Karl Ulrich Voss, Burscheid: meine Leserbriefe im Jahre 2002

 

26.11.2002
Kölner Stadt-Anzeiger
Äußerungen von Thomas Goppel im Zusammenhang mit dem Wahlkampf (KSTA v. 23./24.11.2002 S. 7, "Goppel zieht Vergleich mit Nazi-Wahlerfolg") der folgende Leserbrief:

Es jodelt nicht, es trieft schon recht eitrig aus der Lederhose. Wenn Thomas Goppel, immerhin Generalsekretär einer nach eigener Einschätzung staatstragenden und christlich orientierten Partei, Homosexualität im gegnerischen politischen Lager brandmarkt - und genüsslich wie mit einem Videoclip illustriert - so geht er mit bester Demagogen-Technik Kundenfang und nimmt grinsend gewaltigen gesellschaftlichen Schaden in Kauf.

Erstaunlicherweise habe ich aus der CSU noch keine aufgebrachte Kritik an Medienunternehmern wie Kirch vernommen. Obwohl doch wenige in der Republik so phantastische Geschäfte damit gemacht haben, weibliche Würde und Scham en gros zu verramschen - und damit letztlich auch das Marienbild nachhaltig zu sprengen. Man sagt aber, dass sich die CSU jahrzehntelang wohlig im goldenen Glanz von Kirch und Co. geräkelt hat. Das muss nicht gottlos sein, ist aber wohl sehr bigott.

Und noch eine Anmerkung zu Thomas Goppels Vergleich mit den Dreissiger Jahren: Homosexualität ging den Nazis in ihrem Züchtungswahn massiv gegen den Strich. Gute Gesellschaft für Herrn Goppel?

 

26.11.2002
Frankfurter Allgemeine
Nato-Tagung in Prag (F.A.Z. v. 23.11., Kommentar von Karl Feldmeyer auf S. 1 "Das Ende der alten Nato")

Karl Feldmeyers treffende Wertung, von der alten Nato sei kaum mehr als der Name geblieben, erinnert an Cyril Northcote Parkinson's Gesetz: Was eine Institution für ihr Wohlbefinden und Wachstum am wenigsten braucht, das ist ihre angestammte Aufgabe. Parkinson hatte den Beweis sinnigerweise an einer (britischen) Kriegsbehörde geführt, die den Krieg harmlos und wohlbehalten überstanden hatte.

Hier allerdings liegt der Fall sehr viel ernster. Das Wiederaufblühen der Nato geht einher mit einer rapiden Erosion des Völkerrechts. Zu Recht weist Karl Feldmeyer darauf hin: Praktisch kann die Nato intervenieren "überall dort, wo es der Nato-Rat beschließt" und ohne dass einer der "Juniorpartner" der USA nachhaltige Opposition leisten könnte. Hinzu kommt das von den USA postulierte Recht auf "prä-emptive Eingriffe". Dies bläst - verstärkt durch einen erweiterten Sicherheitsbegriff - den international akzeptierten Tatbestand der militärischen Verteidigung bis zur völligen Nebelhaftigkeit auf; es atomisiert die Souveränität kleiner und mittlerer Staaten und breitet die amerikanische Monroe-Doktrin auf die übrigen vier Kontinente aus. Man kann die neuerliche Zunahme von Konflikten und Rüstung durchaus auch als Folge einer neuen, ambitionierten und aktiven Außen- und Militärpolitik des Westens sehen - statt als deren Anlass, wie es aus interessierten Kreisen gerne verlautet.

Inzwischen stabilisiert sich ein einander hassend-liebendes Kartell aus Präsidenten, Besatzern, Militärs und Terroristenführern gegenseitig, bastelt symbiotisch an Drohkulissen und macht sich für die Angst-befangene Gefolgschaft unentbehrlich. Mit Demokratie haben die meisten dieser Mitspieler nichts im Sinn. Und gerade da kann der Schlüssel liegen. Immanuel Kant konstatierte ganz nüchtern: Mit den eitlen Kriegen werde es erst dann ein Ende haben, wenn die Bürger selbst darüber zu entscheiden hätten. Wir können den Anfang machen, indem wir in einem sauberen demokratischen Verfahren die Tatbestandsvoraussetzungen deutscher militärischer Eingriffe formulieren und entsprechend dem Wesentlichkeitsgebot unserer Verfassung gesetzlich fixieren. Dann muss das Ende der alten Nato nicht auch das Ende der Werte der alten Welt markieren.

 

10.10.2002
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 18.10.2002
Wehrpflicht (zu KStA v. 9.10.2002, S. 2 Markus Decker: Helm ab!)

Wenige legen ihre Hand freiwillig auf eine rotglühende Herdplatte, C. Mucius Scaevola war laut Livius einer der letzten. Leichter geht's schon, nimmt man die Hand eines anderen. Und nochmals lockerer, wenn man dessen Reaktionen nicht mitbekommt.

Parlamentarier unterliegen keiner Wehrpflicht, auch Grüne nicht. Selbst für die Grünen aber sind Auslandseinsätze der Bundeswehr nun schon seit mehr als vier Jahren praktische Politik, aus humanitäre Gründen gewollt.

Drum sollten die Grünen - und alle anderen Volksvertreter gleichermaßen - das Gefühl und die Rückkopplung behalten, dass ihre eigenen Wähler und Mitglieder diese Herausforderung vor Ort aufnehmen. Ganz weit vorne, da wo es weh tut und wo man Menschen weh tut. Das Werkzeug Bundeswehr gerät dann zwar nicht ganz so glatt und praktisch wie eine Fremdenlegion, aber es bleibt deutlich ehrlicher. In Zeiten der Aufgaben-Erweiterung der Bundeswehr spricht mehr für die Wehrpflicht, nicht weniger.

 

4.10.2002
Newsweek
impending Iraq conflict; article 'Heading to Battle' in Newsweek Sept. 30, 2002 (p. 22)

There are recent hints that the US Government significantly contributed to birth and growth of the Iraqui chernical and biological weapons programme and even delivered antrax cultures. That was way back in the days of the Iraq-Iran war, when Saddam still joined the axis of good. Consequently there wasn't too much real time protest against Saddam's barbaric use of those weapons against Iran and against opposing Kurds, and no intervention of course.

It seerns we most of the time fight 'bella iusta' against self designed monsters. Perhaps it is not worth while to discuss those everlasting patterns of the Great Game. lf it wasn't for hundreds of thousands of civilians already victimized by politicians of the 'Zauberlehrling' class. Victims that are mostly children, without any choice of their economical, political, religious or cultural system.

 

26.9.2002
TIME, abgedruckt in TIME v. 28.10.2002
Irak intervention; article 'Does might make it right?' in TIME Sept. 30, 2002:

The dangers posed by terrorists may have increased dramatically and conventional military strategy (including non-conventional weapons) may no longer defend a country against non-state-based forms of aggression. But to start a new war against Irak is more like business as usual and not proof of a new way of thinking and understanding. At best attacking Irak may be explained as turning the rifle from a moving target - Osama bin Laden - and aiming at a more or less stationary Saddam. What the world truly needs is a strategy that fights hatred and inferiority complexes by confidence-building measures in the fields of politics, economics and culture. So the U.S. would aquire friends and bin Laden would lose them.

 

25.9.2002
BILD; abgedruckt: 28.9.2002
Nachhaltigkeit in deutschen Verlagen; zu BILD v. 24.9.2002, S. 1 u. 3, Titel 'Wie grün wird Deutschland?':

Ich hoffe, Sie sehen meinen Leserbrief nicht als Kontrast zu Ihrer Titelzeile v. 24.9.2002 '(Wie grün wird Deutschland?'), sondern als Anerkennung Ihrer betrieblichen Initiative: Mir ist bekannt, dass der Springer-Verlag ein ambitioniertes Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement installiert hat, dabei sogar die Zulieferer-Kette hinunter denkt - bis zu den Arbeitsbedingungen der Holzproduzenten im Ausland. Weiter so!

 

7.8.2002
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 16.8.2002
deutscher Irak-Einsatz (KStA v. 31.7.2002 S. 1 "Klose: Deutscher Irak-Einsatz ist möglich"; KStA v. 6.8.2002 "Kurswechsel in der SPD bei Irak-Einsatz", KSTA v. 7.8.2002 "Kritik an Schröders Irak-Wende":

Okay - es ist schon seltsam, dass die SPD so kurz vor den Wahlen Themen und Lösungen entdeckt, die uns Bürger offenbar stark bewegen: z.B. Arbeitslosigkeit und die militärische Seite der Außenpolitik. Aber besser spät als nie. Jedenfalls halte ich nichts von der These, militärische Fragen hätten im Wahlkampf nichts zu suchen. Das habe ich noch aus dem Jahre 1994 im Ohr, damals von Außenminister Kinkel, der die Neuorientierung der Bundeswehr aus dem Wahlkampf heraus halten wollte - und so kam es dann auch und blieb bisher genau so.

Müssen aber nicht Fragen zu Tod und Leben erst einmal im vertrauten Kreis der Verbündeten auszuklamüsert werden, bevor man den Souverän, uns Volk, einweiht? Nein! Demokratie ist am besten im eigenen Land. Und ich kann mich nicht erinnern, einen Abgeordneten für meine Vertretung in der NATO gewählt zu haben.

Wenn der Kanzler Demokratie und Rechtsstaat ernst nehmen will - und dafür würde ich ihn glatt wählen - dann regelt er endlich, in genau welchen Fällen Deutschland militärische Gewalt einsetzen will: z.B. zur Beendigung nachgewiesener massiver Menschenrechtsverletzungen, vielleicht zur Sicherung der Versorgungs- und Absatzwege (?), zur Rettung deutscher oder verbündeter Staatsangehöriger aus unwirtlichen Gefängnissen (?) oder zur Terror- oder Rüstungskontrolle (?). Vorsicht aber, es rüsten sich viele. Würden wir die Aufgaben der Bundeswehr genau aufschreiben, wie auch Immanuel Kant es sicher gerne gesehen hätte, wären wir um einiges berechenbarer - und wären in besserer Verfassung.

 

2. 8. 2002
An den Deutschen Presserat, Postfach 7160, 53071 Bonn

Beschwerde über Berichterstattung der Bild-Zeitung zur privaten Nutzung von Bonus-Flugmeilen u.a. durch den PDS-Politiker Gregor Gysi; mögliche Verletzung der Zfn. 1, 2 des Pressekodex

Ich bitte um Überprüfung und gfs. Rüge der Berichterstattung der Bild-Zeitung zur privaten Nutzung von Bonus-Flugmeilen u.a. durch den PDS-Politiker Gregor Gysi, insbesondere in der Ausgabe v. Donnerstag, 1.8.2002, S. 1.

In diesem Artikel wird zum Ausdruck gebracht, dass der PDS-Politiker in Folge von Enthüllungen der Bild-Zeitung seinen Rücktritt aus der aktiven Politik erklären musste. Am 2.8.2002 ist den allgemeinen Nachrichten zu entnehmen: Die Bild-Zeitung hatte ihren Meldungen eine Namens-Liste zugrunde gelegt, die vom Bund der Steuerzahler herrührte und u.a. auch Politiker der CDU im Bundestag nannte. Die Berichterstattung der Bild-Zeitung hatte dies nicht erkennen lassen.

Bewertung
Die Vorgehensweise der Bild-Zeitung verstößt aus meiner Sicht gegen das in Zf. 1 des Pressekodex herausgehoben fixierte Gebot wahrhaftiger Berichterstattung. Zf. 2 konkretisiert dieses Gebot dahin, dass der Sinn vermittelter Informationen nicht durch die Bearbeitung entstellt oder verfälscht werden darf. Die Bild-Zeitung hatte in einer besonders appellativen Aufmachung den Eindruck erweckt, dass Informationen zum Missbrauch staatlicher Mittel nur zu bestimmten Gruppierungen vorlägen, nämlich zu den in der Bild-Berichterstattung Genannten. Sie hat die 'ganze Wahrheit' zurückgehalten und damit ein unausgewogenes Bild gezeichnet. Dieses Bild könnte wegen der Nähe zur kommenden Bundestagswahl und bei dem nach Umfragewerten zu erwartenden Kopf-an-Kopf-Rennen der politischen Lager sogar wahlentscheidend wirken. Dies kann der professionell erfahrenen Bild-Redaktion nicht verschlossen geblieben sein; darüber hinausgehend ist sogar ein Vorsatz nicht auszuschließen, die angesprochenen politischen Lager tendenziell darzustellen und die Leserschaft manipulativ zu beeinflussen.

Wegen der Störung bzw. Gefährdung des für unsere Demokratie grundlegenden Wahl-Prozesses bewerte ich den Verstoß als besonders schwerwiegend. Wahrscheinlich wurde durch die unvollständige Berichterstattung auch der öffentliche Druck entscheidend erhöht, der zum Rücktritt eines exponierten politischen Funktionsträgers führte und damit zusätzlich die Wahlchancen politischer Gruppierungen in Deutschland selektiv beeinflusste.

Für eine Prüfung und Reaktion wäre ich dankbar.

 

31.07.2002
Sh'ma
http://www.jewishdiversity.com/may02/nathan.htm
re: Nathans Lewin’s article "Detering suicide bombers"

As a German, I am deeply shocked by Nathan Lewin’s proposals of deliberately killing parents, brothers and sisters of Palestinian suicide bombers. I might not be entitled to any moral condemnation because it were Germans who could have destroyed or at least harmed Mr. Lewin’s youth in Poland and most probably hurt or even killed members of his family. So I would like to question just the effectiveness of his ideas – sheer effectiveness being the core of his initiative anyway.

Guess the Lewin proposals would have been implemented and even the warnings were advertised. Most probably a suicide killer would turn up, whose family would have disappeared just in time. Or there would have been recruited even a ‚suicide bomber family‘ or a part of it – just to publicly stage and plainly prove gross inhumanity and immorality of the Israel adminstration. You amplify the pressure and you just have to wait for an even more devastating explosion. Which you only may contain by even more brutal politics: e.g. by deportation of any Palestinian population from first Israel, then Gaza and the Westbank, a development already quite near to the Nazi "Bevölkerungspolitik" in Europe.

So we have arrived at the very root of the problem, which is not at all adressed in the Lewin paper: The Palestinian side certainly feels justified for a struggle for land and entiteled to any means efficient (!) to defend their rights – eagerly awaiting a Palestinian "Independance Day". And in the scale of values of the Palestinian people – same of the Jewish –land, independence and a glorious future have a much higher ranking than the life of an individual, of a familiy or even a tribe. So the long term solution never lies in detering actions against commonly perceived injustice – and these people read the Bible not the way Nathan Lewin does – but in coexistence and even cooperation of people, who are not so different in looks, habits and some archaic customs as it may seem.

Lewin’s ideas were perfectly fit for the abrahamitic days, when strong, intelligent and often ruthless leaders brought the people of Israel through deserts and dangers to a promised land and where short peroids of peace relied on heavy and immediate retaliation, on deterrence and even aggression. His ideas are not at all fit for times, when land and ressources have shrunk dramatically and we have to cooperate on the basis of live and let live, human rights – and law!

 

23.7.2002
DIE ZEIT,
1.) Kommentar "Diesel: Wirklich sauber?", DIE ZEIT v. 18.7.2002, S. 22
2.) Peter Glotz "Dein Abgeordneter, der arme Schlucker", DIE ZEIT v. 18.7.2002, S. 7:

Zu 1.)
Mit Dieselruß werden auch ganz unmittelbare Gesundheitsrisiken verbunden, nicht nur eine etwaige Klimagefahr: Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen beim BMU (SRU) beschreibt in seinem Umweltgutachten 2002 auf nicht weniger als 16 Seiten eingehend recherchiert und sehr abgewogen den Erkenntnisstand zu lungengängigen, krebsgefährlichen Feinstäuben und insbesondere Dieselruß (Rdnr. 541 – 580). Der Rat empfiehlt die verantwortungsgerechte Verschärfung europäischer und nationaler Grenzwerte und als Sofortmaßnahme steuerliche Anreize für den Einsatz von Partikelfiltern. Die erforderliche Technik ist nämlich bereits seit zwei Jahren verfügbar und selbst der notorisch misstrauische ADAC bewertet sie nach einem Langzeittest als Umwelt-effizient, Leistungs-neutral und Praxis-tauglich.

Die Lösung hat nur einen Pferdefuß: Nicht der Umweltmeister Deutschland hat sie erfunden, sondern Frankreich – und unsere Regierung hat sich hier eher als beschützende Auto-Administration denn als grenzüberschreitend denkende Umweltregierung gezeigt. Ein kreativer Vorschlag weit unterhalb staatlicher Grenzwert-Regulierung und sogar unterhalb von Steueranreizen: Die Bundesregierung beschafft ab sofort nur noch Dienstwagen mit Partikelfilter – insbesondere für Kanzler und Umweltminister!

Zu 2.)
Ich kann es nachvollziehen: Das Gezänk um die Diäten nervt stets aufs Neue und wir sollten die Bemessung in der Tat einer angesehenen Institution außerhalb des Bundestages anvertrauen. Aber Glotzens Leitbild für eine neue Politikergeneration hat einen schalen Beigeschmack. Um "mit dem Volk, dem großen Lümmel, samt seinen ordinären Bedürfnissen fertig zu werden", brauche es Männer von besonderer Statur, die mit stärkeren materiellen Anreizen geworben werden sollten, gfs. in stärkerem Austausch mit der Wirtschaft – eine classe politique gar nach amerikanischem Vorbild?

Zum einen glaube ich nicht, dass materielle Orientierung nachhaltige Politik fördert: Die stakeholder values der Privatwirtschaft können und sollten wir nicht erreichen und die Zocker-Naturen mögen ihre Dienste gerne weiter an Börsen feilbieten. Auch würde ich wirtschaftliche Kompetenz und Gemeinwohlorientierung von Politikern der Bush- & Cheney-Klasse nicht sehr hoch bewerten (s. auch Thomas Kleine-Brockhoff, ZEIT Nr. 30, S. 20).

Zum anderen ist die secessio plebis auf den Berg der Nichtwähler doch bereits massiv im Gange: Wenn, dann braucht es mehr Identifikationsmöglichkeit, mehr Kontakt und mehr inhaltliche Responsivität unseres Senats, keine weitere Abgehobenheit und Exklusivität. Wir sollten parlamentarische Arbeit intelligent auf solche Lebensfragen und Rahmenbedingungen des Staates konzentrieren, bei denen wirklich etwas auf dem Spiele steht und wo die Bürger auf Regelungsmacht ihres Souveräns bestehen müssen: z.B. alternde Gesellschaft, Verteilung von Arbeit, Militärpolitik, Globalisierung, umweltgerechte Wirtschaft und – nach wie vor – deutsch/deutsche Integration. Gleichzeitig könnten wir die Abgeordneten vor dem Ertrinken in Zehntausenden Blatt Parlamentsdrucksachen erretten und vor dem Versauern in der Tretmühle des entwickelten Parlamentarismus. Und das Bundesverdienstkreuz wird ausschließlich an Abgeordnete verliehen, nicht an agile PR-Berater.

 

17.07.2002
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 26.7.2002
Zur Ausklammerung u.a. der USA bei künftigen Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofes (Berichterstattung im KStA v. 15.7.2002 S. 6; Kommentar v. Andreas Zumach "Die USA lenken nur formell ein" im KStA v. 12.7.2002, S. 4)

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist aussichtsreich nur als Kampf um die Köpfe der Menschen der Dritten Welt – mit konsensfähigen Werten aus unserer Kultur. Im Kontrast zu den totalitären Zügen einiger islamischer Staaten müssen wir mit den Leitbildern Rechtsstaatlichkeit, Durchschaubarkeit, Gleichbehandlung und der Wahrung von Menschenrechten werben.

Die USA haben nun erreicht, dass ihre Politiker und Militärs von einer neutralen juristischen Bewertung schwerster Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verschont bleiben. In der Außenwirkung ist das eine unheilvolle Demonstration von Machtpolitik. Die USA haben ihre am amerikanischen Kontinent entwickelte Monroe-Doktrin zwischenzeitlich zu einem Anspruch auf jederzeitigen Eingriff rund um den Globus ausgeweitet. Vor allen Rückwirkungen sichern sie sich nun ab durch ein "legibus absolutus", durch eine Ausnahme von der Geltung des für alle anderen geltenden Rechts – eine Parallele übrigens zu dem Raketenschirm, der militärisch unanfechtbar machen soll.

Eine Erfolg versprechende Strategie gegen lebensbedrohliche Konfrontation ist das offensichtlich nicht: Was der Islam am Westen kritisiert, ist ja nicht die andere Religion. Vorgeworfen wird uns vielmehr: Der westlichen Politik fehlten jegliche religiösen oder ethischen Fundamente, Materielles zähle mehr als Mitmenschlichkeit und die Menschen seien auf narzisstische Weise selbstgerecht. Diese Vorurteile bestätigen wir mit allen Kräften.

 

15.07.2002
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 18.7.2002
zur Freistellung US-amerikanischer Bürger von Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofes (F.A.Z. v. 15.7.2002, Titelbericht S. 1 "Erleichterung über den Kompromiß"; Kommentar K. F. S. 10: "Nach dem Kompromiß")

Der Westen steht in einem Krieg um die Köpfe - und es ist ein Krieg um die Werte. Da findet Amerika keine bessere Strategie, als seine Bürger für legibus absoluti gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof zu erklären?

Wir haben uns angewöhnt: Unsere neue Außen- und Militärpolitik ist die denkgesetzliche humanitäre Weiterentwicklung des Völkerrechts - vielleicht nicht ständig am traditionellen Regelwerk orientiert, aber auf Stärkung von Menschenrechten optimiert. Wir haben so gedacht, auch wenn einige Einsätze zumindest dual-use waren und zusätzlich, wenn nicht zuförderst, nationalen und/oder wirtschaftlichen Interessen dienten. Militärische Einsätze sind Handlungen der Exekutive, und zwar der Lebens-bedrohendsten Art. Die Exekutive soll in unserem Wertesystem durch Legislative und Judikative im Zaum gehalten werden. Bereits die Legislative meldet hier Fehlanzeige: Unter normalen Umständen schreibt sie generell, abstrakt und vorausgehend die erlaubten exekutiven Eingriffsrechte fest - im Bereich der Militärpolitik jedoch haben sich national wie supra-national Einzelfall-Entscheidungen durchgesetzt. Hinsichtlich der Judikative ruhten große Hoffnungen des Schutzes der Menschenrechte auf dem Internationalen Strafgerichtshof. Wenn die USA ihre Bürger vor Gerichtshof abschirmen, ist der objektive Erklärungswert: Wir werden uns nicht fesseln lassen hinsichtlich der Option nicht-humanitär orientierter militärischer Gewalt.

Merke: Wer nichts zu verbergen hat, braucht den Richter nicht zu fürchten. Das richterliche Privileg für die USA kann man mit dem FAZ-Kommentar als abgeklärte Anpassung an die Realpolitik akzeptieren. Müssten wir aber nicht konsequent auch dem Vergewaltiger die Einrede von "Realsexualität" zubilligen? Im Krieg um die Akzeptanz unserer Werte ist mehr als eine Schlacht verloren.

 

14.1.2002
Pschologie heute, abgedruckt Heft 2002/4
Gegensatz Westen/Islam; Essay Peter Krieg im Psychologie heute 2002/1 S. 28 - 32: "Ewige Gerechtigkeit oder anhaltende Freiheit?")

Fruchtbarer als der Gegensatz normativ / kognitiv' ist aus meiner Sicht das Begriffspaar ,normativ / explorativ'. Denn auch normative Systeme sind zu einem guten Teil Folge von Kognition. Sie liefern auch nicht notwendigerweise freiheitsbeschränkende Erstarrungen, sondern häufig weiterhin objektiv nützliche Anpassungen an äußere Bedingungen, z.B. an die Natur, Anpassungen, die individuelle wie auch kollektive Handlungsfreiheit gerade offen halten. Und auch in unseren offenen westlichen Gesellschaften ist das Handeln der Einzelnen im Detail normativ gesteuert, wenngleich vielfach in geschmeidigeren Formen: neben staatlichen Regeln durch Leitbilder, Trends, Karriere-Pfade und Wertegemeinschaften.

Was die Welt gegeneinander treibt, scheint mir mehr der explorative Trieb westlicher Industriegesellschaften zu sein, der den Stoffwechsel der globalen Zivilisation ungebremst anheizt, das Spiegelbild der alten affenartigen Neugier. Gerade hier könnte eine Chance zur Konvergenz und De-Eskalation liegen: In einer Anpassung der Betriebsamkeit des Westens an den eher östlichen Grundsatz der Nachhaltigkeit, der sich auch im islamischen Eigentumsbegriff findet: Güter und Werte sind nicht zur willkürlichen Verfügung bis hin zur Zerstörung überlassen, sondern zur Nutzung für die heutige und jede folgende Generation anvertraut.

 

und, viele Leserbriefe vorher:

 

29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslose Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviller (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der Count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

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