Karl Ulrich Voss,
Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahr 2023
Stand: Dezember 2023; grün unterlegt:
lokale/regionale Themen
(2023/73) 24.12.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 28.12.2023
Weihnachtsbaum und deutsche Leitkultur; Gespräch von Gerhard Voogt mit der Bundestagsabgeordneten Serap Güler ("Unser
Programm passt zu jedem Kandidaten", Ausgabe v. 22.12.2023, S. 32)
Der Weihnachtsbaum hat
viel mehr Migrationsgeschichte, als sich Serap Güler und insbesondere Friedrich
Merz so denken, in rastloser Sorge um die deutsche Leitkultur: Hierzulande
recht in Mode und in viele Wohnzimmer kam die Tanne erst nach dem
deutsch-französischen Krieg 1870/71. Der preußische König kannte den schönen
Lichterbaum von seinen englischen Vettern und Cousinen und hatte ihn zum Trost
und für die Resilienz der Soldaten in den Unterständen und Lazaretten
aufstellen lassen. Etwa im Rheinland hatte die Schmucktanne zuvor noch als eine
protestantische oder gar nordische Marotte gegolten. Und in die Dome und
Kirchen war sie erst ganz zuletzt eingerückt.
Immerhin mag man es
heute auch positiv sehen: Als kulturübergreifender Integrations-Anzeiger st der Weihnachtsbaum deutlich versöhnlicher und weniger
beladen als das Kreuz. Deswegen möchte ich ihn auch eher als Ausdruck einer
weltumspannenden "Merry-Christmas-Bewegung" deuten. Ebenso wie
die vielen Päckchen und das leuchtende Rot des noch immer recht obskuren
Weihnachtsmanns.
(2023/72) 13.12.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht am 14.12.2023 im Internet-Angebot der ZEIT= https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/12/14/7-dezember-2023-ausgabe-52/
Kissinger; zu den Beiträgen „Wucht“ von Bernd Ulrich und „Die Macht und die
Zeitung“ von Matthias Nass (Ausgabe No. 52 v.
7.12.2023, S. 4 und 10)
Respekt bei der Jugend,
lokal wie global? Den ehrlichen Versuch gerade am Beispiel Kissingers wäre es
wert, völlig unpathetisch: „Ja, wir verfolgen Interessen.“ „Nein, wir tragen
keinen Heiligenschein!“ „Ja, dabei ist manches grausam schiefgelaufen!“
Kissinger würde noch hinzusetzen: Deutlich mehr sei unter dem Strich geglückt;
und man solle den ganzen Menschen sehen, das gesamte Repertoire.
Vielleicht würde selbst
das eine payback time nicht auf alle
Zeiten hinausschieben, nicht für alle Regionen. Aber es kann etwas von der
Wucht brechen. Und es gäbe Zeit, über die Konditionen zu verhandeln, ganz ohne
selbst-täuschende messianische Anwandlungen.
(2023/71) 5.12.2023
DER SPIEGEL
Kissinger; zur Würdigung Henry Kissingers in der Ausgabe Nr. 49 v. 2.12.2023,
S. 78ff („Der Jahrhundertdiplomat“)
Viele Kommentare sezieren Kissinger in einen zivilisierten
Dr. Jekyll und in einen extremen Mr. Hyde. Sie spalten die harte Tour der
Interessenvertretung ab, wohl als zu peinlich. Aber das ist Zwiedenk
vom Feinsten; wir haben immer beide Rollen im Repertoire. Und sogar die
technokratische Synthese aus beidem: Dr. Seltsam.
Was wäre dann die effizientere, auch die für die global
verteilten Mitmenschen weniger nervige deutsche Geopolitik? Na, indem wir uns
nicht manisch bekreuzigen und nicht eifernd täglich aufs Neue
„Werteorientierung“ geloben. So, als wäre das unser natürlicher kategorischer
Imperativ. Also: Machen wir uns ehrlich am Beispiel dieses weisen Heinz a.k.a. Henry!
(2023/70) 4.12.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Würdigung Henry Kissingers durch Karl Doemens in der Ausgabe v. 1.12.2023, S. 3
(„Der Altmeister der Diplomatie“)
Henry Kissinger ist ein höchst nüchterner Beweis dafür:
Eine moralische oder zivilisatorische Überlegenheit taugt nicht als Feldzeichen
des Westens. Genereller: Selbstgerechtigkeit und Mission sind bei allen
Spielern des großen Spiels fehl am Platze.
Ich denke, er selbst hätte bei einer vorgeblich besonders
„wertegeleiteten“ Außen- und Sicherheitspolitik nur müde gelächelt, hätte die
verfügbaren Fakten analysiert und Muster gesucht und hätte ohne jeden
Pathos die aktuellen Chancen beider Seiten kalkuliert – mit Folgen und
Nebenfolgen. Sodann hätte er ohne Zögern zugeschlagen oder eingeschlagen. Wer
da aus heutiger Sicht einen „bösen“ oder „guten“ Staatsmann abspaltet, der
begeht Selbstbetrug und wird zu ständigen Wiederholungen verurteilt.
(2023/69) 3.12.2023
Süddeutsche Zeitung
Kissinger; „Der Solitär“ von Stefan Kornelius (Ausgabe v. 1.12.2023, S. 3)
Die Extreme in Henry Kissingers Leben und Wirken sind wohl
unsere eigenen Extreme – es wäre selbstbetrügerisch, dort etwas abzuspalten und
zu personalisieren, gleichzeitig bequem zu externalisieren. Wenn Kissinger
verlangte, den ganzen Menschen oder das ganze Repertoire zu sehen, dann war es
nicht nur das menschliche Bitten um eine vollständige Bilanz. Sondern auch der
trockene Hinweis darauf, dass auch im Westen Kaltblütigkeit,
Interessen-Abwägung, Risiko-Bereitschaft und ein gewisses Maß an Zynismus zur Arbeitsplatzbeschreibung
gehören.
Nebst seinem besonderen Studienobjekt, dem
Fast-Österreicher Metternich, wird den Fast-Amerikaner Kissinger noch ein
weiterer Fast-Österreicher sehr fasziniert haben, der edle Ritter, der
dreisprachig mit „Eugenio von Savoy“ unterzeichnete – allesamt Menschen, die
sehr schlagkräftig einzeln, dazwischen oder auch darüber stehen konnten. Alle
drei hätten nicht den König, sondern die Dame als die Schachfigur bezeichnet,
die zu ihnen am besten passte und alle drei hatten sowohl herausragende
konfrontative als auch makleriische
Kompetenzen.
Den Gegner jedenfalls auf Schachbrettbreite an sich
heranzulassen, das vermisst man bei Außen- und Sicherheitspolitikern heute sehr
schmerzhaft. Manche von ihnen würden Kissinger wohl naserümpfend als nicht
ausreichend glaubensstark einordnen.
(2023/68) 2.11.2023
Frankfurter Allgemeine
Kissinger; Majid Sattar „Vordenker im Spiel der Mächte“ (Ausgabe v. 1.12.2023,
S. 10)
Unsere Faszination beim Zurückdenken an Henry Kissinger
beruht aus meiner Sicht auf unausweichlicher Identifikation: Dieser Heinz und
Henry war und ist in seinen Träumen und Traumata, in seinen deterministischen
Projektionen und in seinen teils paranoiden Strategien, in seinem Gottglauben
und Weltwissen ein sehr moderner und ein sehr westlicher Mensch. In vielem
herausragend, auch herausragend geprägt, aber in den nämlichen Kraftfeldern und
Widersprüchen lebend und handelnd wie wir selbst.
An seinem Beispiel haben wir die Chance, unser wohl positiv
überzeichnetes, wertorientiertes Selbstbild dem nüchternen, utilitaristischen
Fremdbild anzunähern, das viele Menschen außerhalb unseres Kulturkreises
tatsächlich von uns haben. Ein Bild, das etwa Paul Kennedy in seinem Klassiker
„The Rise and Fall of the Great Powers“ ebenso faktenreich wie historisch neutral
gezeichnet hat.
(2023/67) 30.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 5.12.2023
Ukraine; Kommentar „Aufrüsten statt verhandeln“ von Can Merey und Bericht „Die
härteste Zeit für Soldaten“ von Sven Christian Schulz (Ausgabe v. 29.11.2023,
S. 4 u. 6)
Wenn wir kriegsfähiger werden statt verhandlungsfähiger,
dann wäre schon das eine sehr schlechte Nachricht für die globale Sicherheit.
Hier ist es im Grunde ärger: Im Effekt geht es um einen
Stellvertreter-Konflikt, der nicht für uns persönlich, sondern für andere hoch
blutig verläuft. Und ich sehe tatsächlich nicht, dass wir Verhandlungs-Optionen
wie etwa ein weitgehendes Autonomie-Statut nach Vorbild Südtirols ausgereizt
hätten. Gerade aus der sicheren Etappe sollten wir nicht weiteren jungen
Menschen zu Tausenden den Tod schicken – auf beiden Seiten.
Richtig, dies ist die härteste Zeit – und die Lage erinnert
fatal an ausweglos verfestigte Fronten und an die berüchtigten „Blutpumpen“
oder „Knochenmühlen“ im Ersten Weltkrieg, am Lagazuoi
in den Dolomiten ebenso wie in Verdun. Damals wollte etwa der deutsche
Chemie-Manager Carl Duisberg den Knoten durchschlagen und setzte den Einsatz
von Kampfgasen durch; die Folgen hat André Malraux in seinem Büchlein „Guerre
et fraternité“ zeitlos und ohne jedes manichäische
Feindbild notiert. Besser als weiterer hundertfacher Tod am Tag scheint mir –
auch hier – in jedem Fall unser sehr ernsthaftes und schöpferisches Drängen auf
Verhandlung.
P.S.:
Tatsächlich erscheinen mir weitere und sogar intensivierte Waffenlieferungen
wie ein Paradebeispiel der nur schwer zu vermeidenden Handlungsform „Mehr
desselben“, die der große österreichisch-amerikanische Psychotherapeut Paul
Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ analysiert hatte:
„Die lebenswichtige Notwendigkeit der Anpassung führt
unweigerlich zur Ausbildung bestimmter Verhaltensmuster, deren Zweck
idealerweise ein möglichst erfolgreiches und leidensfreies Überleben ist. Aus
Gründen, die den Verhaltensforschern noch recht schleierhaft sind, neigen aber
Tiere wie Menschen dazu, diese jeweils bestmöglichen Anpassungen als die auf
ewig einzig möglichen zu betrachten. Das führt zu einer zweifachen Blindheit:
Erstens dafür, dass im Laufe der Zeit die betreffende Anpassung eben nicht mehr
die bestmögliche ist, und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine
ganze Reihe anderer Lösungen gegeben hat oder zumindest nun gibt.
Diese doppelte Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie
die Patentlösung immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, und zweitens
führt der steigende Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen
Schlussfolgerung, nämlich der Überzeugung, noch nicht genug zur Lösung getan zu
haben. Man wendet also mehr derselben „Lösung“ an und erreicht damit genau mehr
desselben Elends.“ (Anleitung zum Unglücklichsein, Kap.
2, 4. Unterkapitel "Der verlorene Schlüssel, oder mehr desselben" =
S. 28f in meiner betagten Ausgabe von 1997)
Wie gesagt, mit der Besonderheit der vorliegenden
Fallgestaltung: Die potenziell verhaltenskorrigierenden Schmerzfolgen koppeln
hier nicht einmal unmittelbar zu den Handelnden – in der Etappe – zurück. Ein
derart gedämpfter Regelkreis wird eine gewaltmindernde oder „blutstillende“
Verhaltensanpassung umso stärker verzögern. Sehr schlechte Aussichten für das
Leben vor Ort.
(2023/66) 29.11.2023
RGA / Volksbote,
abgedruckt 6.12.2023
Stadtentwicklung; Nadja Lehmann „Die Bürger erwartet ein neues Burscheid“
(Ausgabe v. 28.11.2023, Regionalteil Burscheid S. 21)
Sehr richtig: Die Bürger erwartet ein neues Burscheid. Aber
erwarten die Bürger das auch, in dieser Form?
Auf Nachfrage hieß es am 23.11. im
Stadtentwicklungsausschuss: Die zunächst für den Herbst erwogene vierte
Bürgerinformationsveranstaltun
Aber zum bereits absehbaren neuen, vitalen Burscheid: Ist
das neue Geschäftszentrum Montanusstraße a.k.a. „Neue Mitte“ auf ausreichende Nachfrage gegründet?
Diese Frage nannte der Vater des IEHK – der Chef des Projektentwicklers ASS –
kurzerhand „unredlich“. Zahlen hat er dazu auch nicht genannt. Äpfel seien doch
keine Birnen und Burscheid sei schließlich kein „Dorf an der Nordsee“. Aber wir
sind auch nicht New York und werden dennoch nach dem Neubau unter den absoluten
Spitzenreitern der Republik bei den Verkaufsflächen für Nahrungs- und
Genussmitteln rangieren: Nach dem aktuellen Verträglichkeitsgutachten sind wir
hier bereits heute um 24% über Bundesdurchschnitt ausgestattet, durch Edeka
werden es lockere 48% mehr sein. Mit dem konkret geplanten Lidl in Hilgen
shoppen wir dann fröhlich 63% über den normalen Bundesbürgern.
Man mag die Relation von Angebot und Nachfrage als eine
prinzipiell unnötige – oder auch lästige – Planungsgrundlage ansehen, gerade
als Projektentwickler. Für Burscheids Zukunft und Finanzen ist sie allerdings
essenziell. Es gilt eben nicht das alte chinesische Motto „Viel hilft viel!“
Und Negativbeispiele mit kannibalisierenden, gleichwohl kurzlebigen Malls gibt
es rund um Burscheid nun wirklich zur Genüge.
P.S.
Zu den Zahlen, die Herr Hamerla / ASS entweder nicht parat hatte oder so nicht
verteidigen wollte: In dem aktuellen Gutachten von Stadt+Handel
wird der Vergleich zwar nur teilweise ausbuchstabiert, er lässt sich aber ohne
große Probleme aus den dortigen Daten gemeinsam mit den Zahlen der aktuellen
Beschlussvorlagen errechnen.
· Bei den im Gutachten
zugrunde gelegten 18.681
Bürgern ergäbe sich mit dem genauen Bundesdurchschnitt (0,41 m2/Einw.)
eine rechnerische Gesamtverkaufsfläche (GVKF) von 7.659 m2.
· Burscheids bereits heutige
GVKF beträgt 9.527 m2,
das sind dann 24% dazu (entsprechend 0,51 m2/Einw.).
· Mit Edeka (1.800 m2, damit übrigens auch
ein deutlich überdurchschnittlicher Edeka) liegen wir gleich bei 11.327 m2, damit 48% über Durst (entsprechend dann 0,61 m2/Einw.).
· Mit Lidl/Hilgen
(1.224 m2) kommen wir
dann auf 12.551 m2 und satte 63%, also deutlich mehr als die Hälfte
über Bedarf (entsprechend 0,67
m2/Einw., ein bundesweit signifikant
herausragender Wert).
(2023/65) 27.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Stadtentwicklung; Thomas Käding „Debatte über Burscheids Mitte geht weiter“
(Ausgabe v. 25.11.2023, Lokalteil Leverkusen S. 40)
Die Debatte mag noch ein wenig weitergehen; aber die
Weichen sind gestellt, eigentlich: sauber verschweißt. Den Geschäftssinn der im
Artikel zitierten Buchhändlerin bewundere ich aufrichtig. Ich kann auch
nachvollziehen, dass sie „halb Burscheid“ lieber gleich um die Ecke einkaufen
sehen will – nicht in Witzhelden oder sonst wo. Mehr als ihrer interessierten
Kurzanalyse beim höheren Shoppen traue ich aber den professionell erhobenen
Daten von Stadt+Handel. Und diese Daten sagen
schlicht: Es gibt per saldo keine abwandernde
Kaufkraft und wir brauchen auch keine neue Verkaufsflächen bei Nahrungs- und
Genussmitteln, ganz im Gegenteil.
Schon heute sind wir, wie jeder auch ahnt, mit 24% über dem
Bundesdurchschnitt sehr gut ausgestattet. Mit einem noch einmal
überdurchschnittlichen Edeka-Markt werden es schon satte 48% und mit dem
konkret geplanten Lidl-Markt in Hilgen sind wir dann bei 63% über Durst
angelangt! Bei sehr abzählbaren Folgen für unsere Gewerbesteuer: Einbrüche bei
den etablierten Platzhirschen, aber sehr wenig Aufwuchs bei den Neuen, die
zunächst ihre Ersteinrichtung abschreiben werden – und auch müssen. Genau das
macht sich im Rat offenbar niemand so gerne klar: Irgendeiner wird die
Investitionssumme von deutlich jenseits der 20 Millionen Euro ja mal bezahlen
müssen – entweder wir als Konsumenten oder wir als Steuerzahler. Nicht aber die
smarten Projektentwickler oder Investoren. Die haben nichts zu verschenken.
Zwei weitere Details aus der Sitzung verdienen
Aufmerksamkeit: Die zu Beginn einmal zentrale Entwicklung für die untere
Hauptstraße ist nun in ein neues Programm ausgekoppelt, in das ISEK 2030 – oder
auch das „Integrierte Städtebauliche Entwicklungs-Konzept Burscheid Innenstadt
Nord / Altstadt 2030“. Auf Nachfrage nach der im Ausschuss für den Herbst 2023
versprochenen, bereits lange ausstehenden Bürgerinformationsveranstaltun
(2023/64) 21.11.2023
Süddeutsche Zeitung
Gaza-Krieg; Bericht „Zwischen den Fronten“ von Peter Münch und Kommentar „Es
gebietet die Menschlichkeit“ von Alexandra Föderl-Schmid (Süddeutsche v.
20.11.2023, S. 2 u. 4)
Netanjahu hat zwar wohl recht jedenfalls insoweit, als die
Armee unter allen israelischen Akteuren die unparteilichste ist, defensiver als
die Mehrzahl der Regierungsparteien. Saul Friedländer weist aber in seinem
kürzlichen „Blick in den Abgrund“ zu Recht darauf hin: In einer seit
Jahrzehnten vergifteten und von gegenseitigem Argwohn und tiefen Ängsten
geprägten Atmosphäre sind Gewalt-Eskalationen und erlebte Inhumanität gar nicht
zu vermeiden.
Auf die verfeindeten Akteure wird nicht einmal Hannah
Arendts Denkfigur vom „banalen Bösen“ zutreffen – denn in Palästina sind alle
mit Herz und Blut dabei, die wenigsten vollziehen schematische Anweisungen, die
bei Auswechseln der Hierarchie wie ein Spuk zu Ende wären. Eher stimmig ist
hier – leider – Heideggers „Geworfensein in das
Sein“, das ganz ohne Ideologien oder als Feldzeichen eingesetzte Religionen
wirksam ist. Mit Friedländer würde ich zu einer fundamentalen Änderung der
Rahmenbedingungen ein staatliches Nebeneinander auf Augenhöhe wünschen, die
Sicherheit auf der palästinensischen Seite jedenfalls zeitweise garantiert
durch eine unabhängige Macht.
Selbst das kann aber keinen nachhaltigen Frieden verbürgen.
Wir sollten uns auf eine signifikante Migration der endgültig Hoffnungslosen
einstellen, von beiden Seiten.
(2023/63) 21.11.2023
Frankfurter Allgemeine
Gaza-Krieg; Alexander Hanekes Leitartikel „Israels Schicksalsfrage“ (F.A.Z. v.
20.11.2023, S. 1)
Man mag Netanjahus Politik als Taktiererei verstehen oder
auch als zu weiten Teilen eigennützig, wie kürzlich sehr detailliert Saul Friedländer
in seinem „Blick in den Abgrund“. Mehr noch allerdings würde ich Friedländers
These folgen wollen, dass die einzige Lösung eine radikale Abkehr von der
israelischen Siedlungspolitik und ein staatliches Nebeneinander
auf Augenhöhe wäre.
Wäre – denn kein israelischer Politiker hätte zusätzliche
palästinensische Autonomie, geschweige denn Unabhängigkeit wagen und umsetzen
können. Alle bisherigen Erfahrungen sprachen dagegen, dies auch schon vor dem
bestialischen Überfall und erst recht danach. Nicht nur Netanjahu wäre mit
einer solchen Entscheidung überfordert. Er wird den Konflikt bis zur
dauerhaften Kontrolle von Gaza fortsetzen müssen. Tatsächlich sollten wir uns
in unseren Häfen auf eine neue, spiegelbildliche „Exodus“ vorbereiten, auf eine
„Exodus from Gaza 2023“.
Quelle
https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/62) 20.11.2023
DIE WELT
Gaza-Krieg; Kommentar „Das Spiel der Hamas“ von Philip Volkmann-Schluck (DIE
WELT v. 20.11.2023, S. 1)
Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit wird das Spiel der
Hamas nicht aufgehen, soweit es um eine auch nur minimale Erweiterung der
palästinensischen Autonomie geht, ganz im Gegenteil.
Sodann könnte für uns ein Gedankenexperiment Realität
werden: Von Gaza-Hafen legen Schiffe mit einigen Tausend palästinensischen
Frauen und Kindern ab, die in der Region realistischerweise keine sichere
Zukunft sehen – spiegelbildlich sozusagen zur legendären „Exodus“. Die
Gretchenfrage an uns: Würden wir unsere Häfen öffnen? Und dort auf
Internierungslager verzichten?
Quelle
https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/61) 20.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Gaza-Krieg; Jan Sternbergs Leitartikel „Zeichen der Hoffnung“ (KStAnz v. 20.11.2023, S. 4)
Es mag für Geiseln, für ihre Angehörigen und für die
Zivilbevölkerung in Gaza kurzfristige Zeichen der Hoffnung geben; das medial
hoch präsente inhumane Drama wird es erzwingen. Aber eine auch nur
mittelfristige politische Lösung des Konflikts, die Gewaltzyklen ausschließen
könnte, bleibt aus meiner Sicht höchst unwahrscheinlich.
Saul Friedländer ist ein langjähriger kritischer Beobachter
der israelischen Siedlungspolitik. In seinem diesjährigen israelischen Tagebuch
„Blick in den Abgrund“ zitiert er allerdings eine sehr schwer widerlegbare
These der politischen und religiösen Rechten gegen jede
Zwei-Staaten-Konstruktion: Gerade bei einer Teil-Autonomie der Westbank und des
Gazastreifens hätte sich der islamistische Terrorismus explosiv entwickelt; nur
eine fühlbare militärische Besatzung garantiere Kontrolle und Sicherheit. Genau
das beschreibt das Dilemma: Den Mut, eine volle palästinensische Staatlichkeit
auszutesten, kann und wird heute kein israelischer Politiker aufbringen. Und
der zitierte „Blick in den Abgrund“ datierte immerhin noch vor der
bestialischen Attacke vom 7.10.2023.
Unabhängig vom Verlauf etwaiger Verhandlungen sollten wir
einen Schritt weiterdenken: Gaza ist nun in wesentlichen Teilen Trümmerwüste
und definitiv kein Ort, um zwei Millionen Menschen ohne große Opfer über den
Winter zu bringen - gleich ob ohne oder mit Wasser, Strom oder Öl. Viele Mütter
werden dort nur einen Gedanken hegen: „Weg von hier!“ Ich denke, Schiffe
wie die „Exodus“ werden bald von Gaza-Hafen ablegen. Dann sollten auch wir sie
aufnehmen.
(2023/60) 14.11.2023
Süddeutsche Zeitung
Verteidigungspolitische Richtlinien 2023; Heribert Prantls „Friedenstüchtig“
(Ausgabe v. 10.11.2023, S. 5)
Zustimmung von ganzem Herzen zu Heribert Prantls
„Friedenstüchtig“: Deutschland hat seit nun 30 Jahren wieder überaus tüchtig an
Kriegen teilgenommen, mit scharfem Schuss. Hat einige tausend Tote zumindest
mitverursacht und in Kundus gar ein Inferno zu verantworten, das in seiner
menschenverachtenden Anlage einer Napalm-Attacke gleichkam.
Bei der Mehrzahl der Einsätze war das einzig Bleibende
nachhaltiges menschliches Leid, gerade auch in Afghanistan. Wer nach all diesen
Lektionen des Lehrmeisters Krieg noch weitere – künftig zu entwickelnde –
deutsche Kriegstüchtigkeit verlangt, der macht mir Angst, dies sicherlich auch
anderen Menschen dieser Welt.
Vor der Neuauflage der Verteidigungspolitischen Richtlinien
mit solchem Aplomb hätte ich eine tüchtige demokratische Rechenschaft gewünscht. Über diese raumgreifende
Phase auswärtiger Gewalt, die mit den Einsätzen in Somalia und an der Adria
begann und die nun im Wesentlichen sang- und klanglos abgekündigt wird.
(2023/59) 7.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Gaza-Krieg; in der Ausgabe v. 1.11.2023 auf S. 24 abgedruckter Leserbrief von
Herrn Dr. Schimmelpfennig aus Frechen
Ein am 1.11.2023 abgedruckter Leserbrief beschreibt m.E.
sehr hellsichtig das nach dem Verlauf der Kampfhandlungen heute
wahrscheinlichste Szenario: Der Gaza-Streifen wird von Nord nach Süd geräumt.
Danach wird Israel an dieser Stelle höchstens eine kleine, militärisch nicht
gefährliche Bevölkerung dulden und Orte maximal im Zuschnitt von Dörfern.
Die weiteren Folgerungen des Leserbriefs – diejenigen zur
wünschenswerten Ansiedlung von Palästinensern etwa in Jordanien oder auf der
Westbank – die halte ich allerdings für sehr, sehr unrealistisch. Wenn Israel
keine fortlaufend wiederholten Gewaltausbrüche provozieren will, dann kommen
für ein bis zwei Millionen dislozierter Palästinenser weder das von
Flüchtlingen bereits stark belastete Jordanien noch die Westbank in die nähere
Wahl. Nüchtern betrachtet sollte sich Europa auf einen weiteren massiven Zustrom
vorbereiten. Und das wäre nicht einmal unverdient, wenn man sich die
eigentlichen Ursachen der hoch toxischen Lage im früheren Palästina klar macht.
(2023/58) 31.10.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Nahost; Thema des Tages in der Ausgabe v.30.10.2023 (Interview vom Daniela
Vates mit Stefan Meister „Ziel ist immer, die USA zu schwächen“ und zum Artikel
von Daniela Vates „Die Welt ist nicht genug“, S. 1 u. 2)
Die Überschrift des Interviews mit Stefan Meister von der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik darf man generalisieren: Alle
größeren Staaten belauern sich höchst argwöhnisch und versuchen, mit offenen
ebenso wie mit verdeckten Operationen zu punkten. Oder: Punkte der anderen
Seiten zu verhindern. Das große Spiel ist heute höchstens nochmals
unübersichtlicher geworden. „Spy & Spy“ hat sich heute um einen dritten
fernöstlichen Kollegen erweitert; alle aber sind in Professionalität,
Kaltblütigkeit und Wertorientierung völlig austauschbar, soweit es das
jeweilige Staatswohl nahelegt.
Zu Recht erinnert Stefan Meister an Instabilitäten, die
zumindest auch auf das Konto des Westens gehen, gerade in Afghanistan. Billy
Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat das i.J. 1998 erstaunlich
offen bekannt, in einem Interview mit dem Pariser Nouvel Observateur:
Das Erstarken des afghanischen Islamismus, wenn auch durch geheime
US-Waffenlieferungen, sei doch unbedeutend gegen den folgenden
Zusammenbruch des Sowjetreichs. Wohlgemerkt lag dieses nassforsche und ein
wenig eitle Statement noch vor Nine-Eleven. Eine weitere fatale Fehlkalkulation
war etwa der i.J. 1953 vom englischen und amerikanischen Geheimdienst
angezettelte Putsch gegen den gewählten iranischen Präsidenten Mossadegh – zum
Nutzen der Anglo Iranian Oil Company, später British
Petrol. Und zum Schaden einer ganzen Region, mit bedingten Reflexen bis heute.
P.S.:
Bitte verstehen Sie dies nicht als wohlfeilen „Whataboutism“. Allerdings bewerte
ich die Situation in Israel/Palästina und in der Ukraine als ein massives
Versagen der (oder eines Verzichts auf) Diplomatie beider Seiten, als
ein sehr langjähriges bloßes „Administrieren“ hochbrisanter Gruppen-Konflikte.
Hatte ich vor 30 Jahren die Geschichte noch als lernenden Prozess mit einem
zumindest leicht aufwärts gerichteten Vektor betrachtet, so sehe ich heute ein
zyklisches Muster iterativer Gewaltexzesse – bei immerhin derzeit noch
gedämpften Wirkungen für meinen persönlichen Nahbereich. Wenn ich ferner
versuche, das seit 1992 in Auslandseinsätzen der Bundeswehr erweiterte
militärische Engagement Deutschlands zu bilanzieren: Dann sehe ich wenige
dauerhafte Fortschritte, sei es bei der Durchsetzung von Menschenrechten oder
bei der Verbesserung der Lebenschancen. Eher fällt mir die häufige Begründung
mit Bündnistreue oder Bündnisfähigkeit auf; für mich sind das
indessen eher Sekundärtugenden. Ich denke nicht, dass unsere Politik
eine Blaupause für weniger entwickelte Staaten sein sollte – oder dort in der
Realität mehrheitlich als solche akzeptiert wird.
Quellen zum Leserbrief etwa:
Das zitierte Interview des Nouvel Observateur
mit Zbigniew Brzezinski aus dem Januar 1998 findet sich im Originaltext u.
deutscher Übersetzung hier: https://uliswahlblog.blogspot.
In Deutschland eher unbekannt ist heute die „Operation
Sommerregen“, bei der auch deutsche Dienste ab Mitte der Achtziger Jahre
mit afghanischen Mujaheddin kooperierten, m:E. eindeutig außerhalb unserer
Verfassung: https://de.wikipedia.org/wiki/
Bei manchen Elementen
des Burscheider Integrierten Entwicklungs- und Handlungskonzepts stellt sich ja
einigen Bürgerinnen und Bürgern nachhaltig die Sinnfrage – oder die Frage nach
Art. 9 des Rheinischen Grundgesetzes. Umso erfreulicher, dass zu guter Letzt
noch das Projekt „Engel der Kulturen“ der hiesigen Künstler Carmen Dietrich und
Gregor Merten Eingang fand. Und viele, insbesondere viele junge Menschen aus
Burscheid haben es am 20.10. auf dem Alten Friedhof stimmungsvoll eingeweiht.
So, wie es sich dort nach Osten ebenso wie nach Westen öffnet, ist es ein sehr
hoffnungsvolles und heute leider auch bitter notwendiges Symbol.
Es wird sicher auch
dann noch stehen und weiter wirksam sein, wenn – zu einem derzeit noch
ungewissen Zeitpunkt – das anfängliche Ziel unseres Handlungskonzepts
angenähert ist: Nämlich die Burscheider Hauptstraße in ihrer ganzen Ausdehnung
zu beleben, also auch hinunter bis zum historischen Siedlungskern an der
evangelischen Kirche.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/
Artikel 9: Wat
soll dä Kwatsch/Käu?
Projekt „Engel der
Kulturen“
https://www.engel-der-kulturen.de/
(2023/56) 13.10.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Nahost; Kommentar von Sven Christian Schulz „Scholz speist mit dem Helfer der
Hamas“ und zum Gastbeitrag von Werner Sonne "Der Angriff wird Israel
verändern" (Ausgabe v. 13.10.2023, S. 4)
In der biblischen Landschaft gibt es keine einfache Ethik,
nicht nach muslimischem, nicht nach jüdischem Verständnis. Und schon gar nicht
nach christlicher Weltsicht. Die schlichte Wahrheit und Ursache für die
schlimmer denn je aufgeflammten Gräuel ist: Alle hochgestellten Akteure
einschließlich derjenigen aus den Golfstaaten, Europa und den USA haben sich
einer selbst betrügenden Ruhe hingegeben, haben einen kontinuierlich tief
einschneidenden Konflikt um Land und Zukunft „clever“ verwaltet, niemals auch nur
in Ansätzen gelöst. Eher haben sie die Grenzen zum eigenen Vorteil kühn
ausgetestet. Kurz gefasst: Sie haben versagt - und am Ende auch noch an der
Aufklärungs-Front.
Fatalerweise kann die sicher bereits eingepreiste
militärische Reaktion an dem strukturellen Übel kein Jota ändern: An einer
weiteren Generation der todesverliebten jungen Männer zwischen ca. 15 und 25
Jahren, die am besten in Pankaj Mishras Analyse „Age of
Anger“ charakterisiert sind. Die auch jederzeit und überall ohne ein
Markenzeichen wie „Hamas“ auskommen. Ich unterstütze daher den Kanzler, wenn er
versucht, Schlimmeres abzuwenden. Und dies gerade nicht wegen etwaiger
Energielieferungen.
(2023/55) 11.10.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT = https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/10/12/5-oktober-2023-ausgabe-42/
Auflösung von Bergkarabach; Artikel „Ihre Heimat gibt es nicht mehr“ von Andrea
Jeska (Ausgabe No. 42 v.
5.10.2023, S. 4)
Es bleibt irritierend: Für Monate oder gar Jahre hatte
Covid die ersten Seiten unserer Medien und Sinne dominiert, dann natürlich der
Einfall der Russen in die Ukraine. Aber eine veritable ethnische Säuberung wie
die nun offen finalisierte Vertreibung der Armenier aus jahrhundertealten
Siedlungsgebieten in Bergkarabach, das geht mit unserer minimalen Erregung
einher.
Oder mit zusätzlicher Empörung über die Russen, weil diese
den Armeniern nicht den gebotenen militärischen (sic!) Beistand geleistet
hätten. Wie stünde es dagegen mit etwaigen ökonomischen Strafmaßnahmen gegen
die aserbaidschanische Elite, um einen ethnischen Komment zu fördern? Diese
verbieten sich offenbar ebenso selbstredend. Denn für die Staatsräson darf
unsere Außenpolitik schon mal energie- oder realpolitisch motiviert sein und
nicht ausschließlich wertegeleitet. Das Risiko bleibt halt: Die Staaten des
globalen Südens zweifeln mehr und mehr an der ethischen Verlässlichkeit des
Westens. Oder verzweifeln daran. So sehr, dass sie sich etwa dem wachsenden
BRICS-Konglomerat zuwenden.
Danke immerhin für Ihre persönliche
Vor-Ort-Berichterstattung!
(2023/54) 20.9. 2023
DIE WELT
Sicherheitspolitik; Kommentar „Kluge Realpolitik“ von Klaus Geiger (Ausgabe v.
20.9.2023, S. 7)
Eine kluge Realpolitik weiß: Mit Glaubensdingen und mit
Feldzeichen ist in der wirklichen Welt wenig anzufangen. Und gerade eine
Handelsnation tut gut daran, ihre Einkäufe und Verkäufe nicht an Bekenntnisse
zu binden. Diese wechseln nach aller Erfahrung schneller als die Farben der
Krawatten.
(2023/53) 12.9.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht 15.9.2023 im Internet-Angebot der ZEIT = https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/09/14/7-september-2023-ausgabe-38/
Ukraine; Interview von Stefan Willeke mit Anon Hofreiter „Panzer-Toni ist kein
schöner Spitzname“ (Ausgabe No. 38 v. 7.9.2032)
Hofreiters Zerrissenheit mag stellvertretend für die
gesamte Regierung stehen – mit Ausnahme vielleicht der FDP, die mit dem Zustand
der Welt am sorglosesten umging und umgeht. Die Bündnisgrünen aber und
wesentliche Teile der SPD: Zur falschen Zeit am falschen Platz erwischt;
ungewollt Schulter an Schulter mit der Waffenlobby oder den Schafzüchtern. Und
vielleicht auch deshalb mit besonderer Inbrunst an der Seite der ukrainischen
Regierung, weil das Afghanistan-Projekt so jämmerlich und schimpflich gescheitert
war. Parole: "Schwamm drüber!".
Dies zeigt das Dilemma wohl am deutlichsten: Es gibt auch
keinen eigenen Plan, was das friedliche Zusammenleben der Ethnien, Sprachen und
Kulturen in der Ukraine nach Ende der Kampfhandlungen angeht, früher oder
später. Und mit dem sehr realen Risiko, dass es dann auf eine selbstgewisse
Reinigung hinausläuft. Und auf einen NATO-Stützpunkt auf der Krim.
(2023/52) 5.9.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Deutsche E-Mobilität; Beitrag „Aufholjagd der Autobauer“ von Frank-Thomas
Wenzel (Ausgabe v. 5.9.2023, S. 7)
Man fühlt das Unheil förmlich herankriechen, wenn deutsche
Autobauer unbeirrt über Premium, Anmut und Markenerbe schwadronieren. Nur: Ein
am Weltmarkt gut zu platzierendes E-Auto, wie könnte es denn heute aussehen:
Klein, leicht, hochgebaut, spartanisch-sportlich, knuffig, energieeffizient –
für 95% der jährlichen Transportwege „just in size
and costs“.
Bei deutschen Autobauern hochgebaut sind allenfalls die
Manager-Nasen. Ein Markenerbe kann sicher auch eine schwere Last sein – und das
deutsche automobile Erbe mag bei einem „Weiter so!“ genauso schnell
dahinbleichen wie der ehedem glorreiche britische Nachlass. Es ist heute fast
vergessen: Groß geworden sind wir mal mit Kleinwagen, mit Maßhalten und mit
einem sicheren Gefühl für Bedarfe.
P.S.:
Seit nun bald zwei Jahren fahre ich mit hoher Zufriedenheit einen Dacia Spring, hergestellt vom
Lastwagen-Bauer Dongfeng in Wuhan. Der Spring
ist sauber verarbeitet, kommt mit einer achtjährigen Batterie-Garantie und
entspricht dem o.g. Lastenheft.
(2023/51) 4.9.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 7.9.2023
Ukraine; Kommentar „Kriegszeiten keine Wahlzeiten“ von Jan Sternberg (Ausgabe
v. 4.9.2023, S. 4)
Das sehe ich völlig anders. Wir sollten Wolodymyr Selenskyj
im Gegenteil ermutigen, etwaige Hindernisse abzubauen und die anstehenden
turnusmäßigen Wahlen zu realisieren. Die sehr wahrscheinliche Bestätigung der
Regierung ist dabei von geringerer Bedeutung. Viel wichtiger ist die Konkurrenz
der politischen Kräfte des gesamten politischen Spektrums um Strategien für die
mittel- und langfristige Koexistenz der Gruppen, Sprachen und Kulturen der
Ukraine, nicht zuletzt als Signal für äußere Unterstützer und Gegner.
Denn darin läge offenbar ein eklatanter Widerspruch: Wir
unterstützen aktiv die Fortführung des Krieges – für weitere Monate, vielleicht
für Jahre. Damit würden wir gleichzeitig den nach demokratischer
Grundauffassung zentralen Prozess zur Legitimation exekutiven Handelns
aussetzen helfen, eben die Wahlen. Wir würden damit die ununterbrochene
Legitimationskette in Frage stellen, die selbst schwerste Eingriffe in
fundamentale Menschenrechte, darunter etwa das Töten im Kriege, rechtfertigen
kann.
Selbstverständlich existiert auch kein Naturrecht für
Regierungen, während eines Krieges
die eigene Amtszeit automatisch zu verlängern. Zwar hatte Großbritannien
während des 2. Weltkriegs tatsächlich die Wahl ausgesetzt, aber in den USA
wurde am 7.11.1944 gewählt. Letzte Anmerkung: Hätte die westlich orientierte
afghanische Regierung in den letzten zwanzig Jahren keine Wahlen
organisiert, wir hätten dies zu Recht als Schwäche ausgelegt.
Quellen etwa:
https://de.wikipedia.org/wiki/
https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/50) 1.9.2023
Kölner-Stadt-Anzeiger
Ukraine; André Ballin und Andrej Schenk „Verzichtet die Ukraine auf die Krim?“
(Ausgabe v. 29.8.2023, S. 5)
Nachdenken über eine Verhandlungslösung für die Krim ist
ein Lichtblick, wenngleich noch kein großer. Denn das von Wolodymyr Selenskyj
als Voraussetzung beschriebene Szenario – ukrainische Truppen sind kampfstark
bis zu den Verwaltungsgrenzen der Krim vorgerückt – das ist von der Realität um
viele brutal blutige Verdun-Jahre entfernt. Nüchtern betrachtet befreit man
hier ein Dorf unter großen Opfern und dort wird eines blutig wieder
zurückerobert, an einer beiderseits massiv befestigten Kampflinie. Aber zu überlegen,
dass es eine demilitarisierte Krim geben könnte, dann auch, wie dort die
Ethnien und Sprachen koexistieren könnten – das lässt mich an in der Struktur
ähnliche Modelle wie Südtirol und die Schweiz denken: Nicht befestigter
Vorposten und Sackgasse, sondern Verbindung und ein stetiger Durchfluss von
Menschen und Waren, von dem viel hängen bleibt.
Eine andere Stelle im Interview von Natalija Mosejtschuk mit Wolodymyr Selenskyj fordert uns selbst, mit
der Kernkompetenz freier demokratischer Staaten: Auf Nachfrage zeigte sich der
Präsident skeptisch hinsichtlich der turnusmäßig anstehenden Wahlen. Er will
auch keine Rüstungsgelder für teure Wahlen zweckentfremden. Darum
muss genau das unsere nächste Zuwendung sein: Zweckgebundene Zuschüsse für die
anstehenden Wahlen und das Angebot, die Ukraine auch bei der Durchführung so
gut als möglich zu unterstützen.
(2023/49) 31.8.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine; Reinhard Veser „Kampf an vielen Fronten“ (F.A.Z. v. 29.8.2023, S. 2)
Zwei Stellen im Interview von Natalija Mosejtschuk
mit Wolodymyr Selenskyj scheinen mir besonders anregend und zukunftsträchtig:
Zum einen die Frage nach demokratischen Wahlen. Das ist ein
wunder Punkt. In einem 2022er ZDF-Interview hatte der Präsident betont, er sei
in Friedenszeiten gewählt und im Krieg zu einem Symbol geworden, auf das sich
die Ukrainer nun verließen. Er weist nun – gar nicht zu Unrecht – noch darauf
hin: Während eines Krieges seien unanfechtbare Wahlen halt schwer zu
organisieren; er wolle auch keine für die Rüstung bestimmten Geldzuwendungen
des Westens für Wahlkosten zweckentfremden. Aber das führt schnell in ein
Paradoxon: Der Westen gründet die Legitimität seiner Staaten auf Wahl als
zentralen Prozess – und der Westen liefert Waffen gegen einen Angriffskrieg,
gerade weil er die ureigene Entscheidung der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht
hinterfragen oder durch eigene Interessenpolitik ersetzen will. Dann aber
dürfen gerade jetzt demokratische Prozesse nicht hinausgeschoben werden. Auch
wir sollten für eine verantwortungsvolle Position objektivieren können, etwa
welche künftige Ethnien- bzw. Sprachenpolitik in der Ukraine mehrheitsfähig
wären, was dann auch etwaigen Verhandlungen für einen neuen regionalen
Kompromiss zugrunde gelegt werden könnte.
Die zweite Stelle betrifft die Krim und einen nun nicht nur
militärischen, sondern einen gegebenenfalls auch diplomatischen Lösungsansatz.
Der müsste aber unweigerlich mit einer tragfähigen Ethnien-Politik
zusammenhängen. In einer längeren Sicht ist die Ukraine gar nicht grundsätzlich
verschieden von anderen multiethnischen Regionen. Ein Simile der Ukraine sind
heute Südtirol oder gar die Schweiz, vor dem zweiten Weltkrieg waren es etwa
einmal das Sudetenland oder Siebenbürgen. Südtirol und die Schweiz hatten die
Chance, aus Diversität ein Geschäftsmodell zu formen und aus ehemaligem Grenz-
und Hinterland gut dotierte Halbleiterschichten, die starke Ströme zum Aufbau
nutzen konnten. Das sollte einer klugen Diplomatie auch mit der Krim und der
Ostukraine gelingen – man müsste nur von beiden Seiten befreien,
entspannen und aufbauen. Vielleicht hat der Präsident hier sogar ein Zeichen
der Hoffnung gesetzt. Wenn man es geschickt anstellt, würde sogar ein China,
das unverletzliche Grenzen als historisches Dogma ansieht, für den Verbleib
einer entspannten Krim im ukrainischen Staatsverband stark machen.
P.S.
Eine interessante Quelle, die auch zeigt, dass wir viel zu wenig wir über das aktuelle
Meinungsbild zu einer multi-ethnischen Ukraine wissen:
https://www.bpb.de/themen/
(2023/48) 21.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Standort Deutschland; Kommentare „Regieren gegen die Angst“ von Carsten Fiedler
und „Wenig Grund zum Feiern“ v. Jan Sternberg (Ausgabe v. 21.8.2023, S. 4) der
nachfolgende Leserbrief:
Wir sollten nicht auf Krankenschwestern oder Ingenieure
schielen, die wir aus anderen Ländern abwerben könnten. Ganz im Gegenteil
sollten wir mehr hierzulande qualifizierte Fachkräfte werbewirksam in die Welt
schicken können. Und unter den energieintensiven Industrien und Technologien
sollten wir diejenigen kultivieren, die der Welt Nachhaltigkeit und mehr
Zukunft verkaufen können. Viel Metall und schwere Panzer gehören möglicherweise
nicht in ein solches Zielspektrum; sie könnten uns eher tiefer in den Sumpf
reiten.
Nach Münteferings Diktum ist das Leben in der Opposition
zwar „Mist“. Nur mag man sich in der Opposition heute geradezu glücklich
schätzen und den Ball gerne flach halten – angesichts vieler Problemstellungen,
zu denen eine allseits beglückende Lösung nicht direkt in Sicht ist. Aber
gerade das wäre doch die Gelegenheit für oppositionelle Konzepte im Austausch
mit den Bürger*innen. Etwa für barrierefreie und durchlässige Karrierewege. Und
gegen Klimatrotz. Fordern statt verwöhnen.
(2023/47) 15.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Afghanistan; Kommentar "Mehr Realismus!" von Markus Decker in der
Ausgabe v. 15.8.2023
Meine volle Zustimmung! Schon bei der Kindererziehung
erreicht man wenig bis nichts mit Frontalunterricht, Zwang und überlegener
Rhetorik - dann bei Erwachsenen aus anderen Kulturkreisen noch viel weniger.
Der entscheidende Trick ist, so auch in der hohen Diplomatie: das leuchtende
Vorbild. Gerade daran hat es in den letzten Jahrzehnten doch arg gefehlt, seit
Beginn der zu oft grob misslungenen Einsätze "mit scharfem Schuss" - bekanntermaßen auch
während und nach der Operation ISAF.
Dabei könnte man durchaus zurückfinden zu unserer
traditionellen Neugier für das Morgenland und könnte dabei sogar
Erstaunliches entdecken und lernen, etwa einen stärker an Nachhaltigkeit und
Gemeinnutzen orientierten Eigentumsbegriff. Wie er sich eben leichter in
bereits ariden und semiariden Regionen entwickelt.
(2023/46) 14.8.2023
RGA / Burscheider Volksbote,
abgedruckt 15.8.2023
Burscheider Bewegungsparcours; Nadja Lehmann: „Streit geht weiter – Anwohner
nehmen Einladung nicht an“, Bericht v. 14.8.2023
Der Trimmparcours an der Balkantrasse ist sicher sehr gut
gemeint und ist eine interessante, für verschiedene Nutzergruppen attraktive
Installation. Allerdings ist er ganz unbestritten hinsichtlich des möglichen
Geräuschpegels nicht wirklich ausgereift. Und die Standortwahl – drei Meter
hinter den gartenseitigen Balkonen der neuen Wohnbebauung – sie ist gerade kein
Vorbild für transparente und partizipatorische Planung bzw. für das frühzeitige
Einbinden der Betroffenen auf Augenhöhe.
Das sollte unverzüglich nachgeholt werden. Aus meiner Sicht
sollten die Vereine auch von sich aus schon einmal darauf verzichten, an
Wochenenden in Rudeln zum angeleiteten Workout aufzulaufen. Zum Sport gehört
auch etwas Ritterlichkeit. Und das am Freitag versprochene Ausschütten des
Glückshormons Serotonin kann durch das gute Gewissen, anderen gerade nicht
schmerzhaft auf die Füße zu treten, nur vermehrt werden.
(2023/45) 13.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger,
Lokalausgabe Leverkusen, abgedruckt 23.8.2023
Stadtentwicklung; Ralf Krieger „Man überlässt die Stadt den Investoren“
(Lokalausgabe Leverkusen v. 11.8.2023, S. 23)
Volle Zustimmung: Leider gibt es ein sehr spezielles und
höchst fruchtbares Biotop aus staatlichen Fördertöpfen, gut vernetzten
Lobbyisten der Bauwirtschaft, der Architekten, der Stadtplaner und der
Investoren. Es ist prinzipiell an dem schönen alten chinesischen Motto "Viel
hilft viel" orientiert. Und es führt zu Planungen, die nicht notwendig
primär am Bedarf der Bürger*innen orientiert sind. Solche Projekte, gerade wenn
sie groß und komplex sind, winken dann die lokalen Gremien gerne einmal
durchgewinkt. Typischerweise schwören sich die Fraktionen auf einen möglichst
einigen, möglichst schlanken und möglichst Bürger*innen-armen Prozess ein. No more checks, no more
balances eben, das zeitweilige Ende der
kommunalen Demokratie.
Es gäbe einen Weg, der die beschriebenen Wirkungen ein
wenig erden kann. Leider ist er trotz vieler überzeugender Ergebnisse wenig
bekannt und auch bei den „Profis“ wenig beliebt: Das sind die – sogar im
Bergischen entwickelten – Bürgergutachten oder Planungszellen.
Quellen etwa:
Bürgergutachten
oder Planungszellen in einem guten
Überblick bei Wikipedia
(2023/44) 7.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Afghanistan; Can Merey in der Ausgabe v. 7.8.2023, S. 9 („Wie vom Paradies in
die Hölle gekommen“)
Zur Wahrheit gehört leider auch: Zumindest was die Rechte
der Mädchen und Frauen betrifft, herrschten in größeren afghanischen Städten
bereits zur Zeit der sowjetischen Besatzung vergleichbar paradiesische
Zustände.
Damals haben die USA allerdings erfolgreich mit den tödlich
militanten Mujaheddin paktiert, um den Systemgegner Russland zu schwächen.
Bezeichnend ist eine Äußerung des früheren US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzesinski in einem Interview mit dem Pariser Nouvel Observateur. Brzezinski war – wohlgemerkt vor Nine Eleven –
gefragt worden, ob diese Waffenbrüderschaft nicht zu einer Stärkung des
militanten Islamismus geführt habe. Und hatte brüsk geantwortet: „Was ist in
der Weltgeschichte am wichtigsten? Die Taliban oder der Zusammenbruch des
sowjetischen Weltreichs? Ein paar erregte Islamisten oder die Befreiung von
Mitteleuropa und das Ende des Kalten Krieges?“
Im großen Spiel ändern sich Prioritäten und Feindbilder
recht schnell, ebenso der Stellenwert von Menschenrechten. Und bei Licht
betrachtet: Der Kalte Krieg ist nicht dauerhaft beendet und der Westen hat viel
mehr erbitterte Feinde als zuvor.
P.S.
Die französische Urfassung des Interviews und (m)eine deutsche Übersetzung
finden sich etwa hier: http://uliswahlblog.blogspot.
(2023/43) 10.7.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Belieferung der Ukraine mit Streubomben (Bericht v. AFP: „USA wollen Kiew
Streubomben liefern“; Kommentar von Steven Geyer „Die Mittel des Bösen“, KStAnz v. 8.7.2023, S. 1 u. 4):
Es ist ein typisches Muster von Kriegen und Konflikten, die
bereits festgefressen sind: Den Knoten will man doch endlich durchschlagen, mit
zunehmend unkonventionellen Mitteln. Etwa im Ersten Weltkrieg, als Carl
Duisberg erfolgreich den Einsatz von „Kampfgasen“ propagierte, auch um die
„Blutpumpe“ oder „Knochenmühle“ von Verdun beenden zu können. Im Zweiten
Weltkrieg – mit Wunderwaffen und Flächenbombardierungen gegen zivile Ziele,
schließlich mit dem Einsatz einer Uran- und einer Plutonium-Bombe gegen zwei
vorher praktisch ausgesparte japanische Städte. In Vietnam – mit Agent Orange
und Napalm. Auf dem Balkan – mit Streubomben und der besonders
durchschlagkräftigen Uran-Munition. Auch der verheerende Luftschlag von Kundus
i.J. 2009 folgte dem Muster einer eskalierenden Brutalisierung – hoffte man
doch in einer bereits eingeigelten Situation der deutschen Einsatztruppen die
Initiative gegenüber dem Taliban-Aufstand zurück zu gewinnen, mittels eines
gigantischen Molotov-Cocktails. Oder halt: mit der Brechstange.
Im Grunde markieren solche Umstände den allerletzten
Zeitpunkt, um in unkonditionierte Verhandlungen einzutreten, sofern wir nicht
den Anspruch einer wertegeleiteten Außen- und Sicherheitspolitik des Westens
auf Jahrzehnte aufgeben wollen. Und auch Kiew kann nun gewinnen, wenn es darauf
hinwirkt, seine eigene „Blutpumpe“ oder „Knochenmühle“, die taktisch in Vielem
der Situation um Verdun ähnelt, so schnell wie möglich zum Stocken zu bringen.
Und zwar durch Verhandlungen, wie sie derzeit sogar mit
ukrainischem Dekret verboten sind.
(2023/42) 17.6.2023
Kölner Stadt-Anzeiger,
Lokalausgabe Rhein-Wupper
Burscheider Stadtentwicklung; Peter Seidel: „Große Pläne für die Montanusstraße“ (Lokalausgabe Rhein-Wupper v. 15.6.2023, S.
36)
Vielleicht wird die kommerzielle Stimmung im Burscheid von
2026 nicht ganz so aufgeräumt sein wie im Stadtentwicklungsausschuss vom 13.
Juni: Ein Drogeriemarkt, der voraussichtlich mit einem systemgleichen Markt in
Rufweite konkurriert, gleichzeitig mit einer Apotheke im gleichen Haus und
deren Schönheits-Segment. Einer Apotheke, die ihrerseits eine bereits gut
etablierte Konkurrenz quer über die Straße vorfindet. Dazu ein Vollsortimenter,
der laut aktuellem Markt-Verträglichkeits-
Sind das gute große Pläne? Irritierenderweise könnte sich
realisieren, was bereits das Integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzept von
2016 auf S. 158 nüchtern voraussagte: Die Entwicklung des Areals an der Montanusstraße werde „auch mit einem SB-Markt nicht
auskömmlich“ sein. Die Kosten werden wir langfristig über gesteigerten
Konsum und/oder sinkende Gewerbesteuer abtragen. Denn irgendjemand muss für
eine fehlgeleitete Allokation zahlen.
Quelle:
IEHK Burscheid 2025 = https://www.burscheid.de/
(2023/41) 16.6.2023
RGA/Volksbote, Lokalausgabe
Burscheid, abgedruckt 20.6.2023
Burscheider Stadtentwicklung; Susanne Koch: „Verträge mit Edeka und DM sind
geschlossen“ (Lokalausgabe Burscheid v. 15.6.2023, S. 21)
In der insgesamt sehr kameradschaftlichen Atmosphäre des
Stadtentwicklungsausschusses am 13.6.2023 hätte aus meiner Sicht eine
Unterlage deutlich mehr Aufmerksamkeit und Diskussion verdient, und zwar die
mit Stand 2022 aktualisierte städtebauliche und raumordnerische
Verträglichkeitsanalyse gemäß § 11 der Baunutzungsverordnung, dort
insbesondere die Seite 37. Zu Angebot und Nachfrage steht da ein klares „thumbs down“ sowohl für einen weiteren
Lebensmittelvollsortimenter als auch (!!!) für einen Drogeriemarkt. Sprich: Es
ist nach diesen Kriterien kein zusätzlicher Bedarf zu erkennen, im Gegenteil
eine Marktsättigung. Die Folgen dürften sich schnell bei den Margen der bisher
vernünftig aufgestellten Konkurrenz und damit beim Gewerbesteueraufkommen
zeigen, zumal die Neuankömmlinge auf Jahre ihre Ersteinrichtung abschreiben
können.
Darum wäre Burscheid an dieser Stelle mit einer reinen
innenstadtnahen Wohnbebauung offenbar deutlich besser gedient gewesen.
Vergessen wir's: Die Verträge sind lang geschlossen.
(2023/40) 9.6.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine: Sprengung eines Staudamms; Leitartikel von Eva Quadbeck „Putin ist
jedes Mittel recht“ (Ausgabe v. 7.6.2023, S. 4)
Bisweilen ordnen wir einer Konfliktpartei ausschließlich
das Gute zu, der anderen nichts als das Böse. So sehen wir es gerade
hinsichtlich der Ukraine. Sehr ähnlich manichäisch war die Haltung vor recht
genau 100 Jahren, als das Ruhrgebiet von Frankreich und Belgien besetzt worden
war, um verzögerte Reparationsleistungen einzutreiben. Damals stand der Erb-
und Erz-Feind halt im Westen. Das Ruhrmuseum in Essen dokumentiert diese Phase
gerade hervorragend – u.a. mit zeitgenössischen Plakaten, die dem Nosferatu-Mottowagen
des diesjährigen Kölner Rosenmontags um nichts nachstanden.
Für etwaige Friedensgespräche sollten wir ein Mindestmaß an
Menschlichkeit auch dem anderen Lager unterstellen. Sonst wird das Risiko
unkalkulierbar, dass wir bereits erlebte Entwicklungen wiederholen.
P.S.
Der Essener Ausstellungskatalog ist äußerst instruktiv und empfehlenswert,
insbesondere die hervorragend bebilderten Kapitel „Das Plakat als Waffe“ und
„‘Schwarze Schmach‘ und Ehre der Nation“, siehe auch die kurze Vorstellung im
Netz = https://ruhrmuseum.de/
(2023/39) 24.5.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der
Zeit am 26.5.2023
Kriegskommunikation der Ukraine; Anna Sauerbrey „Wir
sagen jetzt Du“ (Ausgabe No. 21 v. 17.5.2023, S. 1“)
Danke für das offene Wort. Tatsächlich scheint heute recht
belanglos, was an Präsident Selenskyjs Touren und Botschaften authentisch ist
und was clevere Polit-PR. Kiew ist hip, und Moskau ist verkalkt, vergreist und
verbittert, quasi im DOS-Modus steckengeblieben.
Egal ist wohl auch, was gerade man nicht sagt und
selten fragt: Ob die ukrainische Elite ein Modell für die langfristige
Koexistenz mit der großen Zahl ethnischer Russen in der Schublade hat. Oder wie
Ukrainer und Russen selbst darüber denken. Ob man dauerhaft Front-Staatler und Minuteman sein will oder – was sich historisch
ebenfalls anbieten würde – Mittler. Mit einem lockeren „Du“ für Ost und West.
(2023/38) 17.5.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
IGLU-Studie 2022; Bericht und Kommentar bzgl. der aktuell schlechten IGLU-Noten
(Frank Olbert „Kinder haben Probleme mit dem Lesen“ und „Die Lernschwäche ist
chronisch“, Ausgabe v. 17.5.2023, S. 1 u. 4)
Mit der Bitte um
Nachsicht: Der erste Satz im ersten Artikel des Stadt-Anzeigers vom 17. Mai
lautete: „Bildungsverbände und Politiker haben mit Sorge auf die Ergebnisse
der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), denen zufolge die
Leseleistung deutscher Grundschüler deutlich schlechter ausfällt als vor 20
Jahren.“ Mit diesem leicht defizitären Satz hatten es die älteren
Schreiber*innen den jüngeren Leser*innen nicht leichter gemacht.
Und auch wenn es
heutzutage schmerzen mag, so zu denken: Als
Mitursache fehlender Lese- und Schreibübung könnten wir auch eine fehlgeleitete
Digitalisierung im frühen und frühesten Kindesalter verstehen, die dem Einüben
von Gedächtnis und Konzentration abträglich ist.
(2023/37) 17.5.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Regionalausgabe Rhein-Berg
Stadtentwicklung; Gebäuderiegel an der Friedrich-Goetze-Straße; Beitrag von Timon Brombach in der Ausgabe v. 15.5.2023, S. 25
(„Klimaschützer kritisieren geplanten Gebäuderiegel“)
Der
IEHK-Planungsprozess hat sehr viele Beteiligte mit materiellem Interesse.
Hilfreich wäre, auch den schlüssigen Rat von nicht unmittelbar eingewobenen
Experten wie vom B.U.N.D. zu beachten – zu den naheliegenden Folgen des
kompakten Gebäuderiegels für das Klima einer Innenstadt, die fast
lückenlos versiegelt ist und thermisch bereits recht belastet. Es geht gerade
nicht nur darum, ob neue Gebäude je für sich aktuelle Energieauflagen erfüllen
werden; das wird schon gelingen. Es geht hier um die ganzheitliche Betrachtung
eines erweiterten Innenstadt-Ensembles und um die gebäudeübergreifenden
Konsequenzen bei Aufheizung, Zirkulation und Zugerscheinungen.
Wünschen würde ich uns
zudem: Ein sogenanntes Baugespann – ein Lattengerüst – nach guter alter
Schweizer Sitte, um die Konturen und Proportionen der Lindwurm-Planung 1:1 im
Raum erfahrbar zu machen, für jede und jeden. Dann wüsste Burscheid schon vor
dem Anrühren des Zements, wie ihm geschieht. Und könnte noch etwas retten, auch
für ein attraktives Stadtbild und für unsere Denkmalliste.
(2023/36) 16.5.2023
RGA Lokalausgabe Burscheid,
abgedruckt 17.5.2023
Stadtentwicklung; Artikel von Nadja Lehmann „Gefährdet dieses innerstädtische
Bauprojekt das Klima?“ (Lokalausgabe Burscheid v. 13.5.2023, S. 22)
Der Stadtentwicklungsausschuss
sollte die in der Sondersitzung v. 11.5. vorgetragenen Bedenken ernst nehmen:
Die Innenstadt ist bereits stark versiegelt; eine kompakte und großvolumige
Barriere wird das wachsende Klimaproblem voraussehbar weiter verstärken. Egal,
was immer man später an den Wänden und auf den Dächern anbringen mag. Und davon
abgesehen: Das „Bergische Haus“ ist kein Gebäudezug. Die Bergische – und
Burscheider – Siedlungsstruktur ähnelt eher einer Streuobstwiese als einer
breiten und hohen Stadtmauer. Zudem würde dieser Riegel die im Stadtbild
wichtige traditionelle Achse zwischen der Kirchen-Zeile, dem Seifahrt-Haus und der Mebus-Hötte, heute Freikirchliche
evangelische Gemeinde, grob aufschneiden, dominieren bzw. überbauen.
Der angekündigte
Bebauungsplan ist de facto die Einladung für ein groß aufgestelltes
Unternehmen; davon wird die Stadt gar nicht mehr zurückkommen. Ganz im Sinne
des arg breitbeinig geschriebenen IEHK: Mächtige Geschäfte, steile Rampen und
nun noch ein kompakter Lindwurm. Das ist nicht die Stadtentwicklung, die mir
heimatlich und bürgerbezogen erscheint.
Anm.:
Lesenswert ist etwa der Beitrag von Hella Nußbaum
„Die Bergische Bauweise und ihre Renaissance um 1900“, in: Stefan Gorißen u.a. (Hrsg.), Geschichte des Bergischen Landes Bd.
II, Das 19. Und 20. Jahrhundert (2016), S. 454ff; weitere Anm.: Das IEHK hebt
unsere Beispiele Bergischer Bauweise sogar grundsätzlich als ein wichtiges und
attraktives Burscheider Asset hervor, siehe S. 23 und speziell S. 65f (https://www.burscheid.de/
(2023/35) 28.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Evakuierung aus dem Sudan; Kommentar von Markus Decker „Erfolg für
die Truppe“ (Ausgabe v. 27.4.2023, S. 4)
Weltinnenpolitik? Der
schillernde Begriff hat uns schon zu Beginn der Neunziger beflügelt, die
deutsche Außen- und Sicherheitspolitik räumlich und sachlich zu entgrenzen –
damals beseelt von Francis Fukuyamas „End-of-History“-Theorie. Um anderen Völkern dabei zu helfen, noch
etwas schneller auf den Weg des Westens einzuschwenken, mit ein wenig
auswärtiger Gewalt und auch mit dem von Einigen lange herbeigesehnten „scharfen
Schuss“. Nüchtern gefragt: Wohin hat’s geführt?
P.S.:
Auch wenn es uns nicht so scheinen mag: „Rescue operations“
sind weder nach nationalem noch nach internationalem Recht zweifelsfrei, weder
im „Ob“ noch im „Wie“ oder, daran ist es am leichtesten zu erkennen: „Ab wann
genau?“ Die Rechtsquellen dazu kann man bestenfalls diffus nennen, siehe etwa https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/evakuierung-ohne-rechtsgrundlage zur Evakuierung aus Afghanistan.
Und eine
„Weltinnenpolitik“ würde nach der Demokratie-Theorie zwingend eine globale
bürgerliche Repräsentanz voraussetzen, der gegenüber die im Einzelfall
handelnde „Welt-Exekutive“ rechenschaftspflichtig wäre („check and balances“) und deren abstraktes Regelwerk („rule of law“)
sie einzuhalten hätte.
Es sei denn, wir
wollten Akte der auswärtigen Gewalt – wie traditionell – als Deputat der
Königsklasse verstehen, dem Willen und der Urteilskraft der laienhaft denkenden
Bürger*innen weit enthoben, ähnlich den Naturgewalten.
Anm.: Ähnlich kritisch
hatte es bereits Immanuel Kant beschrieben, in seiner immer höchst lesenswerten
Schrift „Zum Ewigen Frieden“ v. 1795, im zweiten Abschnitt und ersten
Definitiv-Artikel (siehe Reclam-Ausgabe der Erstauflage in der
Reclam-Universalbibliothek Nr. 1501 auf S. 13; siehe auch hier im Volltext auf
S. 14: https://oxnzeam.de/wp-content/uploads/2015/11/kant-zum_ewigen_frieden.pdf).
(2023/34) 26.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Evakuierung aus dem Sudan; Kommentar „Nur ein kleiner Erfolg“ von
Daniela Vates (Ausgabe v. 25.4.2023, S. 4)
Es fällt schwer, daran
vorbeizusehen: Unsere Welt ist deutlich unsicherer, misstrauischer und
feindlicher geworden. Wir mögen das eine Herausforderung nennen, aber auch der
Westen wird als raumgreifender Herausforderer gesehen, seit der Zeitenwende
1989. Und tatsächlich haben auch wir mit teils massiv gescheiterten
militärischen Interventionen Teile des Nahen und des Mittleren Ostens und auch
Afrikas destabilisiert, auf unabsehbare Zeit. Schwer kontrollierbare Ströme von
Migranten und global vagabundierende Waffenflüsse sind markante Nebenfolgen.
Solange wir nicht
unseren höchsteigenen Anteil an den dynamisch wachsenden Krisen nüchtern mit
bilanzieren, solange werden wir diesen Negativ-Trend nicht wandeln. Sondern
müssen symptomatisch therapieren, mit weiter zunehmenden rescue-operations
wie in Tirana, Kabul oder Khartum – und hoffentlich jeweils insoweit mit
Erfolg.
P.S. zum Ende des 2.
Abs.:
Tirana = Operation Libelle am 14.3.1997, siehe etwa https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/33) 26.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Lokalausgabe Rhein-Wupper, abgedruckt 22.5.2023
Fahrrad-Klimatest 2022; Hans-Günter Borowski und Matthias Niewels
„Schlechte Wege und Ampelphasen“ (Lokalausgabe Rhein-Wupper v. 26.4.2023, S.
25)
Burscheid kann schnell
neue Punkte für den kommenden Fahrradklimatest einsammeln, und zwar in den
zentralen Kategorien „Erreichbarkeit“ und „Sicherheit“: Einerseits durch eine
nun endlich barrierefreie Anbindung der Balkantrasse an die Innenstadt – etwa fast
höhengleich über die Montanusstraße. Andererseits mit
einer funktionaleren Lösung für den bisher verwirrenden und nicht
ungefährlichen Fahrrad-Slalom in der mittleren Hauptstraße – z.B. mittels einer
durchgehend klar abgegrenzten Radspur.
(2023/32) 21.4.2023
RGA Lokalausgabe Burscheid,
abgedruckt 25.4.2023
Kulturentwicklungsplan Wermelskirchen/Burscheid; Sabine Naber „Kultur schlägt
einen gemeinsamen Weg ein“ (Volksboten-Ausgabe v. 20.4.2023, S. 21)
Eine wesentliche
Wachstumsbedingung für eine gemeinsame Kultur wird neue Transparenz sein:
Einerseits zu den beiderseitigen aktuellen Veranstaltungen, und zwar digital
ebenso wie in ganz traditionellen, gut platzierten Schaukästen. Andererseits zu
den Spielstätten, für die erleichterte Planung von Proben und Aufführungen,
vielleicht auch zu gemeinsam nutzbarem Equipment.
Gut: Es wird weiter lokale
Interessen geben und Wettbewerb soll auch sein, aber eben auch das arbeitsteilige Ergänzen zu
einem größeren und nachhaltigeren Puzzle. Und wenn wir dann die Balkantrasse
als einen künstlerischen „Sendero Luminoso“
oder: als einen „Erleuchteten Pfad“ nutzen können, wenn wir ferner
perspektivisch viele jüngste und junge Künstler*innen auf den Weg schicken
können – dann sieht die Zukunft sehr vielversprechend aus. Öffentliche und
nicht-öffentliche Förderung können gerade in der Kunst nicht schaden: Mehr
Moos, mehr los!
P.S.:
"Sendero Luminoso"
ist für gewöhnlich in unseren Breiten nicht so besonders gut angeschrieben,
siehe etwa die Historie des peruanischen Erleuchteten Pfades unter https://de.wikipedia.org/wiki/
Aber der Begriff
gefällt mir hier recht gut, zumal das Interkommunale Entwicklungskonzept
Burscheid/Wermelskirchen (IKEHK 2030) tatsächlich sogar die (physische)
Beleuchtung der Balkantrasse empfiehlt, siehe bei Interesse unter https://www.burscheid.de/
(2023/31) 10.4.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT am 14.4.2023 =
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/04/14/05-april-2023-ausgabe-15/
KI; Leitartikel von Peter Neumann „Sind wir denn dumm?“ (Ausgabe No. 15 v. 5.4.2023, S. 1)
Natürlich sind wir
nicht dumm. Aber wir werden immer dümmer, seit unvordenklicher Zeit. Noch der
Vetter aus dem Neandertal hatte ein komfortableres Hirnkammer-Volumen und nach
gefestigten anthropologischen Daten schrumpft unser Denkstübchen zusehends weiter
– seit der festen Siedlungsbildung vor ca. 10.000 Jahren und wegen der dann
zunehmenden Arbeits- und Denk-Teilung. Für manche noch gruseliger: Laut zuletzt
norwegischen Erhebungen schwächelt jetzt auch unser Intelligenzquotient. Unsere
unzähligen digitalen Orientierungs- und Erinnerungs-Helferlein machen es wohl
möglich.
Künstliche Intelligenz
dürfte da nichts so Neues sein. Allerdings mag sie unsere Fähigkeit stärken, die
Welt unbedacht aus den Angeln zu heben – grundstürzend oder neudeutsch:
disruptiv. Dort sehe ich drei zentrale Risikobereiche: Gen-Engineering,
Geo-Engineering und Policy-Engineering, also den Versuch, mit Stabilbaukasten-Mentalität unsere Erbanlagen, unser
Geosystem oder unsere bürgerliche Kontrolle manipulativ zu „optimieren“.
Auch ein Moratorium
macht wohl wenig Sinn – die Dienste dieser Welt sind unseren bürgerlichen
Phantasien typischerweise weit voraus. Wie setzte es eine Schlagzeile schon
beim Brexit zurecht: „The Bots Want to Leave Europe!“
Quellen etwa:
https://edition.cnn.com/2018/
https://www.n-tv.de/wissen/
(2023/30) 28.3.2023
RGA Volksbote / Lokalteil
Burscheid, abgedruckt: 29.3.2023
Umwelt und Stadtbild; Nadja Lehmann: „Unsere Stadt soll wieder sauberer werden“
(Lokalteil Burscheid v. 28.3.2023, S. 21)
Der Müll muss zuerst
weg – und neuen Müll sollten wir vermeiden. Aber dann sollten wir den Blick
noch etwas weiten: Es gibt einige öffentliche Wegeparzellen in Burscheid, die
werden selten bis nie gekehrt oder gelichtet. Altes Laub stapelt sich in Schichten;
die einzigen, die sich freuen und dynamisch und spitzig ausgreifen, das sind
Haselsträucher & Brombeeren direkt am Wegesrand. Auch das gehört zum
Stadtbild, aber eben nicht zu den erbaulichsten Ansichten. Klar: Der Kreis und
die Stadt können das nicht in beliebiger Häufigkeit und Qualität stemmen, bei
allem anderen, was zu tun und zu finanzieren bleibt. Dort werden halt
freiwillige Patenschaften die einzige Lösung sein.
Beikircher sagt:
"Am schönsten ist’s, wenn’s schön ist!“ Und der Kriminologe weiß: Eine
Umgebung, die auf sich hält, produziert messbar weniger Kriminalität und
Vandalismus. Also: Selbst wer gerne egoistisch unterwegs ist, hat damit ein
prima Motiv für’s Mitmachen. Und am sichtbaren
Ergebnis kann man sich das ganze Jahr lang freuen.
P.S.:
Man könnte sicher auch die „öffentlichen Abfallbehälter“ Burscheids gerechter
verteilen. Bornheim etwa hat m.E. keinen einzigen, Groß-, Klein- und
Berg-Hamberg besitzen zusammen wohl nur einen städtischen Mülleimer; in
Dierath stehen dagegen gleich zwei in gegenseitiger Sichtweite
und mindestens vier weitere gibt’s gratis dazu. Diese
Ungleichverteilung macht sich etwa bei Hundespaziergängen bemerkbar – man trägt
seinen lieben Hunden stundenlang diese olfaktorisch auffälligen Säckchen
hinterher 😉
(2023/29) 22.3.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Irak-Krieg; Analyse v. Markus Decker „Krieg mit einer Lüge gerechtfertigt“
(Ausgabe v. 20.3.2023, S. 4)
Danke! Eine allseits
kritische Analyse ist ein guter Ansatz; vermutlich ist das sogar unverzichtbar,
um die einander überlagernden Krisen der Jetztzeit zu lösen.
Derjenige Teil der
Menschheit, der sich nicht zum Westen zählt – und das ist der deutlich größere
– der sieht unsere Rolle der letzten 30 Jahre mutmaßlich fragwürdiger als wir:
Dass wir bestehende Herrschaftssysteme mit unserer überlegenen Militärtechnologie
tatkräftig aufbrechen konnten, dass wir aber viel zu häufig nichts
Verlässliches an deren Stelle setzen konnten, auf dem Balkan oder in Asien.
Dass wir zwar die Menschenrechte im Schilde führen, dass wir aber parallel
wirtschaftliche Eigen-Interessen verfolgen. Dass ganz oder teilweise
fehlgeschlagene Interventionen einen beträchtlichen zusätzlichen
Migrationsdruck verursacht haben.
Es spricht viel dafür,
unsere ambitionierten Strategien nach 1989 zu überprüfen und ggf. zu
modifizieren, um eine neue Balance vorzubereiten. Die globale Konvergenz nach
westlichem Vorbild, wie sie etwa Francis Fukuyama vorgeschwebt hatte, möchte
ich jedenfalls bis auf Weiteres als Utopie verstehen.
P.S.
Mit einem gewichtigen wirtschaftlichen Eigeninteresse hatte etwa auch Alfred
Neven Dumont argumentiert, als er i.J. 2003 die verpassten deutschen Chancen
beim späteren Wiederaufbau des Irak beklagte; siehe Alfred Neven DuMont
"Der Weg ins Abseits. Die USA, Deutschland und der Krieg",
Leitartikel im KStA v. 15./16.2.2003, S. 4
(2023/28) 17.3.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Potenziale von ChatGPT; Christian Bos „Das
freundliche Gesicht der Maschinenrevolution“ (Ausgabe v. 17.3.2023, S. 20)
Sehen wir es nüchtern:
Gefüttert mit den deutschen Schlagzeilen der letzten 12 Monate zuzüglich der
Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen würde ChatGPT
die folgende Empfehlung auswerfen: Zum nächstmöglichen Zeitpunkt wird Alice
Schwarzer Kanzlerin und Sahra Wagenknecht Ministerin des Auswärtigen.
Ersetzen wir bei der
Eingabe die VN-MRK durch die Bilanzentwicklung von Rheinmetall, dann kämen der
Lanz Markus und Roderich Kiesewetter heraus. Mit der ersten Frage und Antwort
könnte die Welt nach aller Wahrscheinlichkeit freundlicher und länger leben.
(2023/27) 3.3.2023
DER SPIEGEL
Ukraine-Krieg; Essay von Herfried Münkler „Wie beendet man einen
Erschöpfungskrieg?“ (Ausgabe v. 25.2.2023, S. 110f)
Herfried Münkler denkt
für den Staatsmann und er denkt – wie ich es sehe – zu kalt und zu kurz. Der
unbegrenzte Nachschub aus der sicheren Etappe macht ohne ein klares und völlig
eindeutig kommuniziertes Ziel wenig Ehre und wenig Sinn. Was aber könnten unsere
Ziele für eine Nachkriegs-Ukraine sein?
Erstens: Gesicherte
Grenzen nach Stand der 1991er Staatsgründung. Zweitens, und das ist unbedingte
Klarheit, die wir sowohl von Kiew als auch von Moskau fordern müssen: Einen
pluralistischen, toleranten und gerade nicht diskriminierenden Modus für das Zusammenleben
mehrerer Ethnien. Drittens, und das mag Verhandlungssache sein: Eine zeitlich
und räumlich definierte Entmilitarisierung beiderseits der Staatsgrenzen. Bei
der Realisierung des zweiten und/oder dritten Punktes mag Herr Münkler
praktisch werden und sich vor Ort engagieren. Für solche Ziele macht ein
Waffenstillstand sogar Sinn.
P.S.:
Ich räume ein, dass ein Waffenstillstand keinen Sinn macht, wenn das
wesentliche eigene Kriegsziel ein langfristig nachhaltiger Schlag gegen
Russland sein sollte. Ähnlich, wie es mal Kaiser Wilhelm II in seiner
berüchtigten "Hunnenrede" beim Einschiffen des deutschen Kontingents
zum Niederschlagen des Boxeraufstandes formuliert hatte "... dass es
niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!"
Zum damaligen Hintergrund: https://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede
(2023/26) 28.2.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; Kommentar „Der Gescheiterte“ von Kurt Kister in der Ausgabe v.
24.2.2023, S. 4
Man kann sich die Hände
blutig waschen, in lauter Unschuld. Wie Indien, Brasilien, Südafrika, Israel,
große Teile des globalen Südens und nicht zuletzt Russland es heute sehen
mögen? Das liegt daran, wo genau man den Tabulator für relevante Zeitenwenden setzt.
Etwa nach 1989, als Deutschland sein militärisches Vorfeld in gleich mehreren
Dimensionen nachhaltig entgrenzte – räumlich bis mindestens zum
Hindukusch, zeitlich auf bereits präventive bewaffnete Eingriffe, sachlich
auf den Schutz nun auch ökonomischer Expektanzen qua
auswärtiger Gewalt? War es realistisch anzunehmen, das alles zum Nulltarif zu
bekommen?
Russland hat im Jahre
2022 den Krieg zurück nach Europa gebracht, das ist richtig, aber es ist aus einer
Außenperspektive eben nur die halbe Wahrheit: Der Westen war im Falle der
europäischen Hauptstadt Belgrad sehr ähnlich unterwegs, jedenfalls mit dem
vergleichbaren Ziel, bisherige Staatlichkeit und existente Grenzen
aufzutrennen, und dies mehr als 20 Jahre zuvor, ebenso ohne Testat der VN.
Lösungsansätze für den
zu einem ganz wesentlichen Teil ethnischen Ukraine-Konflikt sind auch gar nicht
in Kiew, Berlin, Moskau oder Washington zu vermuten. Sie werden auch nicht im
idealtypischen Durchsetzen einer nationalstaatlichen Symbolik bestehen. Ansätze
– eigentlich: Prozesse – werden wir am ehesten in Mischregionen suchen müssen,
wie in Südtirol, im Elsass, im Baskenland, letztlich auch in Verdun, wo über
Jahre Franken gegen Franzosen verbluteten und umgekehrt.
(2023/25) 27.2.2023
DIE ZEIT
Ukraine-Krieg; Interview von Andreas Öhler und Georg Löwisch
mit den Theologinnen Petra Bahr und Margot Käßmann (Ausgabe No.
9 v. 23.2.2023, S. 54)
Meine Südtiroler Wirtin
erzählte uns gerade diese Begebenheit: Zwei Männer aus St. Peter a.k.a. S. Pietro eingangs des Grödner Tals, die sich vor
1914 häufiger im Gasthaus resp. Albergo Überbacher getroffen hatten, sie
standen sich nach Kriegsausbruch plötzlich in dem mit unvorstellbarer
Menschenverachtung geführten Bergkrieg in der Nähe des Lagazuoi
gegenüber, Auge in Auge. Sie senkten die Waffen und drehten sich um. Nach 1918
haben sie häufig beim Überbacher angestoßen.
Diese verbürgte
Geschichte scheint mir die richtige Richtung zu zeigen. Sie erzählt nichts von
rücksichtsloser Sehnsucht und sie liegt fern von einem sicheren Arbeitszimmer
oder von jeder Staatsräson. Dort, wo ich auch die Kirchen suchen möchte.
P.S.:
Im Interview wird ein großer Katechismus mit der verblüffenden, aber bei der
Feld-Seelsorge offenbar nicht unpraktischen Fußnote „Gilt nicht im Kriege“
zum fünften Gebot erwähnt. Er ist mir nur zu gut bekannt. Unser damaliger Gemeindepfarrer,
ein erfahrener früherer Militärseelsorger, hatte ihn mir stolz im Jahre 1993
präsentiert. Ich hatte mit ihm die Operation UNOSOM II erörtert und hatte ihn
um eine kirchenethische Einordnung für etwas gebeten, was man auch damals schon
als eine „Zeitenwende“ hätte charakterisieren können – eine Zeitenwende, mit
der sich in der Folge einige zehntausend zivile Opfer oder „collateral
damages“ verbinden lassen; von der Bundesregierung
sind solche Opfer allerdings nie systematisch erfasst worden.
Eine allerdings damals
von der Opposition angestoßene Ausnahme ist das erste überhaupt in einer
Bundestagsdrucksache verbriefte zivile Opfer eines bewaffneten
Auslands-Einsatzes der Bundeswehr, nämlich bei der bereits erwähnten und später
erfolglos abgebrochenen Operation UNOSOM II, siehe https://dserver.bundestag.de/
(2023/24) 25.2.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine-Krieg; Leitkommentar von Berthold Kohler „Putin muss scheitern“ in der
Ausgabe v. 24.2.2023, S. 1
Wenn Putin „scheitern
muss“, dann mag man ebenso lesen, dass genau das zweifelhaft ist. Und
tatsächlich weist der Kommentar auf Schwachstellen des Westens hin, etwa auf
eine zweifelhafte Bereitschaft zu dauerhafter Unterstützung, auf die etwaige
Beihilfe Chinas auf Seiten Russlands, auf einen ggf. bald wieder
selbstgenügsamen amerikanischen Hegemon. Ergänzende Zweifel würde ich hegen, da
die bisherige Ukraine-Politik Deutschlands, aber auch Europas keinem
erkennbaren Plan und Ziel folgt, sondern ausschließlich reaktiv daherkommt. Das
schadet bereits der internen demokratischen Vermittlung und Debatte - auch im
Zusammenhang mit dem Schwarzer'schen Manifest. Es
mindert aber auch die Chancen diplomatischer Mitgestaltung.
(2023/23) 24.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine-Krieg; Leitartikel „Die Pflichten des Westens“ von Carsten Fiedler in
der Ausgabe v. 24.2.2023, S. 4
Meine ungeteilte
Zustimmung: Ohne klar definierte und kommunizierte Ziele werden wir einer
Lösung dieses krebsartigen Konflikts keinen Schritt näherkommen, nicht einmal
einem zeitweiligen Einfrieren.
Aber genau das ist nach
der Erfahrung des ersten Kriegsjahres etwas leichter gesagt oder geschrieben
als getan. Es wäre auch eine hochpolitische und geradezu detektivische Aufgabe:
Die entscheidenden, auch die informellen Akteure zu identifizieren, ihre Interessen
strategisch auszugleichen und daraus eine realistische, nicht nur pro forma
unterbreitete Verhandlungsgrundlage zu destillieren.
Bis dahin wird die
Blutpumpe an einer 1000 km messenden Front hochtourig weiterlaufen, mit mehr
als einem Toten pro Kilometer pro Tag. Und sie wird mit immer
lebensfeindlicheren Mechanismen ausgebaut werden. Das ist das wahrhaft
Gespenstische an diesem Tag.
P.S.:
Unser gegenwärtiges Setting erinnert mich fatal an Thomas Stearns Eliots "Hollow Men", speziell an die letzten Zeilen dieses
Gedichts, die später auch Nevil Shutes "On the Beach" eingeleitet haben. Oder an den in Eliots
Gedicht ganz anfänglich erwähnten Kurtz, einen Charakter aus Joseph Conrads
"Heart of Darkness", der am Ende nochmals
in Francis Coppolas "Apocalypse Now" aufgegriffen werden sollte.
(2023/22) 21.2.2023
FOCUS; veröffentlicht 24.2.2023 unter https://www.focus.de/magazin/archiv/rubriken-putin-moral-vs-realitaet-und-das-feedback-unserer-leser_id_186690335.html
Lösung des Ukraine-Konflikts; Beitrag „Wie schaffen wir Frieden?“ von G. Dolmeteit und M. Wollscheid (Ausgabe v. 18.2.2023, S. 38)
Kein Schritt zum
Frieden ist m.E. ein handlungsreisender Kanzler
Scholz, auf der Pirsch nach mehr Munition oder Schießgerät. Das ist nicht sein
Job, es schließt die spätere Maklerfunktion aus und es war hier sogar wenig
erfolgversprechend. Definitiv kein Beitrag sind Talkshows, in denen aktuell ein
„sachverständiger“ Oppositionspolitiker über das Liefern von Kampfflugzeugen,
sodann Angriffe auf Nachschub auf russischem Staatsgebiet und ein Aushungern
und so leichtes Wiedereinnehmen der Krim parliert.
Ein erster Schritt wäre
aber, die NATO als besonders wahrgenommenen und hier nicht völlig
interessefreien Akteur und Ansprechpartner zu ersetzen, durch eine frisch
beatmete OSZE. Der zweite könnte sein, in den Grenzen von 1991 einen
international überwachten Autonomie- und Minderheiten-Mechanismus aufzubauen,
ähnlich dem in Südtirol. Anmerkung hier: Wir dürften oder müssten uns dann
freilich aus der bequemen Etappen-Position des Nachschublieferanten weiter nach
vorne wagen. Der dritte Schritt könnte sein, den Hafen der Schwarzmeerflotte in
realistischer Zeit aufs russische Festland zu verlagern und speziell für die
Krim 50 Jahre NATO-Enthaltsamkeit zu geloben.
P.S.:
Mit dem Oppositionspolitiker ist hier Roderich Kiesewetter gemeint, in einer ntv-Gesprächsrunde am 20.2.2023 mit Eva Quadbeck bei Micky
Beisenherz, siehe https://www.tvnow.de/shows/
(2023/21) 21.2.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; zum Kommentar „Putins Gewalt“ von Stefan Kornelius (Ausgabe v.
18./19.2.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:
Natürlich ist die Lage
zeitkritisch, für Kinder und Greise, Frauen und Männer. Und ich bitte um
Nachsicht für meinen bitteren Sarkasmus: Nun, da wir den altbösen
Ost-Feind zum dritten Mal auf der Streckbank haben, nach 1941 und 1989 – warum
bitte sollten wir ihn so schnell herunterlassen? Zumal wir heute mit der Haut
von Hunderttausenden von Slawen heroisch sein dürfen, komfortabel schmerzfrei.
Und zumal wir jetzt überdurchschnittlich qualifizierte und motivierte Migranten
in den bei Fachkräften notleidenden Standort inkorporieren können.
Wenn schon die
Regierung in Kriegsjahren rechnet, dann werden wir auch Verdun irgendwann
vergessen können, die monströse Blutpumpe. Und zugleich auch die vielen Pleiten
und Pannen unserer militärischen Expeditionen und Operationen der vergangenen
30 Jahre mitsamt ihrem gewaltsamen zivilen Blutzoll und den auf Generationen
destabilisierten Regionen. Es ist und bleibt erhebend, sich auf der Seite –
oder halt in der Blase – der Guten zu wissen. Sarkasmus Ende.
(2023/20) 20.2.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine-Krieg; Kommentar v. Berthold Kohler: „München an Moskau: Wir halten
durch“ (Ausgabe v. 18.2.2023, S. 1)
M.E. brauchen wir keinen
neuen Macher-Typen, keinen vom Kaliber eines Springflut-Schmidt. Und sicher
keinen Havanna-Schröder. Am wenigsten einen wie Olaf Scholz, der gleich einem
Handlungsreisenden durch die Welt zieht, um Munition oder Panzer-Kameraden
zusammen zu scharren.
Wenn wir ehrlich sind:
Dann brauchen wir an diesem Jahrestag mit einigen hunderttausend toten Slawen
am ehesten einen wie Willy Brandt, der sich zwischen die Fronten denken können
müsste. Um den Score nicht im nächsten Kriegsjahr durchzuhalten, gar zu vermehren.
Und um unsere kulturelle, merkantile und physische Welt nicht bersten zu
lassen.
P.S.:
Die für mich nach wie vor schlüssigste Theorie zur statistisch signifikanten
Abweichung zwischen (lt. Forschung heute sehr hohen) Zahlen habitabler Welten
und der (noch immer extrem geringen) Erfahrung mit außerirdischen Besuchern –
damit auch eine Erklärung für die völlig fehlenden Erfolgsmeldungen jahrzehntelanger SETI-Forschung – ist und bleibt: Technische Zivilisationen scheitern
typischerweise an Energie-Exkursionen, lange bevor sie die Fähigkeiten für
interstellaren Raumflug oder auch nur für eine Kommunikationsform entwickeln,
die über ihren jeweiligen Inkubator nennenswert hinausreicht. Oder auch Murphy‘s Gesetz: Man multipliziere
eine auch nur geringe Chance des terminalen Schadenseintritts mit nach oben
offenen Zeitabschnitten und erzielt bald Gewissheit, früher oder später.
(2023/19) 19.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 21.2.2023
Lösung des Ukraine-Konflikts; Interview von Joachim Frank mit Margot Käßmann in
der Ausgabe v. 18./19.2.2023, S. 4 („Es geht nicht um den Sieg“)
Um die abschließende Frage von Joachim Frank an Margot
Käßmann aus meiner Sicht zu beantworten: (1) Territoriale Integrität der
Ukraine in den Grenzen der Staatsgründung i.J. 1991. (2) Autonomiestatut für
mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnte Gebiete nach dem Vorbild Südtirols,
für 10 Jahre international überwacht. (3) Abbau des Flottenstützpunktes auf der
Krim binnen fünf Jahren und kein NATO-Stützpunkt für die kommenden 50 Jahre.
Einen solchen Ansatz zu versuchen, das wäre in jedem Fall
humaner, als während des nächsten Jahres die Million slawischer Opfer voll zu
machen, und dabei angestrengt mit erhobenem Zeigefinger wegzusehen. Da gebe ich
Frau Käßmann völlig recht.
(2023/18) 16.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
„Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sowie massive
Feindbilder im Ukraine-Krieg; Titelbild „Vampir Putin“, Leitartikel „Die Fehler des
Manifests“ von Carsten Fiedler (KStA v. 15.2.2023; S.
1 u. 4) und Beilage „Kölner Rosenmontagszeitung“ (zu Emanationen Putins dort
auf S. 12 u. 27)
Man hätte et Alice und
et Sahra doch direkt zum Vlad in seiner Blutorgie dazu retuschieren können.
Jedenfalls vorn auf dem Stadt-Anzeiger; für die Persiflage-Wagen kam das
Manifest ja etwas knapp. Im Ernst: Wir sehen eine Blutpumpe im ukrainischen Bachmut mit mehr als 1.000 toten Slawen pro Tag, noch vor
jedem Leo. Da erscheint mir jeder Verhandlungsversuch deutlich schlüssiger als
das besinnungslose Beistellen immer neuer, immer tödlicherer Waffen. Wobei das
Ost-Gemetzel für uns hier zugegeben angenehm schmerzlos läuft.
Für meinen Teil werde
ich den Aufruf unterzeichnen und auf einen Karneval dankend verzichten, der
genüsslich giftigste Feindbilder anrührt und den altbösen
Feind beschwört – etwa garniert mit Sowjetstern, Hammer und Sichel. Einen
Persiflage-Wagen zur Bombardierung der slawischen Hauptstadt Belgrad hat dieser
Karneval m.W. niemals auf die Straße gebracht. Nicht 1941, nicht bei der
nächstfolgenden Zeitenwende 58 Jahre danach.
Nachtrag: Habe
mitgezeichnet.
Das sehe ich genauso –
eine Strategie fehlt noch. Und sie müsste, um im Westen stabile Mehrheiten und
im Osten Akzeptanz zu finden, schon heute über das etwaige Ende der
Kampfhandlungen hinausdenken. Ein zentraler Aspekt wird dabei sein: Wie sollen
in einer wieder einheitlich beherrschten Ukraine die Ethnien zusammenleben?
Wollen wir Stabilität durch kulturelle Vereinheitlichung, ggf. durch
Umerziehung oder Verlagerung erreichen? Oder wollen wir – was unseren
grundlegenden Werten deutlich näher läge – ein Neben- und Miteinander aktiv
fördern, etwa durch ein in der Verfassung verbrieftes Autonomie-Statut nach dem
Vorbild Südtirols? Die erste Variante wird den Weg zu einem Waffenstillstand
verzögern, die zweite beschleunigen. Und die zweite Variante wäre gleichzeitig
ein deeskalierendes Modell für das Zusammenleben von Russen und Ukrainern in
der Diaspora.
In keinem Fall sollten
wir zum strategischen Ziel erklären, Putin zu Fall oder Moskau ins Schleudern
zu bringen. Es sei denn, wir wollten den blutigen Konflikt open ended verlängern, auf Kosten der Ukrainer jeder Ethnie.
Die Briefe des General
Ludendorff an seine frühere Ordonnanz Rudolf Peters können zeigen: Burscheid
war mit der Nase dabei, als Weltgeschichte geschrieben wurde. Mitumfasst ist
hier die damals in Deutschland noch völlig ergebnisoffene Phase nach 1914, als
sich sowohl national-konservative als auch national-radikale Kreise mit
Weltverschwörungstheorien etwa des Henry Ford infiziert hatten – speziell nach
den berüchtigten „Protokollen der Weisen von Zion“. Die hatte Ford in seinem
offen antisemitischen Pamphlet „The International Jew
– The World’s Foremost
Problem“ weit verbreitet. Ludendorffs Brief v. 8.1.1924 knüpft möglicherweise
genau dort an.
Baldur von Schirach hat
Fords Schrift noch in den Nürnberger Prozessen nach 1945 zitiert, als eine Art
Bibel der jungen Nazis. Die nun aufgetauchte Sammlung verspricht eine hoch
interessante Lektüre und viele neue Einblicke dazu, was damals geschah und ob
und wie man noch hätte gegensteuern können!
Quellen
https://de.wikipedia.org/wiki/
Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/15) 8.2.2023
Süddeutsche Zeitung
chinesischer Ballon; „Spionagesatellit alarmiert auch Berlin“ von Juri Auel et
al. sowie Kommentar „Die Machtdemonstration“ von Stefan Kornelius (Süddeutsche
v. 6.2.2023, S. 1 u. 4)
Zum Glück unterscheiden sich die Schlagzeile auf S. 1 und
der Kommentar auf S. 4 ein wenig: Die Schlagzeile spricht fett und leicht
eskaliert schon von einem „Spionagesatelliten“. Der Kommentar lässt die
Einordnung immerhin noch offen, sieht eine Eskalation und bewusste
Machtdemonstration sogar eher auf amerikanischer Seite, getrieben von
Hardlinern und einer emotionalisierten Öffentlichkeit.
Leider sehen wir heute viel zu selten noch den Pfad dahin –
und das wäre m.E. nicht nur Nine-Eleven, mit dem offenbar von zornigen
Islamisten intendierten und erreichten Säurebad für alle organisierte
Staatlichkeit dieser Welt, im Westen wie im Osten, Norden oder Süden. Gehen wir
noch einen Schritt davor, nämlich auf den 7. Mai 1999: Als im Rahmen der
wohlgemerkt nicht durch die VN indossierten Operation Allied Force (OAF)
eine europäische Hauptstadt bombardiert wurde, dabei auch die – vor Ort kaum zu
verwechselnde – chinesische Botschaft in Belgrad. Mit bunkerbrechenden Raketen,
mit einigen Toten und Verletzten und mit nachlesbaren Folgen in der
chinesischen Militärdoktrin. Blicken wir dann in die Phase noch davor, dann
sehen wir u.a. unseren eigenen militärischen Aktionsraum und Anspruch global
erweitert, scharfen Schuss inklusive, in der Praxis höchstens um die Reichweite
unserer aktuellen Interessen begrenzt, nicht aber rechtsstaatlich definiert,
durch Gesetz i.S.v. Art. 19 GG.
Es ist an der Zeit, alles das im Kontext zu bewerten, auch
die globalen Psychosen daraus sowie eine nun wieder zunehmend entglobalisierte Wirtschaft und Kultur. Immerhin: Ratlose
Zauberlehrlinge allerorten.
(2023/14) 7.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger,
Lokalausgabe Rhein-Wupper
Frühzeit des Nationalsozialismus; Artikel von Peter Seidel „Briefe von Erich
Ludendorff beim Aufräumen gefunden“ (Lokalausgabe Rhein Wupper v. 4./5.2.2023,
S. 36)
Das war wirklich ein besonderer Dachbodenfund! Gerade die
jüngeren Briefe aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg weisen zurück in eine
zumeist vergessene, aber sehr schicksalhafte Phase: Als nämlich sowohl
national-konservative als auch national-radikale deutsche Kreise prägende
Impulse und ideologische Bestärkung aus einer heute unerwarteten Richtung
empfingen – aus der sehr konservativen Elite im Umfeld der damaligen „America First“-Bewegung. Tatsächlich war
Ludendorff, dessen Brief vom 8.1.1924 Herr Seidel hier zitiert, fasziniert von
der Weltverschwörungs-Legende gemäß den sogenannten „Protocols
of the Learned
Elders of Zion“ – heute als gezielte plumpe
Fälschung überführt. Der offene Antisemit und Automagnat Henry Ford hatte sie
zunächst in seiner Haus-Gazette „The Dearborn Independent / The Ford
International Weekly“ und sodann in dem vierbändigen Werk „The International
Jew: The World’s Foremost Problem“ effizient verbreitet.
In den Nürnberger Prozessen nach Ende des Zweiten
Weltkriegs hat der "Reichsjugendführer" Baldur von Schirach betont:
Die jungen Nazis hätten Fords Machwerk geradezu als Offenbarung aufgesogen.
Konsequent hatte Ford dann auch die Einleitung zur amerikanischen Ausgabe von
Hitlers „Mein Kampf“ verfasst, hat damit auch eigenes Gedankengut in die USA re-importiert. Und er hat mit stolzer Brust – wie auch der
ähnlich deutschfreundliche Atlantikflieger Charles Lindbergh – noch im Jahre
1938 (!) den höchsten deutschen Orden für Zivilisten entgegengenommen, den
deutschen Adlerorden. Also: Hier hat die Weltgeschichte in Burscheid
angeklopft; ich würde diese Briefe sehr gerne einmal durchgehen.
(2023/13) 4.2.2023
Frankfurter Allgemeine
chinesischer Ballon; Leitartikel von Nikolas Busse „Folgen einer Ballonfahrt“
(Ausgabe v. 6.2.2023, S. 1)
Im Vergleich der Medien sehr löblich und ein Stück weit
deeskalierend: Wenn es „Spionage!“ nicht gleich aus den Schlagzeilen der F.A.Z.
heraus schreit. Denn dass der Ballon militärisch auskundschaftete, das munkelte
man ja bisher nur in den „Experten“-Kreisen des einen Lagers und selbst dort
galt er nicht als „smoking gun“.
Und sehr richtig: Die strategische Konkurrenz und die damit
verbundenen, fast psychotisch zu nennenden Ängste beider Seiten sind ein
monumentales Rad. Durch einzelne Begegnungen kann es kaum gedreht werden bzw.
können sich die Akteure offenbar nicht therapieren. Es bedarf eines
weitreichenden Konzepts mit vielen vertrauensbildenden, gleichzeitig nicht in
eine andere Richtung vertrauensgefährdenden Maßnahmen, um ein Gleichgewicht zu
halten, sine ira et studio.
Eine höchst undankbare, ganz und gar unheroische Sisyphos-Aufgabe; derzeit sehe
ich keinen Aspiranten dafür, keinen Menschen und keine Nation.
(2023/12) 1.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Werbung für den „Traumberuf E-Sportlerin“ in der Ausgabe v. 31.1.2023
(Aufmacher auf S. 1, Artikel von Mariana Friedrich unter den
Duda-Kindernachrichten auf S. 13)
Erstaunliche Koinzidenz: Am Morgen beschreibt der
Stadt-Anzeiger in den Kindernachrichten den großen deutschen Nachholbedarf bei
Computerspielerinnen auf hohem Niveau – bei den wenigen Profis und bei der dann
notwendigerweise großen Pyramide von Amateurinnen und Anfängerinnen darunter.
Und in den Abendnachrichten laufen entzückende Trailer von der Nürnberger
Spielwarenmesse, die den beschleunigten Vormarsch künstlicher („virtual“) und
verschmelzender („augmented“) Wirklichkeiten in die
Kinderzimmer animieren. „Catch them young!“ ist halt ein altbewährter Rat.
Asien, hast Du es schon besser? Nicht wirklich: Nach
aktuellen Studien nimmt dort die Myopie oder Kurzsichtigkeit in den
urbanisierten Gemeinschaften epidemische Ausmaße an – und zwar effizient
angetrieben durch veränderte digitale Sehgewohnheiten und insbesondere
Lichtfarben und Sehabstände. Auch mit der Folge zunehmender praktischer
Blindheit schon in mittleren Lebensjahren. Wenn man es sarkastisch nimmt:
Proportional steigen werden in jedem Fall die Berufschancen als Optikerin und
Augenärztin. Vorausgesetzt, man verbringt einen gehörigen Teil seiner Jugend an
der frischen Luft.
Quellen u.a.:
https://en.wikipedia.org/wiki/
https://www.elza-institute.
(2023/11) 31.1.2023
Das Parlament
Ukraine-Krieg; Editorial der Ausgabe v. 23.1.2023: Christian Zentner „Zögern
oder Zaudern?“
Wenn sich die deutsche Außenministerin – politisch
sozialisiert in einer ehedem nachhaltig pazifistischen Partei – ohne Zögern
noch Zaudern in einen Koalitions-Krieg gegen Russland hineindenken kann, dann
sind die bedingten Reflexe dieser Republik lange verschlissen, sowohl
diejenigen aus der Gründungszeit als auch die aus der Sturm- und Drangzeit der
60er. Die Chancen Deutschlands als Mittler und Makler sind allerdings ebenso perdu.
Bitterböse gewendet kann man es ferner so sehen, und das
mag sogar im Ergebnis der heute noch etwas distanzierteren Haltung der
politischen Mehrheit nahekommen: „Alii bella gerant, tu felix Germania vende!“ Oder auch: „Lass andere Kriege führen und
verkaufe derweil Waffen!“
P.S.:
Streng genommen trifft das „vendere“ im
zweiten Absatz nicht zu – tatsächlich wird die Bundesrepublik die Kosten der
Waffenlieferungen selbst tragen, siehe etwa aus für gewöhnlich gut
unterrichteten Kreisen: https://www.br.de/nachrichten/
(2023/10) 30.1.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; Detlev Esslingers Kommentar „Führung? Oh je“ (Süddeutsche v.
28./29.1.2023, S. 4)
Führung? Ja, es mutet schon lange an wie die Führung des
gequälten Tanzbärs – Führung durch das stringente
Gewissensmanagement eines Selenskij, Melnyk, Sikorski
oder des einen oder anderen Thinktank.
Nicht so bei den freiheitlichen oder den grünen Partnern der
SPD; sie denken sich mit einiger Freude in die zum Glück von allen Wählern
distanzierte Kriegssituation hinein, siehe jüngst im Überschwang unsere
Außenministerin: Endlich wieder ein gerechter Krieg und viel ehrbare Rüstung;
dies mag nachhaltig frustrierende Traumata kleinerer Waffengänge der letzten
dreißig Jahre vergessen machen, auf dem Balkan, im Mittleren Osten oder in
Afrika. Soweit sehr angenehm!
Was aber, wenn die Kampfpanzer nun wacker ihren Job
erfüllen und sie dann eine nationalkonservative Kiewer Administration
ertüchtigen, viele unliebsame ethnische Russen zu drangsalieren, vielleicht zu deternieren, umzuerziehen oder zu vertreiben? Gründe werden
sich schnell finden. Haben wir für diesen Fall etwas vereinbart oder geplant?
Da wir doch eigentlich das Humanitäre, die ethnische Toleranz und das "Stay Put" im Schilde führen? Zumindest die
Sudetenkrise sollte uns noch in sehr schmerzlicher Erinnerung sein.
(2023/9) 30.1.2023
DER SPIEGEL
Ukraine-Krieg; Leitartikel von Ralf Neukirch in der Ausgabe Nr. 5 v. 28.1.2023,
S. 6 („Es ist an der Zeit, den Spieß umzudrehen“)
Ist es nun auch an der Zeit, den Spieß gegenüber den
ethnischen Russen im Osten und Süden der Ukraine umzudrehen? Nehmen wir an, der
Gamechanger erfüllt sein konstruktives Ziel, Land zu
erobern und kontrollieren zu können, vielleicht sogar Teile der geopolitisch
hoch brisanten Krim. Was, wenn sich eine national konservative Kiewer
Administration sodann anschickt, diese schrecklichen „Russen“ zu deternieren, umzuerziehen, zu vertreiben oder auch nur
systematisch zu drangsalieren? Gehe zurück auf Los? Wie beim Groundhog Day, nur viel blutiger?
Möglicherweise ist aber zu viel verlangt, bei unserem
notorischen step-to-step-approach schon einen Plan für humanitäre Folgen zu
haben - wie in Afghanistan. Schau'n wir mal.
(2023/8) 29.1.2023
WELT AM SONNTAG
Ukraine-Krieg; Interview von Jacques Schuster mit Alexander Dobrindt unter dem
Titel „Wir führen keinen Krieg“ (WELT AM SONNTAG Nr. 5 v. 29.1.2023, S. 4)
In Afghanistan hatten wir uns einen Krieg viel zu spät zu
eigen gemacht – in der Ukraine nun ohne jede Vernunft. Das Straßburger
Bekenntnis unserer Außenministerin war bestenfalls hoch undiplomatisch. Gewollt
oder ungewollt zerrte es selbst Verbündete mit hinein, auch nach den
nachgeschobenen Erklärungen. Eigentlich aber war das Statement in jede denkbare
Richtung, auch nach Deutschland hinein, polarisierend, instinktlos und
folgenschwer.
(2023/7) 29.1.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht am 3.2.2023 im Internet-Angebot der ZEIT = https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/02/03/26-januar-2023-ausgabe-5/
Ukraine-Krieg; zu Alice Botas Leitartikel „Die
Vertrauensfrage“ (DIE ZEIT No. 5 v. 26.1.2023, S. 1)
Der Ukraine-Krieg
beschert uns eine besonders dankbare Form der Machtprojektion, die ideale
Distanzwaffe bzw. den modernen Longbow: 100.000
Schuss Artillerie im Monat, davon immer mehr und stärkere Projektile aus
unseren Waffenschmieden – und dabei ein rein slawisches Blutopfer ohne eigene
Gefahr, selbst ohne nennenswerte Risiken bei kommenden Wahlen.
Kant hat in seinem
„Ewigen Frieden“ vor mehr als 200 Jahren einen ebenso schmerzfreien Mechanismus
sarkastisch beschrieben: ‚So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischen
Kayser, der gutmüthigerweise seinen Streit mit ihm
durch einen Zweykampf ausmachen wollte, zur Antwort:
„Ein Schmidt, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht
mit seinen Händen herauslangen.“ ‘
Kant hielt zu Recht
sehr viel auf dämpfende Rückkopplung – auf Plan, Tat und Schmerz in ein und
derselben Person. Massive Waffenlieferungen ohne realitätsnahe Strategie
bedeuten sehr viel Schmerz anderer, open ended, und
ob das Vertrauen in eine nach unserem Standard wertegeleitete Politik Kiews
gerechtfertigt sein wird, das weiß derzeit niemand. Quelle aus Kants „Zum
Ewigen Frieden“: Original 1795, S. 32; in der Reclam-Universalbibliothek Nr.
1501, S. 17.
P.S.:
Kant empfiehlt einen wirksamen Rückkopplungsmechanismus nochmals ausdrücklich
bei der Entscheidung über den Krieg selbst. Sie erfordere die ausdrückliche „Beystimmung der Staatsbürger“, um nämlich
Kriege „wie eine Art von Lustparthie aus
unbedeutenden Ursachen“ bzw. nach Lust und Laune der Herrscher zu verhüten
(Original S. 23f, Reclam S. 12f).
(2023/6) 26.1.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine-Krieg; Leitartikel „Berlin braucht eine Ukraine-Strategie“ von Can
Merey (Kölner Stadt-Anzeiger v. 26.1.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:
Wie wahr: Wir brauchen klare und realistische Ziele. In
eine Lage ohne Strategie leistungsfähige Panzer und Geschosse zu liefern, das
heißt nichts anderes, als an unbegrenzter Zerstörung, Verletzung und Tötung zu
verdienen, politisch und wirtschaftlich.
Mehr bedeutet es aber wiederum nicht, zu unserem Glück: Die
menschliche Last tragen bequemerweise diese Slawen, auf die wir ohnehin seit
Generationen herabsehen, als bestenfalls teilweise zivilisiert. Generalmajor
Reinhard Gehlen, Meister der „Fremden Heere Ost“ im letzten großen Krieg wie
ebenso danach, er würde sich die Finger lecken. Teile sie und beherrsche sie!
(2023/5) 25.1.2023
DER SPIEGEL
Leipziger Schädelfunde; Peter Maxwill „Galerie des
Grauens“ (Ausgabe v. Nr. 4 v. 21.1.2023, S. 39)
Die Freude an ausgesuchten Schädeln reicht zurück in unsere
Klassik. Goethens erlesene kleine Sammlung etwa
umfasste ein dem früh verstorbenen Schiller zugeschriebenes Haupt. Kam würdiger
Besuch, so hat man es schon einmal hervorgeholt und andächtig befingert, wie
von Humboldt schaudernd seiner Frau berichtete.
Leider hatte Goethe – er war wie auch seine Mutter
begeisterter Jünger der Gall’schen „Phrenologie“ –
den falschen Schädel befasst und dann auch noch bedichtet.
Nach kürzlichem Öffnen vieler weiterer Gräber und emsigem Sägen, Raspeln und
Bohren an ungezählten Knochen konnte dies die Stiftung Weimarer Klassik
nachweisen, mit 100% Gentechnologie.
Nun aber mag sich der Bogen schließen: Wer weiß – wartet
neben vielen anderen Trophäen auch ein Schiller noch unerkannt in dem opulenten
Leipziger Raritäten-Kabinett? Leipzig, es läge hier immerhin nahe.
Quellen
„Phrenologie“ / Gall
https://de.wikipedia.org/wiki/
Dazu eine kleine Anekdote zu Goethes Mutter:
In einer der damals sehr angesagten Séancen soll sie den Anatomen Gall ultimativ aufgefordert haben, ihren Schädel und auch
den ihres gleichzeitig anwesenden Sohnes abzutasten. Durch die erwarteten
morphologischen Übereinstimmungen wollte sie den Beweis führen, dass die
besonderen Talente des Sohns gerade ihr und nicht dem Gatten
zuzuschreiben wären (!). Leider ist m.W. nur die Episode überliefert, nicht
aber der Gall’sche Befund.
Schiller-Projekt der Stiftung Weimarer Klassik
https://www.mdr.de/tv/
Add on: Alles das aus der Perspektive meiner Familie
(kostet ein wenig Zeit):
https://www.vo2s.de/0030s_doc.
(2023/4) 16.1.2023
RGA / Volksbote, abgedruckt
18.1.2023
Stadtentwicklung; Sabine Naber „Geschichtsverein macht alte Heimat lebendig“
(RGA / Volksbote v. 16.1.2023, S. 21)
Bei der Vernissage am 13. Januar schilderte mir ein Alt-Burscheider
mit leuchtenden Augen die Kastanien-Allee an der Montanusstraße.
Damals konnte es Burscheid leicht mit der weltberühmten Bonner Kirschbaum-Allee
aufnehmen, wenn der Weg zum Bahnhof in Weiß und Rot erblühte.
Hoffentlich findet sich dazu eine schöne Farbaufnahme und
vielleicht sucht Burscheid dann einen Weg „Zurück in die Zukunft“ – nach dem
Opfern ungezählter Klafter Baumholz für seine just ausgerufene „Neue Mitte“.
(2023/3) 14.1.2023
DER SPIEGEL
Lützerath-Proteste; zur Ausgabe Nr. 3, insbesondere
zum Leitartikel von Sophie Garbe „Feuer mit Feuer“, zum Interview von Gerald
Traufetter und Martin Knobbe mit Robert Habeck „Lützerath
ist schlicht das falsche Symbol“ und zur heiteren Rubrik „Gesprächsbereit - die
Antworten der Grünen zu Lützerath" (S. 6, S.
20ff u. S. 122)
Zu Zeiten wiehert der Wahnsinn aus allen Winkeln – das
Waffenschieben in Tauschringen und Zweireihern schon auf halbem Wege zur
olympischen Disziplin, ebenso das Cracking und das
symbolfrei staatstragende Baggern an der Klima-Abrisskante. Im Ergebnis: Die
Reichen, Satten, Mächtigen, Selbst-Gläubigen und prinzipiell sogar Langlebigen
fiebern einem beschleunigten Ende entgegen. How
bizarre, how bizarre.
P.S.:
Unsere Olympiaden könnten leicht weiter bereichert werden, etwa um das trendige
Herabwerten von Völkern, Erdteilen und Weltsichten. Oder auch von Generationen
von Denkern bzw. von Politikern, die zu ihrer Zeit als inspiriert und
bahnbrechend galten. Die Wahrheit hat unvermittelt einen noch stärker
dogmatischen Orts- und Zeitbezug als gewohnt. Etwas Untermalung zu „How bizarre“: https://www.youtube.com/watch?
(2023/2) 10.1.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Islamistischer Terrorismus; Eva Quadbeck „Terrorverdacht unvermindert hoch“
(Ausgabe v. 9.1.2023, S. 4)
Der mutmaßliche Fall eines gewaltbereiten iranischen
Islamisten zeigt ein spezifisches Dilemma: Wir lehnen, wie auch im Falle
Afghanistans, ein existentes islamisches Regime aus tiefster Seele ab – aber
derweil gibt es hier zornige junge Männer von dort, die von unserer Art zu
denken und überhaupt von einem geordneten Staatswesen noch viel, viel weiter
entfernt sind.
Schon aus rein pragmatischen Gründen spräche viel dafür,
die Regierungen dieser Staaten ebenso wenig abzuwerten oder zu isolieren, wie
wir es mit den ultrakonservativen Potentaten der arabischen Halbinsel schon
lange halten. Es brächte zweierlei Vorteil: Es könnte helfen, jene unruhigen
Staaten und Regionen zu stabilisieren. Und wir gäben den zornigen jungen
Rebellen nicht das anfeuernde Gefühl, die Deutschen würden ihre Heimat und
Kultur – zu der sie typischerweise weiter hindenken und hinfühlen
– respektlos, ehrlos und ohne Ansehen menschlicher Not behandeln.
Den Terrorismus werden wir nicht aus der Welt radieren - so
wenig wie den Klimawandel. Aber wir können mit einer Politik ohne
Heilserwartungen signifikante Antriebskräfte mindern.
(2023/1) 6.1.2022
DIE ZEIT, veröffentlicht am 13.1.2023 im Internet-Angebot der ZEIT unter https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/01/13/5-januar-2023-2-ausgabe/
Demokratie; Beitrag von Samiha Shafy
„Wie lässt sich die Demokratie beleben?“ (der elfte Vorschlag unter "Zwölf
Ideen für eine bessere Zukunft"; DIE ZEIT No. 2
v. 5.1.2023, S. 32)
Wie verführerisch: eine Demokratie nach Themen, nicht nach
Köpfen, Kapitalen oder Institutionen! An kommunalen Fragen ist das sogar lange
erprobt, im Rahmen der sogenannten Dienel’schen
Planungszellen oder Bürgergutachten; sie produzieren anerkannt praktikable und
akzeptierte Lösungen.
Aber ginge das denn auch in einer Königsdisziplin, etwa in
der Außen- und Sicherheitspolitik? Kant sagt: „Ja!“ und nennt in seiner Schrift
„Zum ewigen Frieden“ gleich den Vorteil eines unmittelbar rückgekoppelten
Schmerzes: „Wenn … die Zustimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu
beschließen, ob Krieg sein solle, so ist nichts natürlicher als dass, da sie
alle Drangsale des Krieges selbst beschließen müssten, (als da sind …,) sie
sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“
Das gegenteilige role model sind Parlamentarier vom Kaliber eines Dr.
Wolfgang Schäuble, heute in seiner 14. Wahlperiode. Zu Beginn der Neunziger war
er einer der profiliertesten Befürworter des Aufbruchs der Bundeswehr in die
Ära von Auslandseinsätzen mit scharfem Schuss. Diese besondere Errungenschaft
ist ungeachtet massiver Fehlschläge und vielfacher Verluste und Traumata bis
heute nicht ernsthaft hinterfragt.
P.S.:
Bei einem Sommerfest des Bundesministers des Innern saß ich einmal neben Herrn
Schäuble im Bonner Graurheindorf auf einer Bierbank. Nun: Ich bewundere seine
virtuose Eloquenz, seine Standfestigkeit und seine persönliche Lebensleistung.
Allerdings meine ich: Nach zwei Wahlperioden hätte er seine Energie – ebenso
regelmäßig jede/r andere Abgeordnete – sachgerechter anderen Lebenszielen
gewidmet, zum Nutzen aller. Ein im langen Abgeordnetenleben angereichertes
Vernetzungswissen ist m.E. unvermeidlich nachteilig für eine unvoreingenommene,
sachorientierte Analyse politischer Problemstellungen. Die ausgedehnte
Anwesenheit schafft ihre eigene Blase, macht überdies bekannt und leichter
ansprechbar, schnürt ab und formt letztlich immer weniger repräsentativ.
Auf dem inspirierenden Weg zu dem von Hélène Landemore
angeregten System ohne demokratische Elite könnten wir vielleicht schon
einmal die parlamentarischen Halbwertzeiten einkürzen und uns damit deutlich
mehr demokratische Konvektion gönnen 😉
Quellen:
-
Bürgergutachten/Planungszelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/
-
Immanuel
Kant, Zum Ewigen Frieden:
Zweiter Abschnitt, Erster Definitivartikel (Reclam-Ausgabe S. 12f), siehe auch http://philosophiebuch.de/
-
Zu
MdB Wolfgang Schäubles prägender Rolle und als Beispiel manichäischer u.
polemischer Rhetorik in der einleitenden Phase der out-of-area-Debatte
siehe insbesondere den Redebeitrag in der Plenarsitzung v. 21.4.1993 zu UNOSOM
II (Sitzung 12/151, Protokoll S. 12933ff = https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12933) und Schäubles
polarisierende Kontroverse mit MdB Konrad Weiß / B’90-Grüne (Protokoll S.
12946f = https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12946)
(2022/50) 28.12.2022
DIE ZEIT, abgedruckt 5.1.2023
Krisen-Weihnacht; Leitartikel von Giovanni di Lorenzo „Eine Auszeit, keine
Weltflucht“ (DIE ZEIT No. 53 v. 22.12.2022, S. 1)
Ein fantastisches Motto, dieses „Deutschland
funktioniert!“. Gar nicht utopisch: Deutschland organisiert sich transparent
und berechenbar, es plant mindestens mittelfristig, es übt sich in Erhaltung
und Maintainance statt in schöpferischer Zerstörung,
intern wie extern. Hinzu gehört aber Bereitschaft zu fortwährender Evaluation
und Reflektion. Während wir uns die Ukraine-Hilfe auf die Habenseite schreiben,
müssen wir Versäumnisse und Schäden nach unserer jahrzehntelangen Hilfe am
Hindukusch nicht verdrängen.
Und wir sollten – da könnten das ältere und das jüngere
Projekt zusammenführen – in der Tat jeden leidenschaftlichen
Vermittlungsversuch für Menschen in Not wagen, ohne Auszeit, ohne Weltflucht.
Fast so, als wären wir neutral.
Und ein paar
Sammlerstücke aus früheren Jahren:
Die Mutter aller
[meiner] Leserbriefe:
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (Kölner
Stadt-Anzeiger. v. 29.9.1992)
Hätten wir am
Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der
Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit
ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind
brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen
Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der
vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher
von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes
geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten
Sinne auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn
auch der count-down schweren Herzens in letzter
Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das
Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.
Und der am weitesten
gereiste Leserbrief:
22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995
I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August 14,
1995. It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite
insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto
Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful
decision"). So I would like to show an alternative view:
It is certainly true that Japanese military leaders commenced the
hostilities against the
The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event.
We hear them over and over again – from
Weitere
Leserbriefe
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1999 / 1998 / 1997 / 1996 / 1995 / 1994 / 1993 / 1992
Oder auch ein paar Briefe für Englisch-sprachige Medien.
Gerne meine >150
Leserbriefe, die zum Thema Außen- und
Sicherheitspolitik, Auslandseinsätze bzw. „out of area“ veröffentlicht
worden sind.
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