Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahre 1994
19.12.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 27.12.1994
Militärpolitik; Demokratie; Leitartikel v. Thomas Meyer im Stadt-Anzeiger v. 17./18.12.1994 ("Schwerer Gang nach Bosnien")
Angesichts einer breiten Zustimmung der Deutschen zur humanitären Hilfe in Bosnien halte ich die von Herrn Meyer angeführte "Ohne-uns-Herrlichkeit" nicht für unser eigentliches Problem. Lähmend wirkt etwas ganz anderes: die Regierung hat bisher einzelfallbezogene, teils überraschende Beschlüsse getroffen - vom Adria-Einsatz des Zerstörers Bayern über die Beteiligung in Somalia bis zur anstehenden Entsendung von Tornados nach Bosnien. Auch nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts setzt sie auf solche ad-hoc-Entscheidungen.
Dagegen haben die Bürger und besonders die Soldaten Interesse an Berechenbarkeit und an der Sicherheit vor unerklärten Motiven: die politisch gewollten und demokratisch mitgetragenen Einsatzziele und Einsatzformen der Bundeswehr müssen nun endlich klar und abschließend definiert werden. Bei diesen Zielen dürfte die Hilfe für Menschen in größter Not sehr wichtig sein. Aber ganz sicher nicht alles andere, was man mit Waffen auch noch anstellen kann.
10.11.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; wurde abgedruckt
Deutsche Einheit; Fall der Mauer vor fünf Jahren
Vom Westen beschickt,
zum Westen drainiert,
sorgsam entgrätet
und nett filettiert:
Unsere schönen neuen Länder fünf Jahre danach
- und im Westen keine Spur von Scham!
17.10.1994
Kölner Stadt-Anzeiger
Deutsche Einheit; PDS
Was hatten wir der SED unter demokratischen Verhältnissen zugetraut - 2, 3, 5 % der DDR-Wähler? Nun, die Nachfolgepartei ist eine örtlich entscheidende Kraft geworden, nicht trotz der Wiedervereinigung, sondern wegen: Kaum ein der westlichen Wirtschaftsform zugeschriebenes Klischee blieb bei der westzentrierten Einigung unerfüllt, von grassierender Arbeitslosigkeit bis zu einer massiven Umverteilung von Werten und Erwerbschancen zulasten der Bürger im Osten. Mit persönlichen Anwürfen kann man die PDS nicht aus der Welt schaffen und erst recht nicht die von ihr aufgegriffenen Wählerprobleme!
29.07.1994
Kölner Stadt-Anzeiger
Militärpolitik; Japan; Kommentar von Georg Blume aus dem Stadt-Anzeiger v. 26.07.1994 (,,Japaner dürfen an keine Front")
Japaner dürfen an keine Front? Sie stehen jetzt zu Tausenden an ihren Gestaden und weinen sich die Augen aus? Wohl kaum! Schon vor einigen Wochen wurde Boutros Ghali von japanischen Journalisten gefragt, ob ein Platz im Sicherheitsrat von einem militärischen Beitrag Japans abhängig sei. Boutros hat die Frage - unser Kinkel hat's geflissenflich üherhört - verneint.
Also: sie weinen nicht. Sie haben sich nüchtern für erfolgversprechendere nicht-rnilitärische Formen humanitärer Hilfe entschieden und gehen weiterhin fleißig ihrer Arbeit nach.
15.7.1994
DER SPIEGEL; abgedruckt: SPIEGEL 31/1994
Militärpolitik; Demokratie; SPIEGEL 29/1994: Deutsche Blauhelme in aller Welt?
Die Bundeswehr darf nun alles. Was aber präzise soll sie? Sollen es werbewirksame, aber halbherzige und leider wenig effektive humanitäre Missionen sein und/oder eher eigennützige Aufträge im wohlverstandenen Interesse der Eingreifenden wie in Kuwait? Wenn unsere Demokratie noch einen Schuß Pulver wert ist, hören wir das von den Parteistrategen noch vor der Wahl!
28.06.1994
Kölner Stadt-Anzeiger
Verfassungsreform; Schäuble-Interview im KStAnz. v. 24.04.1994
Schäuble ist mit dem Grundgesetz recht zufrieden. Eine stärkere Teilhabe der Bürger an der Gesetzgebung etwa steht trotz aller Politikverdrossenheit nicht auf seiner Agenda. Mehr Bürgerbeteiligung braucht allerdings auch nicht, wer sich der richtigen Lösungen - z. B. im Bereich der Arbeitslosigkeit - so sicher ist wie Schäuble. Im Zweifelsfall kann er auf die Bürger völlig verzichten: "Eine verantwortliche Politik muß notwendige Entscheidungen auch gegen Widerstände in der öffentlichen Meinung zu treffen bereit sein." So nachzulesen im Grundsatzprogramm der CDU v. 23.02.1994 unter Nr. 109.
22.06.1994
Kölner Stadt-Anzeiger
Lobbyismus; Bericht über die zum Nutzen der Bierbrauer entschärfte Neufassung des Gaststättengesetzes im Stadt-Anzeiger v. 18./19.06.1994 (S.3: "Ein bierseliger Bückling Bonns")
Es gibt tatsächlich noch ein fortgeschrittenes Stadium der durch Flugbenzin- und Amigo-Affairen berühmt gewordenen Bananenrepublik: die mörderische Bierrepublik, die den Profit ihrer Brauer & Consorten völlig ungeschminkt über die Sicherheit und Gesundheit der eigenen Jugend setzt.
11.05.1994
FOCUS
Deutsche Einheit;
Interview mit Roman Herzog in FOCUS 19/1994
Roman Herzog beschwört eine deutsche Schicksalsgemeinschaft, die die für den Aufbau der neuen Länder nötigen Opfer erbringen soll. Dies muß nach dem ökonomischen Ergebnis der ersten drei Jahre des Einigungsprozesses in den Ohren der Bürger in den neuen Bundesländern sehr hohl klingen:
Restitutionsregeln, die auf eine lange gewachsene Wirklichkeit keine Rücksicht nehmen, und eine abrupte Wirtschafts- und Währungseinheit, die zum schnellen Kollabieren der unvorbereiteten östlichen Industrien ganz wesentlich beitrug, haben zu einer ungleichen Zuteilung ökonomischer Chancen geführt, die nun für viele Generationen festgeschrieben ist: Gewinnler aus dem Westen - fast nur Verlierer im Osten.
Wächst so gesamtdeutsche Solidarität oder gar eine Nation?
21.04.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 6.5.1994
Militärpolitik; Demokratie; Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betreffend neue Aufgaben der Bundeswehr
Die derzeitige Auseinandersetzung zwischen den Parteien vor dem Bundesverfassungsgericht zu out-of-area Einsätzen der Bundeswehr betrifft nur eine Vorfrage: "Wie weit darf die Bundeswehr gehen?"
Die Hauptfrage aber ist eine politische und wird durch den Richterspruch nicht etwa miterledigt: "Wie weit soll die Bundeswehr gehen?" Diese Frage kann nur in einem politischen Prozeß zwischen den Parteien und den Bürgern geklärt werden. Nur dann sind Aufgeschlossenheit und verläßlicher Rückhalt für die Bundeswehr zu gewinnen, die diese in einer grundlegend geänderten Umgebung dringend benötigt.
16.03.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 22.3.1994
Militärpolitik;
von BM Rühe angekündigtes Weißbuch zu künftigen Aufgaben der Bundeswehr
Im Wahljahr findet die Bundeswehr offiziell zurück zu traditionsbeladener Normalität: Auf Krisenreaktionskräfte setzte schon der gute alte Kaiser Willem. Sie fuhren damals auf Kanonenbooten (auch der aktuelle Flottenbau geht schon längere Zeit unter Volldampf und ohne demokratischen Aufwand in diese Richtung).
Welche Krisen sind gemeint - Korea-Krise, Kuba-Krise, Vietnam-Krise, Öl-Krisen, Iran-Krise, Kuwait-Krise, UdSSR-Folge-Krisen, Jugoslawien-Folge-Krisen, Somalia-Krise - und woraus wächst die stramme Zuversicht, derartige Krisen mit einem Mal kompetenter zu lösen oder auch nur die Krisenlage objektiver erkennen zu können? Wer gibt die Gewähr, daß die Serie diplomatischer und militärischer Flops nicht ständig ergänzt wird, wie zuletzt in Somalia?
Wir sollten im Wahljahr impertinent danach fragen!
31.01.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 4.2.1994
Ökologie; Plädoyer v. Hannskarl Salger gegen Verkehrsbeschränkungen in Innenstädten; Stadt-Anzeiger v. 28.01.1994
Welche Lobby hat sich denn dieses Herrn bemächtigt? Bei Hannskarl Salgers Thesen zu Auto-freundlicheren Innenstädten gefriert mir glatt das Benzol in den Adern.
20.01.1994
FOCUS; abgedruckt: FOCUS 6/1994
Artikel über Wolfgang Schäuble in FOCUS 3/1994
Statt DER CHEF hätte die Überschrift auch IL PRINCIPE lauten können. Ein Juristenkollege Schäubles hatte unter diesem Titel im 16. Jahrhundert eine noch heute gern gelesene Rezeptur für den Machterhalt ersonnen - für den ganz gewöhnlichen, von christlicher Ethik abgekoppelten Machterhalt. Der Kollege hatte sich ebenfalls mit innerer Verwaltung und auch mit dem Militär befaßt und ihm waren die Herstellung von nationaler Einheit und Größe brennende Anliegen.
Wer war's? Niccolò Machiavelli.
06.01.1994
Der Spiegel
Schäuble-Interview "Starker oder schwacher Staat" im SPIEGEL 1/1994
Schäubles Überlegungen zur Bundeswehr machen verblüffenden Sinn, wenn wir sie im Kontext seiner vorrangigen Themen - Wirtschaft, Arbeitslosigkeit und innere Sicherheit - nur ein wenig fortspinnen: Die Union nimmt gegen alle wahlbedingten Lippenbekenntnisse mittlererweile einen hohen Sockel von Arbeitslosen als schicksalhaft systembedingt hin. Konsequent muß sie bei einiger Voraussicht Maßnahmen erwägen, die die Gesellschaft gegen den aus breiter sozialer Demontage mit statistischer Unausweichlichkeit erwachsenden Sprengstoff härtet. Es ist nun einmal wenig wahrscheinlich, daß diese wuchernden Heerscharen ihr Los dauerhaft in Frieden und Würde ertragen. Dies gilt auch und gerade für Bewohner der neuen Besitzungen im Osten.
So erscheint das Weltbild der heutigen Union von der Bedrohung durch externe ebenso wie durch interne Armutskriege geprägt. Das Allheilmittel gegen äußere wie innere Un-Sicherheit heißt aus Sicht der Union dann vielleicht folgerichtig: Bundeswehr. Denken - so auch Schäuble - darf man ja wohl noch!
und, viele Leserbriefe vorher:
29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)
Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.