Stand: 18.5.2006
Ein Blick in
die Geschichte der Weltordnungspolitik
Er hat eine
lange Geschichte: der Drang, anderen Menschen Frieden, Freiheit und eine gute
Verwaltung zu bringen. Gemeint ist letztlich: die eigene, vertraute
Zivilisation. Vorab drei Zitate zur den römischen Wurzeln. Sie lassen
vermeintlich Aktuelles ganz vertraut klingen:
"Jeden
ihrer Kriege führten die Römer als 'gerechten und frommen Krieg' (bellum iustum et pium). Nicht nur religiös wurde der Krieg durch die
Beachtung heiliger Vorschriften und Vorzeichen gesichert, sondern er diente
auch nach römischer Auffassung dem Recht, weil entweder die heiligen Grenzen
des römischen Reichs verletzt oder unter Anrufung der Götter geschlossene
Verträge gebrochen worden waren, oder aber auch in einem Gebiet durch Unrecht,
Unordnung, Unsicherheit die ruhige Entfaltung menschlichen Gemeinschaftslebens
gehindert war. So sah Rom im Kriege die Möglichkeit einer festen Rechts- und
Friedensordnung, nicht die Auslösung egoistischer Triebe nach Macht- und
Landgewinn. Nicht umsonst hat sich später Augustus als den 'Friedensbringer'
feiern lassen. Die Frage, ob die Römer bewusst von Anfang an die Eroberung
Italiens im Auge gehabt haben, ist oft aufgeworfen und sehr verschieden beantwortet
worden. ... Die unbestreitbare Tatsache, dass die Römer in jedem Krieg zunächst
fast stets Niederlagen erlitten haben, scheint aber eher denen Recht zu geben,
die meinen, dass nicht ein Ausdehnungsdrang, sondern das Bedürfnis nach
Sicherheit und Frieden und Herstellung (gesicherter) rechtlicher Zustände zu
immer neuer Abrundung des Römischen Reichs geführt hat."
G. Bonwetsch und andere, Grundriss der Geschichte für die Oberstufe der Höheren Schulen, Teil
I: Von den Anfängen der Menschheit bis zum hohen Mittelalter, 7. Aufl.
undatiert (ca. 1965), S. 104 f = mein altes Geschichtsbuch
Daneben spielten
aber ganz handfeste egoistische Motive von Politikern eine Rolle, die die
Ängste des römischen Bürgertums sehr geschickt für ihre militärische, finanzielle
und gesellschaftliche Karriere einsetzten. Einer der entschlossensten
und erfolgreichsten war Caesar, Vorbild aller Kaiser, Zaren und Präsidenten:
Ein Ausflug
nach England
"55 vor
Christus beschloss Julius Caesar in Britannien einzufallen. Der Anlass dazu war
die Hilfe, die die Briten ihren Nachbarn im nördlichen Gallien leisteten, und
zugleich erhoffte er einen Sieg zu erringen, der seine Position in Rom stärken
würde. Möglicherweise lockte ihn auch die Beute - Sklaven, Gold und Perlen, die
er in Britannien zu rauben hoffte. Doch seine Invasion hätte fast mit einer
Katastrophe geendet, und obwohl es ihm ein Jahr später gelang, mit Hilfe
einiger britischer Stämme über die Themse hinaus nach Norden vorzustoßen,
konnte er das Land nicht erobern und zog bald wieder ab. In Rom machte Cicero
einige ätzende Bemerkungen über den kärglichen Ertrag, den Caesars Abenteuer
eingebracht hatte, und in Gallien ergriff Vercingetorix
die Gelegenheit, einen Aufstand gegen die Römerherrschaft zu entfesseln."
Aus: David Mountfield, Großbritannien, 1976, S. 8
Genozid im
Namen Caesars
"Gallien
war vor der (römischen) Okkupation also keineswegs unzivilisiert. Vielmehr
lebten dort arbeitsteilige Gemeinschaften mit Münzgeldwirtschaft und einem gut
ausgebauten Straßennetz, zum Teil mit Brücken. Auch zu Wasser herrschte
lebhafter Handelsverkehr. Allerdings war die Gallia
comata (aus der Sicht der Römer: das langhaarige,
barbarische Gallien) politisch sehr instabil und damit eine latente Bedrohung
für das Römische Reich. Für Unruhe sorgten insbesondere wandernde germanische
Völker, wie die Kimbern und Teutonen oder die Sueben,
die von Nordosten eindrangen und gallische Stämme in angrenzende Gebiete
zwangen. So verließ im entscheidenden Jahr 58 vor Christus der bedeutende keltische
Stamm der Helvetier seine Heimat in der Schweiz und wanderte westwärts. Den
Versuch, römisches Reichsgebiet zu passieren, deutete Caesar als aggressiven
Akt und entfesselte ohne Auftrag des römischen Senates den Gallischen Krieg (belllum Gallicum). Glaubt man
Caesars Angaben, haben seine Truppen 258.000 Helvetier getötet, lediglich
110.000 überlebten und wurden zur Rückkehr in ihre verwüstete Heimat gezwungen.
Die römische Militärmaschine wütete mit erschreckender Brutalität. Siedlungen,
Felder und Ernten wurden niedergebrannt, Vergewaltigung und Versklavung im
großen Stil betrieben, ganze Völker und Stämme ausgerottet. Etwa drei Jahre
nach dem Sieg über die Helvetier massakrierten die Soldaten am Niederrhein
angeblich 430.000 Germanen vom Stamm der Tencterer
und Usipeter, die über den Fluss nach Gallien
vorgedrungen waren. Der Bericht über diesen Genozid, der auch vor wehrlosen
Frauen und Kindern nicht Halt machte, erregte selbst im römischen Senat
Empörung, sodass Cato der Jüngere forderte, Caesar wegen Verletzung des
Völkerrechts an die Germanen auszuliefern, um den Zorn der Götter gegen Rom zu
besänftigen. Doch diese Kritik blieb episodisch und war letztlich
innenpolitisch motiviert. Im Wesentlichen herrschte in Rom Begeisterung über
Caesars Erfolge, und der Senat billigte die Offensiven im Nachhinein. Kein
Wunder: Italien wurde mit erbeutetem gallischem Gold derart überschwemmt, dass der Preis für das Edelmetall um 25% nachgab. Caesar
betrat Gallien als verschuldeter Mann und verließ es als reicher Potentat, der
Geld verleihen, Politiker bestechen und riesige Prunkbauten errichten
konnte."
Dirk Krausse, Als die
Gallier Römer wurden, Spektrum der Wissenschaft 2/2003, S. 72 - 79 (74)
Menschenrechte:
eine gute alte Kriegsbegründung
Der gallische Krieg
war wie gesagt in Rom keineswegs unumstritten. Und schon damals wurde eine
humanitäre Kriegsbegründung mit ins Feld geführt: es waren damals Erzählungen
über mutmaßliche Menschenopfer gallischer Druiden.
Dirk Krausse, a.a.O, S. 79
Nun kann ich
nicht beurteilen, was daran war und wie weit solche Praktiken verbreitet waren.
Aber eines ist belegt: Es gab keinerlei Anlass für die Römer, sich moralisch
oder humanitär überlegen zu fühlen. Der pathetisch vorgetragene Anspruch,
Menscherrechte zu verbreiten, war extrem hohl. Die römische
Sklavenhalter-Gesellschaft war für die Sklaven mörderisch gefährlich, und
gerade Kriegsgegner – wenn sie denn die römische Militärmaschine überlebt
hatten – waren insbesondere in Gefahr, als Sklaven heimgeschleppt zu werden, ohne
Ansehen von Alter, Herkunft und Geschlecht. Das eindringlichste Symbol für die
Menschenverachtung, die zum Staatsziel avancierte, ist das Kolosseum in Rom.
"Schandmal" haben Forscher den Bau genannt. Ein aus "Blutgier,
Sadismus und Massenpsychose gemischtes Gift" sei dort versprüht worden,
meint der klassische Archäologe Karl-Wilhelm Weeber.
Der Historiker Marcus Junkelmann fühlte sich beim
ersten Betreten der Ruine, als stiege er in die "Hölle der Antike"
herab.
Matthias
Schulz, SPIEGEL 47/2003 v 17.11.2003;
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,274401,00.html
Von Westfalen
bis zum Euphrat unterhielt das Reich ein Netz aus 186 Amphitheatern. Der
Historiker Junkelmann hat errechnet, dass während des
dreihundertjährigen Spielbetriebes jedes Jahr rd. 1000 Menschen starben, und er
stellte fest: "Das Kolosseum ist jener Ort auf Erden, der am konzentriertesten mit Menschenblut getränkt worden
ist."
Matthias
Schulz, a.a.O.
Und die Spiele
hatten sehr politischen Hintergrund und hier treffen wir auch unseren humanitär
gesinnten Feldherrn aus Gallien wieder: Nur wer dem Volk ‚Brot und Spiele‘ bot,
konnte als Senator Karriere machen. Julius Caesar war Teil des Systems. Er
besaß in Capua eine Kaserne mit 1000 Gladiatoren und
erschlich sich so die Gunst der Massen. Der Kreis schließt sich.
Matthias
Schulz, a.a.O.
Irak: Ziele
und Ergebnisse
Im Vorfeld des
2003er Irak-Krieges wurden verschiedene Ziele diskutiert - als offizielle oder
teil-offizielle Ziele. Dazu gehören:
Soweit bisher erkennbar,
wurde durch den bewaffneten Eingriff ohne Auftrag der Vereinten Nationen nur die
zwei „personalwirtschaftlichen“ Ziele gefördert: die Absetzung Saddam Husseins
und die Wiederwahl des George Walker Bush.
Die Stabilität
des Irak und der Zustand der öffentlichen Infrastruktur dagegen haben sich wesentlich
verschlechtert. Die Aktionsräume und das globale Unterstützungspotential des
internationalen Terrorismus wurden erweitert, nicht eingeschränkt. Bei den
Massenvernichtungswaffen ergibt sich Monate nach Ende der Hauptkampfhandlungen
kein Indiz für einen Eingriffsgrund; der Befund der Blix-Kommission
- kein Hinweis auf Massenvernichtungswaffen oder darauf bezogene
Waffenprogramme - wurde bestätigt, wie selbst die US-Regierung einräumen
musste. Sie hat ihre eigenen Nachforschungen als aussichts- und ergebnislos
eingestellt.
Auch die
Sicherheitslage in Israel hat sich nicht erkennbar verbessert; nach dem
Irak-Krieg ist es zu weiteren blutigen Selbstmord-Attentaten gekommen.
Umgekehrt hat sich die Sicherheitslage im Irak dramatisch verschlechtert. Das
Land ist in weiten Teilen zu einem Anziehungspunkt und Bewährungsfeld für Mudjaheddin aus aller Welt geworden: wo sonst könnte man in
Echtzeit und bei Waffen im Überfluss sich Ruhm und Anerkennung bei brutaler
Vernichtung der Ungläubigen erwerben? Und wo sonst könnte man die Fertigkeit
und inhumane Brutalität trainieren, um menschenverachtende Anschläge in aller
Welt vorzubereiten? Mit einer kleinen Verzögerung werden wir es spüren. Dazu
lohnt es, nochmals einen Artikel aus der WELT vom 19.8.2005 eingehend zu
studieren. Ich gebe ihn ohne Auslassungen und Anschärfungen wieder, zumal die
WELT völlig unverdächtig ist, die Außenpolitik der USA übertrieben kritisch zu
kommentieren. Es wird hier eine Art 'running gag' der Geopolitik portraitiert.
Vorab kann man
weitere gewollte oder ungewollte - in jedem Fall extrem negative -
Kriegs-Ergebnisse festhalten. Sie lassen die von Bush gebetsmühlenhaft
wiederholte Position, die Welt sei mit dem Abräumen des Diktators Saddam
Hussein ein besserer Ort geworden, sehr prahlerisch und vordergründig
erscheinen: Der militärische Einsatz der 'Koalition der Willigen' konnte zwar
das Saddam-Regime beseitigen, aber keine tragfähige und allseits akzeptierte
staatliche Autorität an ihre Stelle setzen. Möglicherweise wurde sogar eine
gewalttätige, anarchistische, selbstzerfleischende
Phase bewusst in Kauf genommen, um danach umso effizienter auf die wie Phönix
aus der Asche neu aufgebaute Struktur einwirken zu können, das alte 'divide et impera!'. Vielleicht
war es aber auch einfache Planlosigkeit für die zivile Phase - 'Hau drauf und
Schluss!' ohne jedes zivile und ethnische Einfühlungsvermögen.
Und nun der WELT-Artikel - eine äußerst spannende Zeitreise zurück in
eine prägende Phase weit vor dem zweiten Anschlag auf das World Trade Center am
11.9.2001:
"Drahtzieher
des internationalen Terrors
Afghanistan-Connection: Teheran übernahm Guerilla-Heer der CIA
Von Hans Josef Horchem
(WELT 19.8.1993)
Hamburg - Die Sowjetunion hat
ihr Vietnam 1989 - 13 Jahre nach den Amerikanern - in Afghanistan erlebt. Die
USA haben dabei geholfen. Ihr Geheimdienst CIA hat von 1983 an bis zum
Zusammenbruch der kommunistischen Regierung in Kabul im April 1992, auch mit
Geldern von Saudi-Arabien, Zehntausende Moslems aus 15 afro-asiatischen
Staaten in Guerilla-Technik ausgebildet. CIA-Werber schwärmten aus von Rabat
bis Manila, von Khartum bis Kairo und Amman. Selbst in den Moscheen und in den
islamischen Zentren in Deutschland, in Frankreich, in Großbritannien und in den
USA wurden junge Mohammedaner aufgefordert, den Guerilla-Verbänden im „Heiligen
Krieg gegen die Ungläubigen" beizutreten. Die CIA transportierte die
Rekruten in pakistanische Trainingscamps nahe der afghanischen Grenze und ließ
sie dort von ihren Spezialisten in der Kunst des Nahkampfs und des Tötens
unterrichten. Man zeigte ihnen, wie man einen Hinterhalt legt, und übte sie im
Gebrauch der tragbaren Boden-Luft-Raketen Stinger.
Als Motivation diente eine Auslegung des Korans, die behauptete, zur reinen
Lehre seines Ursprungs zurückzukehren. Der von Teheran gepredigte
Fundamentalismus schien den Amerikanern der rechte Antrieb für ihre jungen
Verbündeten zu sein, in den Krieg gegen die Russen zu gehen. Bis 1992
wechselten rund 40.000 Feddayin über die Grenze, um
die afghanischen Brüder zu unterstützen.
Washington und
Riad haben bis 1989 insgesamt drei Milliarden Dollar in diese Operation
gesteckt. Nach dem Abzug der Russen aus Afghanistan ließen sie die von ihnen
ausgebildeten Guerilleros aber allein. Jetzt richten sich deren Gewehre gegen
die Interessen der USA. Denn seit zwei Jahren kommt das Geld für die
„Freiheitskämpfer" aus dem Iran. Der iranische Geheimdienst Vevak hat die CIA beerbt. Die fundamentalistischen Feddayin, die man in Ägypten und in Algerien die „Afghanen“
nennt und als Terroristen fürchtet, haben auf drei Kontinenten revolutionäre
Brandherde entfacht und schon existierende revolutionäre Bewegungen
wiederbelebt.
Die ehemaligen
Freiheitskämpfer geben sich für ihre Einsätze Decknamen, die auf ihre Kampferfahrungen in Afghanistan hinweisen sollen. Bei einem
Anschlag gegen die Admiralität in Algier, der Anfang 1992 stattfand, wurde
einer der Attentäter, der sich Mourad el Afghani nannte, getötet. Ein Mitkämpfer wurde festgenommen
und im Februar 1993 exekutiert. Er trug den Namen Tayeb
el Afghani. Die Amerikaner haben bis 1991 insgesamt
1000 StingerRaketen an den afghanischen Widerstand
geliefert. Rund 400 wurden von den Mudschaheddin gegen sowjetische Flugzeuge
und Hubschrauber eingesetzt - mit tödlichem Erfolg. Etwa 550 dieser Apparate
sind noch verfügbar. Zum Teil befinden sie sich in den Händen der islamischen Guerilla gegen Tadschikistan, zum Teil
wurden sie aufgekauft von der iranischen Rauschgiftmafia, hinter der der
iranische Geheimdienst steht. Die CIA bietet inzwischen 100 000 Dollar für
jedes Stück, das wieder zurückgegeben wird.
In Afghanistan
selbst ringen verschiedene Fraktionen um die Macht. Die besten Karten hat zur Zeit wohl die Bewegung Hesb Islami unter ihrem Führer Gulbuddin
Hektmatyar, einem Verbündeten des Iran. Das Rückgrat seiner Armee sind
internationale moslemische Partisanen. 3000 seiner Feddayin
hat er zurück nach Pakistan geschickt. Sie halten sich bereit, in Kaschmir
einzufallen, um die Separatistenbewegung Jamaat Islami zu unterstützen. Noch hält Achmed Schah Massud Kabul, die Hauptstadt Afghanistans. Auch er ist
tiefgläubiger Moslem, aber kein Fanatiker. Der Westen jedoch hat noch immer
nicht gelernt, zwischen Traditionalisten und Fundarnentalisten
zu unterscheiden. Wenn es Gulbuddin Hekinatyar gelingt, Kabul zu besetzen, gehört ihm
Afghanistan. Das Land würde zur zweiten fundamentalistischen Republik und
könnte dann - mit dem Iran - Zentralasien zur Explosion bringen."