Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahre 2007
Stand:
Dezember 2007
(54)
6.12.2007
DIE WELT
US-Geheimdienst-Analyse zum irakischen Atomwaffenprogramm; Kommentar v. Clemens
Wergin "Wege zur Bombe" (WELT v. 5.12.2007, S. 8)
Feindbilder
loszulassen ist für uns Cro-Magnon-Erben, die wir uns auf diesem zerklüfteten
Erdteil so erfinderisch und kampfstark entwickelt haben, offenbar viel
schwerer, als die Bilder mit schmetternden Fanfaren hochzuziehen.
"Im
Zweifel für den Angeklagten" muss im Zweifel auch für fremde Nationen
gelten. Das ist - pardon - sogar christlich. Gerade wenn wie hier das
Bedrohungsszenario, etwa gegenüber Europa und den USA, von Anfang ohne jeden
Realitätsbezug auskam. Ich votiere nicht dafür, sich zurückzulehnen, aber für
nachhaltiges Nachlassen der Spannung und für den Mut zu offenem Dialog. Dieser
Weg ist anstrengend genug.
(53)
5.12.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
US-Geheimdienst-Analyse zum irakischen Atomwaffenprogramm; Kommentar von Tobias
Kaufmann "Ein Schwenk zum Optimismus" (KStAnz v. 5.12.2007, S. 1, 2
und 4)
Die
aktuelle US-Geheimdienst-Analyse zum Atomprogramm Iraks schlägt einen anderen
Ton an: "vor Jahren eingestellt". Vollends nachvollziehbar ist bei
der vertrackten Gruppendynamik des Nahen Ostens die skeptische Reaktion
Israels. Wenig Verständnis habe ich aber für die Sprache der US-Administration.
Aus meiner Sicht ist gerade sie - nicht etwa Iran und auch nicht Israel - der
am wenigsten berechenbare Faktor in der globalen Außen- und Sicherheitspolitik
der vergangenen 25 Jahre, und sie zieht eine Schleppe ungelöster und auf
absehbare Zeit unlösbarer regionaler Konflikte hinter sich her. Irak und
Afghanistan sind nur Beispiele und Bush ist auch nicht etwa der erste
politische Exponent.
Von
der Aufrichtigkeit der US-Außenpolitik im great
game bin ich ganz und gar nicht überzeugt. Nur nennen wir es hier gerne
augenzwinkernd Kriegslist, wie beim vorgetäuschten Tonkin-Zwischenfall, bei der
taktischen Unterstützung Bagdads und Teherans im ersten Golfkrieg, beim
angeblichen Inkubator-Skandal in Kuwait-City oder beim Aufputschen afghanischer
Gotteskrieger bereits vor der sowjetischen Intervention.
Darum
freue ich mich über eine relativierende Stimme wie den aktuellen
Geheimdienstbericht und sehe darin nicht wunschdenkenden Optimismus, sondern
die Chance zu Realismus und mehr Authentizität, damit auch zu Deeskalation. Und
ich wünsche mir einen US-Präsidenten, der von der nüchternen Weltsicht des
militärisch erfahrenen Präsidenten Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede
vom 17.1.1961 profitieren will.
P.S.
Quellen zum mittleren und letzten Absatz:
·
zum
Tonkin-Zwischenfall, seinerzeit durch den whistleblower Daniel Ellsberg aufgedeckt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Tonkin-Zwischenfall
·
zur
parallelen waffentechnischen Unterstützung des Iraks und des Irans im ersten Golfkrieg:
siehe Kerstin Dahmer, "Parlamentarische Kontrolle
der auswärtigen Gewaltanwendung", Frankfurt/Main 1998, S. 168ff, 174f in
Fn.332, 248, 261ff, 256; dort auch zu Henry
Kissingers bezeugtem Stoßseufzer "A pity they can't both lose!"
·
zur
Vorgeschichte des Kuwait-Krieges / zweiten Golfkrieges:
zur Rolle der amerikanischen
Diplomatie vor der Invasion Saddams siehe die
damalige Berichterstattung in TIME, http://www.time.com/time/magazine/printout/0,8816,971291,00.html und Newsweek, http://www.vo2s.de/1990new.tif
zum Inkubator-Skandal siehe
eingehend John
McArthur:
"Censorship and Second Front", http://www.ucpress.edu/books/pages/2755001.html;
·
zu
der von Robert
Gates und
Zbigniew Brzezinski
bestätigten Unterstützung
afghanischer Mujaheddin vor der sowjetischen Invasion und der bewussten Vergrößerung der Chancen
dieser Invasion:
http://www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html
·
Text der farewell address Eisenhowers v.
17.1.1961:
http://en.wikisource.org/wiki/Eisenhower%27s_farewell_address
(52)
26.11.2007
DIE WELT
Intelligenz-Genetiker vs. Intelligenz-Umweltler; Gunnar Heinsohn "Die Crux
mit der Intelligenz" (WELT v. 26.11.2007, S. 7)
Die
Intelligenzgenetiker scheinen mir nach wie vor nicht überzeugend. Zu den
höchstangesehenen Intelligenzleistungen rechnen wir das Schachspiel. Aber
gerade da ergeben aktuelle Studien: Nicht eine spezifische Hochbegabung macht
zum Großmeister. Es ist schlicht die hoch motivierte langjährige Vorbereitung.
Auch hört man, dass schon die Messung des individuellen IQ – nicht nur der IQ
selbst – signifikanter Unzuverlässigkeit unterliegt und zudem einer hohen
Bedingtheit durch lokale gesellschaftliche Kernziele. In den Tests westlicher
Industriestaaten etwa stecken viele deterministische Pleuel und Dampfkessel.
Das ist nicht sehr verblüffend. Denn die ersten Konzepte zur systematischen
Einordnung von Intelligenz stammen aus Stanford, der Stiftung des
Eisenbahnmagnaten Leyland Stanford. Aus der in den Zwanziger Jahren in den USA
gestarteten Terman-Längsschnittstudie konnte man übrigens zum
gesellschaftlichen Erfolg entnehmen: Dürfte man sich aussuchen, in ein
erstklassiges Elternhaus oder mit einer Stanford-messbaren Hochbegabung geboren
zu werden, sollte man sich sicherheitshalber für die reiche Umgebung
entscheiden.
Noch
ein Aspekt, der Buschmänner und aschkenasische Juden und alle dazwischen enger
zusammen rücken mag: Die individuellen Schwankungen über Stunden, Tage und
Wochen bei der Lösung eines nicht ganz trivialen Problems – der Begriff
Problemlösungsfähigkeit ist aus meiner Sicht auch weniger mit westlichen Weltsichten
aufgeladen als die "Intelligenz" – dürften in der Regel höher
ausschlagen als dass Unterschiede zwischen der großen Mehrheit der Individuen
objektivierbar sind: Heute bin ich besser drauf, morgen sie, übermorgen Du. Und
der Buschmann kann besser als der Rest der Welt, was der Buschmann vor Ort
besser können muss. Alles andere spricht für fahrlässige Demütigung, vor allem
bei ausstehendem stringent-wissenschaftlichem Nachweis.
(51)
21.11.2007
DIE ZEIT, abgedruckt 29.11.2007
Debatte zur inneren Sicherheit; Gunter Hofmann "Minister gegen
Richter", Wolfgang Schäuble "Dein Staat, dein Freund, dein
Helfer" (ZEIT Nr. 47 v. 15.11.2007, S. 4 u. 5)
Der
Verfassungsstaat - so definieren die meisten den Rechtsstaat - garantiert
primär die Freiheit des Bürgers gegenüber dem Staat. Schäubles Sinngebung
richtet sich m.E. vereinfachend auf einen Ordnungsstaat, wenn nicht auf einen
Schutzstaat. Diese Verzerrung ist am leichtesten aus den nun ständig
beschworenen entgrenzten Gefahren erklärlich, deren wohlfeilste Umschreibung
die eines internationalen Terrorismus ist.
Fehlen
hier nicht Augenmaß und Verhältnismäßigkeit - angesichts von jährlich etwa
42.000 Todesfällen wegen Alkohol, 60.000 wegen Tabak, darunter 5.000 passiv
Geschädigte, und ebenso 5.000 Verkehrstoten? Fehlt hier nicht die Reflektion
über durch eigene Politik mitverantwortete Ursachen? Eine irreleitende
Innenperspektive Schäubles scheint mir auch zu sein, unter den Bedingungen
moderner Staatlichkeit könnten nur nichtstaatliche Akteure das Recht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit gefährden. Aus Globalisierung, Entgrenzung und
fragiler Souveränität leitet unsere Regierung wie selbstverständlich Recht und
Pflicht zur Sicherheitsprojektion ab. Systematisch dazu gehört dann aber auch
die Pflicht zu auswärts gerichteter Grundrechtsgarantie, und dann muss die
Exekutive auch die mehreren Tausend zivile Folgeopfer militärischer Operationen
der vergangenen 13 Jahre auf ihre Rechnung nehmen. Das erste unmittelbare Opfer
dieser Art war der junge Somali Farah Abdullah, am 22.1.1994 bei der Bewachung
des Camps in Belet Huen erschossen, wohl wegen eines Missverständnisses. Unser
Staat mag nicht zu Gewaltexkursionen neigen. Aber fähig ist er dazu schon.
Insgesamt:
Konstruiert hier nicht ein Innenminister eine rollenspezifische Realität, die
doch wieder recht nahe am Nachtwächter-Staat ankommt und damit ganz
nachvollziehbar Bedrohungsängste auslöst? Nüchterner scheint mit die
Perspektive des Verfassungsrichters di Fabio: Den Ausnahmezustand nicht
national und/oder international zur Regel reden, Grenzfälle pragmatisch lösen,
dabei aber die begrifflichen Grenzen und Differenzierungen als Haltepunkte des
liberalen Rechtsstaats achten und erhalten! Dann vermeiden wir vielleicht auch,
was Schäuble selbst als Gefahr sieht: Mehr Provokation zu schaffen, als in der
Sache voran zu kommen.
(50)
12.11.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
doppelbödige Moral; zu Michael Hesses Portrait von Giorgio Agamben
"Theoretiker des nackten Lebens" (KStAnz v. 8.11.2007, S. 2)
Agambens
Erkenntnisse lassen die Selbstgewissheit des Westens und seine militärischen
Kampagnen für Menschenrechte doppelbödig und hohl erscheinen. Man hätte ja
eigentlich erwarten können: Bei den Einsatzentscheidungen seit 1993 und bei
ihrer rechtlichen Begründung wäre ausdrücklich zwischen den jeweiligen
gemeinschaftlichen Zielen und den dabei notwendigerweise immer bedrohten
individuellen Rechten - den Menschenrechten der beteiligten Soldaten und der
Zivilbevölkerung - abgewogen worden. Schon dies war und ist definitiv nicht der
Fall. Das Opfer der Einzelnen kam und kommt immer nur als zwar bedauerlicher,
aber hinzunehmender Nebenschaden vor.
Deutlich
gesagt: Auch die moralisch aufgeladenen deutschen Parolen "Nie wieder
allein!" und "Nie wieder Auschwitz!" begünstigen gemeinsam
Katastrophen, die nicht das Größenmaß von Auschwitz erreichen, aber individuell
ebenfalls unauslöschbare Zivilisationsbrüche sind - wie etwa zerbombte
Hochzeitsgesellschaften, rechtlos Internierte und anonym Gefolterte. Besser ist
in der Tat, mit Agamben ein Urheberrecht des Westens für die Durchsetzung von
Menschenrechten zu verneinen, konsequent auch einen damit ideologisierten
Krieg.
Anzumerken
ist, dass schon sowohl Caesar als auch Pizarro Feldzüge gegen Menschenopfer,
damit für Menschenrechte ausgerufen hatten. Die Widersprüchlickeit ist
offenbar: Das römische Kolosseum wurde die mit Abstand am stärksten mit
menschlichem Blut gesättigte Grundfläche dieser Welt und der mittel- und
südamerikanische Kontinent hat im Laufe der "Zivilisierung" vier
Fünftel der ursprünglichen Bevölkerung verloren. In beiden Fällen kann man
übrigens moralisch verbrämtes Gewinn- und Machtstreben als eigentliche
Triebfeder erkennen.
(49)
15.10.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Meinungsumfrage Omniquest u. Bundestagsentscheidung zum Afghanistan-Mandat
(KSTA v. 12.10.2007, S. 1: Mehrheit will Bundeswehr abziehen"; KStAnz
v. 13./14.10.2007, S. 1, 4, 7, u.a. Kommentar von Markus Decker
"Votum aus Verantwortung")
Grundsätzlich
hat Markus Decker recht: Einmal gewählt, können und sollen die Abgeordneten
tun, was ihr Gewissen befiehlt. Grundsätzlich. Zum einen sollte aber doch der
systematische demokratische Dialog zum neuen Aufgabenspektrum der Bundeswehr,
den Bundespräsident und Kanzlerin 2005 und 2006 angemahnt hatten, mit den
Bürgerinnen und Bürgern zumindest begonnen sein. Zum anderen ist die Außen- und
Sicherheitspolitik in der Wirklichkeit des Parlaments ein Spezialisten-Thema,
in dem kaum mehr als 10% der Abgeordneten aus eigener Kraft navigieren können.
Es sind dann eher die Bündnis-Praktiker und die Koalitions-Arithmetiker, die
die Impulse liefern, als die Gewissens-orientierten Volksvertreter. Und da kann
ein Verfassungs-Patriot schon ins Grübeln geraten.
Befragungsergebnis
von Omniquest v. 9./10.10.2007 mit einer repräsentativen Stichprobe von 1000
Befragten über 18 Jahre: 29% für Verlängerung; 61,1% gegen
Verlängerung; 9,9% unentschieden, siehe www.omniquest.de/aktuell/071015/071015_ausland.htm
(48) 26.9.2007
Newsweek; printed Jan. 21, 2008
designing a war against
We have noticed heaps of cynicisms
and dirty tricks. Be it Kissinger's later prophetic remark on the first Gulf
war ("A pity they can't both lose."), be it Albright's autistic
comment on the huge human losses due to the embargo against
Now what's really puzzling me: Why
are us democrats and our rule of law unable to impeach those lies and liars
triggering the deaths and agonies of thousands or even millions of people,
whose only sin may have been to stay in regions very strange to us? That way
democracy is made to appear less of values and more of a symbol.
(47)
25.9.2007
SPIEGEL
Sicherheitsdebatte (SPIEGEL 39 / 2007, S. 24 ff: „Bömble unterm
Kabinettstisch", "Nadelstiche gegen die SPD)
Ein
Rechtsstaat ist generell, wie das Vorbild für uns alle in Kants kategorischem
Imperativ. Die Politik dieser Jahrzehnte ist ad hoc, typischerweise
"Losgröße 1". Wie die Katastrophen, die sie unermüdlich
heraufbeschwört, Katastrophen im Ausland und nun zunehmend im Inland. Da tun
sich CDU und SPD doch wenig. Anstoß der gesellschaftlichen Debatte und der
politischen Willensbildung zu Zielen, Nutzen, Lasten der Projekte? Auf allen
Seiten Fehlanzeige. Schlechte Zeiten für Verfassungspatrioten.
(46)
21.9.2007
DIE ZEIT
Sicherheitsdebatte, Gunter Hofmann „Panik an der Macht“ (ZEIT Nr. Nr. 39 v.
20.9.2007, S. 1)
Schäuble
und Jung auf dem Weg in eine andere Republik? Ja – aber dieser Marsch währt
schon länger, nur wird der Weg immer breiter. Vor kurzem gab es noch eine
Unterscheidung: Jedenfalls im Innern brauchte und suchte der Staat justiziable
Eingriffsgrundlagen für alles, was Grund- und Menschenrechte gefährden konnte,
zuletzt noch bei Kopftuch, Flugsicherheit und Trojanern.
Im
Äußeren waren wir nach 1990 schon bald viel weiter und hatten den Tatbestand
„Verteidigung gegen einen gegenwärtigen militärischen Angriff“ als hinderliches
Marschgepäck weit zurückgelassen, gleichzeitig den Gesetzesvorbehalt des Art. 2
Abs. 2 und die zusätzlichen Hürden in Art. 19 der Verfassung. Anfangs mit einem
gravitätischen Weltordnungs-Anspruch – nach 2001 aber im Dienste eines gerne
schicksalhaft genannten Kulturkampfes. Dieser fordere halt eine omnipotente und
ubiquitäre Reaktionsmacht der Exekutive. Die Entwicklung sei auch viel zu
erratisch und unberechenbar für einen betulichen demokratischen Diskurs und für
die traditionellen justiziablen Eingriffsgrundlagen. Kurz: Dies sei nun
wirklich nicht die Stunde der Legislative.
Schäuble
und Jung predigen schon lange, Innen und Außen seien heute eins, in der
Bedrohung ebenso wie in der Reaktion und Vorsorge, und führen damit vom auf
Gesetze gestützten Rechtsstaat laut singend in den Angst-befangenen
Sicherungsstaat.
Nicht
nur der Geist der Verfassung hat heute ein ernstes Problem, unsere großen
Geister hätten es auch: Kants kategorischer Imperativ sollte den Einzelnen zu
systematischem und vorhersagbarem Handeln leiten – nach dem Vorbild allgemeiner
Gesetzgebung. In der real existierenden Republik fehlt dafür bald jeder stabile
Anknüpfungspunkt.
(45)
20.9.2007
Focus
Sicherheitsdebatte; Interview v. H. Krumrey und T. Wiegold mit BM Jung im Focus
38/2007, S. 38f ("Ich würde den Befehl geben")
Für
Verfassungspatrioten wird das Leben schwerer. Ich jedenfalls finde kaum
erträglich, dass Kernelemente unseres Grundgesetzes rapide erodieren: Im
Auswärtigen von einem bis 1990 eindeutigen gesellschaftlichen Konsens einer
Beschränkung auf Verteidigung gegen einen gegenwärtigen militärischen Angriff
zu einer omnipotenten und ubiquitären Krisenvorsorge. Im Innern von
Gesetzesvorbehalt und Wesentlicheitsgebot zu jederzeitiger exekutiver
Eingriffsbereitschaft, sei es mit Trojanern oder Tornados. Das staatliche
Mittel der Wahl wandelt sich in beiden Bereichen von allgemeiner und genereller
Gesetzgebung nach abwägendem demokratischem Diskurs zu teils herbeigeredeten
Katastrophen-Szenarios und kraftmeierischen ad-hoc-Entscheidungen.
"Angst
essen Seele auf", hieß es mal. Das gilt auch für die Terrorismus-Angst und
für die Verfassung, die Seele des Rechtsstaates.
(44)
19.9.2007
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 26.9.2007
BM Jung zum Abschuss von Zivilflugzeugen durch die Bundeswehr (u.a. F.A.Z.
18.9.2007, S. 3 "Politische Dauerkanonade", 19.9.2007, S. 10
"Jenseits von Gesetz und Verfassung")
Herrn
Hefty ist zuzustimmen: Wenn jemand den Finger am Abzug eines Tornados haben
muss, dann eher ein Kanzler denn ein Verteidigungsminister. Nur kann ich für
diese Zuständigkeitsfrage keinen Aufhänger finden, wenn ich entsprechend dem
Spruch des Bundesverfassungsgerichts für solche fundamentalen Werte-Konflikte
gar keine staatliche Notfall-Kompetenz definieren kann, sondern bestenfalls die
Straffreiheit dessen, der tragischerweise mit jeder möglichen Entscheidung
existenzielle Menschenrechte in unmittelbare Gefahr bringt.
Unabhängig
davon sehe ich mit höchster Besorgnis in der Instrumentalisierung eines
"übergesetzlichen Notstands" dasselbe Muster von Ent-Formalisierung
staatlicher Handlungsformen, das bereits seit Beginn der Neunziger Jahre die
Gewährleistung äußerer Sicherheit
prägt: Das Mittel der Wahl sei jeweils eine diskrete Einzelfallentscheidung,
nicht eine generelle, abstrakte, im parlamentarischen Verfahren diskursiv
vorbereitete Regel, bzw. – um Kants Analogie staatlichen Handelns an den Staat
zurück zu reichen – der kategorische Imperativ. Das mag durch die breite
Wahrnehmung oder gezielte Plakatierung von Katastrophen der Losgröße 1
begünstigt sein, durch angeblich immer plötzliche und unvorhersehbare,
nicht-iterative und immer außerordentlich große Herausforderungen und Gefahren
für Gesellschaft und Staat, die typischerweise mit dem Phänomen des Terrorismus
markiert werden. Nur: Entweder ist die Herausforderung strukturell, dann ist es
auch die vorzuhaltende Antwort und diese kann damit im Rechtsstaat abgebildet
werden, durch eine generelle, abstrakte und rechtlich überprüfbare
Eingriffsgrundlage. Oder es sind keinerlei Charakteristika und mögliche
Differenzierungen erkennbar. Dann kann es auch keine weitestgehend freie Hand
für die Exekutive geben, was immer das Risiko ebenso unvorhersehbarer
Verletzung von Bürger- und Menschenrechten trägt.
Die
Textur des Rechts zu perforieren, bleibt in keinem Fall folgenlos.
(43)
27.8.2007
ZEIT
Elitenbildung ("Von oben geht's nach oben", ZEIT Nr. 35 / 2007, S. 15
ff)
Im
traditionellen Verständnis sind Talente Gewichts-, dann Währungseinheiten.
Diese alten Talente können zu Schutz und Mehrung problemlos frische (Geistes-)
Talente rekrutieren. Umgekehrt gelingt das seltener, vielleicht einmal durch
Heirat. Weswegen zwar viel zu Eliten, wenig aber zur Fluktuation, also zum Auf
und vor allem auch zum Ab von Eliten zu sagen ist. Das alte Geld denkt halt für
sich selbst.
Anzumerken
wäre, dass die Verkastung mehrdimensional ist. Vom Osten wird es - im Sinne des
Artikels - noch lange nicht nach oben gehen. Den talentierten Kräften der
Freiheit haben wenige Tage nach der Wiedervereinigung genügt, alles auf
Generationen klar zu machen."
(42)
21.8.2007
SPIEGEL
tête à tête zwischen BND und Taliban ("Geheimtermin in Zürich";
SPIEGEL 34 / 2007, S. 36ff)
"fire
& forget" nennt man das Funktionsprinzip der hochwirksamen
Stinger-Raketen. Die hatte die CIA in den Achtzigern den afghanischen
Mujaheddin tausendfach frei Haus geliefert. Dieses Prinzip passt auch auf die
Augenblicksbezogenheit und auf unbedachte Folgen manches Dienstes unserer
Dienste.
Denn
"fire & forget" war wohl ebenso für die Instrumentalisierung der
Islamisten gedacht. Die hatte man damals als Gotteskrieger gegen die Sowjets
hoch-romantisiert und hoch-gerüstet, damit auch den im SPIEGEL-Beitrag
erwähnten "Befehlshaber". Zu früh vergessen – und das haben heute
drei deutsche Polizisten mit dem Leben bezahlt.
(41)
17.8.2007
WELT
Tod von drei deutschen Polizisten in Afghanistan (Berichterstattung am
16./17.8.2007, insbes. Interview von Franz Solms-Laubach mit dem Vorsitzenden
der Polizeigewerkschaft Wolfgang Speck, WELT 17.8.2007, S. 4)
Zur
fachlichen Vorbereitung der drei deutschen Polizisten, die in Afghanistan von
den Taliban umgebracht worden sind, gehörte eines wahrscheinlich nicht: Das
Interview des Nouvel Observateur aus dem Januar 1998 mit Zbigniew Brzezinski.
Darin hatte der ehemalige US-Sicherheitsberater mit sichtbarem Stolz erläutert:
Die USA hätten die oppositionellen Gotteskrieger bereits vor der sowjetischen
Besetzung unterstützt und damit die folgende Invasion ganz bewusst
wahrscheinlicher gemacht. Sie hätten die Sowjets 1979 gleichsam in ihr
persönliches und finales Vietnam gelockt. Auf die erstaunte Frage, ob er die
Stärkung des islamistischen Fundamentalismus nicht nun bedauere, hatte
Brzezinski noch 1998 retourniert: Was wäre in der Weltgeschichte wohl
wichtiger, der Zusammenbruch der Sowjetunion oder ein paar aufgestachelte
Moslems?
Text des Interviews:
LES REVELATIONS
D’UN ANCIEN CONSEILLER DE CARTER
Oui, la CIA est entrée en afghanistan avant les Russes...
Le Nouvel
Observateur, Paris, 15-21 Jan. 1998
Le
Nouvel Observateur - L’ancien directeur de la CIA Robert Gates
l’affirme dans ses Mémoires : les services
secrets américains ont commencé à aider les moudjahidine afghans six mois avant
l’intervention soviétique. A l’époque, vous étiez le conseiller du
président Carter pour les affaires de sécurité; vous avez donc joué un rôle clé
dans cette affaire. Vous confirme?
Zbigniew
Brzezinski - Oui. Selon la version officielle de l’histoire, l’aide
de la CIA aux moudjahidine a débuté courant 1980, c’est-à-dire après que
l’armée soviétique eut envahi l’afghanistan, le 24 décembre 1979. Mais la
réalité, gardée secrète jusqu’à présent, est tout autre : c’est en effet le 3 juillet 1979 que le président Carter a
signé la première directive sur l’assistance clandestine aux opposants du
régime prosoviétique de Kaboul. Et ce jour-là, j’ai écrit une note au président
dans laquelle je lui expliquais qu’à mon avis cette aide allait entraîner une
intervention militaire des Soviétiques.
N. O. -
Malgré ce risque, vous étiez partisan de cette covert action
[opération clandestine]. Mais peut-être même
souhaitiez-vous cette entrée en guerre des Soviétiques et cherchiez-vous à la
provoquer?
Z.
Brzezinski - Ce n’est pas tout à fait cela. Nous n’avons pas poussé
les Russes à intervenir, mais nous avons sciemment
augmenté la probabilité qu’ils le fassent.
N. O. - Lorsque les Soviétiques ont justifié leur intervention en
affirmant qu’ils entendaient lutter contre une ingérence secrète des Etats-Unis
en afghanistan, personne ne les a crus.
Pourtant, il y avait un fond de vérité... Vous ne regrettez rien aujourd’hui?
Z.
Brzezinski - Regretter quoi? Cette opération secrète était une excellente idée. Elle a eu pour
effet d’attirer les Russes dans le piège afghan et vous voulez que je le
regrette? Le jour où les Soviétiques ont officiellement franchi la frontière,
j’ai écrit au président Carter, en substance: Nous
avons maintenant l’occasion de donner à l’URSS sa
guerre du Vietnam. De fait, Moscou a dû mener pendant presque dix ans
une guerre insupportable pour le régime, un conflit qui
a entraîné la démoralisation et finalement l’éclatement de l’empire soviétique.
N. O. - Vous ne regrettez pas non
plus d’avoir favorisé l’intégrisme islamiste, d’avoir donné des armes, des
conseils à de futurs terroristes?
Z.
Brzezinski - Qu’est-ce qui est le plus
important au regard de l’histoire du monde? Les talibans ou la chute de
l’empire soviétique ? Quelques excités islamistes ou la libération de
l’Europe centrale et la fin de la guerre froide?
N. O. - Quelques excités? Mais on le dit et on le répète: le
fondamentalisme islamique représente aujourd’hui une menace mondiale...
Z.
Brzezinski - Sottises! Il faudrait, dit-on,
que l’Occident ait une politique globale à l’égard de l’islamisme. C’est
stupide: il n’y a pas d’islamisme global. Regardons l’islam de manière
rationnelle et non démagogique ou émotionnelle. C’est la première religion du
monde avec 1,5 milliard de fidèles. Mais qu’y a-t-il de commun entre l’Arabie
Saoudite fondamentaliste, le Maroc modéré, le Pakistan militariste, l’Egypte
pro-occidentale ou l’Asie centrale sécularisée? Rien de plus que ce qui unit
les pays de la chrétienté...
link zu einer engl. Übersetzung: http://www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html
(40)
16.8.2007
Frankfurter Allgemeine
Tod von drei deutschen Polizisten in Afghanistan; Kommentar
"Ermordet" (F.A.Z. v. 16.8.2007, S. 1)
Instinktiv
werden wir das schmerzliche Bekenntnis, aus Afghanistan kein Gemeinwesen nach
unserem Ebenbild modellieren zu können, weiter und weiter hinausschieben. Wie
auch die Sowjetunion - als wir die heute aufständischen Taliban noch als
respektable Freiheitskämpfer betrachteten, der Lieferung von tausend
Stinger-Boden-Luft-Raketen würdig - jahrelang einem Schema gefolgt war, das
Paul Watzlawick in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" treffend
als zunehmend verzweifelte "Mehr-vom-Gleichen-Strategie" analysiert
hat.
Heute
beschwören die meisten wieder eine Phase des langen Atems. Darin wird uns mit
wachsender Wahrscheinlichkeit Entsprechendes wie den Sowjets widerfahren:
Externe Waffenhilfe für jene Krieger mit dauerhaftem Heimvorteil, kumulierende
Verluste, ein fortwährender Eskalationsdruck und ein vermutlich scheußlicher
showdown. Alles dies unter einigen tausend zivilen afghanischen Opfern, für
deren Tod kein braver westlicher Politiker je einen Funken Verantwortung
fühlen, geschweige denn anerkennen wird.
(39) Aug. 15, 2007
TIME
If it should be necessary to recruit
politicians with special military brand, I would clearly prefer some
pre-Vietnam type against a post-Iraq. I refer especially to Dwight D.
Eisenhower, former Chief of Staff of the Army, and his deep military experience
culminating in his famous presidential farewell address of January 17, 1961.
Some of those very gifted lines were about the dangers of the
military-industrial complex and the perils of military thinking for freedom and
democracy.
(38) Aug. 15, 2007
Newsweek
arms trade; Stephen Glain's article "Locked and Loaded" (Newsweek
Aug. 20/27, 2007 p. 32)
Reading about the speeding up of the
global arms trade I would like to recommend a few pages of thorough reading to
any involved politician: that presidential farewell address by Dwight D.
Eisenhower, former Chief of Staff of the Army, of January 17, 1961. Learning by
heart some of these most insightful lines would do even better, http://en.wikisource.org/wiki/Eisenhower%27s_farewell_address.
It may be quite puzzling for
involved politicians, that arms deals don't even boost domestic employment. On
the contrary those customarily accompanying "offset agreements", that
allow the arms buyers to pay by counter flows of civil merchandise, usually
make for a net loss of - less sophisticated - employment at home. Too bad, but
that's the harsh reality of the international division of labor.
(37)
3.8.2007
DIE ZEIT
angekündigte US-Waffenlieferungen in den Nahen Osten
Michael Thumann "Märchen vom guten Diktator" (ZEIT Nr. 32, S. 5)
Bushs
neuer Realismus besteht wohl nur darin, vollends vor dem
militärisch-industriellen Komplex zu kapitulieren. Viele hatten den
"miK" als APO-Ammenmärchen abgetan. Aber schon Eisenhower, selbst
ehemaliger Militär, hatte ihn in seiner einsichtsvollen Abschiedsrede vom 17.
Januar 1961 als sehr greifbare Gefahr für Demokratie und Frieden ausgeleuchtet.
Das heute gängige Bild der "Sicherheitsprojektion" müssen wir wohl
nun weniger geistig-moralisch verstehen, sondern als materiell-katapulthaftes
Verbreiten amerikanischer hardware.
P.S. link zum Wortlaut der höchst lesenswerten Abschiedsrede Eisenhowers: http://en.wikisource.org/wiki/Eisenhower%27s_farewell_address. Die differenzierenden und hochaktuellen Wertungen möchte man auch dem amtierenden Präsidenten wünschen. Leider hatte der aber nur bei der National Guard gedient.
(36) 1.8.2007
TIME
scientific search for Schiller’s bones
"Scull scratcher" (TIME August 6, 2007, p. 37)
I personally would not mind if the
"Schiller code" would be kept unbroken, being a descendant of Carl
Leberecht Schwabe, who in 1826 unearthed those 23 ominous skulls and in 1805 had
organized a small circle of fervent admirers carrying Schiller's corpse to the
Kassengewoelbe, the common grave. More important than to touch his bones seems
to me to commemorate his peace-minded spirit and his abhorrence in respect of
any misuse of power, e.g. in his gripping poem "The Diver" -
especially important in this war-torn era. So I deeply agree to pose mind over
matter.
P.S.
A little bit different from Thomas Mann's description there actually has been a
church ceremony for Schiller with prayers, singing and speeches on May 13,
1805, but it was just a very limited event compared to the sort of state
funeral Goethe obtained later in 1832. Some information surrounding Schiller's
(and Goethe's) bones you may find under http://www.vo2s.de/0030schw.htm,
unfortunately just in German.
Addendum: Schiller's memory was
later widely exploited for items that would have made him rotate in his coffin,
if there was any, e.g. for nationalistic ideologies and - in his town of birth,
Marbach - even for a war memorial.
(35)
1.8.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
Gastbeitrag von Markus Kaim im KStAnz. v. 1.8.2007 "Mehr deutsche Soldaten
nach Afghanistan"
In
seiner einfühlsamen "Anleitung zum Unglücklichsein" hat Paul
Watzlawick dargelegt, was uns dazu führt, selbst im Angesicht des Scheiterns
immer mehr vom Gleichen zu investieren und damit nur mehr desselben Elends zu
erreichen.
Vielleicht
sind aber die heute teils noch immer ungelösten, teils massiv verschlechterten
Zustände in Afghanistan, im Kosovo, im Kongo und nicht zuletzt im Irak ein
ausreichender Anlass für eine nüchterne Bilanz: Was sind die Kosten und Lasten,
was ist der nachweisbare Nutzen der seit Beginn der Neunziger Jahre forsch
ausgebauten militärischen Option? Am besten in breiter gesellschaftlicher
Debatte und mit dem Ziel, rechtliche Klarheit für uns Bürger zu erarbeiten,
insbesondere für die Soldaten unter uns.
(34)
31.7.2007
DIE WELT, abgedruckt 2.8.2007
angekündigte US-Waffenlieferung in den Nahen Osten
Kommentar Mariam Lau "Freunde zum Fürchten" (WELT v. 31.7.2007, S. 1)
Schlimm
wäre schon, wenn die US-Politik in einer Kette von Aufrüstungsprojekten
unbewusst und unbeholfen immer neue Gewalt-Exkursionen fördern würde, wie ein
träger Zauberlehrling: Persien - Irak - Afghanistan - Pakistan.
Schlimmer
noch wäre, wenn die amerikanische Politik aus den von Präsident Eisenhower
bereits i.J. 1961 dargelegten Gründen mit einem unüberwindlichen
militärisch-industriellen Komplex strukturell auf militärische Lösungen
programmiert wäre. Dann stünde auch grundsätzlich die Friedensorientierung in
Frage, die das Bundesverfassungsgericht seiner Afghanistan-Entscheidung vom
3.7.2007 zugrunde gelegt hatte. Und in dem so häufig beschworenen Konflikt der
Kulturen wäre ein ethisch-moralischer Vorsprung des Westens äußerst schwer zu
begründen.
(33)
29.7.2007
Frankfurter Allgemeine
amerikanischen Waffenlieferungen in den Nahen Osten;
Kommentar „Waffen und Klienten“ (Frankfurter Allgemeine v. 30.7.2007, S. 1)
Der
scheidende Eisenhower hatte vor einem miltitärisch-industriellen Komplex
gewarnt, der die eigene Regierung zum Klienten zu machen drohte. Von Bush, der
nun seinen wohl letzten und größten Waffendeal ankündigt, steht dergleichen nicht
zu erwarten. Der Treppenwitz ist – vielleicht ist es aber auch eine höchst
zynische, auf ihre Weise nachhaltige Pointe: Mit den Milliarden-schweren
Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und Ägypten werden just solche Staaten
bedacht, die bereits signifikant mehr Top-Terroristen hervorgebracht haben als
der Irak und Afghanistan. Und wenn das Buch nun nur durch komplementäre weitere
Aufrüstung Israels rund gemacht werden kann, weist auch dies auf potenziell
destabilisierende Szenarien und auf massive Risiken.
Die
geltend gemachte causa – ein militärisch expansiver Iran – ist höchst
fadenscheinig, fadenscheiniger jedenfalls als zu Zeiten eines von
amerikanischer Seite bis an die Zähne bewaffneten Reza Pahlevi oder eines
später gegen seine Waffen-Erben hochgerüsteten Saddam Hussein. Das
amerikanische Interesse zielt vielleicht gar auf die Neuauflage eines
Stellvertreter-Konfliktes, auf ein kleines Nahost-Armageddon. Jedenfalls
sollten sich die USA nicht überrascht geben, wenn ihre waffentechnischen
Aufbauspritzen im Ergebnis genau dazu führen.
(32)
4.7.2007
Süddeutsche Zeitung
Afghanistan-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 3.7.2007 (2 BvE 2/07)
Kommentar von Heribert Prantl „Die Aale von Karlsruhe“ (Süddeutsche 4.7.2007,
S. 4)
Das
Bundesverfassungsgericht hat am 3. Juli den Eindruck erweckt, alle Hausaufgaben
seien längst gemacht: Die nach 1990 dynamisch gewachsenen militärischen
Engagements des Westens und speziell der Bundeswehr seien differenzierungsfähig
in UN-Charta, NATO-Vertrag und im nationalen Rech verankert – nach eingehender
gesellschaftlicher Debatte und trennscharfer Normierung. Wie es sich für einen
angesehenen Rechtsstaat gehört. Aber ich stimme Herrn Prantl voll und ganz zu:
Das Normative lag bisher im naturwüchsig Faktischen und die Hausaufgaben
stecken noch immer im Tornister. Und so bleibt es wohl auch: Das höchste
Gericht weiß oder will nicht weiter. Der reine Präventionswille reicht ihm, am
Hindukusch, davor wie dahinter: grenzenlos wie zur Zeit der Kanonenboote.
Legt
man diesen Maßstab an, braucht sich die Regierung eigentlich auch um staatliche
Gewalt im Inneren „keinen Kopf“ zu machen. Denn verglichen mit dem massiven und
wenig kontrollierbaren Schadenspotenzial auswärtiger militärischer Eingriffe
sind gefahrenabwehrende Einsätze der Streitkräfte in Deutschland, sind Abhören,
Ausforschen und schnelles Verhaften doch meist leichtgewichtige Bedrohungen von
Grund- und Bürgerrechten. Kunstvolle Entscheidungen im Geist von
Gesetzesvorbehalt und Wesentlichkeitsgebot wie die Urteile in Sachen Kalkar,
Kopftuch oder Luftsicherheit erscheinen dann eher als Luxus, wenn nicht als
Farce.
Genau
betrachtet, sind inzwischen auch wir ein „failing state“, gegen den sich andere
wappnen dürfen.
(31)
4.7.2007
Bonner General-Anzeiger
Afghanistan-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 3.7.2007
Kommentar v. Ekkehard Kohrs "Flankenschutz" (General-Anzeiger v.
4.7.2007, S. 2)
1994
war das Richterkollegium noch klar gespalten. Vier der acht damaligen Richter
hatten wegen der offenbaren neuen Realitäten des NATO-Engagements den
zwingenden Grund gesehen, Öffentlichkeit und Parlament zu aktivieren. Dreizehn
Jahre später gibt es - trotz der deutlichen Mahnung Köhlers v. 10.10.2005 -
weder eine gesellschaftliche Debatte des militärischen Profils, noch eine
gesetzliche Regelung der Eingriffsgründe, noch eine brauchbare richterliche
Definition - was auch Abgrenzung oder Eingrenzung heißt. Und heute war der
Richterspruch überraschend einmütig, obwohl doch - da stimme ich Herrn Kohrs
nachdrücklich zu - die überzeugenden Erfolge des neuen Handlungsprogramms
völlig fehlen und die Zweifel an der Friedenseignung der Strategie unübersehbar
wachsen.
Die
richterliche Begründung mit dem Willen (!) der NATO, Frieden zu schützen und
vorsorgliche Sicherheit herzustellen, wirkt wie ein treuherziges "Ist ja
für einen guten Zweck!" Und sie lässt in der Konsequenz keinen Flecken
dieser Welt sicher vor präventiven Eingriffen Dritter. Nun hätte man hier auch
die völkerrechtlich anerkannten Caroline-Regeln für das staatliche Recht auf
Selbstverteidigung prüfen können: Unmittelbare, überragende Notwendigkeit, die
keine Wahl der Mittel und keine Zeit zu weiterer Überlegung lässt, und Mittel,
die nicht sinnwidrig oder exzessiv sind. Allerdings hätte dann wohl die Gefahr
bestanden, dass der andauernde, in Maß und Erfolg zunehmend ungewisse Eingriff
gar nicht hätte gerechtfertigt werden können.
Dieser
dienstbare "Flankenschutz" aber scheint mir gegen die Grundsätze der
Gewaltenteilung, des Rechtsstaats und des Bürgerschutzes zu verstoßen.
(30)
4.7.2007
Frankfurter Allgemeine
Afghanistan-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 3.7.2007
Kommentar „Im Rahmen des Friedensgebotes“ (F.A.Z. v. 4.7.2007, S. 1)
Der
Kommentar spricht auch die nahe liegenden Zweifel an dem Urteil an - die unbestreitbaren
Wandlungen von UN und NATO, die völkerrechtliche Zweifel am
Afghanistan-Engagement und die Interdependenzen zwischen ISAF- und OEF-Mandat.
Letztlich hat unser oberstes Gericht vor der urwüchsigen faktischen Entwicklung
kapituliert, hat letzte Zuflucht zu einem nicht differenzierungsfähigen und
praktisch nie widerlegbaren Sicherheits- und Friedenswillen des Bündnisses
genommen und hat ohne taugliche Grenzziehung präemptive wie präventive
militärische Strategien gerechtfertigt.
Der
besondere Pferdefuß ist die Relativität des Friedensziels: Was wir intern und
extern als Aushängeschild mit weltweiter Akzeptanz anpreisen, kann andernorts
als primär eigennützige pax mercatoria
oder gar als pax mercatorum gelesen
werden. Dann wird es den globalen Frieden nicht stärken, sondern schwächen. Die
Weg Afghanistans geht seit geraumer Zeit in diese Richtung, mögen uns auch die
dort selbst aufgerichteten Kulissen teils etwas anderes vorgaukeln.
(29)
26.6.2007
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 7./8.7.2007
Direktwahl-Initiative Horst Köhlers ("Einsamer Köhler", Süddeutsche
v. 26.6.2007, S. 5)
Köhlers
Initiative finde ich gut, mag sie auch ein wenig "in eigener Sache"
daher kommen. Warum sollten die Bürger ihren obersten Bürger nicht selbst
wählen können? Unsere Demokratie ist sehr kühl und distanziert geraten. Wir
Volk waren seltsamerweise nach 1945 viel mehr in Misskredit geraten als unsere
Eliten. Zwar hat sich das Deutsche Volk laut der Präambel des Grundgesetzes
selbst seine Verfassung gegeben. Aber bekanntermaßen ist auch das nur
Euphemismus und wurde selbst nach der Wiedervereinigung nicht nachgeholt. Es
verwundert mich immer, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ein solches
Existenzminimum an Partizipation heute überzeugend in die Welt tragen sollen.
Es
geht besser, realistischerweise aber in kleinen Schritten. Die Volkswahl an
eine neue Machtverteilung zu koppeln oder gar direkt auf die Kanzlerschaft zu
richten, heißt, sie abzuschreiben. Es braucht auch gar nicht mehr
staatsrechtlich Verbrieftes. Abseits nüchterner Schaubilder zu den
Verfassungsorganen und -prozessen ist die Aufmerksamkeit, Kompetenz und
Aktivierung der Bürger entscheidend. Sie können "ihrem" Präsidenten
auch ohne ergänzende Initiativ- oder Vetorechte Gewicht und Moment im Staatsgefüge
verleihen - und er ihnen. Frustrationen sind immer eine Gefahr, am ehesten aber
beim status quo.
(28)
26.6.2006
Kölner Stadt-Anzeiger
Todesurteil gegen Ali Hassan al-Maschid ("Chemie-Ali zum Tode
verurteilt", Kölner Stadt-Anzeiger v. 25.6.2007, S. 7)
Die
Genugtuung über das Urteil gegen Ali Hassan al-Maschid könnte deutlich größer
sein. Wenn nämlich der Irak zum Zeitpunkt der Bombardierung von Halabdscha am
16.3.1988 nicht gerade mit dem Westen verbündet gewesen wäre. Wenn nicht der
Westen den Irak mit chemischer und biologischer Waffentechnologie hochgerüstet
hätte, damals gegen den Iran. Und wenn der Westen nach dem zufällig
dokumentierten Angriff klar Stellung bezogen hätte.
So
aber müssten wir uns als in Abwesenheit mitverurteilt sehen. Wir dürfen auch
nicht etwa versuchen, mit den Taten unserer Monster die heutige Anwesenheit
westlicher Truppen zu rechtfertigen. Wie ein etwas vergesslicher
Zauberlehrling.
(27)
18.6.2007
DIE ZEIT; abgedruckt 28.6.2007
Sicherheitsdienste beim G8-Gipfel in Heiligendamm ("Wachtmeister
Kapuze", ZEIT Nr. 25 / 2007, S. 13)
Die
äußere militärische Bedrohung ist im Allzeit-Tief. Gleichzeitig eskaliert die
Paranoia des Staates und der Rechtsstaat erodiert: Vorfeldverteidigung am
Hindukusch ganz ohne ein Bundeswehraufgabengesetz, beamtete Trojaner in unseren
PCs, Tornados zum Ausspähen von Demonstranten, vielleicht gar Lockspitzel im
schwarzen Block. Das Grundgesetz mag ja zu schwer sein, um es ständig in der
Tasche zu tragen; lesen sollte man ab und zu schon darin. Denn sein einziger
Zweck ist der Bürgerschutz.
(26)
18.6.2007
SPIEGEL
Einsatz von Bundeswehrkampfmitteln beim G8-Gipfel in Heiligendamm (SPIEGEL 25 /
2007, S. 20 "Jetzt endlich klären")
Deutsche
Mannlöcher am Hindukusch, Trojaner in unseren Computern, Demonstranten im
Tornado-Visier, vielleicht sogar agents provocateurs im schwarzen Block:
Schöner neuer Rechtsstaat! Konsequent sollten wir in Art. 22 Abs. 2 GG die
Bundesfarben auf Graustufen setzen (schwarz, grau, weiß) und Hoffmann von
Fallersleben leicht aktualisieren: "Heimlichkeit und Schutz und
Sicherheit..."
(25)
14.6.2007
Frankfurter Allgemeine
Nutzung von Bundeswehr-Strukturen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in
Heiligendamm (Streit über Tornado-Flüge, F.A.Z. v. 14.6.2007, S. 4)
Verfassung
ist gut, wenn sie stabiles Rückgrat ist. Nur dann kann sie Bürger schützen, was
ihr einziger Zweck ist. Zu Beginn des Jahres - bei der Trojaner-Entscheidung
des BGH - konnte man noch scherzen: Die Bürger Afghanistans hätten sicher gerne
unsere Sorgen: Im Zweifel würden sie sich Trojaner im PC wünschen statt
Tornados über dem Dach.
Jetzt
sieht es so aus, als hätten wir in Deutschland bald beides.
(24)
11.6.2007
Kölner Stadt-Anzeiger, abgeduckt 14.6.2007
evangelischen Kirchentag (KStA v. 9./10.6.2007, S. 1: "Verhältnis zu Muslimen
bleibt gespannt", KStA v. 11.6.2007, S. 1: "Wir brauchen einen
Klimawandel in den Köpfen und Herzen")
Viel
versprechend klang sie nicht gerade, die Schlagzeile am 9./10.6. zum Kirchentag
und zum religionsübergreifenden Dialog: "Verhältnis zu Muslimen bleibt
gespannt". Kardinal Meisner etwa hofft auch ausdrücklich, dass die
Teilnehmer "christusgeschärfter nach Hause fahren". Das hört sich ein
wenig an, als könne man Jesus noch heute - nach Jahrhunderten teils massiv
tödlicher Mission - als Scharfmacher verkaufen. Hier spricht wohl der Manager
eines Produkts, das er in der Konkurrenz als weit überlegen einschätzt, nicht
ein christusgeprägter Vermittler.
Wenn
ich dann auf der Seite 1 des Stadt-Anzeiger v. folgenden Montag lese: "Wir
brauchen einen Klimawandel in den Köpfen und Herzen", möchte ich umso
freudiger zustimmen.
(23)
20.5.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Neubau einer Moschee in Köln (KSTA v. 17./18.5.2007, S. 28f: "Wird
die Großmosche gebaut, gibt es Unruhe", KStA v. 19./20.5.2007, S. 2:
"Offen für Integration")
Im
Grunde habe ich für Zeichen sehr wenig übrig. Weil sie trennen. Noch schlimmer
ist allerdings, wenn sich nur die einen herausnehmen, ihr Zeichen stolz
aufzurecken, aber die anderen – in der Regel Minderheiten – sich nicht gleichberechtigt
„bezeichnen“ dürfen.
Die
Muslime in Deutschland sind friedlich. Kaum jemand, der persönlich schlechte
Erfahrungen gemacht hätte, wenn, dann vielleicht einmal bei männlichen
Jugendlichen. Genau diese Gruppe hat aber immer das höchste Konfliktpotenzial,
vor allem wenn beschäftigungslose, aggressive Langweile herrscht und auch die
weiteren gesellschaftlichen Perspektiven miserabel sind.
Die
Muslime in Deutschland sind zahlreich, zahlreicher wohl, als es deutsche Juden
je gewesen sind. Die Muslime sind aber – und das unterscheidet sie stärker von
den deutschen Juden – im historischen Maßstab ganz neu hierzulande. Sie sind im
Gros erst an den gesellschaftlichen Vorposten angekommen, in den billigen
Quartieren, Hauptschulen, in Gießereien, Döner-Buden, Gemüseläden und
Fußballvereinen. Das trennt sie aber nicht von den Russlanddeutschen oder von
den deutschen Polen nach dem Krieg, den Tilkowskis und Szymaniaks. Offenheit
und die beiderseits nützliche gleiche Blickhöhe werden sich erst zeigen, wenn
Muslime Bet-Stätten auch in Innenstädten errichten dürfen und Christen und
Juden bei ihnen zahlreich zu Gast sind. Immerhin haben alle ein gemeinsames
Zeichen: den einen Gott und Schöpfer. Und der ebenso multi-historische wie
multi-kulturelle homo sapiens coloniensis
ist gut geeignet, hier Avantgarde zu sein.
(22)
10.5.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Angriff von Markus Söder auf den Bundespräsidenten; Markus Decker: "Der
Angriffslustige gerät in die Defensive", KStA v. 9.5.2007, S. 5
Ist
eine Reaktion auf Söders Angriffe nicht ganz einfach? „Mach’ Dir keinen Kopf!
Unseren nächsten obersten Bürger wählen wir halt selber.“
(21)
8.5.2007
DIE ZEIT
Winograd-Bericht; Gisela Dachs "Zu Hause im Sumpf", ZEIT Nr. 19 v.
3.5.2007, S. 11
Das
wäre doch eine kongeniale Ergänzung des Bundeswehr-Weißbuchs 2006: Die externe
Analyse militärischer Missionen nach Zielen und Erfolgen wie im israelischen
Winograd-Bericht - am besten regelmäßig und gerade dann, wenn schmerzhafte
Folgen für die Zivilbevölkerung daheim noch nicht fühlbar sind. Auch für
Deutschland wäre das ein Ausweis lebhafter Demokratie und kluger Rückkopplung
zu den Herrschenden.
(20)
8.5.2007
Frankfurter Allgemeine
Winograd-Bericht; Kommentar von Jörg Bremer, "Fluch der Besatzung",
F.A.Z. v. 7.5.2007, S. 1
Mit
dem Winograd-Bericht hat Israel einen erstaunlichen, in seiner geopolitischen
und militärischen Lage auch unerwartet selbstkritischen Kraftakt gezeigt. Die
Analyse zielt auf die Öffentlichkeit und beweist damit eine lebhafte
bürgerlich-demokratische Kultur. Und genau das kann vorbildhaft sein für andere
freiheitliche Gesellschaften des Westens, deren militärische Projekte zu häufig
in einem quälenden jahrelangen Prozess unter teils massiven zivilen Opfern zu
einem eher zufälligen Ende gebracht werden. Der Unterschied zu Israel mag dort
sein: Die katastrophalen Folgen dieser Projekte werden daheim nicht so schnell
und unmittelbar fühlbar wie bei dem blutigen Debakel im jüngsten
Libanon-Konflikt. Aber nach dem zentralen Leitbild des Westens, der für einen
universalen Menschenrechtsschutz wirbt, kann keinen Unterschied machen, wo die
Opfer entstehen.
Eine
systematische und wiederkehrende externe Evaluation der militärischen Missionen
auf Ziele und Erfolge wäre auch eine gute Ergänzung des Bundeswehr-Weißbuchs
2006, gerade wegen der Chance, auch hier demokratisch dazu zu lernen."
(19)
15.4.2007
SPIEGEL (abgedruckt 30.4.2007)
RAF-Debatte; SPIEGEL 17/2007 „Der dritte Mann – Wer erschoss Siegfried Buback?“
In
der Rückschau wirkt der Rechtsstaat arg zerschossen, nicht zuletzt durch die
Schlapphut-Fraktion.
(18)
25.4.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
RAF-Debatte (Christian Rath „Problematische Zeugen“, KStA v. 24.4.2007, S. 2)
1989
konnte man meinen, nur die Dienste – sie schienen damals das Meiste zum
Zusammenbruch der DDR aus der Presse erfahren zu haben – seien potemkinsche
Dörfer. Zunehmend besteht nun aber der Eindruck, der Rechtsstaat insgesamt sei
durch seine Dienste von hinten und unten angeknabbert und er selbst sei zum
Teil nur noch Fassade. Es kommt eben nicht darauf an, dass unter dem Strich
jeder ungefähr das an Strafe abbekommen hat, was er vermutlich verdient. Gerade
im Umgang mit Terrorismus sollte es keine Grauzonen, Manipulationen und durch
den Zweck geheiligte Verfahrensverstöße geben.
(17)
27.3.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Visionen der Raumfahrtindustrie (Aufmacher "Besuch aus Köln",
Kommentar v. Lutz Feierabend: "Auf zum Mond!", KStA 22.3.2007, S. 1,
4)
Guter
Plan! Wir prospektieren Wasser auf dem Mond. Und dann bringen wir es den
Millionen Kindern, die auf der Erde tagtäglich wegen Dreckwasser krank werden.
Im Ernst: Am Himmel hängt eine weitgehend arbeitslose Raumstation im Wert von
100 Milliarden €, das anspruchsvolle Galileo-System kommt nicht aus den Puschen
(Kölner Stadt-Anzeiger v. 23.3.2007), aber es werden munter neue Pläne
geschmiedet, Staatsknete in den unendlichen Raum zu schießen bzw. in die dafür
gut aufgestellten Branchen.
Kleine
Erinnerung an die Vergänglichkeit eitlen Tuns? Weniger als 10 Jahre nach der
letzten Apollo-Mission besaßen die USA schon nicht mehr die technologische
Kompetenz, Menschen auf den Mond zu heben. Firmen waren eingegangen,
Wissensträger verschwunden, wesentliche Komponenten waren nicht oder nicht
ausreichend stabil dokumentiert. Die sehr aufwändige Neuentwicklung wäre erforderlich
gewesen. "Dabei sein ist alles" heißt immer wieder "Mitzahlen
ist angesagt".
(16)
26.3.2007
DER SPIEGEL
Privatisierung von Kriegen (Georg Mascolo "Die unbekannten Soldaten",
SPIEGEL 13 / 2007 S. 114)
Seit
Vietnam halten es demokratische Regierungen für angeraten, das Kriegsgeschehen
von den Normal-Bürgern abzulösen und Krieg möglichst schmerzfrei, damit wieder
führbar zu machen. Auch Deutschland folgt dem Muster: Der Auslandseinsatz ist
Sache von Berufssoldaten. Und bei denen sind die Söhne und Töchter arbeitsloser
Landstriche deutlich überrepräsentiert: Mac-Pomm verteidigt am Hindukusch die
Freiheit Baden-Württembergs. Etwas mehr allgemeiner Bürger- und Wählerschmerz,
damit mehr Rückkopplung zu den Regierenden würde vermutlich etwas mehr militärische
Zurückhaltung nahe legen.
(15)
20.3.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Reise deutscher Bischöfe nach Israel / Palästina; umstrittener Vergleich des
Ghettos in Warschau mit der Situation in den Palästinenser-Gebieten (Interview
von Joachim Frank mit Irena Steinfeldt; KStA 8.3.2007, S. 3)
Warum
geraten Deutsche aller Schichten in die Gefahr dissonanter Äußerungen zu
Israel, sogar deutsche Bischöfe? Es ist im Kern wohl ein Problem von Ungleichzeitigkeit:
Das Selbstbild des normalen Deutschen - auch meines - ist recht einfach und
harmlos gestrickt: Gewaltarm und den Menschenrechten verpflichtet. Wir alle
fühlen uns aber wegen der brutalen deutschen Geschichte in der
Völkergemeinschaft lebenslang auf Bewährung. Thesen wie die Goldhagen’sche, die
eine besondere Anlage zur Unmenschlichkeit in unsere Vorfahren und nebenbei
auch in uns projizieren, stärken dieses Gefühl ungleicher, damit ungerechter
Einordnung und Verurteilung. Wohl deshalb nutzen wir zu willig die Gelegenheit,
das damalige Opfer auch als heutigen Täter zu identifizieren, verdrängen dabei
gerne, dass auch die derzeitigen Opfer beider Seiten mittelbar unsere Opfer
sind.
Richtiger
scheint mir, die kausalen Ketten von Erniedrigungen und Gewaltexkursionen in
den Blick zu nehmen und in jeder Beziehung zivile Kooperation und Begegnung zu
stärken. Unsere aktuelle Außen- und Sicherheitspolitik ist übrigens nicht
danach. Sie folgt wieder dem archaischen Wechselspiel aus Angst, Bedrohung und
Gewalt.
(14)
12.3.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Osten verteidigt Westen (zu: "Bundeswehr stützt sich zunehmend auf
Ostdeutsche, KStA v. 8.3.2007, S. 9)
Die
Bundeswehr stützt sich schon seit 1990 besonders auf die Ostdeutschen.
Vereinfacht kann man heute sagen: Am Hindukusch verteidigt der Osten die
Interessen des Westens. Das ist sehr eng mit der Arbeitsmarktlage gekoppelt.
Z.B. 'lieferte' im Jahre 2002 das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern bei
den Unteroffizieren und Mannschaften ca. 8% der Neueinstellungen, umfasst aber
nur 2,1% der Gesamtbevölkerung - ganz entgegengesetzt Baden-Württemberg mit
4,8% der eingestellten Landeskinder bei 12,9% der Bevölkerung. Die Situation
ähnelt stark dem Mittelalter, als die Schweiz mit den perspektivlosen jungen Burschen
aus ihren öden Bergtälern die Landsknechte für die Schlachtfelder Europas
stellte.
Übrigens
kämpfen die Männer und Frauen aus dem Osten zwar tapfer, aber nicht ganz
überzeugt. Denn nach einer Allensbach-Umfrage von 2002 unterstützt die
Bevölkerung in den Neuen Bundesländern insbesondere die NATO-Kriseneinsätze nur
halb so stark wie im Westen (23%/45%). Darum hat das Ganze den beschämenden
Geruch der Verleitung zur Prostitution.
P.S.: vgl. auch Interview des Kölner
Stadtanzeigers mit dem BwV-Vorsitzenden Oberst Bernhard Gertz (KStA v.
17./18.1.2004, S. 6); die für 2002 genannten Zahlen stammen vom Bundesamt für
den Zivildienst
P.P.S.: In Schwyz kann man in der
prachtvollen Ital-Reding-Hofstatt noch heute etwas von dem Glanz sehen, der bei
der damaligen Vermittlung Abertausender Schweizer Söldner abgefallen ist (http://www.irh.ch/).
(13)
12.2.2007
FOCUS, abgedruckt 26.2.2007
Tornado-Einsatz und Online-Untersuchung (FOCUS 7/2007, S. 22 ff , "Dr.
Jekyll & Mr. Hyde am PC")
Fast
fielen die Forderung des BGH nach einer spezifischen Eingriffsgrundlage für
Online-Durchsuchungen der Dienste und die Kabinettentscheidung zum erweiterten
Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zusammen. Das macht einen extrem
unterschiedlichen Aufwand besonders deutlich:
Sind
Grundrechte im Inneren betroffen und damit wir Deutsche höchstpersönlich, so
schaffen wir einen höchst detaillierten Normenapparat und streiten
gesellschaftlich darüber - selbst für eher wenig einschneidende Eingriffe. Geht
es aber um Leben oder Gesundheit von Ausländern wie beim Einsatz der Bundeswehr
out of area, existiert bis heute
praktisch keine differenzierungsfähige, justiziable Eingriffsnorm und kein
gesamtgesellschaftlicher Diskurs zu den Grundlagen und Folgen.
Obwohl
doch, wie der Terrorismusforscher Rolf Tophoven am 8.2.2007 richtigerweise zu
bedenken gegeben hat, etwa die Tornado-Einsatzentscheidung die Terrorgefahr im
Inneren schnell erhöhen kann. Damit kann sie mittelbar auch unsere Bürgerrechte
weiter beschränken. Also: Innen und außen sind heute untrennbar verknüpft. Sie
müssen nach den gleichen - hohen - rechtsstaatlichen Standards behandelt
werden.
(12)
12.2.2007
SPIEGEL
Online-Durchsuchung; Tornado-Einsatz in Afghanistan; Petra Bornhöft u.a.
"Trojaner für Berlin" (SPIEGEL 7 / 2007, S. 42)
Gut,
unsere heimischen Bürgerrechte sind schon seit Jahren flächendeckend Opfer von
Terrorismus oder Terrorhysterie. Siehe nur Otto Schilys Gesetze, die es nach
Umfang mit Versandhauskatalogen aufnahmen. Aber wenigstens sprechen wir drüber,
machen Gesetze und prüfen sie an der Verfassung.
Den
ganz realen Opfern unserer auswärtigen Gewalt dagegen gönnen wir diesen
bienenfleißigen Aufwand nicht. Da haben wir keine gesellschaftliche
Grundlagen-Debatte und keine differenzierte, justiziable Eingriffsgrundlage,
nur rechtlich völlig diffuse Weißbücher. Und wär' ich Afghane, mir wär' ein
Trojaner im PC mehrfach lieber als ein Tornado über'm Dach!
(11)
8.2.2007
Süddeutsche Zeitung
erweitertes Mandat der Bundeswehr in Afghanistan / Urteil des BGH zur
Online-Durchsuchung (Kommentar v. Kurt Kister v. 6.2.2007, S. 4: "Zivile
Armee im Krieg", Leitartikel v. 6.2.2007, S. 1: "Schäuble besteht auf
PC-Fahndung", Süddeutsche v. 8.2.2007, S. 1: "Bundeswehr weitet Afghanistan-Einsatz
aus")
Wenn
die Bundeswehr mehr sein soll als ein THW oder eine
"Hallo-wir-bohren-euch-einen-Brunnen-Armee", dann braucht sie eine
zumindest ebenso feine Rechtsgrundlage wie die
"Pardon-wir-haben-dich-gerade-abgehört-Truppen" von MAD und BfV. Sie
braucht eine entsprechend differenzierte öffentliche
Aufgaben&Erfolge-Debatte und eine gesetzliche Definition des Auftrages.
Definition heißt auch Begrenzung.
Ließe
man mir die Wahl, ich könnte wohl besser leben mit einem Ausspäh-Trojaner in
meinem PC als mit einem Ausspäh-Tornado über meinem Dach, der Bomben folgen
lässt. Und ein Ausländer hat sogar den gleichen Anspruch auf Wahrung seines
Lebensrechts durch die Bundesregierung wie ein Deutscher. Mag auch die
Regierung über diese ihre Pflichten seltener sprechen, wenn es die NATO zu
retten gilt.
(10)
8.2.2007
WELT
erweitertes Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr (Kommentar von Jaques
Schuster "Die Nato ist
nützlich", WELT v. 8.2.2007, S. 1)
Um
den zitierten Tucholsky nochmals aufzugreifen: Gesellschaft und Gerichte waren
gerade noch sehr empört, als sie erfuhren, dass MAD und BfV Trojaner
verschicken. Und fordern jetzt zu Recht ein Gesetz, das dies legitimiert.
Tornados
sind gemeinhin als noch tödlicher bekannt als Trojaner. Konsequent sollten wir
- eigentlich bevor wir die solidarische Nato retten - auch ein Gesetz schaffen,
das Auslandseinsätze definiert, was auch heißt: begrenzt. Die Nato mag nützlich
sein, aber sie ist es gerne zuallererst sich selbst.
(9)
7.2.2007
Frankfurter Allgemeine
Gesetzesvorbehalt ("Gesetzesgrundlage", F.A.Z. v. 6.2.2007, S. 1)
Wenn
bei Bedrohung bürgerlicher Rechte die Choreographie des Rechtsstaats wieder in
den Sinn kommt, wenn man öffentlich protestiert, debattiert und Werte abwägt,
wenn dies schließlich in eine differenzierte Rechtsgrundlage mündet, dann tut
das demokratisch gut.
Gleichzeitig
aber sollte auffallen, wie betroffen, feinfühlig und vergleichsweise manieriert
wir beim staatlichen Abhören und Ausforschen reagieren - da kommt in allen Ländern
und Lagern fast wieder 68er Laune auf -, wie wenig verbindliche Regeln es aber
bis heute für Schüsse und Bomben bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gibt.
Dort besitzen wir derzeit nur eine unbefriedigende Aufreihung von
ad-hoc-Entscheidungen. Grundrechtsschutz ist aber systematisch und global
unteilbar. Neben Schäuble muss daher auch Jung ins rechtsstaatliche Geschirr.
Tornados sind mindestens so letal wie Trojaner.
(8)
6.2.2007
WELT
Gesetzesvorbehalt; Entscheidung des BGH v. 31.1.2007 = Verbot der
Online-Durchsuchung (Ulrich Clauss, „Arbeit für Schäuble", WELT v.
6.2.2007, S. 1)
Will
der Staat hohe Rechtsgüter antasten - etwa die Unverletzlichkeit des privaten
Wohnraums, das Fernmeldegeheimnis, die informationelle Selbstbestimmung - so
braucht er eine qualitativ gute Rechtsgrundlage. Richtig; unlängst ebenso
entschieden für das Recht der Berufsausübung, beim Kopftuchverbot. Also gibt's
jetzt Arbeit für Schäuble.
Aber:
Wollen wir mit dem Grundrechtsschutz konsequent sein, gibt's Arbeit auch für Jung.
Denn bei Auslandseinsätzen greifen wir in sogar existenzielle Grundrechte ein,
in Leben und Gesundheit nämlich, und häufig unumkehrbar. Dann brauchen wir auch
dort eine öffentlich debattierte, qualitativ gute, nach Kriterien
differenzierbare Eingriffsgrundlage. Das gibt's noch nicht. Und das wäre viel
wertvoller noch als ein Gefallenen-Denkmal im Bendlerblock.
P.S.: Text der BGH-Entscheidung: hier
(7)
5.2.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Sicherheitsdebatte (Sybille Quennet „Rüttgers und der Terrorismus", KStA
v. 5.2.2007, S. 7)
Danke,
lieber Herr Rüttgers, für den analytisch guten Impuls. Hoffentlich wird der
wichtige Diskurs von dem nun reflexhaft einsetzenden Gejohle und Gepfeife nicht
gleich wieder ausgetreten.
Die
Dynamik der Globalisierung, lieber Herr Schockenhoff, ist ohne zentrale
westliche Werte wie den protestantischen Merkantilismus nicht richtig
einzuschätzen. Darum führt es nicht weiter, zwischen beidem ein Haar zu
spalten. Intoleranz, lieber Herr Niebel, ist kein Privileg von Islamisten,
sondern ist von Angehörigen aller Schriftreligionen bekannt. Und dass
wesentliche islamische Akteure eher westlich sozialisiert sind und ökonomisch
gut ausgestattet, lieber Herr Beck, ist gerade Teil des Problems: Zentrale Konfliktherde
und Brutstätten des internationalen Terrorismus finden wir gerade dort, wo das
Westliche nicht mehr als ein elitärer Firnis ist, der uns täuschen kann, aber
nicht die Menschen vor Ort. Ein paar dramatische Beispiele: Schah-Persien, Irak
und, wenn man genauer hinsieht, auch Ägypten, Saudi Arabien, Libanon und
Pakistan.
Wie
gespalten unsere Wahrnehmung ist, kann man auch am Bundeswehrweißbuch 2006
ablesen. Es begründet die erweiterte militärische Option zu einem wesentlichen
Teil mit Folgewirkungen von Technisierung und Globalisierung - so als läse man
auf seinen Seiten 19-22 ein Handbuch von attac.
P.S.:
Link zur Rede von Ministerpräsident
Jürgen Rüttgers am 29.1.2007 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik „Europas Rolle in einer neuen Weltordnung“ http://www.presseservice.nrw.de/reden2007/1_2007/070129STK.php
In die Kritik geraten war u.a.
folgende Passage der Rede:
„(Europa) muss dazu eine Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln, die diesen Namen wirklich verdient.
Denn die Welt steht vor dramatischen Herausforderungen, die die einzelnen
Nationen nicht mehr alleine bewältigen können. Das gilt auch für die Supermacht
USA. Das Debakel im Irak hat der Welt vor Augen geführt, dass man als
Supermacht zwar einen Krieg gewinnen kann. Aber den Frieden gewinnt man noch
lange nicht. Dafür braucht man politische Grundlagen.
Das gilt insbesondere für die
Bekämpfung des transnationalen Terrorismus. Er ist eine Frucht der
Ungleichzeitigkeit. In der Einen Welt leben zwar alle Menschen zur selben Zeit,
aber nicht in derselben Zeit und insofern auch nicht in derselben Welt. Der
von der westlichen Zivilisation auf traditionalistische Gesellschaften und
Kulturen ausgehende Anpassungs- und Veränderungsdruck in allen Lebensbereichen
provoziert Abwehrkräfte – eine davon ist der transnationale Terrorismus.
Die vom transnationalen Terrorismus
ausgehende Gefahr ist eine besondere, weil sie schwer zu bekämpfen ist. Sie ist
eine besondere Gefahr, weil sie tiefe Verunsicherung und umfassende Angst
erzeugt. Und sie ist besonders, weil aus ihr heraus der angegriffene Westen
versucht ist, zur Abwehr Mittel einzusetzen, welche die eigenen, von den
Terroristen attackierten Werte selbst preisgeben – das haben uns die Vorgänge
in Guantanamo und Abu Ghraib gezeigt. Es entsteht damit die Gefahr totaler
Feindschaft zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Das ist genau das,
was der Hass der Terroristen erzeugen will.”
(6) Jan. 17, 2007
TIME
future of
Reading Kistol's comment on
"The just verdict for Saddam" I cannot help remembering five previous
events: That cynical wish attributed to Henry Kissinger amidst the Iraq-Iran
war ("A pity they can't both lose!"), the doubtful role of Ambassador
April Glaspie only a few days before Saddam's invasion of
The Kristol position may be called
think-tank-clever. But it's not what is globally esteemed as ethical,
authentic, or even manly. Peoples that do not produce and toss away tons of news
any day will think of that a lot longer than we do. You cannot find a better
message for Muslim fundamentalists than this one: The West is devouring his own
children, i.e. his satraps. Further on: The West does not care about a million
people dying collaterally. Or at best the West sheds false tears - in
Certainly there is a way forward in
P.S.
As for the 1990 discussion "Who lost
(5) Jan. 4, 2007
Newsweek
Execution of Saddam Hussein (articles concerning the death of Saddam Hussein in
Newsweek January 8, 2007)
Saddam Hussein may have contributed
heavily to thousands or even millions of Iraqi casualties. But who can be sure
history would have been different with another man in his place? For years I am
piling copies of notable articles and one of the most unsettling is that one
headlined "The
Search for Scapegoats" by Evan Thomas et al., Newsweek Oct. 1, 1990, p.
12-13. It shows that by abundant US-official
statements Saddam could have come to the conclusion, US forces would not hamper
his imminent invasion of
By the way, in the cited article an
administration official is quoted with "Saddam may have been a monster.
But he was our monster." Looking at the early history of Iraq this might
be true for the whole of Iraq and for any leadership we try to install over
there. That may lead us to a humble clue: Cross culture state building is a
mission by far more impossible than those nasty gadgets where you try to steer
a small ball through a labyrinth of big holes.
P.S.
The account of died Iraqi children is derived from the episode, when Madeleine
Albright commented on that number (http://en.wikipedia.org/wiki/Madeleine_Albright). The death toll caused by the 2003
invasion of
(4)
4.1.2007
DIE ZEIT
Hinrichtung Saddam Husseins (Martin Klingst "Der Staat als Henker",
ZEIT Nr. 2, S. 1):
Keine
Frage: ich hätte Saddam Hussein nicht zum Schwiegervater, Schwager oder
Schwiegersohn haben wollen. Dennoch habe ich Probleme mit der arg manichäisch
klingenden Bewertung, mit ihm wäre dem Bösen schlechthin der Prozess gemacht
worden, er habe das Land ins Unglück gestürzt und sein Tod bedeute Genugtuung
gerade für die Iraker. Saddam Hussein ist - wie der Irak als Ganzes und
letztlich wie heute Nuri al-Maliki - auch ein Geschöpf und ein Monster des
Westens. Nichts wirft ein grelleres Licht auf die Mitverantwortung der
Industriestaaten für das heutige Desaster als die erregte Ursachen-Debatte
unmittelbar nach der irakischen Invasion Kuweits. Sie ist etwa in einem Newsweek-Artikel
vom 1.10.1990 sehr plastisch dargestellt ist (Evan Thomas et al., The Search
for Scapegoats, p. 12). und zeigt, dass sich Saddam durch eine signifikante
Zahl US-offizieller Bekundungen zur Invasion Kuweits ermutigt fühlen konnte.
Auch
was folgte, schmückt den Westen wenig. Weder die halbe Million irakische
Kinder, die an den Folgen der Handelssanktionen umgekommen sein sollen, noch
die mehr als 600.000 Toten, die nach seriöser westlicher Untersuchung Folge der
Invasion von 2003 und der nachfolgenden Anarchie sind. Mehr als eine Million
Tote eines kleinen Staates sind eine Größenordnung. Das Unglück des Irak war
daher nicht nur ein besonders säkular und technokratisch orientierter
muslimischer Tyrann, sondern auch viele fein gekleidete Politiker des Westens,
die aus sehr eigennützigen Motiven Geopolitik treiben, Handelsströme lenken und
an lebenden Staaten und Völkern operieren. Das Böse in Saddam ist in mancher
Beziehung das Böse in uns."
P.S.
Der oben zitierte Artikel ist hier. Darin ist
übrigens auch die wohl lange Zeit repräsentative Einschätzung zitiert
"Saddam may have been a monster. But he was our monster." Ein
paralleler damaligen Artikel aus der TIME ist im Internet dokumentiert: http://www.time.com/time/magazine/printout/0,8816,971291,00.html.
Zu den Folgen der Handelssanktionen: Ein wohl eher unbedachtes Wort von
Madeleine Albright ist als besonders kalt wahrgenommen worden. Sie war i.J.
1996 gefragt worden, ob das Opfer von einer halben Million Kindern, die an den
Folgen der Handelssanktionen gegen den Irak gestorben sein sollen, es wert
gewesen sei. Ihre
Antwort: "I think this is a very hard choice, but the price we think is
worth it." (http://en.wikipedia.org/wiki/Madeleine_Albright). Zu der 2006 aktualisierten, in
The Lancet veröffentlichten Studie über ca. 650.000 Opfer als Folge der
Invasion von 2003: http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/6040054.stm
(3)
4.1.2007
Kölner Stadt-Anzeiger
Hinrichtung Saddam Husseins (KStA v. 4.1.2007, S. 26 Frank Olbert "Tod
durch den Strang")
Die
Vermarktung von Saddams Hinrichtung wirkt in der Tat obszön und lässt am
Entwicklungsstand auch unserer Kultur zweifeln. Etwa dort, wo sich der
Stadt-Anzeiger neuer Medien bedient: Das Bild zum Artikel "Tod durch den
Strang" ist im Internet-Angebot ein offenbar gut verkaufter Werbungspunkt,
abwechselnd unterlegt mit dem Angebot einer USA-Reise ("Jetzt buchen! Entdecke die Welt!), für ein
Blutdruck- und Pulsmessgerät (alternativ für einen Wellness-Wecker oder eine
Kuschelwärmflasche) oder für schräge Comix ("WERNER -
Flitzkacke-Alarm!"). Wenn man noch mehr Glück hat, wird man sogar
ausgewählter Gewinner eines Audi A3.
Das
bestätigt die Theorie, dass die ethische "Leistungsfähigkeit" eines
Staates oder einer Wertegemeinschaft wiederkehrend viel stärkeren Schwankungen
unterworfen ist als dass ethische Niveau-Unterschiede zwischen Staaten bzw.
Wertegemeinschaften bestehen. Und dass damit ethischer Fortschritt ebenso
schwer zu beweisen ist wie ein gerechter Grund, in die Souveränität anderer
Staaten und Kulturen einzugreifen, sie gar nach dem eigenen Vorbild gestalten
zu wollen.
Insbesondere
das Beispiel des Iraks und Saddam Husseins - beides letztlich auch Schöpfungen
und Monster der Industriestaaten - müssten Demut lehren, was die langfristigen
Folgen eigener Versuche von state design anbelangt. Die dort nun installierte
Administration Maliki zeigt das in allerkürzester Frist."
P.S.
Weil ich viele Dinge zu schnell vergesse, hebe ich viele alte Artikel auf und
finde sie manchmal sogar wieder. So einen Beitrag aus
Newsweek Oct. 1, 1990. Er markiert in grellem Licht den Wendepunkt in den
Beziehungen der USA (und des Westens insgesamt) zum vorher noch verbündeten
Irak und zeigt, dass sich Saddam durch eine signifikante Zahl offizieller
Bekundungen zur Invasion Kuweits ermutigt fühlen konnte. In dem Artikel ist
übrigens auch die wohl lange Zeit repräsentative Einschätzung zitiert
"Saddam may have been a monster. But he was our monster." Hier noch
der link zu der beschriebenen Internet-Seite des Stadt-Anzeigers: http://www.ksta.de/html/fotolines/1167466556669/rahmen.shtml
.
P.P.S. 5.1.2007:
Die oben von mir kritisierte Verbindung von Saddam mit der Schlinge um den Hals
und dem Werbebanner direkt darunter ist nun beseitigt.
(2)
3.1.2007
WELT
Hinrichtung von Saddam Hussein (insbesondere Leon de Winter "Das Monster
ist nicht mehr", WELT v. 2.1.2007, S. 6)
Keine
Angst, lieber Herr de Winter, die Monster werden uns nicht ausgehen. Wenn
Faschisten und Kommunisten verblassen, wachsen halt Anarchisten und Islamisten.
Nur: Die Aggression, die wir in andere projizieren, sehen jene ebenso in uns.
Der
Irak hätte ein gut entwickeltes, wohlhabendes Land werden können? Der Irak war
lange Zeit auf dem Weg dahin. Ein zentrales Argument für die 2003er Invasion
war doch: Der Irak ist einer der säkularsten Staaten im islamischen Gürtel, gar
der mit den am besten entwickelten Aufstiegsbedingungen für Frauen. Diese Nähe
hatte den Irak in den Augen westlicher Staats-Designer zu einem scheinbar
idealen Tor in einen modernisierten Nahen und Mittleren Osten gemacht.
Sehen
wir es völlig nüchtern: Der Irak selbst ist - ähnlich wie Saddam - eine
Schöpfung und ein Monster der Industrienationen. Mehr Einfluss von hier
verspricht heute nicht mehr Erfolg. Im Gegenteil müssen wir mehr reale
Souveränität erlauben, derzeit leider das meistunterschätzte völkerrechtliche
Prinzip.
Anm.:
Iraker werden das Handeln der Industrienationen auf wahrscheinlich sehr lange
Zeit nicht als primär zivilstaatlich oder gar ethisch fundiert bzw. als
authentisch verstehen können. Die hastige und wohl auch in provozierender Weise
herabwürdigende Hinrichtung Saddams wird zumindestens im sunnitischen Islam mit
den USA verbunden; das wird die dem Westen gegenüber kritische Position
voraussichtlich weiter verstärken.
·
Bereits während des
irakisch-iranischen Krieges hatte der Westen auf beiden Seiten Vorteile gezogen
und das gegenseitige Ausbluten auf Jahre verlängert; zur Lieferung von
Ersatzteilen für US-Waffensysteme durch die USA und Israel auch an den Iran:
Kerstin Dahmer, "Parlamentarische Kontrolle der auswärtigen
Gewaltanwendung", FfM 1998, S. 168ff, 174f in Fn.332, 248, 261ff, 256,
siehe dort ebenso zu dem zynisch-ehrlichen Kissinger-Zitat von 1986 "Too
bad they can't both lose!"
·
Es spricht auch viel dafür, dass die
USA die Invasion Kuwaits im Jahre 1990 hätten verhindern können und damit einen
weiteren Mitverursachungsanteil an der tief greifenden demographischen,
ökonomischen und ökologischen Degradation des Irak haben, siehe nur einen
damaligen Artikel in TIME: http://www.time.com/time/magazine/printout/0,8816,971291,00.html.
·
Ein eher unbedachtes Wort von
Madeleine Albright ist als besonders kalt wahrgenommen worden, nicht nur im
Irak. Sie war i.J. 1996 gefragt worden, ob das Opfer von einer halben Million
Kindern, die an den Folgen der Handelssanktionen gegen den Irak gestorben sein
sollen, es wert gewesen sei. Ihre
Antwort: "I think this is a very hard choice, but the price we think is
worth it." (http://en.wikipedia.org/wiki/Madeleine_Albright)
Zur Ergänzung des obigen Textes ein
- sicher recht schrilles - Anzeichen für die in der islamischen Welt
außergewöhnliche berufliche Gleichberechtigung: Frauen gehörten u.a. zu den
führenden Köpfen bei der Forschung an biologischen Kampfstoffen (siehe z.B. zum
Lebenslauf der Biologin Dr. Rihab Rashid Taha: http://en.wikipedia.org/wiki/Rihab_Rashid_Taha).
Die irakische Forschung hatte übrigens noch während des Irak-Iran-Krieges eng
mit US-amerikanischen und französischen Stellen kooperiert und bekam von dort
u.a. waffenfähige bacillus-anthracis- (Antrax-) und
clostridium-perfringens-Kulturen zur Verfügung gestellt, siehe Willy Hansen u.
Jean Freney, "Früher Geißel, heute Biowaffe", Spektrum der Wissenschaft
02/2002, S. 34 - 45 (39).
(1)
2.1.2007
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 5.1.2007
Hinrichtung von Saddam Hussein (KStA v. 2.2.2007, S.1 u. 4; Markus Günther:
"Spukhaftes Ende eines Tyrannen")
Das
Spukhafte ist vor allem: Mit der Hinrichtung versucht ein nach allen Anzeichen
todkrankes Projekt, Lebenskraft und Herrschaft zu beweisen. Ein Projekt, das
von Anfang an auf Sand und Lügen gebaut war. Ein Projekt, das nach seriösen
westlichen Berechnungen bis heute mehr als 600.000 Menschen das Leben gekostet
hat, weit die meisten davon irakische Zivilisten. Noch ein ernster Missklang:
Zur Zeit der ihm nun zur Last gelegten Taten war Saddam mit hocherwünschter
Brutalität und Kampfkraft die Speerspitze der USA in der damaligen Koalition
gegen den Iran.
Drum
kann Bush Saddams Kopf wohl nicht auf einen Speer gespießt vor dem Weißen Haus
aufpflanzen. Andererseits: Nach seinem persönlichen Verursachungsbeitrag wäre
es nur konsequent. Und auch Bush sieht sich gerne als losgelösten Richter über
Gut und Böse, als ewig machtvollen Gebieter über Leben und Tod."
und, viele Leserbriefe vorher:
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStA. v.
29.9.1992)
Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer
der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud
ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer
Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die
unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung
eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche
Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun
begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu
absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne
auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der
count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine
verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und
unserer Repräsentanten im Inland.