12 Thesen zur militärischen und demokratischen
Mündigkeit von uns Bürgern
Vor der 1994er Wahl haben wir versucht, die wesentlichen Argumentationszüge zur Erweiterung der Aufgaben der Bundeswehr nachzuvollziehen und zusammen zu fassen. Wir haben das Thesenpapier, das in einer ersten Fassung Vorbereitung für eine Podiumsdiskussion in Burscheid im Herbst 1993 war, 1994 an alle Bundestagsabgeordneten geschickt. Einige der Annahmen des Papiers haben sich als sehr richtig erwiesen, z.B. die Zunahme totalitärer und fremdenfeindlicher Umtriebe in der Bundeswehr. Das Thesenpapier ist nach wie vor aktuell. Und es sind noch ein paar nette Bilder dabei.
Kuwait, Bosnien, Somalia und danach
12 Thesen zum Unterschied zwischen militärischer und demokratischer Mündigkeit
der Bürger und eine Bitte zur Belebung der Diskussion
These 1: Demokratischer Kurzschluß
These 2: Grundüberzeugung der Beschränkung auf Verteidigung
These 3: Natürliche Erkenntnisgrenzen
These 4: Etikett UNO
These 5: Vom Zauberlehrling
These 6: Menschenrechte und Realpolitik
These 7: Souveränität und Gruppenzwang, Rechte und Pflichten
These 8: NATO-ABM, deutsche Ambitionen und Chancen
These 9: Bundeswehr und Fremdenlegion in einem
These 10: Berufssoldaten - und der vergoldete Marschbefehl
These 11: Mut
These 12: Menschlichkeit
Die Bitte
Wir hoffen, daß unsere Thesen die gesellschaftliche Diskussion anregen. Wir bitten, pro und contra im Rahmen von Schulen, Hochschulen, Kirchen, Parteigremien und Gemeinden intensiv zu erörtern. Tragen Sie die Ergebnisse weiter! Kritische wie unterstützende Rückmeldung hilft uns und jede einzelne Antwort ist wichtig.
Burscheid, Mai 1994
Cornelia Lukas-Voss u. Dr. jur. Karl Ulrich Voss
Kuckenberg 34, 51399 Burscheid Tel. 02174 - 8791
These 1: Demokratischer Kurzschluß
Bei der Erweiterung der Aufgaben der Bundeswehr über den Verteidigungsauftrag hinaus haben die Parteien die Bürgerinnen und Bürger nicht eingebunden.
Demokratie besteht nicht abschließend aus dem geordneten Zusammenwirken von Verfassungsorganen. Dieses Zusammenwirken ist ein wichtiger, aber in erster Linie formaler Aspekt. Das Wesen der lebenden Demokratie und die grundsätzliche Überlegenheit gegenüber totalitären Systemen liegt in der Möglichkeit, die Mitwirkung der betroffenen Bürger zu organisieren und damit inhaltlich bessere und langfristig mitgetragene Lösungen zu finden.
Wenn unser Staatswesen nicht als real existierende Demokratie dahindämmern soll, stehen der politischen Elite zur Abänderung von Elementen des bisherigen gesellschaftlichen Grundkonsenses nur zwei Wege offen - unabhängig von dem unter Politikern schon erreichten Zustimmungsgrad:
Zumindest muß sie die zu ändernde Grundposition im Wahlkampf zur Diskussion und Abstimmung stellen. Dies ist im letzten Bundestagswahlkampf unterlassen worden, trotz damals bereits grundlegend gewandelter außenpolitischer Rahmenbedingungen. Aber auch im aktuellen Wahlkampf soll die Frage nach Ernst zu nehmenden Äußerungen aus Koalition wie Opposition nicht berührt werden, jedenfalls aber auf die inzwischen nur mehr graduellen Unterschiede der Parteipositionen beschränkt bleiben.
Noch geeigneter zur Willensbildung der Bürger in dieser grundlegenden Frage wäre die Organisation einer breiten öffentlichen Debatte unter Einbeziehung der gesellschaftlich bedeutenden und betroffenen Gruppen, z.B. der Orts- und Landesparteien, der Kirchen, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und der Hochschulen. Ein Kernelement wäre auch die Diskussion in der Bundeswehr selbst, deren Angehörige sich zu einer fundamental veränderten Verpflichtungsgrundlage bekennen müssen. Eine solche Debatte haben die Parteien bisher nicht organisiert, bestenfalls vereinzelte Diskussionsveranstaltungen für einen jeweils kleinen, teils spezialisierten und nicht repräsentativen Zuhörerkreis.
Die großen Parteien haben vielmehr den demokratischen Prozeß kurzgeschlossen. Beide haben sich - bei noch verbleibenden graduellen Unterschieden - grundlegend von der bisherigen Wehrdoktrin entfernt. Zum gemeinsamen Nenner zählt schon heute der Einsatz der Bundeswehr außerhalb von Verteidigung, sofern nur mit Auftrag der UNO. Dieser Auftrag braucht nicht humanitärer Natur zu sein, auch nicht - dies wird bisweilen verkannt - nach Forderung der SPD. Bereits vorher hatte die Regierung durch schrittweise erweiterte militärische Aktionen und außenwirksame Angebote die Fakten und Erwartungen geschaffen, aus denen sodann ein schnell wachsender Handlungszwang abgeleitet wurde.
Eile und Hast kennzeichnen den Ablauf, aber man bedenke, wieviel Zeit seit der Planung des Adria-Einsatzes des Zerstörers "Bayern" vor zwei Jahren für eine ernsthafte öffentliche Debatte zur Verfügung gestanden hätte - hätten die Parteien ihre Bürger nur für mündig genug gehalten.
In anderen Worten: Die Bundeswehr und ihre Aufgaben brauchen die Zustimmung der Bürger - gerade in Zeiten grundlegenden Wandels. Zustimmung wächst aber nur aus beiderseitiger Kommunikation und demokratischer Mitgestaltung. Von einer Beteiligung der Bürger können sich die Parteien daher auch nicht durch Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht befreien lassen.
These 2: Grundüberzeugung der Beschränkung auf Verteidigung
Die Beschränkung der Bundeswehr auf Verteidigungsaufgaben zählt zu den Eigenschaften, die der Bundesrepublik Profil verleihen, und zum langjährigen gesellschaftlichen Grundkonsens. Ohne diese Beschränkung werden die Bürger in ihren zentralen Rechten für den Staat verfügbar. Dies verletzt die vom Grundgesetz unabänderlich geschützte Menschenwürde.
Der Verzicht auf den Einsatz bewaffneter Kräfte außerhalb der Landes- oder Bündnisverteidigung ist das Ergebnis zweier für Deutschland und die Welt verheerender Kriege. Der Verzicht ist erworben und erkauft unter ungeheuren nationalen Verlusten an Menschen und Land. Er hat daher einen hohen inneren "Wert".
Daß in diesen Konflikten andere Nationen ihr Militär zur eigenen Rettung oder zur Rettung Verbündeter eingesetzt haben und daher noch heute das Militär positiver ansehen als wir, ist historisch verständlich. Dies stützt aber nicht den Sinn von Militär außerhalb von Verteidigungskriegen.
Der für die Bürger entscheidende Unterschied ist: Im Verteidigungsfall ist eindeutig und für jeden überprüfbar, aus welchem Anlaß junge Bürger ihr individuelles Lebensrecht in die Verfügung des staatlichen Schutzverbandes stellen sollen - und ihrerseits gegen andere Menschen Gewalt üben sollen. Dagegen ist in allen von Verteidigung verschiedenen Fällen die Einsatzentscheidung ein Ergebnis komplexer Interessenabwägung. Deren tatsächliche Grundlagen können wie im Falle des Kuwait-Konflikts geheimgehalten, nicht überprüfbar oder sogar trügerisch sein. Die Bürger werden unter Bedrohung ihrer wesentlichsten Rechte, derjenigen auf Leben und körperliche wie psychische Unversehrtheit, zum Objekt und verfügbaren Werkzeug der Politik. Dies widerspricht der vom Grundgesetz unabänderlich verbürgten Menschenwürde.
These 3: Natürliche Erkenntnisgrenzen
Bei dem Versuch, Krisenlagen und Krisenverantwortlichkeiten objektiv zu analysieren und angemessene Gegenstrategien zu entwerfen, können folgenschwere Fehleinschätzungen aller Erfahrung nach nicht ausgeschlossen werden.
Zur Illustration zunächst eine beliebte Erklärung zum deutschen Einigungsprozeß: Der anfänglich vorausgesagte rasche wirtschaftliche Frühling in den neuen Bundesländern habe sich insbesondere deshalb nicht eingestellt, weil die Produktionsbasis der ehemaligen DDR noch erheblich verrotteter gewesen sei, als man zunächst habe annehmen können.
Die hier - als Entschuldigung - zugegebene Fehleinschätzung offenbart die Grenzen objektiver Analyse komplexer sozialer Verhältnisse selbst bei enger Nachbarschaft, hoher kultureller Übereinstimmung und systematischer langjähriger Aufklärungsarbeit.
Ungleich höhere Anforderungen und Fehlerrisiken sind aber mit der Bildung einer Lage und eines Entwicklungsmodells für einen geographisch und kulturell weit entfernten Konflikt verbunden, möglicherweise noch weiter erschwert durch ethnische Interessenlagen und fortschreitende staatliche Zerrüttung. Eine entsprechende Fehleinschätzung hat sich trotz der traumatischen Erfahrungen in Vietnam in Somalia nicht vermeiden lassen - daher möchten wir die Hoffnung, bei künftigen Konfliktfällen die Lage entscheidend präziser beurteilen zu können, als Wunschdenken bewerten.
Es kommt hinzu, daß die Staaten wie deren Bürger Adressaten professioneller Desinformation sind. Wir erinnern uns an die Berichte über einen Massenmord an kuwaitischen Säuglingen in den Anfangstagen der irakischen Invasion. Die unter tatkräftiger Mitwirkung einer international operierenden Agentur für Öffentlichkeitsarbeit (Hill & Knowlton, Washington) verbreitete Greuelgeschichte wurde einige Zeit später und mit erheblich geringerem Presseecho dementiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Rechnung bereits aufgegangen und die Intervention angelaufen. Dieser Sachverhalt und allgemein die Beschränkung und Verfälschung der Information im Golf-Konflikt sind heute nüchtern dokumentiert (John MacArthur, Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, 1992). Auch die Unparteilichkeit der Berichterstattung im Jugoslawien-Konflikt ist in ernsten Streit geraten (vgl. die irritierende Kontroverse zwischen Peter Brock und Roy Gutman in der Züricher Weltwoche v. 20.01. u. 10.02.1994; man erinnere sich auch an das verharmlosende Bild der bosnisch-kroatischen Volksgruppe, das insbesondere in Deutschland lange Zeit vorherrschte).
Der amerikanische Senator Hiram Johnson hat im Jahre 1917 gesagt: "Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit." Im damaligen Krieg waren i. Ü. deutsche Verbände bestialischer Verbrechen gegen belgische Frauen und Kinder bezichtigt worden - um dritte Staaten zu raschem Eingreifen zu bewegen. Was wir sehen (sollen) ist nicht notwendig das, was ist.
These 4: Etikett UNO
Die UNO bürgt in ihrer gegenwärtigen Struktur nicht für unparteiliche Entscheidungen. Vielmehr reflektiert sie die von den westlichen Administrationen formulierten Interessen.
Mit zunehmender wirtschaftlicher Abhängigkeit anderer Länder, auch der mit großen ökonomischen Problemen konfrontierten Sicherheitsratsmitglieder Rußland und China sind die Administrationen der westlichen Industriestaaten und deren Interessen der dominierende Faktor der UNO. Realistisch ist anzunehmen, daß Entscheidungen des Sicherheitsrates im Wege des Gebens und Nehmens gefunden werden. Die bisherigen UN-Engagements wurden bereits als Strafaktionen des Westens charakterisiert.
Eine ernüchternde Ergänzung für die Befürworter humanitärer Operationen der UNO: Die UNO ist als Zusammenschluß von Staaten kein natürlicher Verbündeter ethnischer und damit potentiell auf Selbstbestimmung und staatliche Eigenständigkeit gerichteter Bewegungen. Es tritt hinzu: Wie die nationale Öffentlichkeit ist die internationale Öffentlichkeit und auch die UNO leichtes Opfer taktischer Desinformation.
Ob und wie eine unparteiliche und uneigennützige Entscheidung eines UNO-Gremiums auf verläßlicher Tatsachenbasis organisiert werden kann, können wir nicht sagen. Ohne eine entsprechende Instanz jedoch - oder in naiver Hoffnung auf eine baldige fundamentale Umgestaltung der UNO - ist eine Unterstellung deutscher Einheiten nicht zu verantworten.
Sind Konflikte durch eigene Handlungen oder durch Geschäfte zum Nutzen der eigenen Wirtschaft verursacht oder angefacht worden, ist die gewaltsame Beilegung moralisch besonders fragwürdig - und es ist den Untertanen nicht zumutbar, die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Beispiel 1: Nach Beurteilung vieler ausländischer Politiker und Beobachter hat eine unbedachte und mit den Verbündeten nicht abgestimmte frühe Anerkennung von Nachfolgestaaten Jugoslawiens durch die Bundesrepublik - die Bundesregierung mag ihren Beitrag anders verstehen - wesentlich zur Eskalation der Grausamkeiten beigetragen.
Beispiel 2: Saddam Hussein wurde vor der Kuwait-Invasion versehentlich oder sogar gezielt in dem Eindruck bestärkt, die USA betrachteten Kuwait nicht als unmittelbares Interessengebiet. Unmißverständliche Beistandserklärungen blieben aus, auch angesichts des unmittelbar bevorstehenden Überfalls. Keine der möglichen Erklärungen des Ablaufs - schlichter Dilettantismus oder bewußte Förderung der Eskalation, ggfs. mit dem Fernziel einer Demontage Saddams - kann unser Vertrauen stärken.
In beiden beispielhaft genannten Konflikten haben massive Lieferungen und technologische Hilfe des Westens und auch der Bundesrepublik - heute der drittgrößte Waffenexporteur der Welt - die Kriegsgegner gestärkt.
Um so verblüffender und zynischer erscheinen in diesem Zusammenhang aktuelle Aufrufe, den Export deutscher Waffen weiter zu erleichtern. Hätten sich deutsche Soldaten im Kuwait-Konflikt mittels üppig honorierter deutscher Ingenieurkunst ins Jenseits befördern lassen sollen?
These 6: Menschenrechte und Realpolitik
Die erweiterte militärische Option ist nicht geeignet, ethnische Konflikte dauerhaft zu heilen. Der Schutz von Menschenrechten ist ein werbewirksames, aber realitätsfernes Motiv.
Militärische Einsätze ohne unmittelbaren Verteidigungscharakter lassen sich grob unterscheiden nach im Schwerpunkt uneigennützigen Missionen (humanitäre Hilfe, ggfs. Gewährleistung der Ausübung v. Menschenrechten bzw. staatlicher oder ethnischer Unabhängigkeit), und im wesentlichen egoistischen Missionen (Sicherung von eigener Rohstoffbasis, von Absatzgebieten und Einflußzonen, weit vorgeschobene militärische Vorfeldsicherung, Erhaltung des nationalen Ansehens und Drohpotentials).
Soweit es durch Meinungsumfragen belegt ist, gibt es in der deutschen Bevölkerung eine nennenswerte Unterstützung ausschließlich für Einsätze aus den zuerst erwähnten uneigennützigen Gründen, die auch die - karge - öffentliche Diskussion beherrschen. Dies gibt Anlaß zu dem Versuch einer nüchternen Antwort auf die Frage, welche der beiden Gruppen von Motivlagen einen künftigen Eingriff nach höherer Wahrscheinlichkeit auslösen werden und - eine wesentliche Voraussetzung dafür - wie die jeweiligen Erfolgsaussichten sind:
Einzuräumen ist zunächst, daß von außen einwirkende Gewalt unter günstigen Umständen ethnische Konflikte zeitweise zum Stillstand bringen kann. Sie kann in einer ersten Phase auch das Gewissen der Eingreifenden beruhigen, da sie deren Passivität beendet. Gerade der ehemalige Ostblock zeigt aber drastisch, daß ungelöste ethnische Konflikte nach Wegfall des äußeren oder inneren Drucks auch noch nach Jahrzehnten ohne sichtbare Alterungserscheinungen wieder ausbrechen, teilweise sogar verstärkt durch die als ungerechtfertigt oder parteilich empfundene Einmischung. Dieses Muster ist uns seit langem - fortlaufend aktuell - aus dem nachkolonialen Afrika bekannt und aus den verschiedensten Brennpunkten anderer Kontinente. In Dimensionen von Jahrzehnten ist daher zu denken, wenn wir den "sicheren Einschluß" eines ethnischen Konflikts ins Auge fassen. Zudem bergen ethnische Konflikte aus aktueller Erfahrung das sehr hohe Risiko, daß sich die Eingreifenden bereits frühzeitig von interessierten Beteiligten provozieren lassen, sogleich als Partei in die Kampfhandlungen verstrickt werden und damit jede Vermittlerfunktion einbüßen.
Jugoslawien ist Katalysator der Meinungsbildung in Deutschland geworden. Dabei ist und war es bei einigermaßen objektiver Bewertung als Ziel einer unmittelbaren deutschen militärischen Operation völlig ungeeignet: aus deutscher Sicht wegen historischer Verstrickung, die ihrerseits aktuell konfliktverstärkend wirken muß, und schon generell wegen einer taktisch schwierigen Landes-, Siedlungs- und Bevölkerungsstruktur. Tatsächlich wurde in Bosnien ein unmittelbarer militärischer Eingriff dritter Staaten erst zu einem Zeitpunkt näher erwogen, als die Serben ihre mit menschenverachtenden Mitteln durchgesetzten taktischen Ziele im wesentlichen erreicht hatten und plötzlich das Ansehen bzw. das Drohpotential der UNO, der NATO und der westlichen Demokratien insgesamt auf dem Spiel standen. Gerade hier läßt sich erkennen, wie hoch die Eingriffsschwelle für im Kern humanitäre Missionen in der Wirklichkeit ist.
Im Falle Somalias mag man angesichts seiner strategischen geographischen Lage und seiner als bedeutend eingestuften Bodenschätze (Erdöl, Uran) bereits an ausschließlich humanitären Zielen der Eingreifenden zweifeln. Jedenfalls konnten die Erwartungen vollständiger und dauerhafter Befriedung nie erreicht werden. Entscheidender noch für unsere Prognose aber ist die realpolitische Lehre des amerikanischen Präsidenten im Zusammenhang mit dem Abbruch dieser Intervention: militärische Missionen kommen in Zukunft nur noch bei tiefgreifender Bedrohung der Sicherheit bzw. der wohlverstandenen Interessen der Eingreifenden in Betracht. Dies hat Niederschlag gefunden in der Presidential Decision Directive No. 25 aus dem Mai 1994, die sich außerdem gegen internationale Einheiten der UNO und jede Unterstellung von Truppen der USA unter einen Oberbefehl der UNO ausspricht. Damit wird ein uneigennütziger, rein humanitär zu begründender Einsatz noch unwahrscheinlicher.
Kambodscha droht nach Wiedererstarken der Roten Khmer ins Chaos zurückzufallen.
In Ruanda ist ein schwelender ethnischer Konflikt jäh umgekippt in einen bestialischen Bürgerkrieg, der in kurzer Zeit ein Vielfaches der im ehemaligen Jugoslawien zu beklagenden zivilen Opfer gefordert hat. Der Sicherheitsrat hat die dort stationierten UNO-Soldaten vorsichtshalber von vorher 2.500 auf 300 reduziert. Sollte die UNO in Somalia wieder Flagge zeigen, dann mit einer Verspätung von ca. 500.000 Toten. Eine in Ruanda beliebte Waffe ist übrigens das gute alte G3.
Jemen dürfte das nächste Beispiel der neuen Dominotheorie sein: Länder der dritten Welt, die sich im internationalen Vergleich beschleunigt nach unten "entwickeln", zunehmend sozial destabilisiert werden und schließlich in einen Bürgerkrieg stürzen, in dem nur eines im Überfluß vorhanden ist: Waffen aus den ersten Welten.
Eine Anmerkung zur Rettung europäischer Bürger und insbesondere der Mitarbeiter der Deutschen Welle aus Ruanda: Wir halten die Evakuierung eigener Staatsbürger für ein berechtigtes staatliches Interesse, das einer eindeutigen internationalen Regelung bedarf. Aber sie ist - schon angesichts der Reiselust der Deutschen - keine taugliche Rechtfertigung von Auslandseinsätzen im allgemeinen. Hervorhebung verdient zudem, daß die Lage in Ruanda schon seit Beginn des Jahres deutlich eskalierte und der späte Zeitpunkt der Evakuierung zur Gefährdung des Personals der Deutschen Welle unverantwortlich beigetragen hat.
Panama, Grenada und Kuwait stehen für erfolgreiche Interventionen, allerdings weniger für die beherzte Förderung humanitärer oder demokratischer Verhältnisse in den jeweiligen Ländern.
Die Konsequenz der obigen Betrachtung müßte vor allem diejenigen aufmerken lassen, die der Friedensbewegung erst kürzlich den Rücken gekehrt haben: Der bei weitem wahrscheinlichste Anwendungsfall der neuen militärischen Doktrin ist der mit eigenen wohlverstandenen Inter-essen der Eingreifenden verknüpfte Konflikt von der Art des Kuwait-Krieges - und nicht der in aller Regel unübersichtliche und im Verlauf schwer kalkulierbare ethnische Konflikt mit massi-ven Menschenrechtsverletzungen.
Das ist die neue Realität - es ist, auch wenn es banal klingen mag, wieder die alte, die als Realpolitik bereits herrschte vor dem Zusammenbruch des Ostblocks und vor den Träumen von einer ebenso gerechten wie schlagkräftigen UNO.
Wer will, mag noch simplere, noch persönlichere Eingriffsmotive für jeweils ausschlaggebend halten, etwa daß das Agieren in dem einen oder anderen Konflikt schlicht der Verbesserung einer angespannten innerstaatlichen Position der jeweiligen Regierung diente. Hier läßt sich eine Notiz aus der Autobiographie Norman Schwarzkopfs über das Ende des offenen Kuwait-Konflikts und das Primat von Öffentlichkeitsarbeit einordnen: Stabschef Powell hatte ihn zunächst aufgefordert, so aufzuhören, daß der Präsident zur besten Sendezeit um 21 Uhr vor die Öffentlichkeit treten könne. Wenig später rief Powell erneut an und gab die Order, noch weitere drei Stunden zu kämpfen, damit der Bodenkrieg griffig als 100-Stunden-Krieg verkauft werden könne. Gesagt, getan - the show went on.
Selbst die Mission "Restore hope" in Somalia war nicht fern von diesem Schema. Sie war im amerikanischen Wahlkampf angekündigt worden.
Für letzte Zweifel an der realpolitischen Prioritätenliste eine gedankliche Nagelprobe: Unterstellt, in Saudi-Arabien würde die Bevölkerung Bürger- und Menschenrechte einfordern und gegen das Herrscherhaus aufbegehren - wem würden wir zur Seite stehen?
These 7: Souveränität und Gruppenzwang, Rechte und Pflichten
Souveränität bedeutet Erweiterung, nicht Verengung des nationalen Entscheidungsspielraumes. Sie ist gerade kein Grund einer veränderten militärischen Doktrin.
Souveränität in ihren wesentlichen Ausprägungen erhielt die Bundesrepublik bereits durch die Pariser Verträge vom Oktober 1954. In den folgenden Jahrzehnten wurde hier auch kein Defizit für die Regierung oder gar die Bürger gesehen.
Unseres Erachtens wird die humanistische Basis unserer bisherigen militärischen Doktrin mit der Behauptung verunglimpft, Deutschland hätte sich in dieser Frage schlicht jahrzehntelang hinter einem zuwenig an Souveränität versteckt und nach vierzigjähriger Schamfrist bzw. nach verbüßter Strafe sei nun endlich Aussicht auf "Normalität".
Der Schluß von erweiterter Souveränität zur neuen Militärdoktrin steht darüberhinaus in krassem Widerspruch zu der gleichzeitigen Hervorhebung der Kategorien von Pflichterfüllung, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und Vertrauen, die für Deutschland entscheidend gewesen sein sollen sowohl im Falle Bosniens (AWACS-Engagement) als auch Somalias. Denn folgen aus der neuen Situation zusätzliche unwiderstehliche Erwartungen und Handlungszwänge, ist die deutsche Souveränität tatsächlich nicht erweitert, sondern im Gegenteil eingeschränkt. Deutschland ist Musterschüler mehr denn je. Für die weitere Entwicklung steht zu erwarten, daß die aus den ersten gemeinsamen Operationen folgenden Gruppenzwänge eher größer werden und Deutschland ohne Gefährdung seiner Vertrauensposition in der Praxis niemals "nein" sagen können und immer hinterherlaufen wird.
Ironischerweise ist die Bundesrepublik, die in Somalia Reife und Zuverlässigkeit beweisen wollte, bei dem abschließenden Wettlauf aus Somalia heraus an der Unzuverlässigkeit ihrer Partner und insbesondere der führenden USA fast verzweifelt. Das Verlassen der sicheren Deckung in Belet Huen geriet zur entwürdigenden Zitterpartie und zu der vermutlich bedrohendsten Situation des gesamten Engagements.
Gerne spricht man heute vom Gleichgewicht von Rechten und Pflichten der Deutschen. Der Ohrwurm hat allerdings einen grundlegenden Makel: Er bezieht sich bei genauem Hinsehen ausschließlich auf die eigennützigen Aspekte von out-of-area-Missionen, z. B. die Sicherung der Ölversorgung im Falle Kuwaits. Bei uneigennützigen, humanitären Einsätzen wird sich unsere Regierung eine gleichartige "Revanche" wohl verbitten. Ein solcher Fall wäre etwa, daß sich die UNO wegen antisemitischer oder ausländerfeindlicher Übergriffe anschicken würde, den in Deutschland Bedrohten zu Hilfe zu eilen. Wir würden - unabhängig von weiterer Eskalation - nicht darauf wetten.
These 8: NATO-ABM, deutsche Ambitionen und Chancen
Ein wesentlicher Grund der Änderung der deutschen Militärdoktrin ist Überlebenshilfe für die NATO in mindestens ihrer heutigen Größenordnung, ein weiterer der eher realitätsferne Drang in den Sicherheitsrat der UNO.
Nicht zufällig fallen Bestrebungen zur Änderung der deutschen Militärdoktrin zusammen mit dem Ende des kalten Krieges. Entscheidendes Moment war dabei der Verfall der zweiten Supermacht bzw. der Zusammenbruch des der NATO entgegengerichteten militärischen Bündnisses. Damit war der wesentliche Zweck der NATO kampflos, aber siegreich erfüllt und ein deutlicher Abbau hätte nahegelegen. Gleichzeitig aber eröffnete der Wegfall des Warschauer Paktes die wundersame Chance zur Bewahrung der Institution NATO durch ein grundlegend neues Tätigkeitsfeld: Er verminderte drastisch die bisherigen Eskalationsrisiken auswärtiger militärischer Engagements und beseitigte Blockaden im Sicherheitsrat der UNO. Damit sind Eingriffe außerhalb des Bündnisgebietes möglich und unbedenklich geworden und kommen als willkommener Folgeauftrag der NATO in Sicht. Für manchen winken nun gar das Ende jahrzehntelanger, frustrierender Sandkastenspiele und der Beginn beruflicher Bewährung "mit scharfem Schuß".
Ein Sonderweg der Deutschen - sei er historisch noch so folgerichtig - erweist sich unvermittelt als Störfaktor, stellt er doch den neuen Nutzen der NATO offen in Frage. Er relativiert ebenso die Legitimität der in den Armeen der Verbündeten nicht ernsthaft hinterfragten erweiterten militärischen Option. Er gefährdet damit ein wesentliches Standbein für die Zukunft auch dieser nationalen Verbände. Daher sind die Forderungen der Bündnispartner an die Bundesrepublik zur Anpassung an das dortige Verständnis von "Normalität" sehr leicht zu verstehen, und auch, daß diese Signale von der ebenfalls auftragsarmen Führung der Bundeswehr begeistert gesendet und empfangen werden. Cyril N. Parkinson hat seine Theorie vom unbändigen Überlebenswillen überlebter Organisationen gerade an am Beispiel einer Militär-Einrichtung entwickelt und überzeugend belegt; er läßt an dieser Stelle herzlich grüßen!
Ein weiterer wesentlicher Grund für Konformität der Deutschen ist das für die Regierung zentrale Anliegen, mit ständigem Sitz und möglichst auch Stimme in den Sicherheitsrat der UNO aufgenommen zu werden. Man mag darüber streiten, ob diese Aussicht überhaupt realistisch ist oder nur als Köder ausgelegt ist. Die Beteiligungsaussichten werden im Ausland um einiges skeptischer beurteilt als in Deutschland. Jedenfalls aber sollten für den Platz im Sicherheitsrat eher staatliche Qualitäten wie wegweisende Diplomatie und ökonomischer Rang auszeichnen als die Fähigkeit zu militärischem Gehorsam und Mitläufertum. China wäre ein Beispiel der Beteiligung ohne folgsames militärisches Engagement.
Zur Gefährdung von Chancen: der Versuch, die bewährten (?) militärischen Strukturen mit Interimsaufgaben möglichst unbeschädigt über die gegenwärtige Phase objektiv verminderter Bedrohung hinwegzuretten - konsequent werden parallel dazu lebenserhaltende Subventionen für die Rüstungsindustrie gefordert -, gefährdet notwendigerweise die ökonomischen Zukunftschancen unseres Landes. Wir würden ohne zwingende Notwendigkeit von knappen Mitteln einen überproportionalen Teil dem militärischen Sektor widmen und diese Mittel damit der heute unabweisbar erforderlichen Verbesserung unserer angeschlagenen Basis für die internationale wissenschaftlich/technologische und ökonomische Konkurrenz entziehen. Für den, der es sehen will, liegen die ernsten Herausforderungen - und Chancen - Deutschlands auf absehbare Zeit eindeutig im ökonomischen, vermutlich auch im ökologischen Bereich, aber ganz sicher nicht beim Militär.
These 9: Bundeswehr und Fremdenlegion in einem
Die erweiterte militärische Option verschiebt den personellen und ideologischen Querschnitt der Bundeswehr bedenklich. Das Konzept eines Staatsbürgers in Uniform scheitert.
Eine veränderte Zielsetzung der Bundeswehr schlägt unmittelbar durch auf die Mengenanteile der dort vertretenen politischen Einstellungen. Durch einen erweiterten Auftrag werden viele Bürger, die nur die Notwehrlage des Verteidigungsfalles als Rechtfertigung des Waffeneinsatzes akzeptieren, vom Wehrdienst oder einer Verpflichtung abgehalten. Dafür steigt die Attraktivität der Bundeswehr deutlich für die Bewerber, die tendenziell eher abenteuerlustig, gewaltbereit und autoritär geprägt sind. Zwar sind auch idealistische Motive unter dem Eindruck aktueller Konflikte denkbar (z. B.: Hilfe für bosnische Moslems). Sie können aber jedenfalls nicht typisch sein für eine langjährige Verpflichtung, die sich auf eine Vielzahl von noch unbekannten Fallgestaltungen bezieht.
Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr in München bestätigt in einer eingehenden Studie den Trend der Bewerber zum rechten Rand des politischen Spektrums (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993).
Der seit dem Kuwait-Konflikt anhaltende Rückgang der Bewerberzahlen fördert den Prozeß einer Konzentration autoritär geprägter, möglicherweise gar ausländerfeindlicher Einstellungen in der Bundeswehr weiter. Schon jetzt bekennen sich mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen und sogar mehr als zwei Drittel der Freiwilligen zu der nach unserem Verständnis eindeutig undemokratischen Einstellung, "es wäre für unsere Gesellschaft ganz gut, wenn soldatische Tugenden wie Disziplin und Gehorsam auch unter Bürgern mehr vertreten wären" (Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation, Waldbröl, Demoskopisches Meinungsbild in Deutschland zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik 1992, S. 248). Das durchschnittliche Bewußtsein des früheren Staatsbürgers in Uniform kann sich graduell dem eines Fremdenlegionärs oder Wehrsportgruppen-Angehörigen annähern. Hooligans in Uniform und Rechtsradikale mit Kampfauftrag werden dann keine Ausnahme sein und Bengel deutlich zahlreicher als Engel.
Die geplante Teilung der Bundeswehr in einerseits eliteähnliche Krisenreaktionskräfte (KRK) und andererseits Hauptverteidigungskräfte (HVK) wird die Konzentration eines autoritär orientierten Personenkreises nochmals begünstigen und zwar dort, wo ein Echteinsatz der Bundeswehr bei weitem am wahrscheinlichsten sein wird, nämlich in den KRK. Die KRK werden der legendären légion étrangère Frankreichs ähneln, die ihre Tradition in Kolonialkriegen hat und heutzutage etwa das französische Kontingent für Somalia gestellt hat.
Nicht zuletzt: Mit dem Charakter der Bundeswehr ändert sich auch die Tendenz von Rat und Expertise, die die Bundeswehr der Politik vermittelt.
These 10: Berufssoldaten - und der vergoldete Marschbefehl
Die verführerisch erscheinende Beschränkung auf Berufssoldaten wäre im Rahmen der erweiterten militärischen Option unredlich.
Es mindert persönliche Betroffenheit und ist daher sehr verführerisch, wenn man sich im Rahmen von out-of-area-Einsätzen nur Berufssoldaten vorstellt, ggfs. die oben genannten Krisenreaktionskräfte. Dies ist aber keine redliche Lösung, sondern gleichsam die Verleitung zur Prostitution in einer extremen Form: Der Staat würde mit der Überzeugungskraft amtlicher Öffentlichkeitsarbeit ("Engel von Phnom Penh") begeisterungsfähigen jungen Bürgern das Recht auf Leben und körperliche wie psychische Unversehrtheit abzukaufen versuchen. Er könnte sich dabei noch eine sehr hohe Arbeitslosigkeit zunutze machen. Das erscheint besonders fragwürdig im Falle der neuen Bundesländer, und erinnert an Zeiten, als den Männern verarmter Landstriche Söldnerdienste als einziger Broterwerb blieben. Den typischen Geruch eines Lockstoffes haben die Zulagen von bis zu 4.500 DM im Monat nach dem Auslands-verwendungsgesetz v. 28.07.1993 (BGBl.I S.1394): sie lassen natürliches Sicherheitsstreben und das Gewissen - letzteres ist ohnehin ein leichtflüchtiges Gut - schnell vergessen.
Dies ist unser Verständnis von einem demokratisch verfaßten und human orientierten Staat: Er kann nur das anordnen, was er mit einer repräsentativen Menge seiner Bürger auch selbst in die Tat umzusetzen bereit ist. Er darf es, wenn er verantwortlich handeln will, niemals auf ein williges Werkzeug abschieben.
Die Befürworter einer erweiterten militärischen Option sind keine Helden und die Gegner keine Feiglinge.
Für die Einsätze wird ein vergleichsweise geringes militärisches Risiko typisch sein, das sich in überwältigender Überlegenheit nach Zahl, Material und Militärtechnik und einer Beschränkung auf klare taktische Lagen ausdrückt. Die Wahrscheinlichkeit zu töten wird daher um Größenordnungen höher sein als die, getötet zu werden, zumal für die Strategen. Stoff für Helden-epen ist das nicht, eher für Horrorgeschichten, wie sie der Kuwait-Konflikt hervorgebracht hat. Wie hatte doch Norman Schwarzkopf seine oben unter These 6 angesprochene Autobiographie getitelt? Richtig: It doesn't take a hero (Man braucht kein Held sein).
Heldenmut brauchen auch Parlamentarier nicht, die einen Einsatz beschließen sollen. Denn § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz verhütet, daß Abgeordnete von den Folgen eines solchen Beschlusses in eigener Person betroffen sind.
Tatsächlichen Mut beweist, wer nachdrücklich und gegen allseitige zum Aktionismus verlokkende Ratschläge zur Besonnenheit ermahnt und die längst überfällige nationale und internationale Debatte über den Nutzen militärischer Werkzeuge durchsetzt.
Tatsächlich erfordert es ein wesentlich intelligenteres Engagement und eine höhere nationale und internationale Disziplin, konsequent ökonomische Werkzeuge anzuwenden, die die wirtschaftliche Verflechtung der Völker nutzen. Wer aber könnte sich der ernstzunehmenden Drohung entziehen, für einen nach Jahren bemessenen Zeitraum vom internationalen Waren- und Dienstleistungsaustausch völlig ausgeschlossen zu sein? Dies wurde im Falle Serbiens viel zu spät, zu halbherzig und ohne ausreichende Anreize für die Handelspartner Serbiens erprobt.
Wo bleiben auch die Tribunale, die die dauerhafte internationale Ächtung von Kriegsverbrechern feststellen - und zwar zuallererst der Leitfiguren - und die eine politische Zukunft bzw. einen persönlichen Nutzen dieser Verbrecher ausschließen?
Wer das nicht organisieren kann, ist nicht legitimiert, Gewalt als scheinbar leichteren Weg zu verordnen.
Menschlichkeit ist der entscheidende Handlungsanlaß. Aber die Bundesrepublik muß konsequent und effizient handeln.
Ein mit Menschlichkeit begründeter militärischer Einsatz ist widersprüchlich und hohl, wenn wir uns nicht mit mindestens der gleichen Intensität der nach Millionen zählenden verhungernden und verelendenden Menschen in den Armenhäusern der Welt mit ziviler Hilfe annehmen. Nach aktuellen Feststellungen der amerikanischen Entwicklungshilfebehörde sind derzeit allein in 10 ostafrikanischen Staaten mehr als 22 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Eine weitaus größere Zahl leidet dort unter nicht unmittelbar lebensbedrohenden Folgen der Unterernährung. Gerade hier kann und muß internationale Solidarität bewiesen werden.
Deutschland kann seine begrenzten Ressourcen für humanitäre Hilfe erheblich effektiver investieren als in die für Somalia geschriebene teure und eitle Militär-Operette. Nur müssen wir dann Fachkunde nutzbar machen. Wir müßten ferner unsere Entwicklungshilfe eindeutig auf armutsbekämpfende Maßnahmen ausrichten und sie nicht als Exportsubvention zweckentfremden, wie z. B. die 700 Mio. DM für den Bau einer deutschen U-Bahn in Kanton, China. Wir kennen das Muster bereits: Egoismus schlägt Altruismus nach Längen (s. o. These 6). Eine Untersuchung des United Nations Development Program (UNDP) aus dem April 1994 verweist Deutschland bei der armutsbekämpfenden Entwicklungshilfe auf einen beschämenden letzten Platz unter den Industriestaaten.
Bevor wir unsere Soldaten bis zu den Zähnen mit Mildtätigkeit aufrüsten - ein nicht völlig unsympatisches, aber doch sehr schizophrenes Berufsbild - unsere unerledigten Hausaufgaben liegen bei der armutsbekämpfenden Entwicklungshilfe.
Trotz weichzeichnender Öffentlichkeitsarbeit stand für die Deutschen in Somalia im übrigen nicht die humanitäre Hilfe im Vordergrund. Humanitäre Hilfe hatte auch ebensowenig wie die ärztliche Behandlung von Kambodschanern in Phnom Penh zum militärischen Auftrag gezählt.
Entscheidend war vielmehr das nach außen gerichtete Signal: die Bundesrepublik ist ein verläßlicher und potenter Partner bei einem Einsatz der Bundeswehr unter bisher unerprobten Bedingungen, und die Botschaft nach innen: die militärische Jungfernschaft der Bundes-republik könnt ihr getrost vergessen.
Das Ergebnis war ein gigantisches und im wesentlichen mit sich selbst beschäftigtes Afrika-Biwak in Belet Huen - und praktisch nichts von dauerhaftem Wert.
Abschließend ein Gedanke, keine These. Auch das langfristige taktische Ziel Deutschlands könnte durchaus ein betont egoistisches sein: wir richten uns kaltblütig ein auf eine dauerhafte, sich weiter zuspitzende Teilung der Welt in Nord und Süd, arm und reich. Wir bereiten uns auf heraufziehende Armutskriege und die Verteidigung unserer Ordnung bereits jetzt mit militärischen Fingerübungen wie in Somalia vor (in dieses Panorama passen sogar die abstrusen Vorschläge zum Einsatz der Bundeswehr im Inland: im wesentlichen gegen überzählige Ausländer).
Aber: Der nächste Schritt würde sein, daß die Festung Europa uns Bürgern zum Gefängnis gerät. Wir könnten unseren Kulturkreis nicht mehr verlassen, wenn uns unser Leben lieb ist. Die Anfänge spiegeln sich bereits in den täglichen Nachrichten.
Insgesamt wäre die oben umrissene Strategie einer globalen Apartheid das Rezept für den im historischen Maßstab kurzfristigen Selbstmord unserer Kultur. Denn unsere Technologie einschließlich des für moderne Waffen erforderlichen know-how ist längst in alle Ecken und Krisenherde der Welt diffundiert - und an bemerkenswerten strategischen Talenten herrscht in der dritten Welt kein Mangel.
Man kann gegeneinander umkommen oder miteinander auskommen. Der gemeinsame Weg erscheint uns intelligenter, sicherer und ganz nebenbei auch christlicher.
Den Leserinnen und Lesern, die sich tapfer bis hierhin "durchgekämpft" haben:
Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld, die wir mit einem spröden Thema
und einigen unprofessionellen Ausführungen sicher arg auf die Probe gestellt haben!
Die Verfasser