Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahre 2006
Stand:
Dezember 2006
14.12.2006
(66)
Stern
Aufstieg Hitlers ("Von der gedemütigten Nation zum Dritten Reich";
Stern Nr. 51 v. 14.12.2006, S. 82 ff)
Zu
ergänzen ist ein unscheinbarer, aber für Hitlers Aufstieg sehr förderlicher
Prolog: 1922 hatte in München der amerikanische Militär-Attaché Truman Smith
den kultivierten Deutsch-Amerikaner Ernst Franz Sedgwick
("Putzi") Hanfstängl
auf einen höchst talentierten Agitator aufmerksam gemacht. Der nämlich
versprach, die Reparationsforderungen zwar nur teilweise, aber dann verlässlich
zu begleichen und Deutschland als Bollwerk gegen den Bolschewismus aufzubauen. Hanfstängl war sofort für den Burschen eingenommen,
verpasste ihm Manieren und den Eintritt in die Münchener Schickeria, verbarg
ihn nach dem missglückten Marsch auf die Feldherrnhalle zeitweise in seinem
Heim, versüßte und verkürzte dessen Festungshaft, kofinanzierte
die erste Auflage seiner später höchst einträglichen Kampfschrift und wurde
Pressechef der aufstrebenden Bewegung - mit exquisiten Verbindungen in die USA.
Hitler
katalysierte damals offenbar nicht nur deutsche Wünsche und Ängste, sondern
wirkte weit in den Westen hinein. Und merke: die beste Qualifikation für die
spätere Hauptrolle als Todfeind ist eine frühe Seelenverwandtschaft.
Anm.: Der historische Ablauf und der
Lebensweg Hanfstängls sind detailliert festgehalten
unter http://en.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl.
Aufschlussreich sind auch die in Buchform
herausgegebenen Memoiren von Truman Smith: Berlin Alert, The
Memoirs and Reports of Truman Smith. Edited by
Robert Hessen.
Stanford:
8.12.2006
(65)
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 12.12.2006
Verbot gemischt-religiöser Feiern durch Kardinal Meisner (KStAnz
v. 7. u. 8.12.2006, u.a. Joachim Frank, Die Suche
nach dem christlichen Profil, 8.12.2006, S. 4)
Wenn
ich meinen Christus richtig kenne, sieht er als göttlich an, was die Religionen
und Menschen verbinden kann: Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Vertrauen, dagegen
als menschengemacht, was sie trennt: Symbole, Riten, Hierarchen. Aber mein Christus muss auch nicht der eines
Kardinal Meisner sein.
1.12.2006
(64)
Kölner Stadt-Anzeiger
NATO-Auftrag und deutsches Engagement im Süden Afghanistans
Markus Decker "Mehr Gleichberechtigung" (KStAnz
30.11.2006, S. 4)
Mehr
Gleichberechtigung? Im Bündnis mit einem Hegemon mag
sich dieser zu im Allgemeinen höflicheren Umgangsformen bemüßigt fühlen.
Demokratisch-gleichberechtigt disziplinieren lassen will er sich aber
erfahrungsgemäß nicht. Eher wird er auf gleichverpflichtendes
Mitspielen seines Spiels dringen.
Das
Problem liegt im letzten Satz des Leitartikels: Die NATO sucht ihre Zukunft.
Sie sucht sie schon seit 16 Jahren. Und das kollektive Sicherheitsbündnis NATO
war selbst bei massiven Konflikten zwischen NATO-Partnern - Griechenland und
Türkei - weitestgehend taten- und erfolglos. Die Welt wäre möglicherweise
sicherer ohne eine NATO auf rastloser Suche nach neuer Aufgabe und Bewährung.
Anm.: Zur Rolle der NATO im griechisch-türkischen Konflikt siehe gerade eingehend: Matthias Dembinski "Schaffen internationale Organisationen Frieden?" (HSFK-Report 3/2006); download: http://www.hsfk.de/downloads/report0306.pdf
23.11.2006
(63)
SPIEGEL
"Die Deutschen müssen das Töten lernen" (SPIEGEL 47 / 2006)
DER
SPIEGEL titelt und schreibt mit dem unwiderstehlichen Charme der Feldjägerei,
die auch im Angesicht epochalen Scheiterns die letzten Mutlosen und Feigen an
die Front treibt. Zumindest scheinen die Autoren ein blutreicheres deutsches
Engagement als schicksalhaft alternativlos zu erleben. Man kann auch anders.
Mitte der Neunziger hat Rudolf Augstein die raumgreifende neue Militärdoktrin
nüchtern als zeitgenössische "Strafexpeditionen des Westens"
eingeordnet. Wie es aussieht, steht das Konzept des Westens für Afghanistan -
wenn es denn je eines gab - vor dem Ende. Toten soll man keine Lebenden
hinterherwerfen; das gilt vielleicht auch für die NATO.
Anm.: Der SPIEGEL-Titel
und insbesondere dessen von Anführungszeichen nicht relativierter Untertitel
(Wie Afghanistan zum Ernstfall wird) legen eine alternativlose Entwicklung
nahe. Die Beiträge "Das Afghanistan-Abenteuer" und "Sterben für
Kabul" mögen vielleicht als abwägend kritische Position gemeint sein.
Jedoch legen sie in einer signifikanten Zahl von Zitaten, Beschreibungen und
Andeutungen nahe, dass Deutschland als Bündnispartner versagt; sie rücken den
deutschen Beitrag, den man letztlich so auch nicht durchhalten könne, in die
Nähe des lächerlich Memmenhaften und Feigen:
"Berlin verweigert
sich...", Deutsche Soldaten sind auffällig unbeteiligt an den immer
brutaleren Kämpfen...", "haben sich im vergleichbar friedlicheren
Norden eingerichtet", "als eine Art bewaffneter Sozialarbeiter mit
der Lizenz zum Dorfpolizisten", Sozialarbeiter im Tarnanzug", auf
"Schlafplätzen" und beim
"Biertrinken" "Irgendwann wird auch diese PR-Font
bröckeln"
"gelten als Feiglinge, die tödliche Kämpfe meiden" "schlägt den
Deutschen inzwischen offene Verachtung entgegen, sie werden als Feiglinge und
Drückeberger verhöhnt" "die Pflege und Bewässerung der Baumschule
nicht zu vergessen" "Gerecht sind die Aufgaben innerhalb der NATO
nicht verteilt" "Es mag ja ein bisschen feige sein..."
Ich möchte dem SPIEGEL nicht
unterstellen, dass er wie neulich BILD in Eskalation investiert. Eskalation und
weitere Sackgassen könnten aber eine Nebenfolge dieser sehr seltsam anmutenden,
ambivalenten Darstellungsweise sein.
16.11.2006
(62)
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 22.11.2006
Kontrolle der Bundeswehr; Peter Carstens "Einsatz und Kontrolle"
(Frankfurter Allgemeine 13.11.2006, S. 1)
Das
Klandestine ist dem Militär eigen. Natürlich will man
dem Feind nicht eröffnen, wie und wo man zuzuschlagen gedenkt; auch Finten
gehören zum Geschäft. Nun wird der Feind aber auch oft im eigenen Lager
vermutet, gerade bei den Zivilisten im Tross. Wenn’s dann schief gegangen ist,
gibt dies Anlass zu Dolchstoßlegenden – nach dem ersten Weltkrieg ebenso wie
nach Vietnam: Auf dem Felde unbesiegt, ist den Offizieren das vor Angst
kopflose Volk in den Rücken gefallen. Selbst Fremde, wenn denn militärisch
qualifiziert und verbündet, sind in den Korpsgeist noch eher mit einbezogen und
werden als ungleich verständnisvoller und vertrauenswürdiger eingeordnet als
die – zumal ungedienten – Zivilisten, vielleicht gar die Sozialisten, die
unwürdig um des Volkes Gunst buhlen. Ist der Krieg erst einmal vorbei, liegen
sich selbst die ehemaligen militärischen Feinde zu Jahrestagen des Todes
achtungsvoll und tief bewegt in den Armen. Am besten sogar – und das ist der
Pawlow’sche Reflex nach Vietnam – man sieht überhaupt vom wehrpflichtigen
Bürger in Uniform ab, schafft auch persönliche Distanz zum wankelmütigen Volk
und eine ungetrübte Atmosphäre des Militärisch-Professionellen.
Nüchtern
betrachtet: Dieses Denkmuster erleichtert und verlängert Projekte wie
Afghanistan und Irak, macht das nach Bewährung und Ressourcen suchende Militär
auch verfügbarer für partikuläre Interessen. Nun kann man die engste Kopplung
von Einsatz und Kontrolle, die Kant in seiner unsterblichen Schrift „Zum ewigen
Frieden“ erwähnt hatte, unter heutigen Bedingungen kaum realisieren. Dies war
die gute alte Tradition des Kampfes der Häuptlinge, bei der Planung, Ausführung
und Schmerzempfinden in einer Person zusammenfielen. Auch den weiteren Rat
Kants, die Entscheidung über den Krieg den eigentlichen Lastenträgern, also dem
Volk, persönlich zu übertragen, möchte ich als heute eher unrealistisch außer
Acht lassen. Aber wir brauchen tatsächlich mehr Transparenz und Rückkopplung.
Dies mag bei geheimhaltungsbedürftigen operationellen und logistischen Fragen
auch, wie von Peter Carstens vorgeschlagen, einem hoch repräsentativen
parlamentarischen Gremium anvertraut werden. Aber die Grundfragen und die
fundamentalen Abwägungen – zum Schutz welcher Rechtsgüter wollen wir in
existenzielle Grundrechte von Soldaten und von deren Gegnern eingreifen – und
die Evaluation von Missionen nach Ziel und Erfolg, das muss hoch öffentlich
erörtert und entschieden sein. Sonst lernt das Volk aus Kriegen nichts, zumal
nicht aus den Kriegen hinter dem Horizont.
Mit
ihrer breiten medialen und politischen Kompetenz ist die F.A.Z. eine der ersten
Adressen, den Wunsch der Kanzlerin aus dem Vorwort des Bundeswehr-Weißbuchs
2006 aktiv aufzugreifen, nämlich diese für Einsatz und Kontrolle grundlegende
gesellschaftliche Debatte zur Außen- und Sicherheitspolitik beherzt anzustoßen.
15.11.2006
(61)
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Lage in Afghanistan; Markus Decker "Es ist mehr Krieg in
Afghanistan denn je" (KStAnz 14.11.2006, S. 4)
Um
zu töten und um getötet werden zu können, braucht ein Rechtsstaat seit alters
her ein Gesetz. Das Gesetz regelt, für welche Rechtsgüter Töten und Tod stehen
sollen - und für welche eben nicht. Jede Landespolizei hat ein solches
Aufgabengesetz. Es regelt dort z.B. die konkreten Voraussetzungen des finalen
Todesschusses. Die Bundeswehr dagegen ist hinsichtlich ihrer neuen
"robusten" Aufgaben über Richtlinien und Weißbücher bisher nicht
hinaus gekommen.
Fangen
wir damit mal an und schaffen gesellschaftliche Transparenz zu Zielen,
Werkzeugen und Erfolgen! Die Sinnkrise der NATO kann man dann besser kurieren.
Vielleicht ist aber der Afghanistan-Einsatz, der wohl von Anfang an nur auf
Siegen, nicht auf Halten angelegt war, dafür ebenso ungeeignet, wie er die Sowjetunion
retten konnte, trotz deren immer verzweifelteren
Einsatzes von weiteren Ressourcen.
Sicher
kann das Verlagshaus Dumont Schauberg den Wunsch der
Kanzlerin aus dem Weißbuch-Vorwort aktiv aufgreifen und eine Podiumsdiskussion
arrangieren, dabei ein attraktives Spektrum von Bosbach
bis Wellershoff an einen Tisch bringen. Ich diskutiere gerne von unten mit.
P.S. an Herrn Decker: zwei
Anmerkungen, die einen Leserbrief überschreiten:
Meine Befürchtung ist, dass wir zu
leicht den gruppendynamischen Bündniszwängen erliegen könnten. Mir ist eine
Anekdote in Erinnerung, die AM Kinkel von einer NATO-Tagung
Anfang der Neunziger Jahre mitgebracht hatte: In seiner Gegenwart war im
engsten Kreis eine Schweigeminute für Soldaten eingelegt worden, die bereits
bei peace-keeping-Missionen umgekommen oder verletzt
worden waren. Kinkel berichtete später, aller Augen hätten sich betrübt und
schmerzhaft auf ihn gerichtet und er habe sich insgeheim versprochen, diese
Außenseiterposition Deutschlands für die Zukunft zu vermeiden. Das ist halt ein
Risiko kleiner, exquisiter Zirkel. Ich halte darum die "senkrechte",
demokratische Kopplung der Außen- und Sicherheitspolitik für wirksamer zum
Einhegen militärischer Ambitionen als die traditionelle, in der Praxis ungleich
intensivere "waagerechte" Verdrahtung der Exekutive innerhalb eines
Bündnisses oder in internationalen Organisationen. Die stark gruppendynamisch
geprägte Bündnisvernetzung entspricht mit Kohäsions-Werten wie Zuverlässigkeit,
Loyalität, Bündnisfähigkeit, Opferbereitschaft - mit Verlaub - ein wenig dem
Ethos von Jugendbanden. Sie verlängert Kriegsprojekte eher, als dass der zum
Selbstwert gewordene Bund rechtzeitig einen Ausweg findet, der das kollektive
Ansehen wahrt. Der Bündniserhalt selbst tritt schnell an die Stelle des
ursprünglich verfolgten materiellen Einsatzziels, für dessen Erreichen auch im
Angesicht des Scheiterns immer mehr Ressourcen und mehr Opfer eingefordert
werden, also "mehr desselben", wie Paul Watzlawick
in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" sehr einfühlsam beschrieben
hat.
Der vorletzte Satz Ihres Artikels
hat mich besonders nachdenklich gestimmt: "Wer bereit ist zu töten, sollte
auch bereit sein, sich töten zu lassen." Kant hat in seiner unsterblichen
Schrift "Zum ewigen Frieden" das einfachste Instrument genannt, um
Kriegsentscheidungen und Kriegsrisiken transparent und effizient rückzukoppeln,
nämlich die gute alte Tradition des Kampfes der Häuptlinge. Nun ist es recht
unwahrscheinlich, dass unsere Politiker selbst in den Krieg ziehen wollen und
das Wehrpflichtgesetz stellt sie ja auch davon frei. Dann sollten wir aber dem
weiteren Rat Kants zur Stärkung der Rückkopplung folgen, nämlich das Volk, das
selbst die Lasten von Krieg und Kriegsfolgen zu tragen hat, an der Entscheidung
über den Krieg unmittelbar zu beteiligen. Ein erster Ansatz dazu findet sich
eben im Vorwort des neuen Bundeswehrweißbuchs. Die Kanzlerin fordert die breite
gesellschaftliche Debatte zur neuen Außen- und Sicherheitspolitik. Teil der
Debatte muss dann auch sein, warum in Afghanistan - und im Irak - mehr Krieg
denn je ist. Seinen Buchtitel hatte Kant übrigens in leichter Verfremdung dem
Schild eines Wirtshauses entlehnt, das neben einem Friedhof lag.
Nov. 9, 2006 (60)
Newsweek
Stefan Theil "Bundeswehr
Blues" (Newsweek Nov. 13, 2006 p. 45)
Are German military competences
really developing too slowly, shyly or timidly? A democratic state may
certainly redefine his use of force that may result in human death or injury.
But according to my understanding of democracy and the rule of law, there
should be - first - a public debate on the vantages, burdens and collateral
consequences of such doing and - second - a comprehensible state regulation
fixing the substantial 'sine qua non' of the new state form of behaviour. In Germany since
1945, we call it 'Rechtsstaat, Gesetzesvorbehalt, and
Wesentlichkeitsprinzip'.
Chancellor Merkel demands a broad
public debate of the security and defence policy in her foreword to the 2006 Bundeswehr-Weißbuch. This societal effort is still undone;
it could not be replaced by a court decision. And looking at the ravaged state
of
Nov. 7, 2006 (59)
TIME
Andrew Purvis et al. "Bones of contention" (TIME Nov. 6, 2006 p. 11)
As a matter of fact, chancellor
Merkel demands a broad public debate on the out-of-area issue right in her
foreword to the 2006 White Book on the German security policy. And I guess that
a vibrant democratic debate and the definition of precise and comprehensible
limits is a prerequisite for any state use of force that may result in human
death or injury. Immanuel Kant even stated that the chain of wars and the
streams of blood would only end, if those who definitely carry the burdens of
war decide on the declaration of war themselves.
He did so in his booklet "Perpetual
Peace". The German title "Zum ewigen Frieden" was somewhat
ironically derived from the plate of an inn situated near to a graveyard. And
looking at the vast graveyards that
P.S. To me Kant seems to be most
modern scrutinizing the basis of warfare. And I don't see so much difference
between a self-centered emperor of the 18th century
or - in Kant's terms - a "proprietor of state" and the tactics of
George W. Bush. I would assume that the complete
http://www.mtholyoke.edu/acad/intrel/kant/kant1.htm
Immanuel
Kant, Perpetual Peace: A Philosophical Sketch (1795)
SECTION II CONTAINING THE DEFINITIVE ARTICLES FOR PERPETUAL PEACE AMONG STATES
FIRST DEFINITIVE ARTICLE FOR PERPETUAL PEACE "The Civil Constitution of
Every State Should Be Republican"
The republican constitution, besides the purity of its origin (having sprung
from the pure source of the concept of law), also gives a favourable prospect
for the desired consequence, i.e., perpetual peace. The reason is this: if the
consent of the citizens is required in order to decide that war should be
declared (and in this constitution it cannot but be the case), nothing is more
natural than that they would be very cautious in commencing such a poor game, decreeing
for themselves all the calamities of war. Among the latter would be: having to
fight, having to pay the costs of war from their own resources, having
painfully to repair the devastation war leaves behind, and, to fill up the
measure of evils, load themselves with a heavy national debt that would
embitter peace itself and that can never be liquidated on account of constant
wars in the future. But, on the other
hand, in a constitution which is not republican, and under which the subjects
are not citizens, a declaration of war is the easiest thing in the world to
decide upon, because war does not require of the ruler, who is the proprietor
and not a member of the state, the least sacrifice of the pleasures of his
table, the chase, his country houses, his court functions, and the like. He
may, therefore, resolve on war as on a pleasure party for the most trivial
reasons, and with perfect indifference leave the justification which decency
requires to the diplomatic corps who are ever ready to provide it."
7.11.2006 (58)
Kölner Stadt-Anzeiger
Todesurteil gegen Saddam Hussein und Vorgeschichte (aktuell: Tobias Kaufmann
"Sieg des Rechts", Kölner Stadt-Anzeiger 6.11.2006, S. 3, Historie:
"Bush macht mit der Irak-Krise Wahlkampf", Kölner Stadt-Anzeiger
27.9.2002, S. 9)
Manchmal schimpft meine Einzige und
Beste lauthals. Weil ich den Keller mit alten Zeitungen voll stopfe. Aber
manchmal finde ich halt etwas von ewigem Wert wieder, so die Seite 9 aus dem Kölner
Stadt-Anzeiger v. 27.9.2002, auch damals kurz vor den amerikanischen
Kongresswahlen und wohlgemerkt deutlich vor der Irak-Intervention. Dort stand,
was das Todesurteil gegen Saddam Hussein als Akt einer makabren war-soap erscheinen lässt: "Im Sommer sickerte an die
Presse durch, dass Bushs Spitzenberater Karl Rove und
der führende Meinungsforscher der Republikaner, Matthew Dowd,
Parteifreunden geraten hatten, mit dem Irak-Thema auf Stimmenfang zu
gehen." Man müsste die grandiose Choreographie und das professionelle
Timing des neuen Aktes bewundern, lägen nicht diese sechshunderttausend zivilen
Toten dazwischen, die der neokonservative Ego-Trip nach seriöser westlicher
Auswertung gekostet hat, von der nachhaltigen Destabilisierung des Nahen und
Mittleren Ostens ganz zu schweigen.
Bush sollte nur noch in kräftiger
militärischer Begleitung in den Irak reisen. Sonst würde er - Kants
kategorischem Imperativ folgend - in einem weiteren Sieg des Rechts ebenfalls
an den Strang geliefert. Aber das weiß er wohl auch.
Ach ja, noch eine interessante
Schlagzeile der 1992er Seite: "Angeblich El-Kaida-Lager
im Iran entdeckt." Selbstverständlich damals vom US-Regierungssprecher
bestätigt; man kann ja nie wissen, wofür man es noch braucht.
Anm.: Zur Zahl der durch die Intervention verursachten Todesfälle im Irak siehe die aktuelle Studie von Gilbert Burnham et al. „Mortality after the 2003 invasion of Iraq: a cross-sectional cluster sample study”, The Lancet 2006; 368: 1421-1428; dazu mit weiteren Nachweisen u.a. http://www.newscientist.com/article/dn10276-enormous-death-toll-of-iraq-invasion-revealed.html
6.11.2006 (57)
DIE WELT, abgedruckt 8.11.2006
Todesurteil gegen Saddam Hussein
Herbert Kremp "Der Mut zum Urteil zählt" (WELT 6.11.2006, S. 6)
Ganz abgesehen davon, dass ich von
der Todesstrafe rein gar nichts halte, auch nie etwas über ihren präventiven
Nutzen in Erfahrung bringen konnte: Mit dem Urteil gegen Saddam könnte man
möglicherweise weniger Probleme haben, gäbe es nicht das von Herbert Kremp
angesprochene Dilemma volatiler Gerechtigkeit: Auch Saddam war bis zum Ende der
Achtziger Jahre mit Macht und Waffen des Westens gegürtet. Er hat u.a. Zutaten für seine ruchlosen Giftgaseinsätze aus dem
Westen bezogen - nachweislich sogar aus Deutschland.
Andere sind noch
"gegürtet", etwa Bush, Cheney, Rumsfeld,
mittelbar auch Rove. Sie werden kaum eine auch nur
politische, geschweige denn kapitale Verantwortung für die mehreren
Hunderttausend zivilen Toten übernehmen, die ein schlecht begründeter Krieg
nach seriösen westlichen Untersuchungen im Irak nach sich gezogen hat und nach
wie vor fordert. Oder eben für die nochmals mehrere Hunderttausend Toten, die
ein notorisch gewissenloser Verbündeter zur Zeit der Waffenbrüderschaft
ungehemmt verursachen konnte. Nach strafrechtlicher Kausalität sind vielleicht
ungewollte, aber billigend in Kauf genommene Nebenfolgen den Tätern und
Tatverbündeten durchaus zurechenbar.
6.11.20006 (56)
Rheinischer Merkur, abgedruckt 16.11.2006
Kabul; Aufgaben der Bundeswehr
Matthias Gierth "Wofür wir kämpfen"
(Rheinischer Merkur v. 2.11.2006, S. 1)
Die Auswirkungen des makabren
Knochenskandals vor Ort zu beurteilen, das sollten wir in der Tat den Afghanen
überlassen. Was uns aber intensiv interessieren muss, das ist eine
ungeschminkte Bilanz militärischer Missionen: Aufwand und Ertrag, Ziele,
Erfolge, Misserfolge und mittelbare Wirkungen, auch für die Psyche der
involvierten Soldaten. Ziele gab und gibt es viele, altruistische wie
egoistische Ziele und Ziele gleichsam in der Mitte: die der Integration
westlicher militärischer Strukturen und Instrumente. Die letzten sind mit einer
praktisch nicht mehr umkehrbaren Einbettung Deutschlands in gemeinschaftliche
Einsätze noch am ehesten erreicht worden. Ansonsten aber ist der nachhaltige
Erfolg eher zweifelhaft: Afghanistan und Irak stehen nach mehreren
Hunderttausend primär zivilen Opfern auf der Kippe; höchstens mit einem
massiven "Mehr vom Gleichen" können wir uns hier den Erfolg herbeidenken.
Daher ist wirklich die Zeit für eine
demokratische Debatte der Außen- und Sicherheitspolitik, wie sie auch von der
Kanzlerin im Vorwort zum Weißbuch eingefordert wird. Diese Debatte sollte nicht
nur Prioritäten, sondern nüchterne Grenzen für Gewalt festlegen. Das ist für
Kinderstuben ebenso essentiell wie für Staatskanzleien und vielleicht sogar
wegweisend für das gesamte Bündnis.
31.10.2006 (55)
Frankfurter Allgemeine
Totenschädel in Kabul; Weißbuch 2006;
gesellschaftliche Debatte des Bundeswehr-Auftrages
"Die Bundeswehr ist Spiegelbild unserer Gesellschaft"; Interview von
Stephan Löwenstein u. Eckart Lohse mit Verteidigungsminister Jung (FAZ v.
30.10.2006, S. 2)
Spiegeln bzw. repräsentieren unsere
Soldaten die Gesellschaft? Das wird immer zweifelhafter. Das
Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr hatte schon 1993 einen Trend
der Bewerber zum stärker autoritären und gewaltbereiten Flügel diagnostiziert:
Robustere, wirklichkeitsnahe Aufgaben sind in der Praxis halt etwas weniger
attraktiv für die Feinsinnigen und Feingliedrigen und damit selektiv für das
weltanschauliche Profil der Truppe insgesamt. Bundespräsident Köhler hat auf
der Kommandeurtagung 2005 deutlich moniert, dass die
neuen Aufgaben der Bundeswehr bei den Bürgern noch gar nicht richtig angekommen
sind, dass sie zu leicht verdrängt werden. Und selbst in innerer Führung sehr
erfahrene Offiziere beklagen, sie könnten der Truppe einen regional und
funktional offenen, jeweils ad hoc definierten Streitkräfte-Auftrag nicht mehr
nachhaltig vermitteln.
Ganz zu Recht mahnt daher Kanzlerin
Merkel in ihrem Vorwort zum Weißbuch vom 25.10.2006 die breite
gesellschaftliche Debatte zur Außen- und Sicherheitspolitik an. Diese Debatte
wird nicht ohne eine nüchterne Bilanz der bisherigen Strategien für Afghanistan
und den Irak auskommen, nicht ohne klare Einsatz- und Erfolgskriterien und
ehrliche Ressourcen-Entscheidungen. Dann - und nur dann - haben wir die Chance
einer repräsentativeren, wieder mit allen ihren Teilen und Rängen stärker im
Bürgertum wurzelnden Bundeswehr, nähern uns also wieder dem gern beschworenen
'Bürger in Uniform'.
Anm.: Die oben zitierte Studie ist das SOWI-Arbeitspapier
Nr. 77 von Heinz-Ulrich Kohr vom März 1993
"Bundeswehr oder Zivildienst? Politische Orientierungen und Präferenzen
Heranwachsender in den alten und neuen Bundesländern Ende 1992"; link der
Bundeswehr-Universität München dazu: http://www.unibw.de/rz/dokumente/getFILE?fid=1266527
30.10.2006 (54)
FOCUS
Totenschädel in Kabul; Weißbuch 2006;
gesellschaftliche Debatte des Bundeswehr-Auftrages
Thomas Wiegold "Lernt, Taliban zu töten!"
(Focus 44 / 2006, S. 26 ff.)
Die sich auftürmende Schädelpyramide
droht etwas sehr Anerkennenswertes zu verdecken: Bundeskanzlerin Angela Merkel
hat im Vorwort zum Weißbuch 2006 die breite gesellschaftliche Debatte der neuen
Außen- und Sicherheitspolitik gefordert. Das ist in diesem Amt ein Novum. Sie
knüpft dabei an die Feststellung des Bundespräsidenten Horst Köhler von der Kommandeurtagung 2005 an: Die neuen Aufgaben der Bundeswehr
sind bei den Bürgern noch gar nicht angekommen, sie werden zu gerne verdrängt.
Dazu gehört auch die nüchterne
Analyse, ob die Einsätze in Afghanistan und im Irak Erfolgsgeschichten sind und
wenn nein, warum nicht. Erst danach würde ich über den Rat amerikanischer
Medienleute (sic!) nachdenken wollen und mich fragen: Hilft es uns nachhaltig,
Taliban töten zu können oder in respektabler Zahl von ihnen getötet zu werden?
30.10.2006 (53)
DER SPIEGEL
Schädel-Skandal; Weißbuch 2006
"Exzess am Hindukusch" von Ulrike Demmer, Susanne Koelbi, Britta
Sandberg, Alexander Szanda (SPIEGEL 44 / 2006 S. 68
ff.)
Das Sozialwissenschaftliche Institut
der Bundeswehr hatte schon 1993 den Zusammenhang zwischen robusteren neuen
Aufgaben der Bundeswehr und grobsinnigeren Bewerbern herausgefunden. Aber nun
winkt völlig unerwartet Rettung und Entsatz: Wie schon bisher die Arbeits-losen
Landstriche Deutschlands wie Mecklenburg Vorpommern signifikant mehr
Soldatinnen und Soldaten in Richtung Feuer schickten, machen nun auch die neuen
Studiengebühren Druck auf viele junge Menschen. Sie können sich Studium und
gesellschaftlichen Aufstieg nur noch auf dem Felde der Ehre erkämpfen.
Vielleicht ist doch Anlass zu dem,
was die Kanzlerin in ihrem Vorwort zum Weißbuch nachdrücklich einfordert und
was nun hinter schauerlichen Schädelpyramiden zu verschwinden droht: Zur
breiten gesellschaftlichen Debatte von Kosten, Nutzen und Folgen des
erweiterten Auftrages der Bundeswehr. Und zu den nachhaltigen Siegen der
letzten 15 Jahre.
Anm.: Die zitierte Studie ist das SOWI-Arbeitspapier
Nr. 77 vom März 1993.
30.10.2006 (52)
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 31.10./1.11.2006
Totenschädel in Kabul; Weißbuch 2006;
gesellschaftliche Debatte des Bundeswehr-Auftrages
"Globale Herausforderung. Weißbuch definiert Aufgaben der Bundeswehr
neu." (Süddeutsche Zeitung v. 26.10.2006, S. 5)
Die Koinzidenz zwischen der
Veröffentlichung des Weißbuchs und dem Maschinengewehr-haften
Stakkato von Skandalfotos in BILD ist höchst irritierend. Man könnte es
schlicht als den instinktgeleiteten Auflagen-Reflex eines Massenblattes abtun,
das mehr oder weniger zufällig nun einem christdemokratischen Verteidigungsminister
in die Parade fährt.
Ganz schlimm wäre, wenn BILD
insgeheim auf Eskalation, Blut und noch mehr Auflage setzen würde. Oder wenn
BILD mit der widerwärtigen nekrophilen Story von
etwas ablenken möchte, was mit einer deutlichen der Mahnung der Kanzlerin im
Vorwort des Weißbuchs versehen jetzt intensiv angesagt ist: Eine breite
gesellschaftliche Debatte zu Aufwand und Ertrag der neuen Aufgaben der
Bundeswehr. Dazu gehören auch deren Verfassungsverträglichkeit, deren klare
Grenzen. Schon der immer desolatere Zustand des Nahen und mittleren Ostens gibt
zu einer offenen, nüchternen Bilanz militärischer Strategien allen Anlass.
28.10.2006 (51)
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt
1./2.11.2006
Totenschädel in Kabul; Weißbuch 2006;
gesellschaftliche Debatte des Bundeswehr-Auftrages
Tobias Kaumann „Vorsorgliche Panikmache“ (Kölner Stadt-Anzeiger 28./29.10.2006,
S. 4)
Vielleicht ist alles ja gar nicht so
schlimm. Unsere nekrophilen Soldaten könnten sich
auch auf Goethe berufen. Der hatte sich in Weimar Schillers Schädel unter den
Nagel gerissen und nahm ihn vor erlesenen Gästen, wie von Humboldt erschaudernd
berichtete, von einem blausamtenen Kissen unter einem Glassturz und betrachtete
ihn versonnen. „Hurra, ich lebe noch!“, mag er gedacht haben und das verbindet ihn
wohl mit unseren militärischen Repräsentanten in Kabul. Höchst bizarr ist aber
beides. Und der Hinweis darauf, dass auch die Taliban zumindest im übertragenen
Sinne keine Waisenknaben waren, hilft wenig. Zum einen sind die Taliban von
Pakistan und dem Westen selbst in Stellung gebracht worden und unsere Kultur
müsste sich deren Wüten ein Stück weit ursächlich zurechnen lassen. Zum anderen
hat es die Deutschen im zweiten Weltkrieg nicht mehr als ein zynisches Grinsen
gekostet, einerseits die systematischen Morde von Katyn
anzuprangern, andererseits Millionen von polnischen und russischen Opfern auf
ihr Gewissen zu laden. Eine Konkurrenz in Inhumanität entlastet erfahrungsgemäß
wenig.
Wichtiger erscheint mir, und zwar
angesichts der heutigen strategischen Lage, angesichts der heute tendenziell
noch stärkeren psychischen Belastung der Soldaten und deren vermutlich
jahrzehntelanger Nachwirkung: Wir prüfen kritisch, ob das just um diese Zeit
publizierte Weißbuch die Ursachen, die Wirkungen, die Ziele, den Aufwand und
den Ertrag militärischer Einsätze zutreffend analysiert. Die Kanzlerin hat in
ihrem Vorwort zum Weißbuch eine breite gesellschaftliche Debatte der Außen- und
Sicherheitspolitik angemahnt. „Let’s go!“ würde George Walker Bush ganz cool sagen.
Anm.: Die Geschichte von Schillers Schädel ist mit meiner Familie
verbunden und etwas näher dargestellt unter http://www.vo2s.de/0030schw.htm
27.10.2006 (50)
DIE ZEIT
Weißbuch 2006; gesellschaftliche Debatte des Bundeswehr-Auftrages
Jochen Bittner "Das Nicht-Weiß-Buch" (ZEIT Nr. 44. S. 8)
Braucht es ein Marschheft in eine
robustere Zukunft, das gleichzeitig allfällige Krisen und einen
Feigheitsvorwurf der Verbündeten bekämpft? Vor allem braucht es wohl die von
der Kanzlerin im Vorwort eingeforderte breite gesellschaftliche Debatte in
Deutschland, konkret wie wir Sicherheit in Frieden und Freiheit unter den
bestehenden Bedingungen schützen wollen. Und in deren Gefolge hoffentlich eine
rechtsstaatliche Festlegung, was genau wir mit der Bundeswehr anfangen wollen
und was gerade nicht.
Das setzt auch eine nüchterne Bilanz
von Soll und Haben der Außen- und Sicherheitspolitik zwischen 1990 und 2006
voraus. Diese kann schon erschrecken. In den USA stehen sich im vierten
Irak-Kriegsjahr schwindelerregende Gewinnsteigerungen
der Wehrwirtschaft und 3000 militärische Opfer in bizarrem Kontrast gegenüber.
Die Opfer kommen vorwiegend aus der amerikanischen Unterschicht. Die Missionen im
Irak und in Afghanistan stehen zumindest auf der Kippe; das Ansehen westlicher
Humanität ist schon deutlich im Minus. Es mehren sich die Anzeichen, dass die
robusten Aufgaben gewaltbereitere Bewerber anlocken
bzw. dass die Erlebnisse den Beteiligten unkalkulierbare psychische Schäden
einpflanzen. Selbst die militärischen Erfolge selbst erscheinen nicht mehr
nachhaltig. Die These liegt nicht ganz fern: Unsere raumgreifende
Militärpolitik, heute just im Alter eines Halbstarken, ist nicht Teil der
Lösung. Sie ist Teil des Problems.
23.10.2006 (49)
Kölner Stadt-Anzeiger
Irak
Markus Günther "Strategiewechsel in Aussicht" (KStAnz
v. 23.10.2006, S. 4)
Schadenfreude ist in der Tat nicht
angesagt. Weder kann ich mich über das Blutbad bei Zivilisten und Militärs freuen,
noch über den nachhaltigen Ansehensschaden des westlichen Zivilisationsmodells
in der islamischen Welt, noch über die Erosion des amerikanischen
Drohpotenzials und auch nicht über die nach 2001 erneut gewachsene
Bedrohungslage und den daraus folgenden dauerhaften Rückbau unserer
bürgerlichen Rechte. Ein Treppenwitz der Weltgeschichte wäre, wenn der Westen
nach alledem als einzigen Ausweg das Zerschlagen oder Balkanisieren des Iraks
sähe oder das erneute Tolerieren eines autoritären Regimes der Duvallier-, Schah-, Pinochet- oder eben Saddam-Klasse.
Vielleicht können wir den Krieg aber
auch einmal wieder als Lehrmeister ansehen, etwas über die fatal zu
missbrauchende Überschätzung militärischer Optionen dazulernen und dann eine
völlig uneigennützige, zivil geprägte Lösung angehen. Dies wird Geld kosten,
das man aber als Schadensersatz sehen müsste, und den Versuch, die
Verantwortung für die Umsetzung ganz in die örtlichen und regionalen Hände zu
legen. Wenn im Westen der eine oder andere ehrliche demokratische Verantwortung
für das Kriegs-Desaster übernähme, wäre das kein Schaden und ich würde mich
freuen.
10.10.2006 (48)
Spektrum der Wissenschaft
Kim Peek, Thomas Mann und Adolf Hitler
Darold A. Treffert u.
Daniel D. Christensen, “Blick in ein Supergedächtnis”
(Spektrum der Wissenschaft, Okt. 2006, S. 68-73)
Zwei Deutsche, die sich an einer
Weggabelung der Geschichte gegenüber standen, hatten eine ähnliche,
„eidetische“ Gedächtnisbegabung wie Kim Peek. Sowohl
Thomas Mann als auch Adolf Hitler sollen einmal Gesehenes, Gehörtes und
Gelesenes mit höchster Genauigkeit über Jahrzehnte vor Augen gehabt haben. Auch
dies hat Hitler wohl den staunenden Respekt des deutschen Militärs eingetragen.
Er kannte z.B. die Maße und Leistungsdaten deutscher Flugzeuge weit besser als
der dafür zuständige Göring und soll die Admiralität einmal mit einer komplexen
dreidimensionalen Simulation verblüfft haben: Er benannte zutreffend das
spezifische Geschütz, das in einem Kriegsschiff nach Norwegen spediert werden
konnte. Das extreme Gedächtnis hat auch seine Rhetorik effizient unterstützt –
so als hätte er ständig mehrere Teleprompter im Kopf gehabt, über die er
verschiedenste Textblöcke höchst variabel und druckreif abrufen konnte,
stundenlang, wenn er wollte.
Für Hitler – und für Deutschland –
wurde diese vor-zivilisatorische Veranlagung wohl gleichzeitig zum Fluch: Er
konnte seinen Erinnerungen und frühen Fixierungen nicht entkommen. Im Grunde
hat er seinen einmal eingeschlagenen Weg starr, unreflektiert und gefühlsarm
bis zum Untergang verfolgt: Ein „Savant“, der es mit
schrecklichen Konsequenzen zu etwas gebracht hatte.
Anm.: Die Darstellung folgt der sehr gut belegten Analyse des
Psychologen Manfred Koch-Hillebrecht in seinem Buch
„Homo Hitler – Psychogramm des deutschen Diktators“ (1999)
14.9.2006 (47)
Kölner Stadt-Anzeiger
Entscheidung des Bundeskabinetts über den Einsatz der Bundeswehr im Libanon
Sybille Quennet „Die Verantwortung schultern“ (Kölner
Stadt-Anzeiger 14.9.2006, S. 4)
Ist es bitter für Soldaten, wenn ihr
Parlament sie nicht einstimmig in einen Einsatz schickt, der sie und andere
Leib und Leben kosten kann? Oder wäre das ein Zeichen lebender Demokratie?
Fast ein Jahr ist es schon her: Der
Bundespräsident hatte auf der Kommandeurtagung am
10.10.2005 eine breite gesellschaftliche Debatte zu den konkreten Zielen der
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gefordert, weil eben die neuen
Bundeswehraufgaben im Bewusstsein der Bürger und Soldaten nicht verankert sind.
An dieser demokratischen Front gibt es bis heute nichts Neues. Aber zwei neue
Einsatzziele und -szenarien sind schon beschlossen, jedes als historisch
gewürdigt: Zum einen die Wahlüberwachung in Afrika, zum anderen nun der Einsatz
gegen Waffenschmuggel in den Küstengewässern des Libanon.
Vielleicht wird ja irgendwann eine
demokratische Debatte zur künftigen Rolle der Streitkräfte geführt. Und
vielleicht führt dies nach Art eines Rechtsstaates auch zu einer gesetzlichen
Konkretisierung und Begrenzung der Aufgaben der Bundeswehr. Dann möchte ich
eine Einsatzbegründung ganz bestimmt nicht wieder finden: Dass nämlich
Deutschland wegen der Gewalt vor 1945 moralisch zum Einsatz neuer und wieder
polarisierender Gewalt gezwungen sein könne. Dieses Argument wirkte schon im
Kosovo-Krieg brutal dialektisch. Ebenso ist es beim ersten Einsatz im Nahen
Osten. Den hätte unsere wieder erstarkte „Mittelmacht“ auch als rein
humanitären Einsatz gestalten können, gleichgewichtig zugunsten von Bürgern
Israels wie des Libanon – und in vollem historischem Bewusstsein.
5.9.2006 (46)
Rheinischer Merkur, abgedruckt 21.9.2006
Libanon-Einsatz; Hartmut Kühne "Warum unsere Soldaten kämpfen"
(Rheinischer Merkur v. 31.8.2006, S. 1)
Völlig klar, unsere Soldaten
brauchen eine klare Ansage, einen eindeutigen Auftrag, ein gesellschaftlich
akzeptiertes Berufsbild. Aber haben sie das denn heute schon? Auf der letzten Kommandeurtagung, am 10. Oktober 2005, hat Bundespräsident
Köhler die mangelhafte Einbettung der Bundeswehr in die Gesellschaft beklagt
und die breite Debatte der neuen Aufgaben angemahnt. Richtig, unsere Verfassung
verlangt in Gestalt von Gesetzesvorbehalt und Wesentlichkeitsgebot genau diesen
demokratischen Diskurs und unmittelbar darauf bauend eine gesetzliche
Eingriffsgrundlage für jede Form staatlicher Gewalt. Letztmals gefordert hat
das Bundesverfassungsgericht diesen Ablauf übrigens zur Frage des
Kopftuchverbots, das wesentlich geringere letale Risiken zeitigt als jeder
Kampfeinsatz.
Hand aufs Herz: Wer weiß denn
derzeit, wo genau die Zuständigkeit der Bundeswehr beginnt und -
lebenswichtiger noch - wo sie definitiv endet? Darum reicht es gerade nicht, im
Einzelfall und in der Regel unter exponentiell wachsenden Sach- und
Gruppenzwängen "genau hinzusehen". Die ersten Opfer der robusten
neuen Aufgaben sind heute schon fast wieder vergessen: Zwei junge Somalis, von
der Bundeswehr bei Belet Huen
wegen eines Diebstahlsversuches erschossen, vielleicht auch nur wegen eines
Missverständnisses, all dies im Rahmen eines Einsatzes, der getrost als
bündnispolitische Integrationsübung oder als erste militärische Reha-Therapie der Deutschen nach 1945 gedeutet werden kann.
Die Hausaufgaben müssen in einem
Rechtsstaat vorher gemacht sein - sine ira et studio. Dazu braucht es auch die
ethische Expertise der Kirchen. Und die Kirchen sollten dabei ihr Jahrtausende
altes Regelwerk nicht so eilfertig relativieren, wie es in mancher Bibel aus
dem ersten Weltkrieg zu lesen stand. Dort war am fünften Gebot ein kräftiges
Sternchen angebracht und unten auf der Seite die Fußnote gegen all die Zweifel,
die bei den kämpfenden Christen damals schon um sich griffen: (Das
Tötungsverbot) "Gilt nicht im Kriege!"
Anm.: Rede des Bundespräsidenten auf der Kommandeurtagung
am 10. Oktober 2005:
hier
17.8.2006 (45)
Kölner Stadt-Anzeiger
Einsatz der Bundeswehr im Libanon (Kölner Stadt-Anzeiger 17.8.2006, S. 1
"Koalition will Teilnahme an Nahost-Mission")
Vor dem Waffenstillstand hieß es
vielfach, man müsse den Konflikt selbst bei weiteren zivilen Opfern robust
auskämpfen, um einen "faulen Frieden" zu vermeiden. Bis zu einer
nachhaltigen regionalen Verhandlungslösung für den nahen Osten kann ich aber
noch keinen "reifen Frieden" erkennen. Bis dahin sollte sich die
Bundeswehr ausschließlich mit ihren hervorragenden zivilen Kompetenzen
engagieren - Wiederaufbau der Infrastruktur, medizinische Hilfe und Versorgung
der Bevölkerung - und dies am besten auf beiden Seiten. Sie sollte auf keinen
Fall einen nur widerwillig akzeptierten status quo
zementieren, auch nicht auf See.
Die Zwischenzeit können wir in einer
Weise nutzen, die einem Rechtsstaat sehr gut ansteht: Für die breite
gesellschaftliche Diskussion der konkreten, demokratisch mitgetragenen neuen
Aufgaben der Bundeswehr. Der Bundespräsident hatte diese Debatte im vergangenen
Oktober nachdrücklich angemahnt. Es stehen immerhin Menschenleben auf dem
Spiel, bei den Soldaten ebenso wie bei den Menschen, die sie im Einsatzgebiet
antreffen. Und unser Grundgesetz fordert hier eine gesetzliche, alle
wesentlichen Entscheidungen selbst festlegende Eingriffsgrundlage. Dieses
Grundgesetz und die dort zuallererst gesicherten Menschenrechte sind immerhin,
wie wir uns fast täglich erinnern, die richtige Konsequenz aus millionenfach
gewaltsamem Tod!
15.8.2006 (44)
DIE WELT
coming out von Günter Grass (Tilman Krause 'Ende
einer Dienstzeit', WELT v. 14.8.2006, S. 3)
Tilman Krause, der durchaus
einfühlsam und differenzierend urteilt, sieht das Grass'sche Problem nicht in
seiner Jugendsünde oder seinem Schweigen für 60 Jahre, sondern in einer
fehlenden Ambivalenz, die - hätte er sie besessen oder genutzt - Grass weniger
hart über Zeitgenossen wie etwa Adenauer hätte urteilen lassen. Ich will nicht
bewerten, ob in einer Nachkriegswelt, die bewusst zu Bipolarität
und zu manichäischen Scheidungen erzog, auf allen
Seiten Ambivalenz nahe lag. Aber Recht haben Krause und Grass insoweit, als
jedenfalls heute die Zeit gekommen ist, über Schuld und Menschlichkeit im
NS-Staat genauer zu urteilen. Ein pauschales und formales Verdikt, an
Zugehörigkeiten zu bestimmten Kulturkreisen und Organisationen orientiert, ist
ja nur ein denk-ökonomischer Trick. Er hilft bei der Selbst-Verortung in einer
komplexen Wirklichkeit, die von nicht zu bewältigenden Traumata wie Auschwitz,
aber auch Hiroshima geprägt ist.
Schaut man genauer hin, kann man
sogar bei NSDAP-Mitgliedern ganz unerwartet tatkräftige Humanität finden, zum
Beispiel bei dem in Deutschland kaum je gewürdigten John Rabe, in den USA als
"Schindler von Asien" bekannt. Rabe hat mehrere Tausend Chinesen vor
der systematischen Ermordung durch eine entfesselte japanische Besatzungsmacht
gerettet. In dieser Rolle des Unbeteiligten, Außenstehenden, der Empathie
Fähigen, letztlich auch im "a-Nationalen" liegt vielleicht das
Geheimnis von Humanität.
14.8.2006 (43)
Kölner Stadt-Anzeiger
Berichterstattung / Kommentierung der Nachricht zum Einsatz von Günter Grass
bei der Wafffen-SS (u.a.
Frank Olbert "Der Moralapostel steigt vom
Sockel", Kölner Stadt-Anzeiger v. 12./13.8.2006, S. 4)
Grass konnte besser als andere die
Vereinnahmung der Jugend durch den NS-Staat artikulieren; jetzt wird klarer,
warum. Natürlich fragt man sich: Warum erst jetzt? Aber ein einfacher
Vergleich, bevor wir unsererseits die Position des Moralapostel einnehmen:
Adenauers Staatssekretär Globke war ungleich früher
und ungleich stärker in das totalitäre Unrechtssystem verstrickt und hat sich
m. E. auch nicht vergleichbar kritisch damit auseinandergesetzt. Globke konnte das wieder demokratische Deutschland
unangefochten mitgestalten; ein blutjunger Grass mit einer Visitenkarte
Waffen-SS hätte diese Chance mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bekommen.
Seine klare Analyse zur wieder wachsenden Militarisierung möchte ich mir aber
nicht wegdenken - gerade heute nicht. Mit seiner Scham über das spätere
Verhalten muss er persönlich zurecht kommen, sicher auch im Dialog mit denen,
an die er strengere Maßstäbe angelegt hat als an sich selbst.
Aber auf das coming-out
von diversen Bewohnern deutscher Vorstandsetagen, die noch in ihren Zwanzigern
im Mitlaufen "Ho-Ho-Ho-Tschi-Min!"
skandiert haben, können wir nun noch gespannter warten.
11.8.2006 (42)
Rheinischer Merkur
Konflikt zwischen Israel und Libanon, Rheinischer Merkur v. 10.8.2006: Robert
Goldmann "Ein Land steht am Pranger" (S. 3), Thomas Gutschker, "Die Logik der Stärke" (S. 1)und
Hans-Peter Raddatz, "Der Tausendjährige Krieg", (S. 17); Interviews
mit Joachim Kardinal Meisner "Über Israel" (S. 23) und Uwe Gräbe "Die Opfer im Blick behalten" (S. 24)
Der Interessenkonflikt zwischen der
jüdischen und arabischen Seite reicht weit zurück, über das Jahr 1948 hinaus.
Er mag sich 1948 nur besonders massiv entladen haben, etwa in den miteinander
verketteten Gewaltexzessen im arabischen Dorf Deir Jassin
und auf einen jüdischen Sanitätskonvoi bei Sheikh
Jerakh. Der Konflikt trat schon in dem Motto zu Tage, das die junge
zionistische Bewegung ebenso begeisterte wie es die in Palästina ansässige
arabische Bevölkerung konsternierte: "A land without
a people for a people without a land!"
Einige schreiben das bald geflügelte Wort Theodor Herzl zu oder auch Israel Zangwill. Tatsächlich wurde es bereits Mitte des 19.
Jahrhunderts von Anthony Ashley-Cooper, dem 7. Earl of Shaftsbury,
und danach auch von John Lawson Stoddard gebraucht,
einem damals sehr bekannten Weltreisenden und Dozenten. Ashley-Cooper drückte
dabei eine heute wieder aufblitzende apokalyptische Erwartung aus: Der Messias
werde zurückkehren, wenn nur das jüdische Volk wieder unangefochten in der
biblischen Heimat herrsche.
Solche Hoffnungen mögen mitschwingen,
wenn Christen auch angesichts von mehr als 1000 Toten ein Auskämpfen des
blutigen Konfliktes empfehlen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Nach
meinem Verständnis folgt dies aber der archaischeren Denkweise Abrahams, nicht
dem moderneren christlichen Ansatz. Christus hatte bereits aus
Interessenkonflikten in einer enger werdenden Welt gelernt und empfahl gegen
die allfällige Xenophobie und Selbstüberzeugtheit den
Dialog, selbst wenn er unter eigenen Opfern eingeleitet werden musste.
Zweitausend Jahre später ist der vorbehaltlose Dialog - oder besser ein
vermittelnder Trialog - nötiger denn je.
10.8.2006 (41)
DIE ZEIT
Nachhaltigkeit und Wissenschaft (Fritz Vorholz, ‚Die Rückkehr der Ökologie’,
ZEIT Nr. 33 v. 10.8.2006, S. 17)
Der einzig bewohnbare Planet des
Universums ist unsere Erde höchstwahrscheinlich nicht. Das wäre etwas zu viel
Kulisse für unsere Aufführungen. Aber die Schöpfung scheint weise so
eingerichtet zu sein, dass selbst unsere Wissenschaftler von anderen Welten nie
mehr als einen Schimmer erhaschen werden.
Apropos Wissenschaftler: Der
renommierte Astrophysiker Stephen Hawking - ebenfalls über die im Artikel
beschriebenen Phänomene überrascht und besorgt - stellte vor kurzem über Yahoo
die Frage nach dem Überleben der Menschheit; er selbst favorisiert eine
Zuflucht irgendwo anderswo im Weltraum. Eine nicht näher identifizierte Sandy
schrieb dazu: "Wenn es so einfach wäre, in eine andere Welt umzuziehen,
nachdem wir eine perfekte Welt zerstört haben: Wer sagt, dass wir die nicht
auch noch kaputt kriegen?" Dem ist wenig hinzuzufügen, außer dass
Intelligenz, Wissenschaft, Technik und gesunder Menschenverstand bisweilen
ähnlich weit auseinander liegen wie Gestirne.
8.8.2006 (40)
Kölner Stadt-Anzeiger
Konflikt zwischen Israel und Libanon (Christoph Bertram, ‚Militärische Macht
allein kann Israels Existenz nicht sichern’, Kölner Stadt-Anzeiger v.
5./6.2006, S. 7)
Ich stimme Christoph Bertrams
nüchterner Sicht völlig zu. Nach 80 Jahren gewaltsamer Sprachlosigkeit auf
beiden Seiten gibt mehr vom Gleichen - Kriege, Demütigungen, Wagenburgen und
Pufferzonen - der Region keinerlei Perspektive. Dies vermehrt höchstens Einseitigkeit und
Paranoia, bei der zunehmenden Waffenproliferation
auch das Risiko eines apokalyptischen showdown.
Vielleicht hilft es, das System
einmal gedanklich zu verlassen und eine Lösung außerhalb der gewohnten
staatlichen Strukturen zu prüfen; dazu ist ein Blick in die Geschichte
nützlich: Das Motto der frühen Zionisten "a land without
a people for a people without a land" war
bereits im 19. Jahrhundert in ähnlicher Form sowohl von Anthony Ashley-Cooper,
dem 7. Earl of Shaftsbury, und dem amerikanischen
Weltreisenden und Dozenten John Lawson Stoddard
gebraucht worden. Beide hatten aber kein eigenständiges Israel vorgeschlagen,
sondern eine von Europa im Bestand garantierte Exklave.
Möglicherweise würden die roten
Linien heute authentisch und unmissverständlich gezogen, wenn Israel in seiner
anerkannten Ausdehnung völkerrechtlicher Bestandteil eines europäischen Staates
oder der USA würde. Die kulturelle Affinität ist hoch, Interessen könnten in
einem offenen demokratischen Verfahren verfolgt werden, Minderheitenschutz wäre
gesichert, die konfliktgeneigten, missverständlichen Stellvertreterpositionen
wären ausgeräumt und die Sicherheit wäre die einer wesentlich
leistungsfähigeren, solidarischen Einheit. Dies müsste durch einen auch
materiell einfühlsamen Dialog mit allen regionalen Akteuren eingeleitet und
nachhaltig begleitet werden. Es würde sicher etwas kosten, aber wohl nicht mehr
als die 100 Milliarden € für die Internationale Raumstation. Gut, das alles
hört sich recht verrückt an und es ginge an das 1948er Credo eines unabhängigen
Israel - aber die Verhältnisse sind halt auch verrückt, und extrem unmenschlich
dazu.
4.8.2006 (39)
DIE ZEIT
Konflikt zwischen Israel und Libanon (Josef Joffe 'Was Terroristen lieben' ,
ZEIT Nr. 32/2006 v. 3.8.2006, S. 1)
Israel vs. Libanon ist nicht der
erste mittelbare Krieg zwischen Iran und Israel oder USA und Iran. Zumindest
die USA hatten sich im ersten Golfkrieg 1980/1988 'eine Grenze zum Iran
erkauft'. Sie haben den Irak gegen die dem Westen unheimliche iranische
Revolution aufgerüstet, auch mit kriegswichtiger Aufklärung unterstützt. Es war
nur noch komplizierter: Zeitweise haben die USA und Israel beide Kriegsparteien
versorgt, haben damit den Krieg und das Ausbluten für Iran und Irak um Jahre
verlängert - letztlich allerdings unfreiwillig zur Konsolidierung der
iranischen Revolution beigetragen. Es scheint mir nicht unverständlich, dass
der Iran Teil jeder möglichen Lösung in der Region sein will.
4.8.2006 (38)
Süddeutsche Zeitung
Konflikt zwischen Israel und Libanon (Christian Wernicke 'Erstmals leicht
zerzaust', Süddeutsche v. 3.8.2006, S. 3)
Brent Scrowcroft mahnt Condoleeza Rice, die Wurzel des Konflikts und damit auch die möglichen
Lösungen nicht nur in der Jetztzeit zu suchen, sondern bereits im Jahre 1948.
Es erscheint mir fruchtbar, ein weiteres Jahrhundert zurück zu gehen. 1948
fielen zwar sehr markante Ereignisse zusammen: Die massiven gegenseitigen
Gräueltaten im arabischen Dorf Deir Yassin und an einem jüdischen
Sanitätskonvoi bei Sheikh Jerakh, die Proklamation
des Staates Israel und der direkt folgende Unabhängigkeitskrieg. Aber auch dies
waren nur besonders drastische Merkmale einer lange gewachsenen, gewaltsamen
Sprachlosigkeit auf beiden Seiten, im Lager der jüdischen Neusiedler wie der
zunehmend aufgeschreckten arabischen Bevölkerung.
Kennzeichnend wurde das von arabischer Seite als aggressiv und erniedrigend
aufgefasste, zumindest missverständliche Motto 'a land without a people
for a people without a land', das im 19. Jahrhundert in ähnlicher
Form sowohl von Anthony Ashley-Cooper, dem 7. Earl of Shaftsbury,
und dem amerikanischen Weltreisenden und Dozenten John Lawson Stoddard geprägt und gebraucht worden war. Zu Beginn des
20. Jahrhunderts hatte der Brite Israel Zangwill das
Motto aufgenommen; es wurde rasch zu einem Leitbild der 'Territorialisten' in
der wachsenden zionistischen Bewegung, insbesondere für eine jüdische
Ansiedlung im Nahen Osten. Zangwill selbst hatte
wegen der in Palästina bereits absehbaren Konflikte auch andere Siedlungsorte geprüft, z.B. Kanada, Australien,
Mesopotamien, Uganda und die Kyrenaika/Libyen.
Heute wieder sehr aktuell sind zwei Umstände:
Zum einen war Ashley-Cooper ein bekennender Christ und glaubte damals fest an
eine baldige Wiederkehr Christi, für die eine Wiederansiedlung der Juden in
Palästina bibelgemäße Voraussetzung gewesen wäre. Apokalyptische Vorstellungen
dieser Qualität prägen auch heute wieder das Denken konservativer Exponenten im
christlichen und jüdischen Lager - in Form der durch Mahmood
Ahmadinedschad wiederbelebten Mahdi-Legende sogar
unter Schiiten. Der zweite Punkt aber ist konstruktiv und ist einen tieferen Gedanken
wert: Sowohl Ashley-Cooper als auch Stoddard zielten
nicht auf einen unabhängigen jüdischen Staat, sondern auf eine von europäischen
Staaten im Bestand garantierte Exklave im Nahen Osten.
Die nachhaltige Bedrohung Israels
ist nun offenbar die Ursache für seine aktive und häufig auch präemptive Verteidigung und dies regt die Schwingung der
Gewalt fortlaufend an. Dann könnte eine offene völkerrechtliche Verbindung
Israels - in seiner anerkannten Ausdehnung - mit europäischen Staaten oder den
USA dämpfend in beide Richtungen wirken, auf Israel ebenso wie auf seine
argwöhnischen oder nachtragenden Nachbarn. Die verwischten Stellvertreterrollen
in den allfälligen Konflikten des Nahen Ostens würden durch authentisch
abgesteckte Interessensphären ersetzt, durch nun unmissverständliche rote
Linien. Ein intensiver Dialogprozess unter allen örtlich engagierten Akteuren
sollte dies begleiten und 100 Jahre exzessiver Sprachlosigkeit beenden.
1.8.2006
(37)
Newsweek
Israel vs. Lebanon (Gilles Kepel, A mission unaccomplished,
Newsweek July 31, 2006, p. 11 and Richard Wolffe,
Backstage at the crisis, Newsweek July 31, 2006, p. 20)
The
result of a more 'A. J. Muste way of peace' would be
less autistic, less devastating and more sustainable.
1.8.2006
(36)
TIME
According
to Michael Elliott the first key is to get the
It's
not that presently the existence of the state of
31.7.2006 (35)
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 3.8.2006
Konflikt zwischen Israel und Libanon (FAZ v. 31.7.2006, S. 1: 'Logik des
Krieges')
Geschichte kann vielleicht helfen,
von der Logik des Krieges abzukommen: Am Anfang stand ein idealisierendes Bild
von Israel Zangwill und wohl auch Theodor Herzl. Sie
reduzierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rahmenbedingungen des Projekts
Zion an einer kritischen Stelle auf ein logistisches Problem, nämlich 'ein Volk
ohne Land in ein Land ohne Volk' zu befördern. Der zweite, dann nur konsequente
Fehler war, vor der Geburt Israels keinen ernsthaften Dialog zwischen den immer
zahlreicher werdenden Neubürgern und der zunehmend aufgeschreckten
autochthonen Bevölkerung zu führen, sondern sich im Wesentlichen an die
Protektoratsmacht zu halten.
Die Sprachlosigkeit wird zur Stunde
der Kaltblütigen, die noch heute die vordersten Plätze in den Ehrenhallen
besetzen. Repräsentativ und bis heute wirksam für die manichäische
Haltung beider Seiten ist die zweite Aprilwoche 1948, unmittelbar vor der
Proklamation des unabhängigen Israel: Ein Trupp der - wie wir heute sagen
müssten - terroristischen Irgun erschießt in dem damals bei Jerusalem liegenden
arabischen Dorf Deir Yasin etwa 110 Alte, Frauen und
Kinder. Vier Tage später metzeln Angehörige der arabischen Bevölkerung in einem
als Vergeltung bezeichneten Terrorakt einen jüdischen Sanitätskonvoi mit ca. 80
Verwundeten, Ärzten und Krankenschwestern nieder; beides unerhörte
Zivilisationsbrüche, auf eine archaische Weise politisch gemeint.
Israels Gründungsmythos ist daher
leider auch ein ganz unheroischer Schreckensmythos. Der einzige Weg aus diesem
Albtraum ist die sofortige Beendigung der zu Lasten der Zivilbevölkerung
furchtbar asymmetrischen Gewalt und sind Verhandlungen unter Einschluss aller
regionalen Akteure, darunter auch Syrien und Iran.
28.7.2006 (34)
Kölner Stadt-Anzeiger
Bombardierung eines UN-Stützpunktes im Süd-Libanon; Berichte im KStAnz v. 28.7.2006, S. 1 u. 6
Australien sieht die Mission im
Libanon also jetzt als Himmelfahrts-Kommando an und zieht seine Soldaten
zurück. Neben den anderen ‚nebensächlichen Schäden’ der robusten Intervention
Israels darf man dann wohl auch das Ableben der UN verbuchen. Wer das
UN-Hauptquartier in New York einmal gesehen hat, kennt allerdings auch diese
Atmosphäre fortgesetzten Liebesentzuges des vormaligen Hauptgönners, in der
sich die Mitarbeiter der UN ohnehin früher oder später kollektiv in den East
River gestürzt hätten.
Ein paar Krokodilstränen noch und schnell
vergessen! Sehr schade wäre es immerhin um die pädagogisch sehr wertvolle
Dokumentation im Hauptquartier über die gigantischen Rüstungskosten im
Vergleich zum kümmerlichen Aufwand für die weltweite Entwicklung. Und über
einige sehr greifbare Kriegsfolgen, u. a. ein armseliges Türmchen aus
japanischen Münzen, die in der Glut von Hiroshima untrennbar zusammengebacken worden sind.
25.7.2006 (33)
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt: 29./30.7.2006
Konflikt zwischen Israel und Libanon
Kommentar von Nicolas Richter ('Offensive Abwehr', Süddeutsche v.
22./23.7.2006, S. 4)
Jubiläen offenbaren manchmal
fundamentale Brüche zur Gegenwart. In die Zeit der "Offensiven
Abwehr" mit vielen zivilen Opfern im Libanon und Israel fiel gerade die
Feier des 60-Jahres-Gedächtnis zur Sprengung des King-David-Hotel am 22.7.1946
durch die jüdische Untergrund-Organisation Irgun mit damals 91 Toten, darunter
28 Briten, 41 Arabern und 17 Juden. Da stellt sich schnell die Frage nach dem
guten und dem schlechten Terror. Irritierend auch die kürzlichen
Hinweise auf einen vom vormaligen Irgun-Chef und
späteren Ministerpräsidenten, Camp-David-Unterhändler
und Nobelpreisträger Menachem Begin geplanten Terroranschlag auf Bundeskanzler
Adenauer, dem im März 1952 ein deutscher Sprengmeister zum Opfer gefallen war.
Damit möchte ich nicht die
völkerrechtswidrigen Angriffe auf Israel relativieren, aber klarmachen, dass
Gut und Böse, Ursache und Wirkung auch hier nicht objektiv zu trennen sind. Die
Angriffe von Hisbollah und Hamas waren vorsätzliche und sicher strategisch
abgestimmte Provokationen. Sie sollten offenbar die letzten Entwicklungen im
Libanon und im Gaza-Streifen - Minderung des syrischen Einflusses, mögliche
Spaltung der Hamas, selektiver Rückbau der israelischen Besetzung - wieder zurückdrehen
und die vorherigen Gewichte wieder herstellen. Israel hat darauf
erwartungsgemäß sofort reagiert, aber wohl deutlich robuster als angenommen und
ohne ein endgültiges Kriegsziel. Der bei weitem noch nicht in sein Amt
gewachsene Olmert ist ebenso bedacht darauf,
Schwachheiten zu vermeiden, wie es 1945 Truman war.
Der einzig gangbare Weg aus der
militär-psychologisch allseitig geschlossenen Falle ist wohl eine sofortige
Konferenz unter maßgeblicher Beteiligung gerade auch der örtlich beteiligten Akteure,
auch von Syrien, Iran, Hamas und Hisbollah. Das Ziel muss die nachhaltige
Stärkung und Verantwortung der zivilen regionalen Repräsentanten sein, nicht
deren fortwährende Schwächung und Desavouierung. Die Basis des Schreckens kann
nicht verschwinden ohne ihren Resonanzboden. Jeder Tag weiteren Zuwartens wird
als staatlicher Terror in Mittäterschaft des Westens vermarktet werden.
25.7.2006 (32)
DIE WELT, abgedruckt: 27.7.2006
Konflikt zwischen Israel und Libanon
Thomas von der Osten-Sacken 'Warum ich für den Krieg bin' (DIE WELT 25.7.2006
S. 7)
Man ist leicht geneigt, zeitweise
Härte vor Recht ergehen zu lassen - in der pragmatischen Hoffnung, dass dann
das Recht umso nachhaltiger greifen kann. Z.B. scheint in staatlichen
Umbruchzeiten etwas weniger Demokratie und Rechtsschutz schlüssig zu sein, in
Krisenlagen das beherzte Zuschlagen und das möglichst saubere Heraussprengen
von Krebsgeschwüren aus dem Lager des Gegners.
Ich habe diese Hoffnung nicht und
leider zeigt gerade die Geschichte Palästinas, dass Härte in diesem fast von
jedem Turm überschaubaren Landstrich nicht lange durchzuhalten ist oder sofort
verbissene Gegenkräfte provoziert. Das schöne Bild des Nahen Ostens als einer
vorbildlichen, zu Selbstkosten erweiterungsfähigen israelischen Oase -
kulturell, rechtlich, ökologisch, wirtschaftlich - inmitten einer sehr
archaischen, arabischen Wüste, es ist leider falsch.
Vor allem fehlt mir die Gewissheit,
dass Recht und Moral nur auf einer Seite wohnen. Ich mag nicht an einen guten
Terror glauben: Vor wenigen Tagen wurde mit irritierendem Pathos der 60.
Jahrestag des massiven Anschlags der Irgun auf das King-David-Hotel in
Jerusalem gefeiert; die FAZ berichtete jüngst über das von Begin geplante
Sprengstoff-Attentat auf Adenauer im Jahre 1952. Ich glaube nur an schlechten
Terror. Waffengänge hat es genug gegeben, auch ausblutende Bruderkriege, von
außen aktiv angefacht, und keinerlei Effekt. Die einzige Hoffnung braucht
freilich Mut: Ein sofortiger Stillstand der Kampfhandlungen und eine Konferenz unter
Beteiligung auch der lokalen Akteure. Das sind - auch wenn man es bedauern mag
- eben auch Iran und Syrien, Hisbollah und Hamas.
24.7.2006 (31)
DIE WELT
Konflikt zwischen Israel und Libanon
Jutta Limbach in der WELT v. 24.7.2006, S. 2 'In Beirut sind die Bibliotheken
geschlossen'
Danke für den beeindruckenden
Beitrag, liebe Frau Limbach. Martin Luther King nutzte gerne das berühmte Muste-Zitat 'There is no
way to peace. Peace is the way!'
Waffengewalt schafft zwar schnell sichtbare Effekte, aber in der Tat keine
nachhaltige Lösung.
So widerwillig man daran denken mag:
Der einzige Weg, der selbst schon Frieden ist und den Menschen auf allen Seiten
Perspektive verschafft, ist aus meiner Sicht eine sofortige Konferenz unter
maßgeblicher Mitwirkung der real beteiligten regionalen Akteure, darunter auch
Iran, Syrien, Hisbollah und Hamas, in welcher Form der Beteiligung auch immer.
Sonst wird, fürchte ich, in Beirut über längere Zeit kein Buch mehr zur Hand
genommen werden"
24.7.2006 (30)
DIE ZEIT
Konflikt zwischen Israel und Libanon (ZEIT Nr. 30/2006 v. 20.7.2006, S. 1-4)
Ein Bild: Auf dem Schulhof beleidigt
und provoziert ein Erstklässler einen aus der vierten Klasse. Die anderen
Viertklässler schirmen die beiden nach außen ab, sehen selbst eine Weile unbeteiligt
weg, bis der Große den Kleinen nach allen Regeln der Kunst zusammengeschlagen
hat, auch als warnendes Beispiel. Keiner, der hilft oder auch nur schlichtet.
Wir - einschließlich Israel -
präsentieren uns der Welt eher als selbstgerechte Bande, nicht als die
moralische Instanz, die unserem unbeirrt humanistischen Selbstbild entspräche.
Das ist die Gefahr, die mindestens so groß ist wie die des internationalen
Terrorismus.
Zur Erinnerung: Während des erbitterten
Krieges zwischen Irak und Iran hatte Kissinger das zynische Wort geprägt: 'Too bad they can't
both lose.' Der Westen - einschließlich Israel -
unterstützte damals neben dem Irak waffentechnisch auch den Iran (!!!) und
verlängerte damit Krieg und Ausbluten der beiden Völker um viele Jahre. Der
Nahe Osten hat seitdem fortdauernd verloren.
Quellen zum letzten Absatz (Lieferung von Ersatzteilen für
US-Waffensysteme durch Israel und USA an den Iran; Kissinger-Zitat 'Too bad they can't
both lose.'): Kerstin Dahmer,
"Parlamentarische Kontrolle der auswärtigen Gewaltanwendung",
Frankfurt/Main 1998, S. 168ff, 174f in Fn.332, 248, 261ff, 256
20.7.2006 (29)
BILD
globale Erwärmung; Klima-Theorien
BILD v. 20.7.2006, S. 1 u. 9, Titel 'Macht es der MARS so heiß?'
Danke für die beim DLR-Institut für
Planetenforschung recherchierte Theorie über den Einfluss des Mars auf das
Weltklima! Ich habe immer schon gesagt: Die winzigen Menschen können mit der
Erderwärmung nichts zu tun haben.
Anmerkung: Das ist ironisch
gemeint; Hintergrund waren folgende Aussagen in der BILD:
„Deutschland glüht! Rekordwert 38,6 Grad gestern in Kalkar
(NRW) - und es bleibt so. Wissenschaftler diskutieren eine verblüffende
Theorie: Ist der Mars schuld an der Hitze?
Denn die Glut trifft mit seiner
Konjunktion (weiteste Entfernung von der Erde) in diesem Jahr zusammen. Sein
kühlender Einfluss könnte uns jetzt fehlen!
Planeten-Geologe Ulrich Köhler,
DLR-Institut für Planetenforschung: "Seine Oberflächentemperatur beträgt
-60 bis -80 Grad, an den Polen sogar bis -140 Grad." Es ist, als wäre der
Erde die Klimaanlage weggenommen worden. ...”
Mit meinem zugegeben laienhaften
Wissen erscheint mir das wie kompletter Schwachsinn auf dem Niveau von Däniken-Theorien. Es ist absolut unverständlich, wie -
durch Strahlungswirkung oder Konvektion - der Mars durch das Vakuum hindurch
und über solche Distanzen die Erdtemperatur messbar beeinflussen könnte.
Hinsichtlich der Strahlung sollte es bei größerer Entfernung sogar tendenziell
kälter werden, aber höchstens im hundertsten Nachkomma-Bereich. Zur
Außenwirkung: Immerhin ist eine solcher unseriöser Aufmacher angetan, bei
vielen Menschen von den wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen zur vom
Menschen selbst verursachten Klimaänderung abzulenken, damit auch von
verantwortlichem und Ressourcen schonendem Handeln. Das selbst in den USA
zwischenzeitlich akzeptierte Standard-Modell (s. IPCC) wird konsequenterweise
gar nicht erst erwähnt.
18.7.2006 (28)
SPIEGEL , abgedruckt 24.7.2006 (28)
Konflikt zwischen Israel und Libanon
'Eine Frage des Preises', Dieter Bednartz ua im SPIEGEL 29 / 2006 S. 94 ff
"Angemessener Preis", der
Kriegsname der militärischen Initiative Israels gegen den Libanon, ist sehr
zweideutig. Die Strategie Israels richtet sich klar gegen die Einbettung der
Hisbollah im Libanon. Aber sie arbeitet auf dem anfechtbaren Umweg über die
libanesische Zivilbevölkerung und über das globalisierte islamische Netzwerk
eben auch gegen die nach wie vor prekäre Einbettung Israels im Nahen Osten. Mit
den selbst gewählten Nachbarn - und Vettern - wäre ein liebevollerer Umgang
möglicherweise nützlicher, auch wenn unter Vettern immer auch ein paar freaks vorkommen werden.
Burscheid
/
Mahmood Ahmadi-Nejad
President of the Islamic
Mr.
President,
dear Dr. Ahmadi-Nejad
I
am not sure whether the President of the
I
will close with some proposals for an agenda to be initiated by
1.
As you, many of us Germans are trying to find a clause in respect of the
growing international tensions, crises and wars, the millions of people being
displaced and hurt, even murdered, cities, houses and civil infrastructure
being destroyed, local cultures being neglected and eroded and nature being
harmed, partly in an irrevocable way. As you, we notice severe contradictions
in positions, words and deeds of politicians and leaders. If I may add:
politicians and leaders of any nation and creed. …
June
13, 2006 (26)
TIME
German unification and ‘Ostalgia’
Andrew Purvis: "Nostalgia isn't what it used to be" (TIME May 29,
2006, p. 28)
I
guess that there were or are some
'Ostalgia' may still last for a while. It may vanish into
thin air, when the overwhelming might of Western money, media, culture, parties
and lobbies, law and administrative skills has somewhat disintegrated. Might
made for very different personal chances of 'Wessies'
and 'Ossies' from the millisecond of reunification
and made reunification a state of colonization. I.e. 'ostalgia'
will last for at least two or three generations to come, notwithstanding the
unveiling of most inhuman Stasi structures and
practices.
13.6.2006 (25)
Frankfurter Allgemeine
Zusammenarbeit der Religionen;
Katja Gelinski 'Ave Maria
in Florida' (Frankfurter Allgemeine v. 19.5.2006, S. S 10)
Wenn sich Thomas Monaghan
mit seiner katholischen Kleinwelt 'Ave Maria' als
Philanthrop ausgibt, betreibt er wohl Etikettenschwindel. Philanthropie leitet
sich von der Sozialpädogogik des späten 18.
Jahrhunderts ab, die naturliebende, lebensfrohe,
wohlwollende, umfassend gebildete Weltbürger, damit Menschenfreunde formen
wollte; Basedow war einer der Treiber.
Die brachiale Symbolik des
20-Meter-Kruzifixes im Herzen von 'Ave Maria' wird
wenig dazu beitragen, den Ort für Menschen aller Regionen, Religionen und
Rassen im Wortsinne attraktiv und zu einer Stätte der Begegnung zu machen. Sie
wirkt doch eher abschreckend. Wie erfrischend alternativ, offen und versöhnlich
ist dagegen eine Kreuz-Konzeption, die ich vor wenigen Tagen in der mehr als 600
Jahre alten Georgskirche in Oberriexingen bei
Stuttgart gesehen habe! Dort ist Christus vom - nur ca. 1 Meter hohen - Kreuz
herabgestiegen, steht nun davor und segnet.
P.S. zwei links zu der erwähnten Georgskirche bzw. der dortigen Christusdarstellung
www.elkw.de/gemeinden/oberriexingen/georgskirche/dieorgel
www.oberriexingen-evangelisch.de
8.6.2006 (24)
Kölner Stadt-Anzeiger
Nationalsozialismus; geheimdienstliches Decken von Globke
nach dem Krieg
David Morgan 'Was wusste Eichmann?' u. Inge Günther 'Israelische Experten sehen
sich bestätigt' (Stadt-Anzeiger v.
8.6.2006, S. 2)
Geschichte ist häufig eine Parabel.
1922 machte Captain Truman Smith, amerikanischer
Militärattaché in Deutschland, den kultivierten Deutsch-Amerikaner und Münchner
Kunsthändler Ernst Franz Sedgwick ('Putzi') Hanfstängl auf einen
kompromisslosen jungen Redner aufmerksam und bat um sein Urteil. Hanfstängl hörte und war begeistert. Er lehrte den Burschen
Manieren und führte ihn in die Münchner upper class ein, finanzierte sein erstes Buch und die Zeitschrift
seiner Bewegung. Der Mann versprach als eine Frage der Ehre, die Reparationen
aus dem ersten Weltkrieg zu zahlen, gekürzt zwar, aber verlässlich, und ein
Bollwerk gegen den russischen Bolschewismus aufzubauen. Der kompromisslose
Demagoge war natürlich niemand anders als Adolf Hitler, das Buch hieß 'Mein
Kampf' und die neue Zeitung 'Völkischer Beobachter'. Von der Bollwerk-Idee
waren Hanfstängl, Smith und auch der später von Smith
nach Deutschland gebrachte Charles Lindbergh gleichermaßen fasziniert, ebenso
wohl weitere einflussreiche Kreise des Westens.
Es ist nicht ohne Ironie, wenn nach
einem katastrophalen Weltkrieg die Bollwerk-Idee sofort wieder zu Schutz und
Förderung damaliger Akteure gedient hat. Und der Ablauf zeigt die ungeheure
Brisanz der Eigengesetzlichkeit von Geheimdiensten, die uns doch beschirmen
wollen oder sollen.
P.S.:
Die Daten zu Hanfstängl sind übersichtlich bei wikipedia dargestellt (http://en.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl),
dort auch weitere Details, wie etwa, dass Hanfstängl
nach dem missglückten Marsch der Nationalsozialisten auf die Feldherrnhalle
Hitler zeitweise daheim verborgen hatte und dabei Hanfstängls
amerikanische Ehefrau einen versuchten Selbstmord des völlig desorientierten
und depressiven Hitler durch entschlossenes Eingreifen verhindert hat.
Die damaligen Beweggründe von Capt. Truman Smith - starke deutsche Front gegen den
russischen Kommunismus - finden sich in seiner bei Hooverpress
verlegten Lebensgeschichte 'Berlin Alert. The Memoirs and Reports of Truman Smith.' bestätigt.
30.5.2006 (23)
SPIEGEL
Konfrontation USA / Iran
Joschka Fischer: 'Teherans heimlicher Helfer' (SPIEGEL 22 / 2006, S. 116)
Joschkas wallendes George-Mahmood-Inferno kann schon nerven. Zumal er brav das
Modernisierungs-Defizit des Nahen Ostens herbetet und eine ganz ähnliche
Modellbaukasten-Weltsicht beweist wie die neokonservativen Träumer eines 'nation' oder gar 'region engineering'.
Die entscheidende Frage ist doch:
Können wir die jungen Leute der Region für unsere politischen Werte -
Demokratie, bürgerliche Rechtsgarantien, Souveränität - ebenso begeistern wie
für unsere Technologien - für Handy, Internet und Satellitenfernsehen? Oder
mindestens Verständnis für uns wecken? Dort ist das Vakuum, und es ist nicht
mit Macht zu füllen. Und wir sollten - gerade wenn wir Demokratie verfechten
wollen - als erstes unsere Entscheidung über Krieg und Nicht-Krieg nachhaltig
demokratisieren. Kant schrieb das neulich.
26.5.2006 (22)
Kölner Stadt-Anzeiger
Konfrontation USA / Iran
Birgit Cerha: Der Brief des Mahmud Ahmadinedschad (Stadt-Anzeiger v. 24.5.2006, S. 9)
Der Beitrag von Birgit Cerha nimmt die Analyse bereits im Titel und in der
Bildunterschrift vorweg: Ahmadinedschads Schreiben
sei (halt nur) eines in eigener Sache. Auch der Kasten deutet auf einen bloßen
Ego-Trip: Er wolle sich als Einiger des Islam in den Vordergrund spielen.
Das greift wohl zu kurz. Natürlich
ist dies kein privater Brief, sondern ein offener, gerichtet vor allem an
junge, politisch aktive Menschen rund um die Welt. Er könnte, lässt man einmal
die spirituellen Besonderheiten weg, zum weit überwiegenden Teil auch von
Menschen seiner Altersklasse mit Zugang zu Fernsehen und Internet in Europa,
Asien und Amerika geschrieben sein, sogar von Vater Bush. Man mag es nicht
sonderlich diplomatisch finden oder gar perfide, Bush auf die manifesten
Widersprüche zwischen Rede und Tat, Persönlichkeit und Verantwortung,
Verfassung und Kriegsgeschäft hinzuweisen. Aber das genau ist Ahmadinedschads Aufgabe: In einer ganz handhaft bedrohten
Situation des Iran jeden möglichen welt-öffentlichen Beistand zu mobilisieren.
Keinen Gefallen tut Ahmadinedschad allerdings seiner
Sache, wenn er - insoweit nicht im Artikel wiedergegeben - erneut die soziale
und physische Vernichtung europäischer Juden hinterfragt und herabspielt. Ich
rate den Lesern, den Brief im Gesamtzusammenhang zu lesen. Er ist auf Englisch
wie Deutsch über www.president.ir leicht zu
finden.
Noch ein formaler Punkt mit
inhaltlichen Folgen: In den zitierten Text sind in missverständlicher Weise
Klammern eingefügt. Im ersten Satz findet sich die tatsächlich dem Original
entnommene Lobpreisungsformel. Aber z.B. der Klammerzusatz "gegen den
Nationalisten Mossadeq" stammt von der
Kommentatorin, nicht etwa dem Autor, und wirkt doch sehr verkürzt: Mossadeq ist mit der Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Co. sicher für nationale iranische
Interessen eingetreten, aber doch für gut nachvollziehbare. Der dann von westlichen
Interessen ausgelöste Putsch gegen Mossadeq hat ein
Regime an die Macht gebracht, das mit dem von der CIA ausgebildeten und
unterstützten Savak zu den repressivsten und
blutigsten der Nachkriegszeit gezählt wird. Mit späteren Auswirkungen
unmittelbar auf Deutschland: In einer Anti-Schah-Demonstration fiel der
tödliche Schuss auf Benno Ohnesorg, er wurde zum
Fanal des Studenten-Aufstands.
24.5.2006 (21)
Frankfurter Allgemeine
wachsende Polarisierung zwischen Christentum und Islam; zu
Elisabeth Noelle / Thomas Petersen „Eine fremde, bedrohliche Welt“ (FAZ
17.5.2006, S. 5) und
Henning Ritter „Die Zukunft der Selbstmordattentäter“ (FAZ 19.5.2006, S. 39)
Misstrauen und Entfremdung gegenüber
dem Islam wachsen erschreckend. Die Ergebnisse der Allensbach-Umfrage zur
Einschätzung des Islam vom Mai 2006 und Hans Magnus Enzensbergers Streitschrift
„Schreckens Männer“ weisen beide auf massive Polarisierung zu Gunsten eines
christlichen Westens und zu Lasten eines islamischen Orients, zeigen
zusammenwuchernde Stereotype und eine rapide Des-Orientierung. Ich danke
Henning Ritter für den Mut, in solchen Zeiten sogar auf möglichen Nutzen des
Islam hinzuweisen. Ein kleines Beispiel: der anregend nachhaltige islamische
Eigentumsbegriff, der nicht auf Verbrauchen, sondern auf Bewahren zum
fortdauernden Nutzen des Gemeinwesens zielt.
Wichtig und dazu passend ist m.E. auch die von Frank Schirrmacher in seinem
‚Methusalem-Komplott’ vorgeschlagene Deutung: Der heutige Konflikt ist
möglicherweise weniger ein Kampf der Kulturen als ein Konflikt zwischen jung
und alt, um faire Teilhabe, gerechte Chancen und selbst bestimmte Zukunft. Die
Lebensgeschichten wesentlicher Akteure des neuen Terrorismus weisen denn auch
Parallelen zu der Studentenrevolte der Siebziger Jahre auf: Herkunft aus
bürgerlich gebildeten Kreisen, hoch intelligent und in westlicher Technologie
sozialisiert und modern vernetzt. Dann machen aber nationale, ethnische oder
kulturelle Feindbilder und Strategien wenig Sinn: Wir bekämpfen nur uns selbst.
18.5.2006 (20)
Kölner Stadt-Anzeiger
Reform-Eifer der Regierung; Markus Decker 'Schwächelnde
Reformerin' (Stadt-Anzeiger v.
16.5.2006, S. 3)
Reform-Drang vermisse ich bei meiner
Kanzlerin ganz und gar nicht. Aber ich bin auch nur parteiloser Bürger, muss damit
auch keinem anderen Lager rituell ein massives Staatsversagen attestieren. Muss
keinen großen Sprung, keinen grundlegenden Paradigmenwechsel oder einen
angeblich längst fälligen Ruck einfordern und ungnädig die Lernverweigerung
einer verängstigt-depressiven Bevölkerung
diagnostizieren. Und brauche nicht zu dräuen, alles müsse erst viel schlimmer
werden, bevor es auch nur die Chance habe, besser zu werden.
Nun glaube ich auch nicht,
Staatsorgane könnten Entscheidendes steuern oder realistischerweise groß
versagen. Wenn die Politik vollmundig von Reform spricht, denke ich immer an
die Feuerwehr auf einem Karussell aus meiner Kindheit: Jeder Sitz hatte ein
eigenes Lenkrad, jeder drehte ratternd an den ausgeleierten Ringen - und wusste
doch, dass sich die Richtung auch ohne dies ständig ändert. Die realisierten
oder auch nur geträumten Jahrhundertreformen der letzten Jahrzehnte - ob zu
Renten, Gesundheitskosten, Steuern, Ladenöffnung, Arbeitsmarkt - zeigen diese
sehr oberflächliche Wirkungsmacht und die häufig unbedachten Nebenwirkungen,
die ungleiche Verteilung von Nutzen und Lasten.
Als Staatsziel ist mir daher 'steady state' oder
Gleichförmigkeit lieber als ständige 'big bangs' oder Urknallereien. Als Kanzlerin schätze ich eine
nachdenkliche, aufnahmebereite Moderatorin viel mehr als einen unbescheidenen
Vollblut-Führer. Selbst wenn sie für die mediale Öffentlichkeit reizloser sein
sollte.
15.5.2006 (19)
SPIEGEL
Wie viel Steuern braucht der Staat? (SPIEGEL 19/2006)
Auf der Schule habe ich als
Hauptaufgaben des Staates gelernt, die Bürger mit Sicherheit, Gerechtigkeit und
Mitwirkung zu versorgen. Im Alter sieht man deutlicher den Unterhaltungswert
des Gemeinwesens. Und die Fähigkeit des nimmermüden Drainierens: Rastlos das
Geld der Bürger zu sammeln, um es derjenigen Lobby zuzuleiten, die es am
dynamischsten verbauen und verbraten kann.
Das gab es zwar schon immer. Mit der
repräsentativen Demokratie aber trat ein suchterzeugender Faktor hinzu. Projekthafter Aktionismus schafft Denkmale für Wiederwahl.
Ohne Moos nix los.
May
11, 2006 (18)
Newsweek; printed July 17, 2006
war and terrorism; Fareed Zakaria
'Osama Needs More Mud Huts'(Newsweek May 8, 2006, p. 13)
Most
certainly Fareed Zakaria is
more empathetical in respect of things thought or
planned in the Near and Middle East than I will ever be. Nevertheless I think
he is wrong concerning his diagnose, Osama or Al Qaeda were on the decline. At
first: Any leadership of Bin Laden may simply be our projection of Western
management or administrative principles. Correspondingly Al Qaeda - not unlike
the cell-structure of the European terrorism of the Seventies - traditionally
is a quicksilver-like form of community that readily transforms and
reintegrates and catalyzes societal needs.
And
so this may be the most misleading interpretation: That the whole movement is
simply working on faith or religion. I would prefer to see it as a problem of
an intelligent and angry Youth, mostly of privileged communities and with
superb command of Western culture and technologies, that makes use of social
and cultural focal points like
11.5.2006 (17)
Süddeutsche Zeitung
Studentenrevolte und islamistischer Terrorismus
Heribert Prantl "Vater und Mutter der
Rasterfahndung" (Süddeutsche Zeitung v. 9.5.2006, S. 13)
Heribert Prantls
nachdenkliche Reportage über die Erfahrungen und Theorien des Kriminalisten
Horst Herold gibt m.E. zentrale Anstöße für ganz
aktuelle Politik. Es ist sehr schlüssig, Parallelen zu ziehen zwischen dem islamistischen Terrorismus und den Gewaltausbrüchen der
Siebziger Jahre. Auch Frank Schirrmacher hatte in seinem
"Methusalem-Komplott" eine ähnliche Deutung vorgeschlagen. Es geht
heute im Kern nicht notwenigerweise um religiöse
Differenzen, auch nicht um kulturelle Ferne. Sondern um Verständnislosigkeit,
um Verantwortungs- und Ressourcenkonflikte zwischen Generationen: Zornige junge
Menschen, typischerweise aus bürgerlichen, gut vernetzten Kreisen, nutzen
himmelschreiende Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Unnachhaltigkeiten als
Resonanzboden für politische Ambitionen, auch für einen neuen oder anderen Weg
zu leben.
Herold bietet eine weitere Parallele
an. Massivste Verfolgung und Repression mag die Gewalt eher am Kochen halten,
als dass sie diese beendet. Auch das ist nach meiner Überzeugung ganz und gar
auf die dumpfe militärische Reaktion des Westens auf die islamistische
oder jugendliche Herausforderung zu übertragen. Weitergehend: Islamisten ebenso wie damals die RAF konnten sich auf den
bedingten Gewaltreflex und auf die damit einher gehende zivilstaatliche
Selbst-Entmannung des Westens getrost verlassen, zu ihrem kalkulierten
Nutzen."
10.5.2006 (16)
Kölner Stadt-Anzeiger
Iran; Marcel Pott, "Der Islam, der Westen und die islamische Falle" (KStA v. 10.5.2006, S. 4)
Marcel Pott schreibt mit guten
Gründen ohne Illusionen über die geopolitische Lage und die strategische
Kapazität des Westens gegenüber der islamischen Herausforderung. Man gewinnt in
der Tat den unheimlichen Eindruck, die amerikanische Außen- und
Sicherheitspolitik werde seit langer Zeit und sehr systematisch dahin geführt,
sich selbst zu diskreditieren und zu blamieren - unter Ausnutzen von westlichen
Überlegenheitsphantasien, demokratischen Defiziten und dumpfen Ängsten.
Für sehr wichtig halte ich aber auch
eine These, die u.a. Frank Schirrmacher in seinem
'Methusalem-Komplott' zu den eigentlichen Triebkräften der islamischen
Offensive anführt: Dass es sich im Kern gar nicht um ein Phänomen religiöser
oder kultureller Konfrontation handeln müsse. Sondern vielleicht um einen
länder- und kulturübergreifenden Aufstand von intelligenten zornigen jungen
Menschen, die in der Regel privilegierten Regionen und (auch) westlich
ausgebildeten, modern vernetzten Gruppen entstammen und die die sozialen und
kulturellen Brennpunkte wie Palästina lediglich als Beleg und Resonanzboden
nutzen, um ihre politischen und ethischen Führungsansprüche zu untermauern.
Dann wären entscheidende Parallelen zur heutigen islamischen Herausforderung
der Studentenaufstand und der virulente Terrorismus der Siebziger Jahre - der
ja bereits eine intensive Verbindung zum Nahen Osten hatte - bei nun allerdings
gewaltig angeschwollenem Unterstützungspotenzial. Das wiederum legt nahe, rein
militärische Optionen des Westens als ganz und gar untauglich einzustufen, als
bedingten Reflex und als Öl-ins-Feuer-Gießen, von der
anderen Seite durchaus kalkuliert und provoziert.
5.4.2006 (15)
Süddeutsche Zeitung
gesellschaftliche Debatte und rechtliche Fixierung der Aufgaben der Bundeswehr
('Minister Jung fordert Verfassungsänderung' in der Süddeutschen v. 5.4.2006,
S. 1)
Verteidigungsminister Franz Josef
Jung will die Aufgaben der Streitkräfte in gesellschaftlicher Debatte klären
und rechtlich näher regeln. Das wäre eine demokratische und rechtstaatliche
Großtat. Keiner seiner Vorgänger der letzten 15 Jahre hat dies gewagt, obwohl
es überfällig ist. Denn jede militärische Mission gefährdet massiv
existentielle Grundrechte, ob Grundrechte unserer Soldaten und Soldatinnen, ob
Grundrechte ihrer militärischen Gegner oder Grundrechte der mit betroffenen
Zivilbevölkerung.
Für solche Fälle hat die
Verfassungsrechtsprechung den Standard politischer Anstrengung - selbst für
weit weniger einschneidende Eingriffe staatlicher Organe - klar definiert:
"Wenn das Grundgesetz die Einschränkung von Grundrechten dem Parlament
vorbehält, so will es damit sichern, dass Entscheidungen von solcher Tragweite
aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit die Gelegenheit bietet,
ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung anhält,
Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu
klären." So das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung,
zuletzt im so genannten Kopftuch-Urteil des Jahres 2003. Und: "In
bestimmten grundlegenden Bereichen muss staatliches Handeln durch Gesetz
legitimiert werden. Insoweit verpflichten Rechtstaatsprinzip und
Demokratieprinzip den Gesetzgeber dazu, die wesentlichen Entscheidungen selbst
zu treffen. Er darf sie nicht anderen Normgebern oder dem Handeln und der
Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen." So der
Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalens im Jahr 1999 zur damals verfolgten
Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium.
Alle gesellschaftlichen Kräfte, auch
die Kirchen, die Sozialpartner und die Wissenschaft, namentlich die Friedens-
und Konfliktforschung, können und müssen aktiv zur Klärung und Entwicklung der
Wehrverfassung beitragen. Unverzichtbarer Teil des Prozesses ist auch die
nüchterne Auswertung der bisherigen, der noch laufenden und der bereits
absehbaren Missionen nach Zielen, Kosten und nachhaltigem Nutzen. Nicht alle
bisherigen Einsätze haben die Erwartungen erfüllt. Ich wünsche diesem
erstrangigen politischen Projekt engagierte Akteure und jeden Fortschritt!
March
31, 2006 (14)
TIME
You
certainly have to define priorities: Which is the present most dangerous
political entity on the planet, even more psychotic than the Nazis, the
An
addendum regarding the list of nations above, some of whom turned from close
U.S. friends to most deadly enemies: It's not so well known these days, but in
1922 the U.S. military attaché Truman Smith asked a certain Ernst Franz
Sedgwick Hanfstaengl, who was of half-American
origin, to attend the speech of a gifted young demagogue and to report on it
later. Hanfstaengl, a very cultivated man, became as
deeply impressed as Smith was before. He introduced that man to the
29.3.2006 (13)
Frankfurter Allgemeine
Bilderverbot im jüdischen und islamischen Recht (‘Puppen sollten verstümmelt
werden’ in der FAZ v. 27.3.2006, S. 11)
Die kleine Notiz über die Anweisung
des ehemaligen Großrabbiners von Israel, Mordehai Elijahu, Puppen und Plüschtiere von Kindern teilweise zu
zerstören, eigentlich: zu verfremden, wirkt zunächst sehr irritierend.
Irritierend, weil hier Selbstverständlichkeiten eines weitgehend geistlosen
Marktes unvermittelt in Frage gestellt werden. Massenhaftes, makelloses
Spielzeug ist immerhin eine Ikone westlichen Lebens und es ersetzt
Persönliches.
Aber die Notiz birgt über diesen
Denkanstoß hinaus ein wenig Hoffnung, treffen sich hier doch einmal mehr
traditionelle jüdische und islamische Weltsichten: Wir sind zwar zumeist
geneigt, Ungehörtes und Unerhörtes vorzugsweise als Beweis islamischer
Verirrungen zu nehmen, z.B. das mit Elijahus
Vorstellungen verwandte, aber als besonders destruktiv bekannte Bilderverbot
der Taliban. Und es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten: Das Gebot, die Haare zu
bedecken, wird ebenso wie von Nonnen auch von orthodoxen Jüdinnen befolgt,
bisweilen einfach mittels einer Perücke, um der Feindschaft der Umgebung zu
entgehen. Und sieht man auf das traditionelle jüdische und islamische Familien-
und Kindschaftsrecht, findet man erneut das Eine im Anderen, etwa in den
gewitzten Prozeduren der Legitimanerkennung, die ein Kind vom Makel
nichtehelicher Geburt befreien können. Meine Hoffnung ist, dass eine wachsende
Zahl Menschen das Verbindende vor dem Trennenden erkennt und dass auch der
Westen sich nicht schämt, die jüdisch-christlich-islamischen Wurzeln seiner
Kultur und Ethik zu bezeugen. Das hieße dann möglicherweise weniger Spielzeug
für Klein und Groß und mehr Humanität.
23.3.2006 (12)
Kölner Stadt-Anzeiger
Verschärfung des Kopierschutzes bei elektronischen Medien (KStA
v. 23.3.2006, S. 1: 'Schwarz-Kopierern droht Strafe')
Wir verkaufen unserer Jugend immer
mehr und immer schneller Hard- und Software. Wir setzen sie im Netz allen
medial verfügbaren Obszönitäten und Anmachen aus. Wir plündern sie aus mit Handyrechnungen,
Klingeltönen und Sondernummern. Und wenn sie einer der vielen offen
ausgehängten Versuchungen erlegen sind und sich etwas ohne Kontrakt mit dem
Urheber herunterladen, dann kriminalisieren wir sie.
Die Jugend, von der wir gar nicht
mehr so viel haben, soll mal Deutschland sein. Aber wohl nur nach den Regeln
der Alten, die nicht genug bekommen können.
21.3.2006 (11)
DIE ZEIT
Entwicklung des Iran; Rolle von Ministerpräsident Ahmadinedschad
(zur Artikelserie 'Iran, eine Nahaufnahme' in der ZEIT Nr. 12/2006, S. 2-5)
Sehe ich die Kubrick-Anleihe auf dem
ZEIT-Titel v. 16.3. - Ahmadinedschad
als Cowboy auf der Bombe - und lese vom 'iranischen Schrecken', dem
'bedrohlichen' Land, 'Antisemitismus, Antiamerikanismus, Terrorismus,
Fundamentalismus, Größenwahn, Atombomben', so denke ich unwillkürlich 'Streiche
Saddam, setze Mahmud!'. Und es melden sich einige sehr irritierende
Assoziationen:
Zum ersten erinnert mich die
Beschreibung der Menschenjagd in dem ZEIT-Artikel
'Die Rückkehr der Revolution' stark an den 2. Juni 1967, ein Datum, das
deutsche und iranische Geschichte intensiv verknüpft hat: In einem Hinterhof
der Krummen Straße in Berlin erschießt der Polizist Karl-Heinz Kurras aus unmittelbarer Nähe Benno Ohnesorg,
Student, Pazifist und Mitglied der evangelischen Studentengemeinde. So
geschehen am Rande einer Demonstration gegen Reza Pahlewi,
Schah Persiens, die von Polizei und 'Jubelpersern' bewusst und gewaltsam
gestört worden war. Warum die Demonstration, übrigens die erste überhaupt, an
der Ohnesorg teilgenommen hatte? Der pfauenhafte, dem iranischen Volk fremde Schah hatte sich
1953 mit tatkräftiger Unterstützung amerikanischer und britischer Geheimdienste
gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Mossadegh
an die Regierungsmacht geputscht. Dies ist in dem ZEIT-Artikel
'Leben mit tausend Diktatoren' kurz erwähnt - allerdings mit eher verwundertem
Unterton angesichts der noch heute in breiten iranischen Schichten
nachhallenden Wirkung. Mossadegh hatte die Anglo-Iranian Oil Company verstaatlicht und sich so den
Interessen des Westens widersetzt. Reza Pahlewis dann
folgendes Regime gilt als eines der autokratischsten der Zeit nach 1945. Er
hielt sich lange Zeit nur mithilfe des brutal folternden Geheimdienstes Sawak. Der Sawak war vom CIA
ausgebildet worden und wurde vom amerikanischen Auslandsdienst noch bis 1979 -
Exil und Abdanken des Schahs, Beginn der Ära Khomeini - aktiv unterstützt.
Viele iranische Familien tragen davon noch heute Wunden und Narben. Der Tod von
Benno Ohnesorg wurde Bezugspunkt des
Studentenaufstands und förderte auch die spätere Radikalisierung der
Baader-Meinhof-Bande. Noch die bis 2005 amtierende deutsche Regierung war
personell stark von dieser Gewalt-Erfahrung geprägt.
Zum zweiten: 'Ihres' Schahs
verlustig gegangen, haben die USA im ersten Golfkrieg der Jahre 1980-1988
massiv den Angriffskrieg Saddam Husseins gegen den Iran Khomeinis unterstützt.
Die militärisch völlig unerfahrenen revolutionären Garden des Iran, zu denen
auch Ahmadinedschad gehörte, starben in diesen
Kämpfen zu Hunderten und Tausenden je Woche - mit neuen Narben und Wunden im
iranischen Volk. Die Kooperation zwischen Reagan und Saddam ging sogar bis zur
Weitergabe von biologischer Waffentechnik, konkret: von Antrax-Kulturen
an den Irak. Sie umfasste auch die strategische Unterstützung durch
Luftaufklärung. Konsequent haben die USA dem brutalen Einsatz chemischer oder
biologischer Kampfmittel durch den Noch-Freund und Bald-Schurken
Saddam nicht etwa 'just in time' widersprochen.
Zum dritten fällt mir eine
Artikelserie im Zeitmagazin der frühen Siebziger Jahre ein. Sie beschrieb und
illustrierte sehr greifbar eine zum Glück fiktiv gebliebene Entwicklung: Der
vom Westen üppig aufgerüstete Schah hatte gerade handstreichartig alle Ölquellen
des Nahen Ostens eingenommen und die Machtbasis für ein persísches
Weltreich der Neuzeit geschaffen. Ich habe die Hefte eine Zeitlang aufgehoben
und bei irgendeinem Umzug der Tonne überantwortet. Schade eigentlich, womöglich
wird der Faden ja bald noch einmal aufgenommen.
Alles zusammen genommen muss das
iranische Volk verständigerweise nicht an die
nachhaltig wohltuenden Wirkungen einer Intervention des Westens glauben, einer
Gemeinschaft, die ihrerseits keineswegs abrüsten will und die eine moderne
Kultur von Strafexpeditionen begründet hat. Das iranische Volk muss auch nicht
die völlig unpopulistische Rationale eines Wirtschaftssystems verstehen, das
vermehrt bei steigenden Erträgen breiten Arbeitsplatzabbau ankündigt. Es muss
auch nicht ein freiheitlich-führendes deutsches
Massenblatt imitieren, das das kollektive Pabsttum
verkündet und sich gleichzeitig mit täglich frischen Mädchenbrüsten verkauft.
Also: Der bei uns als selbstverständlich vorausgesetzte System- und
Wertevorteil ist für mich nicht zweifelsfrei erwiesen. Und die Ahmadinedschads dieser Welt sind letztlich Funktion unserer
eigenen Politik. Sie teilen auch unsere
Paranoia.
March
21, 2006 (10)
TIME
War in
Was
I wrong not to support the war in
change - the perfect starting point for modernizing the Near and Middle East as
a whole.
Also
note that Saddam Hussein some years ago was a pet of the West, being enforced
massively in the first Gulf war against
20.2.2006 (9)
Frankfurter Allgemeine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz und zu den
Überlegungen zu einem Ehrenmal für getötete Soldaten (FAZ v. 16.2.2006 S. 1
'Bundeswehr darf Terrorflugzeuge nicht abschießen' u. Kommentar v. Reinhard
Müller 'Passagiere dürfen nicht geopfert werden'; FAZ v. 18.2.2006 S. 1 'Jung
will Ehrenmal für getötete Soldaten'; FAZ v. 20.2.2006, S.10, Kommentar 'rab': 'Einsatz und Ehre' )
Es stürzt den Rechtsstaat in ein
unlösbares Dilemma, den sicheren Tod von mehreren hundert zufälligen Opfern zu
befehlen, um eine Gefahr von anderen Menschen abzuwenden. Nun gibt es
Zehntausende von sehr realen zivilen Opfern aus militärischen Einsätzen der
jüngeren Zeit, an denen auch deutsches Militär beteiligt war und ist, wie in
Serbien und Afghanistan. Solche ‚casualties’ haben
das rechtsstaatliche Gewissen in der Heimat aber nicht in vergleichbarer Weise
wachgerufen. Und zu diesen Auslandseinsätzen gab und gibt es noch nicht einmal
eine gesetzlich fixierte Eingriffsgrundlage nach Art der
Luftsicherheitsgesetzes und auch keine gesellschaftliche Debatte über
tragfähige Einsatzgründe wie etwa beim finalen Todesschuss - auch dies eine im
Detail geregelte Inlands-Fallgestaltung.
Daher: Bevor wir ein Denkmal für im
Einsatz getötete Soldaten errichten, brauchen wir für unsere Soldaten
zuallererst genau diese zwei Wegweiser: Erstens die gerade noch vom
Bundespräsidenten angemahnte gesellschaftliche Debatte zu Zielen und Nutzen der
neuen Einsätze der Bundeswehr und zweitens eine sachlich differenzierende
Rechtsgrundlage, nicht besser und nicht schlechter als zu Einsätzen der
Bundeswehr im Inland und vor allem: gerichtlich überprüfbar. Sollte darüber
hinaus noch ein anfassbares Denkmal gefordert werden,
sollte dieses keinesfalls in die Sichtweite einer Kirche vorrücken. Sonst
würden wir den Eindruck erwecken, wir wollten das Metaphysische ebenso in den
Dienst von tatsächlich säkularen Einzelinteressen stellen, wie es für
Fundamentalisten notorisch ist.
Febr. 7, 2006 (8)
Newsweek
globalization, jobless and wageless growth (Newsweek Febr. 6, 2006 p. 35, Stephen Roach 'The Hollowing Ring of Davos')
The
real threat of the paradigm of globalization seems to me that it makes for two
focal points of growing conflicts: On the one hand globalization is according
to the structure of its promoters and shareholders a globalization on the
exquisite level of clubs: Those who benefited most in the poor - and
irrespective of their natural wealth poorly developing countries - formed just
a special surface visible to us. And these our partners were increasingly
developing unsustainable gaps to 'their' peoples. On the other hand
globalization needs an ever growing metabolism of production, transportation
and consume, even where economy is shifting to nontradable
service industries. In a world of finite resources and finite environmental
buffers this race increasingly endangers peace.
To
encourage intensified trade with the Chinas and
Febr. 7, 2006 (7)
TIME
freedom and democracy; recent problems with elections in
In
the world of President Bush, freedom certainly is a special gift: There he acts
as God's salesman, presenting the gift of free vote, but really aiming at a
long term bargain, not unlike the aggressive promoting of cellular telephones
at one dollar apiece.
Freedom
plus democracy basically may be interpreted in two different ways: It may be
used just as a cute explanation for government, that guarantees mostly
undisturbed executive powers. Or it may be understood as a way of transparency,
of partaking and of responsiveness. When it came to war decisions, Bush could
not exactly praise British and Spanish governments for outstanding transparency
and responsiveness, more for willingness.
From
my point of view, freedom and democracy are not only an achievement, but a
sustainable and necessary risk, even for democrats.
30.1.2006 (6)
Kölner Stadt-Anzeiger
Stasi-bedingter Ausschluss des Eislauftrainers Ingo Steuer (Kommentar von
Christiane Mitatselis: ‚Tragisches Traumpaar’
Stadt-Anzeiger v. 28./29.1.2006 S. 23)
Mit dem abrupten Hinauswurf
des Stasi-belasteten Trainers Ingo Steuer hätte ich
im Jahre 15 der deutschen Einheit unter drei Bedingungen weniger
Bauchschmerzen: Erstens, wenn wir nach 1945 vergleichsweise entschlossen mit
Mitgliedern oder Zuträgern der vielfältigen menschenverachtenden bis
mörderischen Machtstrukturen des Dritten Reichs umgegangen wären. Zweitens,
wenn an Stasi-Verfahren jede Beteiligung Westdeutscher ausgeschlossen wäre.
Drittens, wenn seit dem vorgeworfenen Verhalten solche Straftaten, die
vergleichbares Gewicht haben, noch nicht verjährt wären. Übrigens liegt mir
weder etwas am Eislauf noch an Medaillen.
29.1.2006 (5)
stern
Atomare Rüstung des Iran (stern Nr. 5 v. 26.1.2006
‚Die Mullahs und die Bombe. Wie gefährlich ist der Iran?‘
Kurz vor dem Angriff stellt sich
immer der Tunnelblick ein: Aus fremden Menschen werden Gegner – Feinde –
Teufel. Als "Teufel des Jahres 2006" wird derzeit Ahmadinedschad
hoch gehandelt, auch mit dem stern-Titel vom 26.
Januar. Für den Fall aber, dass wir uns doch noch in die Schuhe eines
durchschnittlichen Iraners stellen können, folgende dann mögliche Perspektive:
Die USA und England haben schon
einmal tatkräftig eine iranische Regierung beseitigt, und zwar im Jahre 1953
die Regierung Mossadegh im Rahmen der
geheimdienstlichen ‚Operation Ajax‘. Mossadegh hatte
sich mit der Verstaatlichung der Anglo-Iranian-Oil-Company
westlichen Ölinteressen widersetzt. Der Westen unterstützte dann massiv die
Herrschaft des Schahs. Diese Herrschaft wurde durch den vom CIA ausgebildeten,
brutal folternden Geheimdienst Savak stabilisiert und
zählte – entgegen dem pfauenhaften Ansehen Persiens
in der deutschen Boulevardpresse – zu den korruptesten Regimes der
Nachkriegszeit. Nach Volkserhebung und Abtritt des Schahs im Jahre 1979 haben
die USA und Frankreich im irakisch-iranischen Golfkrieg 1980-1988 den
irakischen Angreifer mit massiven Waffenlieferungen und sogar mit der
Technologie für Massenvernichtungswaffen aufgerüstet, u.a.
mit den waffenfähigen Kulturen bacillus anthracis (= Antrax) und clostridium perfringens.
Sie hätten auch dem
Einsatz wohl kaum widersprochen, ebenso wenig wie dem wiederholten Einsatz
chemischer Waffen gegen den Iran. Israel wiederum hatte ein Interesse an einem
Krieg, der zwei Hauptgegner neutralisierte, und versorgte den Iran mit
Ersatzteilen für noch dem Schah gelieferte US-Waffensysteme. Die USA füllten
die israelischen Lager unmittelbar wieder auf und lieferten im Rahmen der
‚Iran-Contra-Aktion‘ auch direkt Waffen an den Iran. Kissinger hat das auch von
der UdSSR verfolgte Ziel eines lang währenden, beide Seiten ausblutenden
Krieges aphoristisch einmal so gefasst: "Too bad
they can‘t both lose." Danach ist höchst unwahrscheinlich, dass
der ethische Kompass von iranischen Männern oder Frauen, jung oder alt, in die
Industriestaaten zeigt, mag sich Ahmadinedschad
aufführen, wie immer er will.
Der Versuch, in einer
waffenstarrenden Umgebung das eigene Drohpotenzial zu erhöhen, ist historisch
nicht ohne Beispiel. Es mag sein, dass der Iran tarnt, täuscht und trickst.
Angefangen hat damit wie gezeigt aber nicht der Iran – und dieses
geschichtsbewusste Volk hat in Konflikten, die die Industriestaaten aktiv
gefördert haben, schon einen massiven Blutzoll entrichtet.
Interessante Quellen dazu:
o Antrax-Kooperation USA-Frankreich-Irak:
Willy Hansen u. Jean Freney,
"Früher Geißel, heute Biowaffe", Spektrum der Wissenschaft 02/2002,
S. 34 - 45 (39)
o Lieferung von Ersatzteilen für
US-Waffensysteme durch Israel / USA an den Iran; sowjetische Unterstützung des
Iran; Kissinger-Zitat:
Kerstin Dahmer, "Parlamentarische
Kontrolle der auswärtigen Gewaltanwendung", FfM
1998, S. 168ff, 174f in Fn.332, 248, 261ff, 256
21.1.2006 (4)
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 26.1.2006
Eon-Aktivitäten im Kommunalbereich (KStA / Rhein-Wupper v. 20.1.2006, S. 37 'Burscheid ist
nicht Barcelona')
Die Eon-Nordlandfahrt
von 17 Ratsmitgliedern war 'ein reines Fachprogramm', keine 'Vergnügungsreise'
und das war's?
Der gedankliche kommunalpolitische
Reinheitstest ist doch höchst simpel: Wir nehmen einfach an, unsere
entdeckungsfreudigen und zu allen Anstrengungen bereiten Ratsdamen und -herren
hätten ihre Reisepläne zunächst dem Kämmerer vorgetragen. Der hätte kurz in die
Kasse geblickt und gefragt: "Was bringt uns das?" Darauf 17-faches
Achselzucken und betretener Abgang.
Nüchtern betrachtet: Versorger sind
in erster Linie Geschäftsleute, keine Menschenfreunde. Sie investieren
langfristig in ihren goodwill - mit dem Ziel
langfristiger Bindung und des Ausschlusses von Alternativen. Eine Reise dieser
Qualität ragt aus Einerlei und Querelen des Wahlamtes
heraus, schafft markante Erinnerungspunkte und verbindet. Übrigens auch völlig
ohne das Gefühl von Dankbarkeit, das ein guter Werber beim Anfüttern einfühlsam
vermeidet. Das kommunale Wahlamt setzt aus meiner
Sicht aber hohe Sensibilität gegenüber solchen professionellen Strategien
voraus. 'Man hat ja sonst keine Gönner' wäre ein hier falsches Motto.
Der Rat sollte das offensiv anpacken
und sehr transparent festlegen, wie man in vergleichbaren Fällen künftig jedes
Naserümpfen der Gemeinde verhüten kann.
Jan.
21, 2006 (3)
TIME
US-intervention in
Iraq
isn‘t so far from Angola or Afghanistan - this time speaking of a gambling,
adventuring, uncontained America going to war. Furthermore I cannot see, that
ordinary American, British, or Spanish voters had - or do constitutionally have
- any fair chance of influencing the war powers of their ambitious
administrations. Nor would I presume that more of the same, or even American
omnipotence, would have guaranteed a sustainable victory and stable peace in
18.1.2006 (2)
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 23.1.2006
BND-Aktivitäten im Irak (Süddeutsche v. 12.1.2006, S. 1 'BND half Amerikanern
im Irak-Krieg')
Ausgepägte Formlosigkeit ist das Neue an der
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik seit 1990. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten
sind nicht durch Gesetze eingegrenzt, sondern - nach Verteidigungspolitischen
Richtlinien - bis weit über den Hindukusch hinaus
offen und frei. Das Bundesverfassungsgericht scheitert bei der Überprüfung von
konkreten Einsätzen an der Vorläufigkeit und Unverbindlichkeit neuer
Bündnisstrategien. Selbst wo Deutschland nicht offiziell mitkämpft, kann es
offenbar undercover mit besonderen Kompetenzen
aufwarten, vielleicht sogar im Zusammenhang mit Folter oder der Bombardierung
von Städten.
Was gerne mit 'Bündnisfähigkeit',
'Werte-Verwandtschaft' oder 'Partnerschaft' erklärt wird, erinnert mich eher an
die formlose Gruppendynamik und die Eigengesetzlichkeit einer Jugendgang. Ich
hoffe, ein Untersuchungsausschuss wird in der Lage sein, die systembedingt
verdunkelten Ecken auszuleuchten und demokratische Abhilfe vorzubereiten.
Wetten würde ich darauf freilich nicht.
18.1.2006 (1)
SPIEGEL, abgedruckt 23.1.2006
Aktivitäten des BND im Irak (SPIEGEL 3 / 2006, S. 22 f: 'Liebesgrüße nach
Washington')
Ein Triumpf
der Dialektik ist das Argument, die deutsch-amerikanische Kooperation der
Geheimdienste habe zur Abklärung tatsächlich ziviler Ziele beigetragen und
damit unschuldige Opfer verhütet. Es erinnert fatal an die nach 1945 geläufige
Mitläufer-Entschuldigung, man habe "doch nur mitgemacht, um das
Allerschlimmste zu verhüten". Das nah verwandte Argument "mitwirken,
um mitzugestalten" prägte auch die Beteiligung an out-of-area-Missionen
seit 1990 und die Debatte um den deutschen Sitz im Sicherheitsrat.
Dieses Argumentationsmuster hat nur
- wie schon nach 1945 - einen entscheidenden Nachteil: Kein Opfer versteht es.
29.12.2005
DIE ZEIT; abgedruckt 12.1.2006
Entführung und Freilassung der deutschen Archäologin Susanne Osthoff (Bernd Ulrich in der ZEIT vom 29.12.2005, S. 1:
'Bei aller Liebe')
Ich kenne Susanne Osthoff nicht. Sie mag mit ihren eigensinnigen Ansprüchen
und Plänen durchaus die Nerven des Auswärtigen Dienstes und der Medien malträtieren.
Aber ich habe nicht den Eindruck, sie hätte sich mutwillig - also ohne ein
hochwertiges Motiv - in Gefahr begeben. Oder: sie würde den Staat verachten, um
ihn gleichzeitig hemmungslos auszunutzen.
Im Gegenteil scheint sie mir
prototypisch zu sein für eine zivile, nicht kommerzielle, aber kulturell und
historisch bewusste und humanitär bewegte Arbeit mit und für fremde Menschen,
die für uns alle und für unsere zentralen zivilisatorischen Werte werben
könnte. Wenn das so ist, könnte ich ihr eine erregte Verzweifelung über die
Gebundenheit unserer 'modernen' Außen- und Sicherheitspolitik nachfühlen.
und, viele Leserbriefe vorher:
29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)
Hätten wir am Deutschlandtag die
Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud
mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute
weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die
unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum
Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt
worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche
Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun
begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu
absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne
auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen
wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen
Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.