Einheit statt Vielfalt ?

 

THESE: Die Struktur der Wirtschafts- und Währungsunion und die konkrete Ausgestaltung der Restitutionsregelungen haben Angehörige der Alt-Bundesländer bei dem Erwerb langfristiger Chancen in den Neuen Bundesländern deutlich bevorteilt und eine dauerhafte wirtschaftliche Abhängigkeit dieser Regionen begründet.

 

Ökonomisch interessante Liegenschaften und Schlüsselbereiche in Handel und Kreditwirtschaft schreiben bessere Entwicklungs- und Erwerbschancen und überproportionalen politischen Einfluß für Generationen fest. Problem ist gerade diese zeitliche Dimension.

Die langfristigen Chancen wurden ohne Schutzregelungen, die die wettbewerblichen Nachteile der Bürger aus den Neuen Bundesländern hätten abmildern könne, bevorzugt nach Westen vergeben. Ein Indiz: die Treuhandanstalt hat nur 6% der ihr anvertrauten Werte an Bürger der Neuen Bundesländer verteilen (können). Die Bürger des Ostens investierten ihre beschränkten Mittel mehrheitlich in kurzlebige Konsumgüter aus dem Westen oder OECD-Ländern. Dies war voraussehbar und wäre bei einer an Verteilungsgerechtigkeit und sozialem Frieden orientierten Politik auch ganz oder teilweise vermeidbar gewesen.

Das zentrale Anpassungshindernis war der abrupte Aufwertungseffekt für die Währung im Osten um den Faktor 5, der auch die vergleichsweise moderne westliche Wirtschaft mit katastrophalen Folgen für den Absatz getroffen hätte. Diese Aufwertung hat die im Osten bestehenden Produktionsstrukturen voraussehbar zur Disposition gestellt bzw. eine Übernahme durch westliche Konkurrenten vorbereitet. Bürger der Neuen Bundesländer sind aus einigungsbedingter ökonomischer Not sogar zunehmend gezwungen, private langlebige Güter (Liegenschaften) zum Kauf anzubieten. Es ist nicht bekannt, daß im gleichen Zug Bürger aus den Neuen Bundesländern in nennenswertem Umfang Grundbesitz oder Industriebeteiligungen im Westen erworben haben.

Effiziente Maßnahmen, die zu Eigenverantwortlichkeit und einer produktiven Reinvestition von Erlösen in den Neuen Bundesländern hätten führen können, wurden nicht ergriffen; der Zugang von Ostprodukten zu Westmärkten wurde nicht ausreichend unterstützt. Waren wurden nach Osten geliefert, die Erlöse überwiegend nach Westen transferiert. Im Ergebnis sind in den Neuen Bundesländern bevorzugt abhängige, nichtproduktive Strukturen entstanden und die binnenwirtschaftliche Konzentration wurde gefördert. Wie in kolonialen Systemen wird tendenziell eine dauerhafte wirtschaftliche Abhängigkeit des Ostens begünstigt.

Nach Auslaufen des Effekts der Infrastrukturnachrüstung (Straßen, Bau etc.) fällt auch in den Neuen Bundesländern das Wachstum stark ab. Möglicherweise werden damit die Rückflüsse in den Westen in einem wichtigen Teilbereich zurückgehen und in der Folge das Interesse der Wirtschaft an staatlichem Finanztransfer in den Osten abkühlen.

Der westgeneigte Konzentrationsprozeß wird von einigen durch einen know-how-Vorsprung westlicher Bürger (Recht, Management, Wissenschaft und Technologie) gerechtfertigt: nur Bürger aus dem Westen hätten den Karren aus dem Dreck ziehen können; der Gewinn der westlichen Seite sei ein unvermeidbares Nebenprodukt. Aber: Selbst wenn es einen objektiven Wissensvorsprung gab und nicht nur den selbstdefinierten Vorteil des größeren Partners, hätte er durch Lernprozesse in eher kurzer Zeit ausgeglichen werden können und müssen. Für die Übergangsphase hätten wirklich treuhänderische Instrumente ausgereicht.

Der auch für die Bürger im Westen negative Effekt ist dreifach:

Die Einstellung herrscht vor, eklatante Unterschiede zwischen West und Ost dürften nicht deutlich gemacht werden; der Prozeß des Zusammenwachsens erfordere, die Gemeinsamkeiten zu betonen. Die entsprechende Sprachregelung - bald annähernd gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West - unterstützt und ermöglicht aber nur den oben beschriebenen Prozeß. Die Stimmung in den Neuen Ländern hat diese Fiktion widerlegt, sie ist schlecht - mit starker Tendenz abwärts.

Man sollte die Situation nüchtern analysieren. Ein erster Schritt ist, Daten zu erheben, die den Grad und die Tendenz des Konzentrationsprozesses objektivieren. Gleichzeitig sollten Werkzeuge geprüft werden, die einer weiteren Konzentration mit Mitteln der sozialen Marktwirtschaft entgegenwirken können.