Univ.-Prof. em. Dr. Hans H. Klein                                               8. Juni 2004

Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D.

 

 

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität

und Geschäftsordnung

 

 

Beantwortung des Fragenkatalogs für die öffentliche Anhörung

am 17. Juni 2004

 

 

Vorbemerkung

Die Beantwortung der gestellten Fragen stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wie sie insbesondere in den Entscheidungen vom 12. Juli 1994 (BVerfGE 90, 286), 25. März 1999 (BVerfGE 100, 266), 22. November 2001 (BVerfGE 104, 151) und vom 25. März 2003 (BVerfGE 108, 34) Ausdruck gefunden hat. Auf die grundsätzliche Kritik, die im Schrifttum verschiedentlich an dieser mittlerweile als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung geübt worden ist, wird nicht eingegangen. Der Unterzeichnete war als Mitglied des Zweiten Senats am Urteil vom 12. Juli 1994 beteiligt. Es versteht sich von selbst, dass die nachfolgenden Ausführungen nicht als „authentische Interpretation“ dieser Entscheidung gelten können.

 

1. Maßgaben für eine gesetzliche Regelung

Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen (EKoal) berücksichtigt die Vorgaben des BVerfG, ohne in allen Punkten volle Klarheit zu schaffen. Über die bisherige Praxis der parlamentarischen Mitwirkung geht er insofern hinaus, als er ein „vereinfachtes Zustimmungsverfahren“ (§ 4) vorsieht.

 

Der Gesetzentwurf der FDP (EFDP) wirft insbesondere die Frage nach der Zulässigkeit einer Delegation des Zustimmungsrechts des Bundestages auf einen Ausschuss desselben auf.

 

Über die in den Entwürfen vorgesehenen hinausgehende parlamentarische Beteiligungsrechte sind verfassungsrechtlich insbesondere unter dem Aspekt des „der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte(n) Eigenbereich(s) exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit“ (BVerfGE 90, 286 [389]; s.a. BVerfGE 108, 34 [44]) zu prüfen. Insoweit ist der Spielraum des Gesetzgebers – jenseits dessen, was die Entwürfe vorsehen – gering. 

 

2. Definition des „Einsatzes bewaffneter Streitkräfte“

a) Die in § 2 EKoal und in § 1 Abs. 2, § 2 EFDP enthaltenen Vorschriften bestimmen den Begriff des „Einsatzes bewaffneter Streitkräfte“ im wesentlichen übereinstimmend und im Einklang mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 90, 286 [387 f.]). Diese sind allerdings nicht sehr konkret, sieht man von dem klarstellenden Hinweis ab, dass ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen stets der parlamentarischen Zustimmung bedarf. Auf verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf ist in dem Beschluss vom 25. März 2003 (BVerfGE 108, 34 [43]) - AWACS-Einsatz über der Türkei - hingewiesen worden:

Für den konkreten Fall ist etwa zu klären, ab wann und inwieweit der Einsatz in integrierten NATO-Verbänden zu einem den Parlamentsvorbehalt auslösenden bewaffneten Einsatz wird, wenn diese Verbände den Luftraum eines Bündnismitglieds überwachen, dessen Staatsgebiet unmittelbar an ein kriegsbefangenes Territorium angrenzt, oder wenn sich die Überwachung darüber hinaus auf das Territorium eines an dem bewaffneten Konflikt beteiligten Staates erstreckt.

Ferner könnte klärungsbedürftig sein, inwieweit auch eine mittelbare Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen den Parlamentsvorbehalt auslöst.

 

b) Die negativen Ausgrenzungen (§ 2 Abs. 2 EKoal; § 2 EFDP) sind unbedenklich; sie tragen zur näheren Bestimmung dessen bei, was unter einem bewaffneten Einsatz zu verstehen ist. Gleiches gilt für den in der Begründung des EKoal (unter I B) enthaltenen Hinweis, nicht als Einsatz bewaffneter Streitkräfte sei anzusehen die Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen gegenseitiger kollektiver Sicherheit – im Unterschied zum Fall einer Verwendung in eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben etc.

 

c) Zu § 2 Abs. 2 EFDP ist anzumerken, dass die in § 2 Abs. 2 S. 3 EKoal enthaltene Klarstellung – Mitführung von Waffen lediglich zur Selbstverteidigung – zwar fehlt, aber als mitgedacht angesehen werden kann. Andererseits geht die Formulierung in § 2 Abs. 2 S. 3 EKoal „wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden“ zumindest scheinbar über die Ausführungen des BVerfG leicht hinaus: „ ... sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen sind“ (BVerfGE 90, 286 [388]). Sie kommt dem Sinn des Parlamentsvorbehalts jedoch entgegen und schränkt den Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortung jedenfalls nicht merklich ein.

 

d) Beide Entwürfe halten (mit unterschiedlicher Rechtsfolge) einen „Einsatz von geringer Intensität und Tragweite“ (§ 4 Abs. 2 und 3 EKoal) dann für gegeben, wenn „einzelne Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden“ ( § 4 Abs. 3 3. Spiegelstrich EKoal; wohl inhaltsgleich § 6 Abs. 1 Buchst. c) EFDP). Für sich betrachtet erscheinen diese Vorschriften angesichts des großen Gewichts, welches das BVerfG dem Parlamentsvorbehalt beimisst (vgl. BVerfGE 108, 34 [44]), problematisch. Es könnte danach scheinen, als wäre ein Einsatz weniger deutscher Soldaten im Rahmen eines integrierten Verbandes, dessen Einsatz ein (potentiell) bewaffneter ist, vom Parlamentsvorbehalt zwar erfasst, aber doch von so geringer Bedeutung, dass eine ausdrückliche Befassung des Bundestages als ganzen entbehrlich ist. Interpretiert man indessen diese Bestimmungen mit Blick auf § 4 Abs. 2 EKoal, schwinden die Bedenken, denn danach kommt es auch bei den Regelbeispielen des Abs. 3 (entsprechend § 6 Abs. 1 Buchst. c) EFDP) nicht ausschließlich auf die Zahl der an dem Einsatz beteiligten deutschen Soldaten an. Recht verstanden, unterläge mithin nach beiden Entwürfen die Beteiligung deutscher Soldaten an AWACS-Aufklärungsflügen jedenfalls dann der Zustimmung des Plenums des Bundestages, wenn mit einer Einbeziehung der Flugzeuge in eine bewaffnete Unternehmung zu rechnen ist. Davon wird dann auszugehen sein, wenn die auf Grund ihrer Beobachtungen weitergegebenen Informationen im Zusammenhang mit einem bewaffneten Einsatz sei es auch fremder Streitkräfte Verwendung finden (sollen).  Das könnte das BVerfG mit einer „mittelbaren Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen“ (BVerfGE 108, 34 [43]) gemeint haben.

 

e) Das Problem besteht also nicht darin, dass die Entwürfe den bewaffneten Einsatz (einzelner) deutscher Soldaten, die Teil eines integrierten Verbandes sind, dem Parlamentsvorbehalt entziehen. Sie behalten die Zustimmung des Bundestages – im Falle des EFDP jedenfalls in der Form der Zustimmung durch den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze – vielmehr ausdrücklich vor. Eine andere Frage ist es, ob weitergehende Regelungen im Sinne einer Zurücknahme parlamentarischer Beteiligungsrechte, wenn sie denn gewollt wären, verfassungsrechtlich zulässig wären (dazu unter 7.).

 

f) Im Ergebnis halte ich eine nähere Bestimmung des Begriffs des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in beiden Entwürfen nicht für erforderlich.    

 

 

 

3. Zum Inhalt des Antrags der Bundesregierung

a) Gegen die Vorschriften, die den Inhalt des Antrags der Bundesregierung betreffen (§ 3 Abs. 2 EKoal), § 3 EFDP), ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern. Der Bundestag hat keine Initiativbefugnis (vgl. BVerfGE 90, 286 [389]), woraus folgt, dass er dem Antrag nur zustimmen oder ihm seine Zustimmung versagen kann. Zu ändern vermag er ihn nicht. Das wird in § 3 Abs. 3 EKoal zutreffend betont, wobei ersichtlich gemeint ist, dass das Parlament seinem zustimmenden Beschluss keinen anderen Inhalt als den von der Regierung vorgeschlagenen geben darf. Der Bundesregierung andererseits bleibt es unbenommen, etwa im Blick auf eine anderenfalls drohende Ablehnung des Bundestages den Antrag zu ändern, beispielsweise das Einsatzgebiet genauer oder anders zu bestimmen. Diesem Bedürfnis wird in der bisherigen Praxis durch den Antrag nachträglich ergänzende Protokollerklärungen der Bundesregierung Rechnung getragen, auf die sich dann auch die Entscheidung des Bundestages bezieht. Gegen die Beibehaltung dieser Praxis ist, vorbehaltlich der nachfolgenden Überlegungen, aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts einzuwenden.

 

b) Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob der Zustimmungsbeschluss des Bundestages die Bundesregierung hinsichtlich aller in ihrem Antrag enthaltenen Angaben bindet. Dazu äußern sich die Entwürfe nicht. Die Vorschrift des § 7 EKoal lässt aber darauf schließen, dass die Zustimmung des Bundestages jedenfalls auch insoweit rechtsverbindliche Wirkung entfalten soll, als die von der Bundesregierung geplante Dauer des Einsatzes betroffen ist; denn anderenfalls würde dessen Verlängerung nicht von einer weiteren Zustimmung des Bundestages (im vereinfachten Verfahren) abhängig zu machen sein.

 

Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass der der Regierung von der Verfassung vorbehaltene Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit „insbesondere“ umfasst die „Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination  in und mit Organen internationaler Organisationen“ (BVerfGE 90, 286 [389]). Auch in seinem Beschluss vom 25. März 2003 hat das Gericht hervorgehoben, dass, soweit der Parlamentsvorbehalt nicht eingreift, allein der Bundesregierung die zu treffenden Entscheidungen zustehen (BVerfGE 108, 34 [44]). Davon ausgehend, ist festzustellen (Zitat: H. H. Klein, Rechtsfragen des Parlamentsvorbehalts für Einsätze der Bundeswehr, in: H.-D. Horn [Hrsg.], Recht im Pluralismus. Festschrift für W. Schmitt Glaeser zum 70. Geburtstag, 2003, S. 245 [252]):

Die Benennung von Einsatzort und –ziel ist ein notwendiger Bestandteil des Zustimmungsbeschlusses, denn anderenfalls wäre dieser nurmehr eine carte blanche für die Regierung, der Gedanke eines „Parlamentsheeres“ praktisch aufgegeben. Die Bezeichnung von Ort und Ziel des Einsatzes muss deshalb auch hinreichend bestimmt sein, sie darf aber andererseits der Regierung auch nicht jeglichen Entscheidungsspielraum nehmen. Dabei wird sich das Maß der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit nicht ohne Rücksicht auf die Art der Bedrohung angeben lassen, der durch den zu beschließenden Einsatz begegnet werden soll.

 

Die Dauer des Einsatzes (soweit sie nicht durch ein internationales Mandat vorgegeben ist) unterliegt hingegen nicht der rechtsverbindlichen Zustimmung des Bundestages. Sie ist Sache der Bundesregierung, solange der Bundestag nicht von seinem Rückholrecht (§ 8 EKoal, § 4 EFDP) Gebrauch macht.

 

c) Ebenso wenig erstreckt sich die Rechtsverbindlichkeit des Zustimmungsbeschlusses des Bundestages auf die Art und den Umfang (die „Modalitäten“) der zum Einsatz kommenden Streitkräfte. Soweit der Antrag der Bundesregierung, wie es sich eingebürgert hat, detaillierte Angaben in dieser Richtung macht, handelt es sich um Informationen, zu deren Mitteilung jedenfalls in dem in den Entwürfen vorgesehenen Rahmen der Gesetzgeber die Regierung auch verpflichten kann. Sie bewirken aber weder eine Selbstbindung der Regierung, noch vermag der zustimmende Beschluss des Bundestages insoweit eine Fremdbindung zu entfalten.

 

d) Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Bundestag bestimmt über das Ob und Wo eines bewaffneten Einsatzes, Sache der Bundesregierung ist es, (vorbehaltlich sonstiger verfassungs- oder völkerrechtlicher Grenzen) das Wie und die Dauer des Einsatzes des Näheren zu bestimmen.

 

e) Ob es sinnvoll wäre, die Grenzen der Rechtsverbindlichkeit der parlamentarischen Zustimmungsentscheidung im Gesetz festzulegen, ist keine Frage des Verfassungsrechts. Die gegenwärtige Praxis räumt ebenso wie § 7 EKoal dem Bundestag Befugnisse ein, die über das verfassungsrechtlich Gebotene hinausgehen und die Grenze des verfassungsrechtlich Erlaubten, wie sie die Rechtsprechung des BVerfG beschreibt, überschreiten. Es  erscheint aber vertretbar, diese Grenze nicht legaliter zu definieren, um dem politischen Kräftespiel einigen Spielraum zu belassen. Stimmt die Bundesregierung über geraume Zeit hinweg und in einer Mehrzahl von Fällen der durch die parlamentarische Praxis bewirkten Einschränkung ihrer eigenen Entscheidungsbefugnisse zu, könnte sich auch das BVerfG eines Tages dieser Auffassung anschließen. Denn die Befugnis zur Konkretisierung offener Verfassungsnormen, zu welcher Kategorie auch die im Wege der Abwägung zu bestimmende Grenzlinie zwischen konstitutivem Parlamentsvorbehalt für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr und dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung gehört, obliegt nicht nur dem BVerfG. An ihr haben auch die anderen Verfassungsorgane teil (vgl. BVerfGE 62, 1 [39]). Stößt der Wille des Parlaments zur Ausdehnung seiner Entscheidungsbefugnis dauerhaft auf eine nachgiebige Haltung der Regierung, mag sich also die verfassungsrechtliche Beurteilung im Ablauf der Zeit ändern.

 

f) Vorstellbar wäre, einem zustimmenden Beschluss des Bundestages eine von der üblich gewordenen abweichende Fassung zu geben, um Irritationen über die Reichweite der rechtlichen Bindungswirkung des Beschlusses zu vermeiden. Statt dem Einsatz „entsprechend der von der Bundesregierung ... beschlossenen deutschen Beteiligung“ zuzustimmen und den Beschluss der Bundesregierung in der Begründung des eigenen Beschlusses in vollem Umfang wiederzugeben, könnte der Beschlusstext diejenigen Teile des Kabinettsbeschlusses, auf die allein sich die Entscheidung des Bundestages von Verfassungs wegen bezieht, insbesondere also Einsatzort und –ziel, ausdrücklich aufnehmen. Alles andere wäre in die – Rechtsverbindlichkeit nicht beanspruchende – Begründung des Beschlusses zu verweisen.

 

4. Zur Vereinfachung einer Zustimmung

Das BVerfG hat es dem Gesetzgeber überlassen, „die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten“ (BVerfGE 90, 286 [389]). Das im EKoal vorgesehene „vereinfachte Zustimmungsverfahren“ (§ 4) ist – in den dort genannten Fällen und mit der unter 2. d) entwickelten Maßgabe, also im Blick auf § 4 Abs. 2 EKoal – m. E. verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ausgesetzt. Es ändert nichts an der Zuständigkeit des Bundestages als ganzen, ersetzt vielmehr nur die förmliche durch eine konkludente Zustimmung und trifft ausreichende Vorkehrungen für die Durchsetzbarkeit einer ausdrücklichen Befassung des Plenums (§ 4 Abs. 1 S. 4 und 5).

 

5. Zur Delegation auf ein bestimmtes Gremium

a) Von anderer Qualität ist die im EFDP enthaltene Regelung. In bestimmten Fällen ist danach ein besonders zu diesem Zweck zu bildender Ausschuss ermächtigt, anstelle des Bundestages die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu erteilen. Der Bundestag kann den Ausschuss darüber hinaus ermächtigen, in nicht näher bezeichneten Fällen statt seiner über den Antrag der Bundesregierung zu entscheiden (§ 6 Abs. 2). Nur in diesem und einem weiteren Fall (§ 6 Abs. 1 Buchst. b) kann das Plenum des Bundestages die Entscheidung an sich ziehen (§ 6 Abs. 3), allerdings nur durch einen mit Mehrheit zu fassenden Beschluss und unter der Voraussetzung, dass er von den Vorgängen im Ausschuss Kenntnis erhält.

 

b) Die Zulässigkeit einer Delegation der dem Bundestag zukommenden Zustimmungskompetenz ist nicht zweifelsfrei. Das BVerfG spricht dem Gesetzgeber die Befugnis zu, „das Verfahren und die Intensität der Beteiligung des Bundestages, ... die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten“ (BVerfGE 90, 286 [389]). Das „hohe Gewicht“, das dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt zukommt (vgl. BVerfGE 108, 34 [44]), spricht jedoch dafür, dass die Entscheidung über einen bewaffneten Einsatz deutscher Soldaten, sei sie zustimmend oder ablehnend, dem (öffentlich verhandelnden) Plenum des Parlaments vorbehalten bleiben muss. Die Gründe, die für eine Delegation der Entscheidungskompetenz auf einen Ausschuss des Bundestages angeführt werden, sind jedenfalls nicht zwingend. Bei Eilbedürftigkeit ist der Bundestag, wie die Erfahrung zeigt, kurzfristig handlungsfähig. Geheimhaltungsbedarf besteht allenfalls in denjenigen Fällen, in welchen „Gefahr im Verzug“ ist, und auch das nur kurzfristig, da ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr, wo und wie immer er stattfindet, schwerlich länger als 24 Stunden geheim gehalten werden kann. Einsätze im internationalen Rahmen sind regelmäßig wenn nicht immer vor der Entscheidung des Bundestages Gegenstand langwieriger öffentlicher Diskussionen. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung im Interesse der Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands „berechtigt (ist), vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen“ (BVerfGE 90, 286 [388]). Dabei ist es ihr unbenommen, im Vorfeld ihrer Entscheidung einzelne Mitglieder des Bundestages (Fraktionsvorsitzende, Obleute) oder parlamentarische Gremien (Verteidigungsausschuss) zu konsultieren. Es wäre auch eine Regelung unbedenklich, die der Regierung ein solches Verhalten vorschriebe, „so es die Lage irgend erlaubt“, ohne dass dies allerdings die zum nächstmöglichen Zeitpunkt einzuholende Entscheidung des Bundestages entbehrlich machte. In § 5 Abs. 2 EKoal wird dementsprechend die Bundesregierung verpflichtet, in denjenigen Fällen, in denen – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG – ein Einsatz der Streitkräfte ohne vorherige Zustimmung des Bundestages erfolgen darf (§ 5 Abs. 1), den „Bundestag ... vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten“. Geeignet im Sinne dieser Vorschrift ist die Weise der Information, wie anzunehmen, dann, wenn sie die Wirksamkeit des Einsatzes und die diese bedingenden Geheimhaltungserfordernisse nicht gefährdet.

 

c) Der Lösungsvorschlag des EFDP birgt also ein verfassungsrechtliches Risiko, das sich freilich mindern ließe, wenn die Voraussetzungen für eine Befassung des Plenums entsprechend § 4 Abs. 1 EKoal erweitert und auf alle Fälle einer Delegation erstreckt würden.

 

6. Zu Sonderregelungen für bestimmte Sachlagen

a) Die erste Frage ist durch die vorherigen Ausführungen bereits beantwortet.

 

b) Zur Beantwortung der zweiten Fragen verweise ich auf meine Ausführungen in der Festschrift für Schmitt Glaeser (s.o. unter 3. b), S. 262:

Der Begriff der „Gefahr im Verzug“ ist im vorliegenden Zusammenhang in Anknüpfung an den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff dahin zu verstehen, dass es sich um eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr handeln muss: Die Einwirkung des schädigenden Ereignisses hat bereits begonnen oder steht unmittelbar bevor. Die Gefahr muss weiter für ein bedeutsames Rechtsgut bestehen. Dabei kommen alllerdings im Unterschied zum Polizeirecht nicht alle strafrechtlich geschützten Rechtsgüter in Betracht, sondern nur besonders hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben, aber etwa auch unersetzliche kulturelle Werte, wenn Deutschland ihnen gegenüber eine Schutzpflicht hat.  ... Eine gesetzliche Regelung könnte zwar in dieser Richtung einige Klarstellungen bewirken, müsste angesichts der Unvorhersehbarkeit künftiger Ereignisse aber auch ein nicht geringes Maß an Unbestimmtheit aufweisen, um die der konkreten Lage angepasste Reaktion zu ermöglichen.

 

 

7. Zur Einbindung deutscher Streitkräfte in internationale Verteidigungsbündnisse und Systeme kollektiver Sicherheit

a) Die Entwürfe bestätigen den Parlamentsvorbehalt auch für den Fall eines Einsatzes bewaffneter deutscher Soldaten im Rahmen eines internationalen Verteidigungsbündnisses und sonstiger internationaler Organisationen. Das schließt die Verwendung innerhalb eines multinationalen Verbandes ein. Daran ändert der Umstand nichts, dass in diesen Fällen das Verfahren ggf. vereinfacht wird (§ 4 Abs. 3 EKoal) oder die Entscheidungskompetenz obligatorisch einem besonderen Ausschuss zugewiesen werden soll (§ 6 Abs. 1 Buchst. c EFDP). Der EFDP lässt allerdings offen, ob der Begriff „einzelne deutsche Soldaten“ wie im EKoal (vgl. § 4 Abs. 2) nur eine geringe Zahl von Soldaten meint. Es ließe sich daran denken, in beiden Entwürfen den nicht ganz eindeutigen Begriff „einzelne“ durch „wenige“ zu ersetzen.    

 

b) Der Kern der Frage dürfte freilich sein, ob in den hier angesprochenen Fällen eine noch weitergehende Zurücknahme der Mitwirkungsrechte des Bundestages verfassungsrechtlich zulässig wäre. Dafür könnte sprechen, dass das BVerfG es für möglich hält, „im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist“ (BVerfGE 90, 286 [389]). Diese Formulierung ist im Blick auf mögliche Entwicklungen, die im Jahr 1994 noch nicht erkennbar waren, bewusst vage gehalten. Sie darf aber m.E. nicht dahin (miss)verstanden werden, dass sie eine Preisgabe des Prinzips der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages zu jedem konkreten Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 [387]) ohne zwingenden Grund erlaubt. In einem eng bemessenen Rahmen dürfte wohl unter der Voraussetzung eines jederzeit aktivierbaren Rückholrechts eine generelle Ermächtigung der Bundesregierung zum Einsatz eines solchen Verbandes verfassungsrechtlich unbedenklich sein (vgl. näher meinen Beitrag zur Festschrift Schmitt Glaeser, S. 261).

 

c) Es zeigt sich hier wie in anderen Fällen die große Bedeutung des „Rückholrechts“. Gäbe es ein solches Recht (und die seine Ausübung allererst ermöglichenden Informationspflichten der Bundesregierung) nicht, wäre es um vieles schwieriger, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit verminderter Anforderungen an das Verfahren der vorherigen Entscheidung des Bundestages in jedem konkreten Fall zu begründen. 

 

8. Zur Unterrichtung durch die Bundesregierung

Die in § 6 EKoal, § 8 Abs. 1 EFDP statuierten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind als gesetzliche Konkretisierung ihrer sich aus Art. 43 Abs. 1 GG ergebenden Auskunftspflichten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ausgesetzt. Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 EFDP geht darüber hinaus, indem sie der Regierung die Verpflichtung auferlegt, dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze auf Verlangen Einsicht in einsatzbezogene Unterlagen zu gewähren und die Anhörung von „Mitarbeitern“ zu ermöglichen. Dafür sehe ich keine verfassungsrechtliche Grundlage, wie sie für den Petitionsausschuss (Art. 45c Abs. 2 GG) und für die Untersuchungsausschüsse (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) besteht und nach meinem Dafürhalten auch im vorliegenden Fall bestehen müsste.

 

9. Zum sog. Rückholrecht

a) Die einschlägigen Entscheidungen des BVerfG äußern sich zu einem Rückholrecht des Bundestages nicht. Dazu bestand auch kein Anlass. M. E. folgt die Befugnis des Bundestages, dem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte durch einen Widerruf der zu einem früheren Zeitpunkt erteilten Zustimmung die Grundlage zu entziehen, grundsätzlich und zwingend aus dem vom BVerfG mehrfach unterstrichenen Charakter der Bundeswehr als eines „Parlamentsheeres“. Zur Begründung verweise ich auf meine diesbezüglichen Ausführungen in der Festschrift Schmitt Glaeser, S. 254 ff.

 

b) Mit Nachdruck ist allerdings zu betonen, dass der Bundestag – wie schon bei der Entscheidung über den Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 [388]) – bei der Ausübung seines Rückholrechts an bestehende rechtliche Verpflichtungen gebunden ist. Solche Verpflichtungen können sich aus völkerrechtlichen Vereinbarungen ergeben, folgen aber auch aus verfassungsrechtlichen Bindungen. Insbesondere der Grundsatz der Verfassungsorgantreue und das Verbot des venire contra factum proprium stehen einem Widerruf aus beliebigem Grund entgegen (näher dazu mein Beitrag zur Festschrift Schmitt Glaeser, S. 256 f.).

 

c) Die Vorschriften des § 8 EKoal und des § 4 Abs. 1 S. 1 EFDP sind sehr apodiktisch formuliert. Sie verschweigen die vorgenannten rechtlichen Bindungen und könnten dadurch zu dem Irrtum verleiten, solche Bindungen bestünden nicht. Das gilt umso mehr, als auch in der Begründung der Entwürfe die Existenz solcher Bindungen keine Erwähnung findet. Da die Möglichkeit eines Widerrufs aus beliebigem Grund im Schrifttum, wenn auch nur vereinzelt, behauptet wird, ist eine klarstellende Formulierung (etwa: „unter Beachtung seiner rechtlichen Bindungen“) angezeigt, mindestens im Bericht des federführenden Ausschusses an den Bundestag.

 

10. Folgeregelungen aus Anlass des Gesetzes

Eine Notwendigkeit, Folgeregelungen, etwa in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, zu treffen, vermag ich nicht zu erkennen.