C 2. Die Elemente für ein Bundeswehraufgabengesetz (1998)

Rechtsstaat heißt Gesetzesvorbehalt. Und Gesetzesvorbehalt bedeutet: die wesentlichen Dinge des Staates - vor allem die, die in Bürger- und Menschenrechte eingreifen können - , müssen zum Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür durch ein Gesetz geregelt werden. Für alle gleich, von vornhinein und nicht erst eilig, wenn's brennt. Ein Staat, der nur seine weniger wichtigen Angelegenheiten in Gesetze fasst oder nur seine Ansprüche an die Bürger, der ist nicht etwa ein schlechter Rechtsstaat. Er ist keiner.

Die erweiterten Aufgaben der Bundeswehr sind bis heute nicht in eine rechtsstaatliche Form gebracht. Fragen Sie einmal einen Abgeordneten, welche konkreten Fallgestaltungen aus seiner Sicht möglich sein sollen und welche ausgeschlossen. ("Alles viel zu komplex und unvorhersehbar und sowieso Sache des Außenministers?" Das ist bei Inanspruchnahme wesentlicher Rechtsgüter der Bürger aber eben keine ausreichende Ausrede!).

Daher unsere Vorschläge für eine gesetzliche Regelung der Bundeswehraufgaben. Sie zielen auch auf ein transparentes und für uns Bürger leichter nachvollziehbares Verfahren ab. Alle - auch und gerade die betroffenen Soldaten einschließlich der Freiwilligen und Berufssoldaten - müssen wissen, wofür sie Kopf und Kragen riskieren sollen. Und wenn etwas schiefgegangen ist, muss dies klargestellt werden, damit Demokratie und demokratische Verantwortung wirksam werden kann.

Wir haben im letzten Wahlkampf in einem Schreiben an alle damaligen Mitglieder der Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses die gesetzliche Regelung der Bundeswehraufgaben und die angemessene Ankündigung der Überlegungen der Parteien im Wahlkampf (wann soll Demokratie denn sonst eigentlich funktionieren, wenn nicht einmal im Wahlkampf?) angemahnt. Zur Notwendigkeit gesetzlicher Regelung siehe außerdem einige Leserbriefe.

 

(Nachtrag 1.6.2000 zum Bericht "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr")

Im Rahmen mehrerer Bundestagsdebatten zu out-of-area - Aufträgen der Bundeswehr hatte die SPD - noch in der Oppositionsrolle - eine nachvollziehbare Eingrenzung der politisch gewollten Bundeswehreinsätze gefordert. Konsequent hat sie im Wahljahr 1998 ein Bundeswehraufgabengesetz in Aussicht gestellt. Im Mai 2000 nun wurde der Bericht der Weizsäcker-Kommission mit dem Titel "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Kommission war von der neuen SPD-geführten Bundesregierung eingesetzt worden. Am Ergebnis der Weizsäcker-Kommission fällt dreierlei auf:

Zum einen enthält der Bericht zwar vage skizzierte sicherheitspolitische Ziele wie z.B. den Schutz zentraler deutscher Interessen (Nummer 17) und die ebenso wenig konkreten Überlegungen der Bundesregierung zum Bundeswehrauftrag aus dem Jahre 1992 (Nummer 63). Aber er entwirft keine präzise Aufgabenstellung, die dem staatsrechtlichen Gebot genügen könnte, wesentliche Eingriffe in die Rechte der Bürger ausschließlich gesetzlich zu regeln. Damit kann er nach meinem Verständnis keine verlässliche Basis einer langfristigen Ausstattungs- und Haushaltsplanung sein.

Sodann der so häufig genutzte, betörende Gegensatz Material / Mensch: Wie schon seit einigen Jahren bei den Streitkräften der USA ist die attraktive Beschaffung von high tech offenbar nur durch drastische personelle Einsparungen zu "finanzieren", Einsparungen, die auch den zivilen Bundeswehr-Bereich und über die starke Verringerung von Standorten auch die umgebende Wirtschaft und Bevölkerung treffen. Das beseitigt sehr viele dauerhafte Arbeitsplätze und ungewollt gilt von Weizsäckers Satz gerade hier: "Sparen kostet". Die Gästeliste der Kommission in Anhang 2 des Berichts liest sich in weiten Teilen wie ein "who is who in Wehrtechnik und Beschaffung".

Der Bericht betont sehr stark die außenpolitischen Verpflichtungen. Sie prägen schon den Titel ("Gemeinsame Sicherheit..."), sie wurden von Weizsäcker bei der Vorstellung hervorgehoben und scheinen jeden Gedanken an unsere demokratische Mitgestaltung der Wehrverfassung zu verbieten. Nur: außenpolitische Verpflichtungen sind das Ergebnis nationaler Willenserklärungen und auch diese müssen demokratisch legitimiert sein. Diplomatie - die die Lebensbereiche aller Bürger sehr unmittelbar betreffen kann - ist keine Ausnahme von Demokratie. Mag ein möglichst freies Schalten und Walten in Fragen der Außenpolitik noch so verlockend erscheinen. Und: es ist ein sehr würdiges diplomatisches Ziel, Deutschland und hoffentlich auch weitere Staaten des Westens durch eine konkretisierte, unmissverständliche Wehrverfassung für andere Staaten berechenbarer zu machen. Nach einer Phase ambitionierten Hinausschiebens unseres militärischen Aktionskreises muss dies entspannend und konfliktmindernd wirken. Aktuelle Risiken für die weltweite Abrüstung sind ohnehin in wachsendem Maße vorhanden, etwa die Planungen der USA für einen nationales Raketenabwehrsystem (NMD, National Missile Defense).

Scharpings Reaktion auf den Bericht zeigt zwar teilweise abweichende Positionen - z.B. hinsichtlich der Planstärke der Bundeswehr. Das Defizit des Berichts bei der Festlegung der konkreten Einsatzgründe allerdings hat er nicht aufgegriffen. Das angekündigte Bundeswehraufgabengesetz scheint also wieder von der Tagesordnung zu sein. Dies ist ein aus meiner Sicht rechtsstaatlich wie demokratisch sehr kritischer Punkt.