Ital Reding und die Wehrpflicht

 

Eine Reise in die Schweiz lohnt immer, besonders mitten ins historische Herz, nach Schwyz. Auf der nahen Rütliwiese packt dich der Tell'sche Zorn der Freiheitshelden, im Bundesbriefmuseum siehst du das in der ersten eidgenössischen Urkunde juristisch ordentlich umgesetzt. Odr? Wahre Pracht in Silber und erlesene Schnitzereien und Intarsien erlebst du dann im Schwyzer Ital-Reding-Haus. Reding, das war ein nicht eben zart besaiteter Schwyzer Landeshauptmann – damals Landammann – und er verhökerte die jungen Burschen aus den seinerzeit noch bettelarmen Schweizer Bergtälern an die ambitionierten Könige und Fürsten Europas als Landsknechte, eine Art mittelalterlicher Blackwater. Im Schweizerischen hießen die Landsknechte übrigens Reisläufer (dem Sinne nach: Kriegs-Reisende). Vom Schicksal der einzelnen Landsknechte oder Reisläufer weiß man heute wenig. Das scheinende Silber und das harte Holz der Reding-Villa aber haben die Zeiten ohne Schaden überdauert.

Was hat das alles mit der deutschen Wehrpflicht zu tun, außer dass die Schweiz militärisch heute als Bürgerwehr organisiert ist?

Nun, bei der deutschen Bundeswehr und insbesondere an der Front, die man inzwischen getrost kriegerisch nennen darf, auch mit Verständnis der Kanzlerin und des zuständigen Fachministers, da geht es ähnlich „ausgewogen“ zu: Auch dort sind heute ganz viele Burschen aus der arbeitslosen Provinz am Werk und ganz wenige aus der gebildeten Schicht und aus den Orten, wo es anständige Arbeit hat. Man kann den inzwischen legendären 2004er Spruch Strucks von der „Verteidigung deutscher Sicherheit auch am Hindukusch“ landsmannschaftlich konkretisieren: In der Realität verteidigen die Söhne und Töchter Mecklenburg-Vorpommerns - gegen süddeutschen Sold - die Interessen der Kinder Baden-Württembergs; siehe näher hier mit konkreten Zahlen.

Exkurs: Der Deal mit Soldaten war übrigens keine Schweizer Erfindung und Spezialität. Er hat etwa auch bei den Württembergern eine intensive Tradition und hatte dort einen großen Dichter aus Eugens Pflanzschule ins Weimarer Exil getrieben. Welchselbiger Dichter dann später den Rütli-Schwur im „Tell“ dramatisiert und verewigt hat, aber eines mit Sicherheit niemals war: ein Freund der lukrativen Reding’schen Exportgeschäfte. Exkurs Ende.

Mit der Wirtschaftskrise wird zwar wieder etwas gesamtdeutscher rekrutiert. Aber auch dann trifft es die Verlierer. Dabei verstärkt sich seit Jahren auch ein anderer Effekt: Schon kurz nach der Wiedervereinigung hat das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr eine signifikante weltanschauliche Verschiebung beim Bewerber-Potenzial gemessen. Unter dem Eindruck des "scharfen Schusses" drängte es bereits damals mehr Gewaltbereite und solche mit autoritäreren Erklärungsmustern zur Bundeswehr – das Bürgertum dagegen hielt seine Söhne zurück (Heinz-Ulrich Kohr, „Rechts zur Bundeswehr, links zum Zivildienst? Orientierungsmuster von Heranwachsenden in den alten und neuen Bundesländern Ende 1992“, S. 23ff [SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993]). Das hatte übrigens nichts mit einer anerzogenen Rechtslastigkeit derer von "drüben" zu tun. Fremdenfeindlichkeit hatte dort erst später Konjunktur und nicht als eine Art kommunistische Altlast, sondern als Frust-Abbau bei ökonomischen Einigungs-Verlierern. Wer's nicht glauben will: Noch heute stehen die Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländer den bewaffneten Auslandseinsätzen signifikant kritischer gegenüber als ihre Vettern im Westen (Nina Leonhard, „Die Bundeswehr und die ‚innere Einheit’: Einstellungen von ost- und westdeutschen Soldaten im Vergleich, Straußberg 2004, S. 43 [SOWI-Arbeitspapier Nr. 136, Januar 2004]).

Die Wehrpflicht hat, gerade auch bei den zunehmend technisierten modernen Kriegen, ihre klaren Probleme. Das zu bestreiten wäre Unsinn. Aber sie hat eine entscheidende Signalfunktion in den politischen Prozess hinein. Ideal und jedem politischen Abenteuerdenken gegenüber dämpfend wäre die unmittelbare Rückkopplung zwischen Feldherrnhügel und Schlachtlinie, am besten ausgeprägt im legendären Kampf der Häuptlinge. Den hatte schon Kant als nachdenkliches Denkbeispiel in sein ewig frisches Traktat vom ewigen Frieden eingeflochten (Originalausgabe 1795: Fn. auf S. 9 u. 32, s. online Fn. 02 u. 08; Reclam-Ausgabe der neuen vermehrten Auflage 1796, Fn. auf S. 17). Zweitbeste Lösung sind nicht viele Reisen von Parlamentariern zu Besuchsprogrammen in deutschen Militärcamps am Hindukusch. Sondern es sind viele Verwandte und teure Bekannte mit militärischer Erfahrung, von dort also, wo es weh tun kann.

Die gerechte Wehrpflicht ist ein Ideal. Aber auch Demokratie, Gleichheit und die Gerechtigkeit selbst sind solche Ideale oder auch Utopien. Sie sind nie vollkommen zu erreichen, aber als Kompass, Ziel oder Leitbild gegen Selbstgerechtigkeit und gegen das menschenverachtende Instrumentalisieren von Mitbürgern völlig unverzichtbar. Die konsequente Alternative zur Wehrpflicht wäre das System Blackwater, das völlig ohne Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit auskommt und ausschließlich von Geld lebt. So sind halt die Söldner, seit Jahrhunderten. Besser ist das Ziel, die Bundeswehr ebenso repräsentativ zu besetzen, wie wir es für den Bundestag anstreben. So bleiben Hirn und Hand in gegenseitiger Kontrolle verbunden. Kant würde sich freuen. Hier noch (m)ein Leser-Standpunkt zur Wehrpflicht, den der Kölner Stadt-Anzeiger am 21.7.2010 abgedruckt hat – mit historischen Nachweisen, die noch weit über das Mittelalter hinaus reichen, bis zu Gaius Mucius Scaevola und den Anfängen der römischen Republik.

Ergänzung Nov. 2011 / rechtsradikale Mordserie:
Hier eine Grafik zur Beziehung zwischen rechtsradikalen Straftaten und Arbeitslosigkeit.

 

Wie authentisch sind nun die Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien zu Bundeswehr & Wehrpflicht?

 

DIE LINKE will, wenn ich’s recht verstehe, dreierlei nicht: Keine NATO, keine Auslandseinsätze und dann auch keine Wehrpflicht. Den derzeitigen Entsendebeschlüssen hat sie, soweit ich das übersehen kann, durchgehend widersprochen, s. auch die entsprechende Programm-Passage 2009:

„Für DIE LINKE ist Krieg kein Mittel der Politik. Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands. Wir fordern ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr. Dazu gehören auch deutsche Beteiligungen an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta. Um Akzeptanz für die Militarisierung der Außenpolitik zu erlangen, ist zunehmend von "zivilmilitärischer Kooperation" und von Konzepten zur "vernetzten Sicherheit" die Rede. DIE LINKE lehnt eine Verknüpfung von militärischen und zivilen Maßnahmen ab. Sie will nicht, dass zivile Hilfe für militärische Zwecke instrumentalisiert wird.“

Das ist nicht meine Position, aber es hört sich jedenfalls konsequent an.

 

BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN drücken sich ganz unzivilgesellschaftlich zackig aus: „Wehrpflicht, weggetreten!“ Nicht wegtreten soll aber wohl die Bundeswehr als Organ auswärtiger Gewalt; siehe entsprechend auch das Wahlprogramm 2009, S. 210-214. In der o.a. Position heißt es dazu:

„Heute ist die bestimmende Aufgabe der Bundeswehr die multilaterale von den Vereinten Nationen mandatierte Gewalteindämmung und Friedenssicherung. An diesen Einsätzen muss die Struktur der Bundeswehr ausgerichtet werden. Gebraucht wird eine modernere, kleinere und professionelle Freiwilligenarmee, die gut ausgerüstet und ausgebildet ist. Grundwehrdienstleistende nehmen zu Recht nicht an derartigen Einsätzen teil. Ihre Ausbildung und Ausrüstung bindet Ressourcen, die an anderer Stelle dringend benötigt werden. Darum fordern wir die Abschaffung der Wehrpflicht und den Umbau der Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee“.

Dann allerdings muss sich die Partei darauf verlassen, dass es genügend robuste Hände und Köpfe zu rekrutieren gibt, die diese Zukunftsausgaben übernehmen, ggfs. überredet oder überzeugt durch einen bewährten Lockstoff: attraktive Einsatzzulagen. Das erscheint mir widersprüchlich. Überzeugend wäre, nur solche Aufgaben zu unterstützen, die auch die eigene Basis repräsentativ umsetzen kann, nicht aber, dies leichter Hand zu delegieren. Zumal bisher jede positive Evaluierung der auch von den Grünen unterstützten Auslandseinsätze fehlt, alles viel länger währt, als man sich anfangs versprochen hatte, und man den ambitioniert erweiterten Aufgabenkreis der Bundeswehr jedenfalls eines seriöserweise nicht nennen kann: ein außen- und sicherheitspolitisches Erfolgsmodell. Auch fehlt bei den Grünen – wie allerdings auch bei den anderen Parteien – eine rechtsstaatlich befriedigende Definition der Fälle, in denen ein Einsatz überhaupt legitim sein soll. Soll es Hilfe für Gequälte und Unterdrückte sein, das Heraushauen von Landleuten wie bei der Operation „Libelle“ in Tirana/Albanien oder das Sichern wohlverstandener deutscher Interessen, z.B. auf den Seewegen der Handelsflotte?

Die Grünen bevorzugen – wieder wie die übrigen Parteien, die bereits einen Einsatzbeschluss unterstützt haben – einen gerichtlich in der Praxis nicht zu überprüfenden ad-hoc-Ansatz. Dieser gründet ausschließlich auf die jeweilige Mehrheitsentscheidung des Bundestages, generell auch auf eine dieser vorangehende Mandatierung durch die VN, s.o. im Programm-Zitat, siehe aber auch den nicht UN-mandatierten Einsatzbeschluss zum Kosovokrieg. Mit der Verfassungsrechtsprechung zu Gesetzesvorbehalt und Wesentlichkeitsgebot ist dies nach meinem Verständnis indessen nicht zu vereinbaren, siehe näher den Beitrag gem. dem vorangehenden link

 

FDP: Das Wahlprogramm 2009 setzt sich für die Umorientierung zu einem Berufsheer ein, s. dort S. 74,

„Deutschland benötigt hoch motivierte, sehr gut ausgebildete und mit modernster Bewaffnung ausgerüstete Streitkräfte. Die zivile und militärische Führungsstruktur der Bundeswehr muss verschlankt werden. Insbesondere sind viele Ämter und höhere Kommandobehörden auf ihre Berechtigung zu überprüfen und gegebenenfalls zu reduzieren. Diese Neuordnung muss mit neuen Instrumenten der Personalplanung einhergehen. Sie müssen als Instrument einer wirkungsvollen Friedenspolitik professionell, flexibel und schnell einsetzbar sein. Hierzu reicht eine einfache Fortschreibung überkommener Strukturen unter Beibehaltung der Allgemeinen Wehrpflicht nicht aus. Die Wehrpflicht ist nicht mehr zu begründen. Sie ist in ihrer Ausgestaltung zutiefst ungerecht und für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mittlerweile sogar kontraproduktiv. Sie muss schnellstens ausgesetzt werden. Deutschland benötigt Streitkräfte, die gut ausgebildet, modern ausgerüstet, voll einsatzbereit und schnell verlegbar sind. Das kann nur eine Freiwilligenarmee gewährleisten.“

auch für die militärische Sicherung der Exportwege, daselbst S. 73. Außerhalb des Programms hat sie mehrfach – bei einem hier zu findenden Bekenntnis zur Abrüstung (Wahlprogramm S. 67, 71) – die Stärkung der wehrwirtschaftlichen Industrie unterstützt. Hier ergänzen sich möglicherweise ein (durchaus umstrittenes) Einsparpotenzial bei etwaigem Verzicht auf die Wehrpflicht und ein industriepolitisches Ziel, nämlich die angemessene neue Ausrüstung für neue Aufgaben, wie es sich in ähnlicher Form auch bei der CDU/CSU und bei der SPD findet. Allerdings regt die FDP auch an, mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung (ältere) Beschaffungsplanungen zu überdenken.

Insgesamt: Wie bei den Grünen hielte ich für allein authentisch, wenn die FDP bei einem grundsätzlichen Bekenntnis für einen neuen Aufgabenrahmen der Bundeswehr und breiter Unterstützung der entsprechenden Missionen im Parlament auch die repräsentative Umsetzung durch das eigene Mitglieder- und Unterstützerlager vorsehen würde und keine Delegation auf Freiwillige bzw. Söldner. Man kann selbstverständlich argumentieren: Diese neuen Aufgaben – etwa Sicherung der Exportwege, Durchsetzung von Gleichheitsrechten – sind nicht derart innig mit Lebens- und Schicksalsfragen des Volkes verknüpft wie die Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs. Allerdings würde diese Argumentation nicht weit tragen: Denn unweigerlich würde man gleichzeitig einräumen: Diese neuen Aufgaben zielen auf die Durchsetzung individueller, partikulärer und eben nicht repräsentativ relevanter oder gesamtstaatlicher Interessen. Dann aber können diese Aufgaben nicht mit gleicher verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Gewissheit von einem gesamtstaatlichen Organ exekutiert werden.

 

CDU/CSU: Das Wahlprogramm 2009 bekennt sich noch zur Wehrpflicht, dort S. 87:

„Das Leitbild „Staatsbürger in Uniform“ ist und bleibt Markenzeichen der Bundeswehr als Armee in der Demokratie. Die Wehrpflicht ist auch angesichts der neuen Bedrohungen der Sicherheit unseres Landes zukünftig notwendig. Sie ist ein wichtiges Instrument der Sicherheitsvorsorge. Die Wehrpflicht verbindet Bundeswehr und Gesellschaft. Wir wollen jedoch für mehr Wehrgerechtigkeit sorgen und die Wehrpflicht attraktiver gestalten. Den Zivildienst wollen wir als Ersatzdienst erhalten. Er hat große sozial- und jugendpolitische Bedeutung.“

Im Übrigen geht das Programm auf den S. 84ff von einem ähnlich breiten – und letztlich offenen – Aufgabenspektrum aus wie das Bundeswehrweißbuch 2006. Das Weißbuch hatte wie bereits vorangehend die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 die Aufgaben der Bundeswehr vor dem Hintergrund der durch Globalisierung und Terrorismus veränderten Sicherheitslage erweitert dargestellt (Weißbuch S. 24ff, „Werte, Interessen und Ziele deutscher Sicherheitspolitik“; VPR 2003, S. 10ff, 18ff) und damit auch den Verteidigungsbegriff als gegenüber dem Verständnis vor 1990 deutlich aufgebläht und weniger differenzierbar gestaltet.

Hinsichtlich der Wehrpflicht war die Position des CDU/CSU- Wahlprogramms aber eindeutig konsequenter und authentischer als das der FDP und das der Grünen: Die Wehrpflicht wurde als moderierende Klammer von Bundeswehr und Gesellschaft bekräftigt.

Ca. 1,5 Jahre nach der Wahl zum 17. Bundestag = Mitte 2010 allerdings ändert sich das Bild grundlegend: Verteidigungsminister zu Guttenberg schlägt vor, die Wehrpflicht abzuschaffen, u.a. um zusätzliche Ressourcen für eine Verkleinerung und zukunftsfähige Umgestaltung der Bundeswehr im Hinblick auf ein Aufgabenspektrum zu erschließen. Daraufhin erhebt sich zwar zunächst erheblicher Widerstand in der Union, die sich auch als „Partei der Bundeswehr“ versteht und darstellt. Als Kompromiss kristallisiert sich dann aber heraus: Die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP wollen die Wehrpflicht zwar nominell in der Verfassung erhalten, sie aber tatsächlich nunmehr aussetzen. Anm.: Es gilt allgemein als sehr unwahrscheinlich, dass eine einmal ausgesetzte Wehrpflicht jemals wieder als Regel zu etablieren sein wird. Die Aussetzung kommt damit bei einer realitätsnahen Betrachtungsweise der Abschaffung funktional gleich, zumal unter den Oppositionsparteien heute keine Befürworter der Wehrpflicht mehr auszumachen sind. Wenn man so will: eine maximal große Koalition gegen die Wehrpflicht und gegen den früher einmal für Deutschland identitätsprägenden „Staatsbürger in Uniform“.

 

SPD: Im Wahlprogramm 2009 der SPD löst sich die Partei tendenziell von der vorher in Regierungsverantwortung zumeist noch unterstützten Wehrpflicht, s. dort S. 92:

Die Wehrpflicht weiterentwickeln. Wir setzen auf die Fortentwicklung der Wehrpflicht, die unter Beibehaltung der Musterung die Möglichkeit einer flexiblen Bedarfsdeckung des erforderlichen Bundeswehrpersonals mit einer Stärkung des freiwilligen Engagements in der Bundeswehr verbindet. Wir streben an, zum Dienst in den Streitkräften künftig nur noch diejenigen einzuberufen, die sich zuvor bereit erklärt haben, den Dienst in der Bundeswehr zu leisten.“

Das klingt wie die Quadratur des Kreises, heißt aber im Ergebnis: Nur wer will (oder muss), nimmt an der Bundeswehr teil. Kurz zuvor bekennt sich das Programm zu den humanitären Zielen des Einsatzes in Afghanistan, S. 91, und befürwortet Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, S. 92:

Die Bundeswehr modernisieren. Wir wollen den Transformationsprozess der Bundeswehr aktiv vorantreiben und den Umbau weiterhin sozialverträglich gestalten. Das bedeutet insbesondere, für eine leistungs- und zukunftsfähige Ausrüstung der Bundeswehr zu sorgen, die Sozialstandards für den Dienst und die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten zu erhöhen und einem modernen Familienbild anzupassen sowie geeignete Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr einschließlich einer Reform der Besoldungsstruktur zu ergreifen. Wir treten dafür ein, den Rechtsstreit um die künftige Nutzung der Kyritz-Ruppiner-Heide zu beenden und auf eine militärische Nutzung zu verzichten. Zugleich treten wir dafür ein, die Belastung der Bevölkerung durch die übrigen Luft-Boden-Schießplätze der Bundeswehr so gering wie möglich zu halten, wo es geht, diese weiter zu reduzieren und für eine gerechte Lastenverteilung zu sorgen. Wir befürworten eine europäische Lösung für die Übungskapazitäten der europäischen NATO-Luftstreitkräfte.“

Bewertung: Möglicherweise mit Blick auf jüngere Wählerschichten dehnt die SPD die Verbindung zwischen Bürgern / Politik einerseits und ausführenden Soldaten andererseits, spricht sich gleichzeitig für bessere materielle Anreize für den Soldatenberuf aus. Das erscheint mir – mag auch die Wehrpflicht nicht endgültig zur Disposition gestellt werden – weniger schlüssig und authentisch als im Falle des CDU/CSU und – unter ganz anderen Vorzeichen – der LINKEN, aber noch näher am früheren allgemeinen Verständnis als heute bei der FDP und bei den Grünen.

Für den Hinterkopf aber noch etwas aus der jüngeren SPD-Geschichte: Verteidigungsminister Dr. Struck war in einem Interview des Kölner Stadt-Anzeigers i.J. 2004 auf die Abschaffung der Wehrpflicht angesprochen worden. Er warnte damals ausdrücklich vor der Vorstellung, die Abschaffung könnte Kosten sparen; im Gegenteil seien bei einer Sollstärke von 250.000 Soldaten in den ersten Jahren Mehrkosten i.H.v. 3 bis 4 Milliarden Euro zu erwarten.

Anm.: Deswegen enthalten die derzeitigen Pläne auch eine deutliche Reduktion der Sollstärke auf weit unter 200.000. Der windfall profit mag dann einer breiten Beschaffungs-Kampagne zu Gute kommen – und dem entsprechenden Wirtschaftszweig. Oder auch: Material statt Menschen. Die Beschaffung wiederum wird kaum widerlegbar motiviert werden mit dem nachvollziehbaren Interesse der kämpfenden Truppe an der bestmöglichen Ausrüstung („Wenn die schon ihre Haut für uns zu Markte tragen…“). Allerdings muss man wissen, dass die Bundeswehr seit 1993 in fortlaufenden massiven Investitionen an eine jeweils fortentwickelte Aufgabenstellung angepasst worden ist – die Aufgabenstellung selbst aber nicht Gegenstand demokratischer Debatte geworden ist. Möglicherweise kann mehr Sicherheit für die Soldaten nicht mit eskalierenden Investitionen in Militärtechnik erreicht werden, sondern nur durch eine angemessene rechtsstaatlich-demokratisch gewonnene Definition des Auftrags, die auch die Erfahrungen seit 1993 mit verarbeitet.

Im gleichen Interview hatte Struck die Wehrpflicht übrigens als Schutzwall gegen unmenschliche Kriegführung gewürdigt (Kölner Stadt-Anzeiger 13.5.2004, S. 9). Zur Einordnung: Im Mai 2004 waren die Vorwürfe wegen unmenschliche Behandlung Gefangener im irakischen Abu Ghuraib-Gefängnis bekannt geworden. Aber es gab damals natürlich noch keine Debatte um die Bombardierung von Tanklastern in der Nähe des deutschen Stützpunktes in Kundus im September 2009 – mit einer nach derzeitiger Nachrichtenlage hohen Anzahl ziviler Opfer, in deren Folge nach einer Neubewertung der Rechtslage durch die Bundesregierung die gezielte Bekämpfung von Aufständischen („targeting“) als rechtmäßig bewertet worden war.

 

Unter dem Strich:
Als Verfassungspatriot reihe ich die dargestellten Partei-Positionen in folgender Reihung von „schlüssig / authentisch“ bis „nicht „widerspruchsfrei“.

1. CDU/CSU und DIE LINKE.
2. SPD
3. BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN und FDP.

Nach der Ankündigung aus der CDU/CSU von Mitte 2010, die Wehrpflicht aussetzen zu wollen, verliert sie in meinem Ranking einen oder gar zwei Plätze auf der Authentizitäts-Skala.

Hier noch ein recht informativer Überblick über die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2009; allerdings sind die links zu den jeweiligen Wahlprogrammen, die als Quellen angegeben sind, bereits teilweise wieder überholt.

 

K. U. Voss
Dr.
jur. Karl Ulrich Voss, Kuckenberg 34, 51399 Burscheid
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