Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahr 2016

Stand: Dezember 2016

 

(2016/9) 21.12.2016
Kölner Stadt-Anzeiger
Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt; Joachim Frank „Unser Trotz und unsere Angst“ (Kölner Stadt-Anzeiger v. 21.12.2016, S. 1)

Natürlich wirken sie trotzig und aufgetragen: Diese Sprüche von der nicht zu versprechenden „absoluten Sicherheit“ und einer angeblich alternativlosen eigenen „Lebensart“. Das Gefährlichste daran ist aber aus meiner Sicht die darin versteckte Hürde, selbst gesetzte Ursachen zu analysieren und anzupacken. Ein sehr aussagekräftiges Beispiel: Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater Jimmy Carters, bekennt im Januar 1998: Die USA hätten die Sowjetunion durch Aufrüstung der Gotteskrieger an deren Südflanke zur Intervention in Afghanistan provoziert, hätten jedenfalls die Wahrscheinlichkeit des Eingreifens bewusst erhöht. Der Redakteur fragt entgeistert zurück: „Sie bedauern auch nicht, den islamischen Fundamentalismus gefördert zu haben, künftigen Terroristen Waffen und strategische Information gegeben zu haben?“ Brzezinski pariert völlig unbeirrt: „Was ist in der Weltgeschichte am wichtigsten? Die Taliban oder der Zusammenbruch des sowjetischen Weltreichs? Ein paar erregte Islamisten oder die Befreiung von Mitteleuropa und das Ende des Kalten Krieges?“ Zur zeitlichen Orientierung: Das Interview lag vor dem zweiten, aber immerhin bereits nach dem ersten massiven Anschlag auf das World Trade Center i.J. 1993.

Solange wir die Welt, ihre Menschen und ihre Ressourcen als unser eigenes Spielobjekt sehen und für unser nicht primär von Barmherzigkeit geleitetes ökonomisches Regelwerk öffnen wollen, werden wir mit terroristischen Aktivitäten rechnen müssen. Wir könnten allerdings die schneidige Äußerung Horst Seehofers vom Dienstag auch ein wenig abwandeln: Wir sind es den Opfern schuldig, auch unsere Außen- und Sicherheitspolitik zumindest der letzten 20 Jahre – seit UNOSOM II – zu überdenken.

Quelle:
Brzezinski-Interview in originaler Fassung:
www.voltairenet.org/article165889.html;
mit handgeschnitzter deutscher Übersetzung: http://uliswahlblog.blogspot.de/2013/08/isaf-und-der-3-juli-1979.html   

 

(2016/8) 11.10.2016
Süddeutsche Zeitung, abgedruckt 17.10.2016
Luftschlag von Kundus; Entscheidung des BGH zum Ausschluss deutscher Haftung; Wolfgang Janisch „Deutschland mag nicht haften“ (SZ vom 7.10.2016, S. 1 u. 4)

Sehr, sehr richtig: Deutschland will partout nicht haften. Aber nach unserer Verfassungsgeschichte und Werteordnung dürften wir das staatliche Verletzen elementarer Menschenrechte gar nicht ausblenden. Oder uns gar damit herausreden, solche Ansprüche mögen doch bitte nach überkommenem Brauch auf diplomatischem Wege von einer Landesregierung vorgetragen werden. Einer Regierung, die de facto von uns abhängig ist, ja fast einen Satrapen-Status hat und schon auf verlorenem Posten kämpft.

Der Bundesgerichtshof argumentiert in seiner Pressemitteilung: Bei der in wilhelminischer Zeit formulierten Amtshaftungsvorschrift habe der Gesetzgeber nicht an Haftung für Kriegshandlungen gedacht; auch bis zum Ende der Nazizeit wäre niemand auf eine solche kühne Idee gekommen! Da hat er wohl Recht. Aber will ich mich denn überhaupt an der von 1870 bis 1945 herrschenden Denke orientieren? Nein. Ich will einen zeitgemäßen, wirksamen Schutz der Menschenrechte, von Inländern wie Ausländern, und zwar unter Abwägung der Rechte, die durch militärische Einsätze geschützt werden sollen und solcher, die eben dadurch geschädigt werden können. Am besten nach Maßgabe von Art. 19 unserer Verfassung, unserer rechtsstaatlichen Lektion nach entfesselter mörderischer Staatsgewalt. Das hieße hier, die erlaubten Einsatztatbestände vorhersehbar, überprüfbar und abschließend zu normieren.

Solange es das noch nicht gibt, sollten wir mindestens für die humanitären Schäden unseres Handelns einstehen müssen. Krieg ist teuer, Kriegsfolgen auch – wobei die Opferentschädigung noch den allergeringsten Teil ausmacht. Das sollten wir sorgsam einplanen und finanzieren müssen. Und wenn wir mit Kameraden, Kumpanen oder Spießgesellen aus anderer Herren Länder ins Feld ziehen, dann sollten wir von vornherein wissen und einkalkulieren: Wir haften auch für das mit, was diese pexieren. Denn in der Gruppe Unrecht zu tun, das ist üblicherweise kein tauglicher Entschuldigungsgrund.

Quelle:
BGH-PM Nr. 176/2016 zur Entscheidung v. 6.10.2016, Az. III ZR 140/15 =
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2016&nr=75299&linked=pm&Blank=1

P.S.
Der Duktus der BGH-Entscheidung erinnert mit seiner „Genuss-ohne-Reue“-Anmutung und einer flankierenden, exkulpierenden Rolle der Diplomatie verdächtig an den von Kant karikierten Fürsten, der leichtfüßig und unbesorgt von Krieg zu Krieg eilt:
    Da hingegen in einer Verfassung, wo der Unterthan nicht Staatsbürger, diese also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigenthümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u. d. gl. durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustparthie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Corps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann
(Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden: Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch seyn; zitiert nach http://philosophiebuch.de/ewfried.htm )

 

(2016/7) 11.10.2016
Kölner Stadt-Anzeiger
Luftschlag von Kundus; Entscheidung des BGH zum Ausschluss deutscher Haftung; Christian Rath „Opfer von Kundus ohne Anspruch“ (KStA v. 7.10.2016, S. 6)

Was der Bundesgerichtshof in seiner Presseerklärung zur aktuellen Tanklaster-Entscheidung schreibt, es vermittelt ein höchst unbehagliches Gefühl und klingt zu sehr nach Freibrief zum Töten.

Dass eine von uns noch auf unabsehbare Zeit abhängige und zudem stark angeschlagene afghanische Regierung bei uns die Entschädigung von Einsatzopfern einklagen würde, das ist extrem weltfremd. Es überzeugt mich auch nicht, ein Amtshaftungsverständnis aus wilhelminischer Zeit – oder gar aus der Nazizeit – restriktiv auf das heute gerade in Richtung Opferschutz weiterentwickelte überstaatliche Recht anzuwenden. Selbst die parallele Begründung verfängt bei mir nicht, der militärische Befehlshaber habe sich einwandfrei verhalten. Obwohl er auf den Versuch zur Eindämmung von Opfern verzichtet hat, Menschen durch den typischen demonstrativen Tiefflug vom erklärten Operationsziel – den Tanklastern – zu vertreiben. Obwohl er sich auf nur eine einzige, wenn auch mehrfach repetierte Aussage verlassen hatte, dass nämlich ausnahmslos Taliban zugegen wären und zu Schaden kommen würden. Überdies merke ich zweifelnd an: Bei Angriff war es später Abend und dass Taliban leicht identifizierungsfähige Uniformen trügen, das ist weder bekannt noch auch nur naheliegend. Außerdem waren seit langem lancierte Fehlinformationen lokaler Konkurrenten bekannt, die das Auslöschen ganzer Hochzeitsgesellschaften ausgelöst hatten.

Und selbst wenn es nur militante Taliban oder weit überwiegend Taliban gewesen wären – Menschen in brennendem Treibstoff qualvoll als Fackeln sterben zu lassen, das halte ich für in besonderer Weise unmenschlich. Das mag nun subjektiv sein und daran liegen, dass die eine Hälfte meiner Vorfahren die Angriffe auf Wuppertal erlebt hat und die Folgen schockierend beschreiben konnte.

Quelle:
BGH-Pressemitteilung Nr. 176/2016 zur Entscheidung v. 6.10.2016 III ZR 140/15 =
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2016&nr=75299&linked=pm&Blank=1

 

(2016/6) 11.5.2016
Kölner Stadt-Anzeiger
Aufstocken der Bundeswehr; Thomas Kröter „Die Welt rüstet wieder auf“ bzw. zum Artikel „Truppenstärke nach Bedarf“ (KStA v. 11.5.2016, S. 4 u. 6)

Unsere Verteidigungsministerin – nach heutigem Selbstverständnis müssten wir sie wohl eher Befriedungs- oder Stabilisierungsministerin nennen – braucht mehr und flexiblere Truppenstärke? Sehr ungern würde ich das aus einem Zeitgeist oder globalen Trend ableiten, deutlich lieber aus den konkreten Erfahrungen bei den zahlreichen Einsätzen nach 1990 bzw. nach 2001; so sollte eine evidenzbasierte Politikentwicklung halt auch funktionieren. Erfolgsmodelle westlicher Außen- und Sicherheitspolitik springen uns dabei allerdings nicht ins Auge, eher Staatsleichen wie Afghanistan, Irak, Libyen, Somalia und Syrien oder langfristig unvollendete Projekte wie der Kosovo, nun wohl auch Mali. Schlimmer noch: Genau aus den destabilisierten Regionen fliehen Menschen – und lösen bei uns neue Sicherheitsreflexe aus.

Vor einer Strukturreform auf der Linie eines neuen Welt-Wettrüstens sollten wir bürgerverständlich evaluieren: Was haben wir militärisch bewegt und was können wir bei realitätsnaher Betrachtung in Zukunft schaffen, möglichst in abschätzbaren Zeiträumen und ohne die gerne vernachlässigten Neben- und Spätfolgen robuster Eingriffe?

 

(2016/5) 3.3.2016
DIE ZEIT, veröffentlicht im Online-Angebot der ZEIT = http://blog.zeit.de/leserbriefe/2016/03/01/25-februar-2016-ausgabe-10/  
Titelthema der ZEIT v. 25.2.2016 / No. 10 „Krieg in Syrien. Verstehen Sie noch, worum es geht?“

Aufgebracht und kampfeslustig waren Majestät, als er am 27. Juli 1900 das deutsche Kontingent zum Niederkämpfen des chinesischen Boxeraufstandes losschickte, zur Mutter aller deutschen militärischen Expeditionen. Und er befahl die kompromisslose Härte Attilas, auf dass nie wieder ein Chinese einen Deutschen schief ansehen werde. Am 29.8.1914 titelte die Times, die deutschen Hunnen hätten Leuven, das belgische Oxford verwüstet. Greuelgeschichten von abgehackten Kinderhänden, abgeschnittenen Brüsten und vergewaltigten Nonnen machten die Runde; alles das ist noch heute als „Rape of Belgium“ im kollektiven Bewusstsein, als Vergewaltigung eines neutralen Landes – und seiner Bürger. Mit der Flammenhölle am Kundus, die wir am 4. September 2009 für mehr als 100 Afghanen angerichtet haben, werden wir das Hunnen-Image bei vielen aktualisiert haben, aus heutiger Sicht auch ohne Sinn und realistisches Ziel.

Ob ein unbeteiligter Dreizehnjähriger von Schergen Assads gefoltert und getötet wurde, ob das Regime in unmittelbarer Nähe von internationalen Beobachtern Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt hat? Sinn hätte beides nicht gemacht und es ähnelt auch den „smoking guns“, deren mediale Wirkungen die beiden Interventionen gegen Saddam Hussein ausgelöst hatten und nachträglich falsifiziert wurden. Es ist aus meiner Sicht nicht Erfolg versprechend, Konfliktgründe massiv zu personalisieren, so als ob ein „regime change“ notwendige oder gar ausreichende Bedingung für die Konfliktlösung wäre. Sie waren es nicht beim Kaiser, nicht bei Saddam Hussein und vermutlich auch nicht bei Baschar al-Assad. Konsequent müssten wir hier auch Bush den Zweiten, Cheney und Rumsfeld ins Visier nehmen.

Ein wenig mehr Erklärung der verfahrenen Lage in Syrien scheint mir zu bieten: Die USA und andere Staaten haben bereits in den 1980er Jahren (sic!) wirtschaftliche, finanzielle und diplomatische Sanktionen gegen Syrien etabliert, und zwar wegen der besonderen Verwicklung des Landes in terroristische Aktivitäten – niemals aber gegen Saudi-Arabien oder Pakistan. Syrien ist wie die Mehrzahl der Staaten des Nahen Ostens massiv auf die Einfuhr von Nahrungsmitteln angewiesen. Die breiten Demonstrationen 2010/2011 waren auch durch die bereits beeinträchtigte Versorgung und durch eine Weltmarkt-bedingte sprunghafte Verteuerung gerade der Nahrungsmittel ausgelöst. Die Perspektiven? Sie sind auch wegen des dynamischen Klimawandels für die gesamte Region sehr negativ – damit werden es auch die Anreize für Migration bleiben, ganz unabhängig der Politik der dortigen Regimes in den ihnen gesetzten Leitplanken.

 

(2016/4) 24.2.2016
DIE ZEIT, veröffentlicht im Online-Angebot der ZEIT = http://blog.zeit.de/leserbriefe/2016/02/18/18-februar-2016-ausgabe-9/
Außen- und Sicherheitspolitik; Matthias Nass „Kein kalter Krieg“ und zum Interview von Jörg Lau u. Bernd Ullrich mit Joschka Fischer „Jetzt reden wir über alles“ (DIE ZEIT Nr. 9 v. 18.2.2016, S. 1, S. 6f)

Es liest sich ein wenig so, als sähen wir noch keinen Kalten Krieg. Was fehlt denn noch? Zwischen 1945 und 1990 gab es weiß Gott stärker entspannte Phasen als heute. Und weniger Manichäismen bzw. den naiven Glauben, ohne X, Y und Z und insbesondere ohne den ewigen Russen wäre es um die Welt besser bestellt.

Wenn wir nüchtern evaluieren, warum der Druck auf die Länder des reichen Nordens nicht mehr weggehen wird, dann finden wir schnell Ursachen, die mit uns selbst nicht weniger als mit anderen zu tun haben. Ein bemerkenswertes Zeitzeugnis stammt recht genau von der Mitte zwischen heute und der Zeitenwende 1990. Ein renommierter deutscher Publizist hatte i.J. 2003 ganz ungeniert einer deutschen Beteiligung am zweiten Irak-Krieg aus gesundem Erwerbsstreben das Wort geredet – „Der Weg ins Abseits“ hatte sein warnender, fast drohender Beitrag gehießen und er hatte nach meiner Wahrnehmung einem sehr großen Teil der Politik aus dem Herzen gesprochen. Sehr irritierend münkelt nun auch Joschka Fischer über den Verlust der letzten heroischen Einsatzbereitschaft und verweist dann resignierend auf einen hundertjährigen inneren Sortierungsbedarf des Nahen Ostens.

Pardon: Nein! Dies sind nicht die Alternativen: Zuschlagen und Beute machen können oder Raushalten. Was es braucht, ist eine nicht an shareholder values oder Rückflüssen orientierte Außen- und Sicherheitspolitik, ist das faire Suchen von Verhandlung auf einem Niveau von Ebenbürtigkeit und ist der Verzicht auf robuste Werkzeuge. Denn diese haben sich in den letzten zwanzig Jahren – auch unter Beteiligung des Interviewpartners Fischer – ausnahmslos als Fehlschlag auf der ganzen Linie erwiesen: militärisch, ökonomisch und sogar beim Schutz der Menschenrechte. Die dezidiert zivile Karte sollten wir auch und gerade in einer Phase spielen, in der wir an aggressiver Abkühlung nicht mehr vorbeisehen können.

Im 2. Absatz zitierte Quelle:
Alfred Neven DuMont „Der Weg ins Abseits“, Kommentar v. 14.2.2003, http://www.ksta.de/debatte/der-weg-ins-abseits,15188012,14292298.html

 

(2016/3) 16.2.2016
Frankfurter Allgemeine
Außen- und Sicherheitspolitik; Klaus-Dieter Frankenberger „Der Westen muss zusammenstehen“ (F.A.Z. v. 15.2.2016, S. 1)

Richtig: Die Krisen scheinen nicht mehr abzureißen. Die diesjährige Münchner Zusammenkunft verdiente daher am ehesten den Namen Unsicherheitskonferenz. So viele lose Enden liegen herum und fast jede mag eine Lunte sein.

Nun steht in den deutschen militärischen Weißbüchern und verteidigungspolitischen Richtlinien der letzten 20 Jahre die zeitlich und räumlich weit vorgeschobene Krisenbehandlung ganz zentral. Aus meiner Sicht wäre rational zu prüfen und zu debattieren: Hat nicht gerade diese invasive Problemvorsorge unsere vielfachen Probleme mit verursacht – Staatszerfall, Wanderungsbewegungen vom Balkan, aus Afghanistan und Irak und durch Libyen hindurch, Abgrenzungen und Xenophobien, neue manichäische Teilungen und wuchernden Personenkult und Populismus? Konnte man wirklich auf eine actio ohne reactio hoffen?

Es mag ja sein, dass Putin in einer anderen Welt operiert, in seiner Welt eben. Krasse weltanschauliche Brüche sind aber auch von jenseits des Atlantiks bekannt; nicht mit jedem dort würde ich beruhigt in einer Wagenburg zusammenstehen wollen. Auf alle Fälle ist Putins Kosmos noch eher der unsere als es der von Islamisten je sein könnte. Ich möchte auch nicht den Fehler eines Zbigniew Brzezinski wiederholen, der 1998 - also nur knapp vor nine-eleven - in einem aufsehenerregenden Interview mit dem Nouvel Observateur stolz offenbart hatte: Die USA hätten bereits Mitte 1979 den islamischen Fundamentalismus schlagkräftig gemacht; sie hätten die Sowjetunion zu der für sie schließlich fatalen Intervention in der "Bärenfalle Afghanistan" mit provoziert. Brzezinski hatte in einem mindestens dreidimensionalen Spiel eindimensional gedacht und sich vorschnell auf die Schulter geklopft.

Mir scheint, wir könnten arbeitsteilig besser vorankommen, dabei Deutschland als zivil erfolgreiche Vermittlungsmacht. Wenn wir die außenpolitischen Wirkungen der letzten Jahre bilanzieren, dann gab es genau dort offenkundig mehr international registrierte Pluspunkte als bei den robusten, infiniten und mit unabsehbaren Neben- und Nachwirkungen behafteten Einsätzen.

Quelle:
Interview des Nouvel Observateur mit Zbigniew Brzezinski v. 15.1.1998, wiedergegeben u.a. unter
http://www.voltairenet.org/article165889.html
Auszug:
Brzezinski.: „Qu’est-ce qui est le plus important au regard de l’histoire du monde?
Les talibans ou la chute de l’empire soviétique? Quelques excités islamistes où la libération de l’Europe centrale et la fin de la guerre froide?“

 

(2016/2) 15.2.2016, abgedruckt 17.2.2016
DIE WELT
Außen- und Sicherheitspolitik;
Clemens Wergin „Die neue Weltunordnung“ (DIE WELT v. 15.2.2016, S. 3)

Richtig: Entfremdung und Vertrauensverlust zwischen Eliten und Bürgern schwächen gerade die demokratische Regierung, das Sägen an den Stuhlbeinen einer anerkannten Regierungschefin zumal. Drum braucht es dringend eine nüchterne und mit den Bürgern debattierte Bilanz der geopolitischen Strategie seit Beginn der Neunziger Jahre.

Dabei ist eine These zumindest nicht von vornherein abwegig: Auch die zunehmend robuste Außen- und Sicherheitspolitik hat die beklagte neue Weltunordnung befeuert – gescheiterte Interventionen, die gescheiterte oder scheiternde Staaten und Regionen zur Folge hatten, massive zivile Verluste und unabsehbare Wanderungen zudem. Irak, Afghanistan, Libyen sind Beispiele; dazu Syrien, wenn wir eine zumindest fahrlässig destabilisierende Diplomatie mitrechnen wollen. Ob dann ein weiter verstärktes Auftreten im eigenen Sicherheitsumfeld das richtige Mittel ist oder ob dies nicht mehr Desselben darstellen würde, darüber sollte man in einer lernbereiten Demokratie debattieren.

 

(2016/1) 14.2.2016
Kölner Stadt-Anzeiger
Außen- und Sicherheitspolitik; Holger Schmale „Bomben besiegen den Terror nicht“ (Kölner Stadt-Anzeiger v. 12.2.2016, S. 4)

Meine volle Zustimmung, lieber Herr Schmale: Deutschland kann Macht offenbar am ehesten mit kluger Diplomatie entfalten – in einer Situation, wo West und Ost in alte Rollenbilder zurückzufallen drohen, wo sich eine robuste Außenpolitik mehr und mehr als Fehlschlag erweist und wo mit der Migration aus Krisengebieten und aus bewusst destabilisierten Regionen die europäische Union zu bersten droht.

Es ist allerhöchste Zeit für eine kritische Analyse der Außen- und Sicherheitspolitik. Das gerade im Bundestag beratene Gesetz zur Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr wäre ein hervorragender Ansatz dazu; allerdings lässt die erste Beratung des Entwurfs am 29.1.2016 da nur wenig Raum zur Hoffnung. Eher wurde da leider „mehr Desselben“ gepredigt oder auch: Die bewährte Gruppendynamik von Bündnissystemen.

Quelle:
Zur Debatte über den Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Drs. 18/7360 v. 26.1.2016) siehe Debatte v. 29.1.2016, Plenarprot. 18/153

 

 

Und ein paar Sammlerstücke aus früheren Jahren:

 

Die Mutter aller [meiner] Leserbriefe:

29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStA. v. 29.9.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

 

Und der am weitesten gereiste Leserbrief:

22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995

I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995 (page 6). It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful decision"). So I would like to show an alternative view:

It is certainly true, that Japanese military leaders commenced the hostilities against the USA. But the Japanese victims at Hiroshima and Nagasaki were in their vast majority civilians. And although they were victims, I am far from sure they were the real addressees of the bombs as well. There is quite a convincing hypothesis: The drop of the bombs in the first place aimed at impressing the counterparts of Truman at the Potsdam Conference of July/August 1945 - Truman, a just invested and still very uneasy-feeling American president. To add: according to now opened American files the Nagasaki bomb was also meant to test a completely redesigned ignition system.

The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event. We hear them over and over again – from Iraq, from France, from China etc. So humanity will never forget those victims, even if some wanted to.

 

Weitere Leserbriefe aus 2015,  2014, 2013, 2012,  2011 / 2010 / 2009 / 2008 / 2007 / 2006 / 2005 / 2004 / 2003 / 2002 / 2001 / 2000 / 1999 / 1998 / 1997 / 1996 / 1995 / 1994 / 1993 / 1992
oder auch Briefe für Englisch-sprachige Medien.

Oder meine Leserbriefe, die zum Thema „out of area“ abgedruckt worden sind.

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