Karl Ulrich Voss, Burscheid: meine Leserbriefe im Jahre 2001

 

08.11.2001
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 13.11.2001
zur Ankündigung von Herrn Bundeskanzler Schröder, dass sich Deutschland mit einem Kontingent von 3.900 Soldaten aktiv an dem Krieg in Afghanistan beteiligen wird

Die Nachkriegszeit ist also vorbei. Die Vorkriegszeit auch schon fast wieder. Und Bundeskanzler Schröder will gleich eine Abmagerung der Verfassung: Der Bundestag soll künftig lediglich über die Bereitstellung von Personal und Material der Bundeswehr entscheiden, nicht mehr über den konkreten Einsatz. Die Bundeswehr wird vom Parlamentsheer – so noch 1993 das Bundesverfassungsgericht – zum Kanzlerheer. Eine kleine Anleihe machen kann Schröder bei einem markigen Vorgänger, Otto von Bismarck, der im vorvorigen Jahrhundert bereits wusste: "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut!"

Weltweit geachtet haben die Deutschen viele Jahre mit einem nicht geschriebenen Grundrecht gelebt: Die Aufgabe der Bundeswehr war strikt begrenzt auf Verteidigung gegen einen unmittelbaren militärischen Angriff. Jeder Krieg, in dem Deutsche hätten kämpfen müssen, hätte eine eindeutig nachvollziehbare Ursache gehabt. Derzeit führt Amerika einen vollgültigen Krieg gegen eines der ärmsten Länder der Welt. Es beruft sich dabei auf die Tat eines ehemaligen Bundesgenossen, ohne dass wir die Zusammenhänge wirklich bewerten können. Wir wissen auch nicht, wohin die Expedition gehen wird – welche weiteren Länder auf der Basis welcher Erkenntnisse in den Konflikt einbezogen werden – und wie lange der erklärte Weltkrieg gegen den Terror anhalten soll, der das bisherige Völkerrecht praktisch außer Kraft setzt. Ich halte für klüger und nachhaltiger, den Dialog und den Ausgleich zu suchen, als mit jedem Geschoss neue Todfeinde zu säen. Und ich sähe mich dabei nicht als feiger Trittbrettfahrer, sondern als entwickelter Mensch.

 

2.11.2001
SPIEGEL
zu Arundhati Roy: "Krieg ist Frieden", SPIEGEL Nr. 44 v. 29.10.2001, S. 182 ff

Für alle drei gilt das Familien-Motto derer von und zu Bush: "Next to no one!" Und alle drei sind Prachtstücke unserer ohnehin schon kampfkräftigen Cro-Magnon-Linie: George, Arundhati und Usama. Täten sie sich einmal zusammen, wäre das unser GAU.

Von den drei Zwillingen ist Arundhati die mit Abstand begabteste. Sie ist die sprach-mächtigste, diejenige mit der größten kulturellen und emotionalen Spannweite und Arundhati ist am meisten engagiert, unsere explodierende Welt zusammenzuhalten und die Schöpfung zu bewahren. Ich wünsche ihr einen schnellen, klaren Sieg nach Punkten. Und ich wünsche uns allen ein sofortiges Ende des unerklärten Tötens in Afghanistan, das Gerechtigkeit für die Opfer verhindert und mit jedem Schuss neue Opfer sät.

 

16.9.2001
Newsweek
terrorist attacks in New York, Washington and Pittsburgh

On Friday, September 14th I joined an ecumenical service in the Stimson Memorial Chapel in Bonn, Germany. I was impressed by the prayers of participants spoken out aloud, expressing deep grief and sorrow, but trusting in God for help, for justice and against retaliation. As a stranger, I did not dare to speak up myself. If I would, it would have been something like the following:

God of mercy,
talk to those who pray to you and make them speak together:
Christians and Jews, Jews and Muslims, Muslims and Christians.
Let the sign of your followers be not a cross nor a star nor a rising moon,
but a circle of three young children, holding their hands firmly, and dancing.

 

13.9.2001
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 18.9.2001
Terroranschläge in den USA und die möglichen Folgen

Nach allen Indizien der letzten Tage wird der Westen den grausamen Massenmördern von New York, Washington und Pittsburgh einen kalkulierten Dienst erweisen: Er wird massive Rache üben und dabei auch unbeteiligte Opfer in Kauf nehmen. Der Gegenschlag ist bei den Tätern erwartet und sogar willkommen, denn er kann terroristische Gewebe nicht ernsthaft schädigen und er facht den bereits stark entflammten Hass zwischen den Kulturen weiter an: Schulterschluss auf beiden Seiten und bombastischer Autoritätsgewinn für die Warlords.

In den letzten zehn Jahren hat sich die scheinbare Effizienz militärischer Problemlösungen in unser Denken zurück geschlichen. Gelöst hat sich aber rein gar nichts, insbesondere nicht das wirtschaftliche und soziale Gefälle. Verbunden mit dem intensiven kulturellen Druck der Westens, der vielfach als Überfremdung erlebt wird, ist dies die natürliche Basis von Fundamentalismus und Terrorismus. Wer hier nichts ändert, will keine gleichberechtigte Existenz.

 

10.07.2001
DIE ZEIT
zur Überstellung von Slobodan Milosevic an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (DIE ZEIT Nr.28 v. 5.7.2001, S.2: ,,Strafjustiz für Staatschefs?")

Carla del Ponte ist nicht alt und nicht rachsüchtig. Aber Parallelen zum Besuch der alten Dame fallen in den Blick: Das heruntergekommene Güllen, der rettende Milliarden-Cheque der Claire Zachanassian alias Kläri Wäscher, Preis für den Kopf von Alfred Ill, Kläris früherem Liebhaber. Jeder Güllener wird Millionär und dafür geht der Service noch etwas weiter als der der Serben: die Güllener bereiten Ills zuletzt stark terrorisiertem Dasein ganz persönlich ein Ende.

Ich habe keine Sympathien für Milosevic. Aber Milosevic hat nationale Ziele wohl nicht mit signifikant größerer Gewissenlosigkeit - etwas umgänglicher heißt das auf andere angewendet: Kaltblütigkeit - verfolgt als mancher glühend verehrte Staatsmann. Und mag es auch Komplexität für uns angenehm reduziert haben, es bleibt ein trügerisches Bild: Milosevic hat seine Politik weder innerhalb noch außerhalb Serbiens allein gebraut. Das ursprüngliche Ziel, Jugoslawien zusammen zu halten, hat ihn zum lange hofierten Partner des Westens gemacht; denn vor Veränderungen auf dem Balkan haben die am status quo orientierten Regierungen Europas seit Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag traumatische Angste.

Was mich wirklich stört, ist die fast rituelle Wirkung des Haager Verfahrens. Indem Milosevic wie ein Voodoo-Püppchen aufgespießt wird, reinigen sich alle Beteiligten, Serben wie westliche Staaten, von den hässlichen Flecken des Kosovo-Krieges, waschen die Hände in neuer Unschuld und gehen zur Tagesordnung über. Tagesordnung ist der Aufbau nach den Blaupausen des Westens; damit ist das Kopfgeld leicht zu refinanzieren.

 

22.06.2001
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 29.6.2001
PDS-Klage gegen die NATO-Strategie (KStA v. 20.6.2001, S.2: "NATO-Strategie vor Gericht")

Bal paradoxe: die vom Verfassungsschutz umschwirrte PDS führt einer progressiven Bundesregierung vor, was Verfassungspatriotismus bedeutet. Im Ernst, die PDS hat hier wirklich einen gewichtigen Punkt. Wenn sich militärische Handlungsformen des Staates quasi von selbst, ebenso unmerklich wie unweigerlich zu einer ganz neuen Qualität entwickeln, wenn plötzlich unter aktiver Mitwirkung Deutschlands Ausländer im Ausland zu Tode kommen, stimmt im Staate etwas nicht. Dann ist der Souverän – die Gesamtheit der Bürger – um ein wichtiges Mitwirkungsrecht in zentralen Fragen verkürzt worden.

Noch in der Opposition hatte es die SPD auch so gesehen, hatte gar eine rechtsstaatliche Regelung des neuen Militärauftrags erwogen ("Konkret für welche Werte will Deutschland eigene oder fremde Leben aufs Spiel setzen?"). Einmal gut im Amt, ist die Gruppendynamik eines Bündnisses und eine freie Handlungsmacht offensichtlich verführerischer. Der Preis der Bündnisfähigkeit ist demokratische Diät.

 

21.06.2001
Süddeutsche Zeitung
PDS-Klage gegen die NATO-Strategie (Süddeutsche v. 20.6.2001; H. Kerscher: "Der feine Unterschied zwischen Vertrag und Erklärung"); P. Münch: "Hüter von Stabilität und Sicherheit")

Im Organstreit der PDS geht es um außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung. Schwächlich erscheint mir Fischers Angst-gestützte Argumentationslinie, nur bei größtmöglichem politischem Spielraum sei die Bundesrepublik bündnisfähig und sicher; die USA seien sensibel und allzu leicht zu verschrecken - etwa wie der sagenhafte Karlsson vom Dach. Tatsächlich verlagert diese Linie die grundlegenden langfristigen Entscheidungen in Lebensfragen aus der öffentlichen, rückkopplungsfähigen Demokratie in die abgeschirmte Zonen der übernationalen Militärbündnisse, die von institutionellen, persönlichen und nicht zuletzt von ökonomischen Interessen regiert werden.

Das führt zu dem zweiten und nun intensiv rechtsstaatlichen Defizit, das im Organstreit kaum sichtbar wird: Seit der ambitionierten Neuorientierung der westlichen Militärpolitik ist der Staat mit einer abstrakten, generellen Regelung im Verzug, die den Einsatz der neuen Machtmittel konkretisiert und eingrenzt, auch im Interesse der Soldaten. Die SPD hatte sich im letzten Wahlkampf ein Bundeswehr-Aufgabengesetz vorgenommen, dies auf dem Feldherrnhügel aber wieder aus den Augen verloren. Ein wenig wie vor langer Zeit der Sonnenkönig: Gesetze sind schön, solange sie das Regieren nicht behindern.

 

14.03.2001
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt: 20.3.2001
Beteiligung der Bürger an unserer Demokratie (Stadt-Anzeiger v. 13.4.2001; Markus Decker: "Beteiligung schafft Nähe")

Entkernt, müde, fern – so sehen viele Bürger ihre real existierende Demokratie. Gerade der Nachwuchs wendet sich ab. Eine Reform täte gut: Bürger könnten selbst über Gesetze abstimmen, endlich die eigene Verfassung annehmen, vielleicht das Staatsoberhaupt wählen. Der Gewinn läge in einer belebenden Konkurrenz zur etablierten, "repräsentativen" Polit-Szene und insbesondere in einer hautnahen politischen Bildung der Bürger, in einer Art "demokratischen Trainings on the job". Und mehr Flops gäbe es wohl auch nicht als bei der angestammten verbandsnahen Politik.

Aber das alles reicht noch nicht. Oder es wäre nur ein Feigenblatt. Denn das Normal-Verfahren für Gesetze, für Steuern, für staatliche Investitionen und für die Verwaltung bleibt auf unabsehbare Zeit der bisherige Weg: über das Parlament und damit über die politischen Parteien. Auch und gerade hier brauchen wir daher eine einladende Öffnung und Beteiligung. Die Parteien müssen die ganz normalen Bürger als politische Impulsgeber, als Ressource begreifen und intensiv und mit offenen Armen schon in ihre Ideenfindung und Programmbildung einbeziehen. Sonst geht die Zeit ganz an ihnen vorbei.

 

23.02.2001
DIE ZEIT, abgedruckt: 8.3.2001
Luftangriff auf den Irak (DIE ZEIT Nr. 9 v. 22.2.2001; Josef Joffe: "Weltpolitik ohne Partner")

Es ist recht einfach festzustellen, dass Europas Abstand zu den USA kleiner ist als der in Richtung Irak. Allerdings würde ich bei dem atlantischen Zusammenhalt weniger auf übereinstimmende, positive Hauptwerte hinweisen
– denn das müsste Legalität einbeziehen – sondern auf gemeinsame Haupt-interessen einschließlich ganz nüchterner ökonomischer und sicherheitspolitischer Ziele.

Gerade an Legalität hapert es in der neueren westlichen Außenpolitik. Die Flugverbotszonen im Norden und Süden des Irak sind nicht durch die VN genehmigt. Der Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses erkannte sie im Jahre 2000 schlicht als rechtswidrig. Einige wollen das Recht hier ein wenig verflüssigen: Die Zonen hätten zwar keine solide Rechtsbasis, könnten aber als "politisch-moralisch vertretbar" eingestuft werden, ein auch von anderen Einsätzen bekanntes Argumentationsmuster. Nur: der Einsatz galt im konkreten Fall nicht dem Schutz hier und jetzt bedrohter ethnischer Minoritäten, sondern nur der Perpetuierung der Missionen selbst. Und ganz akut gefährdete Minderheiten sind rund um den Globus auszumachen, auch widergespiegelt in vielen VN-Resolutionen.

Dies wäre doch ein lohnendes Projekt gemeinsamer atlantischer Kultur: die nach Ende der Blockkonfrontation noch rohen neuen Formen der internationalen Politik zu regeln und hierzu einen internationalen Konsens zu schaffen. Und zu verhindern, dass das Völkerrecht durch Interessenpolitik im Gewand von selbst ausgerufenen "politisch-moralisch vertretbaren" Eingriffen weiter erodiert.

 

und, viele Leserbriefe vorher:

 

29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der Count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

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