Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahr 2015
Stand:
November 2015
(2015/25) 26.10.2015
DIE ZEIT
Flüchtlingsdebatte; Bernd Ulrich „Wut ohne Grenzen“ und Matthias Geis „Worte
gegen die WUT der Worte“ (DIE ZEIT No 43 v. 22.10.2015, S. 2 u. 4)
Mit Grenzenlosigkeit hat die WUT viel zu tun, ist sie doch
auch Folge der sicherheitspolitischen Entgrenzung der letzten zwei
Jahrzehnte. Wir können den aus Afghanistan kolportierten Spruch getrost
ergänzen: „Ihr habt die Uhren, aber wir
haben die Zeit, notfalls die Sandalen.“
Es ist höchst lehrreich zu sehen, woher sie denn kommen, die
Ströme von flüchtenden Männern und Frauen, Kindern wie Greisen. Die wichtigsten
Ausgangspunkte oder Transitkanäle sind just jene Regionen und Staaten, die der
Westen in den vergangenen Jahren in einer gar nicht schöpferischen Zerstörung
umgestalten wollte. Das waren, mittels robuster militärischer Exkursionen oder
durch eine resolute Diplomatie, insbesondere Irak, Afghanistan, Syrien und
Libyen, aber auch ein noch immer geschüttelter Balkan.
Hier und da habe ich einen Tagtraum: Politiker, die in den
Neunzigern einer neuen deutschen Normalität und einer „Armee im Einsatz“ das
Wort geredet hatten – gerne auch mit beißender Polemik gegen die
Friedensbewegung wie Wolfgang Schäuble in der Somalia-Bundestagsdebatte vom
21.4.1993 – sie würden vor einer Wahl heraustreten und ein wenig betreten
bekennen: „Wir wollten gestalten. Wir haben die Konfliktlagen nicht
durchschaut. Wir haben Strukturen zerstört, haben Konflikte geschürt und damit
Flüchtlings-Lawinen losgetreten.“ Demokratische Rechenschaft und
Lernbereitschaft könnte man das nennen und nachts träume ich realistischer.
Quellen
·
Plenardebatte
des Bundestags zu UNOSOM II am 21.4.1993, siehe http://dip21.bundestag.de/
·
Zum
Vergleich: Generaldebatte zum Haushalt 2016 und u.a. zur Flüchtlingsproblematik
am 9.9.2015, dort wies ausschließlich Gregor Gysi auf Ursächlichkeiten der
Außen- u. Sicherheitspolitik hin, siehe http://dipbt.bundestag.de/doc/
(2015/24) 26.10.2015
DIE WELT
VW-Diesel-Manipulationen; „VW denkt an Eintauschprämie für alte Diesel“, „VW
erwägt Eintauschprämie für manipulierte Autos“ (DIE WELT 26.10.2015, S. 1 und
10)
Genial – die Eintauschprämie! Die
zurücklaufenden Wagen dann einfach in die wuchernden Megastädte der dritten
Welt verticken – die haben zwar allesamt ein massives Problem mit Stickoxiden,
sind aber meist nicht so etepetete wie wir – und die Sache läuft rund. Dumm
nur, wenn’s dann so geht wie weiland beim Verschieben des
Tschernobyl-Molkepulvers nach Ägypten, wenn nämlich der ganze Kladderadatsch
postwendend retourniert wird.
Quelle zu vagabundierenden
Milchprodukten nach Tschernobyl z.B.
http://www.zeit.de/1987/15/
(2015/23) 21.10.2015
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 5.11.2015
Flüchtlingsdebatte; Heribert Prantls Kommentar „Merkel auf dem Rückzug“
(Süddeutsche v. 19.10.2015, S. 4)
Wenn unsere Kanzlerin ein Engel der Flüchtlings-Aufnahme
bleiben wollte, es stünde ihr ein sehr ehrenwertes Argument zu Gebot, nämlich
die Übernahme von Verantwortung für unser Tun: Die allermeisten der zu uns
strebenden Männer, Frauen und Kinder formen eine exakt gegenläufige Bewegung zu
früheren oder teils noch laufenden Interventionen des Westens, seien es
militärische Eingriffe, seien es destabilisierende diplomatische Initiativen –
siehe Syrien, Afghanistan, Irak und die Balkan-Region.
Nehmen wir die Zahlen, die die auch im Bundestag gern
gelesene Zeitschrift „Das Parlament“ im September 2015 nannte, so hatten mehr
als zwei Drittel der diesjährigen Asylbewerber bis Ende Juli einen solchen
Interventions-Hintergrund und es stammt gar mehr als ein Drittel wieder vom
Balkan, dessen wir uns ja gleich zu Beginn der Neunziger Jahre mit einer nun
raumgreifenden Außen- und Sicherheitspolitik angenommen hatten.
Was sollte uns der Lehrmeister Krieg sagen? Etwa „Weiter so!“
und „Um die humanitären Folgen nicht kümmern!“? Oder besser doch, dass wir als
Zauberlehrlinge unterwegs waren und sind?
Quelle zu den genannten Zahlen:
Das Parlament Nr. 38/39 v. 14.9.2015, S. 1, http://www.das-parlament.de/
(2015/22) 21.10.2015
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 30.10.2015
Flüchtlingsdebatte; Günter Bannas „Einfache Antworten helfen nicht“ und Daniel
Deckers „Verdruss in Köln“, (Frankfurter Allgemeine v. 20.10.2015, S. 1)
Die Politik steht vor einem Dilemma: Sie kann eine zunehmend
unbeherrschbare Flüchtlingssituation nicht ohne einen eigenen schmerzlichen
Lernprozess erklären: Die ganz hohen Flüchtlingswellen branden derzeit just aus
jenen Regionen heran, die Deutschland oder die seine Verbündeten in den letzten
beiden Jahrzehnten qua erweiterte Außen- und Sicherheitspolitik umgestalten
wollten, teils durch militärische Einsätze „out of area“, teils durch resolute,
auf Regime- und Systemwechsel zielende Diplomatie. Als da wären insbesondere:
Syrien, Irak und Afghanistan mit zusammen 32% der Asylbewerber von Januar bis
Juli 2015 – oder der Balkan, unser erstes sicherheitspolitisches Gesellenstück
nach der 1989er Zeitenwende, mit heute wieder 39% Anteil. Nicht zu vergessen
ein zerbrochenes Libyen, nun der Flüchtlingskanal der Wahl für
Subsahara-Afrika.
Altgediente Politiker werden sich noch erinnern, etwa ein
Wolfgang Schäuble: Er hatte in der Plenardebatte vom 21.4.1993 zum damaligen
Somalia-Einsatz mit beißender Polemik diejenigen abgekanzelt, die an einer
Interpretation von Landesverteidigung oder an einer erklärten Friedenspolitik
festhalten wollten, wie es noch kurz zuvor unter Politikern und Juristen
mehrheitliches Verständnis gewesen war. Ohnehin: Eine Mehrheit von Bürgerinnen
und Bürgern für eine erweiterte Außen- und Sicherheitspolitik hat es m.E. bis
heute nie gegeben, speziell auch nicht zum ISAF-Einsatz in Afghanistan. Nicht
ohne Konsequenz hatte es dann auch vor der letzten Bundestagswahl ein
schulterklopfendes Einvernehmen zwischen dem damaligen Kanzlerkandidaten
Steinbrück und dem damaligen Verteidigungsminister de Maizière gegeben mit dem
Ziel, die Auslandseinsätze und auch die Neustrukturierung der Bundeswehr
"aus dem Wahlkampf herauszuhalten". Drum wäre jetzt ein grundlegender
Sinneswandel erforderlich, und zwar eine Neuorientierung sowohl in der
Politik-Bürger-Kommunikation als auch zum Nutzen und zu den mittelfristigen
Folgen der militärischen Option. Für einen Politiker in Amt und Würden wäre
dies eine Quadratur des Kreises und wäre kaum ohne nochmaligen Politik- oder
Politikerverdruss lösbar.
Das eigentlich Erschreckende aber ist: Auch beim Klimawandel
kann man mit einiger Berechtigung uns Industriestaaten als Veranlasser und
Taktgeber identifizieren. Und der Klimawandel mag Migration, Angst und Hass in
noch anderen Größenordnungen als heute auslösen; zu den Prognosen siehe auch
den druckfrischen OECD-Bericht „Climate Change Mitigation. Policies and
Progress“. In diesem Wetter werden dann ganz andere Politiker gefordert sein.
Quellen
·
Zu
den genannten Asylbewerber-Anteilen:
Das Parlament Nr. 38/39 v. 14.9.2015, S. 1, http://www.das-parlament.de/
·
Plenardebatte
zu UNOSOM II am 21.4.1993 mit Redebeiträgen von MdB Schäuble auf S. 12933ff,
12946; http://dip21.bundestag.de/
·
Thomas
de Maizière am 8.5.2013 zur WAZ-Mediengruppe:
http://www.presseportal.de/pm/
·
OECD Bericht v. 20.10.2015 „Climate
Change Mitigation. Policies and Progress“, http://www.oecd.org/
(2015/21) 20.10.2015
Kölner Stadt-Anzeiger
Flüchtlingsdebatte; Karl Doemens „Geistige Brandstifter“ – Klare
Politiker-Worte an Pegida, KStA 20.10.2015, S. 5, der nachfolgende Leserbrief:
Selbst kleinste Initiativen können anrühren, etwa die
Mini-Demonstration von Lothar de Maiziére mit seinem handgeschriebenen Plakat
„DEMOKRATIE LEBT von Argumenten, nicht von Hass, Messern und Galgen“.
Eine bittere Pointe liegt darin: Dem heutigen Innen- und
vormaligen Verteidigungsminister könnten wir ein ganz ähnliches Plakat
vorhalten, nämlich „DIPLOMATIE LEBT von Argumenten, nicht von Panzern, Bomben
oder vom Untergraben“. Denn sehen wir auf die Ausgangspunkte der derzeit
wesentlichen Flüchtlingsströme, dann finden wir nur Regionen, in denen der
Westen in den letzten zwei Jahrzehnten auf einen spektakulären Macht- und
Systemwechsel gesetzt hatte, durch militärische Eingriffe oder durch eine
ungeschminkt destabilisierende Diplomatie – Afghanistan, Irak, Teile Afrikas
und wieder ganz vorn der Balkan.
Die inzwischen schwer beherrschbaren Migrationsfolgen
spielen nun den ewigen Brandstiftern in die Hand. Will irgendein Politiker für
die außen- und sicherheitspolitische Vorgeschichte Rechenschaft ablegen, Lehren
ziehen oder gar Verantwortung übernehmen? Ich kenne
keinen.
(2015/20)
17.10.2015
TIME
Refugees; Nancy Gibbs „A
modern exodus“, TIME of October 19, 2015, p. 4, and further refugee-related
articles of the same TIME issue
I definitely cherish Germans heartely welcoming refugees. But that may
be their very debt as well – regarding that the significant majority of the new
exodus is emerging from areas of misfired German interventions of the last two
decades, be it by military force, be it by a resolute diplomacy, aiming at
regime changes.
I cannot help thinking foreign policy is done by modern
“Zauberlehrlinge”. Like Zbigniew Brzezinski, when he trustingly justified
fuelling up jihadism by the then desired fall of the Soviet empire, in that famous
1998 interview with the Nouvel Observateur,
Source
Brzezinski: «Oui, la CIA est entrée
en
Excerpt
Le Nouvel Observateur:
Vous ne regrettez pas non plus d’avoir favorisé l’intégrisme islamiste,
d’avoir donné des armes, des conseils à de futurs terroristes?
Zbigniew Brzezinski:
Qu’est-ce qui est le plus important au regard de l’histoire du monde? Les
talibans ou la chute de l’empire soviétique? Quelques excités islamistes où la
libération de l’Europe centrale et la fin de la guerre froide?
(2015/19) 30.9.2015
Kölner Stadtanzeiger
Flüchtlinge; Holger Schmale, „Ende eines tödlichen Irrwegs“, „Die Fehler des
Föderalismus“ und „Osama bin Laden wäre zufrieden“ KStA v. 25.9., 24.9. und
11.9.2015, und zu Thomas Kröter, „Besser als der Tod“, KStA v. 29.9.2015
(jeweils S. 4)
Danke für die
ganzheitliche Kommentierung des Zusammenhangs zwischen Außen- und
Sicherheitspolitik und Flüchtlingsstrom und für den Appell zu mehr Realpolitik.
Realpolitik bedeutet für mich eine fortlaufend – auch vor Wahlen – eng zur
Wirklichkeit gekoppelte Strategie, damit auch Evaluation nach Zielen, Nutzen
und Lasten.
Die Zahl der
Kabinettbeschlüsse zu Auslandseinsätzen hat seit der 12. Legislatur – damals
waren es fünf – hin zur 17. Legislatur mit achtunddreißig Beschlüssen massiv
zugenommen; zur Hälfte der laufenden Legislatur sind es schon siebenundzwanzig!
Sieht man auf die Herkunftsgebiete des anschwellenden Flüchtlingsstroms, so
sind die heute schwärenden Fluchtpunkte solche, bei denen der Westen durch
robuste militärische Einsätze oder durch eine destabilisierende Diplomatie klar
auf Regimewechsel zielte: Irak. Afghanistan, Syrien – und neuerdings wieder,
wie zu Beginn der Neunziger, ein weiter kriselnder Balkan. Mehr derselben
Politik wäre ein schlechter Lehrmeister.
In der Generaldebatte
zum 2016er Haushalt am 9.9.2015 haben die Fluchtgründe nur eine marginale Rolle
gespielt; zumeist ging es in der bekannten schulmeisterlichen Art um Defizite
vor Ort. Nur ein Redebeitrag fragte nach unseren eigenen kausalen Anteilen und
wurde beißend polemisch pariert mit Einwürfen wie „Das ist momentan das
Wichtigste, was zu klären ist!“ oder „Mit
Ihnen wäre das nicht passiert!“
Quelle zu den im zweiten Absatz genannten Zahlen
Die bisherigen Kabinettbeschlüsse und parlamentarischen Vorgänge zu
Auslandseinsätzen sind u.a. dokumentiert unter http://www.vo2s.de/mi_
P.S.
Ich hatte kurz erwogen, aber dann doch verworfen, Alfred Neven DuMonts
Kommentar „Der Weg ins Abseits“ zu zitieren, in dem er aus ungeschminkt
kommerziellem Kalkül einer deutschen Teilnahme am Irak-Krieg das Wort geredet
hatte (KStA 15./16.2.2003, S. 4 = http://www.ksta.de/debatte/
Vor dem
Hintergrund der aktuellen Geschehnisse in der Provinzhauptstadt Kundus sollte
man unbedingt noch mal das läppische Märchen nachlesen, das Thomas de Maizière
am 6.10.2013 in launiger Stimmung bei Übergabe des Feldlagers präsentiert
hatte, nämlich die Geschichte vom schlauen deutschen Bäuerlein und seinen drei
tumben afghanischen Söhnen (siehe näher http://uliswahlblog.blogspot.
(2015/18) 28.9.2015
SPIEGEL
VW-Abgas-Skandal; Johann Grolle et al. „Ende eines Mythos“ (DER SPIEGEL Nr. 40
v. 26.9.2015, S. 10ff)
Pardon, geht es
wirklich um etwas Nachhilfebedarf in Amerikakunde? Eher doch um die Chuzpe
einer technokratischen Elite, für die Vertraulichkeit heilig ist und jeder
Whistleblower eine Höllengeburt. Der Kübel hat Deutschland beschmutzt. Oder
auch: Auf „Made in Germany“ wimmeln die fetten Maden.
(2015/17) 24.9.2015
Das Parlament, abgedruckt 5.10.2015
Flüchtlinge; Claus Peter Kosfeld, „Einfach mal anpacken“ und zur Dokumentation
der Generaldebatte zum Haushalt 2016 am 9.9.2015, Das Parlament Nr. 38/39 v.
14.9.2015
Es fällt schwer,
daran vorbeizusehen: Die Staaten, in denen der Westen in den letzten
Jahrzehnten qua raumgreifender Außen- und Sicherheitspolitik einen
Regimewechsel herbeiführen wollte oder sogar erzielt hat – sei es durch robuste
äußere Gewalt out of area, sei es
durch entschlossene Diplomatie – sie gehören heute zu den schwärendsten
Fluchtpunkten: Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, wieder anwachsend auch der
Balkan. Wir können die Zahlen aus der Grafik zu den Flüchtlingsströmen auf der
Deckseite des „Parlaments“ nüchtern saldieren. Dann finden wir ca. 140.000 Männer,
Frauen und Kinder mit Interventions-Geschichte bzw. signifikante mehr als 70%
der Asylbewerber i.J. 2015 bis Ende Juli. Allein vom Balkan, einer als längst
abgearbeitet wahrgenommenen Krisen- und Interventionsregion, waren es wieder
etwa 76.000 oder fast 40% der Gesamtzahl.
Zu einem möglichen
eigenen kausalen Anteil unserer Einsatzentscheidungen am Schicksal der
Flüchtlinge hat sich in der achtstündigen Debatte nur Gregor Gysi geäußert. Der
Krieg ist ein schlechter Lehrmeister, wenn er weit entfernt wütet und wenn die
menschlichen Folgen nur mit Verzögerung zu uns durchsickern. Wie ließ sich der
damalige Verteidigungsminister Jung in seinem Weißbuch 2006 zitieren: „Wir
müssen Krisen und Konflikten rechtzeitig dort begegnen, wo sie entstehen und
dadurch ihre negativen Wirkungen von Europa und unseren Bürgern weitgehend
fernhalten.“ Er hat die Problemlösungsfähigkeit der Industriestaaten massiv
überschätzt.
P.S.
Das Jung-Zitat findet
sich im Weißbuch 2006 auf S. 18.
Das Weißbuch selbst
bezieht sich in Kap. 1.2 „Die
strategischen Rahmenbedingungen – Globale Herausforderungen, Chancen, Risiken
und Gefährdungen“ mehrfach auf Risiken von Wanderungsbewegungen, allerdings jeweils nur
auf Migration infolge (ggfs. reaktionsbedürftiger) schlechter Rahmenbedingungen
des Einsatzgebietes, nicht aber auf einen Flüchtlingsstrom, den ein
misslingender deutscher Waffeneinsatz auslösen oder verstärken könnte, siehe
dort S. 19, 20, 22.
(2015/16) 13.8.2015
DIE ZEIT
Hiroshima und Nagasaki; Beiträge von Theo Sommer „Wessen Schuld?“ und David
Johst „Die Legende vom reumütigen Piloten“ (DIE ZEIT Nr. 32 v. 6.8.2015, S. 18,
19)
Über eine Schuld an
der letzten Eskalation des Pazifikkrieges richten zu wollen, das scheint 70
Jahre nach den fatalen, in ihrer Dimension gar nicht fassbaren Ereignissen fast
ausgeschlossen. War es überhaupt noch Element des Pazifikkrieges oder doch
schon eines heraufziehenden oder wieder aufgelebten Ost-West-Gegensatzes? Waren
die Bomben dual use, nämlich ein
kurzer Prozess für Japan und der gleichzeitige Versuch, den unkalkuliert weiten
Vorstoß des alten und neuen Angstgegners „Bolschewismus“ in Europa und Asien
wieder einzudämmen? Diese Deutung ist für mich noch am wahrscheinlichsten.
Zur menschlichen
Dimension: Den Angriff vom 6.8.1945 auf weit mehrheitlich Zivilisten, auf Männer
wie Frauen und Kinder und Greise in einer zuvor strategisch ausgeklammerten
Großstadt, man kann ihn als gezielte, nach den Definitionen unseres Strafrechts
auch heimtückische Vivisektion einer vitalen Kommune werten.
Am allerwenigsten
verständlich erscheint der am 9.8.1945 unmittelbar nachfolgende Angriff auf
Nagasaki – wenn man ihn nicht als eine banale Genugtuung für die rivalisierende
Pu- bzw. Implosions-Arbeitsgruppe in Los Alamos deutet. Deren grundlegend
anderes Bomben-Design war zwar am 16.7.1945 schon im geheimen Trinity-Test,
aber eben noch nicht wie in Hiroshima unter Feldbedingungen zum Zuge gekommen,
gleichsam am lebenden Körper. „Gewonnen“ hat dieses bizarre Turnier übrigens
die Uran-Fraktion. Zwar war die Sprengkraft der Plutonium-Bombe mit ca. 21
Kilotonnen TNT-Äquivalent fast doppelt so hoch. Aber wegen des zwischenzeitlich
eingetrübten Wetters wurde das Stadtzentrum um zwei Kilometer verfehlt und die
Zahl der direkten und indirekten Opfer blieb geringer, wenn auch noch immer
apokalyptisch. Gerade der Wetterwechsel hatte den vom Militär vor Ort
entschiedenen zweiten Einsatz ausgelöst, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in
Sorge um eine Kapitulation Japans, die für den Auftritt der Bombe „Fat Man“ zu rasch gekommen wäre.
Waren die Bomben vielleicht
tödlicher als erwartet? Wohl nicht, auch wenn der wissenschaftliche Leiter des
Manhattan-Projekts dies später einmal so berichtete. Tatsächlich hatte schon
das Frisch-Peierls-Memorandum vom März 1940, das vor einer möglichen deutschen
Atombombe gewarnt hatte und damit grundlegend für die späteren Anstrengungen
der Alliierten wurde, sowohl den möglichen taktischen Einsatz als auch die
daraus folgende menschliche Katastrophe bewundernswert exakt vorausgesagt: „The blast from such an explosion would
destroy life in a wide area. The size of this area … will
probably cover the center of a big city. … The effect of these radiations is
greatest immediately after the explosion, but it decays only gradually and even
for days after the explosion any person entering the affected area will be
killed.“ Recht genau so kam es.
Quellen
http://www.quora.com/Who-
http://web.stanford.edu/class/
(2015/15) 6.8.2015
DIE WELT, abgedruckt 8.8.2015
Hiroshima; Dietrich Alexander „Das ‚Gesicht von Hiroshima‘ kann nicht vergessen
(DIE WELT v. 6.8.2015, S. 8)
Fortgeschrittene
Teleskope liefern mehr und mehr Hinweise auf Verwandte unseres Planeten in
anderen Sonnensystemen; einige davon stuft die Forschung gar als noch
stabilere, noch fruchtbarere „Super-Erden“ ein. Wenn aber solche Inkubatoren im
Kosmos eher die Regel zu sein scheinen als die Ausnahme, wo um alles in der
Welt sind sie dann, die klugen Bewohner dieser Welten – oder zumindest ihre
Lebenszeichen?
Die gerade wegen
Hiroshima und Nagasaki immer überzeugendere Antwort stimmt nicht eben
optimistisch: Technische Zivilisationen löschen sich mit in ihrer Entwicklung
zunehmender Wahrscheinlichkeit selbst aus. Deswegen dürfen wir Sunao Tsuboi und
seine Lebenszeichen nicht schnell vergessen.
(2015/15) 25.7.2015
Süddeutsche Zeitung
Rücktritt von Wolfgang Bosbach vom Vorsitz des Innenausschusses; Robert
Rossmann „Ein bisschen Rücktritt“ und „Weiter im Gespräch“ (S.Z. v. 24.7.2015,
S. 4 u. 5)
Resonanz im Bauchraum
zu erzeugen, das macht einem Wolfgang Bosbach so leicht keiner nach; auch
deswegen ist er für einen christdemokratischen Klangkörper nicht so schnell zu
ersetzen.
Im Grunde schafft er
mit seinem Widerstand und jetzigen Teilrücktritt sogar eine Quadratur des
Kreises: Unsere vielen neuen Gespenster und Mysterien – von Finanz- über Euro-
und Griechenlandkrise bis hin zu invasiven Nachrichtendiensten, bröckelnder
Infrastruktur, erfolglosen bis erschreckenden militärischen Interventionen,
okkulten Freihandelsabkommen und west-östlicher Wiederanspannung – sie weisen
nicht auf ein Versagen von Angehörigen der Mittel- oder Unterschichten; das
neue Missbehagen müsste sich ja eher gegen Eliten richten.
Als sehr begabter und
erfolgreicher Aufsteiger kann Wolfgang Bosbach aber schwerlich Advokat des
Abstiegs von Angehörigen der Oberschicht sein. Näher liegt, einen
selbstverschuldeten Sozialfall Griechenland herauszupräparieren, die Griechen
abzukoppeln und als Person der Magnet für ein verunsichertes, latent euro- und
vielleicht gar xenophobes Bürgertum zu bleiben; insofern gebe ich dem Kommentar
Recht. Allerdings verhüllt der volksnahe Wobo damit massive Fehler in der
Statik des Systems, die mittelfristig zu noch schlimmeren Folgen führen können,
auch für die politische Stabilität.
(2015/14) 25.7.2015
Frankfurter Allgemeine
Rücktritt von Wolfgang Bosbach vom Vorsitz des Innenausschusses; Günter Bannas
„Gegen den Strich“ (F.A.Z. v. 24.7.2015, S. 2)
Die CDU wäre mit dem
sprichwörtlichen Klammerbeutel behandelt, wenn sie ein Medium wie Wolfgang
Bosbach in einer schon wieder dem nächsten Wahlfest zuneigenden
Legislaturperiode gehen ließe oder gar gehen hieße. Er kann herzerwärmend,
druckfrisch und nachhaltig prägend sprechen und – fast ein
Alleinstellungsmerkmal – dies auch alles in einem, gerne auch selbstironisch.
Seine vitalen Wortbilder multiplizieren sich wie von selbst, etwa das von der
Querkuh. Er ist ein begnadeter Verkäufer, weil man ihm abnimmt, dass er nur
verkauft, was er selbst mit Genuss kaufen würde, und seinen lokalen Verband
führt er mit natürlicherer Autorität als die Kanzlerin die deutsche politische
Christenheit.
Nicht so sehr
verstehe ich ihn als breit aufgestellten Analysten, Programm-Architekten oder
Ideologen. Sein Wobo-Internetauftritt erscheint monochromatisch, auf die
Wortbilder Griechenland-Misere und Transfer-Union bezogen. Mir fehlt dort jede
differenzierende Bewertung der Krisenursachen, auch der früheren und heutigen
Nutznießer und Treiber außerhalb Griechenlands. Immerhin findet sich ein Link
zur aktuellen Studie des Ifo-Instituts, über die am 6.7.2015 auch die F.A.Z.
berichtet hatte. Danach waren die Hilfskredite in grober Annäherung zu je einem
Drittel den Geldgebern, den Kapitalexporten – offenbar typischerweise der
griechischen Elite – und dem staatlichen und privaten Konsum zugute gekommen.
Angesichts der fast zu vernachlässigenden Eigenproduktion muss auch dieses
Drittel wiederum zu signifikanten Rückflüssen zu den Haupthandelspartnern
geführt haben und kaum zu einer Erhöhung oder auch nur Stabilisierung des
Lebensstandards der sozial mittleren und unteren Schichten. Die nach 2008
exorbitant aufgewachsene und nach den Hilfskrediten nur geringfügig gefallene Arbeitslosigkeit
und Jugendarbeitslosigkeit unterstützen diese Einschätzung.
Würde Wolfgang
Bosbach auch insoweit zu nüchtern abgewogenen „lessons learnt“ beitragen, dann
hielte ich ihn für einen idealen Politiker und für wieder unbedingt wählbar.
Quelle
Hans-Werner
Sinn, "Die griechische Tragödie ", ifo Schnelldienst 68, Mai
2015
http://www.cesifo-group.de/
(2015/13) 24.7.2015
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 4.8.2015
Rücktritt von Wolfgang Bosbach vom Vorsitz des Innenausschusses; Tobias Peter
„Es stehen viele Kühe quer im Stall“ (KStA v. 24.7.2015, S. 4)
Die Rückgabe eines
politischen Amtes hat für mich etwas Erfrischendes; sie ist Voraussetzung für
politische Konvektion und leider viel zu selten. So weit so gut und durchaus
ehrenhaft. Bei näherem Hinsehen bleibt mir dennoch ein „Aber“:
Wo war der Mahner
Bosbach, als die Deutschen den Griechen – und sinnigerweise parallel ihrem
Lieblingsfeind jenseits der Ägäis – für Unsummen Waffen verkauften, in einer
Phase bereits dynamisch anwachsenden Handels- und Staatsdefizits und bei ebenso
wuchernder Jugendarbeitslosigkeit? Ein Deutscher muss über den Zusammenhang
zwischen volkswirtschaftlichem Niedergang und politischer Differenzierung und
Radikalisierung nicht lange grübeln, speziell nicht als profilierter
Innenpolitiker.
Syriza darf man
getrost als direkte Folge eines jahrzehntelangen Niedergangs werten und das war
hinsichtlich der inneren Sicherheit in Griechenland – und pardon: auch in
Deutschland – sogar noch die politisch zivilisiertere Variante möglicher
Entwicklung.
(2015/12) 18.6.2015
DIE ZEIT
zum Zeitgeist-Kommentar von Josef Joffe „Bibel der Freiheit“ (DIE ZEIT No. 25
v. 18.6.2015, S. 10)
Das Copyright für
fundamentale Bürgerrechte ist noch ein wenig älter als 800 Jahre. Nach der
Überlieferung hatte bereits eine frühere Magna Charta, nämlich das Römische
Zwölftafelgesetz von ca. 450 v. Chr. das Töten eines nicht verurteilten
Menschen verboten – das gehörte in der Folge gerade zum Kern des allseits
begehrten römischen Bürgerrechts: "Interfici
. . . indemnatum quemcunque hominem etiam XII tabularum decreta
vetuerunt."
Nun ist das
Vertrackte mit den Menschenrechten: Der Staat versteht sie gerne plastisch. Und
so halten wir es hic et nunc etwa bei den Auslandseinsätzen sehr flexibel: Der
erste Abschnitt unseres Grundgesetzes verlangt für Eingriffe in Leben und
Gesundheit zwar ein die Tatbestände abschließend aufzählendes Gesetz –
Rechtsstaat, na klar! Oder auch: Kategorischer Imperativ, like, like! Geht es
aber um Ausländer im Ausland und haben diese das Pech, dass Deutschland dort
gerade militärisch intervenieren will, dann braucht es kein Gesetz mit vorab
generell definierten Fallgruppen – die Einzelentscheidung eines Parlaments
reicht, mit bis heute auch einhundertprozentiger Zustimmungsgarantie. Der
zweite Abschnitt des Grundgesetzes toppt mit exekutiver Chuzpe den so edlen
ersten. Daran will ganz erwartungsgemäß auch die Rühe-Kommission nicht
rütteln.
Wenngleich ihr
Bericht unter Nr. 13 zaghaft an der Tragfähigkeit unserer Wehrverfassung
zweifelt. Vielleicht hat die Kommission da auch ein wenig an den Geburtstag der
Magna Charta gedacht.
Quellen
Lex
duodecim tabularum,
dort der tab. IX no. 6 zugeschrieben:
http://www.hs-augsburg.de/~
Bericht
der Rühe-Kommisssion v. 16.6.2015:
https://www.bundestag.de/blob/
(2015/11) 18.6.2015
Süddeutsche Zeitung
zu den Beiträgen von Joachim Käpper „Das Recht, Nein zu sagen“ und Christoph
Hickmann „Die Konsens-Kommission“ (Süddeutsche Zeitung 17.6.2015, S. 4, 6):
Wenn die Reichswehr
ein „Staat im Staate“ war, dann ist unsere Bundeswehr „ein Staat um den Staat“.
Das mag einen gewissen Sinn machen, wo es um die Abwehrfunktion geht. Aber
hinsichtlich der demokratischen Transparenz, Mitbestimmung und Kontrolle ist
die heutige Ummantelung um nichts besser die alte Reichswehr-Kapsel. Denn das
ist und bleibt das Kernproblem seit den ersten Auslandseinsätzen in den frühen
Neunzigern, damals in der Adria und in Somalia, als Integration bereits das
zentrale und unwiderstehliche Argument war: Mit dem Anspruch einer
Weltordnungspolitik entwickelt, verkauft und beschafft das Bündnis große
Waffensysteme. Ihr integrierter Einsatz ist dann ebenso systemlogisch wie der
Abwurf der ersten beiden Atombomben – damals für Steuer-Unsummen in zwei
konkurrierenden Designs entwickelt, aber am primären Ziel nicht mehr mit
scharfem Schuss zu testen.
In solchen
exekutiv-kommerziellen Netzen wird eine demokratische Kontrolle leicht zum
Störfaktor, mag sie auch noch so rituell ausgeformt sein – wie unser
konstitutiver Parlamentsbeschluss mit seiner voraussehbar wie erfahrungsgemäß
hundertprozentigen Erfolgsgarantie. Gar nach einer unabhängigen Evaluation des
Erfolgs der raumgreifenden Realpolitik zu fragen, das traut man sich schon gar
nicht.
Im Kommissionsbericht
v. 16.6.2015 gibt es immerhin Lichtblicke oder Zeichen der Besinnung: Gemäß Nr.
12.1 soll die Bundesregierung vor den allfälligen Missionsverlängerungen nun
ausdrücklich Verlauf und Zielerreichungsgrad bilanzieren – und hoffentlich wird
sie dann unter „humanitäre Situation“ auch eigene Eingriffe in Menschenrechte
aka Kollateralschäden mit objektivieren. Nach Nr. 12.2 soll die Bundesregierung
die Unterrichtung über die häufig schicksalhaften Einsätze von Spezialkräften
verbessern – mehr Transparenz würde deren Angehörige auch besser gegen den
eigenen Komment schützen; der gedeiht ja im Verborgenen am allerbesten. Und die
Nr. 13 besagt in völlig unerwarteter Offenheit: Zumindest einige Einsätze lagen
nicht nur „out of area“, sondern auch außerhalb der Verfassung und der
Bundestag sollte nun über die Reform unserer Wehrverfassung beraten. Auch das
ist eine Forderung der frühen Neunziger. In der Zwischenzeit hat vieles die
Gesetzesblätter gebläht, was gegenüber dem rechtsstaatlichen Einhegen
öffentlicher Gewalt in jeder Hinsicht nachrangig war.
Quelle
Kommissionsbericht:
https://www.bundestag.de/blob/
(2015/10) 28.4.2015
Kölner Stadt-Anzeiger
BND/NSA-Skandale; Markus Decker und Daniela Vates „Die willigen Helfer“ u. „Der
nächste Skandal“ (KStA v. 25./26.4.2015, S. 4 u. 6); „Wer wusste was im
Kanzleramt?“ (KStA 27.4.2015 S. 6); „Von der Vergangenheit eingeholt“ (KStA
28.4.2015, S. 5)
Manche Menschen haben
eine Drachenhaut, gesintert im Bourbon jahrelanger transatlantischer
Dienste-Besprechungen. Sie scheinen unkaputtbarer selbst als Minister oder als
die meisten Staatschefs. Dem Chef des BND schadet rein gar nichts: Ob er seine
Kanzlerin wie ein Dummchen ausschauen lässt, ob er mit fliegenden Teppichen
zaubert oder ob seine neue Berliner Trutzburg Maß und Plan verliert oder gar
absäuft. Selbst wenn er von seinen Spy&Spy-Kumpanen genagelt und abgefischt
wird – und das seit Jahren: Dann mögen zwar Geschosse abgefeuert werden. Aber
diese können selbst in vollem Flug noch ihr Ziel wechseln. Sie finden nun
vielleicht einen Minister, dem man neben einer durchschnittlichen Fehlerrate
höchstens vorwerfen kann, er habe die Einheit weder vorhergesehen noch sie mit
Gemeinsinn gestaltet, dafür aber in seinem Fortkommen intensiv von ihr
profitiert.
Sicher, die Dienste
und eine nordatlantisch, technokratisch und antikommunistisch geeichte
Staatsräson währen von Steinzeit bis Steinzeit und bevorzugt ohne Demokraten.
Das mag man an den Namen und dem nachhaltigen Wirken etwa von Truman Smith,
Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl, Charles Lindbergh, Henry Ford, Joseph
Kennedy, Wernher von Braun und Reinhard Gehlen nachvollziehen. Und auf seine
Weise bestätigt selbst Wladimir Putin die realpolitisch angesagten Qualitäten.
Aber haben wir nicht
genau die Republik, die wir Bürger verdienen, und müssen wir wirklich auf den
nächsten Skandal warten?
(2015/9) 27.3.2015
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 10.4.2005
Bundeswehr-Spezialkräfte; Christoph Hickmann, „Hart an der Grenze“ (Süddeutsche
Zeitung v. 24.3.2015, S. 3)
Aufständische
Terroristen und Spezialkräfte bilden gemeinsam ein perpetuum mobile der
auswärtigen Gewalt: Wo Kriege nicht mehr erklärt werden, wo Kriegsgründe
diffuser und letztlich eigennütziger werden, wo Einsatzkräfte zunehmend ohne
Parlament und Bürger auskommen, da ist die zivile Geisel oder ist der Anschlag
im öffentlichen Raum das zynische, aber letztlich konsequente Mittel der Wahl.
Remedur ist dann der nicht mehr konventionelle Kampfstil, den Spezialkräfte
nochmals weiter entfernt von der bürgerlichen oder parlamentarischen Kontrolle
gelehrt bekommen und ausüben. Die im Beitrag beschriebene Auswahl und
Ausbildung, das elitenhafte Selbstverständnis und die nach außen abschottende
Kameradschaft – sie unterscheiden sich von Chris Kyles biografischen Eindrücken
(„American Sniper“) nur
graduell, aber nicht grundsätzlich.
In Grunde reden wir
von „German snipers“ und genau von dem, vor dessen Giftwirkung Kant in seiner
Schrift „Zum ewigen Frieden“ mit guten Gründen gewarnt hatte: Vertrauenswidrige
Strategien wie Meucheln und Giftmischen, die dann jedem nachhaltigen Frieden
entgegenstehen. Mindestens ebenso fatal ist die zersetzende Wirkung für den
Rechtsstaat und die repräsentative Demokratie – wenn nämlich fundamentale
Rechte ohne konkrete Eingriffsgrundlage verletzt werden und selbst die Parlamentskontrolle
nicht greift. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner 2008er Entscheidung
zur Beteiligung an der Luftsicherung der Türkei warnend auf mögliche
„Eigengesetzlichkeiten der Bündnissolidarität“ hingewiesen und darauf, dass die
Mitwirkung des Bundestages nicht „im Lichte exekutiver Gestaltungsfreiräume
oder nach der Räson einer Bündnismechanik“ bestimmt werden dürfe, sondern „im
Zweifel parlamentsfreundlich“, auch wegen des immanenten „politische(n)
Eskalations- und Verstrickungspotenzial(s)“. In einer folgenden Anhörung des
Bundestages am 25.9.2008 haben sodann alle beteiligten Experten die stark
beschränkte Information über den Einsatz von Spezialkräften im Wege des
eingefahrenen sogenannten Obleuteverfahrens als nicht rechtmäßig und als
korrekturbedürftig eingeschätzt. Verändert hat sich danach nichts. Beim Drama
am Kundus am 4.9.2009 war die Task Force 47 an der verhängnisvollen
Entscheidung zur Bombardierung der Tanklaster beteiligt.
Wichtig scheint mir:
Fast jeder führt hier geradezu instinktiv Geheimhaltung ins Feld – um die
jeweiligen Operationen und eben auch die Beteiligten selbst zu schützen. Aber
Geheimhaltung isoliert die Menschen in Spezialkräften auch vor genau dem
Schutz, den ihnen das „Parlament des Heeres“ schuldet, und fördert gerade jenen
einigelnden Komment und ein verqueres Verständnis von Professionalität und
Leistungsbeweis. Transparenz wäre jedenfalls in der Rückschau gefahrlos möglich
und ein demokratischer Mehrwert. Um nochmals Kants „Ewigen Frieden“ zu
zitieren: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren
Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind unrecht."
Quellen:
Die
Kant-Zitate stammen aus "Zum Ewigen Frieden" (2. Auflage 1796), 6.
Präliminarartikel (Reclam-Ausgabe S. 7f) und Anhang II. (Reclam S. 50), siehe
ansonsten http://philosophiebuch.de/
Bundesverfassungsgericht
v. 7.5.2008, Az. 2 BvE 1/03 (Beteiligung an der vorsorglichen Luftüberwachung
der Türkei gegen mögliche Angriffe aus dem Irak): http://www.
Oben
zitierte Anhörung des Bundestages am 25.9.2008 u.a. zur parlamentarischen
Kontrolle von Spezialkräften:
http://www.vo2s.de/mi_pbg-anh.
Das
Obleute-Verfahren findet sich kurz beschrieben in dieser Antwort der
Bundesregierung 14.11.2014 auf eine parlamentarische Anfrage (S.54):
http://dip21.bundestag.de/
(2015/8) 19.3.2015
Süddeutsche Zeitung
Aufstockung der MifrFi; Nico Frieds Bericht und Kommentar „Acht Milliarden für
die Bundeswehr“ und „Hart im Nehmen“ (Süddeutsche Zeitung v. 18.3.2015, S. 1 u.
4)
Da zeigt sich der
Charme der Exekutive: Seit 1990 erleben wir nun den mindestens vierten Umbau
der Bundeswehr, wie immer: extrem aufwändig. Aber das Regelhafte und
prinzipiell Legislative – nämlich das Aufgabenspektrum der Bundeswehr, ihre
definierte Rolle und die Abwägung zu den durch ihren Einsatz bedrohten Rechten
– das bleibt ungesagt, konsequent auch jede Ableitung aus den bisherigen
Einsatz-Erfolgen oder Fehlschlägen. Wie jedes Mal wird die staunende
Öffentlichkeit auch 2016 wieder ein Weißbuch empfangen, das zwar tapfer auf die
neuen und zahllosen Herausforderungen der Zukunft weist, das aber die nähere
Vergangenheit und unsere lessons learnt
– etwa aus ISAF – pfleglichst im Dunkel lässt.
Deutschland habe doch
einen so schicken Parlamentsvorbehalt, mag sich mancher beruhigen, und das sei
schließlich mehr als in vielen anderen demokratischen Staaten wie USA oder
Großbritannien. Nur: Bisher blieb rein gar nichts vorbehalten, die 140
Einsatz-Anträge des Kabinetts hat das Parlament erwartungsgemäß zu 100%
indossiert. Bei Licht besehen, ist der Parlamentsvorbehalt ein
lebensgefährlicher Taschenspielertrick: Beliebige Interessen, und seien es auch
rein ökonomische, können ad hoc und fern dem in einem Rechtsstaat sonst
zentralen Gesetzesvorbehalt selbst das Lebensrecht aufwiegen, und das ist das
Höchstrecht, das alle anderen Grundrechte erst ermöglicht. Bevor wir noch mehr in
gewachsene Verantwortung, sprich: in letale auswärtige Gewalt investieren,
sollten wir reden.
Quelle
zur Zahl der konstitutiven Parlamentsbeschlüsse (derzeit 140)
http://www.vo2s.de/mi_
(2015/7) 17.3.2015
DER SPIEGEL
Extremisten in der Bundeswehr; „Schutz vor Salafisten“ (SPIEGEL 12/2015 v.
16.3.2015, S. 17)
Dienste sind immer
smart und fix – aber das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr war
noch etwas schneller. Es hatte im SOWI-Arbeitspapier Nr. 77 aus dem März 1993
davor gewarnt: Die erweiterten Aufgaben und Handlungsformen der Bundeswehr
verändern das Spektrum der Bewerber signifikant. Bereits damalige Daten
verwiesen „auf die Gefahr, dass die Bundeswehr zunehmend für junge Männer
attraktiv ist, die den demokratischen Werten kaum oder gar nicht verbunden
sind“ bzw. „dass rechtsorientierte Modernitätsverlierer (selbst) unter den
Wehrpflichtigen deutlich überrepräsentiert sein werden“.
Was Wunder: Aufgaben
ziehen diejenigen magnetisch an, die sie bewältigen wollen. Unter den Tausenden
deutschen Soldaten mit Einsatz-Erfahrung schlummern nicht nur traumatisierte
Zeitbomben, sondern auch solche, die es von Anfang an als elektrisierend erlebt
haben - wie ein Chris Kyle. Lange bevor man erschaudernd über ISIS oder IS
grübelte. Made by Germany.
Quelle:
SOWI-ArbeitspapierNr. 77 v. Heinz-Ulrich Kohr „Rechts zur Bundeswehr,
links zum Zivildienst? Orientierungsmuster von Heranwachsenden in den alten und
neuen Bundesländern Ende 1992“, März 1993; Zitate oben siehe unter 6.2 und 7.4
(S. 24) = http://www.mgfa.de/html/
siehe auch Zusammenfassung der Studie unter https://dokumente.unibw.de/
(2015/6) 28.2.2015
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 11.3.2015
Demografie / Islam; Jasper von Altenbockum „Die große Reparatur“ u. Rainer
Herrmann „Islam in unserer Mitte“ (F.A.Z. v. 26.2.2015, S. 1)
Einwanderung bedeutet
Anpassungsschmerzen und nachhaltigen Reparaturbetrieb, soweit einverstanden,
und sie kann höchstens ein Beitrag sein, wenn wir die bröckelnde Alterspyramide
sanieren wollen; auch da bin ich noch dabei.
Die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf würde ich dagegen nicht als bloßen Wahn von der Agenda
kicken. Denn da gibt es, sicher unter hier und jetzt ordnungspolitisch eher als
frivol geltenden Bedingungen, doch erstaunliche Beispiele.
Mecklenburg-Vorpommern gilt heute zu Recht als Landstrich, wo sich demografiepolitisch
Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Nur war das nicht immer so. Kurz vor der
Wiedervereinigung wies die Region ein Altersprofil auf, nach dem sich heute
alle Demographen die Finger lecken würden. Klar, mit den signifikanten
Einschnürungen zweier Großkriege, aber ansonsten tatsächlich weitgehend vital
und pyramidal. Unter den Werkzeugen: das „Abkindern“ von Baudarlehen, die
bevorzugte Wohnungsversorgung für junge Familien und eine praktikable
ausbildungs- oder arbeitsplatznahe Kinderbetreuung. Alles zusammen machte mehr
aus als disjunkte Vereinbarkeit, eher schon breites Vereinbaren, typischerweise
auch früh in der Qualifikationsphase. Wie gesagt, ordnungspolitisch hier und da
anzüglich, aber keineswegs undenkbar und vielleicht noch erhaltenswerter als
selbst das Ampelmännchen.
Zum zweiten: Das
Reproduktivverhalten ist Moden, Krisen und Reizen zugänglich – siehe eben
Mecklenburg-Vorpommern, wo sich Anno 1989ff die Jungens erst einmal an den
schnell gekauften GTI’s und an den alten Alleenbäumen abarbeiteten und wo die
Mädchen sorgenvoll in die Zukunft und auch schon nach Westen blickten. Das
führt uns zu einem Mechanismus, der m.E. viel mächtiger und nachhaltiger wirkt
als etwaige kritische Doppelrollen, zumal er noch tiefer in unserem
Wirtschaftsmodell verankert ist: Krisen kosten Fertilität, aber fesselnde
Ablenkung noch mehr. Kinderwunsch und Konsumwünsche konkurrieren, sind im
Grunde Fressfeinde: „Denn sooo muss Technik, mein Geiz ist geil, ich bin doch
nicht blöd und gönn’ mir ja sonst nichts – schon gar keine unproduktiven Läuse
im Pelz, keine Nachkommen – zumal deren Zukunft ja eh’ lausig wäre!“ Diese
Weltsicht ist über jahrzehntelange Beschallung gesellschaftlich tief eingesenkt
– und auch das sollten wir aufarbeiten, gegen naturgemäß absehbare Widerstände.
Drittens, und nun
komme ich auf Einwanderung zurück: In der Heimat der meisten Zuwanderer scheint
unsere Sonne länger und intensiver. Vielleicht kann Input ex oriente dann die Durchschnittstemperatur unserer Rituale ein
wenig anheben, damit auch den reproduktiven oder demografischen Wirkungsgrad
nördlich des Alpenhauptkammes. Ich merke noch an: Den Islam in unserer Mitte
mit exekutiver Perfektion zu zentralisieren, das scheint mir falsch. Die
Elektrotechnik hielt für solche Strategien einen Fachbegriff bereit, der seit
1945 zum Glück politisch verpönt ist. Ich wünsche mir einen Euro-Islam so wenig
wie einen Euro-Protestantismus oder gar ein Euro-Christentum oder einen
Euro-Gottglauben. Hierarchisierung passt zum Islam am allerwenigsten, wäre dann
vorhersehbar auch uneinlösbar. Ich halte sehr viel von fruchtbarer Konkurrenz
und Kohabitation von Spiritualität und glaube, eine nicht primär
materialistisch orientierte Sinngebung kann einen liebevolleren, sinnlicheren
und belastbareren Umgang der Menschen untereinander fördern. Die Folgen könnten
uns dann auch demografisch nutzen. Zur Bekräftigung füge ich aus der
Familienanamnese hinzu: Meine Frau habe ich anlässlich einer Kirchenfreizeit
kennen gelernt; wir erfreuen uns heute dreier Kinder und bereits dreier Enkel.
(2015/5) 27.2.2015
Kölner Stadt-Anzeiger
„American Sniper“ von Chris Kyle; Sebastian Moll „Clint Eastwoods Film spaltet
die USA“ (Kölner Stadtanzeiger v. 21./22.2.2015, S. 2) u. Anke Westphal „Ein
Patriot“ (KStA-Magazin v. 26.2.2015, S. 2f)
Ich rate zu folgendem
Vorgehen: Erstens den „American Sniper“ lesen, am besten mit dem sehr stimmigen
rauen Buchschnitt („rough cut“) der amerikanischen Ausgabe. Oder aber den Film
erleben. Zweitens im Plenarprotokoll 12/151 die Schlüsseldebatte des Bundestages
vom 21.4.1993 zum neuen militärischen Aufbruch nachblättern, zur patriotisch
gestimmten Solidarität bei AWACS und UNOSOM II, damals schon mit allen
klassischen Versatzstücken der neuen robusten Diplomatie: „Weltinnenpolitik“,
„Frieden und Freiheit“, „Humanität“, „Handlungs- und Bündnisfähigkeit“,
„Dankbarkeit“ im Gegensatz zu „Totalverweigerung“, „Erbärmlichkeit sogenannter
Ostermarschierer“, „Brunnenbohren“ und „Krisen- und Konfliktbewältigung“.
Danach ist leicht
nachzuvollziehen, was das Kernelement des Redaktionsprozesses für das gerade
angekündigte Bundeswehr-Weißbuch 2016 sein muss: Eine nüchterne Bilanz der
westlichen Auslandseinsätze nach 1993, und zwar einerseits zu den verkündeten
Zielen und andererseits zu den realen Erfolgen, Fristen, Lasten und Schäden,
bei uns und anderen.
P.S. Link zum zitierten Plenarprotokoll:
http://dip21.bundestag.de/
Die genannten Punkte finden sich konzentriert etwa im betont kämpferischen
Redebeitrag von Wolfgang Schäuble, S. 12933 ff (in der pdf S. 13 ff)
(2015/4) 20.2.2015
Frankfurter Allgemeine
Weißbuch 2016; Johannes Leithäuser "Deutschland will sich strategisch neu
verorten" (F.A.Z. v. 18.2.2015, S. 4)
Welches Deutschland
will bzw. soll sich strategisch neu verorten, das Deutschland der Bürger? Diese
stehen einem erweiterten sicherheitspolitischen Engagement wohl noch
mehrheitlich kritisch gegenüber - schon ISAF war ihnen über Jahre zuviel und
das Ende von ISAF haben wohl nur sehr wenige als Sieg begreifen können.
Auch wenn man das
gesamte Interventionsgeschehen seit UNOSOM II Revue passieren lässt: Es
fallen wenige Erfolgsgeschichten ins Auge, bis auf die Eintagsfliege LIBELLE
eigentlich nichts, was in der geplanten Frist zu einem Abschluss ohne Reue
geführt werden konnte. Nachteilige Nebenfolgen der Eingriffe wird man ebenso
wenig ausblenden können, von Zehntausenden toten und verletzten Zivilisten über
endemische Traumatisierung und Radikalisierung bis zur Konditionierung anderer
wesentlicher Militärdoktrinen - etwa der chinesischen nach der Bombardierung
der Belgrader Botschaft. Wo Interventionen des Westens als zivilisierendes
Projekt gemeint waren, da haben sie typischerweise faulige und infektiöse Staatsreste
und vagabundierende Waffenhaufen zurückgelassen - und gerade nicht
Rechtsstaaten und Demokratien. Schon das Weißbuch 2006 konnte bestenfalls das
westliche Europa als Hort von Frieden und Stabilität beschreiben. Heute wird
die Diagnose noch kritischer ausfallen und wir müssen uns fragen: Trotz oder
wegen eines seit 1990 robusteren Verständnisses von Außenpolitik? Brauchen wir
mehr Desselben?
An den Anfang des
neuen Weißbuch-Prozesses möchte ich daher die ganz offen debattierte Frage
stellen: Was sind die "lessons
learnt", nicht nur, aber auch aus ISAF, und was sind unsere
verantwortungsvollen Handlungsalternativen? Gerne würde ich dazu auch die
Position unseres ersten Bürgers hören, und nun über ein "Mehr"
hinausgehend: Eindeutig definiert nach dem Muster des kategorischen Imperativs.
(2015/3) 19.2.2015
Süddeutsche Zeitung
Weißbuch 2016; Stefan Braun „Leitfaden für eine veränderte Welt“ (Süddeutsche
v. 18.2.2015, S. 5)
Ein ohne Tabus
geführter Diskurs über die Prioritäten und Alternativen künftiger Außen- und
Sicherheitspolitik kann einer Demokratie nicht schaden. Und besser streiten wir
lebhaft bereits während des Redaktionsprozesses; denn unmittelbar nach
Veröffentlichung des Weißbuchs 2006 war es wegen des damals überlagernden
Kabuler Schädel-Skandals schon wieder zu spät und absolut fruchtlos.
Ernst nehmen könnte
ich den Prozess allerdings nur unter zwei Bedingungen: Erstens bilanziert die
Bundesregierung nüchtern Ziele, Nutzen und Lasten der zwischenzeitlichen
Einsatzentscheidungen, ISAF eingeschlossen. Zweitens definiert der
Bundespräsident nach dem guten Vorbild des kategorischen Imperativs – und gemäß
der rechtsstaatlichen Grundanforderung aus Artikel 19
Absatz 1 unseres Grundgesetzes – abschließend diejenigen
Fallgruppen, bei denen er ein erweitertes militärisches Engagement mit
Eingriffen in Leben, Gesundheit und Freiheit für zwingend notwendig hält. Ich
bleibe vorerst gespannt auf seine präzise und nach Werten abgewogene
Handlungsanleitung.
P.S. zu den zwischenzeitlichen Einsatzentscheidungen:
Seit dem 25.10.2006 = Veröffentlichungsdatum d. Weißbuchs 2006 zähle ich nach
heutigem Stand 80 konstitutive Parlamentsbeschlüsse von insgesamt 138
zu bewaffneten Auslandseinsätzen - damit ein reiches Reservoir für Evaluation,
siehe bei Interesse http://www.vo2s.de/mi_
(2015/2) 19.2.2015
DIE WELT, abgedruckt 20.2.2015
Weißbuch 2016; Thorsten Jungholt „Von der Leyen schreibt ein Buch ‚ohne Tabus‘
“ (DIE WELT 18.2.2015, S. 4)
So blind war das
Weißbuch 2006 nun auch wieder nicht: Terrorismus, Cyberwar und Migration zählte
es bereits ausdrücklich zu unseren Sicherheitsrisiken, Staatsversagen sowieso.
Und die Kanzlerin hatte im Vorwort sogar eine breite gesellschaftliche Debatte
angemahnt – was dann freilich durch den zeitgleich diskutierten „Kabuler
Schädelskandal“ völlig verpuffte.
Das allerdings stand
so nicht im Weißbuch: Dass Migration auch kausale Folge auswärtiger Gewalt sein
kann, Menschenrechtsverletzungen ebenso. Wenn ich denn einen Wunsch äußern
darf: Evaluation wird kein Tabu sein und das Weißbuch 2016 wird nüchtern Nutzen
und Lasten des zwischenzeitlichen Einsatzgeschehens bilanzieren, z.B. anhand
der sich heute aufdrängenden Frage „ISAF – was bleibt?“
Mehr deutsche
Verantwortung – gut. Dann aber auch intelligentere deutsche Verantwortung durch
Nachschau und Nachsorge!
(2015/1) 23.1.2015
Frankfurter Allgemeine
Arabischer Terrorismus; Rainer Herrmann, Arabische Abgründe (F.A.Z. 22.1.2015,
S. 1)
Abgründe lauern nicht
nur auf Araber. Wer ein kleines Austrittserlebnis wagen will, der erkennt
eskalierende Verrohung auch bei uns, auf der staatlichen wie auf der individuellen
Ebene: Die Hemmschwelle für auswärtige Gewalt ist seit UNOSOM II in den frühen
Neunziger Jahren stetig gesunken, Zehntausende deutscher Soldaten hat der Krieg
verwandelt und teils stark traumatisiert, gerade bei Sondereinsätzen in
Grauzonen des Völkerrechts. Selbst wackere frühere Pazifisten haben längst
ihren Frieden mit dem Krieg gemacht, wenn er denn grob assoziativ ihr Programm
fördern könnte, etwa bei Gleichstellung der Geschlechter und sonstigen
Menschenrechten.
Fehlende Selbstkritik
und mangelnde Aufklärung mag man auch uns anlasten: Eine unabhängige Evaluation
der bisherigen Auslandseinsätze – mancher nennt sie auch schon wieder
Strafexpeditionen – sie fehlt. Es gibt keinen Lehrmeister Krieg und praktisch
keine lessons learnt. Selbst wo sich
die Regierung zaghaft selbst evaluiert, wie etwa beim vierten und nun letzten
Afghanistan-Fortschrittsbericht, da kann das Ergebnis nur erschrecken: Just bei
demjenigen Punkt, den sich der Westen gerne als Kernkompetenz und
Alleinstellungsmerkmal an die Brust heften würde, zeigt sich ein massiver
Fehlschlag: Afghanistan steckt am Ende des als integrativ verkauften
ISAF-Einsatzes in einer gefährlichen Wirtschaftskrise; das Staatswesen würde
beim Abzug westlicher Hilfe förmlich implodieren – nota bene mit Ausnahme der heute so florierenden und hoch
profitablen Narkotika-Industrie. Lassen wir hier einen massiven zivilen
Blutzoll in den Einsatzgebieten besser unbeachtet, er übersteigt die Opfer des
Terrorismus um mehrere Größenordnungen und – ich hoffe, diese Perspektive
erschreckt niemanden – wird auch nicht durch eine hoheitliche Handlungsform
exemt oder ethisch hochwertig.
Im Gesamtbild unseres
gewagten Austrittserlebnisses verschwimmen die Grenzen zwischen Christentum und
Islam, zwischen erster und dritter Welt, zwischen Mobilität und Migration,
zwischen Hochebene und Abgrund.
P.S.
4. Fortschrittsbericht Afghanistan v. 20.11.2014 siehe http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/032/1803270.pdf
Und ein paar Sammlerstücke aus
früheren Jahren:
Die Mutter aller [meiner]
Leserbriefe:
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStA. v.
29.9.1992)
Hätten wir am Deutschlandtag die
Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert.
Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme
legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale
Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum
Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt
worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche
Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun
begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu
absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne
auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der
count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine
verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und
unserer Repräsentanten im Inland.
Und
der am weitesten gereiste Leserbrief:
22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of
August 14, 1995
I refer to reports on WW II and
especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August
14, 1995 (page 6). It is my impression that those two letters offer a
unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of
atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a
merciful decision"). So I would like to show an alternative view:
It is certainly true, that Japanese
military leaders commenced the hostilities against the
The echoes of that demonstration of
power strongly outlived that event. We hear them over and over again – from
Weitere
Leserbriefe aus 2014, 2013, 2012, 2011
/ 2010 / 2009 / 2008 / 2007 / 2006 / 2005
/ 2004
/ 2003 / 2002 / 2001 / 2000 / 1999 / 1998 / 1997 / 1996 / 1995 / 1994 / 1993 / 1992
oder auch Briefe für Englisch-sprachige
Medien.
Oder meine Leserbriefe, die zum
Thema „out of area“ abgedruckt
worden sind.
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