Entscheidungen mit Bezug zu
Auslandseinsätzen / Kompetenzordnung / Gesetzesvorbehalt
– Entscheidungsdaten, Urteilsformeln u. Leitsätze –
Stand: 28.8.2021
Gericht |
Az. / link |
Datum |
Sammlg. |
Thema |
Urteilsformel / Leitsätze |
BVerfG |
16.10.1977 |
E 46, 160 |
Schleyer-Entführung, Höchstwert des Lebensrechts (einstw. Anordng.) |
Der Antrag auf Erlaß
einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Der Antrag hatte gelautet: "Die Antragsgegner sind gehalten, den
Forderungen der Entführer des Dr. Hanns-Martin Schleyer auf Freilassung und
Gewährung freier Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland von namentlich
von den Entführern benannten Häftlingen als unabdingbare Voraussetzung zur
Abwendung gegenwärtiger, drohender Gefahr für das Leben des Antragstellers
stattzugeben. Hilfsweise: Die Antragsgegner haben es zu
unterlassen, die Freilassung und Gewährung freier Ausreise aus der
Bundesrepublik Deutschland von namentlich von den Entführern des
Antragstellers benannten Häftlingen zu verweigern, die zur
Abwendung der gegenwärtigen, nicht anders zu beseitigenden Gefahr für Leben
und Leib des Antragstellers unabdingbar erforderlich sind." |
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BVerfG |
08.08.1978 |
E 49, 89 |
Kalkar I |
1. Aus dem Grundsatz der parlamentarischen
Demokratie darf nicht ein Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen
gegenüber den anderen Gewalten als ein alle konkreten Kompetenzzuordnungen
überspielender Auslegungsgrundsatz hergeleitet werden. 2. Die normative Grundsatzentscheidung für oder
gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie im
Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer
weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren
Freiheitsbereich und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen
Lebensverhältnisse und wegen der notwendigerweise damit verbundenen Art und
Intensität der Regelung eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im
Sinne des Vorbehalts des Gesetzes. Sie zu treffen ist allein der Gesetzgeber
berufen. 3. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung
getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch
nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er
von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen,
ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen
aufrechtzuerhalten ist. 4. In einer notwendigerweise mit Ungewißheit belasteten Situation liegt es zuvorderst in
der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen
ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für zweckmäßig erachteten
Entscheidungen zu treffen. Bei dieser Sachlage ist es nicht Aufgabe der
Gerichte, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen
Organe zu treten. Denn insoweit ermangelt es rechtlicher Maßstäbe. 5. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7
Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz.
Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG
jeweils bestmöglich zu verwirklichen. 6. Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine
Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit
Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer
Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen
menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche
Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung
muß es insoweit bei Abschätzungen anhand
praktischer Vernunft bewenden. Ungewißheiten
jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft sind unentrinnbar und insofern
als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen. |
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BVerfG |
20.12.1979 |
E 53, 30 |
Mülheim-Kärlich |
1. Werden erstinstanzliche
Beschwerdeentscheidungen über die sofortige Vollziehung atomrechtlicher
Errichtungsgenehmigungen wegen Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2
GG mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, läßt
sich die gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit des Grundrechtsträgers
nicht deshalb verneinen, weil Gefahren für Leben und Gesundheit erst vom
Betrieb eines Kernkraftwerks, aber noch nicht von vorherigen
baulichen Maßnahmen ausgehen können. 2. Auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität
sind derartige Verfassungsbeschwerden jedenfalls dann zulässig, wenn die
Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und wenn
diejenigen Voraussetzungen vorliegen, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG
vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann. 3. Die friedliche Nutzung der Atomenergie ist mit
dem Grundgesetz vereinbar. Zur Grundsatzentscheidung für oder gegen diese
Nutzung ist der Gesetzgeber berufen. 4. Der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht,
Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefahren der friedlichen Nutzung der
Atomenergie zu treffen, ist der Staat durch den Erlaß
materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften für die
Genehmigung von Kernkraftwerken nachgekommen. 5. Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der
materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die
Genehmigung von Kernkraftwerken und von wesentlichen Änderungen solcher Anlagen.
6. Eine Grundrechtsverletzung kommt auch dann in
Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche atomrechtlichen
Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2
GG folgenden Schutzpflicht erlassen hat. |
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BVerfG |
17.07.1984 |
E 67, 100 |
Flick-Untersuchungsausschuss |
1. Zur Parteifähigkeit und Prozeßführungsbefugnis
in einem Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG um das Beweiserhebungsrecht
eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. 2. Wird ein Untersuchungsausschuß
des Bundestages zur Kontrolle der Bundesregierung eingesetzt, erstreckt sich
das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses nach Art. 44 Abs. 1 GG
auch auf das Recht auf Vorlage der Akten. 3. a) Auf ein solches
Aktenherausgabeverlangen findet gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift
der § 96 StPO sinngemäß, d.h. unter Beachtung des Sinnes parlamentarischer
Kontrolle, Anwendung. b) Das Wohl des Bundes oder eines Landes (§ 96
StPO) ist im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes dem
Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut. Die Berufung auf das
Wohl des Bundes gegenüber dem Bundestag kann mithin in aller Regel dann nicht
in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das
Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden. c) Nur unter ganz besonderen Umständen können
sich Gründe finden lassen, dem Untersuchungsausschuß
Akten unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes
vorzuenthalten. Solche Gründe können sich insbesondere aus dem
Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben. Die Verantwortung der Regierung gegenüber
Parlament und Volk setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutiver
Eigenverantwortung voraus, der einen auch von parlamentarischen
Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativbereich,
Beratungsbereich und Handlungsbereich einschließt. 4. a) Zu den von § 96 StPO erfaßten
öffentlichen Belangen kann auch das Steuergeheimnis im Sinne der § 30 AO
gehören. b) Der Ausnahmetatbestand der § 30 Abs. 4 Nr. 5
Buchst c AO ist verfassungskonform so auszulegen, daß
er auch den Fall des Aktenvorlageverlangens des Untersuchungsausschusses erfaßt, mit dem der Bundestag in der Öffentlichkeit
verbreiteten Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgeht, die
auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten. 5. a) Das Beweiserhebungsrecht und das Recht auf
Aktenvorlage gemäß Art. 44 Abs. 1 GG können durch die Grundrechte
eingeschränkt sein. Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen
Untersuchungsausschusses und grundrechtlicher Datenschutz müssen im konkreten
Fall einander so zugeordnet werden, daß beide
soweit wie möglich ihre Wirkungen entfalten. b) Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO
gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht.
Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und
Verhältnisse kann indessen durch grundrechtliche Verbürgungen geboten sein. c) Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des
Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das
Ansehen des Staates hat, gestattet in der Regel dann keine Verkürzung des
Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung
Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte
Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und
wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. |
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BVerfG |
18.12.1984 |
E 68, 1 |
Pershing 2 |
1. a) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist im Lichte des
Art. 20 Abs. 2 GG auszulegen. Eine Erweiterung der dem Bundestag durch Art.
59 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse bei der staatlichen
Willensbildung im Bereich der auswärtigen Beziehungen über den Kreis der dort
genannten völkerrechtlichen Akte hinaus stellte einen Einbruch in zentrale
Gestaltungsbereiche der Exekutive dar und liefe dem vom Grundgesetz
normierten Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle
zuwider. b) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht entnommen
werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der
Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung
betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung oder Mitwirkung bedürftigen
völkerrechtlichen Vertrages gewählt werden müßte. 2. a) Art. 24 Abs. 1 GG setzt nicht voraus, daß die Übertragung deutscher Hoheitsrechte auf eine
zwischenstaatliche Einrichtung unwiderruflich ist. b) Art. 24 Abs. 1 GG läßt
sich nicht entnehmen, daß eine Übertragung von
Hoheitsrechten immer nur dann vorliegt, wenn einer zwischenstaatlichen
Einrichtung die Befugnis zu einem unmittelbaren Durchgriff auf Einzelne
eingeräumt wird. c) Art. 24 Abs. 1 GG hindert nicht, im Rahmen eines
Verteidigungsbündnisses Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zur
Stationierung verbündeter Streitkräfte zur Verfügung zu stellen und dem
Verteidigungszweck des Bündnisses dienliche Entscheidungsstrukturen für den
Einsatz dieser Streitkräfte zuzulassen, um den Schutz der Bundesrepublik
Deutschland vor Angriffen zu gewährleisten und damit der
Integrität ihrer Verfassungsordnung wie ihrer Souveränität zu dienen. 3. Einschätzungen und Wertungen außenpolitischer
und verteidigungspolitischer Art obliegen der Bundesregierung. Das
Grundgesetz zieht der Beurteilungsmacht, die der Bundesregierung insoweit
zusteht, nur die Grenze offensichtlicher Willkür. Innerhalb dieser äußersten
Grenze hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen, ob die Einschätzungen
oder Wertungen der Bundesregierung zutreffend oder unzutreffend sind, da es
insoweit rechtlicher Maßstäbe ermangelt; sie sind politisch zu verantworten. 4. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 24 Abs. 1 GG
enthalten für die von ihnen erfaßten Sachbereiche
eine abschließende Regelung, neben der sich Gesetzgebungsbefugnisse des
Bundestages nicht selbständig aus dem Demokratieprinzip oder aus der
Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung für das Staatsganze ergeben. Unter
der demokratisch-parlamentarischen Herrschaftsordnung des Grundgesetzes ist
auch die Regierung institutionell, funktionell und personell demokratisch
legitimiert und nicht von vornherein auf Vornahme politisch weniger
bedeutsamer Akte beschränkt. |
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BVerfG |
08.04.1993 |
E 88, 173 |
Flugverbot Bosnien-Herzegowina / UNPROFOR (einstw. Anordng.) |
1. Der Beschluß der
Bundesregierung von 1993-04-02, durch den mit rechtserheblicher Wirkung über
die Teilnahme deutscher Soldaten an der Überwachung und Durchsetzung des
Flugverbots über Bosnien-Herzegowina durch den AWACS-Verband entschieden
wurde, stellt eine im Wege des Organstreitverfahrens angreifbare Maßnahme
(BVerfGG § 64 Abs 1) dar, weil es zu dessen Umsetzung keiner weiteren Beschlußfassung bedarf. Die Anträge auf Erlaß
einer einstweiligen Anordnung sind, unbeschadet einer weiteren Prüfung der
Zulässigkeit, nicht von vornherein unzulässig. 2 a. Da dem AWACS-Verband bei der Durchsetzung
des Flugverbots nach Auffassung der NATO-Bündnispartner eine besondere Rolle
zukommt, würde der Abbruch der Zusammenarbeit bei den Einsätzen des
AWACS-Verbandes in dem Zeitpunkt, in dem aufgrund vorangegangener
Resolutionen des UN-Sicherheitsrats ein besonders gewichtiger Einsatz
bevorsteht, von den übrigen Mitgliedsstaaten des Verteidigungsbündnisses als
eine empfindliche Störung der von der Völkergemeinschaft autorisierten und
von der NATO unterstützten Maßnahme empfunden werden. Ferner wäre bei einem
Abzug der deutschen Soldaten die Einsatzfähigkeit der AWACS-Einheit erheblich
beeinträchtigt, da der deutsche Anteil am militärischen Personal des
integrierten NATO-Verbandes ca 30 Prozent beträgt
und die Flugsicherung ausschließlich von deutschen Soldaten gewährleistet
wird. In der Folge muß nach dem Ergebnis der
mündlichen Verhandlung davon ausgegangen werden, daß
die Durchsetzung des Flugverbotes gefährdet ist und so die mit der
zugrundeliegenden UN-Resolution beabsichtigte politische Signalwirkung
verfehlt würde. Falls die Bundesrepublik den ihr obliegenden Beitrag zur
Friedenssicherung gerade in dem Zeitpunkt, in dem er gefordert ist, nicht
leistet, wäre ein Vertrauensverlust bei den Bündnispartnern und den
europäischen Nachbarn und der Eintritt eines nicht wiedergutzumachenden
Schadens unvermeidlich. b. Demgegenüber wiegen die Nachteile bei Absehen
vom Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch dann
weniger schwer, wenn sich die Mitwirkung deutscher Soldaten später als
unzulässig erweist: Die Mitwirkung deutscher Soldaten in dem AWACS-Verband
begründet keinen völkerrechtlich erheblichen Vertrauenstatbestand, da sie nur
als vorläufige Zusammenarbeit gedeutet werden kann. Für die an dem Einsatz
beteiligten Soldaten besteht keine erhebliche militärische Gefährdungslage.
Gleichzeitig trägt der einzelne Soldat kein rechtliches Risiko, da die
Verantwortung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit bei der
Bundesregierung liegt. Auf diesen Umstand kann auch die Bundeswehrführung
verweisen, wenn das Vertrauen der Soldaten in die Verfassungsmäßigkeit des
Einsatzes später enttäuscht wird. Hinsichtlich der innerstaatlichen Ordnung
entsteht kein Schaden, zumal erkennbar über die verfassungsrechtliche
Zulässigkeit des verfahrensgegenständlichen Einsatzes noch nicht entschieden
ist. Folglich tritt weder eine wie immer geartete Präjudizierung künftiger
Entscheidungen von Verfassungsorganen ein noch kann die bis dahin geübte
Staatspraxis bei einer Entscheidung über die Hauptsache Gewicht erlangen. |
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BVerfG |
23.06.1993 |
E 89, 38 |
Somalia / UNOSOM II (einstw.
Anordng.) |
Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache darf
die Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II gemäß Nr. 1 des Beschlusses der
Bundesregierung vom 21. April 1993 (Bulletin vom 23. April 1993, S. 280) nur
aufrecht erhalten und fortgeführt werden, wenn und soweit der Deutsche
Bundestag dies beschließt; bis zu einem solchen Beschluß
können die bisher verwirklichten Maßnahmen fortgeführt werden. |
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BVerfG |
12.07.1994 |
E 90, 286 |
Einführung des Parlamentsvorbehalts |
1. Die Ermächtigung des Art. 24 Abs. 2 GG
berechtigt den Bund nicht nur zum Eintritt in ein System gegenseitiger
kollektiver Sicherheit und zur Einwilligung in damit verbundene
Beschränkungen seiner Hoheitsrechte. Sie bietet vielmehr auch die verfassungsrechtliche
Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System
typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der
Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems
stattfinden. 2. Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24
Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit
nicht entgegen. 3.a) Das Grundgesetz verpflichtet die
Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die grundsätzlich
vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. b) Es ist Sache des Gesetzgebers, jenseits der im
Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts
für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der
parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. 4. Zur Friedenswahrung darf die Bundesrepublik
Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG in eine "Beschränkung" ihrer
Hoheitsrechte einwilligen, indem sie sich an Entscheidungen einer
internationalen Organisation bindet, ohne dieser damit schon im Sinne des
Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte zu übertragen. 5.a) Ein System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist dadurch gekennzeichnet, daß es durch ein friedensicherndes Regelwerk und den
Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status
völkerrechtlicher Gebundenheit begründet, der wechselseitig zur Wahrung des
Friedens verpflichtet und Sicherheit gewährt. Ob das System dabei
ausschließlich oder vornehmlich unter den Mitgliedstaaten Frieden garantieren
oder bei Angriffen von außen zum kollektiven Beistand verpflichten soll, ist
unerheblich. b) Auch Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung
können Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne
von Art. 24 Abs. 2 GG sein, wenn und soweit sie strikt auf die
Friedenswahrung verpflichtet sind. 6. Hat der Gesetzgeber der Einordnung in ein
System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugestimmt, so ergreift diese
Zustimmung auch die Eingliederung von Streitkräften in integrierte Verbände
des Systems oder eine Beteiligung von Soldaten an militärischen Aktionen des
Systems unter dessen militärischem Kommando, soweit Eingliederung oder
Beteiligung in Gründungsvertrag oder Satzung, die der Zustimmung unterlegen
haben, bereits angelegt sind. Die darin liegende Einwilligung in die
Beschränkung von Hoheitsrechten umfaßt auch die
Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Unternehmungen auf der Grundlage
des Zusammenwirkens von Sicherheitssystemen in deren jeweiligem Rahmen, wenn
sich Deutschland mit gesetzlicher Zustimmung diesen Systemen eingeordnet hat.
7. a) Akte der auswärtigen Gewalt, die vom
Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfaßt
werden, sind grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet.
Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht entnommen werden, daß
immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr
die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder
Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der
gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden muß. Auch insoweit kommt eine analoge oder erweiternde
Auslegung dieser Vorschrift nicht in Betracht (im Anschluß
an BVerfGE 68, 1 [84 f.]). b) Zur Reichweite des Zustimmungsrechtes des
Gesetzgebers aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. |
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NWVerfGH |
09.02.1999 |
OVGE MüLü 47, 280 |
Klage gegen Zusammenlegung Innen-/Justizministerium
(Gesetzesvorbehalt) |
1. a) Die nordrhein-westfälische Landesverfassung
weist dem Ministerpräsidenten keine ausschließliche Kompetenz zur Errichtung
von Ministerien zu. b) Dieser Teilbereich der Organisationsgewalt
kann vielmehr zum einen dem Zugriff des Gesetzgebers, zum anderen einem
Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, solange nicht der Kernbereich der
Organisationsgewalt der Regierung berührt ist. c) Organisatorische Maßnahmen, die den Bereich
der Gerichtsverwaltung und damit den Bereich der rechtsprechenden Gewalt
betreffen, gehören nicht zu diesem Kernbereich. 2. a) Auch für Organisationsentscheidungen grenzt
das Kriterium der Wesentlichkeit den Bereich ab, der dem Gesetzgeber zur
ausschließlichen Regelung vorbehalten ist. b) Organisationsentscheidungen können wesentlich
sein für die Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der
Gewaltenteilung, insbesondere für die Sicherung einer eigenständigen und
unabhängigen rechtsprechenden Gewalt. 3. Die Entscheidung, die Geschäftsbereiche eines
herkömmlichen lnnenministeriums und, eines
herkömmlichen Justizministeriums zu einem neuen Ministerium für Inneres und
Justiz zusammenzuführen, ist wesentlich im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes.
a) Bei der Organisation der Gerichtsverwaltung
geht es um die grundlegende Frage, wie die Dritte Gewalt institutionell
gesichert und gestärkt und ihre verfassungsrechtlich vorgezeichnete
Eigenständigkeit hervorgehoben werden soll. b) Auch vor dem Hintergrund der historischen und
verfassungsrechtlichen Entwicklung der Judikative verlangt die Tragweite
einer Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium für die Stellung der
Dritten Gewalt und für das Vertrauen des Bürgers in deren Unabhängigkeit,
dass das Für und Wider einer solchen Zusammenlegung vor den Augen der
Öffentlichkeit diskutiert und vom Parlament verantwortet wird. |
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BVerfG |
25.03.1999 |
E 100, 266 |
Bombardierung i.R.d.
Kosovo-Krieges |
1.
Der
Antrag wird verworfen. 2.
Damit
erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung. Anm. Dieser Antrag hatte gelautet: 1. im Organstreitverfahren festzustellen, daß die Antragsgegner zu 1. und 2. durch die unmittelbare
Beteiligung an militärischen Operationen der NATO gegen die Föderative
Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) gegen Art. 87a Abs. 2, Art. 24
Abs. 2, Art. 25, Art. 26 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes
verstoßen, 2. im Wege der einstweiligen Anordnung den
Antragsgegnern den Einsatz der Bundeswehr bei den in Ziffer 1. genannten
militärischen Operationen zu untersagen. … |
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BVerfG |
22.11.2001 |
E 104, 151 |
neues NATO-Konzept, KFOR |
1.
Die
Einordnung Deutschlands in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit
bedarf nach Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 59 Abs. 2
Satz 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers. 2.
Die
Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne
des Art. 24 Abs. 2 GG, die keine Vertragsänderung ist, bedarf keiner
gesonderten Zustimmung des Bundestags. 3.
Die
Zustimmung der Bundesregierung zur Fortentwicklung eines Systems
gegenseitiger kollektiver Sicherheit darf nicht die durch das
Zustimmungsgesetz bestehende Ermächtigung und deren verfassungsrechtlichen
Rahmen gem. Art. 24 Abs. 2 GG überschreiten. 4.
Der
Bundestag wird in seinem Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt
verletzt, wenn die Bundesregierung die Fortentwicklung des Systems jenseits
der ihr erteilten Ermächtigung betreibt. 5.
Die
Fortentwicklung darf nicht die durch Art. 24 Abs. 2 GG festgelegte
Zweckbestimmung des Bündnisses zur Friedenswahrung verlassen. 6.
Das
neue Strategische Konzept der NATO von 1999 ist weder ein förmlich noch ein
konkludent zu Stande gekommener Vertrag. |
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BVerfG |
25.03.2003 |
E 108, 34 |
Türkei, AWACS (einstweilige Anordng.) |
Der Antrag wird abgelehnt. Dieser Antrag hatte gelautet: 1.
Bis zu
einer Entscheidung in der Hauptsache darf die Beteiligung von Soldaten der
Bundeswehr in den zum Schutz der Türkei vor irakischen Angriffen in
Ausführung der Entscheidung des NATO-Rates vom 19. Februar 2003 eingesetzten
AWACS-Flugzeugen nur aufrecht erhalten werden, wenn und soweit der Deutsche
Bundestag dies beschließt; 2.
die
Antragsgegnerin wird angewiesen, soweit sie Soldaten der Bundeswehr in den
unter 1. genannten AWACS-Flugzeugen belassen will, unverzüglich den Deutschen
Bundestag um einen entsprechenden Beschluss zu ersuchen |
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BVerfG |
24.09.2003 |
E 108, 282 |
Kopftuchverbot (Gesetzesvorbehalt) |
1.
Ein Verbot
für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im
geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte
gesetzliche Grundlage. 2.
Der mit
zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann
für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes
religiöser Bezüge in der Schule sein. |
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BVerfG |
28.06.2004 |
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Schadensersatz für italienische Militär-Internierte
im 2. Wk. |
Klage wird abgewiesen; aus den (nicht amtlichen)
Gründen (gem. juris): 4a. Art 3 des Haager Übereinkommens von 1907
begründet grundsätzlich keinen individuellen Entschädigungsanspruch, sondern positiviert nur den allgemeinen völkerrechtlichen
Grundsatz einer Haftungsverpflichtung zwischen den Vertragsparteien. Dieser
sekundärrechtliche Schadensersatzanspruch besteht jedoch nur in dem
Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten. Der Schadensersatzanspruch
unterscheidet sich insoweit von dem primärrechtlichen Anspruch der
betroffenen Personen auf Einhaltung der Verbote des humanitären Völkerrechts. 4b. Das Grundprinzip des diplomatischen Schutzes
schließt nicht grundsätzlich aus, dass das nationale Recht des verletzenden
Staates dem Verletzten einen individuellen Anspruch gewährt, der neben die
völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates tritt (vgl. BVerfG, 1996-05-13,
2 BvL 33/93, BVerfGE 94,
315 <330>). Maßgeblich ist insoweit die konkrete
Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung. Besteht nach dieser kein
Schadensersatzanspruch, kommt eine Verletzung der Eigentumsgarantie des GG
Art 14 nicht in Betracht. |
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BVerwG |
21.06.2005 |
BVerwGE 127, 302 |
Fall "Pfaff" (Gewissensfreiheit,
mittelbare Unterstützung des Irak-Kriegs) |
Unter Zurückweisung der Berufung des
Wehrdisziplinaranwalts wird auf die Berufung des Soldaten das Urteil der 1.
Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 9. Februar 2004 aufgehoben. Der
Soldat wird freigesprochen. |
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BVerfG |
15.02.2006 |
E 115, 118 |
LuftsicherheitsG (Maßstab Grundrechtsschutz) |
1.
Der
Bund hat unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG das
Recht zur Gesetzgebung für Regelungen, die das Nähere über den Einsatz der
Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren
Unglücksfällen nach diesen Vorschriften und über das Zusammenwirken mit den
beteiligten Ländern bestimmen. Der Begriff des besonders schweren
Unglücksfalls umfasst auch Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. 2.
Art. 35
Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG erlaubt es dem Bund nicht, die
Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren
Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen. 3.
Die
Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des
Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein
Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden
soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in
Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht
vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs
betroffen werden. |
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BVerfG |
15.02.2006 |
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Distomo/Griechenland (Schadensersatz für
Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg); s.u. gleichlautende Entscheid. d. EGMR
v. 31.5.2011 |
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen. Anm.: Diese Verfassungsbeschwerde hatte die Frage
der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht der Bundesrepublik Deutschland
für während der Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg von Angehörigen
der deutschen Streitkräfte verübte "Vergeltungsmaßnahmen"
betroffen. |
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BGH |
02.11.2006 |
BGHZ 169, 348 |
Varvarin/Jugoslawien ("Brücke bei Varvarin",
Ersatzansprüche bei Kampfeinsätzen) |
Im Falle von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts
stehen auch heute noch etwaige völkerrechtliche Schadensersatzansprüche gegen
den verantwortlichen fremden Staat nicht einzelnen geschädigten Personen,
sondern nur deren Heimatstaat zu (Ergänzung zu BGHZ 155, 279). |
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BGH |
31.01.2007 |
BGHSt 51, 211 |
verdeckte online-Durchsuchung / Trojaner
(Gesetzesvorbehalt) |
Die "verdeckte Online-Durchsuchung" ist
mangels einer Ermächtigungsgrundlage unzulässig. Sie kann insbesondere nicht
auf § 102 StPO gestützt werden. Diese Vorschrift gestattet nicht eine auf
heimliche Ausführung angelegte Durchsuchung. |
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BVerfG |
12.03.2007 |
E 117, 359 |
Afghanistan / Tornado (einstw.
Anordng.) |
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
wird abgelehnt. Anm.: Dieser Antrag hatte gelautet I. festzustellen, 1.
dass
die Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 59
Absatz 2 Grundgesetz und Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz sowie
die Rechte der Antragsteller aus Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz
dadurch verletzt hat, dass sie es unterlassen hat, einem das
Integrationsprogramm des Zustimmungsgesetzes zum NATO-Vertrag
überschreitenden stillen Bedeutungswandel von Artikel 1 NATO-Vertrag
entgegenzuwirken, und dass sie sich aktiv an diesem Bedeutungswandel
beteiligt, 2.
dass
der Deutsche Bundestag die Rechte der Antragsteller aus Artikel 38
Absatz 1 Grundgesetz dadurch verletzt hat, dass er durch den Beschluss
vom 9. März 2007 über den Antrag der Bundesregierung vom 8. Februar
2007 (BTDrucks 16/4298) über die Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan der Bundesregierung einen
Militäreinsatz ermöglicht, der nur nach Änderung des NATO-Vertrages unter
parlamentarischer Beteiligung in Form eines Zustimmungsgesetzes hätte
ermöglicht werden dürfen, II. im Wege der einstweiligen Anordnung der Bundesregierung aufzugeben, den Vollzug ihres
Beschlusses vom 7. Februar 2007 über die Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (BTDrucks
16/4298), dem der Deutsche Bundestag am 9. März 2007 zugestimmt hat und
der die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan zum
Gegenstand hat, bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, |
|
BVerfG |
3.7.2007 |
E 118, 244 |
Afghanistan / erweitertes ISAF-Mandat, Tornado |
Die Beteiligung an dem erweiterten ISAF-Mandat
aufgrund des Bundestagsbeschlusses vom 9. März 2007 verletzt nicht die
Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 59 Absatz 2
Satz 1 des Grundgesetzes. |
|
BVerfG |
7.5.2008 |
E 121, 135 |
Türkei / NATO-Luftraumüberwachung |
Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in
seinem wehrverfassungsrechtlichen Beteiligungsrecht in Form des konstitutiven
Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verletzt, indem
sie es unterlassen hat, seine Zustimmung zur Beteiligung deutscher Soldaten
an Maßnahmen der NATO zur Luftüberwachung der Türkei vom 26. Februar bis
zum 17. April 2003 einzuholen. |
|
GBA |
16.4.2010 |
|
Ermittlungsverfahren wegen des Luftangriffes auf
Tanklastwagen bei Kundus am 3./4.9.2009 |
Das mit Verfügung vom 12. März 2010 eingeleitete
Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein und Hauptfeldwebel W. wegen des
Verdachts einer Strafbarkeit nach dem VStGB und
anderer Delikte ist nach den durchgeführten Ermittlungen und auf der
Grundlage der nachfolgend dargestellten Erkenntnisquellen und den im
Einzelnen ausgeführten Gründen gemäß § 170 Abs. 2 StPO
einzustellen. |
|
BGH |
17.8.2010 |
|
Antrag auf Gegenüberstellung der Zeugen Schneiderhan
u. Dr. Wichert mit dem Zeugen |
Zurückweisung der Anträge: Ob im Rahmen der Beweiserhebung eines
Untersuchungsausschusses die Gegenüberstellung von Zeugen durchzuführen ist,
entscheidet gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1, § 24 Abs. 2 PUAG der
Untersuchungsausschuss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen abschließend.
Das Untersuchungsausschussgesetz räumt der qualifizierten Minderheit von
einem Viertel der Mitglieder nicht die Befugnis ein, gegen den Willen der
Ausschussmehrheit die Gegenüberstellung durchzusetzen oder die Entscheidung
der Mehrheit gerichtlich überprüfen zu lassen. |
|
EGMR |
31.5.2011 |
EuGRZ 2011, 477 |
Distomo/Griechenland (Schadensersatz für
Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg); s.o. Entsch. des BGH v. 15.2.2006 |
Wegen des Massakers der Waffen-SS im Juni 1944 in
Griechenland (Distomo) zur Vergeltung eines Partisanen-Angriffs besteht kein
Entschädigungsanspruch der Hinterbliebenen aus Art. 1 des 1. ZP-EMRK gegen
Deutschland. Begründung gem. der deutschen
Pressemitteilung des EGMR: Zu Artikel 1 Protokoll Nr. 1: Der Gerichtshof unterstrich, dass die Konvention
nach seiner gefestigten Rechtsprechung den Mitgliedstaaten keine spezifische
Verpflichtung auferlegt, Wiedergutmachung für Unrecht oder Schäden zu
leisten, die ihre Vorgängerstaaten verursacht haben. Im vorliegenden Fall
hatten die deutschen Gerichte nach Prüfung des anwendbaren innerstaatlichen
und internationalen Rechts befunden, dass die Beschwerdeführer keinen
individuellen Anspruch auf Entschädigung hatten. Unter Berücksichtigung des
ihm vorliegenden Materials kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass die
nationalen Gerichte – die grundsätzlich in einer besseren Lage sind, das
innerstaatliche Recht auszulegen – das deutsche und das internationale Recht
nicht willkürlich angewendet hatten. Folglich konnten die Beschwerdeführer
keine berechtigte Erwartung haben, eine Entschädigung für den erlittenen
Schaden zu erhalten. Die Entscheidungen der Gerichte, die ihre
Entschädigungsklagen abgewiesen hatten, fielen also nicht in den
Geltungsbereich von Artikel 1 Protokoll Nr. 1. Die Beschwerde unter Berufung
auf diesen Artikel ist daher unzulässig. Zu Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 Protokoll
Nr. 1: Der Gerichtshof hob hervor, dass das
Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 14 nach seiner Rechtsprechung die
materiellen Bestimmungen der Konvention ergänzt und keine davon unabhängige
Geltung hat. Da der Gerichtshof bereits festgestellt hatte, dass die
Beschwerdeführer keine berechtigte Erwartung haben konnten, eine
Entschädigung zu erhalten und dass ihre Beschwerde nicht in den
Geltungsbereich von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 fiel, war auch Artikel 14 nicht
anwendbar. Die Beschwerde unter Berufung auf diesen Artikel ist daher
ebenfalls unzulässig. |
|
EGMR |
7.7.2011 |
|
strafrechtliche Ermittlungen nach Tötung von
Zivilisten durch britische Streitkräfte im Irak |
Fall: Al-Skeini et al. vs. The United Kingdom 1. Die Rolle
des Gerichtshofs ist gegenüber staatlichen Gerichten subsidiär. Eine
Regierung kann daher vor dem Gerichtshof grundsätzlich nur mit dem gehört
werden, was sie zuvor den staatlichen Gerichten vorgetragen hat, so dass
diese bereits darüber entscheiden konnten. 2. Ausübung
von Hoheitsgewalt ist nach Art. 1 EMRK (Verpflichtung zur Achtung der
Menschenrechte) notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Konventionsstaat für
ihm zurechenbare Handlungen und Unterlassungen verantwortlich ist. 3. Die
Hoheitsgewalt ist grundsätzlich territorial bestimmt. Handlungen von
Vertretern der Konventionsstaaten, die außerhalb ihres Hoheitsgebiets
vorgenommen werden oder dort Auswirkungen haben, können im Ausnahmefall
Ausübung ihrer Hoheitsgewalt i. S. von Art. 1 EMRK sein. 4. Ein solcher
Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn · diplomatische
oder konsularische Vertreter im Ausland tätig werden, · ein
Staat mit Zustimmung der Regierung eines anderen auf dessen Hoheitsgebiet
Zuständigkeiten übernimmt, · Gewaltanwendung
staatlicher Vertreter im Ausland Personen unter ihre Kontrolle bringt,
insbesondere wenn die Personen gefangen genommen werden, · infolge
rechtmäßiger oder unrechtmäßiger Militäraktion ein Staat die tatsächliche
Kontrolle über ein Gebiet außerhalb seines Hoheitsgebiets ausübt. 5. Nach dem
Sturz des Ba'ath-Regimes und bis zur Bildung einer
irakischen Interimsregierung hat das Vereinigte Königreich zusammen mit den
USA Teile der öffentlichen Gewalt im Irak übernommen, die normalerweise von
einer souveränen Regierung ausgeübt werden. Unter diesen außergewöhnlichen
Umständen unterstanden die bei Sicherheitsoperationen der britischen
Streitkräfte getöteten Personen der Hoheitsgewalt des Vereinigten Königreichs
i. S. von Art. 1 EMRK. 6. Die sich
aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) ergebende Ermittlungspflicht bei
Todesfällen gilt auch unter schwierigen Sicherheitsverhältnissen nach einem
bewaffneten Konflikt. 7. Die
Ermittlungen über den Tod der Angehörigen einiger Beschwerdeführer
entsprachen nicht den Anforderungen von Art. 2 EMRK, weil sie gänzlich im
Bereich der unmittelbaren militärischen Hierarchie blieben und sich darauf
beschränkten, Aussagen der beteiligten britischen Soldaten aufzunehmen. Auch
die Sonderabteilung der Militärpolizei, die in einigen Fällen Ermittlungen
geführt hat, war nicht gänzlich unabhängig von der militärischen Hierarchie.
Deswegen ist Art. 2 EMRK verletzt. 8. Einer der
Beschwerdeführer ist noch Opfer i. S. von Art. 34 EMRK
(Individualbeschwerden), obwohl er Schadensersatz und ein Schuldanerkenntnis
erhalten hat, weil keine umfassenden und unabhängigen Ermittlungen angestellt
worden sind. Bei einem anderen Beschwerdeführer hat eine umfassende,
öffentliche Untersuchung stattgefunden, so dass er nicht mehr Opfer der von
ihm behaupteten Konventionsverletzung ist. 9. Der
Gerichtshof verurteilt die britische Regierung nicht, weitere Ermittlungen
anzustellen. Nach Art. 46II EMRK (Verbindlichkeit und Durchführung der
Urteile) ist es Aufgabe des Ministerkommitees des
Europarats zu prüfen, welche Maßnahmen zur Durchführung des Urteils
erforderlich sind. |
|
EGMR |
7.7.2011 |
|
Unbefristete Inhaftierung eines Terrorverdächtigen
durch britische Streitkräfte im Irak |
Fall: Al-Jedda vs. The United Kingdom 1. Wie das House of Lords zu Recht festgestellt hat,
unterstand der Beschwerdeführer britischer Hoheitsgewalt i. S. von Art.
1 EMRK (Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte), als er wegen des
Verdachts terroristischer Aktivitäten über drei Jahre in einem militärischen
Armeegefängnis festgehalten wurde. Die Ermächtigung in der Resolution Nr.
1511 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (VN) vom 16. 10. 2003 hatte
nicht zur Folge, dass Handlungen von Soldaten der Multinationalen Truppe den
VN und nicht den Staaten zuzurechnen sind, welche Truppen gestellt haben.
Daran hat auch die Resolution Nr. 1546 des Sicherheitsrats vom 8. 6. 2004
nichts geändert. 2. Art. 5 I EMRK (Recht auf Freiheit und
Sicherheit) erlaubt keine Internierung oder präventive Haft, wenn nicht
beabsichtigt ist, binnen angemessener Frist Anklage zu erheben. 3. Die Internierung war weder nach Art. 5 I EMRK
noch nach Völkerrecht, insbesondere nach den Resolutionen des Sicherheitsrats
der VN, gerechtfertigt. Die Resolution des Sicherheitsrats Nr. 1546 hatte das
Vereinigte Königreich zwar ermächtigt, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der
Sicherheit im Irak zu treffen. Doch weder sie noch eine andere Resolution des
Sicherheitsrats haben ausdrücklich oder stillschweigend vom Vereinigten
Königreich verlangt, Personen auf unbestimmte Zeit ohne Anklage festzuhalten,
weil sie eine Gefahr für die Sicherheit im Irak sind. 4. Bei Auslegung der Resolutionen des
Sicherheitsrats der VN gilt die Vermutung, dass den Staaten keine
Verpflichtung auferlegt werden soll, die den Grundrechten zuwiderliefen.
Unter Berücksichtigung von Art. 1 III und 24 II der Charta der VN und der
wichtigen Rolle der VN bei der Förderung des Schutzes der Menschenrechte muss
angenommen werden, dass der Sicherheitsrat klare Worte finden würde, wenn er
Maßnahmen von Staaten verlangte, die ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen
zum Schutz der Menschenrechte widersprechen könnten. Deswegen ist nicht
anzunehmen, dass die Resolution Nr. 1546 des Sicherheitsrats die Staaten dazu
verpflichten wollte, unter Verletzung der Menschenrechte Personen
unbefristet, ohne Anklage und ohne Richtergarantie in Haft zu halten. 5. Eine Rechtfertigung ergibt sich auch nicht aus
dem der Resolution Nr. 1546 des Sicherheitsrats beigefügten Schriftwechsel
zwischen der irakischen Regierung und der Regierung der USA im Namen der
anderen Staaten, die Truppen im Irak gestellt haben. Darin heißt es, dass die
Multinationale Truppe auf Ersuchen der Regierung des Irak dort bleiben und
auch weiterhin internieren werde, wenn sie das aus zwingenden
Sicherheitserwägungen für nötig halte. Eine Vereinbarung dieser Art kann aber
bindenden Konventionspflichten nicht vorgehen. Deswegen ist Art. 5 I EMRK
verletzt. |
|
IGH |
Germany vs. Italy |
3.2.2012 |
|
Italienische Vollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches
Staatseigentum (zur Sicherung individueller Entschädigungsansprüche nach
Verbrechen der Wehrmacht im 2. Wk.); Klage der BRD
hiergegen wg. Verletzung der völkerrechtlichen Immunität. |
IGH gibt der Klage des deutschen Staates im
Wesentlichen statt: (1) By twelve votes to
three, Finds that the Italian
Republic has violated its obligation to respect the immunity which the
Federal Republic of Germany enjoys under international law by allowing civil
claims to be brought against it based on violations of international
humanitarian law committed by the German Reich between 1943 and 1945; (2) By fourteen votes to
one, Finds that the Italian
Republic has violated its obligation to respect the immunity which the
Federal Republic of Germany enjoys under international law by taking measures
of constraint against Villa Vigoni; (3) By fourteen votes to
one, Finds that the Italian
Republic has violated its obligation to respect the immunity which the
Federal Republic of Germany enjoys under international law by declaring enforceable
in Italy decisions of Greek courts based on violations of international
humanitarian law committed in Greece by the German Reich; (4) By fourteen votes to one,
Finds that the Italian
Republic must, by enacting appropriate
legislation, or by resorting to other methods
of its choosing, ensure that the decisions
of its courts and those of other judicial
authorities infringing the immunity which the Federal Republic of Germany enjoys under international law cease to
have effect. |
BVerfG |
3.7.2012 |
|
LuftsicherheitsG:
Gesetzgebungszuständigkeit Bund, Gebrauch militärischer Waffen grds. zulässig, Einsatzbeschluss durch Bundesregierung
(teilw. Abkehr von der Entsch. v. 15.2.2006, 1 BvR 357/05, s.o.) |
1.
Die Gesetzgebungszuständigkeit
für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes
(LuftSiG) in der Fassung
des Artikels 1 des Gesetzes
zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11.
Januar 2005 (Bundesgesetzblatt
I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in
der bis zum Inkrafttreten
des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98,
104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom
28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung. 2.
Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie
aber nur unter engen Voraussetzungen
zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch
Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt
sind. 3.
Der
Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes
ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung
als Kollegialorgan zulässig. |
|
LG Bonn |
11.12.2013 |
|
Bombardements von Tanklastwagen in der Nähe von
Kunduz |
1.
Es gibt keine völkerrechtliche Norm, die den Betroffenen für die
Folgen des Bombardements der Tanklastwagen in der Nähe von Kunduz,
Afghanistan, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einen
Schadensersatzanspruch einräumen würde. (Rn.37) 2.
Aus den Regeln des humanitären Völkerrechts ergeben sich für
Amtsträger der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar drittschützende
Amtspflichten, bei deren schuldhafter Verletzung ein Schadensersatzanspruch
nach § 839 Abs.1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1
GG besteht. Der Befehl zum Bombenabwurf stellt jedoch keinen derartigen
Verstoß gegen drittschützende Amtspflichten dar, da weder ein Verstoß gegen
Art. 13 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen
vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer nicht internationales bewaffneter
Konflikte noch gegen Art. 51 oder Art. 57 des Ersten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977
zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer
internationaler bewaffneter Konflikte vorliegt. (Rn.44, 48) 3.
Soweit die Regelungen der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen den
Schutz der von bewaffneten Konflikten betroffenen Individuen bezwecken, ist
die hieraus folgende Amtspflicht, weder die Zivilbevölkerung als solche noch
einzelne Zivilpersonen zum Ziel militärischer Angriffe zu machen, nicht
schuldhaft verletzt, wenn dem Kommandeur des PRT Kunduz nicht bewusst war,
dass es sich bei dem Ziel des Angriffs um Zivilpersonen handelt und der
Waffeneinsatz vielmehr den aufständischen Taliban und den von ihnen
entführten Tanklastwagen gegolten hat und zudem auch keine schuldhafte
Verletzung der Amtspflicht zur Aufklärung und Identifikation des
Angriffsziels oder hinsichtlich der Auswahl des Angriffsmittels festzustellen
ist.(Rn.57, 58, 60, 76) |
|
BVerfG |
21.10.2014 |
|
|
1.
Aus
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und
Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung,
dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert. Die
Rüstungsexportkontrolle ist nicht wegen der außenpolitischen Bedeutung dieses
Teilbereichs des Regierungshandelns von vornherein jeglicher
parlamentarischen Kontrolle entzogen. Auch die Zuständigkeitszuweisung des
Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG schafft für sich genommen keinen der
parlamentarischen Verantwortung grundsätzlich entzogenen Raum gubernativen Entscheidens. 2. Der Informationsanspruch des Bundestages und
der einzelnen Abgeordneten besteht gleichwohl nicht grenzenlos. Er wird
begrenzt durch das Gewaltenteilungsprinzip, das Staatswohl und Grundrechte
Dritter. |
|
Ital. Verf.- |
22.10.2014 |
|
Einschränkung der Staatenimmunität bei
Kriegsverbrechen; gegen IGH v. 3.2.2012, s.o. |
LA CORTE
COSTITUZIONALE 1.
dichiara l’illegittimità
costituzionale dell’art. 3 della legge 14 gennaio 2013, n. 5 (Adesione della
Repubblica italiana alla Convenzione delle Nazioni Unite sulle immunità
giurisdizionali degli Stati e dei loro beni, firmata a New York il 2 dicembre
2004, nonché norme di adeguamento dell’ordinamento interno); 2. dichiara l’illegittimità costituzionale dell’art. 1 della legge 17 agosto
1957, n. 848 (Esecuzione dello Statuto delle Nazioni Unite, firmato a San
Francisco il 26 giugno 1945), limitatamente all’esecuzione data all’art. 94
della Carta delle Nazioni Unite, esclusivamente nella parte in cui obbliga il
giudice italiano ad adeguarsi alla pronuncia della Corte internazionale di
giustizia (CIG) del 3 febbraio 2012, che gli impone di negare la propria
giurisdizione in riferimento ad atti di uno Stato straniero che consistano in
crimini di guerra e contro l’umanità, lesivi di diritti inviolabili della
persona; 3.
dichiara non fondata, nei
sensi di cui in motivazione, la questione di legittimità costituzionale della
norma «prodotta nel nostro ordinamento mediante il recepimento, ai sensi
dell’art. 10, primo comma, Cost.», della norma consuetudinaria di diritto
internazionale sull’immunità degli Stati dalla giurisdizione civile degli
altri Stati, sollevata, in riferimento agli artt. 2 e 24 della Costituzione,
dal Tribunale di Firenze, con le ordinanze indicate in epigrafe. |
|
BVerfG |
27.1.2015 |
|
Kein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in
öffentlichen Schulen |
1.
Der
Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4
Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen
bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen
Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies
etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann. 2.
Ein
landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57
Abs. 4 SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß
abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die
staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen
Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten
nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot
zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich
verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der
negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie
der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags -
erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest
eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss. 3.
Wird in
bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen
über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu
einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder
der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht,
kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse
Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild nicht erst im konkreten
Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine
gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden. 4.
Werden
äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen in der
öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule zum Zweck der Wahrung des
Schulfriedens und der staatlichen Neutralität gesetzlich untersagt, so muss
dies für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich
unterschiedslos geschehen. |
|
OLG Köln |
30.4.2015 |
./. |
Berufungsentscheidung zu LG Bonn 11.12.2013, s.o. |
OLG Köln bestätigt die
Entscheidung des LG Bonn v. 11.12.2013, die Klage zweier afghanischer
Zivilisten gegen die BRD auf Schadensersatz wegen der Tötung von Angehörigen
bei der Bombardierung von zwei Tanklastern in der Nähe von Kunduz in
Afghanistan abzuweisen (siehe dortige Leitsätze). Revision wird zugelassen. |
|
BVerfG |
23.9.2015 |
./. |
Evakuierungsoperation aus Libyen am 26.2.2011;
keine nachträgliche Genehmigung durch den Bundestag |
1.
Der
wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze
bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver
Sicherheit beschränkt, sondern gilt allgemein für bewaffnete Einsätze
deutscher Soldaten im Ausland und unabhängig davon, ob diese einen
kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter haben. 2.
Bei
Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. In diesem
Fall muss sie das Parlament umgehend mit dem fortdauernden Einsatz befassen
und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen. 3.
Die
Voraussetzungen dieser Eilentscheidungsbefugnis der Bundesregierung sind verfassungsgerichtlich
voll überprüfbar. 4.
Ist ein
von der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz zum
frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits
beendet und eine rechtserhebliche parlamentarische Einflussnahme auf die
konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, verpflichtet
der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung nicht,
eine Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Einsatz herbeizuführen.
Die Bundesregierung muss den Bundestag jedoch unverzüglich und qualifiziert
über den Einsatz unterrichten (Anm. Voss: gemeint ist der Bundestag als
Ganzes, nicht lediglich die Obleute, s. Rn. 104). |
|
BVerfG |
20.4.2016 |
|
Ermittlungsbefugnisse des BKA zur
Terrorismusbekämpfung |
1. a) Die
Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz von heimlichen
Überwachungsmaßnahmen (Wohnraumüberwachungen, Online-Durchsuchungen,
Telekommunikationsüberwachungen, Telekommunikationsverkehrsdatenerhebungen
und Überwachungen außerhalb von Wohnungen mit besonderen Mitteln der
Datenerhebung) ist zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im
Grundsatz mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar. b) Die
Ausgestaltung solcher Befugnisse muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
genügen. Befugnisse, die tief in das Privatleben hineinreichen, müssen auf
den Schutz oder die Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter begrenzt
sein, setzen voraus, dass eine Gefährdung dieser Rechtsgüter hinreichend
konkret absehbar ist, dürfen sich nur unter eingeschränkten Bedingungen auf
nichtverantwortliche Dritte aus dem Umfeld der Zielperson erstrecken,
verlangen überwiegend besondere Regelungen zum Schutz des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung sowie einen Schutz von Berufsgeheimnisträgern,
unterliegen Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und
aufsichtliche Kontrolle und müssen mit Löschungspflichten bezüglich der
erhobenen Daten flankiert sein. (Rn.103) 2.
Anforderungen an die Nutzung und Übermittlung staatlich erhobener Daten
richten sich nach den Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung. (Rn.276) a) Die
Reichweite der Zweckbindung richtet sich nach der jeweiligen Ermächtigung für
die Datenerhebung; die Datenerhebung bezieht ihren Zweck zunächst aus dem
jeweiligen Ermittlungsverfahren. b) Der
Gesetzgeber kann eine Datennutzung über das für die Datenerhebung maßgebende
Verfahren hinaus im Rahmen der ursprünglichen Zwecke dieser Daten erlauben
(weitere Nutzung). Dies setzt voraus, dass es sich um eine Verwendung der
Daten durch dieselbe Behörde zur Wahrnehmung derselben Aufgabe und zum Schutz
derselben Rechtsgüter handelt. Für Daten aus Wohnraumüberwachungen oder einem
Zugriff auf informationstechnische Systeme müssen zusätzlich für jede weitere
Nutzung auch die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die
Gefahrenlage erfüllt sein. (Rn.279) c) Der
Gesetzgeber kann darüber hinaus eine Nutzung der Daten auch zu anderen
Zwecken als denen der ursprünglichen Datenerhebung erlauben (Zweckänderung). (Rn.284) Die
Verhältnismäßigkeitsanforderungen für eine solche Zweckänderung orientieren
sich am Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung. Danach muss die neue
Nutzung der Daten dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von
Straftaten eines solchen Gewichts dienen, die verfassungsrechtlich ihre
Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen könnten.
Eine konkretisierte Gefahrenlage wie bei der Datenerhebung ist demgegenüber
grundsätzlich nicht erneut zu verlangen; erforderlich aber auch ausreichend
ist in der Regel das Vorliegen eines konkreten Ermittlungsansatzes. (Rn.287) Für Daten
aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen darf die Verwendung zu
einem geänderten Zweck allerdings nur erlaubt werden, wenn auch die für die
Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die Gefahrenlage erfüllt sind. (Rn.291) 3. Die
Übermittlung von Daten an staatliche Stellen im Ausland unterliegt den
allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen von Zweckänderung und
Zweckbindung. Bei der Beurteilung der neuen Verwendung ist die
Eigenständigkeit der anderen Rechtsordnung zu achten. Eine Übermittlung von
Daten ins Ausland verlangt eine Vergewisserung darüber, dass ein hinreichend
rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten ist. (Rn.324) |
|
BGH |
6.10.2016 |
|
Revisionsentscheidung nach der Bombardierung von
Tanklastern am Kunduz (s.o. OLG Köln 30.4.2015) |
a) Völkerrechtliche Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger
Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen stehen
grundsätzlich weiterhin nur dem Heimatstaat zu (Bestätigung des Senatsurteils
vom 2. November 2006 - III ZR 190/05, BGHZ 169, 348). b) Das deutsche Amtshaftungsrecht (§ 839 BGB i.V.m.
Art. 34 GG) findet auch unter der Geltung des Grundgesetzes auf Schäden keine
Anwendung, die bei dem bewaffneten Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte
ausländischen Bürgern zugefügt werden (Fortführung des Senatsurteils vom 26.
Juni 2003 - III ZR 245/98, BGHZ 155, 279). c) Ein Soldat begeht keine Amtspflichtverletzung, wenn er aus
tatsächlichen Gründen einen Völkerrechtsverstoß nicht voraussehen oder
vermeiden konnte. d) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein
(schuldhafter) Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht vorliegt, ist Maßstab
für die einzuhaltende Sorgfalt nicht die ex post getroffene Sichtweise.
Vielmehr kommt es auf diejenigen Erkenntnisse an, die einem Befehlshaber ex
ante bei der Planung und Durchführung einer militärischen Handlung zur
Verfügung stehen. |
|
BVerfG |
17.9.2019 |
|
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur
Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den sogenannten
„Islamischen Staat“ |
Aus den Gründen
[Klammerangabe: Rd.-Nrn.] Die Antragstellerin hat
die Möglichkeit, dass der Deutsche Bundestag durch den
verfahrensgegenständlichen Einsatz in Rechten verletzt sein könnte, die ihm
durch das Grundgesetz übertragen worden sind (§ 64 Abs. 1 BVerfGG), nicht
substantiiert dargelegt. Nach dem vorgetragenen Sachverhalt erscheint die von
der Antragstellerin behauptete Verletzung von Gesetzgebungsrechten des
Bundestages aus Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG von
vornherein ausgeschlossen. [30] Mit der Zustimmung zu
einem Vertragsgesetz bestimmen die Gesetzgebungsorgane den Umfang der auf dem
Vertrag beruhenden Bindungen und tragen dafür die politische Verantwortung
gegenüber dem Bürger. Insoweit erschöpft sich die rechtliche und politische
Verantwortung des Parlaments nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt,
sondern erstreckt sich auch auf den weiteren Vertragsvollzug [33] Die Fortentwicklung eines
Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit unter Mitwirkung der
Bundesregierung verletzt den Deutschen Bundestag allerdings dann in seinem
Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt aus Art. 24 Abs. 2 in Verbindung
mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wenn sie über die mit dem Zustimmungsgesetz
erteilte Ermächtigung hinausgeht und damit ultra vires erfolgt, weil der Bundestag den Vertrag, wie er
sich in seiner tatsächlichen Handhabung durch die Vertragsparteien darstellt,
dann nicht mehr mitverantwortet [36] Damit ist das Gebot der
Friedenswahrung stets zwingender Bestandteil der Vertragsgrundlage eines
Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Die friedenswahrende
Zwecksetzung ist nicht nur einmalige Voraussetzung des Beitritts, sondern
fortdauernde Voraussetzung des Verbleibs Deutschlands in dem System
gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Diente dieses in seiner generellen
Ausrichtung nicht mehr der Wahrung des Friedens im Sinne von Art. 24 Abs. 2
GG, wäre dadurch auch die verfassungsrechtliche Ermächtigung überschritten.
[38] Die vertretbare
Interpretation von Rechten und Pflichten in einem System nach Art. 24 Abs. 2
GG und das Handeln in einem solchen System auch in Reaktion auf neue
Sicherheitsherausforderungen (Anm.: das militärische Bekämpfen nichtstaatlicher Akteure, hier des IS) ist Aufgabe der Bundesregierung
und bewegt sich regelmäßig innerhalb des vertragsgesetzlichen
Ermächtigungsrahmens. [46] Die Antragsgegner haben
sich zur Rechtfertigung des verfahrensgegenständlichen Einsatzes auch auf
Art. 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 42 Abs. 7 EUV berufen. Ein
Streitkräfteeinsatz auf der Grundlage der Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7
EUV ist verfassungsrechtlich dem Grunde nach jedenfalls nicht ausgeschlossen.
[52] |
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BVerfG |
19.5.2020 |
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Geltung von Grundrechten bei Auslandsüberwachung
durch den Bundesnachrichtendienst/BND |
Amtliche Gründe: (1) Die Bindung der
deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ist
nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt. (2) Die derzeitigen
Regelungen zur Ausland-Ausland-Telekommunikationsüberwachung, zur
Übermittlung der hierdurch gewonnenen Erkenntnisse und zur Zusammenarbeit mit
ausländischen Nachrichtendiensten verletzen das Zitiergebot des Art. 19
Abs. 1 Satz 2 GG; der Gesetzgeber hat die Grundrechte bewusst als
nicht betroffen erachtet, obwohl sie auch hier anwendbar sind. Sie genügen
auch zentralen materiellen Anforderungen der Grundrechte nicht. … (5) Die strategische
Auslandstelekommunikationsüberwachung ist mit Art. 10 Abs. 1 GG
nicht grundsätzlich unvereinbar. Als anlasslose, im Wesentlichen nur final
angeleitete und begrenzte Befugnis ist sie jedoch eine Ausnahmebefugnis, die
auf die Auslandsaufklärung durch eine Behörde, welche selbst keine operativen
Befugnisse hat, begrenzt bleiben muss und nur durch deren besonderes
Aufgabenprofil gerechtfertigt ist. (6) Die Übermittlung
personenbezogener Daten aus der strategischen Überwachung ist nur zum Schutz
besonders gewichtiger Rechtsgüter zulässig und setzt eine konkretisierte
Gefahrenlage oder einen hinreichend konkretisierten Tatverdacht voraus.
Ausgenommen sind hiervon Berichte an die Bundesregierung, soweit diese
ausschließlich der politischen Information und Vorbereitung von Regierungsentscheidungen
dienen. … |
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BVerfG |
18.11.2020 |
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Entsch. BVerfG zur Bombardierung von Tanklastern
bei Kundus (siehe oben Entscheidung des BGH v. 6.10.2016 |
Aus den Gründen [Klammerangabe:
Rdnrn.] Die Verfassungsbeschwerde
ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie jedenfalls unbegründet ist
[12]. Der Verfassungsbeschwerde
kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a
Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese liegt nur vor, wenn die
Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich
nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt und noch nicht
durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder durch
veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist. [13] Die Annahme ist auch nicht
nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der als verletzt
gerügten Rechte gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG angezeigt, weil sie keine Aussicht
auf Erfolg hat. [14] Sekundärrechtliche
Ansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber
fremden Staatsangehörigen stehen aber weiterhin grundsätzlich nur dem
Heimatstaat des Geschädigten als originärem Völkerrechtssubjekt zu. [19] Soweit der
Bundesgerichtshof Ansprüche der Beschwerdeführer aus enteignungsgleichem
Eingriff und Aufopferung abgelehnt hat, ist dies auch verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. [21] Die deutsche Staatsgewalt
ist grundsätzlich auch bei Handlungen im Ausland an die Grundrechte gebunden.
Zwar kann sich diese Grundrechtsbindung von derjenigen im Inland
unterscheiden. Die umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die
Grundrechte lässt unberührt, dass sich die aus den Grundrechten konkret
folgenden Schutzwirkungen danach unterscheiden können, unter welchen
Umständen sie zur Anwendung kommen. Das gilt – wie schon für die
verschiedenen Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Inland – auch für die
Reichweite ihrer Schutzwirkung im Ausland. So mögen einzelne Gewährleistungen
schon hinsichtlich des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs im Inland
und Ausland in unterschiedlichem Umfang Geltung beanspruchen. [31] Der Bundesgerichtshof
setzt sich in seinem Urteil vom 6. Oktober 2016 zwar mit
verfassungsrechtlichen Vorgaben auseinander. Er beschränkt sich jedoch auf
Argumente, die gegen eine Anwendung des Amtshaftungsanspruchs aus § 839 BGB
in Verbindung mit Art. 34 GG sprechen, insbesondere die Beeinträchtigung der
internationalen Bündnisfähigkeit Deutschlands und die Grenzen richterlicher
Rechtsfortbildung. Er erörtert hingegen nicht, inwieweit aus der territorial
nicht begrenzten Geltung der Grundrechte und der daraus abzuleitenden
staatlichen Verpflichtung zum Ausgleich oder zur Entschädigung für
Grundrechtsverletzungen eine Auslegung des bestehenden gesetzlichen
Amtshaftungsanspruchs folgt, die – gegebenenfalls mit Abweichungen von
Ansprüchen bei innerstaatlichen Grundrechtsverletzungen – auch bei
Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu Ansprüchen führen kann. [32] Dies kann jedoch letztlich
dahinstehen, weil das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Oktober 2016
jedenfalls nicht auf dieser zweifelhaften Vorstellung von Bedeutung und
Tragweite von Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 GG beruht. Dieser hat seine
Entscheidung vielmehr auch damit tragend begründet, dass Oberst i.G. K. keine Amtspflichtverletzung begangen hat. Das ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. [33] Ob in einem bewaffneten
Konflikt eine Amtspflichtverletzung deutscher Soldaten vorliegt, bemisst sich
nach der Verfassung und dem Soldatengesetz sowie vor allem nach den
gewaltbegrenzenden Regeln des humanitären Völkerrechts (vgl. Raap, NVwZ 2013, S. 552 <554>; Starski/Beinlich,
in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 66 <2018>,
S. 299 <308 f.>). Vor diesem Hintergrund stellt – wie auch
Art. 115a GG zu entnehmen ist – nicht jede Tötung einer Zivilperson im Rahmen
kriegerischer Auseinandersetzungen auch einen Verstoß gegen das humanitäre
Völkerrecht dar (vgl. Schmahl, ZaöRV 66
<2006>, S. 699 <713, 716>). [34] Nach der insoweit nicht zu
beanstandenden Auffassung des Bundesgerichtshofs trägt der Anspruchsteller
für einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht nach den allgemeinen
Grundsätzen die volle Darlegungs- und Beweislast (vgl. Dutta, AöR 133
<2008>, S. 191 <220 f.>). Die Beschwerdeführer haben insoweit
lediglich behauptet, dass der Befehl zum Bombenabwurf hätte unterbleiben
müssen, weil nicht habe ausgeschlossen werden können, dass es sich bei den
identifizierten Personen um Zivilisten gehandelt habe. Damit haben sie nach
Auffassung des Bundesgerichtshofs einen Verstoß gegen das humanitäre
Völkerrecht nicht dargelegt. Er sei vorliegend auch nicht ersichtlich, weil
Oberst i.G. K. bei der Erteilung des
Angriffsbefehls die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen
ausgeschöpft, bei der notwendigen ex ante-Betrachtung eine gültige
Prognoseentscheidung getroffen und daher keine Amtspflichtverletzung begangen
habe. Das verstößt weder gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs.
1 GG) noch gibt es dagegen somit etwas verfassungsrechtlich zu erinnern. [35] |
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ECHR |
16.2.2021 |
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Luftschlag von Kundus (s.o. Entsch. des BGH v.
18.11.2020 u. dortige Zitate |
Auszug aus der Pressemitteilung
des ECHR / Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Having regard
to the circumstances of the present case,
the Court concluded that the investigation
by the German authorities into the deaths of
the applicant’s two sons had
complied with the requirements of
an effective investigation
under Article 2 of the Convention. There had accordingly
been no violation of the procedural
limb of Article 2. |
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BVerfG |
26.10.2022 |
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Informationsrechte des Bundestages bei
Auslandseinsätzen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik / GASP und der Gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, GSVP (u.a. Krisenmanagement-Konzept zu EUNAVFOR MED
SOFIA) |
1. Die Verpflichtung der
Bundesregierung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des
Bundestages gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gilt auch für Maßnahmen in den
Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der
Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). 2. Adressat der
Unterrichtung ist der Bundestag als Ganzer. Es ist in erster Linie Sache des
Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten
Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt
werden. 3. Eine
Geheimschutzregelungen unterliegende Information des Bundestages wird den
Anforderungen von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht gerecht, weil
die Information des Parlaments zugleich dem im Demokratieprinzip verankerten
Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient. 4. Grenzen der
Unterrichtungspflicht der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG
können sich aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder dem
Staatswohl ergeben. Geheimhaltungserfordernisse stehen der
Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag
grundsätzlich nicht entgegen. Will die Bundesregierung ihre
Informationspflicht wegen der genannten Grenzen ganz oder teilweise nicht
erfüllen, muss sie sich gegenüber dem Deutschen Bundestag darauf berufen und
die Gründe hierfür darlegen. |
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