Bundeswehrauftrag und gesellschaftlicher Diskurs
– Auswertungen 15. und 16. Legislaturperiode –

Gegen Ende der 15. LP und ein Jahr nach Beginn der 16. LP habe ich alle Abgeordneten angeschrieben – zunächst mit dem Appell, die Aufgaben der Bundeswehr im Wahlkampf herausgehoben zur Diskussion zu stellen, Ende 2006 sodann mit der Anregung, entsprechend auch den zwischenzeitlichen Impulsen von Bundespräsident Köhler und Bundeskanzlerin Merkel die gesamtgesellschaftliche Debatte des Bundeswehr-Auftrages in der laufenden politischen Arbeit beherzt zu fordern und zu unterstützen.

Die Antworten habe ich nach jeweils vier Kriterien bewertet, um gruppenspezifische Positionen und Trends sichtbar zu machen.

Kriterien waren jeweils die Einschätzung der

A.  Notwendigkeit einer intensiveren gesellschaftlichen Debatte (von „keine Aussage“ bis „geeignetes Wahlkampfthema“ bzw. bei der 2006er Nachfrage: von „keine Aussage“ bis „konkrete neue Aktivitäten vorgeschlagen“),

B.  zum erforderlichen Rechtsrahmen (von „keine Aussage“ über „heutige Rechtsgrundlage ausreichend“ bis „Rechtsgrundlage nach Stand vor 1990“),

C.  zum persönlich unterstützten Aufgabenspektrum der Bundeswehr (von „keine Aussage“ bis „nur Verteidigung gegen militärische Angriffe“),

D.  schließlich zu Individualität und Themenbezug der Antwort (von reiner Abgabenachricht bis zu einer differenzierten, sachspezifischen eigenen Stellungnahme).

Bei Verweisen oder Abgabenachrichten habe ich jeweils die in Bezug genommene, spezifischere Position berücksichtigt. Ferner ist als feedback der prozentuale Anteil der Rückläufe an der Zahl der jeweiligen Adressaten dargestellt. Für weitere Details: In einer anonymisierten Liste habe ich eine Kurzdarstellung der jeweiligen Antworten beigefügt, Verknüpfungen dazu unter 1.4 und 2.4.

Anmerkung: Mein Projekt und meine Auswertung genügen natürlich nicht dem Reinheitsgebot deutscher Sozialwissenschaften. Aber es ist das, was ich mit Hausmitteln leisten kann, und es reicht jedenfalls als Indiz für Trends. Vielleicht taugt die Auswertung damit auch ihrerseits als feedback an die vielen Parlamentarier, die in aufgeschlossener Weise geantwortet haben, bzw. als Impuls, der die Responsivität von Parlament und Parteien weiter stärkt.

1. Vor der Wahl

1.1 Kriterien (blau: Aktivitäten hinausgehend über den status quo)

 

 

öffentliche Debatte?

Rechtsgrundlage?

Aufgaben Bundeswehr?

Individualität der Antw.

0

 

keine Aussage

keine Aussage

keine Aussage

reiner Verweis, Abgabenachricht, 'Doppel'

1

 

Debatte findet ausreichend statt, insbes. kein Wahlkampfthema

heutige Rechtsgrundlage ausreichend

allg. Krisenbewältigung / Konfliktverhütung

wie vor, mit Zusatz

2

 

mehr gesellsch. Debatte sinnvoll, aber kein Wahlkampfthema

Konkretisierung  erforderlich, aber flexibel/offen für Auslandseinsätze

wie vor, mit VN-Mandat

kurze eigene Stellungnahme

3

 

geeignetes Wahlkampthema

Konkretisierung für Inlandseinsätze gefordert; für Ausland flexibel/offen

wie vor + massive Menschenrechtsverletzungen

differenzierte eigene oder übergreifende Stellungnahme

4

 

 

Konkretisierung zur Eingrenzung des auswärtigen militärischen Handlungsspielraumes ist erforderlich

nur Verteidigung gegen militär. Angriffe

 

5

 

 

Verteidigung, keine Erweiterung

 

 

1.2 Gesamtergebnis 15. LP (Formatierung: Maxima, Minima)

 

 

A

B

C

D

 

 

Partei

 

öff. Debatte

Regelungsbedarf

Aufgaben Bw

Originalität Antw.

% feedback

 

 

 

 

 

 

 

 

CDU

 

0,4

2,2

0,5

1,7

 

4,4

SPD

 

0,8

0,4

0,6

1,3

 

6,4

FDP

 

0,0

1,2

0,6

1,8

 

14,9

B90

 

2,3

2,0

2,0

1,0

 

7,3

PDS

 

0,0

0,0

0,0

0,0

 

0,0

 

 

 

 

 

 

 

 

alle

 

0,7

1,2

0,8

1,5

 

6,3

1.3 Kurz-Bewertung:

-    mit 6,3 % verglichen mit 10,6% ein insgesamt deutlich geringeres feedback als bei der Nachfrage 2006 (s.u., vermutlich Problem, Thema individuell in den laufenden Wahlkampf einzupassen; das Schreiben war außerdem umfangreicher und stärker auf eine rechtliche Konkretisierung im Sinne eines Bundeswehraufgabengesetzes ausgerichtet)

-   insgesamt geringerer Anteil differenzierter Antworten (Ursachen siehe oben)

-   kein feedback der PDS (zwei fehlende Antworten führen zu 0%)

-   eher geringes Interesse an öffentlicher Debatte, insbesondere bei FDP und CDU

-   beim Regelungsbedarf auffällig geringes Interesse der SPD, deutlich höher bei B90/Grünen; bei dem Maximum bei der CDU ist zu beachten: darunter fällt auch die für einen Einsatz im Inneren konsequent für erforderlich gehaltene gesetzliche Normierung

-   sehr anzuerkennen: der hohe Anteil des Rücklaufs aus der FDP-Fraktion, die noch dazu den besten Wert zur Originalität / Spezifizität der Antworten verzeichnet (eine Erklärung: kleine Parteien können weniger Kompetenz delegieren und fördern wohl auch heute noch mehr Allrounder-Eigenschaften; zudem steht die FDP auch programmatisch für mehr Freiheit und weniger Organisation)

1.4 Zusammenfassung der Antworten in anonymisierter Übersicht: hier.

2. Nach der Wahl

2.1 Kriterien (blau: Aktivitäten hinausgehend über den status quo)

 

 

öffentliche Debatte?

Rechtsgrundlage?

Aufgaben Bundeswehr?

Individualität der Antw.

0

 

keine Aussage

keine Aussage

keine Aussage

reiner Verweis, Abgabenachricht, 'Doppel', themenunspezifischer Inhalt

1

 

allgemein: Debatte wichtig

heutige Rechtsgrundlage ausreichend

allg. Krisenbewältigung / Konfliktverhütung

Verweis etc. mit Zusatz

2

 

Debatte wichtig, gehe aber auch schon lange selbst aktiv auf Bürger zu und tue dies weiterhin

Konkretisierung erforderlich, aber flexibel/offen für Auslandseinsätze

wie vor, mit VN-Mandat

kurze eigene Stellungnahme

3

 

deutlich mehr Engagement erforderlich als bisher; z.B. Bedarf an Vorbereitung / Koordination

Konkretisierung für Inlandseinsätze gefordert; für Ausland flexibel/offen

wie vor + massive Menschenrechtsverletzungen

differenzierte problemorientierte Stellungnahme

4

 

konkrete neue Aktivitäten dargestellt

Konkretisierung zur Eingrenzung des auswärtigen militärischen Handlungsspielraumes ist erforderlich

nur Verteidigung gegen militär. Angriffe

 

5

 

 

Verteidigung, keine Erweiterung

 

 

2.2 Gesamtergebnis 16. LP (Formatierung: Maxima, Minima)

 

 

A

B

C

D

 

 

Partei

 

öff. Debatte

Regelungsbedarf

Aufgaben Bw.

Originalität Antw.

% feedback

 

 

 

 

 

 

 

 

CDU

 

1,5

0,2

0,2

1,9

 

11,5

SPD

 

2,1

0,1

0,1

2,2

 

9,0

FDP

 

1,3

0,0

0,1

2,1

 

11,5

B90

 

1,8

0,0

0,0

1,5

 

11,8

LINKE

 

3,0

1,6

1,9

2,8

 

14,8

 

 

 

 

 

 

 

 

alle

 

1,9

0,3

0,3

2,1

 

10,9

2.3 Kurz-Bewertung:

-   insgesamt deutlich größeres und sogar spezifischeres feedback als bei der Anfrage vor der Wahl (s.o. 1.); allerdings anteilig sehr geringer Rücklauf auf das detailliertere Schreiben an Vorsitzende/Vertreter der Ausschüsse für Verteidigung, Auswärtige Angelegenheiten, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Forschung sowie die Parlamentarier in den Leitungen der entsprechenden Ressorts (Lehre: einfachere Schreiben erzeugen das intensivere Echo)

-   deutlich mehr Interesse an einer gesellschaftlichen Debatte als vor der Wahl (Lehre: die konkrete Wahl-Agenda lässt sich – obwohl dies dem repräsentativen Demokratiemodell eher entsprechen würde – durch Impulse von Bürgern eher schwer beeinflussen; allerdings mögen auch die zwischenzeitlichen Mahnungen des Bundespräsidenten und der Kanzlerin das Problembewusstsein gestärkt haben)

-   markanter noch, als für eine Oppositionspartei ohnehin zu erwarten stünde, hat sich die LINKE für eine breite gesellschaftliche Debatte positioniert (hier mag sich auch eine gegenüber der NATO besonders kritische Haltung ausdrücken, die nach sieben Jahren praktischer exekutiver Erfahrung und Gruppendynamik bei B90/Grünen stärker abgeschliffen ist)

-   bei der Unterstützung einer öffentlichen Debatte zeigt B90/Grüne (von anzuerkennenden Ausnahmen abgesehen) geringere Bereitschaft noch als der Durchschnitt der Regierungsparteien; dto. FDP, die hier sogar – wie schon in der 15. LP – das Minimum markiert (möglicherweise prägt die FDP zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ein besonders repräsentatives Verständnis von Demokratie aus)

-   Fragen des Regelungsbedarfs und der Definition der Bundeswehr-Aufgaben waren hier nicht direkt gestellt, sondern höchstens implizit als Teil bzw. notweniger Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses; Antworten kamen hierzu insgesamt relativ wenige, sehr verstärkt nun aber seitens der LINKEN, deren Haltung zu militärischen Fragen sich am weitesten entfernt vom mainstream einordnen lässt; wider Erwarten wenig Positionierung dazu bei B90/Grünen mit ihrer spezifischen bürgerrechtlichen / bürgerschützenden Tradition (Ursache am ehesten, dass Anti-Militarismus zu den Gründungsideen der Partei zählt und militärische Fragen trotz der Einbindung oder „Verstrickung“ in der 14./15. LP bei der Mehrzahl der grünen Parlamentarier ein eher geringes Prestige haben)

-   bei der 2005 (als PDS) noch sehr enthaltsamen jetzigen LINKEN nunmehr Höchstwerte auf der ganzen Linie, auch bei dem Anteil des Rücklaufs und  bei der Detaillierung der Antworten (um Fehlschlüssen vorzubeugen: die Antworten setzen sich aus Reaktionen von Wessies und Ossies zusammen)

2.4 Zusammenfassung der Antworten in anonymisierter Übersicht: hier.

Burscheid, 17.2.2007

Dr. jur. Karl Ulrich Voss, Kuckenberg 34, 51399 Burscheid