Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe in den Jahren 2012, 2013
u. 2014
Stand:
Januar 2014
(2014/8) 22.1.2014
DIE WELT
Afghanistan-Bilanz; Jacques Schuster „Afghanistan und wir“ (DIE WELT 22.1.2014,
S. 3)
Der Kardinalfehler des Westens ist
m.E. nicht, dass er meint, erfolgreich Ordnungskriege führen zu können.
Insbesondere die erste heiße Kriegsphase gelingt in aller Regel, siehe
Afghanistan, Irak, Libyen und Mali. Des Westens Problem ist eher, dass er
keinen selbsttragenden Ordnungsfrieden schafft, dass er sich zu oft nach dem
Schema „rush in – declare victory – rush
out“ aus der Affäre ziehen muss und dann instabile oder gar selbst
destabilisierte Staaten zurücklässt.
Karl Otto Hondrich hatte Anfang der
Neunziger Jahre den irritierenden Buch-Essay „Lehrmeister Krieg“ vorgelegt; und
hier zeigt sich unser zweites Hauptdefizit: In Grunde können oder wollen wir
gar nichts aus unseren Kriegen lernen, jedenfalls nicht in einem demokratischen
Prozess: Vor der Wahl hatten der Verteidigungsminister und der Oppositionsführer
die Devise ausgegeben, die Bundeswehr und ihre Auslandseinsätze aus dem
Wahlkampf herauszuhalten. Drum sind wir wohl verdammt, nicht nur die Fehler
anderer zu wiederholen, sondern fortlaufend auch unsere eigenen Fehler.
Eine Anmerkung noch zum 11.9.2001:
Natürlich ist genau das ein zentrales und wohl auch gar nicht vermeidbares
Motiv. Gerade darum verlässt mich aber auch das extrem unbehagliche Gefühl
nicht, alle unsere Strategien nach 2001 könnten – zum noch größeren Schaden des
Westens – von den islamistischen Planern bereits genau kalkuliert gewesen sein.
Und neben dem 11.9.2001 gehört schlüssig auch der 3.7.1979 genannt. Dieses
Datum hatte Jimmy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski i.J. 1998 als
Start der massiven strategischen Unterstützung afghanischer Mudschaheddin
offenbart. Gegen eine Sowjetunion, die erst im darauffolgenden Dezember am
Hindukusch aufmarschierte und die schließlich in dieser Bärenfalle verendete.
Was man sicher auch der westlichen Intervention zugedacht hat.
Quelle zum 3. Absatz:
Interview des Nouvel Observateur mit Zbigniew Brzezinski in der Ausgabe v.
15./21.1.1998: http://www.voltairenet.org/
(2014/8) 21.1.2014
Kölner Stadt-Anzeiger
geplante neue Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afrika (Holger Schmale „Wendepunkt
in der Außenpolitik“, KStA v. 20.1.2014, S. 7; Peter Riesbeck „Militärisch und
politisch helfen“, ebenda S. 4)
Überlegungen für ein stärkeres
Engagement in Afrika gibt es offenbar schon länger. Es gab sie wohl bereits vor
der Wahl, während derer die nunmehrigen Koalitionspartner CDU und SPD das
Einsatzthema noch insgesamt tabuisiert hatten. Jedenfalls hatte dann der
Bundespräsident unmittelbar nach unserem Urnengang etwas überraschend auf mehr
internationales Engagement der Deutschen gepocht – und dabei ganz konkret Bezug
auf Ermahnungen genommen, die man ihm während eines Frankreich-Besuchs ins
Gebetbuch geschrieben hatte.
Mit der Solidarität unter Partnern
wird hier auch das bewährte Motto ins Feld geführt, das bis heute die bei
weitem meisten Bundestagsdebatten zu Auslandseinsätzen prägt. Dieses Motiv hat
nur einen entscheidenden Nachteil: Es stützt sich - wie das so vertraute „Man kennt sich, man hilft sich“ - auf
eine ausgesprochene Binnenmoral, nicht auf ein allseits
verallgemeinerungsfähiges Konzept. Genau ein solches Konzept und dessen Debatte
mit uns Bürgern, da gebe ich Margot Käßmann und auch dem früheren
Bundespräsidenten Horst Köhler völlig recht, das fehlt uns völlig. Und die
Chance einer breiten demokratischen Fundierung wurde leider auch bei der 2013er
Wahl vertan. Sicher nicht ohne jeden Hintersinn.
Quellen:
-
Devise
de Maizières und Steinbrücks für den 2013er Wahlkampf:
http://www.presseportal.de/pm/
-
Joachim Gaucks Rede "Die
Freiheit in der Freiheit gestalten" v. 3.10.2013
-
als
Kontrast: Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler am 10.10.2005:
http://www.bundespraesident.
(2014/7) 20.1.2014
DER SPIEGEL
NSA-Affäre; Beitrag von Nikolas Blome, Hubert Gude, Horand Knaup, Ralf
Neukirch, Laura Poitras, Marcel Rosenbach, Jörg Schindler, Fidelius Schmid u.
Holger Stark "Keiner wird gewinnen" (DER SPIEGEL 4/2014 v. 20.1.2014,
S. 18ff)
Bei Ermittlungen zu Angela Merkels
Handy-Gate würde mich das Wissen oder sträfliche Nichtwissen der Spitzen der
deutschen Dienste interessieren, brennend sogar! Ebenso sicher werde ich gerade
davon nie etwas hören. Der Staat hat viele Geheimnisse, die Bürger aber sollen
keine haben. Das ist das genaue Gegenteil von Kants Vorstellung: Dass nämlich
das leitende Prinzip einer rechtsstaatlichen Republik – wie schon der Name sagt
– Publizität zu sein hat.
(2014/6) 17.1.2014
Frankfurter Allgemeine
Aktivitäten der Geheimdienste (Udo Di Fabio „Ist das Grundrecht ein
Ladenhüter?“, F.A.Z. 13.11.2013; Sascha Lobo „Die digitale Kränkung des
Menschen“, F.A.S. 12.1.2014; Evgeny Morozov „“Mehr Politik!“, F.A:Z. 15.1.2014;
Shoshana Zuboff „Wir stehen am Abgrund, Mr. President“, F.A.Z. 17.1.2014)
Sascha Lobos digitale Kränkung
erlebt man sicher intensiver, wenn sich ein hoher Besitzstand an Wissen und
Würden plötzlich enttäuscht zeigt. Wer nüchtern vermerkt, dass der Preis
unserer Freiheit Marginalität ist, jedenfalls in der statistischen Menge, der
kann am Rande durchaus er selbst sein und auch glücklich.
Ob – wie es Evgeny Morozov und aus
einem anderen Blickwinkel Shoshana Zuboff fordern – die existenten politischen
Kräfte eine Re-Revolution einleiten können? Ich bin nicht sicher. Die Umwälzung
der letzten Jahrzehnte, die man auch als vitale und hochprofitable
Kinder-Herrschaft deuten kann, sie war ja nicht etwa auf eine gut durchblutete,
partizipationsorientierte, responsive Demokratie gestoßen. Sodass nun breiter
demokratischer Entzug oder zumindest Verlustängste aktivierend wirken würden.
Hand auf’s Herz: Unsere repräsentative Staatsform gilt vielen heute eher als
eine bloße Erklärung von Macht, weniger als eine offenherzige Schnittstelle zum
Ausleuchten und Teilen von Herrschaft. In einer grundlegend veränderten
Wahrnehmungswelt mag daher die heute näher liegende Frage sein: Investieren wir
nicht zu viel in ein Partei- und Delegiertensystem, das sich zunehmend als
leicht irritierter wirtschafts-, sozial- und kulturpolitischer Trittbrettfahrer
geriert? Das in seiner abgesonderten Geschäftigkeit vor und nach Wahlen bei
näherem Hinsehen eher an Potemkinsche Dörfer oder Rommels Panzer-Attrappen
erinnert?
Vielleicht aber verschafft die
Debatte unseres Exekutiv-Industriellen Datenkomplexes – ich danke F.A.Z. &
F.A.S. für den breiten Raum und das differenzierte Spektrum – neben dem
hilfreichen bedingten Reflex beim persönlichen Datenhaushalt, wie ihn Di Fabio
wünscht, auch ein wenig Demut und Gelassenheit: Gegenüber denjenigen Kulturen
nämlich, denen wir „mangels eigener Aufklärung und Reformation“ gerne eine
individuell lebenswerte Staatlichkeit absprechen und die wir unermüdlich
ermahnen, endlich auf einen technokratischen Erfolgskurs einzuschwenken.
(2014/5) 16.1.2014
DIE WELT
No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USAA, Kommentar von Ansgar
Graw "Ami-Spion, go home?"
(DIE WELT v. 15.1.2014, S. 3)
Spionage und sogar die Hassliebe
unter Spionen trägt sicher auch ihren Teil zum Weltfrieden bei; das nutzt dann wohl
am Ende auch uns. Und das artige Händeschütteln unter Realpolitikern, mit dem
Blick nicht auf das Gegenüber, sondern in die Kameras: Es ist sicher immer nur
die Geste, für die es jeder hält, und kein Vertragsschluss. Da muss man ebenso
wenig drum geben wie um aufgeregtes Ankündigen unter Wahl-Stress. Aber ein
verschärftes globales Wettrüsten der code-maker
und code-braker hilft wahrscheinlich
niemandem außer den Herstellern von Exaflop-Rechnern und ihrer Kühlanlagen.
Am besten ist nüchternes Wissen der
Bürger um das öffentliche oder private oder gar arbeitsteilige Datensammeln,
ist persönliche Umsicht und ist der feste Wille, darüber nicht in einen
schizophrenen und erosiven Zielkonflikt zu den Grundwerten westlicher
Demokratien zu gelangen.
(2014/4) 10.1.2014
Frankfurter Allgemeine
Streckungsfonds zur Dämpfung von Verbraucherkosten i.R.d. Energiewende (Andreas
Mihm "Aigners Rangierbahnhof", F.A.Z. v. 6.1.2014, S. 1),
Zukunftspläne Ronald Pofallas (u.a. Kerstin Schwenn "Pofalla am Zug",
F.A.Z. v. 3.1.2014, S. 11) und geplante Autobahnmaut
Absolut unerreicht sind Talent und
Drang der Politiker, immer neues frisches Wasser aus dem Stein zu schlagen,
genauer: aus ihren Mitwesen, aus uns. Sei es, arglosen und früher freundlich
durchreisenden Nachbarn nun einen Wegezoll abzupressen, sei es, über schattige
Streckungsfonds Geld aus der Zukunft unserer Kinder herbei zu beamen. Oder sei
es gar, schillernde Amtsbeziehungen über die Wandelhalle in lebenslange
persönliche Sonderziehungsrechte umzumünzen; man kennt sich, man hilft
sich.
Unerreicht kurz aber auch die
Halbwertzeit heiliger Gelübde, wie das der ubiquitären Schuldenbremse, deren
Splitter man gleichwohl noch für Jahrhunderte in einer Monstranz vor sich
hertragen kann. Das Geld anderer Leute großflächig zu verrieseln, es ist kein
Privileg der Sozialisten.
(2014/3) 8.1.2014
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 13.1.2014
Bestechung i.R.v. griechischen Rüstungsbeschaffungen; Hans Leyendecker, Klaus
Ott und Tasos Telloglou "Das Geld gehört dem Volk" (Süddeutsche v.
4./.5./6.1.2014, S. 19)
Über levantinisches Gebaren sollte
sich die Ponente nicht mokieren, wir haben lange aufgeholt und überholt. Es
macht nicht eben stolz auf unser ach so wertegeleitetes nationales und
europäisches Wirtschaftssystem: Dass wir nicht nur die alte ägäische Paranoia
nutzen, um einem bereits maroden Staat sinnfreie Militaria anzudrehen. Sondern
dass unser Angebot der griechischen Nachfrage noch bestechend auf die Sprünge
hilft.
Richtig, das Geld gehört dem Volk.
Aber ist es erst einmal in Staatsknete verwandelt, dann liegt es häufig
erschreckend schutzlos da. Um entweder in windigen Rüstungsdeals verbraten zu
werden - und/oder als Rettungsmaßnahme für ein Volk, das sich genau daran
verschluckt hat.
Und eine wohlfeile Illusion aus den
Sonntagsreden unserer Politiker gehört gleich mit zerstört: Dass nämlich
deutsche Rüstungsgeschäfte jedenfalls deutsche Arbeitsplätze sichern würden.
Grundfalsch. Denn per Saldo reduzieren Verkäufe dieser hoch wertschöpfenden
Produkte an ein weniger entwickeltes Land, das in aller Regel auch mit
gegenläufigen Waren- und Produktströmen finanzieren muss, die Zahl der
Arbeitsplätze des liefernden Staates. Trist, aber wahr: den Nutzen hat ganz
partikulär derjenige, der die Waffen selbst schmiedet. Wir anderen zahlen nur.
(2014/2) 3.1.2014
DIE ZEIT
Initiative des Bundestagspräsidenten bzgl. einer Verlängerung der
Legislaturperioden ("Lammerts Foul", DIE ZEIT Nr. 2 v. 2.1.2014, S.
9)
Gar so arg ist die Lammert'sche
Spielverlängerung doch gar nicht und vielleicht sogar höchst kostensparend. Wir
müssen sie nur mit weiteren taktischen Finessen verbinden, z.B. mit den
seitlichen Arabesken z.B. von Ronald Pofalla, Eckard von Klaeden oder Gerhard
Schröder, und dann auch konsequent zu ihrem Ende hin denken.
Dann könnten wir eine
kontinuierliche Erneuerung des Parlaments in einem geschlossenen Kreislauf mit
der für die Professionalität unseres Parlaments eh' so unverzichtbaren Lobby
organisieren und irgendwann auf die kostentreibenden Wahlen auch ganz
verzichten: Ein unbesorgtes Spiel völlig ohne An- und Abpfiff, auch ohne
Schiedsrichter.
(2014/1) 3.1.2014
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 5.1.2014
Vorschlag des Bundestagspräsidenten, die Legislaturperiode auf fünf Jahre zu
verlängern (Markus Decker "Politiker wollen länger regieren",
"Mehr Zeit zum Regieren", KStA v. 28./29.12.2013, S. 1 u. 4)
Ein erfrischender Vorschlag von
Norbert Lammert: Für die gleichen Wahlkosten 125% statt nur 100%
Regierungszeit!
Vielleicht ist dabei noch etwas
anderes drin als Elemente der direkten Demokratie, die ja leider nach den
aktuellen Absprachen der Politprofis nur geringe Realisierungschancen haben. So
könnten wir etwa nach amerikanischem Vorbild die Amtszyklen des Regierungschefs
begrenzen oder, wie in der Türkei, die Zahl der Legislaturperioden jedes
Abgeordneten. Denn nach der neuen Lammert-Formel müsste z.B. der arme Dr.
Riesenhuber, der im Alter von 40 Jahren in den 8. Bundestag eingezogen war, uns
über sein 95. Jahr hinweg dienen. Schwer vorstellbar, wie man über eine solch
gewaltige Spanne die notwendige Repräsentativität aufrecht erhalten könnte!
Und, da wir uns alle dann auf
längere Zeit verdingen würden, käme jedenfalls dies künftig nicht mehr in
Frage: Schicksalhafte Themen kurzerhand für den Wahlkampf zu tabuisieren, wie
etwa grad eben noch die Auslandseinsätze und die Reform der Bundeswehr.
P.S. Quelle zum letzten Absatz:
http://www.presseportal.de/pm/
(2013/42) 6.12.2013
DAS PARLAMENT, abgedruckt 30.12.2013
Berichterstattung / Kommentierung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr in DAS
PARLAMENT v. 2.12.2013 (Alexander Heinrich „Mit doppeltem Einsatz“, S. 1;
Jörg Biallas „Schwerste Entscheidung“, S. 1; Pro & Contra Abzug aus
Afghanistan, S. 2; Interview mit André Wüstner, Vors. Bundeswehrverband,
„Ein enormer Kraftakt“, S. 2; Eric Chauvistré „Operation Abwarten“,
S. 3; Dokumentation laufender Auslandseinsätze S. 4f)
Wenn wir ehrlich sind: Bei den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist in den vergangenen Jahren zu wenig so
gelaufen wie geplant. Die Kosten, der militärische ebenso wie der zivile
Blutzoll und die Dauer der Engagements waren in praktisch jedem Einzelfall
höher, einschneidender und letztlich irreversibler als prophezeit. Darum freue
ich mich über die breite Abdeckung im (Periodikum) Parlament. Aber ich bin tief
verärgert über den quasi nicht messbaren Stellenwert, den die Politik dem
Souverän, dem lebenden Wähler zugemessen hatte. Tatsächlich hatte der
amtierende Verteidigungsminister ja noch im Mai 2013 den Spitzenkandidaten der
SPD darin bestärkt, die Bundeswehr einschließlich der Auslandseinsätze und der
Neuaufstellung aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
Das erfüllt nicht meinen Anspruch an die demokratische Behandlung von
Schicksalsfragen und auch nicht an eine Politik, die den historischen
Erfahrungen Deutschlands gerecht wird.
Aus meiner Sicht ist nicht nur das
Für und Wider einzelner Einsätze sorgfältig abzuwägen. Wenn wir als Staat
politisch gebildeter Bürger lernfähig sein wollen, dann muss die Politik vor
jeder Wahl Rechenschaft ablegen über Nutzen und Lasten und über ihr daraus
schlüssig abgeleitetes künftiges Programm für den Einsatz auswärtiger Gewalt –
mit nachvollziehbaren Grenzen für eben dieses künftige Gewalthandeln, nicht mit
Passepartouts wie „Krise“, „Konflikt“ und „Vorsorge“. Diese mögen zwar das
Mit-Entscheiden in Bündnisgremien erleichtern; sie lassen aber den ersten, den
aufgeklärtesten und für uns Bürger wichtigsten Abschnitt des Grundgesetzes de
facto leer laufen.
P.S. Quelle zur zitierten Äußerung
von Lothar de Maizière im Wahlkampf zum 18. Bundestag:
http://www.presseportal.de/pm/
Anmerkung: Das ist der Standard seit ca. 20 Jahren, siehe eine entsprechende
Positionierung von BM Kinkel gegenüber n-tv am 10.9.1993 = http://www.vo2s.de/mi_1993_
(2013/41) 25.11.2013
Kölner Stadt-Anzeiger, Lokalteil Rhein-Berg, abgedruckt 19.12.2013
i.J. 2014 anstehende Bürgermeisterwahl in Burscheid, u.a. Verzicht der SPD
(Berichterstattung / Kommentierung in der 47. Wo.)
Gut, es
ist dem BfB-Kandidaten schon einmal anzurechnen, dass er eine bloße Akklamation
der bestehenden Herrschaft verhindert - will sagen, dass es bei der kommenden
Wahl überhaupt eine Auswahl geben wird und keine Farce. Trotzdem habe ich ein
sehr schlechtes Gefühl: Die beiden einzigen Burscheider Bewerber kämen dann ja
aus dem praktisch gleichen Denk-Stall. Sollten andere, sehr traditionsreiche
Parteien tatsächlich nicht die Kraft bzw. das Geld für eine eigene persönliche
politische Alternative aufbringen? Wie wäre es dann mit einer parteifreien
Kandidatur? Wie wäre es womöglich mal mit einer unabhängigen Bürgermeisterin,
der ersten im Übrigen? Kandidieren macht sogar Spaß und ich würde es von ganzem
Herzen unterstützen!
(2013/40)
12.11.2013
TIME
NSA & CIA; Michael Crowley "Spy vs. Spy" (TIME Nov. 11, 2013, p.
14)
For
me, there's a collateral advantage of the spy crisis, i.e. the relaxing notion:
The secret & foreign services all around the world are exercising the same
skills and tricks - and there's not so much need to meticulously define brave
or evil axes.
We
knew that before. But we should talk it out louder and more often.
(2013/39) 11.11.2013
DIE WELT
NSA, CIA, BND & BfV; Alan Posener "Die Krise der Spione"
(DIE WELT v. 11.11.2013, S. 3)
Sich erwischen zu lassen, das mag
sehr unprofessionell sein. Ist es aber Ausweis fachlicher Kompetenz, nicht
erwischt zu haben oder nicht sorgfältig geschützt zu haben?
Den Spitzen unserer eigenen Dienste
billige ich im Grunde eine tiefe Erfahrung und Sachkunde zu. Allerdings kann
die horizontale Loyalität - diejenige auf der Staaten-übergreifenden
nachrichtendienstlichen Arbeitsebene - persönlicher, arbeitsteiliger und
gruppendynamisch zwingender sein als die vertikale Loyalität gegenüber der
jeweils eigenen politischen Führung. Dann aber wäre ein personeller Neuanfang
auch auf dieser Seite des Atlantiks umso notwendiger: als vertrauensbildende
Maßnahme gegenüber der Kanzlerin und für die Bürgerinnen und Bürger, deren
Interessen sie mit sehr hohem Zuspruch verwaltet."
(2013/38) 6.11.2013
DER SPIEGEL
NSA-Abhörskandal; Ralf Neukirch, René Pfister, Laura Poitras, Marcel Rosenbach,
Jörg Schindler, Fidelius Schmid u. Holger Stark "Ohnmächtige Wut"
(SPIEGEL 45/2013, S. 30ff)
Unsere Kanzlerin muss eine sehr,
sehr beherrschte Frau sein - oder noch ohnmächtiger als gedacht: Dass sie Obama
nicht die Feldjäger auf den Hals hetzen will: geschenkt. Aber dass genau die
beiden hoch alimentierten Herren, die sie seit Jahren hätten effizient warnen
und schützen müssen, noch auf einen gepflegten bourbon zu ihren
amerikanischen Freunden aus dem Schattenreich reisen durften, selbstredend
unter Stillschweigen! Das verstehe wer mag.
(2013/37) 5.11.2013
DIE ZEIT
NSA-Abhörskandal; Helmut Schmidt "Überflüssige Dienste" (DIE ZEIT Nr.
45 v. 31.10.2013, S. 2)
Kann man sich so einfach
zurücklehnen? Das Gesinde tut eben, was es immer tut: lauschen und tratschen?
Ein Kanzler mag ja Berichte mit dem Aufdruck BND, MAD oder BfV links liegen
lassen. Aber das exekutive Umfeld, in dem er und seine Minister Entscheidungen
treffen oder bekräftigen, das kann mit Information und Desinformation von
Diensten gesättigt sein. Vor diesem typischen Mimikri versagt sein
Selektionsmechanismus oder Bauchgefühl.
Als Steuerbürger stört mich aber
noch weit mehr: Darf eine Regierung in bestenfalls überflüssige Dienste
Milliarden investieren, etwa in den derzeit laufenden Umzug des BND nach
Berlin?
(2013/36) 27.10.2013
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 29.10.2013
NSA-Abhörskandal, Peter Pauls „Wir sind alle Merkel“ (KStA v. 26./27.10.2013,
S. 4)
Dass das Misstrauen gegenüber der
Kanzlerin in Potenz Misstrauen gegenüber uns alle bedeute, das stimmt m.E. nur
bedingt. Die Dienste verfolgen sehr differenzierte Strategien – und müssen dies
schon aus reiner Ökonomie:
Schlüsselpersonen wie die Kanzlerin
sind zur Optimierung von Beeinflussungs- und Verhandlungsstrategien im Fokus,
wie es Susan Rice in ihrer damaligen Funktion als UN-Botschafterin mal
freimütig bekannte: Wie froh sie doch sei über die „intelligence“ des NSA, da sie immer „in Verhandlungen einen Schritt
voraus“ sei!
Normal Sterbliche wie wir sind eher
Gegenstand einer Rasterfahndung, mit ihren Daten aus Reisen, aus Mail- und
Internet-Kommunikation und aus dem grenzüberschreitenden Austausch der Dienste.
Online-, Telefon- und Post-Überwachung kommen dabei auch in Betracht, sind aber
nur eine Eskalationsstufe für eine begrenzte Zahl von Fällen.
Am schlechtesten zu greifen, aber
unzweifelhaft laufende Aktivität gegnerischer wie befreundeter Dienste ist der
dritte Sektor, die Unterstützung der Wirtschaftspionage. Leider hatte hier das
Zauberwort „Terrorismusbekämpfung“ nach nine-eleven
alle Schutzdeiche eingerissen. Hier liegt aus meiner Sicht ganz wesentlicher,
aber vielfach noch ausgeblendeter politischer Reparaturbedarf.
(2013/35) 25.10.2013
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 4.11.2013
NSA-Abhörskandal; zu Berthold Kohlers Kommentar "Freund und Feind"
(F.A.Z. v. 25.10.2013, S. 1)
Im Grundlehrgang für
Geheimschutzbeauftragte lernen Sie gleich zu Anfang: "Es gibt befreundete
und gegnerische Dienste. Gehen Sie vorsorglich davon aus, dass beide in etwa
das Gleiche können und auch tun. Und bei der Industriespionage, da gibt es erst
recht keine verlässliche Freund-Feind-Kennung."
Seltsam genug - in den
Festansprachen zum diesjährigen Jahrestag des Bundesverbandes der Deutschen
Industrie am 11. Juni hatte das mit keinem Wort Erwähnung gefunden. Obwohl
bereits aller Anlass bestanden hätte.
(2013/34) 18.10.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
Initiative der Bundesregierung gegen
verschärfte EU-Abgaswerte für PKW; Friedemann Siering "Dem Erfindergeist
vertrauen" (KStA v. 16.10.2013, S. 4)
Danke für den Ansporn! Premium und
Klasse sind auch nie eine Frage von Masse. Was spricht denn gegen intelligentes
Retro? Mit den Maßen der Sechziger Jahre kann man sehr noble Karossen
schneidern, elegantere gar als heute. Als zusätzliche Denkhilfe für die
PS-Vorstände empfehle ich diesen Passus für den anstehenden Koalitionsvertrag:
„Die Bundesregierung beschafft
ausschließlich Dienst-PKW, die pro Kilometer 95 Gramm CO2 oder weniger
ausstoßen.“
Nebenbei könnte sich die künftige
Regierung als sehr konsequent erweisen: An eher unerwarteter Stelle, nämlich im
Bundeswehr-Weißbuch 2006 findet sich in der Risiko-Analyse ein äußerst
beherzigenswerter Satz: „Für die
Energieversorgungssicherheit sind dabei … die Reduzierung des Energiebedarfs
durch sparsame und effiziente Energieverwendung von herausragender Bedeutung.“
Das Weißbuch verknüpft zudem an mehreren Stellen globale Umweltveränderungen,
an denen die Industriestaaten einen entscheidenden Anteil haben, mit den
Risiken Extremismus und Massenmigration. Ein Grund mehr für ein gutes Beispiel
und den bewährten Pädagogen-Spruch „Fordern statt verwöhnen!“
P.S.
Quelle zum Bw-Weißbuch, das ebenfalls zur Zeit einer schwarz-roten Koalition
herausgegeben worden ist: Kap. 1.1 Sicherheit, S. 22 (Zitat), s.
ferner S. 19-21
http://www.bmvg.de/portal/a/
(2013/33) 11.10.2013
DIE ZEIT
Tag der Einheit; Leitartikel von Jörg Lau in der ZEIT v. 10.10.2013, S. 1
(„Wofür stehen wir?“)
Der Untertitel von Jörg Laus
Leitartikel knüpft an die Rede von Joachim Gauck zur Einheit an und fragt, ob
wir denn das tun, was wir könnten. Das impliziert: eher tun wir zu wenig als
zuviel. Aber wie sich vergewissern, ob und was wir zusätzlich oder anders tun
können, ohne unsere Bilanz zu verschlechtern? In einer repräsentativen
Demokratie ist der Weg klar: Wer sich um die Macht bewirbt, der legt ein
Programm dazu vor, wie er sie ausüben will. Der Bewerber tut gut daran, das
neue – oder das fortgeschriebene – Programm mit den guten und schlechten
Erfahrungen der Vergangenheit schlüssig zu machen. Das überzeugendste Programm
gewinnt, wird idealiter bis zur Folgewahl an der Realität getestet und der
demokratisch optimierende Zyklus beginnt von neuem. Eine bessere
Legitimationsquelle als die Prüfung durch Wähler kann es für die
Machtentfaltung eines demokratischen Staates nicht geben, wollen wir unsere
Staatsform nicht ad absurdum führen.
Und das genau irritiert mich an der
Rede von Joachim Gauck so sehr: Sie kommt wenige Tage nach der Wahl. Sie kam
nicht im Mai, als der amtierende Ressortchef für Verteidigung und der
Spitzenkandidat der anderen Volkspartei in einem gentleman's agreement die Bundeswehr, ihre Auslandseinsätze und die
gesamte Neuaufstellung aus dem Wahl-Diskurs ausklammerten – dies im Übrigen
durchaus effizient: Auch ISAF und die lessons
learnt in Kunduz haben dann keine bemerkbare Rolle gespielt, ebensowenig in
der Ansprache zur Einheit.
In einer thematisch ähnlichen Rede
hatte Horst Köhler dem Parlament, der Regierung und den Parteien eine intensive
Vergewisserung für die Bürger und gemeinsam mit ihnen aufgegeben. Auch Köhler
stellte Fragen, aber sie waren offener als die Fragen Gaucks: 'Welchen Schutz verspricht die neue
Sicherheitspolitik, welche Gefahren bringt sie möglicherweise mit sich, ist der
Nutzen die Kosten wert und welche Alternativen haben Deutschland und die
Deutschen bei alledem eigentlich?' Diese Fragen stellen sich kurz vor dem
Aus von ISAF noch dringlicher als im Oktober 2005. Sie sind nicht beantwortet
und niemand konnte über Antworten abstimmen. Könnte Deutschland dann konsequent
für eine Weltordnung werben, in der Redefreiheit, Gewaltenteilung,
demokratische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit gelten?
Schließlich: Gauck spricht von
Solidarität, und da kommt grundsätzlich zweierlei in Betracht: Zum einen
Solidarität im militärischen Bündnis – so verstehe ich seinen Appell primär –
und diese verbinde ich in erster Annäherung mit Binnenmoral oder
Selbstgerechtigkeit, kollektivem Eigennutz, ad-hoc-Handlungsstrategien
und institutionell mit dem VN-Sicherheitsrat. Zum anderen wäre da die
mitmenschliche Solidarität und die verbinde ich mit universaler Moral,
Menschenrechtsschutz, der golden rule
bzw. dem kategorischen Imperativ und der VN-Vollversammlung. Diese Form der
Solidarität ziehe ich vor und in der Rückschau hätte ich die
Milliarden-schweren ISAF-Spesen eher in Aufnahme und Integration von Menschen
gesteckt, ferner in die Konversion der Industrie, die Militaria exportiert.
Warum für Deutschland eigentlich kein schlagkräftiges humanitäres
"Drohpotenzial" aufbauen? Was ich im Übrigen auch für den im Falle
Deutschlands historisch schlüssigeren Weg halte, gegen alle
selbst-referentiellen Vorhalte französischer Spitzenpolitiker.
P.S.
Quelle zu Abs. 2 des Leserbriefs:
http://www.presseportal.de/pm/
und zu Abs. 3:
http://www.bundespraesident.
(2013/32) 8.10.2013
DER SPIEGEL
Entwicklung in Afghanistan; Notiz "Taliban kommen zurück" im SPIEGEL 41/2013
S. 82
Demokratisch sehr irritierend: Im
Mai tabuisiert unser Verteidigungsminister de Maizière seinen Aufgabenbereich
für die Bundestagswahl. Direkt nach der Wahl räumt er den Vorposten Kundus. Und
dazwischen appelliert unser oberster Bürger Joachim Gauck für mehr militärische
Solidarität, auch bei fernen Konflikten. Was denn nun?
Und: Wären unsere Milliarden bei der
Aufnahme von Flüchtlingen nicht nachhaltiger und solidarischer angelegt
gewesen?"
P.S. Quelle zum zweiten Satz:
http://www.presseportal.de/pm/
(2013/31) 7.10.2013
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 25.10.2013
Tag der Einheit; Beiträge von Roman Deininger "Unser Land ist keine
Insel" (Süddeutsche v. 4.10.2013, S. 5) und Nico Fried "Rückzug ins
Nirgendwo" (Süddeutsche v. 7.10.2013, S. 4)
Der Bundespräsident verlangt mehr
"Solidarität" und eine "Versicherungspolice", die wir
militärisch gesehen in Zukunft persönlich zahlen sollen. Wer genau hat aber
unsere Solidarität verdient? Ein befreundeter Staatsmann, der seine Allianz
vergrößern und damit überzeugender und schlagkräftiger gestalten will, oder
doch Menschen, deren Menschenrechte wir bei einem Einsatz im Ausland ebenso
fördern wie auch unumkehrbar verletzen können? Gaucks Appell für mehr, auch
mehr militärisches Engagement in der Außen- und Sicherheitspolitik und gegen
deutsches Ohnemicheltum könnte ich ja nachvollziehen, gäbe es so etwas wie
erfolgreiche Benchmarks aus gelungenen Einsätzen und eine klare
Handlungsstruktur nach Qualität des kategorischen Imperativs, idealiter im vergangenen
Wahlkampf zur Diskussion gestellt und durch klares Wählervotum legitimiert.
Aber genau daran hatten die Volksparteien wohl kein lebhaftes Interesse. Hätte
sonst noch im Mai Verteidigungsminister de Maizière den Kanzlerkandidaten
Steinbrück ausdrücklich dafür gelobt, dass der die Bundeswehr, die
Neuaufstellung und die Auslandseinsätze aus dem Wahlkampf heraushalten
wollte?
Ein Vorgänger Gaucks hatte zum
fünfzigjährigen Bestehen der Bundeswehr im Jahre 2005 die Form skeptischer
Fragen aus der Sicht von Wahlbürgern gewählt, darunter auch, "welchen
Schutz die neue Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie mit sich
bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche politischen Alternativen
Deutschland und die Deutschen bei alledem eigentlich haben". Er hatte auf
der damaligen Kommandeurtagung in München eine breite gesellschaftliche Debatte
der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik verlangt und die Vorbereitung
konkret bei Parlament, Regierung und Parteien in Auftrag gegeben. Dies mit der
sehr schlüssigen Erwägung, dass die Bürger erst dann die "nötige
demokratische Kontrolle ausüben können". Das hätte ich mir von Joachim
Gauck schon als Replik auf den im Mai regierungsseitig verhängten
verteidigungspolitischen Maulkorb gewünscht - aber spätestens am vergangenen
Sonntag, beim sang-, klang- und vor allem Rechenschafts-losen Räumen des
Feldlagers in Kundus.
P.S. Quellen zum zweiten Absatz
Vorgabe de Maizières für den 2013er Wahlkampf:
http://www.presseportal.de/pm/
Rede von Bundespräsident Horst Köhler am 10. Oktober 2005:
http://www.bundespraesident.
(2013/30) 7.10.2013
DIE WELT
Symbolische Schlüsselübergabe im Feldlager Kundus (Daniel-Dylan Böhmer
"Kundus war richtig" von WELT v. 7.10.2013, S. 1, u. Thorsten
Jungholt "Abschied vom Schicksalsort", ebensa S. 5)
"Kundus war wohl so richtig wie
der Kommunismus: Irgendwie herausfordernd und anziehend, aber mit lebenden
Menschen und Politikern nicht zu machen. Ja, und wir haben auch nicht
konsequent genug unsere demokratischen Prinzipien verteidigt, und zwar nicht
einmal im deutschen Wahlkampf. Denn dort hatte Verteidigungsminister de
Maizière die Bundeswehr, ihre Neuaufstellung und ihre Auslandseinsätze - damit
auch ISAF und Kundus - bewusst herausgehalten. So hatte er es in einem
Interview noch im Mai frank und frei bekannt.
Hat er damit nicht die Verantwortung
von den Wählern genommen und besitzt sie hinfort selbst? Das hätte er am
Sonntag genau so erklären erklären können. Statt sich unter Abgabe bunter
symbolischer Schlüssel und schulmeisterlichem Vorhalt einer traditionellen
afghanischen Erzählung flugs zu absentieren. Das war ein bizarres
Glasperlenspiel neuerer Art!"
P.S.
Quelle zum ersten Absatz:
http://www.presseportal.de/pm/
Zum zweiten Absatz: Das vordergründige Geschichtchen lautete nach dem Redemanuskript wie folgt: "Es war einmal
ein Bauer, der
hatte drei Söhne. Als er starb,
ließ er seine
Söhne zu sich kommen
und sagte: Ich habe einen
Schatz für Euch.
Er befindet sich auf
dem Feld. Wer ihn als erster findet,
dem gehört er. Der Vater starb.
Die Söhne gruben jede Ecke des Feldes um. Den
Schatz fanden sie nicht. Als sie jedoch
im Herbst die besonders guten
Erträge verkauft
hatten, verstanden sie
die Worte des Vaters." Anm.: Besser, de
Maizière hätte seinen drei afghanischen Söhnen die Passage nach Deutschland
empfohlen, bezahlt und die Einreise vorab mit BMI abgestimmt gehabt ;-)
P.P.S.
Das Defizit bei der demokratischen Absicherung der Außen- und
Sicherheitspolitik folgt, wie ich zugebe, längerer Tradition, siehe schon das
Interview des damaligen Außenministers Kinkel mit n-tv i.J. 1993, im damals
anlaufenden Wahlkampf zum 13. Deutschen Bundestag:
www.vo2s.de/mi_1993_kinkel-
(2013/29) 7.10.2013
Kölner Stadtz-Anzeiger
Aufgabe des Feldlagers in Kundus; Kommentar „Flucht aus Afghanistan“ von
Steffen Hebestreit (Kölner Stadt-Anzeiger 7.10.2013, S. 4)
"Zwei Nachrichten kann ich ja
noch in etwa übereinander bringen: Dass Verteidigungsminister de Maizière im
Mai die Auslandseinsätze der Bundeswehr aus dem Wahlkampf heraus halten wollte
– und dass er dann wenige Tage nach der Wahl mit dem Räumen von Kundus einen
sehr symbolträchtigen Schritt aus Afghanistan heraus tut. Eine positive Bilanz
zu ziehen, das wäre sicher auch ihm schwer gefallen - da ist Steffen Hebestreit
völlig zuzustimmen - und auch eine Evaluation der Auslandseinsätze insgesamt
wollte die Bundesregierung im Wahlkampf sicher tunlichst vermeiden. Am ehesten
fühle ich mich jetzt übrigens an das damals fluchtartige Räumen des Feldlagers
in Belet Huen erinnert, nach Scheitern der Mission in Somalia.
Völlig aus der Zeit gefallen wirkt
auf mich allerdings eine dritte Nachricht der letzten Tage, nämlich der Appell
von Bundespräsident Gauck in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit: Als er
deutlich mehr außen- und sicherheitspolitisches Engagement Deutschlands
einforderte, mehr militärische Solidarität, auch bei fernen Konflikten. So wie
ISAF oder UNOSOM II?
P.S.
die Quelle zu de Maizières erstaunlichem Maulkorb für den Wahlkampf, sein
eigenes Ressort betreffend: http://www.
(2013/28) 4.10.2013
DIE WELT, abgedruckt 11.10.2013
Tag der Einheit; Bericht / Kommentar zu Joachim
Gaucks Rede "Die Freiheit in der Freiheit gestalten" v. 3.10.2013 (Torsten Krauel,
„Inselrepublik Deutschland“, DIE WELT v. 4.10.2013, S. 1, und Hannelore Crolly
„Deutschland ist keine Insel“, ebenda S. 4)
Sehr richtig, die außenpolitische
Debatte ist überfällig, im Grunde seit 20 Jahren. Joachim Gauck adressiert
dafür in seiner Rede zur Einheit die Bürgerinnen und Bürger. Nur: Wie kann der
Diskurs dort beginnen? Für den Wahlkampf zum 18. Deutschen Bundestag hatten
sich Lothar de Maizière und Paar Steinbrück just das Gegenteil vorgenommen und
sie waren darin auch recht erfolgreich – nämlich die Bundeswehr aus dem
Wahlkampf heraus zu halten.
Will man dagegen bürgerliche
Aufmerksamkeit und demokratische Substanz für die Aufgabe schaffen, dann
braucht es offenbar etwas anderes: Auswahlfähige, differenzierte Aussagen der
einzelnen Parteien, welche abgrenzbaren Aufgaben sie den Streitkräften in den
kommenden vier Jahren zuweisen wollen, andererseits, welche Fähigkeiten oder
Fallgruppen als Lehre aus den Einsätzen – gerade auch aus ISAF! – ausscheiden
sollen. Exakt ein solches Verfahren hatte der frühere Bundespräsident Horst
Köhler der Politik in seiner hellsichtigen Rede
zum fünfzigjährigen Bestehen der Bundeswehr am 10. Oktober 2005 ins
Stammbuch geschrieben.
(2013/27) 4.10.2013
Frankfurter Allgemeine
Tag der Einheit; „Deutschland darf kein schlafwandelnder Riese sein“, F.A.Z. v.
4.10.2013, S. 2 / rso)
Der Bundespräsident fordert, ein
somnambules Deutschland möge nun doch aus seinem Traum erwachen und in der
Außen- und Sicherheitspolitik entschlossene Schritte vorwärts setzen. Nach der
offiziösen Agenda der gerade vergangenen Wahl überraschen solche Wort sehr.
Hatte nicht noch im Mai Verteidigungsminister Thomas de Maizière den
SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ganz ausdrücklich dafür gelobt, dass die
Bundeswehr, die Auslandseinsätze und die Bundeswehrreform aus dem Wahlkampf zum
18. Deutschen Bundestag herausgehalten werden sollen? Und das Thema hatte dann
ja auch keine bemerkbare Rolle gespielt.
Und kann man bei der in stabiler
Demoskopie attestierten, über Jahre kritischen Haltung der Bürgerinnen und
Bürger etwa zu ISAF sagen, auch hier läge ein lobenswertes Maß von innerem
Einverständnis mit ihrem Land vor? Steht nicht nach wie vor der noch von
Horst Köhler am 10. Oktober 2005 mit unmissverständlichen Worten an
Parlament, Regierung und Parteien gerichtete Auftrag offen, sein Auftrag
nämlich zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte über die erweiterten Aufgaben
der Bundeswehr? Kann man Einsätze wie in Afghanistan, im Irak, in Libyen oder
in Mali schon als Benchmark oder de-facto--Standard nehmen oder
bedarf es nicht doch zuvor einer sehr differenzierenden Evaluation der Außen-
und Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre, ihrer ursprünglichen Ziele, ihrer
zu mühsamen Erfolge und ihrer zu einschneidenden Nebenfolgen? Und vor allem:
Geht es überhaupt um Solidarität mit Partnern und damit um die nach aller
Erfahrung Interessen-verschobene Binnenmoral eines Bündnisses – oder geht es
nicht doch um den kategorischen Imperativ, also um ein allgemein gültiges,
strukturiertes Handlungskonzept, das nach gehöriger Abstimmungsarbeit
nationalrechtlich wie auch völkerrechtlich dann auch dem Rechtsstaatsgebot
entspricht? Und das auch potenzielle eigene Menschenrechtsverletzungen ehrlich
mit in die Bilanz stellt – wie sie am Kundus erschreckend real geworden waren?
P.S. Quelle zu dem im ersten Absatz
zitierten Lob de Maizières:
http://www.presseportal.de/pm/
(2014/26) 9.9.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
lokale Berichterstattung zur Bundestagswahl 2013; Bert-Christoph Gerhards
Reportage „Souveräner Platzhirsch Bosbach“ (Kölner Stadt-Anzeiger, Lokalteil
Rhein-Wupper v. 6.9.2013, S. 28)
Ganz so souverän und siegessicher
wie der Stadt-Anzeiger habe ich den Platzhirschen nun doch nicht erlebt. Gut,
es gab geschliffene Rhetorik und vieles lief wie vom Teleprompter. Aber der
amtierende Champion wurde auch sehr emotional, etwa als es um die Bewertung des
ISAF-Einsatzes ging. Als "reine Demagogie" brandmarkte er es, in
Afghanistan keine Verbesserungen zu erkennen. Welche, das sagte er konkret dann
aber nicht. Dafür bediente er sich gleich selbst demagogischer Techniken -
polarisierte extrem mit Gräueltaten der Taliban, überging gleichzeitig aber
geflissentlich etwa die Feuerhölle von Kundus, in der auch viele junge Menschen
ganz elendlich gestorben sein müssen. Auf die Frage, welche Art Einsätze der
Bundeswehr er nach ISAF erwarte und welche definitiv nicht, blieb er jede
Antwort schuldig.
Auch bei der Bewertung der Ausspähung
durch Nachrichtendienste war seine Einschätzung zwischen naiv und abwiegelnd -
"Wer will das denn alles lesen?" - um gleich an den folgenden Tagen
durch weitere Enthüllungen über das Brechen von Verschlüsselungen und das
Auslesen von Verbindungsdaten sicher geglaubter Mobilgeräte widerlegt zu
werden.
(2014/25) 9.9.2013
WZ / Bergischer Volksbote
lokale Berichterstattung zur Bundestagswahl 2013; Ekkehard Rüger
"Politrunde genügte sich selbst" (Bergischer Volksbote v. 6.9.2013,
S. 15)
Ausgerutscht, wie der Volksbote
schreibt? Vielleicht. Aber da gilt halt: Aufstehen, Krönchen richten,
weiterlaufen! Für mich hat sich der Abend gelohnt, speziell weil ich den
CDU-Kandidaten später auf Augenhöhe fragen durfte: Welchen Bundeswehreinsatz
könne er sich nach der Wahl vorstellen und welchen definitiv nicht? Er konnte
oder wollte darauf nicht antworten, auch sonst niemand auf dem Podium. Ich
hätte dazu immerhin einen konkreten Vorschlag.
Und nun zu den Ausrutschern. Mein
politischer Punkt ist hier: Die Abhängigkeit der Kommunen von der Gewerbesteuer
ist wie ein großes Kasino, in dem ein paar Profis ein paar Asse mehr im Ärmel
haben. Und da spielt es am Ende gar keine so große Rolle, ob Firmen wirklich
krank sind – Goetze war es im Jahr der großen Gewerbesteuer-Rückforderung wohl
nicht – oder ob sie sich nur lokal krankschreiben lassen. Und in dieser
Hinsicht könnte man die zwei Großen aus Burscheid auch schon mal verwechseln.
Nur eine Randnotiz: Ich hatte bei beiden Firmen einen Gesprächstermin erbeten.
Beide waren nicht interessiert und eine sprach dann auch Klartext: „Wir sind
mit der gegenwärtigen Administration sehr zufrieden.“ Schön das.
(2013/24) 30.8.2013
DER SPIEGEL
Syrien; Hans Hoying, Christoph Reuter und Alexander Bühler "Assads
kaltes Kalkül" (SPIEGEL 35/2013, S. 79ff)
Für einen Mord will man ein Motiv,
für den Massenmord an unschuldigen Kindern, Frauen und Greisen ein besonders
nachvollziehbares. Assad glaube schlicht, ihm könne keiner? Das ist kein
schlüssiger Handlungsanlass für den Chef eines in Ruinen fallenden Staats, ohne
Fahrkarte nach nirgendwo. Das ist der Vorwurf der Lästerung und die
ungeschminkte vogelfrei-Erklärung, gleichzeitig Motiv und
Der Artikel hätte der
Vollständigkeit halber noch erwähnen dürfen: Deutschland hat wackere Beihilfe
zu Aufbau und Versorgung sowohl der irakischen als auch der syrischen
Giftgas-Produktion geleistet - trotz geschäftiger
Kriegswaffen-Export-Kontrolle. Irgendetwas ist auch in unserem Staate sehr faul.
P.S.: Quellen zu Abs. 2
http://www.tagesspiegel.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/
(2013/23) 29.8.2013
Süddeutsche Zeitung
Syrien; Wolfgang Ischinger, Nie wieder Srebrenica (Süddeutsche v. 28.8.2013, S.
2)
Ischinger rückt den erwarteten
Militärschlag zutreffend in die Nähe einer Strafexpedition. An seinem
strategischen Plan bleibt dann aber der Übergang zu der eigentlich anvisierten
diplomatischen Lösung völlig unkalkulierbar. Und der Vergleich mit Bosnien ist
wohl eher vom dortigen Ergebnis her Wunsch-gedacht.
Die Problemlage in Syrien hat mit
Landkarten, Fahnen und Staatsangehörigkeiten kaum noch etwas zu tun. Moskau und
Washington mögen sich auch als diplomatische Garanten des Friedens verstehen –
am Verhandlungstisch müssten allerdings ganz andere Nationen und Gruppen
sitzen, wenn denn die Ergebnisse repräsentativ und nachhaltig sein sollten,
Gruppen, die man ggfs. nicht einmal aufwerten oder stärken will. Zum anderen
sind die großen Player der Geopolitik und ist insbesondere die sich nun wieder
formierende Allianz der Aktiven viel stärker in den Granattrichter-Teppich des
Nahen Ostens verstrickt, als dass sie als ehrliche Makler auftreten könnten.
Ihre unbezahlten Hypotheken reichen zurück zu der eigennützigen und bis heute
wirkenden Operation Ajax, mit der der säkulare iranische Staatspräsident
Mossadegh gestürzt und ein despotischer Reza Pahlewi installiert wurde, über
die fatale Waffenbrüderschaft mit einem – erst mit Giftgas-Technologie ertüchtigten
und später in die Schlinge fallen gelassenen – Saddam Hussein bis zu den
verwickelten Konfrontationen der neueren Zeit. Nichts, was den dringend
erforderlichen Vorschuss an Vertrauen und Verlässlichkeit schaffen würde, nur
immer mehr desselben.
Erst recht verstehe ich die
Dosierung nicht, in der Ischinger äußere Gewalt unterstützt – offensichtlich zu
wenig, um alle Konfliktparteien bis zur Passivität zu schwächen, offensichtlich
zu viel, um Frieden oder zumindest Waffenstillstand wahrscheinlicher zu machen
und neue zivile Opfer zu vermeiden. Aber wahrscheinlich genug, um die
Waffendepots nach dem bewährten Muster „old out, new in“ zu sortieren.
(2013/22) 22.7.2013
Das Parlament
Aussetzen der Wehrpflicht; Alexander Weinlein "Ein Staat baut auf die
Freiwilligen" (Das Parlament v. 15.7.2013, S. 6)
Die Wehrpflicht halte ich noch immer
für eine sachgerecht ernüchternde Fußfessel für ambitionierte Außen- und
Sicherheitspolitiker. Zumindest müssten die Tatbestandsvoraussetzungen einen
Auslandseinsatzes deutlich klarer definiert sein als durch dehnbare Begriffe
wie "Krise", "Konflikt" und "Vorbeugung", bevor
wir ganz auf die Freiwilligen bauen.
Darum will und kann ich unserem
Verteidigungsminister auch nicht darin zustimmen, die Auslandseinsätze und die
Neuausrichtung der Bundeswehr aus dem Wahlkampf herauszuhalten, wie er es noch
im Mai des Jahres gefordert hat. Schicksalhafte Fragen gehören in den Diskurs
mit den Wählern. Was sonst? Und: wann sonst?
P.S. Quelle zu der zitierten
Äußerung von Herrn BM de Maizière
http://www.presseportal.de/pm/
(2013/21) 21.7.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
Reaktion der Bundesregierung auf die "Prism"-Affäre (Burkard v.
Pappenheim "EU soll Daten nach deutschem Vorbild schützen", KStA v.
19.7.2013, S. 1; "Eine Bedrohung für uns alle", Interview mit der
Kanzlerin, ebd. S. 3)
Ob die EU Daten nach deutschem
Vorbild - oder jedenfalls ohne qualitative Abweichungen von unseren Standards -
schützen wird und ggfs. wann, das treibt mich eher wenig um. Die wesentliche
Frage ist, ob und wann die amerikanischen Dienste genau das tun würden und
inwieweit selbst der amerikanische Präsident seine Dienste beim besten Willen
beeinflussen könnte - zuverlässig und für uns transparent.
Wenn die Kanzlerin nun erstmal eine
eingehende Aufklärung des Sachverhalts ankündigt, so spielt sie am ehesten auf
Zeit. Der BND hat an der Berliner Chausseestraße jüngst eine
Geheimschutzfestung mit der Kantenlänge eines U-Bahn-Streckenabschnitts aus dem
Boden gestampft; er wird in seinen Hallen und Höhlen und auch aus der
jahrzehntelangen transallantischen Kooperation der Dienste über hoch
detaillierte Fakten verfügen. Sonst wäre der BND zum wiederholten Mal sein Geld
nicht wert.
Gleich zu Anfang des Interviews
fordert die Kanzlerin die Balance zwischen der - von ihr auch zuerst genannten
- Sicherheit vor Terrorismus und dem Schutz unserer Daten. Das aber sollten wir
nüchtern und mit dem gebotenen Augenmaß angehen: Die ganz wesentlichen Risiken
für unser Leib und Leben und für die Lebenschancen unserer Nachkommen, sie
resultieren nicht aus Terrorismus, sondern aus anderen, um Größenordnungen
relevanteren Ursachen. Und selbst im Falle des Terrorismus haben wir das Risiko
in den letzten Jahren wohl fortlaufend und mutwillig selbst erhöht, auch durch
eine von manichäischem Schwarz-Weiß-Denken geprägte Außen- und
Sicherheitspolitik. Die allerdings einigen unter uns großen Nutzen gebracht
hat. Ich votiere im Zweifel für den Schutz der Bürgerrechte.
(2013/20) 18.7.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
Wahlberichterstattung; Sarah Brasack & Daniela Fobbe-Klemm „Das Internet
kennt keinen Feierabend. Kandidaten im Bergischen Kreis bereiten sich auf den
Wahlkampf vor – auch mit Hilfe von Twitter und Facebook“ (Kölner
Stadt-Anzeiger, Ausgabe Rhein-Wupper v. 17.7.2013, S. 27)
Darf ich bescheiden drauf hinweisen?
Da wäre noch eine kleine, aber feine parteifreie Kandidatur für den
Rheinisch-Bergischen Kreis: Meine.
Und wer kann, der findet sie sogar in diesem neuen Internet.
(2013/19) 16.7.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
Extremismus unter Soldaten; Bericht und Kommentar von Mira Gajevic („Bundeswehr
zieht Extremisten an“, „Der MAD ist spät dran“, KStA v. 15.7.2013, S. 1 u. 4)
Der MAD ist sogar sehr spät dran. Das
damalige Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr in München hatte
bereits im Jahre 1993 in einer eingehenden Studie auf einen Trend der Bewerber
zum rechten Rand des politischen Spektrums aufmerksam gemacht, siehe das
SOWI-Arbeitspapier Nr. 77 vom März 1993. Im Grunde brauchte sich schon damals
niemand zu wundern, dass von einer robusteren Aufgabe robustere Kerle angezogen
werden.
Aber halt: Dürfen wir das derzeit
überhaupt debattieren? Hat nicht Verteidigungsminister de Maizière noch im Mai
den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten Steinbrück ganz ausdrücklich dafür
gelobt, dass dieser die Bundeswehr aus dem Wahlkampf heraushalten will? Und
hatte unser Verteidiger nicht noch zackig hinzugefügt, diese – das nenne ich
jetzt einfach mal so – Auszeit aus der Demokratie solle nicht nur für die
Auslandseinsätze gelten, sondern für die gesamte Neuausrichtung der Bundeswehr?
Lupenreine Demokraten allesamt, wie mir scheint.
P.S.: Quelle zur zitierten Aussage
des Verteidigungsministers:
http://www.presseportal.de/pm/55903/2468313/waz-verteidigungsminister-de-maizi-re-sicherheitspolitik-aus-dem-wahlkampf-heraushalten
(2013/18) 21.5.2013
Kölner Stadt-Anzeiger, publiziert 21.5.2013 unter http://www.ksta.de/politik/bundesrechnungshof-schon-frueh-bedenken-gegen-drohnenprojekt-,15187246,22799754,view,DEFAULT.html
gestoppte Beschaffung der Euro-Hawk-Drohne; Mira Gajevic „Druck auf de Maizière
wächst“, u. „Der fliegende Wal ist gestrandet“; Steffen Hebestreit „Im
Blindflug“ (KStA 21.5.2013, S. 1, 2 u. 4)
Die Drohnenprojekte sind von der
Art, die Regierungschefs, Verteidigungs- und Haushaltsausschüsse schnell und
nachhaltig betören kann: Trendige technokratische Problemlösungen mit einer
eingängigen Legende, mit dem Versprechen, auswärtige Gewalt ohne Reue und
gemeinsam mit Waffen- und Rüstungspartnern projizieren zu können,
perspektivisch gar noch bei anderen Waffensystemen einige Euro sparen zu
können.
Wie ein Schelmenstück wirkt, wenn
die deutschen Drohnen nun an Verkehrsregeln scheitern. Und nicht an dem sehr
ernsthaften Argument, dass sie nur ein weiteres Beispiel eskalierender Rüstung
sind, mit eher Konflikt-stärkendem als Konflikt-lösendem oder gar
Konflikt-vorbeugendem Potenzial, und dass sie in einem völkerrechtlichen Schattenreich
operieren.
(2013/17) 14.4.2013
Frankfurter Allgemeine
Zypern-Rettung; Holger Steltzner "Reiche Zyprer, arme Deutsche"
(F.A.Z. 11.4.2013, S. 1)
Was genau an den EZB-Zahlen zur
Vermögensverteilung in der EU ist so neu? Dass die deutsche Gesellschaft beim
Familienvermögen – ebenso wie bei den Bildungsschichten, und auch dadurch
perpetuiert – fest geschachtelt ist, das blieb vielleicht weithin unbeachtet,
war aber nicht unbekannt. Auch die im Ländervergleich signifikante deutsche
Spreizung ist ein eher alter Hut; der von Corrado Gini entwickelte
Koeffizient ist heute knapp über 100 Jahre alt und ein viel gebrauchtes
Standardwerkzeug. Und schließlich konnte man dies annehmen: Der Nutzen der neueren
ökonomischen Strategien weist einen Gradienten von oben nach unten auf -
unabhängig davon, wo die systemrelevanten Eliten gerade einmal lokalisiert
sind; und das gilt natürlich auch für die aktuellen Feuerwehreinsätze.
Aus meiner Sicht hat allerdings der
von Holger Stetzner am Ende herausgehobene Vergleich unter ehemaligen
Comecon-Volkswirtschaften mehr allgemeine Aufmerksamkeit verdient, mögen auch
diese Fakten bereits vorher recht gut erschlossen gewesen sein: Staaten ohne
einen starken internen Wiedervereinigungspaten haben es ganz offenbar besser
verstanden, das vorhandene und entwicklungsfähige Vermögen gleichmäßiger und
chancengerechter auf die i.J. 1989 anwesenden Landeskinder zu übertragen, als
das in den Spielregeln von Beitritt a.k.a. Wiedervereinigung für Ossis angelegt
war.
Genau dieser Umstand wird
Deutschland noch viel Frust-getragene DDR-Nostalgie bescheren und als rituelles
Gegenmittel wiederkehrende Berichte und erregte Plenardebatten über die breite
Aufarbeitung von SED-Unrecht. Obwohl die Opfer der ökonomischen
Wiedervereinigung mehrheitlich solche Bürgerinnen und Bürger im Osten waren,
die weder mit der SED noch mit der Stasi irgendetwas gemein hatten. Auch da
gibt es eben einen unverdienten und sehr bedauerlichen ökonomischen Gradienten.
Quellen:
-
Zur
EZB-Umfage siehe F.A.Z.-Beitrag mit Ländervergleich: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/armut-und-reichtum/ezb-umfrage-deutsche-sind-die-aermsten-im-euroraum-12142944.html;
Pressemitteilung der EZB v. 9.4.2013 (englisch) siehe hier: http://www.ecb.int/press/pr/date/2013/html/pr130409_1.en.html
-
Bericht
der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur siehe http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/121/1712115.pdf
; zur Debatte in der Plenarsitzung v. 22.3.2013 (TOP 30) siehe Protokoll http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17232.pdf
(2013/16) 22.3.2013
Frankfurter Allgemeine
ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter"; Debatte in der
Frankfurter Allgemeinen (u.a. Frank Schirrmacher "Die Geschichte deutscher
Albträume", F.A.Z. v. 15.3.2013, S. 31; Interview mit Nico Hofmann
"Es ist nie vorbei", F.A.Z. v. 18.3.2013, S. 27; Martin Schulz
"Was die Geschichte dieses Films uns lehrt", F.A.Z. v. 20.3.2013, S.
25)
Wenn ich die schwer entzifferbaren
Zeilen aus dem vielbändigen Kriegstagebuch meines Vaters lese – viele von uns
hüten wohl einen solchen Schatz – dann habe ich ganz andere Ängste, als dass
ich mit ihm zu wenig über seine Zeit in der Nähe von Kursk oder später bei
Belgrad gesprochen hätte; ich habe das Tagebuch auch für meine Kinder ins
Lesbare übersetzt. Mehr plagt mich vielmehr die Vorstellung, das Schlechteste sei
gar nicht nur zeitweise und unmittelbar kriegsbedingt zum Vorschein gekommen.
Sondern: Der Krieg habe den damals gegnerischen Völkern Lehren erteilt,
die noch heute Menschen fressen. Völkern, die in ihrer technokratischen
Orientierung schon seinerzeit seltsam verwandt und strukturell vergleichbar
waren und die gleichermaßen von darwinistischen Weltbeherrschungs- wie von
Endgegner-Phantasien geprägt waren und sind. Lehren, die den geopolitischen
Einfluss auch nach dem Krieg sehr robust sicherten und sichern, und das
besonders augenfällig bei zentralen Verlierern und Gewalttätern; Robert Harris
hatte dafür in seinem Romandebüt "Fatherland" ebenso irritierende wie treffende Bilder
gewählt.
Mich verstört, dass nach einer Zeit
der Benommenheit auch Deutschland wieder zurück zu einer heute gerne
beschworenen machtpolitischen Normalität gefunden hat. Zwar nicht zu einem
Vernichtungskrieg nach Maßstab der beiden Weltkriege, wohl aber zu
Interventionen und Strafexpeditionen – neudeutsch: zur power projection – wie im frühen 20. Jahrhundert, zur Zeit der
Hunnenrede. Der damalige Verband hat sich in ähnlicher Weise neu konfiguriert –
wie das sprichwörtliche Pack, das sich schlägt und flugs wieder verträgt.
Am meisten aber erschüttert mich:
Alles dies konnte ohne den sachtesten Federstrich des Grundgesetzgebers und
ohne ernsthafte gesellschaftliche Debatte voran schreiten. Das Konkreteste, was
wir zu den Gründen und Zielen der neuen Außen- und Sicherheitspolitik in Händen
halten, sind Weißbücher und Verteidigungspolitische Richtlinien:
Verfassungsrechtlich ein Nullum, noch eine Notverordnung hätte mehr
juristisches und demokratisches Gewicht. Mancher mag diese Politikentwicklung
fern der Bürger gar als besonderen Ausweis staatsmännischer Kunst rühmen, als
effiziente Führung eines zur Modernisierung alleine nicht fähigen Staatsvolks.
Doch machen wir uns nichts vor: Auch unser neues Bündnis hat, gemeinsam
handelnd oder auch getrennt, schon wieder einige Millionen Kerben auf dem Holz,
jede Kerbe ein Zivilist, darunter in großer Mehrzahl Kinder, Frauen, Greise.
Mit einem robusten Interventionismus zur Wahrung wohlverstandener Interessen
und trotz all der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und
der Barmherzigkeit, die wir ganz unverdrossen im Schilde führen.
Und nun geht es gar nicht mehr um
Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern. Es geht um die politisch Wachen und
Aktiven, geschätzt ab 12 Jahren Alter. Es geht auch um die hierzu schrecklich
nichtssagenden Wahlprogramme. Und es geht um hier und nun wieder verwüstete
Seelen. Wenn der Dreiteiler diese Reflektion anstieße und aus einer
Erinnerungskultur zu einer jetztzeitigen Besinnungskultur führte, dann wären
für mich Geld der Gebühreneinzugszentrale und die kollektive Zeit an der
Mattscheibe einmal sehr gut investiert.
(2013/15) 28.2.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
Bundeswehr; Interview
mit Verteidigungsmininister de Maizère am 24.2.2013 in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung u. UNIFIL-Vorkommnis; Kommentare von Steffen
Hebestreit „Kühler Dienstherr“ (Kölner Stadt-Anzeiger v. 27.2.2013, S. 4) u.
„Besser genau hinsehen“ (KStAnz v. 28.2.2013, S. 4)
Ich erwarte, unsere Außen- und
Sicherheitspolitiker werden sich im anlaufenden Wahlkampf an das Maß des
Verteidigungsministers de Maizière halten: Nicht nach Anerkennung gieren,
einfach gute Arbeit leisten. Dazu gehört als erstes, nach 20 Jahren nun endlich
eine differenzierte Bilanz der erweiterten Außen- und Sicherheitspolitik zu
ziehen, die Erfolge und die enttäuschten Erwartungen zu resümieren. Etwa: Was
bleibt von UNOSOM II, war LIBELLE notwendig und wird ISAF ein Erfolg gewesen
sein? Sodann, so hoffe ich, werden die Wahlbewerber in einem Dialog mit uns
Bürgern und speziell mit den Soldaten unter uns Bürgern einen aktuellen
Soldateneid und eine Wehrverfassung vereinbaren, die gegenüber dem Status des
Kalten Kriegs auf die neue Konfliktrealität zutrifft.
Ein klarer Auftrag, das hat fast
jeder schon zu spüren bekommen, erleichtert Berufswahl und Berufsausübung.
Unsere Soldaten brauchen keine maximierten Zustimmungsraten bei
Einsatzbeschlüssen; parlamentarische Einmütigkeit ersetzt keine
Rechtsstaatlichkeit oder auch nur Berechenbarkeit. Aber eine Sinn stiftende,
definierte – will sagen eine klar umrissene und begrenzte – Aufgabe wäre gegen
Frust und für wirksame innere Führung sehr wirksam. Sie würde auch gegen
aggressive Langeweile immunisieren, wie sie sich gerade im UNIFIL-Einsatz
realisierte.
(2013/14) 21.2.2013
Frankfurter Allgemeine
Promotionsüberprüfungen; Berichte u. Kommentierungen u.a. in der F.A.Z. v.
7.2.2013: Günther Nonnenmacher „Kein Ruhmesblatt“ u. Heike Schmoll „Nur
Verlierer“ (beide S. 1), Reinhard Müller „der Doktor vor Gericht“ u. Jürgen
Kaube „Akribisch“ (beide S. 8)
Die modernen akademischen Dramen
lösen in den Redaktionen und auch bei der schreibenden Leserschaft in der Regel
Nachsorge aus. Mal bedauernd, mal hämisch, mal das Verfahren oder die auf allen
Seiten Beteiligten hin und her wendend – seltener aber strukturell oder
gerichtet auf eine bessere Leistungsfähigkeit unserer so genannten
Wissensgesellschaft. Und wenn man einmal ganz profan annehmen darf, dass auch
akademische Auszeichnungen so wie auch andere sozialen Attribute auf
Marktkräfte reagieren, dann sollten auch ökonomische Werkzeuge als Remedur im
Blick bleiben.
Da wäre insbesondere die
entschlossene Verknappung und das Kappen aller Insignien, die sich am ehesten
akademischen Schein und bürgerliche Eitelkeit zunutze machen, – in bisweilen
sehr obskuren Händeln. Wozu sind Titel honoris causa oder – bei den Ingenieuren
– Ehren halber überhaupt gut, wenn man über die unmittelbaren Akteure hinaus
schaut? Muss, wer keine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit schreibt, aber an
der Universität teils launige, teils fahrige Vorlesungen anbietet, mehr als
„zeitarbeitender Dozent“ heißen? Pardon, liebe wirkliche Dozenten, wenn
überhaupt?
Wozu braucht es Amtsbezeichnungen
wie „Direktor und Professor“, die bestenfalls den Vakanzen-Annoncen der
betreffenden Einrichtungen eine Art Goldfaden einwirken sollen, die die
Wissenschaft aber rein gar nicht weiter tragen? Auch das so eingängige, weil
Fehlsteuerung annehmlich machende Verjährungsargument („Zitierfehler sind unschlüssigerweise
länger zu ahnden als Totschlag!“) kann man ganz anders wenden und fragen:
Müsste eine akademische Auszeichnung nicht eine aktuelle wissenschaftliche
Kompetenz anzeigen und wäre sie daher nicht zumindest jahrzehntweise durch eine
neue originelle Forschungsleistung und/oder eine veritable Lehrleistung
aufzupolieren – bis man seinen Titel dann, sagen wir ab siebzig, dauerhaft
versteinern lassen dürfte?
Man könnte auch ganzen Zünften die dort
in bedingtem Reflex, aber mit marginalem wissenschaftlichem Delta produzierten
Aushängeschilder ausreden. Das Tragen akademischer Grade, das so viele
Zeitgenossen beschwipst, könnten wir schließlich auch mit einer Genusssteuer
belegen, vielleicht gar Prämien ausloben für die, die ihren Titel ohnehin schon
Leid sind und abgeben möchten.
Nach alledem wäre nicht nur zu
hoffen, dass mehr Qualität die Quantität ablöst, sondern dass wir uns deutlich
degressiv mit den Höhen und Tiefen des Titelmarktes abzuplagen hätten, privat
wie medial.
(2013/13) 20.2.2013
Dolomiten, abgedruckt 26.2.2013
Promotionsüberprüfungen; Florian Stumfall „Zu viel der Ehre für Annette
Schavan“ (Dolomiten v. 19.2.2013, S. 3)
Die Zitierfehler in Annette Schavans
Dissertation werden kaum die Fähigkeit beeinflusst haben, ihre Referentenstelle
gut auszuüben und die junge Schavan wäre sicher selbst ohne Promotion für diese
Arbeit inhaltlich gut qualifiziert gewesen.
Die Defizite der derzeitigen wie
auch der voran gegangenen Affären und Debatten liegen eher in der
Personalisierung. Ernsthaft fragen sollte man strukturell – und das auch
fächer- und natürlich grenzüberschreitend: Sind die Insignien der Wissenschaft
nicht schon lange zu Lametta der selbst ernannten Wissensgesellschaften denaturiert,
zu einem bizarren Titelhandel rund um Ehrendoktorate, Honorarprofessuren oder
Lego-artig konfigurierte Dissertations-Themen im primären Interesse der
Doktorväter? In Deutschland darf man wohl auch die Amtsbezeichnung „Direktor
und Professor“, die einige Institutionen nutzen, zu diesem Markt der
Eitelkeiten rechnen.
Strategische Verknappung könnte den
Wert unserer Orden der Wissenschaft steigern. Vielleicht auch, akademische
Würden nur mit einer definierten Halbwertzeit zu vergeben. Dann braucht auch
niemand mehr das „Totschlags“-Argument mit der Verjährung zu bemühen.
Anm.
Unmittelbar nachdem ich obigen (kritischen) Leserbrief von meinem Mail-Account
abgesendet hatte, bekam ich schon Werbung
eines Schweizer Beratungsunternehmens eingeblendet, das sich auf die
Vermittlung von Dr.- und Professorgraden honoris causa bzw. von
Honorarprofessuren spezialisiert hat. Die Werbe-Bots sind offenbar noch recht
grobschlächtig in ihrer Zuordnung. Oder schon viel durchtriebener, als wir
denken.
(2013/12) 12.2.2013
DER SPIEGEL
Promotionsüberprüfungen; Jan Friedmann, Barbara Schmidt, Fidelius Schmidt u.
Markus Verbeet "Auf Abruf" (DER SPIEGEL 7/2013 S. 26f)
Nehmen wir doch
"Bildungsrepublik" und "lebenslanges Lernen" ernst und
drainieren den Markt der Eitelkeiten: Akademische Titel hielten nur auf Zeit -
oder auf Abruf - und wir würden sie wie einen Personenbeförderungsschein
verlängern, sagen wie alle zehn Jahre durch frischen Leistungsnachweis. Ab 67
dürften wir sie auch in unsere post-mortem-Visitenkarte meißeln lassen. Der
Honorar-Professor würde schlichter Dozent und die skurrile Amtsbezeichnung
"Direktor und Professor" firmierte künftig nur mehr als Direktor.
Vielleicht könnten wir sogar den Dr.-Ing. E.h. zum gemeinverständlichen
Dr.-Ing. h.c. umwidmen. Aber das wäre schon arg revolutionär.
(2013/11) 4.2.2013
DER SPIEGEL
Beschaffung von Drohnen für die Bundeswehr; Thomas Darnstädt „Ein Feind namens
Müller“ (DER SPIEGEL 6/2013 v. 4.2.2013, S. 41)
Volle Zustimmung! Das einzige, was
Drohnen mit Flugzeugen oder Artillerie gemein haben, das ist die attraktive
Beschaffung. Für mich gehören Drohnen zu den ehrlosen Strategien, die eine –
zunächst – ohnmächtige Wut auslösen können. Am Beispiel der Giftmischer und
Meuchelmörder hat Kant diese Art Cleverness als todsicheren Keim künftiger
Konflikte kategorisiert.
Quellen:
-
Zu
Kant / zu den von ihm so genannten "ehrlosen Stratagemen" wie
Meuchelmördern / percussores und
Giftmischern / venefici siehe seine
immer aktuelle Schrift "Zum ewigen Frieden", 1795, 6.
Präliminar-Artikel (Reklam-Ausgabe S. 7f, siehe in der folgenden
Internet-Ausgabe http://homepage.univie.ac.at/benjamin.opratko/ip2010/kant.pdf
auf S. 8).
-
Zur
Problematik automatisierter Waffen, u.a. Drohnen s. eingehend P. W. Singer,
Brookings Institution, Wash. „Der ferngesteuerte Krieg", Spektrum der
Wissenschaften 12/2010 S. 70ff = http://www.spektrum.de/alias/
(2013/10) 26.1.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
Zulassung von Frauen zu Kampfeinsätzen in den USA; Kommentar von Damir Fras
"Frauen an die Front" (KStA v. 25.1.2013, S. 4)
Schon das Aufheben der allgemeinen
Wehrpflicht und das Anlocken der jungen Menschen mit den schlechteren Bildungs-
und Erwerbschancen für die heute typischerweise robusten Auslands-Einsätze darf
man als Verleitung zur Prostitution verstehen. Oder: als schreienden Missbrauch
eines seit Jahrzehnten beständig wachsenden social divide. Aber jungen Frauen
die besonders attraktiven Kampfzulagen hinzuhalten, für Einsätze, die
lebensgefährlich sind und die den allermeisten männlichen Parlamentariern nicht
einmal im Traum in den Sinn kämen, das ist aus meiner Sicht nochmals anrüchiger
und krass menschenverachtend – auch in Deutschland.
Ich halte nichts von Kinder, Küche,
Kirche. Aber K wie Krieg ist nicht die Alternative.
(2013/09) 22.1.2013
FOCUS, abgedruckt 28.1.2013
Mali; Harald Kujat "Gute Gründe zum Handeln" (FOCUS 4/2013, S. 30)
In einem militärischen Eingriff zu
Gunsten eines bedrohten Regimes steckt das jedenfalls stillschweigende
Versprechen, man wolle das betreffende Land in die eigenen
Wirtschaftsbeziehungen einbinden und so auch dauerhaft stabilisieren,
jedenfalls nach erfolgreichem Abschluss der Kampfhandlungen. Auch Harald Kujat
betont in seinem Planspiel zu Recht den ökonomischen Teil einer
Gesamtstrategie. Realitätsnah scheint mir eine solche Perspektive im Falle
Malis aber nicht zu sein – wenn dies schon bei einem kulturell wie ökonomisch
recht nahestehenden Land wie Griechenland trotz jahrzehntelanger systematischer
Bemühung beider Seiten nicht recht glücken will. Um gar nicht erst von einem
strukturell besser vergleichbaren und weitgehend hoffnungslosen Fall wie
Afghanistan zu sprechen.
Ich sehe erhebliche Risiken und -
wenn überhaupt - dann ausschließlich gruppendynamische bzw. bündnispolitische
Gründe für ein robustes Mitwirken, und zwar nach dem eher berüchtigten Muster
"TINA" oder: there is no
alternative.
(2013/08) 22.1.2013
DIE ZEIT, abgedruckt 31.1.2013
Mali; Andrea Böhm "Al-Kaida im Nachbarhaus" (DIE ZEIT 17.1.2013, S.
5)
Okay – mögen unsere Politiker uns
Bürger mal nicht verwöhnen, sondern intellektuell fordern, nach bester
Pädagogen-Manier: Mit einer ergebnisoffenen Debatte um die eigenen Interessen,
die eigene Rolle und die künftige Priorität unserer Außenpolitik. Nicht nur an
einem ad-hoc-Beispiel, sondern wie es sich für Demokratie und Rechtsstaat
gehört, also ganz nach Muster des kategorischen Imperativs. Dazu gehört auch
eine offene Evaluation der bisherigen Missionen, des jeweiligen Nutzens, der
Folgen und Lasten, also der „lessons
learnt“. Oder: Wie effektiv konnte Deutschland konkret welche Interessen
militärisch wahren, in den bald zwanzig Jahren „out-of-area“? Ich befürchte nur: Unsere politische Klasse denkt
noch immer so, wie es der damalige Außenminister Kinkel im Bundestagswahlkampf
1993/94 einmal in einem Interview mit n-tv freimütig bekannte: „Ich möchte
wirklich ungern mit diesem Thema in zwanzig Wahlkämpfe gehen, weil dies
Deutschland schadet.“ Solches Denken macht zwar das Bündnisleben leichter,
höhlt indessen die Demokratie aus.
Anzumerken bleibt: Der Konflikt in
Mali und mögliche Lösungswege sind wohl nicht ohne die ursächliche Wirkung
voran gegangener Auseinandersetzungen zu erfassen, insbesondere in Afghanistan
und im Maghreb. Belmokhtar und Bin Ladin haben eine sehr ähnliche Entwicklung
genommen; beide wurden mit der Unterstützung von Amerikanern und Pakistanis als
hocheffiziente Mu’dschaheddin konditioniert oder: im Dschihad gegen das
sowjetische Dar al-Harb, das Haus des Krieges. Krieg gegen den Westen, gegen
das Nachbarhaus der Sowjets, ist da nur ein minimaler Übersprung. Jeder dieser
Konflikte, ob in Afghanistan, im Irak, in Libyen oder nun in Mali taugt
offenbar ohne Weiteres als Brutreaktor eines folgenden. Das sollten wir ins
Kalkül ziehen.
(2013/07) 22.1.2013
Kölner Stadt-Anzeiger; veröffentlicht am 22.1.2013 als Internet-Kommentar
Mali; Niebel befürchtet Kriegsausweitung (KStA v. 22.1.2013, S. 4)
Es spricht viel dafür, über
Koexistenz und Hilfe nachzudenken. In den letzten 20 Jahren hat sich in der
Region um Timbuktu die Desertifikation um die Größenordnung von 100 km nach
Süden verschoben – wohl nicht ohne unsere Mitverantwortung, wenn man die
Klimaforschung ernst nimmt. Timbuktu versinkt im Sand und das einzige, was dort
fließt, sind die Waffen, die man im Maghreb hat niederregnen lassen. In den
letzten 20 Jahren haben wir das vorher von den Blöcken emsig umworbene und
alimentierte Afrika, insbesondere die wenig Ertrag versprechenden Regionen und
Völker, weitestgehend ausgeblendet, auch Mali; das rächt sich jetzt bitter. Und
wenn wir konsequent alle die niederkämpfen wollten, die die Scharia eng
anwenden oder gar offensiv verbreiten, dann müssten wir wohl bei Saudi Arabien
anfangen.
(2013/06) 22.1.2013
DER SPIEGEL
Mali; Paul H. Mben u. Jan Puhl "Die Tore der Hölle" (DER SPIEGEL
4/2013, S. 84ff)
Es erinnert an den Zauberlehrling.
Alle aktiven Komponenten des Konflikts stammen aus dem Norden: Gier nach
Ressourcen bei Desinteresse an Menschen / Verantwortung für dynamische globale
Desertifikation und für ein Timbuktu, das im Sand erstickt / Aktivisten wie
Belmokhtar, in Afghanistan noch gegen die Sowjets konditioniert / eine Scharia,
von den Saudis hart angewandt und aggressiv vermarktet. Und natürlich die
Waffen, frisch aus dem Maghreb. Wenn uns da nur mehr vom Gleichen einfällt,
steht genau mehr vom Gleichen zu erwarten.
(2013/05) 21.1.2013
Frankfurter Allgemeine
Mali; "De Maizière gegen Ausweitung ...", "Chaostruppe",
F.A.Z. v. 21.1.2013, S. 1, 10; Thomas Scheen "Auf sich allein
gestellt", F.A.Z. v. 18.1., S. 3; Günther Nonnenmacher "Berlin
prüft", F.A.Z. v. 15.1., S. 1; Christian von Hiller "Mali - das
sagenhafte Reich voller Gold und Bodenschätze", F.A:Z. v. 15.1., S. 10;
Berthold Kohler "Deutsch-Nordwest?", F.A.Z. v. 14.1., S. 1
Alle die sattsam bekannten Module,
sie sind wieder da: Ein Staat prescht vor, möglicherweise zum persönlichen Ruhm
und Nutzen des Staatschefs, aber jedenfalls zur Wahrung der nationalen
Interessen, auch bei der Energie- oder Rohstoffversorgung aus der fraglichen
Region. Das Zielland hatten wir alle eine Zeit lang aus den Augen verloren
– zu wesentlichen Teilen hatte es nach Ende der Blockkonfrontation
nicht mehr viel gegolten. Ein Endgegner ist definiert, der ruchlos, zumindest
nicht nach unseren Regeln denkt und zu massenhafter Vernichtung fähig scheint,
und zwar gleich unter uns; dieser Feind hat, direkt oder indirekt, von unseren
Waffenlieferungen profitiert und zentrale Figuren - wie in casu Belmokhtar -
haben ihr Handwerk und ihren Furor in Afghanistan gegen die Sowjets erworben.
Das nun durch Intervention zu stützende Regime hat alles andere als einen guten
Leumund. Und zuletzt, aber nicht zumindest: trotz aller Schwachstellen der
Mission wird für die Deutschen bereits der üble Ruf von Undankbarkeit und
Feigheit für den Fall bereit gehalten, dass wir nicht zu den Fahnen
eilen und dem wackeren Nachbarn beistehen.
Den schlüssigen Plan für die
Zukunft, den gibt es freilich wieder nicht, auch kein politisches, kein
demokratisch abgesichertes Konzept, wie wir diese Kette von Gewaltexkursionen unterbrechen
wollen – außer durch mehr Technik, mehr Rüstung, mehr Schulterschluss, mehr
Tricks und Finten, mehr Abschreckung; mehr vom Gleichen also.
Vielleicht können wir uns einmal
nicht wie erinnerungsschwache Zauberlehrlinge gebärden und statt dessen über
neue Module nachdenken: Über die Elemente einer nachhaltig kooperativen
Koexistenz mit den Völkern und Stämmen dieses gottverlassenen Landstrichs, ohne
jegliche Mentalreservation zum eigenen Nutzen. Und möglicherweise können wir
allen manichäischen Domino-Theorien und auch allen selbst-referentiellen
Monroe-Doktrinen entsagen. Selbst die gerade wieder viel zitierte Scharia
hindert unseren Dialog wohl nicht grundsätzlich: Wird die Scharia
nicht seit Menschengedenken nach einer besonders strenggläubigen
Schule in einem uns sehr verbundenen Land angewandt und auch von dort druckvoll
exportiert: in und von Saudi Arabien?
P.S.
Sehr instruktiv war für mich, noch einmal Peter Grubbes "Der Untergang der
Dritten Welt. Der Krieg zwischen Nord und Süd hat begonnen" (1991/1994)
zur Hand zu nehmen. Grubbe beginnt gerade mit einer düsteren Reportage aus
einem bereits damals zunehmend im Sand versinkenden und völlig hoffnungslosen Timbuktu und
leitet die dynamische Zunahme gewaltsamer Konflikte u.a. aus dem schlagartig
entzogenen Engagement des Westens bzw. aus der strikten Priorisierung zu
Gunsten der eigenen "wohlverstandenen Interessen" ab.
(2013/04) 16.1.2013
Kölner Stadt-Anzeiger, veröffentlicht am 16.1.2013 als Internet-Kommentar
Mali; Axel Veiel „Hollande, der Feldherr““ (KStA v. 14.1.2013, S. 4)
Ob Dank der Militärintervention die Chancen
steigen, dass aus Mali wieder ein funktionierendes Staatswesen nach unserem
Geschmack wird, das mag man mit guten Gründen auch bezweifeln. Zumindest
irritiert doch sehr, dass das Land - obwohl Musterland und wohl auch von
strategischem Interesse - so lange aus den Augen war und schon lange einem
"failed state" ähnelt. Oder dass Waffen, die der Westen freigiebig
auf Libyen regnen ließ, so schnell eine neue Verwendung gefunden haben.
Die Effizienz einer außen- und
wirtschaftspolitischen Denkrichtung, die Afghanistan, Ägypten, Irak, Iran,
Jemen, Libyen, Mali, Pakistan, Saudi-Arabien und Syrien (Reihung hier schlicht
alphabetisch) in ihrem jeweiligen heutigen Zustand möglich gemacht, darf
getrost in Frage gestellt werden.
(2013/03) 15.1.2013
DIE WELT, abgedruckt 18.1.2013
Mali; Kommentar Michael
Stürmers "Spät kommt ihr" (DIE WELT 15.1.2013, S. 3)
Wenn Konflikte dieser Art mehr und
mehr zur Regel werden, dann sollte jedenfalls ein Rechtsstaat, sollte
insbesondere eine Demokratie möglichst trennscharfe Regeln für den Einsatz und
die Grenzen militärischer Gewalt ausbilden, sollte also Berechenbarkeit,
Vertrauen und Klarheit nach innen und außen schaffen. Das braucht auch keine
100.000 Seiten; ganz sicher würde eine einstellige Zahl völlig reichen. Wenn es
nur einmal jemand anpacken würde, dabei auch nüchtern die Erfahrungen aus
Somalia, dem Irak und Afghanistan nutzen würde. Im ersten relevanten
Bundestagswahlkampf nach der 1990er Zeitenwende hatte sich der damalige
Außenminister Kinkel noch sehr bedeckt gehalten: Er wolle mit diesem Thema
nicht in Wahlkämpfe gehen, weil das Deutschland schade. Gerade steht wieder
eine Wahl an - es ist noch nicht zu spät.
Noch eine Anmerkung: Die Waffen der
malischen Islamisten stammen, wenn ich's recht verstehe, nicht nur aus schlecht
gesicherten Beständen Gaddafis, sondern zu einem signifikanten Teil auch von
den früheren libyschen Aufständischen bzw. von deren Unterstützern sowie aus
ähnlich gelagerten Konflikten. Hergestellt sind sie allesamt in
Industriestaaten.
(2013/02) 15.1.2013
Kölner Stadt-Anzeiger
etwaiger deutscher Beitrags zur Mali-Intervention; Steffen Hebestreit
"Volle Rückendeckung für Frankreich" und "Bundeswehr nach Mali“
(KStA v. 14.1.2013, S. 3, 4); Axel Veiel "Der Zauderer als Feldherr"
(KStA v. 15.1.2013, S. 4)
Steffen Hebestreit hat den
Mechanismus knapp und zutreffend beschrieben: Der Westen hat Mali Hilfsgelder
gestrichen, seine Armee und der ganze Staat sind geradezu implodiert und nun
muss der Westen mit Gewalt intervenieren - wohl auch, um eigene Interessen und
Ressourcen zu sichern, und vielleicht auch, um Führungsstärke zu beweisen.
Nachhaltig fühlt sich diese Politik nicht an, aber heute auch nicht ungewohnt.
(2013/01)
11.1.2013
TIME magazine
Taliban; violent resistance against polio vaccination campaigns; Jeffrey
Kluger's and Aryn Baker's article "Killing polio" (TIME No.
1/2013 p. 16 ff)
Blaming
the Taliban as patrons of polio on the first TIME front page of 2013 may
significantly add to public Manichaeism. Due to a multi-centennial experience
the peoples of
And
you may do different calculations as to public health, more blaming the West,
e.g. in respect of some thousand Afghan civilian casualties following the
ongoing military interference, or drug production, consume & exports,
skyrocketing after the Kabul regime change of 2011.
P.S.
as to civilian casualties of the Afghanistan mission cf. the report of Susan G. Chesser, US Congressional
research service, of Dec. 6, 2012, p. 3 f = http://www.fas.org/sgp/crs/
(2012 / 42) 23.12.2012
Kölner Stadt-Anzeiger
Demografie; Kommentar von Tobias Kaufmann "Der Staat macht keine
Kinder" (KStA v. 22./23.12.2012, S. 4)
Neben den erwähnten Gründen für
zunehmende Kinderlosigkeit mag man noch ein weiteren sehen: Konsum und Kinder
sind Fressfeinde. "Ich bin doch nicht blöd!" meinte zumindest auch
"Ich bin doch nicht so blöd und kaufe Windeln!" Und
Unterhaltungselektronik verspricht aller Komplexität zum Trotz noch immer
Beherrschbarkeit - und sei es am Stecker.
Es ist ein wenig in Vergessenheit geraten:
Speziell Mecklenburg-Vorpommern, unser heutiges demografisches Sorgenkind,
hatte eine Alterspyramide zum Vorzeigen, als es noch nicht McPomm hieß,
unmittelbar vor der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Kinder hatte nicht der
Staat gemacht, richtig. Aber Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung und das sog.
"Abkindern", der Teilerlass von Baudarlehen, zeugen von einer
gewissen Mittäterschaft. Der Regionalvergleich der im Kommentar zitierten
Studie zeigt noch heute signifikante Unterschiede zwischen West und Ost,
allerdings auch den überproportionalen Rückgang in den neuen Ländern.
Quelle: Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
„Keine Lust auf Kinder“ vom Dezember 2012
http://www.bib-demografie.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Download/Broschueren/keine_lust_auf_kinder_2012.pdf?__blob=publicationFile&v=9
(2012 / 41) 18.12.2012
SPIEGEL
Beschneidungsgesetz; Essay von Necla Kelek "Akt der Unterwerfung"
(SPIEGEL 51/2012 v. 17.12.2012, S. 74f)
Necla Kelek zeigt auf den massiven
rhetorischen Webfehler der Gesetzesbegründung und einiger darauf beruhender
Beiträge aus der Bundestagsdebatte: Eltern können das Kindeswohl aus der
Kindesnähe heraus typischerweise besser verfolgen, soweit noch richtig. Aber
das Nähe-Argument greift nur, solange die Entscheidung der Eltern frei ist
und nicht schon von einer anderen Instanz mit real unwiderstehlichem
Drohpotenzial vorgegeben ist - letzteres ja noch wirkungsvoller, wenn es gar
keine ernstzunehmende Integration gab.
Der Staat und auch die Kirchen haben
mit hastigem Wegschauen und oberflächlicher Institutionenpolitik gerade viel
Kapital verspielt, jedenfalls bei mir. Am meisten stört mich, dass das
systematische Wegschauen in den Dreissiger und Vierziger Jahren die nunmehrige
Apathie alternativlos gemacht haben soll.
Quelle
Die amtliche Begründung zitiert gem. Drs.
17/11295, S. 12 für das Vorrecht der Eltern bei der Bestimmung des
Kindeswohls die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 9.2.1982, Az. 1
BvR 875/79 = BVerfGE 59, 358, 371. Dort heißt es unter juris-Rn. 64 wörtlich, Hervorhebung
von mir:
"Das Elternrecht unterscheidet sich von den anderen Freiheitsrechten
des Grundrechtskatalogs wesentlich dadurch, dass es keine Freiheit im Sinne
einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern zum Schutze des Kindes gewährt.
Es beruht auf dem Grundgedanken, dass in aller Regel Eltern das Wohl des Kindes
mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution."
(2012 / 40) 18.12.2012
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 2.1.2013
Beschneidungsgesetz; Heribert Prantls Kommentar "Das Minimum"
(Süddeutsche v. 13.12.2012, S. 4)
Was ist der konkurrenzlose Vorteil
einer pluralistischen, einer multikulturellen, einer multireligiösen
Gesellschaft? Aus meiner Sicht weniger das Abschotten und mehr der gemeinsame
Vorrat an humanen Modellen, der offene Diskurs und das gemeinsame Lernen,
auch das gemeinsame Verlernen.
Der Regierungsentwurf zum
Beschneidungsgesetz enthält auf S. 11 einen der skurrilsten offiziellen Belege,
die ich in dieser Republik je gelesen habe: "Aus Bayern wurde 1843
der Fall berichtet, dass die Polizeibehörde einen jüdischen Vater, der sich
geweigert hatte, seinen Sohn beschneiden zu lassen, sogar anwies, sein Kind
beschneiden zu lassen: Solange er der Religion angehöre, habe er sich auch
deren Religionsgebräuchen zu unterwerfen (Der Orient 1843, Heft 40, S.
316)." Das ist die gute alte Ordnung der Schublade und der
Ohrenmarken, die Bestimmung des Lebensweges von Geburt an, die Gesellschaft des
Nebeneinander und Untereinander, das bisweilen peinlich berührte
Wegschauen.
Es ist nicht einmal sicher, dass der
Strafrichter nun vor harten Entscheidungen sicher ist. Den konzentriertesten
Beleg für die ungewöhnliche Unbestimmtheit des Gesetzes - etwa zur unabhängigen
Aufklärung, zum Gewährleisten einheitlicher humaner Behandlungsstandards und zu
einer hinschauenden Evaluation - liefern die Ausschussbegründungen aus dem
Bundesrat und aus dem Bundestag.
Quellen
-
Gesetzentwurf
v. 5.11.2012:
http://dip21.bundestag.de/
-
Stn. Rechtsausschuss / Gesundheitsausschuss des Bundesrates v.
19.10.2012:
http://www.bundesrat.de/cln_
-
Stn. Rechtsausschusses des Bundestages v. 11.12.2012
(gesonderter Bericht in Drs. 17/11814 = Begründung der Beschlussempfehlung in
Drs. 17/11800 vom Vortage):
http://dip21.bundestag.de/
(2012 / 39) 21.11.2012
Kölner Stadt-Anzeiger
Aufgaben der Bundeswehr; Aufruf von Lothar de Maizière zu einer breiten Debatte
der Aufgaben und Einsätze der Bundeswehr (Steffen Hebestreit u. Volker Schade
"Minister fordert Einsatz-Debatte", Kölner Stadt-Anzeiger v.
21.11.2012, S. 1; Burkhard von Pappenheim "Deutschland muss helfen",
ebenda S. 4; auch zu „Gezielte Tötung ist erlaubt“, Interview von Mira Gajevic
mit Prof. Heintschel von Heinegg, Kölner Stadt-Anzeiger v.
16.11.2012, S. 3) der nachfolgende Leserbrief:
Chapeau! Lothar de Maizières Appell
zur tiefgreifenden gesellschaftlichen Debatte über die Auslandseinsätze der
Bundeswehr trifft den Kern und kommt für den anlaufenden Wahlkampf zum 18.
Bundestag gerade richtig: Für genau welche Werte sollen Bürgerinnen und Bürger
- und das sind unsere Soldatinnen und Soldaten eben auch nach Aussetzen der
Wehrpflicht - ins Feld ziehen? Was sind die Lektionen, die wir nach inzwischen
mehr als hundert Einsatzbeschlüssen des Bundestages gelernt haben, was die
Erfolge, was die eingesetzten Ressourcen und die Nebenfolgen? Welche
Instrumente sehen wir als sachgerecht und hilfreich bei der Deeskalation von
Konflikten an - wie steht es etwa mit verdeckt operierenden Einsatzkräften oder
mit fernwirkenden Drohnen?
Ich hoffe, alle Parteien nehmen den
Ball aktiv auf und schreiben Greifbares und Auswahlfähiges in ihre Programme -
und alle gesellschaftlich relevanten Gruppen wie die Glaubensgemeinschaften,
die Verbände, die Wissenschaft und die Medien bereichern die Debatte mit
konkreten Positionsangaben und Informationen. Dann kann die 2013er Wahl auch zu
diesem für unsere Zukunft höchst relevanten Thema endlich eine legitimierende
demokratische Aussage treffen.
Quellen
-
Liste
der Einsatzbeschlüsse des Bundestages s. unter http://www.vo2s.de/mi_
-
Zur
Problematik automatisierter Waffen, u.a. Drohnen s. eingehend P. W. Singer,
Brookings Institution, Wash. „Der ferngesteuerte Krieg", Spektrum der
Wissenschaften 12/2010 S. 70ff = http://www.spektrum.de/alias/
(2012 / 38) 14.10.2012
Kölner Stadt-Anzeiger
Beschneidung; zum Bericht und Kommentar von Thomas Kröter im KStAnz v.
26.9.2012 S. 1, 4 („Beschneidung soll straffrei bleiben“, „Die Debatte
beruhigen“); Notiz im KStAnz v. 11.10.2012 S. 3 („Kabinett billigt
Gesetzentwurf“) und Bericht im Internet-Angebot des KStAnz v. 11.10.2012 „Protest gegen Beschneidungsgesetz““
Es ist ein Dilemma von der Klasse
eines antiken Dramas, zweifellos: Politische Korrektheit sollte
eindeutig und stringent sein, im Idealfall wie Mathematik, und hier haben wir
einen massiven Korrektheits-Konflikt. Das körperliche Zeichnen von Neugeborenen
im Intimbereich ist eine Form der genitalen Verstümmelung, sie widerspricht
allen aufklärerischen Werten und ist eindeutig inkorrekt. Aber das plötzliche
und schockhafte Verbieten einer Jahrtausende währenden und durchgehend
hingenommenen, selbst während der nationalistischen Gewaltherrschaft nicht
verbotenen Praxis gegenüber einer in Deutschland – historisch praktisch noch
gestern – mörderisch verfolgten Glaubensgemeinschaft ist ebenfalls politisch
inkorrekt. Vielleicht gar noch politischer inkorrekt, zumal auch die
christliche Kindstaufe das – wenn auch symbolische – Binden
Entscheidungsunfähiger ist. Dann Augen zu und durch, in einer durch diesen
offenbaren Konflikt paralysierten bzw. sedierten Gesellschaft?
Die Lösung kann nur in einem
gesellschaftlichen Prozess liegen, in einem Aufeinanderzugehen und in
behutsamem Lernen, nicht in einer Ad-Hoc-Regelung. Ein Baustein, der beide
Sichten und Bedürfnisse verbindet, wäre etwa eine zunächst symbolische und im
Zeitpunkt der Selbstbestimmungsfähigkeit dann auch reale Beschneidung, nach
Aufklärung über die Vor- und Nachteile nach dem aktuellen Stand der
Wissenschaft. Das entspricht auch der Positionierung des Bundesverbandes der
Kinder- und Jugendärzte v. 11.10.2012. Begleiten sollten
wir dies durch eine bereits frühe Information über den gemeinsamen
Wertevorrat unserer Hauptreligionen, auch über ihre Überlieferungen, Riten und
Feste. Ich selbst habe erst vor wenigen Tagen bewusst wahrgenommen, am 1. Januar
werde traditionell die Beschneidung Jesu zelebriert.
(2012 / 37) 14.10.2012
DIE ZEIT
Beschneidung; Mariam Lau, „Die Sache mit der Beschneidung“(DIE ZEIT v.
11.10.2012, S. 5)
Mich zerreißt die Frage auch, da ich
derzeit keine politisch korrekte Lösung sehe - zwischen den aufklärerischen
Werten und einer jahrhundertelang hingenommenen, global verbreiteten Praxis,
deren Nichtbeachtung viele Eltern in einen Gewissenskonflikt führen muss. Den
Regierungsentwurf halte vich - wohl weil der Eile geschuldet - für materiell
sehr dünn und wenig tragfähig.
Zu den Placebos des Entwurfs ist die
effektive Schmerzbehandlung und die Aufklärung der Eltern zu rechnen, s.
Erläuterungen des Besonderen Teils zu § 1631d neu (B, zu § 1631d neu,
Absatz 1, Satz 2, Buchst. b und c, S. 23f). Beides wird in der neu eingefügten
Vorschrift gerade nicht explizit gemacht, sondern als quasi selbstverständlich
aus dem bereits bestehenden Normenbestand abgeleitet. Tatsächlich sieht die
Praxis bei wichtigen Zielgruppen völlig anders aus, die reale Informations- und
Gestaltungswirkung des Entwurfs dürfte damit in diesen Punkten sehr begrenzt
bleiben, zumal mit Klagen kaum zu rechnen sein wird. Speziell die Erwähnung
einer Pflicht zur Schmerzbehandlung hat am ehesten sedierende,
Empathie-kappende Wirkung für das Gesetzgebungsverfahren und
die unbeteiligte breite Öffentlichkeit.
Und nehmen wir dennoch an,
Aufklärung erfolge wirklich, im Einzelfall oder sogar regelmäßig: Wenn sich
diese Aufklärung dann am Standard der verharmlosenden und oberflächlichen
Darstellung im amtlichen Gesetzentwurf orientierte – siehe dort einerseits das
stark übertreibende und gerade am Fall des Neugeborenen völlig vorbeigehende
Herausstellen medizinischer Vorteile, andererseits die stark beschnitten
anmutende Dokumentation physischer und psychischer Folgen (A II 4, S. 7f, 9 des
Entw.) – dann würde sie ganz offenbar keinen signifikanten Anstoß zu einer
elterlichen Entscheidung gegen Beschneidung liefern können. Sie würde
das „weiter so“ unterstützen.
Angemerkt sei ferner: Der Entwurf
schneidet an einer sensiblen Stelle – zurückhaltend gesprochen – sehr grob. Er
leitet das Recht zur Zirkumzision Neugeborener u.a. aus dem Erziehungsrecht
her, was in meinen Augen schon ein rechtes Sprachkunststück ist, denn Erziehung
und Gestaltung des kindlichen Körpers sind wohl sehr unterschiedliche
Kategorien. In der Herleitungskette dieses „Erziehungsrechts“ bezieht sich der
Entwurf dann aber noch für die „Teilnahme an religiösen Handlungen, die ein
Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet“ auf einen Beschluss des
Verfassungsgerichts aus dem 93. Entscheidungsband (A III 1 c, S. 14 des
Entwurfs). Diese Entscheidung ist unter Kennern als Kruzifix-Urteil bekannt und
ganz sicher will sie keine erhöhte Verfügungsmacht der Eltern über die Körper
ihrer schutzbefohlenen Kinder empfehlen oder begründen.
Ich habe hohe Sympathie für die
Positionierung des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte v. 11.10.2012,
wonach ein Kind nach Erreichen der Religionsmündigkeit den positiven Willen
äußern müsste und dürfte, aus religiösen Gründen beschnitten zu werden.
(2012 / 36) 13.10.2012
DIE WELT
Beschneidung; Matthias Kamann "Beschneiden will gelernt sein" (DIE
WELT 11.10.2012, S. 4)
Sollte irgendein Parlamentarier
angesichts eines Gesetzentwurfs, der schalmeienhaft die Vorteile der
Beschneidung preist, mit Beispielen, die aber in aller Regel die Neugeborenen
unter uns gar nicht interessieren müssen, weiter angesichts eines Entwurfs, der
die gesundheitlichen und psychosozialen Konsequenzen einer Zirkumzision zackig
mit einem bis dato ungelösten Gelehrtenstreit abtut und mit der „Evidenz
normaler Lebensverhältnisse“ von einer Milliarde heute schon Beschnittener –
sollte also einer unserer Repräsentanten auf den Gedanken kommen, sich selbst
oder seinen Stammhalter an einer der sensibelsten Stellen mannhaft und trendig
kürzen zu lassen: Ich rate sehr dringend davon ab. Und zufällig weiß ich sogar,
wovon ich spreche. Hautnah.
(2012 / 35) 12.10.2012
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei der Beschneidung
des männlichen Kindes; Kommentar von Reinhard Müller „Kindeswohl“ (F.A.Z. v.
11.10.2012, S. 10)
Die einzig tatsächlich näher
bedenkenswerte – weil für das Kind bedrohliche – Folge einer Einschränkung des
elterlichen Beschneidungsrechts ist das Abdrängen dieser Operation in einen
illegalen Untergrund, wie es auch der Regierungsentwurf kurz unter
„medizinethische Aspekte“ erwähnt (A II 5 des Regierungsentwurfes vom
8.10.2012, S. 10).
Allerdings ist das eine geradezu reflexhafte Argumentationslinie. Sie spielte
etwa bei einer fast zeitparallelen Debatte in New York rund um die für mich
heute schwer vorstellbare Praxis der Metzitzah B’peh eine wesentliche
Rolle – im englischen Sprachgebrauch oral suction, das Absaugen des
bei der Beschneidung austretenden Blutes durch den Beschneider. Und dieses
Argument wäre im Grunde inhaltsgleich anzuwenden auf die
nach wie vor weit verbreitete weibliche Genitalverstümmelung.
Die Argumentation mit einem
"Schlimmeres verhüten" wäre die billige Selbstaufgabe des Rechts- und
Verfassungsstaates gegenüber überlieferten Bräuchen, die für die Gesundheit und
freie Entwicklung der Kinder schädlich sind. Offene Debatte, Hinschauen und Aufklärung
ist der bessere Weg. Die abrahamitischen Religionen schenken uns unverzichtbare
und auch zeitlos gültige Beiträge zur Ethik des gedeihlichen Zusammenlebens.
Die Beschneidung zählt nicht dazu. Sie hat wohl Alter, aber keinen ethischen
Inhalt und sie ist heute nur, weil sie ist. Treten wir ein paar Meter zurück,
erweist sich die Beschneidung als gelebte Jungsteinzeit, als das
schlimmst-mögliche Willkommen in unserer jetzigen Menschenwelt. Übrigens:
Sollte mich jemand für nur theoretisch betroffen halten - er hätte unrecht.
P.S. zur Metzitzah
B’peh siehe Beitrag in der F.A.Z.: http://m.faz.net/aktuell/politik/ausland/beschneidung-in-new-york-der-kampf-des-rabbis-11908568.html
(2012 / 34) 11.10.2012
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt: 29.10.2012
Beschneidung; Kommentar von Heribert
Prantl "Warum ein unnötiges Gesetz nötig wurde" (Süddeutsche v.
11.10.2012, S. 4)
Wer immer den vom Parlament am 19.
Juli eingeforderten und vom Kabinett am 10. Oktober prompt verabschiedeten
Gesetzentwurf über „den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung eines
männlichen Kindes" geschrieben hat: Er wird jenen Kölner Staatsanwalt
verwünscht haben, der mit seiner Anschuldigungsschrift das Urteil des dortigen
Landgerichts v. 7. Mai dieses Jahres ausgelöst hatte, und der Staatsanwalt
wiederum jene Bürger, die eine zugrunde liegende Anzeige geschrieben
hatten. Mit Händen greifen kann man den flehentlichen Wunsch – schon im Rahmen
des fraktionsübergreifenden Antrags, bei seiner unmittelbaren Erörterung im
Bundestag und auch im Kommentar in der Süddeutschen – alles möge doch bitte
möglichst schnell wieder so friedlich sein wie noch im April: Nur kein Sonderweg,
nur keine humanitären Schwachheiten. Das sehe ich doch anders, und ich weiß
auch für den Gutteil meines Lebens, was Beschneidung ist und was sie –
zugegeben: mit einer sehr schmalen Empirie – bewirken kann.
Schon der Name des Entwurfs stapelt
tief. Es geht nicht nur um eine Feststellung des „Umfangs der Personensorge“.
Jedenfalls die ganz allgemeine Unterstellung der Zirkumzision unter die
Personensorge und die nunmehr gesetzliche Vermutung der Zuträglichkeit für das
Kindeswohl sind eine signifikante Erweiterung gegenüber dem status quo.
Ich kann dem Regierungsantrag auch nicht folgen, wo er im Wesentlichen
diejenigen medizinischen Gründe für die Beschneidung anführt, die bei
Neugeborenen gar keine Rolle spielen (A II 2 d, S. 7f), wo er Risiken und Langzeitwirkungen
auf einen höchst oberflächlich reflektierten Akademikerstreit reduziert und
damit neutralisiert (A II 2 4, S. 9f) und wo er insbesondere versucht, die
Beschneidung als nach der bisherigen Rechtsprechung sachgerechte Ausprägung des
Erziehungsrechts darzustellen. Ich lasse einmal dahingestellt, dass die
zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in einigen Fällen nicht
das insinuierte Ergebnis tragen, etwa die 1995er Entscheidung zu Kruzifixen in
Klassenzimmern, eine aus dem Jahre 1987 zur Lagerung von Chemiewaffen in
Deutschland oder eine Entscheidung aus 1986 zur Vertretung eines Kindes bei
Handelsgeschäften (s. A III 1 c, S. 14f). Wichtiger: Zulässige Erziehung im
Sinne der bisherigen Rechtsprechung kann ich auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch
nur als software, nicht als hardware verstehen. Sie darf auf
Bildung und Orientierung abzielen, nicht aber auf irreversible Gestaltung des
wehrlos ausgelieferten Körpers, schon gar nicht im Intimbereich. Hier wiegen
das unmittelbare Wohl der schutzbefohlenen Kinder und das Versprechen künftiger
freier Entfaltung aus meiner Sicht ganz undiskutabel stärker als das Interesse
der Eltern an der Erfüllung einer auch noch so lange tradierten Pflicht.
Nun ist die Praxis aber ganz
offenbar so, wie sie ist, die Eltern sind aus eigener Gebundenheit fern von
unvoreingenommener Entscheidung und der Gesetzgeber befindet sich auch aus
historischer Rücksicht – dies hat Reinhard
Merkel in der Süddeutschen Zeitung v. 25./26. August (S. 12) sehr
zutreffend angemerkt – in einem Dilemma, ja, in einem rechtspolitischen
Notstand. Dann aber ist kein demokratischer Kurzschluss vonnöten und kein
unausgewogener Gesetzentwurf, sondern eine noch offene seriöse Debatte, aus der
alle Seiten lernen können und deren Ergebnis nicht den ethischen Anspruch der
Aufklärung relativieren muss.
Quellen
-
Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD u. FDP v. 19.7.2012 „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen“
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/103/1710331.pdf,
angenommen in der Plenarsitzung v. 19.7.2012 = Sitzung 17/189
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17189.pdf
-
Homepage
BMJ mit link zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes“, beschlossen am 10.10.2012
http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RegE%20Gesetz_ueber_den_Umfang_der_Personensorge_bei_einer_Beschneidung_des_maennlichen_Kindes.html?nn=1356288
-
Regierungsentwurf
als pdf http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RegE%20Gesetz_ueber_den_Umfang_der_Personensorge_bei_einer_Beschneidung_des_maennlichen_Kindes.pdf;jsessionid=E4BC69E72A2BE6C85C1CB2BED2A143FB.1_cid334?__blob=publicationFile
-
Homepage
Bundesrat mit link zur dann folgenden, inhaltlich entsprechenden Bundesratsdrucksache
v. 11.10.2012
http://www.bundesrat.de/cln_320/nn_6906/sid_44C10D926AB20A7089AAA53AEAF4498A/SharedDocs/Drucksachen/2012/0501-600/597-12.html?__nnn=true
-
Bundesratsdrucksache
als pdf
http://www.bundesrat.de/cln_320/nn_8336/SharedDocs/Drucksachen/2012/0501-600/597-12,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/597-12.pdf
(2012 / 33) 17.9.2012
Kölner Stadt-Anzeiger
Waffenexporte, Kampfdrohnen; Interview von Steffen Hebestreit und Daniela Vates
mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière (KStA v. 15./16.9.2012, S. 8
„Keiner hat ein Veto-Recht“):
Natürlich gibt es beim Waffenexport
Veto-Rechte, erklärte wie unerklärte; sonst funktionierte auch unsere immer
wieder beschworene Bündnisfähigkeit nicht. Und ob in einem Land, das
Abgeordnetenbestechung partout nicht ahnden will, Rüstungsexporte dem
staunenden Volk immer erst nach Vollzug verkündet werden müssen, das ist auch
alles andere als selbstverständlich. Zumal wir Bürger für wachsende
internationale Instabilität, wie sie nicht zuletzt volatilen Waffenströmen
geschuldet ist, immer öfter mit Preisgabe innerer Freiheitsrechte bezahlen
müssen.
Am wenigsten überzeugend allerdings
ist de Maizières abwiegelnde Einlassung zu den Drohnen. Das sind nun einmal
weit fernwirkende Waffen, die sowohl einen national schmerzfreien Einsatz
garantieren als auch einen minimalisierten Nebenschaden suggerieren, die damit
die Einsatzschwelle klar herabsetzen. Es sind die Waffen der Wahl für
Todeslisten und Regimewechsel, für das bequeme Unterfliegen des Völkerrechts.
Immanuel Kant hätte sie zu den "ehrlosen Stratagemen" gezählt, zu
jenen Taktiken also, die nach ihrem Einsatz einen nachhaltigen Frieden
besonders gefährden müssten.
Das einzige, was Drohnen mit
Flugzeugen oder Artillerie gemein haben, das ist die attraktive Beschaffung.
P.S.:
Zu Kant / zu den von ihm so genannten "ehrlosen Stratagemen" siehe
seine weiter aktuelle Schrift "Zum ewigen Frieden", 1795, 6.
Präliminar-Artikel (Reklam-Ausgabe S. 7f)
(2012 / 32) 24.8.2012
DIE ZEIT
Inlands-Einsätze der Bundeswehr; Leitartikel von Heinrich Wefing (DIE ZEIT v.
23.8.2012, S. 1)
Unsere Demokratie ist am 3.7.2012
noch ein gutes Stück repräsentativer, symbolischer und utopischer geworden. Die
Menschen werden von Mandatierten vertreten, deren Auswahl praktisch ausnahmslos
den Parteien obliegt. Die Mandatierten wiederum lassen sich bei grundlegenden,
ja, bei den empfindlichsten Fragen von Richtern vertreten, deren persönliche
Auswahl wiederum den Parteien gebührt, und umgehen damit das ohnehin kleine
Restrisiko an der Wahlurne. Distanziert werden wir auch beim Einsatz selbst: Ob
im Ausland oder künftig vielleicht im Inland, Berufssoldaten vertreten uns auch
bei der praktischen Umsetzung, die beiderseitige Rückkopplung zwischen
Regierung und Volk ist minimiert. Wie schon im Falle des Auslandseinsatzes sind
auch die Anwendungsfälle der Inlandseinsatzes, wenn überhaupt, so nur nebelhaft
fixiert und beide Optionen stehen unter dem offenen Vorbehalt der gerne
zitierten „ultima ratio“. Will sagen „never say never“ oder auch: „a bisserl
geht immer“.
Im Grunde aber geschieht uns die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 3.7.2012 – der Türöffner für
künftige Inlandseinsätze, von einem Türspalt spricht auch die hellsichtige
abweichende Stellungnahme des Richters Gaier – ganz recht. Jedenfalls, wenn man
es Demokratie-systematisch angeht: Ausländische Zivilisten müssen die
Kollateralschäden deutscher Auslandseinsätze ohne jede demokratische Kontrolle
bzw. ohne realistische Ausgleichsrechte ertragen. Kämen nun aber Deutsche bei
einem Inlandseinsatz der Bundeswehr um oder zu Schaden, so könnte man diesen
immerhin vorhalten: Ihr habt zumindest mittelbar mitgewirkt oder jedenfalls
habt ihr im entscheidenden Moment den Mund gehalten.
Was kann man nun tun? Dass der
Bundestag nun wie ein Mann – oder besser: wie eine Frau – aufstünde, das steht
wohl doch nicht zu erwarten. Es ist ja das Vertrackte an solchen Sprüchen des
Verfassungsgerichts: Sie bauen die 2/3-Hürde gleichzeitig in der Gegenrichtung
auf. Vorher hätte man diese nur im Ausnahmefall organisierbare und hierzu trotz
angestrengter Versuche auch nie zustande gebrachte Einigkeit benötigt, um die
Verfassung zu Lasten der Bürger anzuschärfen. Nach einem de facto
verfassungsändernden Beschluss aber braucht es eine eher noch größere
Anstrengung, um den vorher sicher geglaubten Zustand wiederherzustellen; und eine
nochmalige Rückwärtsrolle des Gerichts ist ja auf Jahre sehr unwahrscheinlich.
Die einzige Chance der Bürgerinnen und Bürger ist, das Thema Außen-, Innen- und
Sicherheitspolitik im beginnenden Wahlkampf durchzupauken und Klarheit und
Rechenschaft zu verlangen, übrigens auch zum Nutzen der Bundeswehr und damit
zum Sinn des 1994er Streitkräftebeschlusses, der das Tor zu "out of
area" aufgestoßen hatte.
Eine letzte Anmerkung noch zur
Sprache: Besonders auf der Hut müssen wir sein, wenn Neu-Sprech das bisher
Undenkbare und Unsägliche aus dem Hut zaubert: „Katastrophisch“ gehörte vor der
diesjährigen Entscheidung ebenso wenig zum deutschen Wortschatz wie i.J. 1984
das Wort „exekutivisch“, mit dem die Pershing II-Entscheidung des
Bundesverfassungsgericht die parlamentarischen Mitwirkungsrechte relativiert
hatte. Es ist wohl so: „Das Katastrophische ist gerne die Stunde des
Exekutivischen.“
Quellen:
"exekutivisch": Pershing
II-Entscheidg. v. 18.12.1984, BVerfGE 68, S. 1 (S. 87), 2 BvE 13/83
"katastophisch":
LuftsicherhG-Entscheidg. v. 3.7.2012 (unter Rn. 43 der Netzfassung), 2 PBvU 1/11
(2012 / 31) 22.8.2012
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt am 27.8.2012
Einsätze der Bundeswehr im Inland, Heribert Prantl "Ein
Katastrophen-Beschluss", Süddeutsche v. 18./19.2012, S. 4
Wie Heribert Prantl gehöre ich zum Klub
der bekennenden Gaier-Fans und sehe bei der nun veröffentlichten Entscheidung
vom 3.7.2012 nicht lediglich ein abweichendes Votum, sondern derer fünfzehn.
Was diese Fünfzehn beim gequälten Auslegen der verfassungsbegründenden und
verfassungsändernden Protokolle ausgeblendet haben, ist der erste und einzige
Zweck rechtsstaatlich-demokratischer Verfassungen, nämlich der Schutz der
Menschen- und Bürgerrechte. Bei Diskursen über die Motive der Väter und Mütter
unseres Grundgesetzes gilt die einfache, auch von Richter Gaier beherzigte
Auslegungshilfe: Im Zweifel zur Stärkung der Bürgerrechte oder: In dubio pro
cive tuendo.
Eine Prognose: Die nun einen Spalt
weit zum bewaffneten Inlandseinsatz geöffnete Türe muss nach der Logik des
Militärischen zu einer neuen Beschaffungs- und Übungs-Anstrengung führen, zu
einem logistischen jihad. Um das alte Scharfmacher-Motto sinngemäß umzumünzen:
"Willst du den Bürgerfrieden schützen, dann rüste dich für den
Bürgerkrieg!" So kann – auch da gebe ich Herrn Prantl völlig Recht – die
scheinbare Begrenzung auf eine „ultima ratio“ zur selbst erfüllenden
Prophezeiung geraten. „Ultima ratio“ wurde, nebenbei gesagt, bei den
Auslandseinsätzen in jedem Einzelfall problemlos durch das viel stärker
anrührende Schlagwort „Bündnistreue“ aus dem Feld geschlagen – „ultima ratio“
ist halt ein dürres Wort und seine realpolitische Übersetzung lautet einfach:
„Never say never!“ Und Thomas de Maizières flapsige Bemerkung aus dem
MDR-Interview vom 1.7.2012, er könne sich gar keine Region denken, wo deutsche
bewaffnete Truppen nichts zu suchen hätten, sie hat flugs einen neuen, nun
wirklich ubiquitären Sinn gewonnen: Der sicherheitspolitische Globus
Deutschlands hat am 3.7.2012 seinen letzten weißen Flecken verloren.
Eine kleine Ergänzung noch zum Kommentar:
So revolutionär der aktuelle Richterspruch auch anmutet – die Änderung unserer
Wehrverfassung durch Gerichtsentscheid ist leider nicht so neu. Es hat eher
schon schlechte Tradition, die Republik jenseits demokratischer
Verfahren in den identitätsbildenden Merkmalen umzubauen, damit auch
ohne Gefährdung der Herrschenden in Wahlen. Außenminister Kinkel hatte im
anlaufenden 1994er Wahlkampf freimütig bekannt, und zwar in einem
n-tv-Interview am 10.9.1993: Er hoffe doch, dass nun das Verfassungsgericht die
Zulässigkeit von Auslandseinsätzen klären werde. Er wolle damit „wirklich
ungern in 20 Wahlkämpfe gehen, weil das Deutschland schadet.“ Und die Mehrzahl
der Verfassungsrechtler, die sich nach dem 1994er Streitkräfteurteil zu Wort
meldeten, konstatierten trocken: Der so genannte konstitutive
Parlamentsbeschluss sei bei Licht besehen ja gar keine Auslegung, sondern eine
– ja, ja, eigentlich auf diesem Weg unzulässige – Ergänzung des Grundgesetzes.
Und gingen geschmeidig zur Tagesordnung über.
Das sollten wir nun nicht tun;
Wahlkampf ist unsere Chance.
P.S.: Quellen:
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 3.7.2012 mit abweichender
Stellungnahme des Richters Gaier: 2
PBvU 1/11
de Maizière-Interview v.1.7.2012: http://www.mdr.de/nachrichten/
(2012 / 30) 21.8.2012
Kölner Stadt-Anzeiger
bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Inland gemäß aktueller Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts v. 3.7.2012;
Thomas Kröter "Eine maßvolle Entscheidung" (KStA 18./19.8.2012, S.
3), Berichte von Ursula Knapp / Steffen Hebestreit "Heikle Mission im
Inneren" bzw. "Bundeswehr darf im Inland kämpfen" (ebenda S. 3
u. S. 1); Beitrag bzw. Kommentar von Thomas Kröter "BND rückte mit
Bundeswehr-Schiff aus" bzw. "Ein Fall für das Kanzleramt" (KStA
20.8.2012, S. 3 u. S. 4)
Eine merkwürdige Welt, in der es
kaum noch jemanden zu stören scheint: Deutschland führt längst wieder Kriege,
ohne sie zu erklären - wie bei den Strafexpeditionen um die Wende 19./20.
Jahrhundert. Deutschland ergreift mit nachrichtendienstlichen Mitteln Partei in
Konflikten Dritter. Deutschland denkt sich einen potenziellen militärischen
Waffeneinsatz im Inland zurecht, überschreitet damit den eigenen Rubikon.
Grenzen, Kriterien oder zumindest
Erfahrungs-Auswertungen dafür? Fehlanzeige, eher das vage Fußballer-Motto
"Schau'n wir mal." Sind denn die 68er allesamt dahingerafft oder
politisch adipös? Und gibt es neben dem Verfassungsrichter Gaier mit seiner
hervorragend recherchierten abweichenden Stellungnahme zur Entscheidung v.
3.7.2012 kaum noch Verfassungspatrioten?
Nebenbei: Hatte irgendjemand vorab
das Wort "katastrophisch" vernommen? Kaum - es ist denn wohl eine
Nebel werfende Zweckschöpfung des Verfassungsgerichts ebenso wie schon das
Neu-Wort "exekutivisch" aus der Pershing II-Entscheidung von 1984
(sic!). Der Duden kennt beides nicht.
Quellen zum letzten Absatz:
"exekutivisch": Pershing II-Entscheidg.
v. 18.12.1984, BVerfGE 68, 1 (87), 2 BvE 13/83
"katastophisch": LuftsicherhG-Entscheidg. v.
3.7.2012 (unter Rn. 43 der Netzfassung), 2 PBvU 1/11
(2012
/ 29) 3.8.2012
Newsweek
Measures
of accountability for military missions would be most valuable, and they are
clearly worth our highest efforts, as regards political, research and
jurisprudential ressources. It seems most cynical shooting billions and
billions into outer space, e.g. for an mostly idle ISS, or tracing down the
ultra tiny Higgs boson at the same price. But to scarcely investigate the
driving forces behind the recurrent military bloodshed and the balance of
military missions - the military sector itself being funded abundantly at the
same time.
(2012 / 28) 2.8.2012
Kölner Stadt-Anzeiger
Ausrüstung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen; Burkhard von Pappenheim
"Werkzeuge des Krieges" (KStAnz v. 2.8.2012, S. 4)
Ich halte für gar nicht zynisch,
über die Wahl der Waffen zu sprechen, gerade unterhalb der Schwelle der
Massenvernichtung. Leider neigen auch Demokratien dazu, die für sie möglichst
schmerzfreien, nicht zu den Wählern rückkoppelnden Waffen und Strategien
einzusetzen. Der Schuss ohne Reue ist Mittel der Wahl für die verniedlichend so
genannte power projection. Die
effizienteste Konfliktvermeidung dagegen wäre, wie Kant in seiner ironisch
benannten Schrift "Zum ewigen Frieden" anmerkte, das andere Extrem,
nämlich der Kampf der Häuptlinge: Planen, Umsetzen und Schmerzempfinden in ein
und der gleichen Person!
Es gibt ohnehin keine militärischen
Königswege oder einen Vorteil, den wir auf Dauer zum Nulltarif bekämen: Gleich
ob targeting-Strategien, ob Einsatz
von clusterbombs, uranhaltiger
Munition oder von angriffsfähigen oder auch nur aufklärenden Drohnen: Sie rufen
nach allen vorliegenden Erkenntnissen Ohnmachts- und Rachegefühle hervor, die
sich einen Weg zu den Bürgern der eingreifenden Staaten bahnen können:
Terrorismus kann man schlüssig auch als die Waffe des Wehrlosen definieren.
Kant warnte in der zitierten Schrift auch ausdrücklich vor
"ehrlosen Stratagemen", die "das wechselseitige Zutrauen im
künftigen Frieden unmöglich machen müssen". Neben Meuchelmördern und
Giftmischern hätte er heute auch Kampfdrohnen und Spezialeinsatzkräfte genannt.
Und schließlich: Die allerbeste Ausrüstung
rechtsstaatlich-demokratischer Soldaten wären rechtlich tragfähige Kriterien
dafür, wann und wo sie einzusetzen sind und wann und wo genau nicht. Derzeit
folgt die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik am ehesten der Devise eines
prominenten Ex-Kickers: "Schau'n wir mal!"
P.S. / Quelle
Die betreffenden Passagen aus dem "Ewigen Frieden" finden sich in der
Reclam-Ausgabe auf den S. 7, 16f mit Fußn. auf S. 17; siehe auch S. 12f zur
konfliktmindernden Wirkung einer Beteiligung der Bürger an militärischen
Entscheidungen
(2012
/ 27) 22.7.2012
Daily Mail
Batman massacre; Dominic Sandbrook's Saturday Essay (Daily Mail of July 21,
2012, p. 18f)
Thanks
for Dominic Sandbrook’s lucid analysis! My statement would be almost the same –with
a slightly different tone: It may be a possibility that widespread anger
suddenly turns into mob rule, even in decent and tolerant
And
there could and should be a lot of debate - and politicians' responsiveness -
around vital topics like economics or foreign and security politics, just to
name a few items, where you don’t work out ever lasting solutions by the
methods of natural sciences – but where you have to deal interests of groups
not unlike the way of a humming bazaar. Democrats may be very intelligent and
helpful – if you allow them taking an active stake in their res publica. They even might find out
that panem et circenses aren’t
necessarily for their benefit.
(2012 / 26) 5.7.2012
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 13.7.2012
Auftrag der Bundeswehr; Vorstoß von BM de Maizière für eine gesellschaftliche
Debatte des Bundeswehr-Auftrages (Joachim Käppner, "Armee im
Ungewissen", Süddeutsche v. 3.7.2012, S. 4, Daniel Brössler, "Einsatz
überall", Süddeutsche v. 2.7.2012, S. 5)
Die eine Sicht: Nach 20 Jahren ist
die erweiterte Außen- und Sicherheitspolitik tief eingeschliffen, der Bundestag
hat mehr als hundertmal zugestimmt und niemals dagegen, eine Debatte kommt viel
zu spät und sie könnte nur noch absegnen, aber keinen politischen Willen mehr bilden.
Absegnen im Sinne des ständigen, aber bloß binnen-ethischen Narrativs
„Mitmachen, nicht nur schmarotzerhaft profitieren!“. Oder mit dem Ziel eines
Blankoschecks für das Bündnis.
Die andere Sicht: Zwanzig Jahre neue
Militärpraxis geben allerbeste Gelegenheit zur detaillierten demokratischen
Rechenschaft: Genau was wollen und was konnten wir mit genau welchen
staatlichen Gewaltmitteln kurieren? Und wichtiger noch für einen Rechtsstaat:
Was wollen wir definitivnicht? Die vage Vermutung de Maizières, Deutschland
habe in prinzipiell allen „Regionen der Welt etwas zu suchen“, die kann es doch
nicht sein. Man wende nur die „golden rule“ oder den kategorischen Imperativ
darauf an: Dann hätten prinzipiell alle Staaten und Regionen der Welt auch bei
uns „etwas zu suchen“. Das möchte ein Verteidigungsminister sicher nicht so
recht leiden.
Erfreulich ist immerhin sein
frisches Bekenntnis zur Demokratisierung der Außen- und Sicherheitspolitik. Das
wäre eine völlig neue Debattenkultur. Außenminister Kinkel etwa hatte im 94er
Wahlkampf klar gesagt, er wolle mit dem Thema lieber nicht „in zwanzig
Wahlkämpfe gehen, weil das Deutschland schadet.“ Und Verteidigungsminister Jung
hatte im Oktober 2006 den Versuch öffentlicher Debatte entnervt drangegeben,
als BILD just am Tage der Pressekonferenz zum brandneuen Bundeswehr-Weißbuch
mit dem – damals bereits betagten – Kabuler Schädelskandal aufgemacht hatte.
Danach ist er mit dem Diskurs nie mehr in Tritt gekommen und auch die höchst
bemerkenswerte Rede Köhlers zum fünfzigjährigen Bestehen der Bundeswehr – die
Rede mit den mehr als zwanzig Fragen zu Aufgabe und Einbettung der Streitkräfte
– sie war damit folgenlos verpufft. Die Fragen aber stehen heute noch an, nach
Afghanistan mehr denn je.
·
Interview MDR / BM de Maizière v. 1.7.2012
http://www.mdr.de/nachrichten/bundeswehr180_cpage-1_zc-aae7aa91.html
·
Weißbuch
2006 (siehe zur intendierten gesellschaftlichen Debatte insbesondere Vorwort
der Kanzlerin a.E.)
http://www.bundeswehr.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmE2ODY1NmQ2NzY4MzEyMDIwMjAyMDIw/WB_2006_dt_mB.pdf
·
Rede
v. BPräs Dr. Köhler v. 10.10.2005
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2005/10/20051010_Rede.html
(2012
/ 25) 19.6.2012
NewScientist
successful launch of a rocket built by a private enterprise; Paul Marks,
Sparking the next space age (NewScientist of 12 May 2012, p. 6)
I'm
not too happy. Wasn't the plot of early 007-movies just that: Some nasty NGO
built a rocket to trigger a hassle between the great powers? And didn't we
count launcher technologies as a most pestilent ability needed to build weapons
of mass destruction? At least I wouldn't want that kind of
outsourcing going all around the world.
(2012
/ 24) 13.6.2012
Time Magazine
Drones; Michael Crowley “Drone Dilemma” (TIME of June 18, 2012, p. 14)
Terrorism
being most of all a weapon of those physically weak, the counterstrategy to be
expected against a growing swarm of drones will be twofold: Looking for a
conspirational habitat in densely populated places – and carrying the battle
back to the metropolitan areas of the West. Both may but must not mean the same
regions.
Roaming
drones will be benevolent for election campaigns and for a certain type of
industry, but may turn out very bad for us citizens. I’m sure we can get more
life & peace & value for money out of non-military strategies.
(2012 / 23) 12.6.2012
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 18.6.2012
Reform des Parlamentsbeteiligungsgesetzes; Bericht von K.F. “CDU-Politiker
fordern Flexibilität für Bundeswehreinsätze” (Frankfurter Allgemeine 6.6.2012, S.
5)
Das CDU-Papier v. 30.5.2012 „Europas
sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit stärken. Es ist höchste Zeit.“ bezieht
sich auf ein Glaubwürdigkeitsproblem deutscher Sicherheitspolitik und zitiert
dafür die deutsche Enthaltung bei der Libyen-Resolution. Als Remedur wird nun
ein vertrauensbildender Blankoscheck empfohlen – ein jährlicher
Vorratsbeschluss des Parlaments nach allgemeiner Lagedebatte zur weiteren
Ausfüllung durch den Europäischen Rat oder den Nato-Rat.
Aber hat die deutsche
Sicherheitspolitik nicht ihr Glaubwürdigkeitsproblem zu allererst gegenüber den
Bürgern, die etwa den Afghanistan-Einsatz über mehrere Legislaturperioden mit
demoskopisch verlässlicher Mehrheit ablehnen? Müsste man nicht zumindest eine
glaubwürdige Evaluation der bisherigen und der noch laufenden Interventionen
anbieten? Von erreichten Zielen, von einer Bilanz auch der Kosten, Lasten und
Nebenfolgen spricht das Papier allerdings an keiner Stelle.
An dem Vorschlag fällt auch auf: Das
Poolen von Infrastruktur und Personal ist – ebenso wie die kontinuierliche
Häutung der Nato nach 1989 – nun überhaupt nichts Neues oder Aufregendes.
Bündnisfähigkeit war und ist in den inzwischen mehr als hundert Einsatzdebatten
das absolut am häufigsten genutzte Einzelargument. Und gerade integrierte
(AWACS-) Einsätze haben einerseits 1994 den Parlamentsvorbehalt als
bündnisspezifische Alternative zum Gesetzesvorbehalt ausgelöst; sie haben
andererseits das Verfassungsgericht im Jahre 2008 veranlasst, in der markanten
Türkei-Entscheidung ausdrücklich auf die besonderen Risiken von
„Bündnisroutine“ und „exekutiven Gestaltungsfreiräumen“, auf die
„Eigengesetzlichkeiten der Bündnissolidarität“ hinzuweisen, auf die
„erheblichen Risiken für Leben und Gesundheit deutscher Soldaten“ und auf die
Funktion der „Beteiligung der Opposition in freier politischer Debatte“. Dies
mache es „der öffentlichen Meinung besser möglich, über die politische
Reichweite des jeweiligen Einsatzes zu urteilen“. Damit dürfte der nunmehrige
Vorschlag vor Gericht niemals Bestand haben.
Die Initiative scheint mir doch arg pro Nato domo geschrieben zu sein und
eher vom Realitätsbezug und von einer evidence-based-policy weg zu führen.
Allerdings bekenne ich auch: Wenn gerade die Nato das von Cyril Northcote
Parkinson definierte Gesetz falsifizieren würde, ich hätte wenig dagegen
einzuwenden: Nach Parkinsons Gesetz ist das am leichtesten Verzichtbare für ein
weiteres Wachsen, Blühen und Gedeihen einer beliebigen Institution gerade ihre
Anfangsaufgabe; im Falle der Nato: Bollwerk gegen den Kommunismus gewesen zu
sein. Die OSZE dagegen hat ihren Gründungszweck noch lange nicht eingebüßt und
sie hat mindestens ebenso große Verdienste für die Neugestaltung des Kontinents
wie die Nato. Ein Papier zu Gunsten der Potenziale und Ressourcen der OSZE
würde ich daher sehr begrüßen. Das stünde Deutschland gut zu Gesicht.
·
CDU-Papier
„Europas sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit stärken - Es ist höchste
Zeit“
http://www.roderich-
·
Internet-Auftritt
des Mitautors Roderich Kiesewetter, "Fragen und Antworten"
http://www.roderich-
·
Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts v. 7.5.2008 = 2 BvE 1/03 (siehe dort Nrn. 67-73
der Gründe)
http://www.
(2012 / 22) 11.6.2012
Süddeutsche Zeitung
Reform des Parlamentsbeteiligungsgesetzes; Peter Blechschmidt „Marschbefehl aus
Brüssel“ (Süddeutsche v. 8.6.2012, S. 5)
Was ich dem aktuellen Vorstoß aus
der CDU zu einer Reform des Parlamentsbeteiligungsgesetzes immerhin zugute
halten könnte: Er bringt die Bundeswehr mal wieder in die Debatte.
Allerdings führt die Initiative von
der wünschenswerten materiellen Definition, damit von einer Begrenzung des
militärischen Aufgabenspektrums weit weg. Wie z.B. wollen wir es mit der
„responsibility to protect“ halten bzw. dem frühzeitigen Eingreifen bei
Verbrechen, die später nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu
verfolgen wären? Und der Vorschlag mindert mit seiner absichtsvollen Delegation
der Entscheidungskompetenz an die Exekutive noch dazu systematisch die Anlässe
für gesellschaftliche Debatte und politische Rechenschaft zu den einzelnen
militärischen Projekten. Kein Wort dann auch dazu, was wir bei unabhängiger
Evaluation als Paradebeispiele oder Erfolgsmodelle der seit 1990 robust
erweiterten Außen- und Sicherheitspolitik verstehen sollen. Sind es Einsätze
der Kuwait-, Somalia-, Irak-, Kosovo- oder der Afghanistan-Klasse? Läuft es
derzeit denn wirklich gut?
Die CDU-Initiative ist mit robuster
exekutiver Logik geschrieben, einer Bündnislogik, gegen die sich das
Bundesverfassungsgericht in seiner Türkei-Entscheidung v. 7. Mai 2008
ausdrücklich verwahrt hatte und weiterhin verwahren muss. Denn dieser Vorstoß
würde aus der inneren Führung eine bloß noch äußere Führung machen.
Anzuraten wäre zudem Herrn
Kiesewetter, einem Mitautor des Papiers, seine homepage zügig anzupassen. Denn
dort steht noch in seiner Rubrik "Fragen und Antworten" dies zu
lesen: „Im Rahmen der parlamentarischen Demokratie entscheidet das deutsche
Volk über seine gewählten Vertreter und Vertreterinnen im Bundestag über
Auslandseinsätze. Somit wird jeder Einsatz debattiert bevor er stattfindet.
Kein militärischer Einsatz darf am Bundestag vorbei beschlossen werden.“
·
CDU-Papier
„Europas sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit stärken - Es ist höchste
Zeit“
http://www.roderich-
·
Internet-Auftritt
des Mitautors Roderich Kiesewetter, "Fragen und Antworten"
http://www.roderich-
·
Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts v. 7.5.2008 = 2 BvE 1/03 (siehe dort Nrn. 67-73
der Gründe)
http://www.
(2012 / 21) 4.6.2012
DIE ZEIT, abgedruckt 14.6.2012
Islam in Deutschland; ZEIT-Gespräch mit Herrn Bundespräsidenten Joachim Gauck
(DIE ZEIT No. 23 v. 31.5.2012, S. 3f)
Die Leichtigkeit, mit der Joachim
Gauck spontan Geistreiches formuliert, sie ist in der Tat bewundernswert. Um so
schwerer fällt mir, seiner Differenzierung zwischen deutschen Muslimen und
ihrem Glauben zu folgen. Müssten sie sich etwa von ihm trennen, um nicht nur
mit dem Leib, sondern auch mit der Seele zu Deutschland zu gehören? Hat nicht
unsere Aufklärung erst über islamischen Wissensdurst ihr Fundament gefunden?
Sind Toleranz und Reform denn überall und immer im Christentum, aber nirgendwo
und nie im Islam zu erkennen? Das hat etwa die sehr erfahrene Annemarie
Schimmel anders gedeutet.
Und sind überdies nicht - aber das
mag Herrn Gaucks überraschende Pointierung ja noch am ehesten erklären - gerade
in den neuen Bundesländern die Christen eine sehr deutliche Minderheit?
Nirgends auf der Welt glauben so wenig Menschen an Gott wie in Ostdeutschland.
P.S.
Zum letzten Satz siehe die aktuelle Studie von Tom W. Smith, University of
Chicago unter http://www.norc.org/PDFs/
(2012 / 20)
24.5.2012
TIME
It’s
so comforting to be thanked, even by third parties. But I’m far from sure
having deserved that “Danke”. Didn’t I pave the whole of
I’m
afraid that Greece, slim and small and placed on the rim as it still is, has no
extra resources for reform (although: German tabloids recently pressed Greece
to ultimately sign over their Islands in the Sun). Even worse:
(2012 / 19) 3.5.2012
DIE WELT
gegenläufige Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Europa; Bericht
"Euro-Zone kämpft mit Rekord-Arbeitslosigkeit", Kommentar v. Stefan
von Borstel "Lohn der Reformen" (WELT v. 3.5.2012, S. 1)
Ich wäre mit gutem Rat sehr
zurückhaltend. Denn die deutsche Export-Quote für ganz Europa - und sei es nur
bei Panzern - könnte und würde uns und der Welt kaum gefallen. Abgesehen davon:
Die Pose "Schaut nicht so dumm, schaut so wie wir!" kam selten gut.
Erwägen wir einmal die Möglichkeit, dass es dem Kern so gut geht, auch weil
es der Peripherie schlechter geht. Auch wenn dieser Gedanke zum fairen Teilen
führen müsste.
(2012 / 18) 20.4.2012
Süddeutsche Zeitung
Islam in Deutschland; Statement von Unionsfraktionschef Volker Kauder, der
Islam gehöre nicht zu Deutschland
(Roland Preuß in der Süddeutschen v. 20.4.2012, S. 4, 5)
Goethe würde das sicher postwendend
unterschreiben: Wenn schon der Islam kein Teil deutscher Tradition sein sollte
und darum heute hier nichts verloren hätte, dann der rote Weihnachtsmann alias
Coca Cola umso weniger. Daran sollte
sich ein Politiker der Kauder-Klasse einmal versuchen.
(2012 / 17) 19.4.2012
DIE WELT
weiter entwickeltes ATALANTA-Mandat; Dietrich Alexander „Die Spur des Geldes“
u. Thorsten Jungholt „Störtebeker-Strategie für Somalia“
(DIE WELT v. 19.4.2012, S. 1 u. 5)
„Nur eine kleine, nützliche,
zusätzliche Option“ sagt ein achselzuckender Verteidigungsminister. Leider
waren es die vielen kleinen zusätzlichen Schritte, die seit 1992 den Weg von
einer Verteidigungsarmee zu einem aktiven Gestaltungswerkzeug ebneten, dabei
häufig weniger getrieben von moralischen Werten als – wie offenbar auch hier –
von der Binnenmoral einer Waffengemeinschaft, die kein Ohnemicheltum dulden
will. Der am wahrscheinlichsten bleibende Effekt auch dieser Eskalation zwei
Kilometer den Strand hinauf ist die weitere Erosion des Territorialitäts- und
Souveränitätskonzepts, damit des Kernbestandteils unserer Friedensordnung nach
1945.
Und schließlich: Die Lösung des
modernen Piraterie-Problems ist, wie Herr Jungholt zutreffend andeutet, eher
auf den diskreten, klimatisierten Fluren von Bürotürmen zu finden als auf einem
noch so langen und breiten Strand – und sie liegt sicher auch in einer
entgegenkommenden und fairen Außenhandelspolitik. Der Bundestag sollte das neue
Mandat sehr kritisch überdenken.
Die Parallele zu Klaus Störtebeker
lässt sich im Übrigen weiter ziehen als zum Angriff auf Landstützpunkte: Der
Freibeuter war hochgeachteter Vitalienbruder gewesen, hatte in kritischen
Zeiten die Hansestädte mitversorgt. Zum „bad
guy“ wurde er erst, als man ihn nicht mehr brauchte und nicht mehr
entlohnte. Im Prinzip den gleichen Weg nahmen viele Fischer Nordostafrikas,
nachdem hoch organisierte westliche Fangflotten ihre Fischgründe und ihre
persönliche Zukunft sterilisiert hatten.
Anm.:
-
Kabinettbeschluss zu ATALANTA v. 18.4.2012: BT-Drs. 17/9339,
zum erweiterten Einsatzgebiet siehe dort S. 6.
-
Zur
Entwicklung der Piraterie in den Gewässern Somalias siehe u.a. diesen Wikipedia-Artikel
sowie einen Bericht in DIE
PRESSE; danach hatte die Bewaffnung der somalischen Fischer ihren
historischen Ursprung in dem Eindringen fremder, u.a. europäischer
Fischtrawler in somalische Fischgründe (!) und operierten in der Folge
sogar fremde Fangflotten unter dem Schutz der ATALANTA-Mission (!!!);
siehe ergänzend Stn.
der Somalia-Expertin Annette Weber, SWP, in der die Autorin wegen der
unabschätzbaren Eskalationsgefahr von einem Eingreifen an Land abrät.
-
Zu
Störtebeker siehe diesen Wikipedia-Artikel
(2012 / 16) 16.3.2012
Frankfurter Allgemeine; abgedruckt 24.3.2012
Zukunft Afghanistans; Günther Nonnenmacher, „Afghanische Traditionen“
(Frankfurter Allgemeine v. 16.3.2012,S. 1):
„Kaum zu vermeiden“, das mag man
auch vom Beginn der Afghanistan-Mission sagen, auch zu Verlauf und mutmaßlichem
Ende derselben und sogar zu ihrem wohl gewaltsamen Nachspiel. Wäre aber dann
nicht der ideale Zeitpunkt zu überlegen oder gar mit allem verfügbaren Verstand
zu objektivieren, was an unseren Expeditionen und Missionen der letzten zwanzig
Jahre so geschickt war – was Gewinne waren und was Kosten und Lasten?
Vielleicht gibt es doch Lektionen,
die zu wiederholen wir vermeiden können. Und zwar, bevor daraus eigene
Traditionen werden.
(2012 / 15) 12.3.2012
SPIEGEL
Drohnen; Thomas Darnstädt, Marc Hujer u. Gregor Peter Schmitz "Bushs
Erbe"
(SPIEGEL 11/2012, S. 94f)
In die hearts & minds der Orientalen haben sich die Drohnen nicht
hinein gesprengt, können es auch gar nicht. Mich erinnern sie - wie auch der
mehrfach dekorierte amerikanische Scharfschütze mit dem Kriegsnamen "Devil of Ramadi" - an die
Zivilisationsbrüche der Assassinen, an die ausdrückliche Warnung Immanuel Kants
vor "ehrlosen Stratagemen" und an seine Mahnung, "sich keine
Feindseligkeiten zu erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen
Frieden unmöglich machen müssen."
Aber wen stört das im Wahlkampf?
Dort hilft es sogar eher, sich als hartgesottener Herr über Leben und Tod zu
präsentieren.
P.S.
Zu den Assassinen: http://de.wikipedia.org/wiki/
Zur zitierten Passage aus Kants
"Zum ewigen Frieden", (2. Aufl.) 1796, 1. Abschnitt / Präliminarartikel
Nr. 6, in der Reclam-Ausgabe auf S. 7 f (vollst. Wortlaut s. auch im Internet http://www.sgipt.org/politpsy/
6. "Es soll sich
kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche
das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als
da sind, Anstellung der Meuchelmörder (percussores), Giftmischer (venefici),
Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verraths (perduellio) in dem
bekriegten Staat etc."
Das sind ehrlose Stratagemen. Denn irgend ein Vertrauen auf die Denkungsart
des Feindes muß mitten im Kriege noch übrig bleiben, weil sonst auch kein
Friede abgeschlossen werden könnte...
Eine weitere Passage aus dem
"Ewigen Frieden" mag Obama als lernbereiten Erben Bushs erklären. Im
Zweiten Zusatz / Geheimen Artikel (Reclam S. 33, 35) heißt es dort sehr
hellsichtig:
Daß Könige philosophiren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen: weil der Besitz der Gewalt das freie Urtheil der Vernunft unvermeidlich verdirbt.
(2012 / 14) 7.3.2012
Frankfurter Allgemeine
Targeting; "Washington rechtfertigt Tötung von Amerikanern" u.
Kommentar "Uramerikanisch"
(F.A.Z. v. 7.3.2012, S. 1 u. 8)
Der Kommentar
"Uramerikanisch" bezieht klare Stellung gegen das gezielte Töten
außerhalb von Kampfhandlungen, damit für die Menschenrechte und für den
historischen Kern der atlantischen Wertegemeinschaft. Respekt!
P.S. zur hier sehr weit zurück
reichenden Historie:
Nach der Überlieferung umfasste das Römische Zwölftafelgesetz von ca. 450 v.
Chr. eine Vorschrift, wonach damals das Töten eines nicht verurteilten Menschen
verboten war, s. tab. IX no. 6 : "Interfici . . . indemnatum
quemcunque hominem etiam XII tabularum decreta vetuerunt (Salvianus, de gubern.
dei 8, 5, 24).", s. http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lsante05/LegesXII/leg_ta09.html
(2012 / 13) 7.3.2012
SPIEGEL
Militärische Opfer bei Auslandseinsätzen; Guido Mingels und Takis Würger
"Ein Opfer, ein Held"
(SPIEGEL 10/2012, S. 50ff)
Als Opfer der Auslandseinsätze sehe
ich noch eher Zivilisten wie Farah
Abdullah, † 22.1.1994 bei Belet Huen / Somalia oder Sanja Milenkovic, † 30.5.1999 bei Vavarin / Serbien oder Bibi Khanum, † 28.8.2008 mit zwei
Kindern bei Kundus / Afghanistan. Für mich gehören diese Namen zu
einer Gedenkstätte – auch und gerade. Zugegeben: Man bräuchte dann deutlich
mehr Raum, denn die zivilen stehen zu den militärischen Opfern erfahrungsgemäß
im Verhältnis von 5 : 1 bis 10 : 1, und neo-heroische Inschriften wie
"Für Frieden, Freiheit und Verantwortung" wären nicht so stimmig.
(2012 / 12) 22.2.2012
Frankfurter Allgemeine
Wahl des neuen Bundespräsidenten; zu: Günther Nonnenmacher "Nun doch
Gauck", Berthold Kohler "Mime und Brünhilde", F.A.Z. v.
21.2.2012, S. 1; Georg Paul Hefty "Mit dem Auge des
Verfassungsrechtlers", F.A.Z. v. 20.2.2012, S. 10
Den demokratischen Zauber einer
Bundesversammlung kann ich nicht recht beurteilen: Mein Name hat nicht auf
Bundes- oder Landeslisten gestanden. Nie wurde ich auch als Stimmträger dorthin
delegiert, etwa wegen illustrer Bekanntheit aus Funk und Fernsehen. Und zum
berichterstattenden Stand gehöre ich nun mal auch nicht. Von Ferne also, da
habe ich diese Versammlung nun aber nicht als einen urdemokratischen Ort des
selbstständigen Diskurses und der erkenntnisgeleiteten aktuellen Entscheidung
erlebt. Mir erschien das Ergebnis regelmäßig als Folge von fürsorglicher
parteilicher Vorsehung, je nach Stimmgewichten auch schon mal in mehreren Akten
dramatisiert, aber auch dann um nichts weniger prädisponiert.
Wäre es dann wirklich schad' drum?
Könnte es nicht so sein, dass die Ära der gut auf den Schild zu hebenden
Nachkriegs-Vorbild-Politiker ohnehin endgültig passé ist? Richtig ist
natürlich: Auch eine Volkswahl setzt einen Trichter-artigen Diskurs- und
Sortierprozess voraus. Sonst wäre in der Abstimmung und in dem dazu führenden
Verfahren keinerlei Erkenntnismehrwert zu finden, sondern wiederum nur Ritual
oder gar schlimmer: Beliebigkeit. Aber ich glaube nicht, dass seriöse,
vertrauensbildende Kandidat/inn/en für das erste Bürgeramt heute nur im Sichtfeld
der Parteien sprießen oder dass sie nur in und mit den Wahlmaschinen der
Parteien zu elektoraler Statur hochgezüchtet werden könnten.
Ein kleiner Vorteil noch: Zu Recht
weist man darauf hin, dass die Bundesversammlung nach der Erfahrung der letzten
Jahre spiegelbildlich und konsequent auch als Schutzwall gegen tagespolitisch
befeuerte Rufmord-Kampagnen fungieren sollte. Beim Bürgerpräsidenten braucht
man das wohl nicht, man könnte es beim Vorbehalt der Amtsenthebung wegen
erwiesener strafrechtlicher Delinquenz belassen. Letzter und eigentlich
entscheidender Vorteil: Die Präsidentenwahl würde wohl in der Regel nicht mehr
als parteiliches Trend-Orakel herhalten müssen. Nur Nachteile hätte etwas mehr
prickelnd fühlbare Demokratie also nicht.
(2012 / 11) 15.2.2012
Frankfurter Allgemeine
Afghanistan-Mission; Artikel „De Maizière warnt vor Seitenwechsel afghanischer
Sicherheitskräfte" und zum Kommentar „Seitenwechsel“
(F.A.Z. v. 13.2.2012, S. 1 u. S. 8)
Lothar de Maizière kann ich gut
verstehen: So fern ist der Tag nicht, an dem sich Deutschland nicht mehr aktiv
am Hindukusch verteidigen wird, an dem der Saal der letzten
Petersberg-Konferenz ausgefegt wird, an dem eine Bilanz zu Nutzen, Lasten und
Nachhaltigkeit des Engagements ansteht und an dem bereits viele Afghanen an
unsere Türe klopfen, die der ISAF oder der gegenwärtigen Karsai-Administration
etwas zu nahe standen. Da täte der Politik ein kleiner, die Kausalität
verdrängender Zeitpuffer durchaus gut – auch gegen den Vorwurf, schon wieder
einigen Todfeinden á la Bin Laden sowohl das Handwerk als auch unsere Stärken
und Schwächen beigebracht zu haben.
Archaische und atavistische
Strukturen erklären die heute enttäuschten Hoffnungen nur wenig und liefern
m.E. keine gute Legende. Da bedarf es nur eines Blickes auf den wesentlich
moderneren, aber heute ebenso zerrütteten Irak. In jedem Fall hätte man schon
das aus der sowjetischen Mission lernen können.
(2012 / 10) 8.2.2012
Frankfurter Allgemeine
Kriegsopfer und Staatenimmunität; Reinhard Müller „Rechtsfrieden“
(F.A.Z. v. 4.2.2012, S. 1)
Der Rechtsfrieden ist ein hohes Gut,
sicherlich, und der ewige Frieden ist ohnehin nicht erreichbar. Dennoch macht
sich Unbehagen breit, nach der aktuellen Entscheidung des Internationalen
Gerichtshofs in Den Haag u.a. zu Gewalttaten der SS in den italienischen
Dörfern Civitella, Cornia und San Pancrazio ebenso wie schon nach der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 31.5.2011 zu
Vergeltungsmaßnahmen der SS im griechischen Distomo und auch nach dem
Einstellungsbeschluss des deutschen Generalstaatsanwalts am 16.4.2010 zum
Angriff auf die zwei Tanklaster von Kundus.
Es passt für mich nicht recht zusammen,
dass westliche Staaten seit dem Zusammenbruch des Ostblocks eine Übung
weltweiter Interventionen ausgeprägt haben, die den Strafexpeditionen vor dem
ersten Weltkrieg nicht unähnlich sehen, dass sie aus einer „responsibility to protect“ oder aus ihren
„vested interests“ heraus die
Souveränität anderer Staaten relativieren, dass sie zunehmend unkonventionelle
Strategien und fernwirkende Instrumente nutzen – dass sie dann aber bei den
notorischen selbst verursachten Menschenrechtsverletzungen und gegenüber
potenziellen Opfern ihrer Missionen auf eine völlig ungeschmälerte eigene
Souveränität pochen, gleichsam nach alter Väter Sitte. Dann fühle ich mich doch
wieder an den ewigen Frieden erinnert, wo Kant über den „Staatseigentümer“
schreibt, der „durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie
eine Art von Lustparthie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der
Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Corps die
Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.“
Grundrechte haben sich historisch
als Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat entwickelt. Staaten münzen sie
heute ambitioniert und dynamisch zu pauschalen Eingriffsrechten gegenüber
anderen Staaten um. Und gleichzeitig immunisieren sich die Eingreifenden gegen
das Beklagen der durch sie selbst verursachten Grundrechtsverletzungen, die sie
dann auch – sehr pragmatisch und euphemistisch – „bloß kollaterale“ nennen. Ob
dieses neue Verständnis der nun gleichsam von den Menschen abstrahierten und
treuhänderisch durchgesetzten Menschenrechte unter dem Strich den Menschen
nutzt oder doch primär den exekutiven und geopolitischen Interessen, das ist
freilich bis heute noch nicht evaluiert.
Quellen:
IGH v. 3.2.2012 = http://www.icj-cij.org/docket/
EGMR v. 31.5.2011 = http://cmiskp.echr.coe.int/
Generalbundesanwalt v. 16.4.2010 = http://www.
BVerfG v. 28.6.2004 = http://www.
Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden,
1795, Reclam-Ausgabe S. 13; Text siehe auch unter http://philosophiebuch.de/
(2012 / 09) 20.1.2012
Frankfurter Allgemeine
Wannsee-Konferenz und auswärtige Gewalt; Rainer Blasius „Federführer der
Vernichtung“
(F.A.Z v. 20.1.2012, S. 10)
Meine Anwandlung beim Lesen des
Beitrags zur Wannseekonferenz am 20.1.1942 mag viel Kopfschütteln bewirken,
vielleicht sogar Abscheu erregen: Denn sicherlich besteht ein gravierender
Unterschied in der Schuld der Veranlasser und Organisatoren eines bewussten und
grausamen Genozids und derjenigen Deutschen, die heute einen Auslandseinsatz
der Bundeswehr politisch und exekutiv verantworten. Aber aus der Sicht der
zivilen Opfer dieser Missionen weit jenseits unserer geographischen Grenzen
muss das Delta nicht mehr so fundamental erscheinen, vielleicht sogar eher
graduell, etwa bei dem Afghanistan-Einsatz, bei dem das Zurückziehen seit
mindestens vier Jahren viel wahrscheinlicher ist als ein Erreichen der
ursprünglichen Ziele.
Der Eindruck, wehr- und rechtloses
Opfer zu sein, wird auch insoweit verstärkt werden: Der Grundrechtsabschnitt
unserer Verfassung – die wesentliche und primär gesetzte Lehre und
Verpflichtung aus der nationalsozialistischen Barbarei – und dessen klarer, zur
offenen Abwägung von Gewalteinsatz und möglichen Schäden zwingender
Gesetzesvorbehalt, sie sind nach der derzeit herrschenden Rechtsansicht bei
Einsätzen im Rahmen von VN und NATO ganz und gar suspendiert. Deswegen werden
trennscharfe und justiziable Tatbestände für Auslandseinsätze auch gar nicht
erst erwogen und auch eine Verfassungsbeschwerde aus dem Ausland scheidet hier
aus. Ebenso stumpf ist der strafrechtliche Schutz; auch das hat Albin Eser in
dieser Zeitung vor kurzem mit guten Gründen hervorgehoben und problematisiert.
Schließlich wäre auch ein etwa korrigierender zivilrechtlicher Abwehr- oder
Entschädigungsanspruch praktisch aussichtslos, siehe etwa die aktuellen
Entscheidungen zum Distomo-Massaker im 2. Weltkrieg oder zur Bombardierung der
Brücke von Vavarin im Kosovokrieg. Und zu guter Letzt steht den Opfern im
Ausland naturgemäß nicht die Möglichkeit zu, in Wahlen und Abstimmungen zum
deutschen Parlament zurückzukoppeln.
Im Grunde leben wir mit der heute
kaum je in Frage gestellten Betonung eines „Eigenbereichs exekutiver
Handlungsbefugnis“, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Streitkräfteurteil
v. 12.7.1994 unter Bezug auf die frühere Pershing-Entscheidung hervorgehoben
hatte und was es in seiner Entscheidung v. 7.5.2008 zur Luftraumüberwachung in
der Türkei mit einer Warnung vor „exekutiven Gestaltungsfreiräumen“ und der
„Räson einer Bündnismechanik“ nur sehr zaghaft relativiert hat. Der Verzicht
auf materielle gesetzliche Regelung der Einsatzgründe mag auch an ein
Ermächtigungsgesetz erinnern, zumindest an diejenigen aus der Phase des ersten
Weltkrieges.
Es wäre nun sehr angebracht, den
Nutzen und die Lasten des gegenwärtigen Regimes von Auslandseinsätzen vor
der Wahl des 18. Bundestages gesellschaftsweit zu debattieren. Der bis heute
fortwirkenden Warnung des damaligen Außenministers Kinkel vor der Wahl zum 13.
(in Worten: dreizehnten) Bundestag, eine Wahlkampf-Debatte zu Auslandseinsätzen
„würde Deutschland schaden“, der kann und will ich jedenfalls nicht
beipflichten. Eher verpflichtet uns die Erinnerung an den administrativ breit
unterstützten Massenmord zu einem hochsensiblen und effizient kontrollierten
Umgang mit auswärtiger Gewalt, und zwar ganz ungeachtet von heutigen
Zahlen und Dimensionen.
P.S. Quellen zu den Bezügen im 2.-4.
Absatz:
Beitrag von Albin Eser: http://www.faz.net/aktuell/
BVerfG v. 15.02.2006, 2 BvR 1476/03
(Schadensersatz für
Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg in Distomo/Griechenland);
BGH v. 02.11.2006, III ZR 190/05, BGHZ
169, 348 = DÖV 2007, 429 (Bombardierung der Brücke von Varvarin/Jugoslawien);
BVerfG v. 12.07.1994, 12 BvE 3/92 u.a.,
BVerfGE 90, 286, 398f = NJW
1994, 2207, 2218f (Streitkräfteurteil);
BVerfG v. 07.05.2008, 2 BvE 1/03; BVerfGE 121, 135 = NJW 2008, 2018 (Türkei /
NATO-Luftraumüberwachung);
Interview n-tv mit Außenminister Klaus Kinkel am 13.9.1993 siehe hier (dort S. 39 unten)
(2012 / 08) 16.1.2012
Frankfurter Allgemeine
gesellschaftliche Debatte zur Außen- und Sicherheitspolitik; zu: Albin Eser
„Dürfen Soldaten überhaupt töten?“, F.A.Z. 28.12.2011, S. 29 u. zum Leserbrief
von Wolfgang Schulenberg „Der Soldat im Einsatz ist Träger der Hoheitsgewalt.“,
F.A.Z. v. 13.1.2012, S. 32:
Sowohl Albin Eser in seinem Beitrag
„Dürfen Soldaten überhaupt töten?“ (F.A.Z. v. 28.12.2011) als auch Wolfgang
Schulenberg in seinem Leserbrief in der F.A.Z. v. 13.1.2012 fordern mehr
Kommunikation. Der Generalstäbler Schulenberg zielt dabei insbesondere auf die
Verbesserung des gesellschaftlichen Rückhalts für die Soldaten vor Ort und eher
auf die Form von Öffentlichkeitsarbeit. Der Strafrechtler Eser will die
Definition des Bundeswehr-Auftrags fördern und ein Spannungsfeld im Rechts- und
Verfassungssystem abbauen, ausgehend dabei vom Strafrecht, aber eben nicht
beschränkt darauf. Aber auch Herr Schulenberg ist an einer „klaren Sicht auf
den verfassungsmäßigen Auftrag der Bundeswehr“ interessiert; er beginnt selbst
wohl ganz gezielt bei den in der Fachdebatte eher unstreitigen Fallgestaltungen
wie den Einsätzen „zum Schutze des Bestandes der Bundesrepublik“ und solchen
zur „Abwehr schwerster Bedrohungen für höchstrangige Rechtsgüter“. Jenseits
dieser Fallgruppen aber warten noch die eigentlich brennenden Fragen zum
rechtsstaatlich abgesicherten Aufgabenspektrum der Streitkräfte; sie führten ja
sogar zum Rücktritt des letzten Bundespräsidenten. Beide Autoren stellen aus
meiner Sicht einander ergänzende Anforderungen an die Politik – zur
Organisation einer gesellschaftlichen Debatte, die der Bundeswehr unter den
seit 1990 mindestens dreifach neu gewichteten Anforderungen eine Unterstützung
der Bürger erlauben würde, die auch in Krisen belastbar wäre, und auch eine den
Aufgaben angemessene Rekrutierung.
Ein Spannungsfeld besteht bis zum
heutigen Tage: Zwar schienen sich die politischen Kontroversen rund um eine
Änderung der Verfassung unmittelbar nach dem Streitkräfteurteil des
Bundesverfassungsgerichts a.d.J. 1994 erledigt zu haben. Allerdings war diese
Entscheidung auf eine Organklage ergangen und hatte mit der Zustimmungslösung
eine dezidiert verfahrensrechtliche Lösung gewiesen. Das Streitkräfteurteil
nimmt dagegen mit keinem Wort zum Grundrechtsschutz im ersten und prägenden
Abschnitt des Grundgesetzes Stellung oder zur Abwägung individueller und
gesamtstaatlicher Rechte. Im Kern bleibt damit ein Loyalitätskonflikt
programmiert, den ein Soldat im Einsatz – Träger öffentlicher Gewalt, wie
Wolfgang Schulenberg zu Recht feststellt – nicht selbst auflösen kann, nicht
mit Taschenkarten, nicht mit einem Strafgesetzbuch, nicht mit einem Grundgesetz
oder gar mit einer Bibel: Den Schutzgeboten aus Art. 2 GG, aus den
§§ 211ff StGB und dem Tötungsverbot der Bibel steht eine im besonderen
Gewaltverhältnis zwingende Befehlskette entgegen, die auf Art. 24 GG in der
Interpretation des Bundesverfassungsgerichts, auf dem Weißbuch, den
Verteidigungspolitischen Richtlinien und auf dem im konkreten Fall
konstitutiven Einsatzbeschluss von Kabinett und Parlament und auf einem darauf
wiederum ergangenen Einsatzbefehl beruht. Ein ähnliches Spannungsfeld wurde in
einem Katechismus aus dem ersten Weltkrieg, der in der Feldseelsorge verwandt
wurde, mit einer einfachen Fußnote beim Tötungsverbot des 5. Gebots rhetorisch
aufgelöst: „Gilt nicht im Kriege!“
Nun können oder wollen wir offenbar
weder den ersten Abschnitt des Grundgesetzes noch die §§ 211 ff des
Strafgesetzbuches – oder moderne Bibeln – mit einer fortgeschriebenen Fußnote versehen,
die unter den heutigen Bedingungen etwa lauten müsste: „Gilt nicht bei Krisen
und Konflikten!“ Darum ist es höchst wünschenswert, im demokratischen Diskurs
die in den o.g. F.A.Z.-Beiträgen geforderte Klärung und Vergewisserung
herbeizuführen und dabei grundlegend herauszuarbeiten: Konkret zum Schutz
welcher Rechtsgüter und unter Gefährdung welcher Rechtsgüter soll deutsche
auswärtige Gewalt künftig dienen? Diese materielle Definition kann und muss als
ergänzende Sicherung zur vom Verfassungsgericht bereits angeordneten
Letzt-Zustimmung des Bundestages hinzutreten – auch und gerade zum Schutz der
Soldaten im Einsatz!
P.S.
Link zum Beitrag von Albin Eser: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/kriegsrecht-duerfen-soldaten-ueberhaupt-toeten-11581837.html;
Link zum Leserbrief von Wolfgang Schulenberg hier.
(2012 / 07) 12.1.2012
DIE WELT
Anschlag auf iranischen Atomforscher; Michael Borgstede "Atomforscher
stirbt bei Anschlag im Iran"
(DIE WELT 12.1.2012, S. 8)
Zur Bewertung des Attentats braucht
es nur Kants kategorischen Imperativ. Und diese Analyse fällt noch negativer
aus und für unsere sichere Zukunft noch besorgniserregender, wenn die
Veranlasser des Attentats diejenige Waffentechnologie bereits selbst im
Anschlag haben, die durch die tödliche Magnetbombe im Iran weiter verzögert werden
soll. Das muss auch die Realpolitiker beunruhigen - die Anhänger eines
aufgeklärten, verfassten und für andere Regionen beispielgebenden Staates
sowieso.
(2012
/ 06) 12.1.2012
TIME
weapon technology / drones; Mark Thomson "Stealth Army"
(TIME Jan. 09, 2012, p. 21):
What
may be marketed as a big bargain in times of sparse budgets, it may turn too
heavy a burden. The body-count of the ongoing millennium shows that drones
already are far more lethal than atomic, biological or chemical weapons. They
don't know any rule of law and are they are most readily employed in distant
conflicts. Drones never make for friends, and they are bound to trigger
terroristic avengers, being their very fitting mirror image.
P.S.
Although the situation is somewhat different, I’m reminded of Ray
Bradbury’s “The City” from his 1951 collection “The Illustrated Man”, http://en.wikipedia.org/wiki/
(2012 / 05) 12.1.2012
Spektrum der Wissenschaft, veröffentlicht auf der Spektrum-Seite, s. www.spektrum.de/artikel/
Wissenschaft und Religion; Christian Tapp, „Vernunft und Glaube“ (Spektrum
1/2012, S. 56-63) u. Streitgespräch zwischen Eckart Voland und Winfried Löffler
„Was können Wissenschaft und Religion voneinander lernen?“ (S. 64-71)
Stärker als die Unterschiede
faszinieren mich die Ähnlichkeiten: Gemeinsam ist Wissenschaft und Religion
eine hohe Nähe zum Staat; das sichert einerseits gesellschaftliche Ressourcen
und versorgt andererseits die staatlichen Repräsentanten mit Erklärungsmustern,
Delphi-artigen Prognosen und nicht immer unparteiischen
Entscheidungsgrundlagen. Strukturell ähnlich sind sich die Selig- und
Heiligsprechungen und die peer-review-basierten Preise und Medaillen, die beide
das irdische Leben zu überdauern versprechen. Beiden Lagern wohnt ein bald
theokratisches, bald technokratisches, in jedem Fall stark geordnetes und
hierarchisiertes Weltbild inne, auch eine Scheidung zwischen Theorie und
Praxis. Dabei schreiben Wissenschaft wie Religion das offen Menschenfressende
und Weltgefährdende ihres jeweiligen Weges regelmäßig und apologetisch einer
üblen technischen oder praktischen Umsetzung zu. Beide Systeme müssen bei
nachvollziehbaren Erklärungen des Ursprungs und Grundes letztlich passen – beim
Ursprung der Gesamtwelt wie auch des Lebens. Selbst bei der Evolution unserer
Art und bei der Determiniertheit individueller Eigenschaften bleiben die
Erkenntnismöglichkeiten eher begrenzt und Überraschungen auf der Tagesordnung.
Nobelpreise mögen typischerweise für nonkonforme Ansätze verliehen werden, aber
auch sie folgen dem Axiom eines bilanzierbaren Nutzens der technisch
dominierten Zivilisation, den zumindest die westlichen Religionen ebenfalls
nicht in Frage stellen.
Das Erschreckendste aber ist für
mich: Trotz ausgefeilter und sogar wegweisender Hermeneutik, trotz
atemberaubender Erkenntnissprünge im Größten und im Kleinsten sind die
Fortschritte und Beiträge beider Systeme beim verlässlichen Schutz von Grund-
und Menschenrechten in den letzten 20 Jahren eine zu vernachlässigende Größe
geblieben - eigentlich auch schon die diesem Ziel gewidmeten Ressourcen.
(2012 / 04) 6.1.2012
DIE ZEIT, abgedruckt 19.1.2012
Kreditaffäre des Bundespräsidenten (Bernd Ulrich "Leeres Schloss",
DIE ZEIT 2/2012 v. 5.1.2012, S. 1; Tina Hildebrandt "Ein Mann, kein
Wort", S. 3)
Keine Frage: Eine Staatskrise ist es
nicht. Aber es ist an der Zeit, über neue Wege nachzudenken. Wenn wir mangels
Repräsentanz nun allesamt Bundespräsident sind, dann können wir doch aus
unserer Mitte einen neuen ersten Bürger wählen, oder? Das bisherige
Assessment-Center mit der magischen ununterbrochenen Legitimationskette von
Gnaden des Kanzleramtes und mit halb-ernsten Institutionen wie der
Bundesversammlung, die zunehmend an eine Soap erinnerte oder an "Der
Kongress tanzt": Hat das nicht in der Rückschau bessere, aber nun invalide
Kandidaten zurück gelassen, und sorgt es nicht draußen vor den Staketenzäunen
für immer verdrossenere oder schon apathische Bürger?
Also frisch ans Werk – mit einem
neuen Konzept "Bürgerpräsident"! Dazu müssen wir ihm noch nicht
einmal mehr konstitutionelle Muskeln geben; die Köhler'sche Interpretation des
Prüfungsrechts bei der Ausfertigung von Gesetzen gemäß Artikel 82 GG gibt
ja schon sehr viel Saft und Kraft. Aber wenn es noch etwas mehr Fitness und
Konstitution sein soll: Dann würde zum Konzept "Bürgerpräsident" etwa
eine eigene Rolle im Eingabewesen passen. Es fällt uns sicher noch mehr
erfrischende Innovation ein, wenn wir nur wollen. Das alles kann sogar helfen,
die fast schon wieder zu Staub zerfallenen Demokratie-Hoffnungen der
Beitritts-Bürger unter uns einzulösen.
Als Motto: Occupy Bellevue!
(2012 / 03) 6.1.20112
DIE WELT
Kreditaffäre des Bundespräsidenten / Interview v. 4.1.2011 und zur
Berichterstattung und Kommentierung in der WELT v. 5.1.2012 (Erstseiten-Artikel
„Christian Wulff entschuldigt sich für ‚schweren Fehler‘ “; Kommentar v.
Torsten Krauel „Wulffs dritter Versuch“, S. 1; Beitrag v. Daniel Friedrich
Sturm „Wulff sucht die Offensive“, S. 4; Beitrag von Ulf Poschadt „Mitleid mit
dem Parvenü“, S. 23)
Die folgenden Bemerkungen
Wulffs sind mir am Mittwoch aufgestoßen: Den Abdruck eines kritischen Artikels
während einer Auslandsreise verhindern zu wollen (Konnotation: in einer
Phase der besonderen Schutzlosigkeit), das sei doch menschlich verständlich
- auch wegen der besonderen persönlichen Belastung (zu Guttenberg lässt
grüßen). Er wolle nicht Präsident eines Landes sein, in dem Freunde einem
Präsidenten in Not nicht helfen dürften (und die Präsidenten in ihrer Not
nicht dankbar sein dürften) oder bei denen er nicht ohne Beleg logieren
könnte (selbst im Ausland, auch im Wochenmaßstab). Er habe nach der
Verantwortung eines Ministerpräsidenten noch entscheidend dazuzulernen gehabt
und alles sei doch arg schnell gegangen (noch ein kleiner Guttenberg).
Er habe kein Recht gebrochen (das ist noch nicht abschließend geklärt - aber
es würde auch ohne dies auf eine winkeladvokatorische Pose deuten, die sich
nicht am Maßstab der persönlichen Integrität messen lassen will). Er wolle fünf Jahre im Amt lernen und
beweisen, dass auch er Fehler nachhaltig vermeiden könne (das könnten für
uns einige Lerneinheiten zu viel sein). Überhaupt: Wenn man zu
strenge Maßstäbe anlege, fände man gar keine so fähigen (gemeint dann wohl:
so entwicklungsfähigen) Kandidaten. Anders gesagt: Wer da ist ohne Sünde,
der werfe den ersten Stein (dieser Rat
allerdings müsste sich am ehesten an das Kanzleramt richten, das bekanntermaßen
das Assessment-Center für neue Bundespräsidenten leitet).
Insgesamt frage ich mich, ob nicht
in einer künftigen Volkswahl des ersten Bürgers mehr Weisheit stecken würde als
in dem operettenhaften, teils Slapstick-artigen Inszenieren von
Bundesversammlungen. Wir sollten das mal wagen. Übrigens glaube ich nicht, dass
ein Normal-Verbraucher dem Amt nur unter Sysiphos-haften Anstrengungen das für
eine Bürger-Demokratie notwendige Format verleihen könnte.
(2012 / 02) 4.1.2012
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 11.1.2011
Kreditaffäre des Bundespräsidenten, u.a Kommentar von Daniel Brösler
"Merkels Schuld"
(Süddeutsche Zeitung v. 4.1.2012, S. 4)
Zum Auswachsen ist's: Nun droht mir
in schneller Folge schon der zweite erste Bürger abhanden zu kommen - grad,
dass ich ihn liebgewonnen hatte. Der spröde Köhler hatte mich erst mit seiner
Rede vom 10.10.2005 zum fünfzigjährigen Bestehen der Bundeswehr überwältigt,
mit seinen mehr als 20 luziden Fragen zu Auftrag und Nutzen der neuen
Streitkräfte. Fragen, die vor und nach ihm keiner von unseren fast 700
parlamentarischen und exekutiven Repräsentanten zu stellen wagte, geschweige
denn zu beantworten. Und verschluckt hatte er sich dann ausgerechnet an einer
klaren Aussage, die schon seit Rühes Zeiten für jeden nachlesbar in allen
Verteidigungspolitischen Richtlinien stand, selbst in denen aus der Ära Struck.
Und nun Wulff? Life und in Farbe
habe ich ihn vor wenigen Monaten bei einer Konferenz zur Berufsbildung erlebt -
und er hat mich gegen jedes mögliche Vorurteil kalt erwischt: Lebhaft,
kompetent, souverän - authentischer als alles, was man sonst hätte auf die
Bühne stellen können, und mehr als nur eine gute Show. Gut - sein Charisma war
wahrscheinlich einfach das, was ein homo novus wie der junge Wulff in einer
Partei gegen ein Karriereversprechen eintauschen konnte. Aber das Problem liegt
natürlich tiefer, in dem für agile Aufsteiger unwiderstehlichen Sexappeal
zwischen ökonomischer Reichtumsmacht und politischem Machtreichtum, der eine
überzeugte Demokratie unbemerkt zur real existierenden machen kann. Als die
WestLB ihren Ministerpräsidenten Rau mit einem insgeheim vorbereiteten
opulenten Geburtstagsfestakt - wie er später sagte - völlig überraschte, war es
ja auch nicht viel anders.
Bei Köhler wie Wulff war unsere
Kanzlerin ja vielleicht nicht direkt allein schuldig, aber zumindest war sie
angestrengt glücklos. Wir sollten sie und die ohnehin überbezahlte
Bundesversammlung von den Assessment-Centern für künftige Präsidenten
freistellen und unsere ersten Bürger in Zukunft selbst auswählen, einen
Reserve-Ersten gleich dazu. Und in den Anstellungsvertrag sollten wir für beide
klare Benimm- und Ausstiegsregeln hinein schreiben, von Anfang an.
(2012 / 01) 4.1.2012
Frankfurter Allgemeine
Rechtsgrundlage für Auslandseinsätze; Albin
Eser "Dürfen Soldaten überhaupt töten?"
(F.A.Z. v. 28.12.2011, S. 29):
Herrn Eser herzlichen Dank und meine
volle Zustimmung für seinen aufrüttelnden Anstoß, über auswärtige Gewalt nun
einmal dezidiert im Lichte des Grundrechtsschutzes zu sprechen, damit völlig
passfähig zum zentralen und auch redaktionell primär gesetzten
Begründungszusammenhang des Grundgesetzes.
Nun sind wir im Nachdenken und
Debattieren über Staat und Gewalt erfahrungsgemäß arge Spätzünder. Der
Holocaust hatte erst zwei Jahrzehnte verzögert zu einem ernst zu nehmenden
gesellschaftlichen Diskurs gefunden und auch hier sind es auch schon bald
zwanzig Jahre: Eine grundlegende und massiv, teils irreversibel in Grundrechte
eingreifende neue staatliche Handlungsform ereignet sich einfach so, ohne breite
gesellschaftliche Debatte, ohne die für Rechtsstaaten typische vorherige,
allgemeingültige Festlegung von Eingriffsgründen in einem Gesetz oder in einer
Verfassung, wie sie Art. 19 Abs. 1 GG eigentlich ohne jede Möglichkeit der
Missdeutung voraussetzt.
Namen wie Farah Abdullah, † 22.1.1994 bei Belet Huen/Somalia, Sanja Milenkovic, † 30.5.1999 bei
Vavarin/Serbien oder Bibi Khanum, †
28.8.2008 mit zwei Kindern bei Kundus/Afghanistan, sind hier praktisch
unbekannt. Das sind nur Beispiele für die mehreren Tausend ausländischer Opfer
aus neuen Konflikten, an denen Deutschland beteiligt war und ist. Es sind
häufig genug – wie auch in den genannten Fällen – junge Menschen; der Somali
Farah Abdullah war das erste zivile Opfer, von dem ich hörte. Ein Denkmal für
diese Toten wird es noch lange nicht geben; notorischerweise werden zuerst die
staatseigenen Opfer geehrt. Umso wichtiger wäre, dass wir die Gründe unseres
militärischen Eingreifens endlich im Wortsinne definieren, will sagen eindeutig
begrenzen. In einem Rechtsstaat kann es keine Lizenz zum Töten mit
Verbotsvorbehalt geben, sondern – wenn überhaupt – nur eine primäre
Lebensgarantie mit klar auslesbaren und justiziablen Ausnahmen. Auch insoweit
kann ich Herrn Eser nur aus vollem Herzen zustimmen und würde mir wünschen,
dass die geballte Staatsrechtswissenschaft sich dessen mit Verve und
Außenwirkung annähme. Bisher allerdings sind mir nur die nachdenklichen
Beiträge von Martin Kutscha bekannt.
Kommen wir kurz auf den Holocaust
zurück und zu einem Treppenwitz der Verfassungsgeschichte. Das Trauma des
national und rassistisch verblendeten Unrechtsstaates und die
Pseudo-Legitimierung seiner Exekutive durch das Ermächtigungsgesetz wurden nach
1945 der gedankliche Vater des Bundesverfassungsgerichts. Diesen Ursprung und
den besonderen Auftrag, die staatliche Gewaltanwendung kontinuierlich in
eindeutig überprüfbaren Schranken zu halten, hat das höchste Gericht in seiner
grundlegenden Entscheidung zu Auslandseinsätzen a.d.J. 1994 aus meiner Sicht
völlig ausgeblendet. Von Grundrechten oder von Wertekonflikten ist in dem mehr
als hundert Seiten starken Urteil mit keinem Wort die Rede, wohl aber intensiv
von den angestammten Rechten der Administration, für die das Gericht unter
Bezug auf die Pershing-Entscheidung des Jahres 1985 [soweit von Interesse: BVerfGE 68, S. 1, 87] einen „Eigenbereich
exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit“ postuliert [soweit von Interesse: BVerfGE 90, S. 286,
389f]. Die Rechtswissenschaft liest das Urteil weit überwiegend nicht als
nur verfassungsinterpretierend, sondern als de
facto verfassungsändernd. Die Entscheidung ist nicht mit Richtermehrheit,
sondern lediglich in einem durch das konkrete Antragsverfahren ermöglichten
Patt ergangen. Unter dem Strich: Ohne verfassungsändernde parlamentarische
Mehrheit, nicht einmal mit der Mehrheit des Richterkollegiums hat sich eine
konstitutionelle Revolution ereignet, die der Exekutive erlaubt, jeweils ad hoc
– und eben nicht nach generell festgelegten Eingriffsgrundlagen – in
lebensbestimmende Grundrechte einzugreifen. Auch die Zustimmung der
Parlamentsmehrheit darf man hier nicht als wachsames Korrektiv missverstehen:
Das Plenum hat die bisher mehr als 100 Einsatzbeschlüsse selbst in sehr
strittigen Fällen ausnahmslos passieren lassen und etwas anderes steht auch für
die Zukunft kaum zu erwarten. Also: Das ohne Ermächtigungsgesetz kaum denkbare
Bundesverfassungsgericht hat ein Stück weit den Weg zurück zum Geist eines
Ermächtigungsgesetzes gewiesen. Und in der Folge wurden dann Einsätze auch mit
der reflexhaft eingängigen Parole „Nie wieder Auschwitz“ beworben, selbst wo
sie selbst tausendfachen Tod und Verletzung brachten. Was in einem im ersten
Weltkrieg gedruckten Katechismus als Fußnote zum 5. Gebot zu lesen stand und
was wohl schon damals den eklatanten Zivilisationsbruch hinweg definieren
sollte, das scheint auch heute wieder zu glatt hinunter zu gehen "Gilt
nicht im Kriege!"
Wir sollten nun die hinsichtlich der
Grundrechtsrelevanz nicht abgewogene und auch im Kollegium nur gering unterstützte
1994er Entscheidung politisch zu Disposition stellen und den ersten Abschnitt
des Grundgesetzes so würdigen, wie es unserer nachhaltigen historischen Lektion
entspricht: In gesellschaftlicher Debatte, in Abwägung der Grund- und
Menschenrechte von Inländern und Ausländern wird das Handlungsprogramm der
auswärtigen Gewalt klar definiert bzw. eindeutig begrenzt. Als
Schlüssigkeitstest kann dabei die Jahrtausende alte golden rule dienen, die für das nationale Recht ebenso wie das
Völkerrecht nützlich ist: „Handle immer so, wie du selbst behandelt werden
möchtest.“ Immanuel Kant hat sie in seinem zeitlosen Traktat „Zum Ewigen
Frieden“ zitiert, in der Form des kategorischen Imperativs.
Dass wir konsequent auch unsere
Bündnisrollen neu definieren müssen, das ist selbstverständlich. Aber wir
dürfen uns auch nicht durch die Bündnisrollen definieren lassen. Diese Rollen
waren in den letzten zwanzig Jahren typischerweise von institutionellen
und administrativen Interessen geprägt und haben sich ohne ausreichende
gesellschaftliche Debatte unter stetiger Entgrenzung der Risiken,
Eingriffsarten und Eingriffsräume fortentwickelt. Der teils sehr
erratische und klandestine Prozess hatte unsere Berechenbarkeit und die
globale, regionale und nationale Sicherheit nicht denknotwendig gestärkt.
Und ein paar Sammlerstücke aus
früheren Jahren:
(a) Die Mutter aller [meiner]
Leserbriefe:
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStA. v.
29.9.1992)
Hätten wir am Deutschlandtag die
Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert.
Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme
legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen,
die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der
Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche
Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun
begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu
absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne
auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der
count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine
verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und
unserer Repräsentanten im Inland.
(b)
Der Leserbrief mit dem stärksten Verzögerungszünder:
29.5.2008
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 30./31.5.2009,
also bereits ein Jahr später
Wahl des Bundespräsidenten; Kandidaturen Hort Köhler / Gesine Schwan (KStA v.
27.-29.4.2008, u.a. Franz Sommerfeld "Mit Gesine Schwan nach links",
KStA v. 27.5.2008, S. 4)
Entscheidend
ist, so weiland ein großer Kanzler, was hinten raus kommt. Mehr Demokratie
kommt raus, wenn bei einer Wahl die Wahl besteht. Das andere haben wir früher -
meist nach Osten blickend - gerne als "Abnicken" verspottet und
versuchen es selbst im Miniaturmaßstab der Schuldemokratie nach Kräften zu
vermeiden.
Und
die Gefahr durch die ewig Linken? Na ja, wenn man böse Ränke und abgekartete
Spiele fürchtet oder wenn man ein barockes Theater von mehr als tausend wohlbestallten
Spesenrittern von Herzen verhindern will, dann gibt es doch eine ganz
natürliche Lösung: Die Wahl des obersten Bürgers durch die Bürger selbst. Wäre
sicher auch die bessere Remedur gegen deren nachhaltige Verdrossenheit.
(c)
Und der am weitesten gereiste Leserbrief:
22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of
August 14, 1995
I refer to reports on WW II and
especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August
14, 1995 (page 6). It is my impression that those two letters offer a
unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of
atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a
merciful decision"). So I would like to show an alternative view:
It is certainly true, that Japanese
military leaders commenced the hostilities against the
The echoes of that demonstration of
power strongly outlived that event. We hear them over and over again – from
Weitere
Leserbriefe aus 2011 / 2010
/ 2009 / 2008 / 2007 / 2006 / 2005 / 2004
/ 2003 / 2002 / 2001 / 2000 / 1999 / 1998 / 1997 / 1996 / 1995 / 1994 / 1993 / 1992
oder auch Briefe für Englisch-sprachige
Medien.
Oder meine Leserbriefe, die zum
Thema „out of area“ abgedruckt
worden sind.
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