Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahre 1995

 

29.11.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 5.12.1995
Militärpolitik; Demokratie; Kabinettbeschluß zur Beteiligung an der Friedenstruppe in Bosnien; Stadt-Anzeiger v. 29.11.1995

Die Bundesregierung hat mit ihrer out of area –Politik ein ungeschriebenes Grundrecht gekippt. Dieses hatte einmal zum Inhalt: der Staat darf seine Bürger nicht als Werkzeug in den Konflikten dritter Staaten einsetzen - in Konflikten, deren innere Ursachen und Interessenlagen Bürger praktisch nicht überprüfen können. Für die Mehrheit der deutschen Juristen war dies bis zum Jahre 1994 unzweifelhaftes Verfassungsrecht.

Ein weiterer Verfassungssatz ist zum Glück noch anerkannt: für die Bürger einschneidende Maßnahmen dürfen nur auf der Grundlage eines allgemein gültigen Gesetzes angeordnet werden, das Art und Umfang des Eingriffs präzise regelt. Konkret: Es muß verbindlich feststehen, ob wir Menschen wie in Bosnien schützen wollen und/oder Ölrechte wie in Kuwait. Einzelfallentscheidungen sind beguem für eine nach außen gefällige Politik, aber das genaue Gegenteil von Bürgerschutz. Bürger sollten ihre Haut so teuer wie möglich zu Markte tragen: fordern wir von unseren Politikern sehr nachdrücklich eine Regelung zu ,,out of area"!

 

17.11.1995
FOCUS; abgedruckt: FOCUS 48/1995 (zweiter Absatz)
Militärpolitik; Soldaten = Mörder?; Generalinspekteur Naumann in FOCUS 46/1995

Natürlich nimmt Naumann seine Soldaten in Schutz. Die sind ja auch in aller Regel umsetzendes Werkzeug und nur das Auseinanderfallen von Plan und Tat kann sie effizient machen. Ob Naumann oder andere deutsche Politiker-Soldaten oder Soldaten-Politiker, die den Somalia-Einsatz der Bundeswehr auch als militärische Integrationsübung begrüßt und gefördert haben, jemals über persönliche Verantwortung für den Tod zweier Somalis nachgegrübelt haben, der zwei Somalis, die von deutschen Wachsoldaten in Belet Uen – vermutlich wegen eines versuchten Diebstahls – erschossen worden sind. Ob Naumann bei künftigen Fällen nach Art des Kuwait-Konflikts Opfer in der Zivilbevölkerung auch auf eigene Entscheidungen zurückführen würde?

Naumann könnte sich und seinen Soldaten auch mit einer Bibel helfen, die im ersten Weltkrieg in Gebrauch war. Dort war dem Gebot "Du sollst nicht töten" ein Sternchen beigefügt. Die entsprechende Fußnote lautete. "Gilt nicht im Krieg." Heute fehlt das Sternchen. Gedacht wird aber genauso.

 

27.10.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 14.11.1995
Standort Deutschland; Leistungseliten; Kölner Stadt-Anzeiger v. 25.10.1995

Bundeskanzler Kohl wünscht Leitungseliten; dies helfe dem Standort wieder auf die Sprünge.

Erste Frage: Was haben denn unsere schon vorrätigen Eliten drauf (was versteht zB der durchschnittliche deutsche Manager von Wissenschaft und Technologie)?

Zweite Frage: Wie kann man smarte Eliten bei zunehmend weltweiter Orientierung noch für nationale Ziele einspannen? Die Zeit der Gründerväter mit lokalem Verantwortungsgefühl ist ferne Historie.

 

05.09.1995
FOCUS
Militärpolitik; Wehrpflicht; "Wann fällt die Wehrpflicht?", FOCUS 35/1995

Bürger sind gerne mit dem Bauch anderer mutig. Das gilt für Bürger jeder Couleur. International mit Macht mitmischen, ja – aber doch bitte nicht unter Einsatz der eigenen Söhne! Die scheinbar logische Konsequenz: eine Söldnerarmee.

Das Rekrutierungspotential sind dann aber keine Waisenknaben, sondern in hoher Konzentration Outsider vom Schlage eines Timothy McVeigh. Der ist stolzer Fremdenhasser, Waffennarr und Golfkriegsveteran – und Hauptverdächtiger nach dem Blutbad von Oklahoma City: ein fataler Bumerang für die Bürger.

 

29.08.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 1.9.1995
Militärpolitik; Zunahme der Wehrdienstverweigerung; Kölner Stadtanzeiger v. 28. u. 29.08.1995

Die beklagte Flut von Wehrdienstverweigerern kann nicht getrennt werden von der out-of-area-Diskussion: Ein Maximum von Verweigerern gab es bereits während des Golfkrieges, ein weiteres nun im Gefolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum erweiterten Auftrag der Bundeswehr. Die Bürger - nicht zuletzt die konservativsten - wollen schlicht ihre Söhne nicht riskieren. Da liegt es nahe, sich das Gewissen ein für allemal zu erleichtern und die robustere Aufgabe auf andere zu schieben, auf eine Söldnerarmee.

Nur darf man dann keine "Bürger in Uniform" mehr erwarten, sondern konzentriert solche, die Krieg vergöttern oder zumindest für normal halten. Timothy McVeigh, der Hauptverdächtige nach dem Blutbad von Oklahoma City, ist Waffennarr, militanter Fremdenhasser - und Golfkriegsveteran. Die Vorstellung, bei einem Auslandseinsatz von solchen Geistern vertreten zu werden oder solche Irregeleitete noch staatlich trainieren zu lassen, ruft bei mir erhebliche Beklemmungen hervor. Ich ziehe eine Bundeswehr vor, zu der ich ohne Gewissenskonklikte auch meinem Sohn raten kann.

 

22.08.1995
NIKKEY WEEKLY, JAPAN; abgedruckt: 28.8.1995
Mititärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEY WEEKLY of August 14, 1995

I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEY WEEKLY of August 14, 1995 (page 6). It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful decision"). So I would like to show an alternative view,:

It is certainly true, that Japanese military leaders commenced the hostilities against the USA. But the Japanese victims at Hiroshima and Nagasaki were in their vast majority civilians. And although they were victims, I am far from sure they were the real addressees of the bombs as well. There is quite a convincing hypothesis: the drop of the bombs in the first place aimed at impressing the counterparts of Truman at the Potsdam Conference of July/August 1945 - Truman, a just invested and still very uneasy-feeling American president
(to add: according to now opened American files the Nagasaki bomb was also meant to test a completely redesigned ignition system).

The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event. We hear them over and over again - from Irak, from France, from China etc. So humanity will never forget those victims, even if some wanted to.

 

19.06.1995
DIE ZEIT; abgedruckt: 07.07.1995
Militärpolitik; Robert Leicht: Kein Sonderweg in die Etappe (ZEIT Nr. 25 v. 16.06.1995)

Leicht zu folgen fällt mir schwer: Die Bosnien-Mission machte und macht zwar keinen Sinn; sie dient aber immer dem Bündnis und ist daher von uns ellen loyal mitzutragen? Wem schulden wir diese Nibelungentreue? Den USA, die nur leiten und nicht folgen wollen und schlicht nach ihren nationalen Interessen sehen (what’s in for America?). Oder den Franzosen, die wieder selbstverliebt am atomaren Baukasten basteln? Vielleicht am ehesten den Engländern. Die möchten die Attribute einer Weltmacht ähnlich gerne konservieren wie Deutsche sie wiederbeleben möchten.

 

12.06.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 15./16.6.1995
Militärpolitik; deutsche Beteiligung an einer schnellen Eingreiftruppe für Bosnien (Stadt-Anzeiger v. 08.06.1995)

Nicht hinter der Vergangenheit verstecken? Die nun anvisierte deutsche Beteiligung an einer schnellen Einfreiftruppe für Bosnien mag zu einem taugen: Deutschland als schlagkräftiges Element eines westlichen "Geleitzuges" zu präsentieren. Zur Erinnerung: dies war Kinkels bezeichnendes Bild aus der Debatte über das Urteil des Verfassungsgerichts im letzten Sommer. Der Beitrag ist wohl auch vom neuen "erweiterten Sicherheitsbegriff" gedeckt, der unserer Regierung in bequemer Unschärfe jede gewünschte militärische Handlungsfreiheit lassen soll.

Entschlossene humanitäre Hilfe ist der Beitrag aber nicht, mal wieder nicht. Rühes Appelle an Mannesmut und Mannesehre, die einem Minister fern vom Schuß ohnehin leicht über die Lippen gehen, führen in die Irre.

 

29.5.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 30.5.1995
Umwelt; Autotechnik; "Eine Klimaanlage ist heute kein Luxus mehr", Verkehrsteil v.25./26.5.1995

Eine kritische Ergänzung zu diesem Hochglanz-Beitrag zur Klimatisierung von Personenauts: Klimaanlagen kosten Kraft (etwa 10 PS) und damit Sprit (bis zu einem Liter ja 100 km); sie erhöhen den Ausstoß von klimawirksamem CO2 und produzieren unmittelbare Abwärme, letzteres gleich zweifach: durch zusätzliche Motorbelastung und den Wärmetausch. Sie machen genau das, vor dem sie schützen: heiße Luft. Oder auch: Klima für alle!

 

15.03.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 17.3.1995
Militärpolitik; Demokratie; Roman Herzogs Appell zur Gestaltung der deutschen Außenpolitik (Stadt-Anzeiger v. 14.03.1995)

Besser, der Bundespräsident hätte bereits für den letzten Wahlkampf eine ernsthafte Debatte der Ziele und Werkzeuge unserer Außenpolitik angemahnt - und eine nüchterne Bilanz der neuen Rolle der Bundeswehr. Noch besser, er würde sich nun energisch für eine gesetzliche Regelung der Fälle militärischen Eingreifens einsetzen. Wir Bürger sollten vorher wissen, ob wir Verantwortung für Menschenleben oder für Aktienkurse übernehmen sollen.

 

25.01.1995
DER SPIEGEL
Holocaust; Rudolf Augsteins Essay "Oh! That Inhumanity!" in SPIEGEL 4/95

Vergangenheit ist nicht zu bewältigen. Augstein hat sie schlicht verdaut, und all dies ist im Stuhl: Die schwer betroffenen Polen nicht weniger antisemitisch als die Deutschen - gar willige Opfer? Krieg und Holocaust das persönliche und damit singuläre Ziel eines leicht gestörten Grenzgängers?

Jener im Vergleich zu zeitgenössischen Staatsmännern auch nur mäßig gewissenlos - und sogar objektiv um die Gründung Israels verdient?

Halte ich diese zweifelhaften Akzente aus Augsteins Versuch neben die Qualen auch nur eines einzigen kindlichen Opfers und neben die ungetrübte Idylle vieler Profiteure und Mittäter Hitlers, muß ich würgen!

 

und, viele Leserbriefe vorher:

 

29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

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