Burscheid 2.0
Ein großer gemeinschaftlicher Wurf
Am 14.
Dezember 2016 beschließt der Rat der Stadt Burscheid einstimmig das
„Integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzept“ bzw. das „IEHK Burscheid
2025“. Als pdf können Sie es hier herunterladen: https://www.burscheid.de/fileadmin/user_upload/redakteure/Bauen_und_Wohnen/IEHK/IEHK_2025_Konzept.pdf
. Soweit erkennbar ist dies der umfassendste Masterplan zur Neuordnung des
Stadtgebiets seit Erwerb der Stadtrechte i.J. 1856, siehe den zusammenfassenden
Überblick des IEHK auf S. 124/125 (Burscheid-Stadt) und auf S. 130/131
(Burscheid-Hilgen). Das angedachte Bauvolumen beträgt nach Kalkulation Stand
2016 mehr als 50 Mio. €, davon an öffentlichen Mitteln 19,3 Mio. € und als
erwartete private projektbezogene Investitionen und Folgemaßnahmen weitere 35
Mio. € (IEHK S. 183). Schwerpunkte sind dabei u.a. das
Etablieren einer „Neuen Mitte“ in der Burscheider Montanusstraße
(IEHK S. 156ff) unter Verlegen und Aufspalten des bisherigen Busbahnhofs
(S. 164ff), ein kompakter mehrstöckiger Gebäuderiegel von ca. 100 Metern
Länge mit Wohn-, Geschäfts- und Tiefgaragennutzung an der Umgehungsstraße
hinter der Kirchenkurve (IEHK S. 136ff; siehe auch auf dieser Seite unten) und
zusätzliche Bebauung, ggfs. für Dienstleistungen, Gastronomie bzw. (Alten-)
Wohnen auf dem früheren ALDI-Standort (IEHK S. 142f) sowie das Umgestalten
der unteren Hauptstraße zu einer stark verkehrsberuhigten Zone (IEHK S.
144), schließlich das Sanieren und Erweitern des in der Bausubstanz stark
angegriffenen „Hauses der Kunst“ zu einem auch überörtlich bespielten „Haus
der Kultur(en)“ (Arbeitstitel, IEHK S. 160f).
Alle
öffentlich finanzierten Maßnahmen des IEHK beruhen zu typischerweise 80% auf
der Städtbauförderung des Landes (siehe im Einzelnen
IEHK S. 184ff). Das Projekt „Haus der Kultur(en)“ wird das Land NRW sogar zu
100% finanzieren. Mit der Konzeption und mit diversen begleitenden
Dienstleistungen beauftragt ist das Architektenbüro
ASS aus Düsseldorf; es hatte zuvor das für die Burscheider Politik in
einigen Punkten wegweisende „Integrierte
Entwicklungs- und Handlungskonzept Altena 2015“ begleitet. In Altena
gab und gibt es eine ähnliche Problemstellung wie in Burscheid: Die dortige Lennestraße unterhalb der Altenaer
Burg ist die traditionelle Geschäftsstraße; ähnlich wie im Falle der
Burscheider Hauptstraße leidet die Lennestraße aber
heute unter um sich greifenden Leerständen und Verlegenheits-Nutzungen,
insbesondere im verkehrsberuhigten unteren Teil. Auch der mit
massiver Landes- und EU-Förderung errichtete „Erlebnisaufzug“ von der unteren Lennestraße zur Altenaer Burg
hat den Trend nicht gewendet.
Planung und Realität
Die
Neugestaltung der Burscheider Hauptstraße ist im oberen und mittleren Teil
hinsichtlich der Straßen-Optik überzeugend gelungen; insbesondere das
obere Straßenstück wirkt heute auch in Abendstunden und an Wochenenden durchaus
belebter. Wenig verändert präsentieren sich bisher die Häuserfronten,
die mit einem Fassadenprogramm auf möglichst traditionelle Fenstermaße und
Oberflächen hätten zurückgebaut werden sollen, bei weitgehendem Verzicht auf
Leuchtreklamen. Erhebliche funktionale Mängel zeigt die – für die
Förderung an dieser Stelle essenzielle – Gestaltung von neuen Radwegen
auch gegen die Einbahnstraße: In der oberen
Hauptstraße wurde der Radweg konfliktträchtig vor die in Gegenrichtung
zeigenden PKW-Parkplätze gelegt. Auch kollidieren hier in einem zu engen
Querschnitt unterschiedlichste Nutzungsformen und Interessen (Gehweg,
Außen-Gastronomie, Anpflanzungen, Radweg, Parkraum, Straße). In der mittleren
Hauptstraße wird der Radweg aus Platzmangel sogar mehrfach durch PKW-Parkplätze
unterbrochen und ist dort und insbesondere im enggeführten Kreuzungs- und Einbiegebereich an der Stadtbücherei optisch sehr wenig von
der PKW-Fahrbahn unterscheidbar, gerade für dort einbiegende PKW‘s. Alles dies erhöht Unfallrisiken unnötig.
Einige
Planungsideen für Burscheid haben sich bisher nicht verwirklichen lassen
– wie der Rückbau des noch aktiven Netto-Standorts bevorzugt für
Altenwohnungen (IEHK S. 146f) oder das Anbinden des Wohngebiets Griesberg
für Radfahrer und Fußgänger an die Balkantrasse sowie an die Montanusstraße (IEHK S. 171):
Wegen Kostensteigerungen wurde dieses Teilprojekt ausgekoppelt und müsste, wenn
überhaupt, dann in anderen Förderprogrammen weiterverfolgt werden. Auch die als
ein besonderes städtebauliches Herausstellungsmerkmal und Aushängeschild zur
Balkantrasse geplante Aussichtsplattform (IEHK
S. 149) musste wegen unerwarteter Kostensteigerungen zurückgestellt werden. Die
zur Aussichtsplattform führende Rampe wurde zwar in einem besonderen
Kraftakt zum Jahresbeginn 2022 errichtet; dabei war allerdings die im IEHK
geplante barrierefreie Steigung von maximal 6% nach dem vorgefundenen
Geländeprofil nicht realisierbar, naturgemäß umso weniger die mit 3%
nochmals niedrigere Steigung nach den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA)
bei Begegnungsverkehr von Radfahrern und Fußgängern. Der Bund der Steuerzahler
hat beide Maßnahmen – Plattform wie Rampe – in seinem Schwarzbuch 2023 als
nicht abgewogene Planung und Vergeuden öffentlicher Mittel kritisiert: https://www.schwarzbuch.de/aufgedeckt/steuergeldverschwendung-alle-faelle/details/teurer-koeder-fuer-radtouristen.
Auch die Parkpalette, die durch eine zweite Ebene über dem Parkplatz
hinter dem Rathaus die Abstellsituation im Bereich Montanusstraße
hätte erweitern und entlasten sollen (IEHK S. 166),
wird mangels eines interessierten Investors voraussichtlich nicht realisiert.
„Neue Mitte“ – neues Herz?
Herzstück des
Burscheider IEHK ist ein großflächiges Geschäftszentrum an der Montanusstraße; er wird in dem kürzlich offengelegten
Bebauungsplan Nr. 97 „Zentrumserweiterung Montanusstraße“
abgebildet. Kern dieses Vorhabens sind ein Lebensmittelvollsortimenter
mit einer Verkaufsfläche von bis zu 1.765 qm und ein Drogeriefachmarkt
mit einer Verkaufsfläche von bis zu 726 qm, ferner eine Apotheke
von 77 qm, Gastronomie und Außengastronomie von sowie Arztpraxen
und weitere kleinere Geschäfte (Begründung des offengelegten Bebauungsplans Nr.
97, S. 24). Für das Planvorhaben wird ein perspektivischer Jahresumsatz
von rd. 13,8 Mio. Euro prognostiziert; ein Umsatz von rd. 7,7
Mio. Euro wird hiervon auf den Sortimentsbereich Nahrungs- und Genussmittel
entfallen und im Sortiment Drogeriewaren wird ein perspektivischer Jahresumsatz
von rd. 4,5 Mio. Euro erwartet (Begründung
S. 25). Büros und Praxen sollen gemeinsam bis zu 1.200 qm umfassen, der
ebenfalls in den Obergeschossen geplante Wohnbereich insgesamt bis zu 2.000 qm
(Begründung S. 16).
Besonders
kritisch erscheint an der Planung: Speziell im Bereich Nahrungs- und
Genussmittel weist Burscheid mit ca. 9.500 m2 Gesamtverkaufsfläche bereits heute
ein Angebot i.H.v. 24 %
über dem Durchschnittswert des Bundes auf (Städtebauliche und
raumordnerische Analyse Stand 9/2022 als begründende Anlage des offengelegten
Bebauungsplans Nr. 97, S. 40); ein Bedarf ist daher gar nicht
zu begründen. Mit Fertigstellen der „Neuen Mitte“ (Edeka = 1.800 m2) wird das Überangebot
im Stadtgebiet auf 48 % anwachsen, nach
Realisieren eines weiteren geplanten Discounters im Ortsteil Hilgen gemäß IEHK
S. 172ff (1.224 m2) sogar auf sehr satte 63 %.
Durch dieses signifikante Angebot über Bedarf werden die
Geschäftsaussichten bereits etablierter Anbieter und Vermieter merklich sinken,
damit verbunden voraussichtlich auch das lokale Steueraufkommen. Dies ist Kern meiner Kritik im Rahmen der Offenlage
des aktuellen Bebauungsplans für die Montanusstraße.
Printstop News: Die
Sanierung der unteren Hauptstraße samt Markt und Kirchenkurve war Teil des IEHK
2025. Das kommt nun aber sozusagen in den Besenwagen. Im Zusammenhang
mit der Neufassung der Landesförderrichtlinie hat die Stadt die offenbar
besonders ersehnten Teile des IEHK zur „Neuen Mitte“ in einen aktuellen
Förderantrag gegossen – und den Rest flugs ausgekoppelt als nun neues und um 5
weitere Jahre vertagtes „ISEK Burscheid 2030“, in Vollform
zum neuen Einüben: „Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept
Burscheid Innenstadt Nord / Altstadt 2030“, so völlig einmütig beraten im
Stadtentwicklungsausschuss am 23.11.2023 – und dann voraussichtlich im Rat am
14.12.2023 zu beschließen. Ob es für das Altenteil noch eine ähnliche
Finanzausstattung wie bei der „Neuen Mitte“ geben wird? Wer weiß?
Jedenfalls: Eine
weitere Bürgerinformationsveranstaltung, wie sie der
Stadtentwicklungsausschuss auf Nachfrage eigentlich schon für das Jahresende
2023 geplant oder zumindest angedeutet hatte – die wird wohl noch einige Zeit
auf sich warten lassen müssen, bis halt Klarheit zum weiteren Vorgehen gewonnen
ist. Die letzte der bisher drei Bürgerveranstaltungen ist (mit Stand Dez. 2023)
immerhin bereits dreieinhalb Jahre her. Nun: Einen Sonderpreis für Transparenz
und offene, antwortbereite Bürgerbeteiligung dürfen das IEHK 2025 und sein
Sequester ISEK 2030 nicht erwarten. Das gehörte vielleicht auch nicht zu den
Prioritäten und Kernkompetenzen der Projektentwickler. Auch wenn es ja am Ende des IEHK mit Herrn Hamerlas hehren Worten hieß:
„Die
Sachstände einschließlich der Kosten müssen während des Realisierungsprozesses sukzessive aktualisiert sowie in den politischen
Gremien und mit der Bürgerschaft diskutiert
werden. Es bleibt auch weiterhin ein demokratischer Entwicklungsprozess.“
(IEHK Burscheid 2025, S. 182; Hervorhebungen von
mir)
Ein weiteres Highlight aus dem IEHK Burscheid 2025: Die Rampe und
der Skyview
Mehr dazu –
einschließlich etwas a-capella – finden Sie bei
Interesse hier.
Schließlich: Das nächste große IEHK-Teil-Projekt – der
100-Meter-Gebäuderiegel an der Friedrich-Goetze-Straße
Ob und wann es nun (Stand Dez. 2023) zu der sehr langen geschlossenen
Bebauung zwischen Lederwaren Seifarth und dem Sonnenstudio-Komplex kommen wird,
das mag man angesichts der Auskopplung der Maßnahmen für die Altstadt in das
neue Programm „ISEK Burscheid 2030“ kaum abschätzen. Andererseits wäre diese
Investoren-Maßnahme weitgehend unabhängig von der (etwaigen) Sanierung des
bisherigen Marktplatzes bzw. der Kirchenkurve und der geplanten
Verkehrsberuhigung im oberen Teil der unteren Hauptstraße. Und wir haben
gelernt: Wenn ein Investor drängt, dann wird er auch bedient. Immerhin hat die
Stadt vorsorglich ein wenig Quartier für ihn gemacht, indem sie lokale
Bebauungsvorschriften für einen großen Riegel passförmig gestaltet
hat: Für das derzeit noch städtische, aber dann sicher flugs zu verkaufende
Grundstück zwischen dem Sonnenstudio-Komplex und dem verwunschenen Ex-Matzig-Haus. Letzteres hat der Investor bereits übernommen
und auch schon mal vorsorglich die Bäume gefällt und abtransportiert.
Wenn Sie ein wenig mehr zu unseren teils realisierten, teils nur
geplanten städtebaulichen Herausstellungsmerkmalen lesen wollen – wie Rampe & Kanzel, zu den Makrolon-Markt-Schirmen, zu Wellenfreibädern und Friedhöfen, zur Musikstadt, zum versteckten Russengrab, zur schwierigen Pflege der Allmende, zum Fahrrad-Slalom auf der Hauptstraße, zum Trimm-Parcours mit Tuchfühlung und eben zur „Neuen
Mitte“ Burscheids mit ihren diversen Hoffnungen wie
Problemstellungen? Dann empfehle ich dringend ein paar lokale
Leserbriefe. Und unten noch die Visionen nach Art des so lobenswerten Schweizer Baugespanns.
Betrachten Sie es als Versuch einer frühzeitigen Beteiligung:
Variationen von Stadtentwicklung
Die Burscheider Friedrich-Goetze-Straße – gestern, heute und morgen?
2022 (mit dem
im IEHK auf S. 136 ausgeführten möglichen Umriss)
2025? (nach
Vorbild bereits kürzlich realisierter Neubauten)
2100? (was
irgendwann einmal übrig bleiben könnte)
Das mögliche
Ausmaß in einer Vogelperspektive, angenähert nach IEHK
S. 136
Stand: 22.
August 2023