Dr. jur. Karl Ulrich Voss, Kuckenberg 34, 51399 Burscheid
Leserbriefe: Deutsche Einheit
15.02.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Deutsche Einheit;
Alkoholmißbrauch im Straßenverkehr der neuen Bundesländer ("Mehr Alkoholunfälle in den neuen Ländern", Stadt-Anzeiger v. 15.02.1993)
Freier Tod für freie Bürger
- freilich auch gute Kasse!
13.08.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Deutsche Einheit;
Leitartikel von Friedrich Karl Fromme in FAZ v. 12.08.1993 ("Risse in Deutschland")
Ich möchte weitergehen als Fromme: Nicht Risse über einer noch immer verbindenden Basis sind Bild der deutschen Wirklichkeit, sondern Trennflächen zweier Körper, die verwickelt und verschachtelt, aber nach wie vor geschieden sind. Gerade Maßnahmen zur Verschmelzung wie die rasche Herbeiführung einig westlicher Währung (damals angepriesen, aber erfolglos als Mittel zur Unterdrückung der Binnenwanderung) und einig westlichen Rechts dürften die Trennung perpetuiert haben: sie haben auf langjährig gewachsene soziale und ökonomische Wirklichkeit in der Hast wenig Rücksicht genommen und Land und Leute dem konkurrenzlos überlegenen Zugriff der "Sieger" ausgesetzt. Wir-Gefühle hatten und haben es da schwer.
30.11.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 10.12.1993
Deutsche Einheit;
"Putbus ist kein Einzelfall" von Thomas Wüpper im Stadt-Anzeiger v. 30.11.1993
Wer eine - jedenfalls in den Grundzügen - gerechte Eigentumsordnung als die wichtigste Garantie langfristiger sozialer Stabilität begreift, muß sich um die neuen Bundesländer die ernstesten Sorgen machen. Restitutionsregeln, die auf eine lange gewachsene Wirklichkeit keine Rücksicht nehmen, und eine abrupte Wirtschafts- und Währungseinheit, die zum schnellen Kollabieren der unvorbereiteten östlichen Industrien ganz wesentlich beitrug, haben zu einer ungleichen Zuteilung ökonomischer Chancen geführt, die nun für viele Generationen festgeschrieben ist: Gewinnler aus dem Westen - fast nur Verlierer im Osten.
Eine fiktive Bodenkarte, die die wirtschaftlich hoffnungsvolleren Liegenschaften der neuen Länder farblich nach westlicher/östlicher Kontrolle differenziert, wäre mit Sicherheit schon heute recht eintönig.
Zu rätseln bleibt nur, ob Absicht oder Unverstand, Vorsatz oder Fahrlässigkeit dahinterstand.
11.05.1994
FOCUS
Deutsche Einheit;
Interview mit Roman Herzog in FOCUS 19/1994
Roman Herzog beschwört eine deutsche Schicksalsgemeinschaft, die die für den Aufbau der neuen Länder nötigen Opfer erbringen soll. Dies muß nach dem ökonomischen Ergebnis der ersten drei Jahre des Einigungsprozesses in den Ohren der Bürger in den neuen Bundesländern sehr hohl klingen:
Restitutionsregeln, die auf eine lange gewachsene Wirklichkeit keine Rücksicht nehmen, und eine abrupte Wirtschafts- und Währungseinheit, die zum schnellen Kollabieren der unvorbereiteten östlichen Industrien ganz wesentlich beitrug, haben zu einer ungleichen Zuteilung ökonomischer Chancen geführt, die nun für viele Generationen festgeschrieben ist: Gewinnler aus dem Westen - fast nur Verlierer im Osten.
Wächst so gesamtdeutsche Solidarität oder gar eine Nation?
17.10.1994
Kölner Stadt-Anzeiger
Deutsche Einheit;
PDS
Was hatten wir der SED unter demokratischen Verhältnissen zugetraut - 2, 3, 5 % der DDR-Wähler? Nun, die Nachfolgepartei ist eine örtlich entscheidende Kraft geworden, nicht trotz der Wiedervereinigung, sondern wegen: Kaum ein der westlichen Wirtschaftsform zugeschriebenes Klischee blieb bei der westzentrierten Einigung unerfüllt, von grassierender Arbeitslosigkeit bis zu einer massiven Umverteilung von Werten und Erwerbschancen zulasten der Bürger im Osten. Mit persönlichen Anwürfen kann man die PDS nicht aus der Welt schaffen und erst recht nicht die von ihr aufgegriffenen Wählerprobleme!
10.11.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; wurde abgedruckt
Deutsche Einheit;
Fall der Mauer vor fünf Jahren
Vom Westen beschickt,
zum Westen drainiert,
sorgsam entgrätet
und nett filettiert:
Unsere schönen neuen Länder fünf Jahre danach
- und im Westen keine Spur von Scham!
25.02.1996
International Herald Tribune
Deutsche Einheit;
article in the International Herald Tribune of 23.02.1996 (Rick Atkinson: "Do Bonn subsidies help or hamper the East?")
To me there is quite a clue for the sluggish economic situation in Eastern Germany: The German reunification was sort of an "unfriendly takeover". The East was swiftly wired to an overwhelming West in any thinkable way - political parties, finance, production and energy, law - and Easterners never had a fair chance of becoming competitors, to decide on their own. Outspokenly: they were not supposed to.
To create dependency at first and now shut down alimentation would be fatal blow - if you do not effectively further emancipation at the same time.
28.4.1998
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 12.5.1998
Deutsche Einheit;
Berichterstattung über den Wahlausgang in Sachsen-Anhalt:
Wer die Bürger nur am Wahltag fragt, überfragt sie. In Sachsen-Anhalt fühlten sich die Wähler derart wenig wahrgenommen und so überfragt, daß sie sogar den Protest aus dem Westen importiert haben.
Nur auf den ersten Blick erscheint dies paradox; es kennzeichnet ein strukturelles, westlich verantwortetes Defizit: Der Osten ist im Grunde von einer zentralisierten Steuerung in eine horizontale Abhängigkeit vom Westen geraten - wirtschaftlich, kulturell und politisch. Eine selbständige, lokal orientierte neue Elite ist nicht entstanden. Und die einzige Gruppierung, die mit einem verblüffend stabilen Fünftel des Wählerpotentials spezifisch östliche Interessenlagen verklammert, wird aus dem Westen bequemerweise als übelriechende politische Untote ausgegrenzt. Wenn man sich einmal die Mühe macht, die parlamentarischen Aktivitäten der PDS nüchtern zu bewerten und am Standard ihrer Kollegen zu messen, kommt man nicht umhin, ihr eine engagierte und inhaltlich wie handwerklich akzeptable Mitarbeit zu attestieren. Wer aber die PDS und ihre Wähler in die Extremistenschublade direkt neben der DVU hineinpfeffert, betreibt - pardon - schlichte Propaganda und erweist der Einheit einen Bärendienst.
05.05.1998
DIE ZEIT; abgedruckt: 20.5.1998
Deutsche Einheit;
Berichterstattung und Kommentierung bzgl. der Wahl in Sachsen-Anhalt
Wer die Bürger nur am Wahltag fragt, überfragt sie. In Sachsen-Anhalt fühlten sich die Wähler derart wenig wahrgenommen und so überfragt, daß sie sogar den Protest aus dem Westen importiert haben.
Paradox? Nur auf den ersten Blick; denn das Votum kennzeichnet ein westlich verantwortetes Versäumnis. Im Osten brachte die Einheit hinsichtlich der Fähigkeit, dortige Geschicke selbst zu gestalten, nichts Neues: der Osten ist von einer zentralisierten Lenkung in eine waagerechte Abhängigkeit geraten - wirtschaftlich, kulturell und politisch vom Westen gelenkt. Eine selbständige, lokal orientierte neue Elite ist nicht gefördert worden. Und die einzige Gruppierung, die mit einem verblüffend stabilen Wählerpotential besondere östliche Interessenlagen verklammert, wird aus dem Westen bequemerweise als hinterlistiger politischer Zombie ausgegrenzt. Wenn man sich einmal die Mühe macht, die parlamentarischen Aktivitäten der PDS nüchtern zu bewerten und am Standard ihrer Kollegen zu messen, kommt man nicht umhin, ihr eine engagierte und inhaltlich wie handwerklich akzeptable Mitarbeit zu bescheinigen. Wer aber die PDS und ihre Wähler in die Extremistenschublade direkt neben der DVU hineindrückt, betreibt - pardon - grobschlächtige Propaganda und erweist der Einheit einen Bärendienst.
6.5.1998
Rheinischer Merkur; abgedruckt:15.5.1998
Deutsche Einheit;
Artikel von MdB Manfred Kolbe im Zusammenhang mit der Wahl in Sachsen-Anhalt (Rhein. Merkur Nr. 18 v. 1.5.1998, S. 3; "Tiefe Enttäuschung")
Ist die innere Einheit ein nur noch fehlender Schritt nach der (äußeren, staatsrechtlichen) Wiedervereinigung? Ich halte das für eine Selbsttäuschung. In der historisch sehr kurzen Phase von wenigen Monaten um den Beitritt herum waren Rahmenbedingungen definiert und Fakten geschaffen worden, die der inneren Einheit nun ebenso nachhaltig wie rechtsstaatsfest im Wege stehen: die von Manfred Kolbe zitierte Treuhandpolitik ist ja nur ein Detail der sehr ungleichen und nicht lokal orientierten Zuteilung der langfristigen ökonomischen Chancen in den Neuen Bundesländern.
Darüberhinaus sehe ich einen kausalen Zusammenhang zwischen der seinerzeit begründeten wirtschaftlichen, kulturellen und nicht zuletzt politischen Dependenz des Ostens vom Westen und einem dauerhaften Alimentationsbedarf des Ostens - und dem darauf wachsenden regionalen Frust. Fragen kann man immerhin, ob diese Situation mit Mitteln der Regierung zu verhindern gewesen wäre. Auch wenn das sehr skeptisch klingt: eine solidarischere Form der Wiedervereinigung lag möglicherweise von Anfang an nicht in der Gestaltungsmacht der Politik.
07.05.1998
DER SPIEGEL; abgedruckt: SPIEGEL 21/1998
Deutsche Einheit;
Wahlausgang in Sachsen-Anhalt (SPIEGEL 19/1998)
Wär’ ich Ossie, ich würde auch dampfenden Frust schieben. 1990 hätte ich begonnen, vom siegreichen Westen zu lernen. 1997 hätte ich dann - Herz wieder in die Hose - aus dem Adlon vernommen, selbst die Kapitalismus-gestählten, kaum erreichbaren Wessie-Vorbilder wären noch nicht fit für die Zukunft und müßten mächtig dazulegen. Für verdattertes Umblicken und verschärftes In-die-Hände-Spucken war es da aber auch schon zu spät: Himmel, Erde und Zukunft der Neuen Länder waren längst fest in anderen Händen. In Händen zumeist, für die ein wirtschaftlich, kulturell und politisch emanzipierter und kompetitiver Osten nun wirklich null Priorität hat.
12.10.2000
DIE ZEIT
Streit über das Urheberrecht an der deutschen Einheit (DIE ZEIT Nr. 41 v. 5.10.2000: Robert Leicht "Der Spalter der Einheit")
Der Streit um das geistige Eigentum an der Wiedervereinigung ist so unsinnig wie schädlich: Schädlich, weil der eher reaktive Anteil Westdeutschlands den handhaften Mut des Ostens überdecken könnte.
Die prickelnde Frage ist für mich übrigens nicht, ob die SPD in ihrer damaligen Oppositionsrolle die Wiedervereinigung zu betulich wollte oder gar nicht. Interessanter ist doch die Frage: Wie hätten CDU und SPD damals mit vertauschten Rollen gehandelt – also: wenn SPD regiert und CDU opponiert hätte?
Überwiegend wahrscheinlich hätte auch die SPD die Gunst der staatsmännischen Stunde genutzt. Als Macher der Einheit hätte sich auch die SPD der Gunst der neuen ostdeutschen Wähler sicher sein können. Die SPD hätte ferner den wichtigsten Einflussgrößen dienen können – sowohl dem Interesse der USA an einer Arrondierung in Mitteleuropa als auch den Begehrlichkeiten der westdeutschen Wirtschaft an neuen Märkten. Und die CDU? Die CDU hätte pflichtschuldigst die Kassandra gespielt, hätte vor einer Destabilisierung der bewährten Ordnung gewarnt, vor der Relativierung der europäischen Einheit und vor dem Überdehnen der westdeutschen Finanzkraft. Insgeheim hätte sie die ewige Opposition gefürchtet – bei so vielen jahrelang als linkslastig eingeschätzten Neuwählern!
12.10.2000
DER SPIEGEL
zu den "wiedervereinigten Deutschen" (SPIEGEL 40/2000)
Ein Lesergedicht zu einem kleinen Webfehler der Wiedervereinigung, der die innere Einheit erschwert:
"Vom Westen beschickt, zum Westen drainiert,
sorgsam entgrätet und nett filetiert;
der Osten ist offen
und wird ohne Hoffen
statt zentralistisch nun ferngelenkt regiert,
nun ferngelenkt re - gier - t."
Ton gefällig? www.v-o-s-s.de/nbl.wav.