Freitag, 15. September 1944
Meine lieben Eltern!
Erschreckt bitte nicht und vor allen Dingen macht Euch keine unnötigen Sorgen um mich, wenn Ihr jetzt erfahrt, daß ich verwundet bin. Vielleicht wißt Ihr es aber ja schon von meinem Kameraden, den ich um Mitteilung an Euch gebeten hatte, oder von Inge, der ich es gleichzeitig geschrieben habe und die den Brief möglicherweise eher bekommen hat als Ihr.
Um es kurz zu machen und das Wichtigste vorwegzunehmen, die Verwundungen sind keinesfalls gefährlich. Ich habe fünf Schüsse abbekommen. Je einen in die beiden Oberarme knapp unter den Schultergelenken, einen in die linke Hüfte, einen Handbreit über dem Hüftknochen, alles Steckschüsse, und zwei glatte Durchschüsse in der linken Hand, und zwar einmal im Handballen vorne zwischen den beiden Knöcheln zwischen Ring- und kleinem Finger und der andere bei den selben Fingern vorne an den Kuppen unterhalb der Nägel von unten her, alle fünf also keinesfalls gefährlich, wenn die Operationen später gut verlaufen und die Wunden gut heilen.
Der Blutverlust war bei den vielen Wunden zwar erklärlicherweise groß, so, daß ich an den ersten Tagen nur geduselt und geschlafen habe, jetzt geht es aber schon wieder ganz gut, wie Ihr seht, sonst würde ich ja nicht schreiben. Passiert ist es vor vier Tagen, Montag also, auf einer ziemlich freien, für Flieger leider zu gut einsichtigen Straße in diesem gottgesegneten Land durch Tiefflieger. Ehe wir uns überhaupt nur besonnen hatten, war es auch schon zu spät, und ich hatte die Geschosse im Körper gerade in dem Augenblick, als ich mich in den Graben neben der Straße warf. Dadurch verlor ich die Kraft in den Armen und rollte den Graben vollständig hinab und das wurde mein Glück. Sekunden später wäre ich von den Sprenggeschossen der zweiten Maschine, die gerade auf diesem Fleck lagen, buchstäblich zerrissen worden.
Damit wird der Krieg auch für mich für einige Zeit beendet sein, wir warten täglich auf die Überführung ins Reich, wo wir uns dann hoffentlich bald wiedersehen werden.
Und nun vor allen Dingen eins: Macht Euch keine unnötigen Sorgen. Mir geht es verhältnismäßig ganz gut. Ich habe ein ganz unbeschreibliches Glück gehabt. Es hätte leicht viel ernster ausgehen können. Sobald ich im reich bin und Euch irgendwie benachrichtigen kann, dann tue ich das sofort. Ich glaube, in zwei, drei Monaten wird alles restlos wieder in Ordnung sein. Post habe ich schon seit sechs Wochen nicht mehr bekommen, gerade jetzt sehr bitter, aber leider nicht zu ändern. Sie ist durch Feindeinwirkung restlos verloren gegangen. Hoffen wir also auf ein baldiges Wiedersehen.
Euch alle, meine Lieben, grüßt auf das herzlichste
Euer dankbarer Sohn Otto
Anmerkung: So schnell wie erwartet kam es dann nicht in Ordnung. Wegen Wucherungen in den schlecht verheilten Wunden drohte später beiden Armen die Amputation. Ein Arm und eine Hand behielten lebenslang Funktionsstörungen und Jahrzehnte später bekam mein Vater Schwierigkeiten bei einer USA-Reise: Für den Sicherheits-Check hatte er noch zu viel Eisen in der Hüfte. Unter dem Strich aber: Er hat wirklich Glück gehabt.