vielmehr ein Reflex wieder stark verhärteter Fronten zwischen Adel und Volk und einer brisant wachsenden sozialen Frage, diesmal weniger durch die Kriege selbst, als in Folge einer aufgeblähten Sklavenwirtschaft und der ungehemmten Konzentration von Land in den Händen der Patrizier und der in die Oberschicht aufgerückten Ritter.

In jedem Fall weist der Weg des Menenius weit über die in späteren Jahrhunderten kunstvoll gedrechselte Verbrämung gesellschaftliche Schichtung hinaus, etwa durch das Gottesgnadentum. Und er gibt den Bürgern – als Gegenwert für ihr Engagement für den Staat – individuelle Rechte. Also: Menenius for president!