Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahr 2023

Stand: Dezember 2023; grün unterlegt: lokale/regionale Themen

 

(2023/73) 24.12.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 28.12.2023
Weihnachtsbaum und deutsche Leitkultur; Gespräch von Gerhard
Voogt
mit der Bundestagsabgeordneten Serap Güler ("Unser Programm passt zu jedem Kandidaten", Ausgabe v. 22.12.2023, S. 32)

Der Weihnachtsbaum hat viel mehr Migrationsgeschichte, als sich Serap Güler und insbesondere Friedrich Merz so denken, in rastloser Sorge um die deutsche Leitkultur: Hierzulande recht in Mode und in viele Wohnzimmer kam die Tanne erst nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71. Der preußische König kannte den schönen Lichterbaum von seinen englischen Vettern und Cousinen und hatte ihn zum Trost und für die Resilienz der Soldaten in den Unterständen und Lazaretten aufstellen lassen. Etwa im Rheinland hatte die Schmucktanne zuvor noch als eine protestantische oder gar nordische Marotte gegolten. Und in die Dome und Kirchen war sie erst ganz zuletzt eingerückt. 

Immerhin mag man es heute auch positiv sehen: Als kulturübergreifender Integrations-Anzeiger  st der Weihnachtsbaum deutlich versöhnlicher und weniger beladen als das Kreuz. Deswegen möchte ich ihn auch eher als Ausdruck einer weltumspannenden "Merry-Christmas-Bewegung" deuten. Ebenso wie die vielen Päckchen und das leuchtende Rot des noch immer recht obskuren Weihnachtsmanns.

 

(2023/72) 13.12.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht am 14.12.2023 im Internet-Angebot der ZEIT=
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/12/14/7-dezember-2023-ausgabe-52/
Kissinger; zu den Beiträgen „Wucht“ von Bernd Ulrich und „Die Macht und die Zeitung“ von Matthias Nass (Ausgabe No. 52 v. 7.12.2023, S. 4 und 10)

Respekt bei der Jugend, lokal wie global? Den ehrlichen Versuch gerade am Beispiel Kissingers wäre es wert, völlig unpathetisch: „Ja, wir verfolgen Interessen.“ „Nein, wir tragen keinen Heiligenschein!“ „Ja, dabei ist manches grausam schiefgelaufen!“ Kissinger würde noch hinzusetzen: Deutlich mehr sei unter dem Strich geglückt; und man solle den ganzen Menschen sehen, das gesamte Repertoire.

Vielleicht würde selbst das eine payback time nicht auf alle Zeiten hinausschieben, nicht für alle Regionen. Aber es kann etwas von der Wucht brechen. Und es gäbe Zeit, über die Konditionen zu verhandeln, ganz ohne selbst-täuschende messianische Anwandlungen.

 

(2023/71) 5.12.2023
DER SPIEGEL
Kissinger; zur Würdigung Henry Kissingers in der Ausgabe Nr. 49 v. 2.12.2023, S. 78ff („Der Jahrhundertdiplomat“)

Viele Kommentare sezieren Kissinger in einen zivilisierten Dr. Jekyll und in einen extremen Mr. Hyde. Sie spalten die harte Tour der Interessenvertretung ab, wohl als zu peinlich. Aber das ist Zwiedenk vom Feinsten; wir haben immer beide Rollen im Repertoire. Und sogar die technokratische Synthese aus beidem: Dr. Seltsam.

Was wäre dann die effizientere, auch die für die global verteilten Mitmenschen weniger nervige deutsche Geopolitik? Na, indem wir uns nicht manisch bekreuzigen und nicht eifernd täglich aufs Neue „Werteorientierung“ geloben. So, als wäre das unser natürlicher kategorischer Imperativ. Also: Machen wir uns ehrlich am Beispiel dieses weisen Heinz a.k.a. Henry!

 

(2023/70) 4.12.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Würdigung Henry Kissingers durch Karl Doemens in der Ausgabe v. 1.12.2023, S. 3 („Der Altmeister der Diplomatie“)

Henry Kissinger ist ein höchst nüchterner Beweis dafür: Eine moralische oder zivilisatorische Überlegenheit taugt nicht als Feldzeichen des Westens. Genereller: Selbstgerechtigkeit und Mission sind bei allen Spielern des großen Spiels fehl am Platze.

Ich denke, er selbst hätte bei einer vorgeblich besonders „wertegeleiteten“ Außen- und Sicherheitspolitik nur müde gelächelt, hätte die verfügbaren Fakten analysiert und Muster gesucht und hätte ohne jeden Pathos die aktuellen Chancen beider Seiten kalkuliert – mit Folgen und Nebenfolgen. Sodann hätte er ohne Zögern zugeschlagen oder eingeschlagen. Wer da aus heutiger Sicht einen „bösen“ oder „guten“ Staatsmann abspaltet, der begeht Selbstbetrug und wird zu ständigen Wiederholungen verurteilt.

 

(2023/69) 3.12.2023
Süddeutsche Zeitung
Kissinger; „Der Solitär“ von Stefan Kornelius (Ausgabe v. 1.12.2023, S. 3)

Die Extreme in Henry Kissingers Leben und Wirken sind wohl unsere eigenen Extreme – es wäre selbstbetrügerisch, dort etwas abzuspalten und zu personalisieren, gleichzeitig bequem zu externalisieren. Wenn Kissinger verlangte, den ganzen Menschen oder das ganze Repertoire zu sehen, dann war es nicht nur das menschliche Bitten um eine vollständige Bilanz. Sondern auch der trockene Hinweis darauf, dass auch im Westen Kaltblütigkeit, Interessen-Abwägung, Risiko-Bereitschaft und ein gewisses Maß an Zynismus zur Arbeitsplatzbeschreibung gehören.

Nebst seinem besonderen Studienobjekt, dem Fast-Österreicher Metternich, wird den Fast-Amerikaner Kissinger noch ein weiterer Fast-Österreicher sehr fasziniert haben, der edle Ritter, der dreisprachig mit „Eugenio von Savoy“ unterzeichnete – allesamt Menschen, die sehr schlagkräftig einzeln, dazwischen oder auch darüber stehen konnten. Alle drei hätten nicht den König, sondern die Dame als die Schachfigur bezeichnet, die zu ihnen am besten passte und alle drei hatten sowohl herausragende konfrontative als auch makleriische Kompetenzen. 

Den Gegner jedenfalls auf Schachbrettbreite an sich heranzulassen, das vermisst man bei Außen- und Sicherheitspolitikern heute sehr schmerzhaft. Manche von ihnen würden Kissinger wohl naserümpfend als nicht ausreichend glaubensstark einordnen.

 

(2023/68) 2.11.2023
Frankfurter Allgemeine
Kissinger; Majid Sattar „Vordenker im Spiel der Mächte“ (Ausgabe v. 1.12.2023, S. 10)

Unsere Faszination beim Zurückdenken an Henry Kissinger beruht aus meiner Sicht auf unausweichlicher Identifikation: Dieser Heinz und Henry war und ist in seinen Träumen und Traumata, in seinen deterministischen Projektionen und in seinen teils paranoiden Strategien, in seinem Gottglauben und Weltwissen ein sehr moderner und ein sehr westlicher Mensch. In vielem herausragend, auch herausragend geprägt, aber in den nämlichen Kraftfeldern und Widersprüchen lebend und handelnd wie wir selbst.

An seinem Beispiel haben wir die Chance, unser wohl positiv überzeichnetes, wertorientiertes Selbstbild dem nüchternen, utilitaristischen Fremdbild anzunähern, das viele Menschen außerhalb unseres Kulturkreises tatsächlich von uns haben. Ein Bild, das etwa Paul Kennedy in seinem Klassiker „The Rise and Fall of the Great Powers“ ebenso faktenreich wie historisch neutral gezeichnet hat.

 

(2023/67) 30.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 5.12.2023
Ukraine; Kommentar „Aufrüsten statt verhandeln“ von Can Merey und Bericht „Die härteste Zeit für Soldaten“ von Sven Christian Schulz (Ausgabe v. 29.11.2023, S. 4 u. 6)

Wenn wir kriegsfähiger werden statt verhandlungsfähiger, dann wäre schon das eine sehr schlechte Nachricht für die globale Sicherheit. Hier ist es im Grunde ärger: Im Effekt geht es um einen Stellvertreter-Konflikt, der nicht für uns persönlich, sondern für andere hoch blutig verläuft. Und ich sehe tatsächlich nicht, dass wir Verhandlungs-Optionen wie etwa ein weitgehendes Autonomie-Statut nach Vorbild Südtirols ausgereizt hätten. Gerade aus der sicheren Etappe sollten wir nicht weiteren jungen Menschen zu Tausenden den Tod schicken – auf beiden Seiten.

Richtig, dies ist die härteste Zeit – und die Lage erinnert fatal an ausweglos verfestigte Fronten und an die berüchtigten „Blutpumpen“ oder „Knochenmühlen“ im Ersten Weltkrieg, am Lagazuoi in den Dolomiten ebenso wie in Verdun. Damals wollte etwa der deutsche Chemie-Manager Carl Duisberg den Knoten durchschlagen und setzte den Einsatz von Kampfgasen durch; die Folgen hat André Malraux in seinem Büchlein „Guerre et fraternité“ zeitlos und ohne jedes manichäische Feindbild notiert. Besser als weiterer hundertfacher Tod am Tag scheint mir – auch hier – in jedem Fall unser sehr ernsthaftes und schöpferisches Drängen auf Verhandlung.

P.S.:
Tatsächlich erscheinen mir weitere und sogar intensivierte Waffenlieferungen wie ein Paradebeispiel der nur schwer zu vermeidenden Handlungsform „Mehr desselben“, die der große österreichisch-amerikanische Psychotherapeut Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ analysiert hatte:

Die lebenswichtige Notwendigkeit der Anpassung führt unweigerlich zur Ausbildung bestimmter Verhaltensmuster, deren Zweck idealerweise ein möglichst erfolgreiches und leidensfreies Überleben ist. Aus Gründen, die den Verhaltensforschern noch recht schleierhaft sind, neigen aber Tiere wie Menschen dazu, diese jeweils bestmöglichen Anpassungen als die auf ewig einzig möglichen zu betrachten. Das führt zu einer zweifachen Blindheit: Erstens dafür, dass im Laufe der Zeit die betreffende Anpassung eben nicht mehr die bestmögliche ist, und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine ganze Reihe anderer Lösungen gegeben hat oder zumindest nun gibt. 

Diese doppelte Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie die Patentlösung immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, und zweitens führt der steigende Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen Schlussfolgerung, nämlich der Überzeugung, noch nicht genug zur Lösung getan zu haben. Man wendet also mehr derselben „Lösung“ an und erreicht damit genau mehr desselben Elends.“ (Anleitung zum Unglücklichsein, Kap. 2, 4. Unterkapitel "Der verlorene Schlüssel, oder mehr desselben" = S. 28f in meiner betagten Ausgabe von 1997)

Wie gesagt, mit der Besonderheit der vorliegenden Fallgestaltung: Die potenziell verhaltenskorrigierenden Schmerzfolgen koppeln hier nicht einmal unmittelbar zu den Handelnden – in der Etappe – zurück. Ein derart gedämpfter Regelkreis wird eine gewaltmindernde oder „blutstillende“ Verhaltensanpassung umso stärker verzögern. Sehr schlechte Aussichten für das Leben vor Ort.

 

(2023/66) 29.11.2023
RGA / Volksbote, abgedruckt 6.12.2023
Stadtentwicklung; Nadja Lehmann „Die Bürger erwartet ein neues Burscheid“ (Ausgabe v. 28.11.2023, Regionalteil Burscheid S. 21)

Sehr richtig: Die Bürger erwartet ein neues Burscheid. Aber erwarten die Bürger das auch, in dieser Form? 

Auf Nachfrage hieß es am 23.11. im Stadtentwicklungsausschuss: Die zunächst für den Herbst erwogene vierte Bürgerinformationsveranstaltung – die letzte wurde ja vor immerhin dreieinhalb Jahren angeboten – diese Information werde erst geplant, sobald Klarheit zum künftigen „ISEK 2030“ bestünde. Diese Auskopplung aus dem bisherigen IEHK 2015 soll ja nun die untere Hauptstraße erfassen bzw. die „Innenstadt Nord / Altstadt“. Ob dann noch vergleichbare Mittel verfügbar sein werden, das wird man sehen. Wenn nicht, dann wird die Altstadt endgültig bei Gottfried zur kühlen Erde ruhen.

Aber zum bereits absehbaren neuen, vitalen Burscheid: Ist das neue Geschäftszentrum Montanusstraße a.k.a. „Neue Mitte“ auf ausreichende Nachfrage gegründet? Diese Frage nannte der Vater des IEHK – der Chef des Projektentwicklers ASS – kurzerhand „unredlich“. Zahlen hat er dazu auch nicht genannt. Äpfel seien doch keine Birnen und Burscheid sei schließlich kein „Dorf an der Nordsee“. Aber wir sind auch nicht New York und werden dennoch nach dem Neubau unter den absoluten Spitzenreitern der Republik bei den Verkaufsflächen für Nahrungs- und Genussmitteln rangieren: Nach dem aktuellen Verträglichkeitsgutachten sind wir hier bereits heute um 24% über Bundesdurchschnitt ausgestattet, durch Edeka werden es lockere 48% mehr sein. Mit dem konkret geplanten Lidl in Hilgen shoppen wir dann fröhlich 63% über den normalen Bundesbürgern.

Man mag die Relation von Angebot und Nachfrage als eine prinzipiell unnötige – oder auch lästige – Planungsgrundlage ansehen, gerade als Projektentwickler. Für Burscheids Zukunft und Finanzen ist sie allerdings essenziell. Es gilt eben nicht das alte chinesische Motto „Viel hilft viel!“ Und Negativbeispiele mit kannibalisierenden, gleichwohl kurzlebigen Malls gibt es rund um Burscheid nun wirklich zur Genüge.

P.S.
Zu den Zahlen, die Herr Hamerla / ASS entweder nicht parat hatte oder so nicht verteidigen wollte: In dem aktuellen Gutachten von Stadt+Handel wird der Vergleich zwar nur teilweise ausbuchstabiert, er lässt sich aber ohne große Probleme aus den dortigen Daten gemeinsam mit den Zahlen der aktuellen Beschlussvorlagen errechnen.

·       Bei den im Gutachten zugrunde gelegten 18.681 Bürgern ergäbe sich mit dem genauen Bundesdurchschnitt (0,41 m2/Einw.) eine rechnerische Gesamtverkaufsfläche (GVKF) von 7.659 m2.

·       Burscheids bereits heutige GVKF beträgt 9.527 m2, das sind dann 24% dazu (entsprechend 0,51 m2/Einw.).

·       Mit Edeka (1.800 m2, damit übrigens auch ein deutlich überdurchschnittlicher Edeka) liegen wir gleich bei 11.327 m2, damit 48% über Durst (entsprechend dann 0,61 m2/Einw.).

·       Mit Lidl/Hilgen (1.224 m2) kommen wir dann auf 12.551 m2 und satte 63%, also deutlich mehr als die Hälfte über Bedarf (entsprechend 0,67 m2/Einw., ein bundesweit signifikant herausragender Wert).

 

(2023/65) 27.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Stadtentwicklung; Thomas Käding „Debatte über Burscheids Mitte geht weiter“ (Ausgabe v. 25.11.2023, Lokalteil Leverkusen S. 40)

Die Debatte mag noch ein wenig weitergehen; aber die Weichen sind gestellt, eigentlich: sauber verschweißt. Den Geschäftssinn der im Artikel zitierten Buchhändlerin bewundere ich aufrichtig. Ich kann auch nachvollziehen, dass sie „halb Burscheid“ lieber gleich um die Ecke einkaufen sehen will – nicht in Witzhelden oder sonst wo. Mehr als ihrer interessierten Kurzanalyse beim höheren Shoppen traue ich aber den professionell erhobenen Daten von Stadt+Handel. Und diese Daten sagen schlicht: Es gibt per saldo keine abwandernde Kaufkraft und wir brauchen auch keine neue Verkaufsflächen bei Nahrungs- und Genussmitteln, ganz im Gegenteil.

Schon heute sind wir, wie jeder auch ahnt, mit 24% über dem Bundesdurchschnitt sehr gut ausgestattet. Mit einem noch einmal überdurchschnittlichen Edeka-Markt werden es schon satte 48% und mit dem konkret geplanten Lidl-Markt in Hilgen sind wir dann bei 63% über Durst angelangt! Bei sehr abzählbaren Folgen für unsere Gewerbesteuer: Einbrüche bei den etablierten Platzhirschen, aber sehr wenig Aufwuchs bei den Neuen, die zunächst ihre Ersteinrichtung abschreiben werden – und auch müssen. Genau das macht sich im Rat offenbar niemand so gerne klar: Irgendeiner wird die Investitionssumme von deutlich jenseits der 20 Millionen Euro ja mal bezahlen müssen – entweder wir als Konsumenten oder wir als Steuerzahler. Nicht aber die smarten Projektentwickler oder Investoren. Die haben nichts zu verschenken.

Zwei weitere Details aus der Sitzung verdienen Aufmerksamkeit: Die zu Beginn einmal zentrale Entwicklung für die untere Hauptstraße ist nun in ein neues Programm ausgekoppelt, in das ISEK 2030 – oder auch das „Integrierte Städtebauliche Entwicklungs-Konzept Burscheid Innenstadt Nord / Altstadt 2030“. Auf Nachfrage nach der im Ausschuss für den Herbst 2023 versprochenen, bereits lange ausstehenden Bürgerinformationsveranstaltung – die letzte gab’s ja vor dreieinhalb Jahren: Wenn und soweit man sich auf die Realisierung der Maßnahmen geeinigt habe, dann wolle man dazu auch die Bürgerinnen und Bürger wieder in der bereits bekannten Form informieren; das habe aber noch Zeit. Hört sich nicht gut an.

 

(2023/64) 21.11.2023
Süddeutsche Zeitung
Gaza-Krieg; Bericht „Zwischen den Fronten“ von Peter Münch und Kommentar „Es gebietet die Menschlichkeit“ von Alexandra Föderl-Schmid (Süddeutsche v. 20.11.2023, S. 2 u. 4)

Netanjahu hat zwar wohl recht jedenfalls insoweit, als die Armee unter allen israelischen Akteuren die unparteilichste ist, defensiver als die Mehrzahl der Regierungsparteien. Saul Friedländer weist aber in seinem kürzlichen „Blick in den Abgrund“ zu Recht darauf hin: In einer seit Jahrzehnten vergifteten und von gegenseitigem Argwohn und tiefen Ängsten geprägten Atmosphäre sind Gewalt-Eskalationen und erlebte Inhumanität gar nicht zu vermeiden.

Auf die verfeindeten Akteure wird nicht einmal Hannah Arendts Denkfigur vom „banalen Bösen“ zutreffen – denn in Palästina sind alle mit Herz und Blut dabei, die wenigsten vollziehen schematische Anweisungen, die bei Auswechseln der Hierarchie wie ein Spuk zu Ende wären. Eher stimmig ist hier – leider – Heideggers „Geworfensein in das Sein“, das ganz ohne Ideologien oder als Feldzeichen eingesetzte Religionen wirksam ist. Mit Friedländer würde ich zu einer fundamentalen Änderung der Rahmenbedingungen ein staatliches Nebeneinander auf Augenhöhe wünschen, die Sicherheit auf der palästinensischen Seite jedenfalls zeitweise garantiert durch eine unabhängige Macht.

Selbst das kann aber keinen nachhaltigen Frieden verbürgen. Wir sollten uns auf eine signifikante Migration der endgültig Hoffnungslosen einstellen, von beiden Seiten.

 

(2023/63) 21.11.2023
Frankfurter Allgemeine
Gaza-Krieg; Alexander Hanekes Leitartikel „Israels Schicksalsfrage“ (F.A.Z. v. 20.11.2023, S. 1)

Man mag Netanjahus Politik als Taktiererei verstehen oder auch als zu weiten Teilen eigennützig, wie kürzlich sehr detailliert Saul Friedländer in seinem „Blick in den Abgrund“. Mehr noch allerdings würde ich Friedländers These folgen wollen, dass die einzige Lösung eine radikale Abkehr von der israelischen Siedlungspolitik und ein staatliches Nebeneinander auf Augenhöhe wäre.

Wäre – denn kein israelischer Politiker hätte zusätzliche palästinensische Autonomie, geschweige denn Unabhängigkeit wagen und umsetzen können. Alle bisherigen Erfahrungen sprachen dagegen, dies auch schon vor dem bestialischen Überfall und erst recht danach. Nicht nur Netanjahu wäre mit einer solchen Entscheidung überfordert. Er wird den Konflikt bis zur dauerhaften Kontrolle von Gaza fortsetzen müssen. Tatsächlich sollten wir uns in unseren Häfen auf eine neue, spiegelbildliche „Exodus“ vorbereiten, auf eine „Exodus from Gaza 2023“.

Quelle
https://de.wikipedia.org/wiki/Exodus_(Schiff)

 

(2023/62) 20.11.2023
DIE WELT
Gaza-Krieg; Kommentar „Das Spiel der Hamas“ von Philip Volkmann-Schluck (DIE WELT v. 20.11.2023, S. 1)

Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit wird das Spiel der Hamas nicht aufgehen, soweit es um eine auch nur minimale Erweiterung der palästinensischen Autonomie geht, ganz im Gegenteil.

Sodann könnte für uns ein Gedankenexperiment Realität werden: Von Gaza-Hafen legen Schiffe mit einigen Tausend palästinensischen Frauen und Kindern ab, die in der Region realistischerweise keine sichere Zukunft sehen – spiegelbildlich sozusagen zur legendären „Exodus“. Die Gretchenfrage an uns: Würden wir unsere Häfen öffnen? Und dort auf Internierungslager verzichten?

Quelle
https://de.wikipedia.org/wiki/Exodus_(Schiff)

 

(2023/61) 20.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Gaza-Krieg; Jan Sternbergs Leitartikel „Zeichen der Hoffnung“ (KStAnz v. 20.11.2023, S. 4)

Es mag für Geiseln, für ihre Angehörigen und für die Zivilbevölkerung in Gaza kurzfristige Zeichen der Hoffnung geben; das medial hoch präsente inhumane Drama wird es erzwingen. Aber eine auch nur mittelfristige politische Lösung des Konflikts, die Gewaltzyklen ausschließen könnte, bleibt aus meiner Sicht höchst unwahrscheinlich.

Saul Friedländer ist ein langjähriger kritischer Beobachter der israelischen Siedlungspolitik. In seinem diesjährigen israelischen Tagebuch „Blick in den Abgrund“ zitiert er allerdings eine sehr schwer widerlegbare These der politischen und religiösen Rechten gegen jede Zwei-Staaten-Konstruktion: Gerade bei einer Teil-Autonomie der Westbank und des Gazastreifens hätte sich der islamistische Terrorismus explosiv entwickelt; nur eine fühlbare militärische Besatzung garantiere Kontrolle und Sicherheit. Genau das beschreibt das Dilemma: Den Mut, eine volle palästinensische Staatlichkeit auszutesten, kann und wird heute kein israelischer Politiker aufbringen. Und der zitierte „Blick in den Abgrund“ datierte immerhin noch vor der bestialischen Attacke vom 7.10.2023.

Unabhängig vom Verlauf etwaiger Verhandlungen sollten wir einen Schritt weiterdenken: Gaza ist nun in wesentlichen Teilen Trümmerwüste und definitiv kein Ort, um zwei Millionen Menschen ohne große Opfer über den Winter zu bringen - gleich ob ohne oder mit Wasser, Strom oder Öl. Viele Mütter werden dort nur einen Gedanken hegen: „Weg von hier!“ Ich denke, Schiffe wie die „Exodus“ werden bald von Gaza-Hafen ablegen. Dann sollten auch wir sie aufnehmen.

 

(2023/60) 14.11.2023
Süddeutsche Zeitung
Verteidigungspolitische Richtlinien 2023; Heribert Prantls „Friedenstüchtig“ (Ausgabe v. 10.11.2023, S. 5)

Zustimmung von ganzem Herzen zu Heribert Prantls „Friedenstüchtig“: Deutschland hat seit nun 30 Jahren wieder überaus tüchtig an Kriegen teilgenommen, mit scharfem Schuss. Hat einige tausend Tote zumindest mitverursacht und in Kundus gar ein Inferno zu verantworten, das in seiner menschenverachtenden Anlage einer Napalm-Attacke gleichkam.

Bei der Mehrzahl der Einsätze war das einzig Bleibende nachhaltiges menschliches Leid, gerade auch in Afghanistan. Wer nach all diesen Lektionen des Lehrmeisters Krieg noch weitere – künftig zu entwickelnde – deutsche Kriegstüchtigkeit verlangt, der macht mir Angst, dies sicherlich auch anderen Menschen dieser Welt. 

Vor der Neuauflage der Verteidigungspolitischen Richtlinien mit solchem Aplomb hätte ich eine tüchtige demokratische Rechenschaft gewünscht. Über diese raumgreifende Phase auswärtiger Gewalt, die mit den Einsätzen in Somalia und an der Adria begann und die nun im Wesentlichen sang- und klanglos abgekündigt wird.

 

(2023/59) 7.11.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Gaza-Krieg; in der Ausgabe v. 1.11.2023 auf S. 24 abgedruckter Leserbrief von Herrn Dr. Schimmelpfennig aus Frechen

Ein am 1.11.2023 abgedruckter Leserbrief beschreibt m.E. sehr hellsichtig das nach dem Verlauf der Kampfhandlungen heute wahrscheinlichste Szenario: Der Gaza-Streifen wird von Nord nach Süd geräumt. Danach wird Israel an dieser Stelle höchstens eine kleine, militärisch nicht gefährliche Bevölkerung dulden und Orte maximal im Zuschnitt von Dörfern.

Die weiteren Folgerungen des Leserbriefs – diejenigen zur wünschenswerten Ansiedlung von Palästinensern etwa in Jordanien oder auf der Westbank – die halte ich allerdings für sehr, sehr unrealistisch. Wenn Israel keine fortlaufend wiederholten Gewaltausbrüche provozieren will, dann kommen für ein bis zwei Millionen dislozierter Palästinenser weder das von Flüchtlingen bereits stark belastete Jordanien noch die Westbank in die nähere Wahl. Nüchtern betrachtet sollte sich Europa auf einen weiteren massiven Zustrom vorbereiten. Und das wäre nicht einmal unverdient, wenn man sich die eigentlichen Ursachen der hoch toxischen Lage im früheren Palästina klar macht.

 

(2023/58) 31.10.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Nahost; Thema des Tages in der Ausgabe v.30.10.2023 (Interview vom Daniela Vates mit Stefan Meister „Ziel ist immer, die USA zu schwächen“ und zum Artikel von Daniela Vates „Die Welt ist nicht genug“, S. 1 u. 2)

Die Überschrift des Interviews mit Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik darf man generalisieren: Alle größeren Staaten belauern sich höchst argwöhnisch und versuchen, mit offenen ebenso wie mit verdeckten Operationen zu punkten. Oder: Punkte der anderen Seiten zu verhindern. Das große Spiel ist heute höchstens nochmals unübersichtlicher geworden. „Spy & Spy“ hat sich heute um einen dritten fernöstlichen Kollegen erweitert; alle aber sind in Professionalität, Kaltblütigkeit und Wertorientierung völlig austauschbar, soweit es das jeweilige Staatswohl nahelegt.

Zu Recht erinnert Stefan Meister an Instabilitäten, die zumindest auch auf das Konto des Westens gehen, gerade in Afghanistan. Billy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat das i.J. 1998 erstaunlich offen bekannt, in einem Interview mit dem Pariser Nouvel Observateur: Das Erstarken des afghanischen Islamismus, wenn auch durch geheime US-Waffenlieferungen, sei doch unbedeutend gegen den  folgenden Zusammenbruch des Sowjetreichs. Wohlgemerkt lag dieses nassforsche und ein wenig eitle Statement noch vor Nine-Eleven. Eine weitere fatale Fehlkalkulation war etwa der i.J. 1953 vom englischen und amerikanischen Geheimdienst angezettelte Putsch gegen den gewählten iranischen Präsidenten Mossadegh – zum Nutzen der Anglo Iranian Oil Company, später British Petrol. Und zum Schaden einer ganzen Region, mit bedingten Reflexen bis heute.

P.S.:
Bitte verstehen Sie dies nicht als wohlfeilen „
Whataboutism“. Allerdings bewerte ich die Situation in Israel/Palästina und in der Ukraine als ein massives Versagen der (oder eines Verzichts auf) Diplomatie beider Seiten, als ein sehr langjähriges bloßes „Administrieren“ hochbrisanter Gruppen-Konflikte. Hatte ich vor 30 Jahren die Geschichte noch als lernenden Prozess mit einem zumindest leicht aufwärts gerichteten Vektor betrachtet, so sehe ich heute ein zyklisches Muster iterativer Gewaltexzesse – bei immerhin derzeit noch gedämpften Wirkungen für meinen persönlichen Nahbereich. Wenn ich ferner versuche, das seit 1992 in Auslandseinsätzen der Bundeswehr erweiterte militärische Engagement Deutschlands zu bilanzieren: Dann sehe ich wenige dauerhafte Fortschritte, sei es bei der Durchsetzung von Menschenrechten oder bei der Verbesserung der Lebenschancen. Eher fällt mir die häufige Begründung mit Bündnistreue oder Bündnisfähigkeit auf; für mich sind das indessen eher Sekundärtugenden. Ich denke nicht, dass unsere Politik eine Blaupause für weniger entwickelte Staaten sein sollte – oder dort in der Realität mehrheitlich als solche akzeptiert wird.

Quellen zum Leserbrief etwa:

Das zitierte Interview des Nouvel Observateur mit Zbigniew Brzezinski aus dem Januar 1998 findet sich im Originaltext u. deutscher Übersetzung hier: https://uliswahlblog.blogspot.com/2013/08/isaf-und-der-3-juli-1979.html

In Deutschland eher unbekannt ist heute die „Operation Sommerregen“, bei der auch deutsche Dienste ab Mitte der Achtziger Jahre mit afghanischen Mujaheddin kooperierten, m:E. eindeutig außerhalb unserer Verfassung: https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Sommerregen_(Bundesnachrichtendienst)  

 

(2023/57) 26.10.2023
RGA / Volksbote, abgedruckt 28.10.2023
Stadtentwicklung; Nadja Lehmann „Engel der Kulturen fordert Frieden ein“ (Ausgabe v. 21.10.2023, S. 23)

Bei manchen Elementen des Burscheider Integrierten Entwicklungs- und Handlungskonzepts stellt sich ja einigen Bürgerinnen und Bürgern nachhaltig die Sinnfrage – oder die Frage nach Art. 9 des Rheinischen Grundgesetzes. Umso erfreulicher, dass zu guter Letzt noch das Projekt „Engel der Kulturen“ der hiesigen Künstler Carmen Dietrich und Gregor Merten Eingang fand. Und viele, insbesondere viele junge Menschen aus Burscheid haben es am 20.10. auf dem Alten Friedhof stimmungsvoll eingeweiht. So, wie es sich dort nach Osten ebenso wie nach Westen öffnet, ist es ein sehr hoffnungsvolles und heute leider auch bitter notwendiges Symbol.

Es wird sicher auch dann noch stehen und weiter wirksam sein, wenn – zu einem derzeit noch ungewissen Zeitpunkt – das anfängliche Ziel unseres Handlungskonzepts angenähert ist: Nämlich die Burscheider Hauptstraße in ihrer ganzen Ausdehnung zu beleben, also auch hinunter bis zum historischen Siedlungskern an der evangelischen Kirche.

Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Rheinische_Grundgesetz
Artikel 9: Wat soll Kwatsch/Käu?

Projekt „Engel der Kulturen“
https://www.engel-der-kulturen.de/

 

(2023/56) 13.10.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Nahost; Kommentar von Sven Christian Schulz „Scholz speist mit dem Helfer der Hamas“ und zum Gastbeitrag von Werner Sonne "Der Angriff wird Israel verändern" (Ausgabe v. 13.10.2023, S. 4)

In der biblischen Landschaft gibt es keine einfache Ethik, nicht nach muslimischem, nicht nach jüdischem Verständnis. Und schon gar nicht nach christlicher Weltsicht. Die schlichte Wahrheit und Ursache für die schlimmer denn je aufgeflammten Gräuel ist: Alle hochgestellten Akteure einschließlich derjenigen aus den Golfstaaten, Europa und den USA haben sich einer selbst betrügenden Ruhe hingegeben, haben einen kontinuierlich tief einschneidenden Konflikt um Land und Zukunft „clever“ verwaltet, niemals auch nur in Ansätzen gelöst. Eher haben sie die Grenzen zum eigenen Vorteil kühn ausgetestet. Kurz gefasst: Sie haben versagt - und am Ende auch noch an der Aufklärungs-Front.

Fatalerweise kann die sicher bereits eingepreiste militärische Reaktion an dem strukturellen Übel kein Jota ändern: An einer weiteren Generation der todesverliebten jungen Männer zwischen ca. 15 und 25 Jahren, die am besten in Pankaj Mishras Analyse „Age of Anger“ charakterisiert sind. Die auch jederzeit und überall ohne ein Markenzeichen wie „Hamas“ auskommen. Ich unterstütze daher den Kanzler, wenn er versucht, Schlimmeres abzuwenden. Und dies gerade nicht wegen etwaiger Energielieferungen.

 

(2023/55) 11.10.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT =
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/10/12/5-oktober-2023-ausgabe-42/
Auflösung von Bergkarabach; Artikel „Ihre Heimat gibt es nicht mehr“ von Andrea Jeska (Ausgabe No. 42 v. 5.10.2023, S. 4)

Es bleibt irritierend: Für Monate oder gar Jahre hatte Covid die ersten Seiten unserer Medien und Sinne dominiert, dann natürlich der Einfall der Russen in die Ukraine. Aber eine veritable ethnische Säuberung wie die nun offen finalisierte Vertreibung der Armenier aus jahrhundertealten Siedlungsgebieten in Bergkarabach, das geht mit unserer minimalen Erregung einher.

Oder mit zusätzlicher Empörung über die Russen, weil diese den Armeniern nicht den gebotenen militärischen (sic!) Beistand geleistet hätten. Wie stünde es dagegen mit etwaigen ökonomischen Strafmaßnahmen gegen die aserbaidschanische Elite, um einen ethnischen Komment zu fördern? Diese verbieten sich offenbar ebenso selbstredend. Denn für die Staatsräson darf unsere Außenpolitik schon mal energie- oder realpolitisch motiviert sein und nicht ausschließlich wertegeleitet. Das Risiko bleibt halt: Die Staaten des globalen Südens zweifeln mehr und mehr an der ethischen Verlässlichkeit des Westens. Oder verzweifeln daran. So sehr, dass sie sich etwa dem wachsenden BRICS-Konglomerat zuwenden.

Danke immerhin für Ihre persönliche Vor-Ort-Berichterstattung!

 

(2023/54) 20.9. 2023
DIE WELT
Sicherheitspolitik; Kommentar „Kluge Realpolitik“ von Klaus Geiger (Ausgabe v. 20.9.2023, S. 7)

Eine kluge Realpolitik weiß: Mit Glaubensdingen und mit Feldzeichen ist in der wirklichen Welt wenig anzufangen. Und gerade eine Handelsnation tut gut daran, ihre Einkäufe und Verkäufe nicht an Bekenntnisse zu binden. Diese wechseln nach aller Erfahrung schneller als die Farben der Krawatten.

 

(2023/53) 12.9.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht 15.9.2023 im Internet-Angebot der ZEIT =
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/09/14/7-september-2023-ausgabe-38/
Ukraine; Interview von Stefan Willeke mit Anon Hofreiter „Panzer-Toni ist kein schöner Spitzname“ (Ausgabe No. 38 v. 7.9.2032)

Hofreiters Zerrissenheit mag stellvertretend für die gesamte Regierung stehen – mit Ausnahme vielleicht der FDP, die mit dem Zustand der Welt am sorglosesten umging und umgeht. Die Bündnisgrünen aber und wesentliche Teile der SPD: Zur falschen Zeit am falschen Platz erwischt; ungewollt Schulter an Schulter mit der Waffenlobby oder den Schafzüchtern. Und vielleicht auch deshalb mit besonderer Inbrunst an der Seite der ukrainischen Regierung, weil das Afghanistan-Projekt so jämmerlich und schimpflich gescheitert war. Parole: "Schwamm drüber!".

Dies zeigt das Dilemma wohl am deutlichsten: Es gibt auch keinen eigenen Plan, was das friedliche Zusammenleben der Ethnien, Sprachen und Kulturen in der Ukraine nach Ende der Kampfhandlungen angeht, früher oder später. Und mit dem sehr realen Risiko, dass es dann auf eine selbstgewisse Reinigung hinausläuft. Und auf einen NATO-Stützpunkt auf der Krim.

 

(2023/52) 5.9.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Deutsche E-Mobilität; Beitrag „Aufholjagd der Autobauer“ von Frank-Thomas Wenzel (Ausgabe v. 5.9.2023, S. 7)

Man fühlt das Unheil förmlich herankriechen, wenn deutsche Autobauer unbeirrt über Premium, Anmut und Markenerbe schwadronieren. Nur: Ein am Weltmarkt gut zu platzierendes E-Auto, wie könnte es denn heute aussehen: Klein, leicht, hochgebaut, spartanisch-sportlich, knuffig, energieeffizient – für 95% der jährlichen Transportwege „just in size and costs“. 

Bei deutschen Autobauern hochgebaut sind allenfalls die Manager-Nasen. Ein Markenerbe kann sicher auch eine schwere Last sein – und das deutsche automobile Erbe mag bei einem „Weiter so!“ genauso schnell dahinbleichen wie der ehedem glorreiche britische Nachlass. Es ist heute fast vergessen: Groß geworden sind wir mal mit Kleinwagen, mit Maßhalten und mit einem sicheren Gefühl für Bedarfe.

P.S.:
Seit nun bald zwei Jahren fahre ich mit hoher Zufriedenheit einen
Dacia Spring, hergestellt vom Lastwagen-Bauer Dongfeng in Wuhan. Der Spring ist sauber verarbeitet, kommt mit einer achtjährigen Batterie-Garantie und entspricht dem o.g. Lastenheft.

 

(2023/51) 4.9.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 7.9.2023
Ukraine; Kommentar „Kriegszeiten keine Wahlzeiten“ von Jan Sternberg (Ausgabe v. 4.9.2023, S. 4)

Das sehe ich völlig anders. Wir sollten Wolodymyr Selenskyj im Gegenteil ermutigen, etwaige Hindernisse abzubauen und die anstehenden turnusmäßigen Wahlen zu realisieren. Die sehr wahrscheinliche Bestätigung der Regierung ist dabei von geringerer Bedeutung. Viel wichtiger ist die Konkurrenz der politischen Kräfte des gesamten politischen Spektrums um Strategien für die mittel- und langfristige Koexistenz der Gruppen, Sprachen und Kulturen der Ukraine, nicht zuletzt als Signal für äußere Unterstützer und Gegner.

Denn darin läge offenbar ein eklatanter Widerspruch: Wir unterstützen aktiv die Fortführung des Krieges – für weitere Monate, vielleicht für Jahre. Damit würden wir gleichzeitig den nach demokratischer Grundauffassung zentralen Prozess zur Legitimation exekutiven Handelns aussetzen helfen, eben die Wahlen. Wir würden damit die ununterbrochene Legitimationskette in Frage stellen, die selbst schwerste Eingriffe in fundamentale Menschenrechte, darunter etwa das Töten im Kriege, rechtfertigen kann.

Selbstverständlich existiert auch kein Naturrecht für Regierungen, während eines Krieges die eigene Amtszeit automatisch zu verlängern. Zwar hatte Großbritannien während des 2. Weltkriegs tatsächlich die Wahl ausgesetzt, aber in den USA wurde am 7.11.1944 gewählt. Letzte Anmerkung: Hätte die westlich orientierte afghanische Regierung in den letzten zwanzig Jahren keine Wahlen organisiert, wir hätten dies zu Recht als Schwäche ausgelegt.

Quellen etwa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Legitimationskettentheorie
https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_den_Vereinigten_Staaten_1944

 

(2023/50) 1.9.2023
Kölner-Stadt-Anzeiger
Ukraine; André Ballin und Andrej Schenk „Verzichtet die Ukraine auf die Krim?“ (Ausgabe v. 29.8.2023, S. 5)

Nachdenken über eine Verhandlungslösung für die Krim ist ein Lichtblick, wenngleich noch kein großer. Denn das von Wolodymyr Selenskyj als Voraussetzung beschriebene Szenario – ukrainische Truppen sind kampfstark bis zu den Verwaltungsgrenzen der Krim vorgerückt – das ist von der Realität um viele brutal blutige Verdun-Jahre entfernt. Nüchtern betrachtet befreit man hier ein Dorf unter großen Opfern und dort wird eines blutig wieder zurückerobert, an einer beiderseits massiv befestigten Kampflinie. Aber zu überlegen, dass es eine demilitarisierte Krim geben könnte, dann auch, wie dort die Ethnien und Sprachen koexistieren könnten – das lässt mich an in der Struktur ähnliche Modelle wie Südtirol und die Schweiz denken: Nicht befestigter Vorposten und Sackgasse, sondern Verbindung und ein stetiger Durchfluss von Menschen und Waren, von dem viel hängen bleibt.

Eine andere Stelle im Interview von Natalija Mosejtschuk mit Wolodymyr Selenskyj fordert uns selbst, mit der Kernkompetenz freier demokratischer Staaten: Auf Nachfrage zeigte sich der Präsident skeptisch hinsichtlich der turnusmäßig anstehenden Wahlen. Er will auch keine Rüstungsgelder für teure Wahlen zweckentfremden. Darum muss genau das unsere nächste Zuwendung sein: Zweckgebundene Zuschüsse für die anstehenden Wahlen und das Angebot, die Ukraine auch bei der Durchführung so gut als möglich zu unterstützen.

 

(2023/49) 31.8.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine; Reinhard Veser „Kampf an vielen Fronten“ (F.A.Z. v. 29.8.2023, S. 2)

Zwei Stellen im Interview von Natalija Mosejtschuk mit Wolodymyr Selenskyj scheinen mir besonders anregend und zukunftsträchtig:

Zum einen die Frage nach demokratischen Wahlen. Das ist ein wunder Punkt. In einem 2022er ZDF-Interview hatte der Präsident betont, er sei in Friedenszeiten gewählt und im Krieg zu einem Symbol geworden, auf das sich die Ukrainer nun verließen. Er weist nun – gar nicht zu Unrecht – noch darauf hin: Während eines Krieges seien unanfechtbare Wahlen halt schwer zu organisieren; er wolle auch keine für die Rüstung bestimmten Geldzuwendungen des Westens für Wahlkosten zweckentfremden. Aber das führt schnell in ein Paradoxon: Der Westen gründet die Legitimität seiner Staaten auf Wahl als zentralen Prozess – und der Westen liefert Waffen gegen einen Angriffskrieg, gerade weil er die ureigene Entscheidung der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht hinterfragen oder durch eigene Interessenpolitik ersetzen will. Dann aber dürfen gerade jetzt demokratische Prozesse nicht hinausgeschoben werden. Auch wir sollten für eine verantwortungsvolle Position objektivieren können, etwa welche künftige Ethnien- bzw. Sprachenpolitik in der Ukraine mehrheitsfähig wären, was dann auch etwaigen Verhandlungen für einen neuen regionalen Kompromiss zugrunde gelegt werden könnte.

Die zweite Stelle betrifft die Krim und einen nun nicht nur militärischen, sondern einen gegebenenfalls auch diplomatischen Lösungsansatz. Der müsste aber unweigerlich mit einer tragfähigen Ethnien-Politik zusammenhängen. In einer längeren Sicht ist die Ukraine gar nicht grundsätzlich verschieden von anderen multiethnischen Regionen. Ein Simile der Ukraine sind heute Südtirol oder gar die Schweiz, vor dem zweiten Weltkrieg waren es etwa einmal das Sudetenland oder Siebenbürgen. Südtirol und die Schweiz hatten die Chance, aus Diversität ein Geschäftsmodell zu formen und aus ehemaligem Grenz- und Hinterland gut dotierte Halbleiterschichten, die starke Ströme zum Aufbau nutzen konnten. Das sollte einer klugen Diplomatie auch mit der Krim und der Ostukraine gelingen – man müsste nur von beiden Seiten befreien, entspannen und aufbauen. Vielleicht hat der Präsident hier sogar ein Zeichen der Hoffnung gesetzt. Wenn man es geschickt anstellt, würde sogar ein China, das unverletzliche Grenzen als historisches Dogma ansieht, für den Verbleib einer entspannten Krim im ukrainischen Staatsverband stark machen.

P.S.
Eine interessante Quelle, die auch zeigt, dass wir viel zu wenig wir über das aktuelle Meinungsbild zu einer multi-ethnischen Ukraine wissen:
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/338102/analyse-multiple-identitaeten-und-einstellungen-gegenueber-der-ukrainischen-ethnopolitik-ergebnisse-einer-bevoelkerungsumfrage/

 

(2023/48) 21.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Standort Deutschland; Kommentare „Regieren gegen die Angst“ von Carsten Fiedler und „Wenig Grund zum Feiern“ v. Jan Sternberg (Ausgabe v. 21.8.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:

Wir sollten nicht auf Krankenschwestern oder Ingenieure schielen, die wir aus anderen Ländern abwerben könnten. Ganz im Gegenteil sollten wir mehr hierzulande qualifizierte Fachkräfte werbewirksam in die Welt schicken können. Und unter den energieintensiven Industrien und Technologien sollten wir diejenigen kultivieren, die der Welt Nachhaltigkeit und mehr Zukunft verkaufen können. Viel Metall und schwere Panzer gehören möglicherweise nicht in ein solches Zielspektrum; sie könnten uns eher tiefer in den Sumpf reiten.

Nach Münteferings Diktum ist das Leben in der Opposition zwar „Mist“. Nur mag man sich in der Opposition heute geradezu glücklich schätzen und den Ball gerne flach halten – angesichts vieler Problemstellungen, zu denen eine allseits beglückende Lösung nicht direkt in Sicht ist. Aber gerade das wäre doch die Gelegenheit für oppositionelle Konzepte im Austausch mit den Bürger*innen. Etwa für barrierefreie und durchlässige Karrierewege. Und gegen Klimatrotz. Fordern statt verwöhnen.

 

(2023/47) 15.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Afghanistan; Kommentar "Mehr Realismus!" von Markus Decker in der Ausgabe v. 15.8.2023

Meine volle Zustimmung! Schon bei der Kindererziehung erreicht man wenig bis nichts mit Frontalunterricht, Zwang und überlegener Rhetorik - dann bei Erwachsenen aus anderen Kulturkreisen noch viel weniger. Der entscheidende Trick ist, so auch in der hohen Diplomatie: das leuchtende Vorbild. Gerade daran hat es in den letzten Jahrzehnten doch arg gefehlt, seit Beginn der zu oft grob misslungenen Einsätze "mit scharfem Schuss" - bekanntermaßen auch während und nach der Operation ISAF.

Dabei könnte man durchaus zurückfinden zu unserer traditionellen Neugier für das Morgenland und könnte dabei sogar Erstaunliches entdecken und lernen, etwa einen stärker an Nachhaltigkeit und Gemeinnutzen orientierten Eigentumsbegriff. Wie er sich eben leichter in bereits ariden und semiariden Regionen entwickelt.

 

(2023/46) 14.8.2023
RGA / Burscheider Volksbote, abgedruckt 15.8.2023
Burscheider Bewegungsparcours; Nadja Lehmann: „Streit geht weiter – Anwohner nehmen Einladung nicht an“, Bericht v. 14.8.2023

Der Trimmparcours an der Balkantrasse ist sicher sehr gut gemeint und ist eine interessante, für verschiedene Nutzergruppen attraktive Installation. Allerdings ist er ganz unbestritten hinsichtlich des möglichen Geräuschpegels nicht wirklich ausgereift. Und die Standortwahl – drei Meter hinter den gartenseitigen Balkonen der neuen Wohnbebauung – sie ist gerade kein Vorbild für transparente und partizipatorische Planung bzw. für das frühzeitige Einbinden der Betroffenen auf Augenhöhe.

Das sollte unverzüglich nachgeholt werden. Aus meiner Sicht sollten die Vereine auch von sich aus schon einmal darauf verzichten, an Wochenenden in Rudeln zum angeleiteten Workout aufzulaufen. Zum Sport gehört auch etwas Ritterlichkeit. Und das am Freitag versprochene Ausschütten des Glückshormons Serotonin kann durch das gute Gewissen, anderen gerade nicht schmerzhaft auf die Füße zu treten, nur vermehrt werden.

 

(2023/45) 13.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, Lokalausgabe Leverkusen, abgedruckt 23.8.2023
Stadtentwicklung; Ralf Krieger „Man überlässt die Stadt den Investoren“ (Lokalausgabe Leverkusen v. 11.8.2023, S. 23)

Volle Zustimmung: Leider gibt es ein sehr spezielles und höchst fruchtbares Biotop aus staatlichen Fördertöpfen, gut vernetzten Lobbyisten der Bauwirtschaft, der Architekten, der Stadtplaner und der Investoren. Es ist prinzipiell an dem schönen alten chinesischen Motto "Viel hilft viel" orientiert. Und es führt zu Planungen, die nicht notwendig primär am Bedarf der Bürger*innen orientiert sind. Solche Projekte, gerade wenn sie groß und komplex sind, winken dann die lokalen Gremien gerne einmal durchgewinkt. Typischerweise schwören sich die Fraktionen auf einen möglichst einigen, möglichst schlanken und möglichst Bürger*innen-armen Prozess ein. No more checks, no more balances eben, das zeitweilige Ende der kommunalen Demokratie.

Es gäbe einen Weg, der die beschriebenen Wirkungen ein wenig erden kann. Leider ist er trotz vieler überzeugender Ergebnisse wenig bekannt und auch bei den „Profis“ wenig beliebt: Das sind die – sogar im Bergischen entwickelten – Bürgergutachten oder Planungszellen.

Quellen etwa:
Bürgergutachten oder Planungszellen in einem guten Überblick bei Wikipedia

 

(2023/44) 7.8.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Afghanistan; Can Merey in der Ausgabe v. 7.8.2023, S. 9 („Wie vom Paradies in die Hölle gekommen“)

Zur Wahrheit gehört leider auch: Zumindest was die Rechte der Mädchen und Frauen betrifft, herrschten in größeren afghanischen Städten bereits zur Zeit der sowjetischen Besatzung vergleichbar paradiesische Zustände. 

Damals haben die USA allerdings erfolgreich mit den tödlich militanten Mujaheddin paktiert, um den Systemgegner Russland zu schwächen. Bezeichnend ist eine Äußerung des früheren US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzesinski in einem Interview mit dem Pariser Nouvel Observateur. Brzezinski war – wohlgemerkt vor Nine Eleven – gefragt worden, ob diese Waffenbrüderschaft nicht zu einer Stärkung des militanten Islamismus geführt habe. Und hatte brüsk geantwortet: „Was ist in der Weltgeschichte am wichtigsten? Die Taliban oder der Zusammenbruch des sowjetischen Weltreichs? Ein paar erregte Islamisten oder die Befreiung von Mitteleuropa und das Ende des Kalten Krieges?“

Im großen Spiel ändern sich Prioritäten und Feindbilder recht schnell, ebenso der Stellenwert von Menschenrechten. Und bei Licht betrachtet: Der Kalte Krieg ist nicht dauerhaft beendet und der Westen hat viel mehr erbitterte Feinde als zuvor.

P.S.
Die französische Urfassung des Interviews und (m)eine deutsche Übersetzung finden sich etwa hier:  
http://uliswahlblog.blogspot.com/2013/08/isaf-und-der-3-juli-1979.html

 

(2023/43) 10.7.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Belieferung der Ukraine mit Streubomben (Bericht v. AFP: „USA wollen Kiew Streubomben liefern“; Kommentar von Steven Geyer „Die Mittel des Bösen“, KStAnz v. 8.7.2023, S. 1 u. 4):

Es ist ein typisches Muster von Kriegen und Konflikten, die bereits festgefressen sind: Den Knoten will man doch endlich durchschlagen, mit zunehmend unkonventionellen Mitteln. Etwa im Ersten Weltkrieg, als Carl Duisberg erfolgreich den Einsatz von „Kampfgasen“ propagierte, auch um die „Blutpumpe“ oder „Knochenmühle“ von Verdun beenden zu können. Im Zweiten Weltkrieg – mit Wunderwaffen und Flächenbombardierungen gegen zivile Ziele, schließlich mit dem Einsatz einer Uran- und einer Plutonium-Bombe gegen zwei vorher praktisch ausgesparte japanische Städte. In Vietnam – mit Agent Orange und Napalm. Auf dem Balkan – mit Streubomben und der besonders durchschlagkräftigen Uran-Munition. Auch der verheerende Luftschlag von Kundus i.J. 2009 folgte dem Muster einer eskalierenden Brutalisierung – hoffte man doch in einer bereits eingeigelten Situation der deutschen Einsatztruppen die Initiative gegenüber dem Taliban-Aufstand zurück zu gewinnen, mittels eines gigantischen Molotov-Cocktails. Oder halt: mit der Brechstange.

Im Grunde markieren solche Umstände den allerletzten Zeitpunkt, um in unkonditionierte Verhandlungen einzutreten, sofern wir nicht den Anspruch einer wertegeleiteten Außen- und Sicherheitspolitik des Westens auf Jahrzehnte aufgeben wollen. Und auch Kiew kann nun gewinnen, wenn es darauf hinwirkt, seine eigene „Blutpumpe“ oder „Knochenmühle“, die taktisch in Vielem der Situation um Verdun ähnelt, so schnell wie möglich zum Stocken zu bringen. Und zwar durch Verhandlungen, wie sie derzeit sogar mit ukrainischem Dekret verboten sind.

 

(2023/42) 17.6.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, Lokalausgabe Rhein-Wupper
Burscheider Stadtentwicklung; Peter Seidel: „Große Pläne für die Montanusstraße“ (Lokalausgabe Rhein-Wupper v. 15.6.2023, S. 36)

Vielleicht wird die kommerzielle Stimmung im Burscheid von 2026 nicht ganz so aufgeräumt sein wie im Stadtentwicklungsausschuss vom 13. Juni: Ein Drogeriemarkt, der voraussichtlich mit einem systemgleichen Markt in Rufweite konkurriert, gleichzeitig mit einer Apotheke im gleichen Haus und deren Schönheits-Segment. Einer Apotheke, die ihrerseits eine bereits gut etablierte Konkurrenz quer über die Straße vorfindet. Dazu ein Vollsortimenter, der laut aktuellem Markt-Verträglichkeits-Gutachten für unser bereits überdurchschnittlich versorgtes Städtchen etwa so notwendig ist wie ein Kropf.

Sind das gute große Pläne? Irritierenderweise könnte sich realisieren, was bereits das Integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzept von 2016 auf S. 158 nüchtern voraussagte: Die Entwicklung des Areals an der Montanusstraße werde „auch mit einem SB-Markt nicht auskömmlich“ sein. Die Kosten werden wir langfristig über gesteigerten Konsum und/oder sinkende Gewerbesteuer abtragen. Denn irgendjemand muss für eine fehlgeleitete Allokation zahlen.

Quelle:

IEHK Burscheid 2025 = https://www.burscheid.de/fileadmin/user_upload/redakteure/Bauen_und_Wohnen/IEHK/IEHK_2025_Konzept.pdf, siehe dort – wie oben wörtlich zitiert – auf S. 158 a.E.

 

(2023/41) 16.6.2023
RGA/Volksbote, Lokalausgabe Burscheid, abgedruckt 20.6.2023
Burscheider Stadtentwicklung; Susanne Koch: „Verträge mit Edeka und DM sind geschlossen“ (Lokalausgabe Burscheid v. 15.6.2023, S. 21)

In der insgesamt sehr kameradschaftlichen Atmosphäre des Stadtentwicklungsausschusses am 13.6.2023 hätte aus meiner Sicht eine Unterlage deutlich mehr Aufmerksamkeit und Diskussion verdient, und zwar die mit Stand 2022 aktualisierte städtebauliche und raumordnerische Verträglichkeitsanalyse gemäß § 11 der Baunutzungsverordnung, dort insbesondere die Seite 37. Zu Angebot und Nachfrage steht da ein klares „thumbs down“ sowohl für einen weiteren Lebensmittelvollsortimenter als auch (!!!) für einen Drogeriemarkt. Sprich: Es ist nach diesen Kriterien kein zusätzlicher Bedarf zu erkennen, im Gegenteil eine Marktsättigung. Die Folgen dürften sich schnell bei den Margen der bisher vernünftig aufgestellten Konkurrenz und damit beim Gewerbesteueraufkommen zeigen, zumal die Neuankömmlinge auf Jahre ihre Ersteinrichtung abschreiben können.

Darum wäre Burscheid an dieser Stelle mit einer reinen innenstadtnahen Wohnbebauung offenbar deutlich besser gedient gewesen. Vergessen wir's: Die Verträge sind lang geschlossen.

 

(2023/40) 9.6.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine: Sprengung eines Staudamms; Leitartikel von Eva Quadbeck „Putin ist jedes Mittel recht“ (Ausgabe v. 7.6.2023, S. 4)

Bisweilen ordnen wir einer Konfliktpartei ausschließlich das Gute zu, der anderen nichts als das Böse. So sehen wir es gerade hinsichtlich der Ukraine. Sehr ähnlich manichäisch war die Haltung vor recht genau 100 Jahren, als das Ruhrgebiet von Frankreich und Belgien besetzt worden war, um verzögerte Reparationsleistungen einzutreiben. Damals stand der Erb- und Erz-Feind halt im Westen. Das Ruhrmuseum in Essen dokumentiert diese Phase gerade hervorragend – u.a. mit zeitgenössischen Plakaten, die dem Nosferatu-Mottowagen des diesjährigen Kölner Rosenmontags um nichts nachstanden.

Für etwaige Friedensgespräche sollten wir ein Mindestmaß an Menschlichkeit auch dem anderen Lager unterstellen. Sonst wird das Risiko unkalkulierbar, dass wir bereits erlebte Entwicklungen wiederholen.

P.S.
Der Essener Ausstellungskatalog ist äußerst instruktiv und empfehlenswert, insbesondere die hervorragend bebilderten Kapitel „Das Plakat als Waffe“ und „‘Schwarze Schmach‘ und Ehre der Nation“, siehe auch die kurze Vorstellung im Netz =
https://ruhrmuseum.de/ausstellungen/aktuell/haende-weg-vom-ruhrgebiet-die-ruhrbesetzung-1923-1925

 

(2023/39) 24.5.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im
Internet-Angebot der Zeit am 26.5.2023
Kriegskommunikation der Ukraine; Anna Sauerbrey „Wir sagen jetzt Du“ (Ausgabe No. 21 v. 17.5.2023, S. 1“)

Danke für das offene Wort. Tatsächlich scheint heute recht belanglos, was an Präsident Selenskyjs Touren und Botschaften authentisch ist und was clevere Polit-PR. Kiew ist hip, und Moskau ist verkalkt, vergreist und verbittert, quasi im DOS-Modus steckengeblieben.

Egal ist wohl auch, was gerade man nicht sagt und selten fragt: Ob die ukrainische Elite ein Modell für die langfristige Koexistenz mit der großen Zahl ethnischer Russen in der Schublade hat. Oder wie Ukrainer und Russen selbst darüber denken. Ob man dauerhaft Front-Staatler und Minuteman sein will oder – was sich historisch ebenfalls anbieten würde – Mittler. Mit einem lockeren „Du“ für Ost und West.

 

(2023/38) 17.5.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
IGLU-Studie 2022; Bericht und Kommentar bzgl. der aktuell schlechten IGLU-Noten (Frank Olbert „Kinder haben Probleme mit dem Lesen“ und „Die Lernschwäche ist chronisch“, Ausgabe v. 17.5.2023, S. 1 u. 4)

Mit der Bitte um Nachsicht: Der erste Satz im ersten Artikel des Stadt-Anzeigers vom 17. Mai lautete: „Bildungsverbände und Politiker haben mit Sorge auf die Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), denen zufolge die Leseleistung deutscher Grundschüler deutlich schlechter ausfällt als vor 20 Jahren.“ Mit diesem leicht defizitären Satz hatten es die älteren Schreiber*innen den jüngeren Leser*innen nicht leichter gemacht.

Und auch wenn es heutzutage schmerzen mag, so zu denken: Als Mitursache fehlender Lese- und Schreibübung könnten wir auch eine fehlgeleitete Digitalisierung im frühen und frühesten Kindesalter verstehen, die dem Einüben von Gedächtnis und Konzentration abträglich ist.

 

(2023/37) 17.5.2023
Kölner Stadt-Anzeiger Regionalausgabe Rhein-Berg
Stadtentwicklung; Gebäuderiegel an der Friedrich-Goetze-Straße; Beitrag von Timon Brombach in der Ausgabe v. 15.5.2023, S. 25 („Klimaschützer kritisieren geplanten Gebäuderiegel“)

Der IEHK-Planungsprozess hat sehr viele Beteiligte mit materiellem Interesse. Hilfreich wäre, auch den schlüssigen Rat von nicht unmittelbar eingewobenen Experten wie vom B.U.N.D. zu beachten – zu den naheliegenden Folgen des kompakten Gebäuderiegels für das Klima einer Innenstadt, die fast lückenlos versiegelt ist und thermisch bereits recht belastet. Es geht gerade nicht nur darum, ob neue Gebäude je für sich aktuelle Energieauflagen erfüllen werden; das wird schon gelingen. Es geht hier um die ganzheitliche Betrachtung eines erweiterten Innenstadt-Ensembles und um die gebäudeübergreifenden Konsequenzen bei Aufheizung, Zirkulation und Zugerscheinungen.

Wünschen würde ich uns zudem: Ein sogenanntes Baugespann – ein Lattengerüst – nach guter alter Schweizer Sitte, um die Konturen und Proportionen der Lindwurm-Planung 1:1 im Raum erfahrbar zu machen, für jede und jeden. Dann wüsste Burscheid schon vor dem Anrühren des Zements, wie ihm geschieht. Und könnte noch etwas retten, auch für ein attraktives Stadtbild und für unsere Denkmalliste.

 

(2023/36) 16.5.2023
RGA Lokalausgabe Burscheid, abgedruckt 17.5.2023
Stadtentwicklung; Artikel von Nadja Lehmann „Gefährdet dieses innerstädtische Bauprojekt das Klima?“ (Lokalausgabe Burscheid v. 13.5.2023, S. 22)

Der Stadtentwicklungsausschuss sollte die in der Sondersitzung v. 11.5. vorgetragenen Bedenken ernst nehmen: Die Innenstadt ist bereits stark versiegelt; eine kompakte und großvolumige Barriere wird das wachsende Klimaproblem voraussehbar weiter verstärken. Egal, was immer man später an den Wänden und auf den Dächern anbringen mag. Und davon abgesehen: Das „Bergische Haus“ ist kein Gebäudezug. Die Bergische – und Burscheider – Siedlungsstruktur ähnelt eher einer Streuobstwiese als einer breiten und hohen Stadtmauer. Zudem würde dieser Riegel die im Stadtbild wichtige traditionelle Achse zwischen der Kirchen-Zeile, dem Seifahrt-Haus und der Mebus-Hötte, heute Freikirchliche evangelische Gemeinde, grob aufschneiden, dominieren bzw. überbauen.

Der angekündigte Bebauungsplan ist de facto die Einladung für ein groß aufgestelltes Unternehmen; davon wird die Stadt gar nicht mehr zurückkommen. Ganz im Sinne des arg breitbeinig geschriebenen IEHK: Mächtige Geschäfte, steile Rampen und nun noch ein kompakter Lindwurm. Das ist nicht die Stadtentwicklung, die mir heimatlich und bürgerbezogen erscheint.

Anm.:
Lesenswert ist etwa der Beitrag von Hella Nußbaum „Die Bergische Bauweise und ihre Renaissance um 1900“, in: Stefan Gorißen u.a. (Hrsg.), Geschichte des Bergischen Landes Bd. II, Das 19. Und 20. Jahrhundert (2016), S. 454ff; weitere Anm.: Das IEHK hebt unsere Beispiele Bergischer Bauweise sogar grundsätzlich als ein wichtiges und attraktives Burscheider Asset hervor, siehe S. 23 und speziell S. 65f (
https://www.burscheid.de/fileadmin/user_upload/redakteure/Bauen_und_Wohnen/IEHK/IEHK_2025_Konzept.pdf)

 

(2023/35) 28.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Evakuierung aus dem Sudan; Kommentar von Markus Decker „Erfolg für die Truppe“ (Ausgabe v. 27.4.2023, S. 4)

Weltinnenpolitik? Der schillernde Begriff hat uns schon zu Beginn der Neunziger beflügelt, die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik räumlich und sachlich zu entgrenzen – damals beseelt von Francis Fukuyamas „End-of-History“-Theorie. Um anderen Völkern dabei zu helfen, noch etwas schneller auf den Weg des Westens einzuschwenken, mit ein wenig auswärtiger Gewalt und auch mit dem von Einigen lange herbeigesehnten „scharfen Schuss“. Nüchtern gefragt: Wohin hat’s geführt?

P.S.:
Auch wenn es uns nicht so scheinen mag: „Rescue operations“ sind weder nach nationalem noch nach internationalem Recht zweifelsfrei, weder im „Ob“ noch im „Wie“ oder, daran ist es am leichtesten zu erkennen: „Ab wann genau?“ Die Rechtsquellen dazu kann man bestenfalls diffus nennen, siehe etwa
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/evakuierung-ohne-rechtsgrundlage zur Evakuierung aus Afghanistan.

Und eine „Weltinnenpolitik“ würde nach der Demokratie-Theorie zwingend eine globale bürgerliche Repräsentanz voraussetzen, der gegenüber die im Einzelfall handelnde „Welt-Exekutive“ rechenschaftspflichtig wäre („check and balances“) und deren abstraktes Regelwerk („rule of law“) sie einzuhalten hätte.

Es sei denn, wir wollten Akte der auswärtigen Gewalt – wie traditionell – als Deputat der Königsklasse verstehen, dem Willen und der Urteilskraft der laienhaft denkenden Bürger*innen weit enthoben, ähnlich den Naturgewalten.

Anm.: Ähnlich kritisch hatte es bereits Immanuel Kant beschrieben, in seiner immer höchst lesenswerten Schrift „Zum Ewigen Frieden“ v. 1795, im zweiten Abschnitt und ersten Definitiv-Artikel (siehe Reclam-Ausgabe der Erstauflage in der Reclam-Universalbibliothek Nr. 1501 auf S. 13; siehe auch hier im Volltext auf S. 14: https://oxnzeam.de/wp-content/uploads/2015/11/kant-zum_ewigen_frieden.pdf).

 

(2023/34) 26.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Evakuierung aus dem Sudan; Kommentar „Nur ein kleiner Erfolg“ von Daniela Vates (Ausgabe v. 25.4.2023, S. 4)

Es fällt schwer, daran vorbeizusehen: Unsere Welt ist deutlich unsicherer, misstrauischer und feindlicher geworden. Wir mögen das eine Herausforderung nennen, aber auch der Westen wird als raumgreifender Herausforderer gesehen, seit der Zeitenwende 1989. Und tatsächlich haben auch wir mit teils massiv gescheiterten militärischen Interventionen Teile des Nahen und des Mittleren Ostens und auch Afrikas destabilisiert, auf unabsehbare Zeit. Schwer kontrollierbare Ströme von Migranten und global vagabundierende Waffenflüsse sind markante Nebenfolgen.

Solange wir nicht unseren höchsteigenen Anteil an den dynamisch wachsenden Krisen nüchtern mit bilanzieren, solange werden wir diesen Negativ-Trend nicht wandeln. Sondern müssen symptomatisch therapieren, mit weiter zunehmenden rescue-operations wie in Tirana, Kabul oder Khartum – und hoffentlich jeweils insoweit mit Erfolg.

P.S. zum Ende des 2. Abs.:
Tirana = Operation Libelle am 14.3.1997, siehe etwa
https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Libelle

 

(2023/33) 26.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger Lokalausgabe Rhein-Wupper, abgedruckt 22.5.2023
Fahrrad-Klimatest 2022; Hans-Günter Borowski und Matthias Niewels „Schlechte Wege und Ampelphasen“ (Lokalausgabe Rhein-Wupper v. 26.4.2023, S. 25)

Burscheid kann schnell neue Punkte für den kommenden Fahrradklimatest einsammeln, und zwar in den zentralen Kategorien „Erreichbarkeit“ und „Sicherheit“: Einerseits durch eine nun endlich barrierefreie Anbindung der Balkantrasse an die Innenstadt – etwa fast höhengleich über die Montanusstraße. Andererseits mit einer funktionaleren Lösung für den bisher verwirrenden und nicht ungefährlichen Fahrrad-Slalom in der mittleren Hauptstraße – z.B. mittels einer durchgehend klar abgegrenzten Radspur.

 

(2023/32) 21.4.2023
RGA Lokalausgabe Burscheid, abgedruckt 25.4.2023
Kulturentwicklungsplan Wermelskirchen/Burscheid; Sabine Naber „Kultur schlägt einen gemeinsamen Weg ein“ (Volksboten-Ausgabe v. 20.4.2023, S. 21)

Eine wesentliche Wachstumsbedingung für eine gemeinsame Kultur wird neue Transparenz sein: Einerseits zu den beiderseitigen aktuellen Veranstaltungen, und zwar digital ebenso wie in ganz traditionellen, gut platzierten Schaukästen. Andererseits zu den Spielstätten, für die erleichterte Planung von Proben und Aufführungen, vielleicht auch zu gemeinsam nutzbarem Equipment.

Gut: Es wird weiter lokale Interessen geben und Wettbewerb soll  auch sein, aber eben auch das arbeitsteilige Ergänzen zu einem größeren und nachhaltigeren Puzzle. Und wenn wir dann die Balkantrasse als einen künstlerischen „Sendero Luminoso“ oder: als einen „Erleuchteten Pfad“ nutzen können, wenn wir ferner perspektivisch viele jüngste und junge Künstler*innen auf den Weg schicken können – dann sieht die Zukunft sehr vielversprechend aus. Öffentliche und nicht-öffentliche Förderung können gerade in der Kunst nicht schaden: Mehr Moos, mehr los!

P.S.:
"Sendero Luminoso" ist für gewöhnlich in unseren Breiten nicht so besonders gut angeschrieben, siehe etwa die Historie des peruanischen Erleuchteten Pfades unter
https://de.wikipedia.org/wiki/Sendero_Luminoso
Aber der Begriff gefällt mir hier recht gut, zumal das Interkommunale Entwicklungskonzept Burscheid/Wermelskirchen (IKEHK 2030) tatsächlich sogar die (physische) Beleuchtung der Balkantrasse empfiehlt, siehe bei Interesse unter https://www.burscheid.de/fileadmin/user_upload/redakteure/Bauen_und_Wohnen/Bauen_und_Planen/Burscheid_2025-IEHK/IKEHK/IKEHK_Burscheid_Wermelskirchen_2030_FINAL.pdf  (dort  konkret S. 92, 94ff)

 

(2023/31) 10.4.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT am 14.4.2023 = https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/04/14/05-april-2023-ausgabe-15/
KI; Leitartikel von Peter Neumann „Sind wir denn dumm?“ (Ausgabe No. 15 v. 5.4.2023, S. 1)

Natürlich sind wir nicht dumm. Aber wir werden immer dümmer, seit unvordenklicher Zeit. Noch der Vetter aus dem Neandertal hatte ein komfortableres Hirnkammer-Volumen und nach gefestigten anthropologischen Daten schrumpft unser Denkstübchen zusehends weiter – seit der festen Siedlungsbildung vor ca. 10.000 Jahren und wegen der dann zunehmenden Arbeits- und Denk-Teilung. Für manche noch gruseliger: Laut zuletzt norwegischen Erhebungen schwächelt jetzt auch unser Intelligenzquotient. Unsere unzähligen digitalen Orientierungs- und Erinnerungs-Helferlein machen es wohl möglich.

Künstliche Intelligenz dürfte da nichts so Neues sein. Allerdings mag sie unsere Fähigkeit stärken, die Welt unbedacht aus den Angeln zu heben – grundstürzend oder neudeutsch: disruptiv. Dort sehe ich drei zentrale Risikobereiche: Gen-Engineering, Geo-Engineering und Policy-Engineering, also den Versuch, mit Stabilbaukasten-Mentalität unsere Erbanlagen, unser Geosystem oder unsere bürgerliche Kontrolle manipulativ zu „optimieren“.

Auch ein Moratorium macht wohl wenig Sinn – die Dienste dieser Welt sind unseren bürgerlichen Phantasien typischerweise weit voraus. Wie setzte es eine Schlagzeile schon beim Brexit zurecht: „The Bots Want to Leave Europe!“

Quellen etwa:
https://edition.cnn.com/2018/06/13/health/falling-iq-scores-study-intl/index.html
https://www.n-tv.de/wissen/Warum-unsere-Gehirne-schrumpfen-article21135762.html

 

(2023/30) 28.3.2023
RGA Volksbote / Lokalteil Burscheid, abgedruckt: 29.3.2023
Umwelt und Stadtbild; Nadja Lehmann: „Unsere Stadt soll wieder sauberer werden“ (Lokalteil Burscheid v. 28.3.2023, S. 21)

Der Müll muss zuerst weg – und neuen Müll sollten wir vermeiden. Aber dann sollten wir den Blick noch etwas weiten: Es gibt einige öffentliche Wegeparzellen in Burscheid, die werden selten bis nie gekehrt oder gelichtet. Altes Laub stapelt sich in Schichten; die einzigen, die sich freuen und dynamisch und spitzig ausgreifen, das sind Haselsträucher & Brombeeren direkt am Wegesrand. Auch das gehört zum Stadtbild, aber eben nicht zu den erbaulichsten Ansichten. Klar: Der Kreis und die Stadt können das nicht in beliebiger Häufigkeit und Qualität stemmen, bei allem anderen, was zu tun und zu finanzieren bleibt. Dort werden halt freiwillige Patenschaften die einzige Lösung sein.

Beikircher sagt: "Am schönsten ist’s, wenn’s schön ist!“ Und der Kriminologe weiß: Eine Umgebung, die auf sich hält, produziert messbar weniger Kriminalität und Vandalismus. Also: Selbst wer gerne egoistisch unterwegs ist, hat damit ein prima Motiv für’s Mitmachen. Und am sichtbaren Ergebnis kann man sich das ganze Jahr lang freuen.

P.S.:
Man könnte sicher auch die „öffentlichen Abfallbehälter“ Burscheids gerechter verteilen. Bornheim etwa hat m.E. keinen einzigen, Groß-, Klein- und Berg-Hamberg besitzen zusammen wohl nur einen städtischen Mülleimer; in Dierath stehen dagegen gleich zwei in gegenseitiger Sichtweite und mindestens vier weitere gibt’s gratis dazu. Diese Ungleichverteilung macht sich etwa bei Hundespaziergängen bemerkbar – man trägt seinen lieben Hunden stundenlang diese olfaktorisch auffälligen Säckchen hinterher
😉

 

(2023/29) 22.3.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Irak-Krieg; Analyse v. Markus Decker „Krieg mit einer Lüge gerechtfertigt“ (Ausgabe v. 20.3.2023, S. 4)

Danke! Eine allseits kritische Analyse ist ein guter Ansatz; vermutlich ist das sogar unverzichtbar, um die einander überlagernden Krisen der Jetztzeit zu lösen.

Derjenige Teil der Menschheit, der sich nicht zum Westen zählt – und das ist der deutlich größere – der sieht unsere Rolle der letzten 30 Jahre mutmaßlich fragwürdiger als wir: Dass wir bestehende Herrschaftssysteme mit unserer überlegenen Militärtechnologie tatkräftig aufbrechen konnten, dass wir aber viel zu häufig nichts Verlässliches an deren Stelle setzen konnten, auf dem Balkan oder in Asien. Dass wir zwar die Menschenrechte im Schilde führen, dass wir aber parallel wirtschaftliche Eigen-Interessen verfolgen. Dass ganz oder teilweise fehlgeschlagene Interventionen einen beträchtlichen zusätzlichen Migrationsdruck verursacht haben.

Es spricht viel dafür, unsere ambitionierten Strategien nach 1989 zu überprüfen und ggf. zu modifizieren, um eine neue Balance vorzubereiten. Die globale Konvergenz nach westlichem Vorbild, wie sie etwa Francis Fukuyama vorgeschwebt hatte, möchte ich jedenfalls bis auf Weiteres als Utopie verstehen.

P.S.
Mit einem gewichtigen wirtschaftlichen Eigeninteresse hatte etwa auch Alfred Neven Dumont argumentiert, als er i.J. 2003 die verpassten deutschen Chancen beim späteren Wiederaufbau des Irak beklagte; siehe Alfred Neven DuMont "Der Weg ins Abseits. Die USA, Deutschland und der Krieg", Leitartikel im KStA v. 15./16.2.2003, S. 4

 

(2023/28) 17.3.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Potenziale von ChatGPT; Christian Bos „Das freundliche Gesicht der Maschinenrevolution“ (Ausgabe v. 17.3.2023, S. 20)

Sehen wir es nüchtern: Gefüttert mit den deutschen Schlagzeilen der letzten 12 Monate zuzüglich der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen würde ChatGPT die folgende Empfehlung auswerfen: Zum nächstmöglichen Zeitpunkt wird Alice Schwarzer Kanzlerin und Sahra Wagenknecht Ministerin des Auswärtigen.

Ersetzen wir bei der Eingabe die VN-MRK durch die Bilanzentwicklung von Rheinmetall, dann kämen der Lanz Markus und Roderich Kiesewetter heraus. Mit der ersten Frage und Antwort könnte die Welt nach aller Wahrscheinlichkeit freundlicher und länger leben.

 

(2023/27) 3.3.2023
DER SPIEGEL
Ukraine-Krieg; Essay von Herfried Münkler „Wie beendet man einen Erschöpfungskrieg?“ (Ausgabe v. 25.2.2023, S. 110f)

Herfried Münkler denkt für den Staatsmann und er denkt – wie ich es sehe – zu kalt und zu kurz. Der unbegrenzte Nachschub aus der sicheren Etappe macht ohne ein klares und völlig eindeutig kommuniziertes Ziel wenig Ehre und wenig Sinn. Was aber könnten unsere Ziele für eine Nachkriegs-Ukraine sein?

Erstens: Gesicherte Grenzen nach Stand der 1991er Staatsgründung. Zweitens, und das ist unbedingte Klarheit, die wir sowohl von Kiew als auch von Moskau fordern müssen: Einen pluralistischen, toleranten und gerade nicht diskriminierenden Modus für das Zusammenleben mehrerer Ethnien. Drittens, und das mag Verhandlungssache sein: Eine zeitlich und räumlich definierte Entmilitarisierung beiderseits der Staatsgrenzen. Bei der Realisierung des zweiten und/oder dritten Punktes mag Herr Münkler praktisch werden und sich vor Ort engagieren. Für solche Ziele macht ein Waffenstillstand sogar Sinn.

P.S.:
Ich räume ein, dass ein Waffenstillstand keinen Sinn macht, wenn das wesentliche eigene Kriegsziel ein langfristig nachhaltiger Schlag gegen Russland sein sollte. Ähnlich, wie es mal Kaiser Wilhelm II in seiner berüchtigten "Hunnenrede" beim Einschiffen des deutschen Kontingents zum Niederschlagen des Boxeraufstandes formuliert hatte "... dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!"
Zum damaligen Hintergrund:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede

 

(2023/26) 28.2.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; Kommentar „Der Gescheiterte“ von Kurt Kister in der Ausgabe v. 24.2.2023, S. 4

Man kann sich die Hände blutig waschen, in lauter Unschuld. Wie Indien, Brasilien, Südafrika, Israel, große Teile des globalen Südens und nicht zuletzt Russland es heute sehen mögen? Das liegt daran, wo genau man den Tabulator für relevante Zeitenwenden setzt. Etwa nach 1989, als Deutschland sein militärisches Vorfeld in gleich mehreren Dimensionen nachhaltig entgrenzte – räumlich bis mindestens zum Hindukusch, zeitlich auf bereits präventive bewaffnete Eingriffe, sachlich auf den Schutz nun auch ökonomischer Expektanzen qua auswärtiger Gewalt? War es realistisch anzunehmen, das alles zum Nulltarif zu bekommen?

Russland hat im Jahre 2022 den Krieg zurück nach Europa gebracht, das ist richtig, aber es ist aus einer Außenperspektive eben nur die halbe Wahrheit: Der Westen war im Falle der europäischen Hauptstadt Belgrad sehr ähnlich unterwegs, jedenfalls mit dem vergleichbaren Ziel, bisherige Staatlichkeit und existente Grenzen aufzutrennen, und dies mehr als 20 Jahre zuvor, ebenso ohne Testat der VN.

Lösungsansätze für den zu einem ganz wesentlichen Teil ethnischen Ukraine-Konflikt sind auch gar nicht in Kiew, Berlin, Moskau oder Washington zu vermuten. Sie werden auch nicht im idealtypischen Durchsetzen einer nationalstaatlichen Symbolik bestehen. Ansätze – eigentlich: Prozesse – werden wir am ehesten in Mischregionen suchen müssen, wie in Südtirol, im Elsass, im Baskenland, letztlich auch in Verdun, wo über Jahre Franken gegen Franzosen verbluteten und umgekehrt.

 

(2023/25) 27.2.2023
DIE ZEIT
Ukraine-Krieg; Interview von Andreas Öhler und Georg Löwisch mit den Theologinnen Petra Bahr und Margot Käßmann (Ausgabe No. 9 v. 23.2.2023, S. 54)

Meine Südtiroler Wirtin erzählte uns gerade diese Begebenheit: Zwei Männer aus St. Peter a.k.a. S. Pietro eingangs des Grödner Tals, die sich vor 1914 häufiger im Gasthaus resp. Albergo Überbacher getroffen hatten, sie standen sich nach Kriegsausbruch plötzlich in dem mit unvorstellbarer Menschenverachtung geführten Bergkrieg in der Nähe des Lagazuoi gegenüber, Auge in Auge. Sie senkten die Waffen und drehten sich um. Nach 1918 haben sie häufig beim Überbacher angestoßen.

Diese verbürgte Geschichte scheint mir die richtige Richtung zu zeigen. Sie erzählt nichts von rücksichtsloser Sehnsucht und sie liegt fern von einem sicheren Arbeitszimmer oder von jeder Staatsräson. Dort, wo ich auch die Kirchen suchen möchte.

P.S.:
Im Interview wird ein großer Katechismus mit der verblüffenden, aber bei der Feld-Seelsorge offenbar nicht unpraktischen Fußnote „Gilt nicht im Kriege“ zum fünften Gebot erwähnt. Er ist mir nur zu gut bekannt. Unser damaliger Gemeindepfarrer, ein erfahrener früherer Militärseelsorger, hatte ihn mir stolz im Jahre 1993 präsentiert. Ich hatte mit ihm die Operation UNOSOM II erörtert und hatte ihn um eine kirchenethische Einordnung für etwas gebeten, was man auch damals schon als eine „Zeitenwende“ hätte charakterisieren können – eine Zeitenwende, mit der sich in der Folge einige zehntausend zivile Opfer oder „collateral damages“ verbinden lassen; von der Bundesregierung sind solche Opfer allerdings nie systematisch erfasst worden.

Eine allerdings damals von der Opposition angestoßene Ausnahme ist das erste überhaupt in einer Bundestagsdrucksache verbriefte zivile Opfer eines bewaffneten Auslands-Einsatzes der Bundeswehr, nämlich bei der bereits erwähnten und später erfolglos abgebrochenen Operation UNOSOM II, siehe https://dserver.bundestag.de/btd/12/069/1206989.pdf = Antwort der BReg. auf eine kleine Anfrage der Grünen zum Tod des jungen Somali Abdullahi Farah Mohamed am 21.1.1994.

 

(2023/24) 25.2.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine-Krieg; Leitkommentar von Berthold Kohler „Putin muss scheitern“ in der Ausgabe v. 24.2.2023, S. 1

Wenn Putin „scheitern muss“, dann mag man ebenso lesen, dass genau das zweifelhaft ist. Und tatsächlich weist der Kommentar auf Schwachstellen des Westens hin, etwa auf eine zweifelhafte Bereitschaft zu dauerhafter Unterstützung, auf die etwaige Beihilfe Chinas auf Seiten Russlands, auf einen ggf. bald wieder selbstgenügsamen amerikanischen Hegemon. Ergänzende Zweifel würde ich hegen, da die bisherige Ukraine-Politik Deutschlands, aber auch Europas keinem erkennbaren Plan und Ziel folgt, sondern ausschließlich reaktiv daherkommt. Das schadet bereits der internen demokratischen Vermittlung und Debatte - auch im Zusammenhang mit dem Schwarzer'schen Manifest. Es mindert aber auch die Chancen diplomatischer Mitgestaltung.

 

(2023/23) 24.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine-Krieg; Leitartikel „Die Pflichten des Westens“ von Carsten Fiedler in der Ausgabe v. 24.2.2023, S. 4

Meine ungeteilte Zustimmung: Ohne klar definierte und kommunizierte Ziele werden wir einer Lösung dieses krebsartigen Konflikts keinen Schritt näherkommen, nicht einmal einem zeitweiligen Einfrieren.

Aber genau das ist nach der Erfahrung des ersten Kriegsjahres etwas leichter gesagt oder geschrieben als getan. Es wäre auch eine hochpolitische und geradezu detektivische Aufgabe: Die entscheidenden, auch die informellen Akteure zu identifizieren, ihre Interessen strategisch auszugleichen und daraus eine realistische, nicht nur pro forma unterbreitete Verhandlungsgrundlage zu destillieren.

Bis dahin wird die Blutpumpe an einer 1000 km messenden Front hochtourig weiterlaufen, mit mehr als einem Toten pro Kilometer pro Tag. Und sie wird mit immer lebensfeindlicheren Mechanismen ausgebaut werden. Das ist das wahrhaft Gespenstische an diesem Tag.

P.S.:
Unser gegenwärtiges Setting erinnert mich fatal an Thomas Stearns Eliots "Hollow Men", speziell an die letzten Zeilen dieses Gedichts, die später auch Nevil Shutes "On the Beach" eingeleitet haben. Oder an den in Eliots Gedicht ganz anfänglich erwähnten Kurtz, einen Charakter aus Joseph Conrads "Heart of Darkness", der am Ende nochmals in Francis Coppolas "Apocalypse Now" aufgegriffen werden sollte.

 

(2023/22) 21.2.2023
FOCUS; veröffentlicht 24.2.2023 unter
https://www.focus.de/magazin/archiv/rubriken-putin-moral-vs-realitaet-und-das-feedback-unserer-leser_id_186690335.html
Lösung des Ukraine-Konflikts; Beitrag „Wie schaffen wir Frieden?“ von G. Dolmeteit und M. Wollscheid (Ausgabe v. 18.2.2023, S. 38)

Kein Schritt zum Frieden ist m.E. ein handlungsreisender Kanzler Scholz, auf der Pirsch nach mehr Munition oder Schießgerät. Das ist nicht sein Job, es schließt die spätere Maklerfunktion aus und es war hier sogar wenig erfolgversprechend. Definitiv kein Beitrag sind Talkshows, in denen aktuell ein „sachverständiger“ Oppositionspolitiker über das Liefern von Kampfflugzeugen, sodann Angriffe auf Nachschub auf russischem Staatsgebiet und ein Aushungern und so leichtes Wiedereinnehmen der Krim parliert.

Ein erster Schritt wäre aber, die NATO als besonders wahrgenommenen und hier nicht völlig interessefreien Akteur und Ansprechpartner zu ersetzen, durch eine frisch beatmete OSZE. Der zweite könnte sein, in den Grenzen von 1991 einen international überwachten Autonomie- und Minderheiten-Mechanismus aufzubauen, ähnlich dem in Südtirol. Anmerkung hier: Wir dürften oder müssten uns dann freilich aus der bequemen Etappen-Position des Nachschublieferanten weiter nach vorne wagen. Der dritte Schritt könnte sein, den Hafen der Schwarzmeerflotte in realistischer Zeit aufs russische Festland zu verlagern und speziell für die Krim 50 Jahre NATO-Enthaltsamkeit zu geloben.

P.S.:
Mit dem Oppositionspolitiker ist hier Roderich Kiesewetter gemeint, in einer ntv-Gesprächsrunde am 20.2.2023 mit Eva Quadbeck bei Micky Beisenherz, siehe
https://www.tvnow.de/shows/beisenherz-18371/2023-02/episode-4-themen-u-a-1jahr-im-krieg-wege-zum-frieden-immer-neue-waffen-5395135

 

(2023/21) 21.2.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; zum Kommentar „Putins Gewalt“ von Stefan Kornelius (Ausgabe v. 18./19.2.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:

Natürlich ist die Lage zeitkritisch, für Kinder und Greise, Frauen und Männer. Und ich bitte um Nachsicht für meinen bitteren Sarkasmus: Nun, da wir den altbösen Ost-Feind zum dritten Mal auf der Streckbank haben, nach 1941 und 1989 – warum bitte sollten wir ihn so schnell herunterlassen? Zumal wir heute mit der Haut von Hunderttausenden von Slawen heroisch sein dürfen, komfortabel schmerzfrei. Und zumal wir jetzt überdurchschnittlich qualifizierte und motivierte Migranten in den bei Fachkräften notleidenden Standort inkorporieren können.

Wenn schon die Regierung in Kriegsjahren rechnet, dann werden wir auch Verdun irgendwann vergessen können, die monströse Blutpumpe. Und zugleich auch die vielen Pleiten und Pannen unserer militärischen Expeditionen und Operationen der vergangenen 30 Jahre mitsamt ihrem gewaltsamen zivilen Blutzoll und den auf Generationen destabilisierten Regionen. Es ist und bleibt erhebend, sich auf der Seite – oder halt in der Blase – der Guten zu wissen. Sarkasmus Ende.

 

(2023/20) 20.2.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine-Krieg; Kommentar v. Berthold Kohler: „München an Moskau: Wir halten durch“ (Ausgabe v. 18.2.2023, S. 1)

M.E. brauchen wir keinen neuen Macher-Typen, keinen vom Kaliber eines Springflut-Schmidt. Und sicher keinen Havanna-Schröder. Am wenigsten einen wie Olaf Scholz, der gleich einem Handlungsreisenden durch die Welt zieht, um Munition oder Panzer-Kameraden zusammen zu scharren.

Wenn wir ehrlich sind: Dann brauchen wir an diesem Jahrestag mit einigen hunderttausend toten Slawen am ehesten einen wie Willy Brandt, der sich zwischen die Fronten denken können müsste. Um den Score nicht im nächsten Kriegsjahr durchzuhalten, gar zu vermehren. Und um unsere kulturelle, merkantile und physische Welt nicht bersten zu lassen.

P.S.:
Die für mich nach wie vor schlüssigste Theorie zur statistisch signifikanten Abweichung zwischen (lt. Forschung heute sehr hohen) Zahlen habitabler Welten und der (noch immer extrem geringen) Erfahrung mit außerirdischen Besuchern – damit auch eine Erklärung für die völlig fehlenden Erfolgsmeldungen
jahrzehntelanger SETI-Forschung – ist und bleibt: Technische Zivilisationen scheitern typischerweise an Energie-Exkursionen, lange bevor sie die Fähigkeiten für interstellaren Raumflug oder auch nur für eine Kommunikationsform entwickeln, die über ihren jeweiligen Inkubator nennenswert hinausreicht. Oder auch Murphy‘s Gesetz: Man multipliziere eine auch nur geringe Chance des terminalen Schadenseintritts mit nach oben offenen Zeitabschnitten und erzielt bald Gewissheit, früher oder später.

 

(2023/19) 19.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 21.2.2023
Lösung des Ukraine-Konflikts; Interview von Joachim Frank mit Margot Käßmann in der Ausgabe v. 18./19.2.2023, S. 4 („Es geht nicht um den Sieg“)

Um die abschließende Frage von Joachim Frank an Margot Käßmann aus meiner Sicht zu beantworten: (1) Territoriale Integrität der Ukraine in den Grenzen der Staatsgründung i.J. 1991. (2) Autonomiestatut für mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnte Gebiete nach dem Vorbild Südtirols, für 10 Jahre international überwacht. (3) Abbau des Flottenstützpunktes auf der Krim binnen fünf Jahren und kein NATO-Stützpunkt für die kommenden 50 Jahre.

Einen solchen Ansatz zu versuchen, das wäre in jedem Fall humaner, als während des nächsten Jahres die Million slawischer Opfer voll zu machen, und dabei angestrengt mit erhobenem Zeigefinger wegzusehen. Da gebe ich Frau Käßmann völlig recht.

 

(2023/18) 16.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
„Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sowie massive Feindbilder im Ukraine-Krieg;
Titelbild „Vampir Putin“, Leitartikel „Die Fehler des Manifests“ von Carsten Fiedler (KStA v. 15.2.2023; S. 1 u. 4) und Beilage „Kölner Rosenmontagszeitung“ (zu Emanationen Putins dort auf S. 12 u. 27)

Man hätte et Alice und et Sahra doch direkt zum Vlad in seiner Blutorgie dazu retuschieren können. Jedenfalls vorn auf dem Stadt-Anzeiger; für die Persiflage-Wagen kam das Manifest ja etwas knapp. Im Ernst: Wir sehen eine Blutpumpe im ukrainischen Bachmut mit mehr als 1.000 toten Slawen pro Tag, noch vor jedem Leo. Da erscheint mir jeder Verhandlungsversuch deutlich schlüssiger als das besinnungslose Beistellen immer neuer, immer tödlicherer Waffen. Wobei das Ost-Gemetzel für uns hier zugegeben angenehm schmerzlos läuft.

Für meinen Teil werde ich den Aufruf unterzeichnen und auf einen Karneval dankend verzichten, der genüsslich giftigste Feindbilder anrührt und den altbösen Feind beschwört – etwa garniert mit Sowjetstern, Hammer und Sichel. Einen Persiflage-Wagen zur Bombardierung der slawischen Hauptstadt Belgrad hat dieser Karneval m.W. niemals auf die Straße gebracht. Nicht 1941, nicht bei der nächstfolgenden Zeitenwende 58 Jahre danach.

Nachtrag: Habe mitgezeichnet.

 

(2023/17) 10.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 7.3.2023
Ukraine-Krieg; Matthias Kochs Leitartikel „Eine atlantische Strategie fehlt“ (Ausgabe v. 10.2.2023, S. 4)

Das sehe ich genauso – eine Strategie fehlt noch. Und sie müsste, um im Westen stabile Mehrheiten und im Osten Akzeptanz zu finden, schon heute über das etwaige Ende der Kampfhandlungen hinausdenken. Ein zentraler Aspekt wird dabei sein: Wie sollen in einer wieder einheitlich beherrschten Ukraine die Ethnien zusammenleben? Wollen wir Stabilität durch kulturelle Vereinheitlichung, ggf. durch Umerziehung oder Verlagerung erreichen? Oder wollen wir – was unseren grundlegenden Werten deutlich näher läge – ein Neben- und Miteinander aktiv fördern, etwa durch ein in der Verfassung verbrieftes Autonomie-Statut nach dem Vorbild Südtirols? Die erste Variante wird den Weg zu einem Waffenstillstand verzögern, die zweite beschleunigen. Und die zweite Variante wäre gleichzeitig ein deeskalierendes Modell für das Zusammenleben von Russen und Ukrainern in der Diaspora.

In keinem Fall sollten wir zum strategischen Ziel erklären, Putin zu Fall oder Moskau ins Schleudern zu bringen. Es sei denn, wir wollten den blutigen Konflikt open ended verlängern, auf Kosten der Ukrainer jeder Ethnie.

 

(2023/16) 8.2.2023
RGA Volksbote, Lokalteil Burscheid, abgedruckt 14.2.2023
Frühzeit des Nationalsozialismus; Notiz „Neuzugang im Stadtarchiv“ von Nadja Lehman (Ausgabe Burscheid v. 4.2.2023)

Die Briefe des General Ludendorff an seine frühere Ordonnanz Rudolf Peters können zeigen: Burscheid war mit der Nase dabei, als Weltgeschichte geschrieben wurde. Mitumfasst ist hier die damals in Deutschland noch völlig ergebnisoffene Phase nach 1914, als sich sowohl national-konservative als auch national-radikale Kreise mit Weltverschwörungstheorien etwa des Henry Ford infiziert hatten – speziell nach den berüchtigten „Protokollen der Weisen von Zion“. Die hatte Ford in seinem offen antisemitischen Pamphlet „The International Jew – The World’s Foremost Problem“ weit verbreitet. Ludendorffs Brief v. 8.1.1924 knüpft möglicherweise genau dort an.

Baldur von Schirach hat Fords Schrift noch in den Nürnberger Prozessen nach 1945 zitiert, als eine Art Bibel der jungen Nazis. Die nun aufgetauchte Sammlung verspricht eine hoch interessante Lektüre und viele neue Einblicke dazu, was damals geschah und ob und wie man noch hätte gegensteuern können!

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_internationale_Jude (u.a. zu Fords Rolle)

Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl zu den noch viel tieferreichenden deutsch-amerikanischen Verbindungen dieser Phase, die für den keimenden Nationalsozialismus von unschätzbarem Wert wurden: Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl war ein sehr kultivierter und in der Oberschicht beider Staaten bestens vernetzter Deutsch-Amerikaner, der auf Anraten seines amerikanischen Freundes und stellvertretenden US-Militärattachés Cptn. Truman Smith i.J. 1922 Adolf Hitler unter seine Fittiche nahm, sehr wirksam protegierte und im wahrsten Sinne hoffähig machte, der auch die Erstauflage von „Mein Kampf“ mitfinanzierte. Hanfstaengls amerikanische Ehefrau soll nach dem desaströsen 1923er Putsch in München einen damals völlig demoralisierten Hitler sogar aktiv am Selbstmord gehindert haben, indem sie ihm mit entschlossenem Jiu-Jitsu-Griff die bereits gezückte Pistole entwunden hat…)

 

(2023/15) 8.2.2023
Süddeutsche Zeitung
chinesischer Ballon; „Spionagesatellit alarmiert auch Berlin“ von Juri Auel et al. sowie Kommentar „Die Machtdemonstration“ von Stefan Kornelius (Süddeutsche v. 6.2.2023, S. 1 u. 4)

Zum Glück unterscheiden sich die Schlagzeile auf S. 1 und der Kommentar auf S. 4 ein wenig: Die Schlagzeile spricht fett und leicht eskaliert schon von einem „Spionagesatelliten“. Der Kommentar lässt die Einordnung immerhin noch offen, sieht eine Eskalation und bewusste Machtdemonstration sogar eher auf amerikanischer Seite, getrieben von Hardlinern und einer emotionalisierten Öffentlichkeit.

Leider sehen wir heute viel zu selten noch den Pfad dahin – und das wäre m.E. nicht nur Nine-Eleven, mit dem offenbar von zornigen Islamisten intendierten und erreichten Säurebad für alle organisierte Staatlichkeit dieser Welt, im Westen wie im Osten, Norden oder Süden. Gehen wir noch einen Schritt davor, nämlich auf den 7. Mai 1999: Als im Rahmen der wohlgemerkt nicht durch die VN indossierten Operation Allied Force (OAF) eine europäische Hauptstadt bombardiert wurde, dabei auch die – vor Ort kaum zu verwechselnde – chinesische Botschaft in Belgrad. Mit bunkerbrechenden Raketen, mit einigen Toten und Verletzten und mit nachlesbaren Folgen in der chinesischen Militärdoktrin. Blicken wir dann in die Phase noch davor, dann sehen wir u.a. unseren eigenen militärischen Aktionsraum und Anspruch global erweitert, scharfen Schuss inklusive, in der Praxis höchstens um die Reichweite unserer aktuellen Interessen begrenzt, nicht aber rechtsstaatlich definiert, durch Gesetz i.S.v. Art. 19 GG.

Es ist an der Zeit, alles das im Kontext zu bewerten, auch die globalen Psychosen daraus sowie eine nun wieder zunehmend entglobalisierte Wirtschaft und Kultur. Immerhin: Ratlose Zauberlehrlinge allerorten.

 

(2023/14) 7.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, Lokalausgabe Rhein-Wupper
Frühzeit des Nationalsozialismus; Artikel von Peter Seidel „Briefe von Erich Ludendorff beim Aufräumen gefunden“ (Lokalausgabe Rhein Wupper v. 4./5.2.2023, S. 36)

Das war wirklich ein besonderer Dachbodenfund! Gerade die jüngeren Briefe aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg weisen zurück in eine zumeist vergessene, aber sehr schicksalhafte Phase: Als nämlich sowohl national-konservative als auch national-radikale deutsche Kreise prägende Impulse und ideologische Bestärkung aus einer heute unerwarteten Richtung empfingen – aus der sehr konservativen Elite im Umfeld der damaligenAmerica First“-Bewegung. Tatsächlich war Ludendorff, dessen Brief vom 8.1.1924 Herr Seidel hier zitiert, fasziniert von der Weltverschwörungs-Legende gemäß den sogenannten „Protocols of the Learned Elders of Zion“ – heute als gezielte plumpe Fälschung überführt. Der offene Antisemit und Automagnat Henry Ford hatte sie zunächst in seiner Haus-Gazette „The Dearborn Independent / The Ford International Weekly“ und sodann in dem vierbändigen Werk „The International Jew: The World’s Foremost Problem“ effizient verbreitet.

In den Nürnberger Prozessen nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat der "Reichsjugendführer" Baldur von Schirach betont: Die jungen Nazis hätten Fords Machwerk geradezu als Offenbarung aufgesogen. Konsequent hatte Ford dann auch die Einleitung zur amerikanischen Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ verfasst, hat damit auch eigenes Gedankengut in die USA re-importiert. Und er hat mit stolzer Brust – wie auch der ähnlich deutschfreundliche Atlantikflieger Charles Lindbergh – noch im Jahre 1938 (!) den höchsten deutschen Orden für Zivilisten entgegengenommen, den deutschen Adlerorden. Also: Hier hat die Weltgeschichte in Burscheid angeklopft; ich würde diese Briefe sehr gerne einmal durchgehen.

 

(2023/13) 4.2.2023
Frankfurter Allgemeine
chinesischer Ballon; Leitartikel von Nikolas Busse „Folgen einer Ballonfahrt“ (Ausgabe v. 6.2.2023, S. 1)

Im Vergleich der Medien sehr löblich und ein Stück weit deeskalierend: Wenn es „Spionage!“ nicht gleich aus den Schlagzeilen der F.A.Z. heraus schreit. Denn dass der Ballon militärisch auskundschaftete, das munkelte man ja bisher nur in den „Experten“-Kreisen des einen Lagers und selbst dort galt er nicht als „smoking gun“.

Und sehr richtig: Die strategische Konkurrenz und die damit verbundenen, fast psychotisch zu nennenden Ängste beider Seiten sind ein monumentales Rad. Durch einzelne Begegnungen kann es kaum gedreht werden bzw. können sich die Akteure offenbar nicht therapieren. Es bedarf eines weitreichenden Konzepts mit vielen vertrauensbildenden, gleichzeitig nicht in eine andere Richtung vertrauensgefährdenden Maßnahmen, um ein Gleichgewicht zu halten, sine ira et studio. Eine höchst undankbare, ganz und gar unheroische Sisyphos-Aufgabe; derzeit sehe ich keinen Aspiranten dafür, keinen Menschen und keine Nation.

 

(2023/12) 1.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Werbung für den „Traumberuf E-Sportlerin“ in der Ausgabe v. 31.1.2023 (Aufmacher auf S. 1, Artikel von Mariana Friedrich unter den Duda-Kindernachrichten auf S. 13)

Erstaunliche Koinzidenz: Am Morgen beschreibt der Stadt-Anzeiger in den Kindernachrichten den großen deutschen Nachholbedarf bei Computerspielerinnen auf hohem Niveau – bei den wenigen Profis und bei der dann notwendigerweise großen Pyramide von Amateurinnen und Anfängerinnen darunter. Und in den Abendnachrichten laufen entzückende Trailer von der Nürnberger Spielwarenmesse, die den beschleunigten Vormarsch künstlicher („virtual“) und verschmelzender („augmented“) Wirklichkeiten in die Kinderzimmer animieren. „Catch them young!“ ist halt ein altbewährter Rat.

Asien, hast Du es schon besser? Nicht wirklich: Nach aktuellen Studien nimmt dort die Myopie oder Kurzsichtigkeit in den urbanisierten Gemeinschaften epidemische Ausmaße an – und zwar effizient angetrieben durch veränderte digitale Sehgewohnheiten und insbesondere Lichtfarben und Sehabstände. Auch mit der Folge zunehmender praktischer Blindheit schon in mittleren Lebensjahren. Wenn man es sarkastisch nimmt: Proportional steigen werden in jedem Fall die Berufschancen als Optikerin und Augenärztin. Vorausgesetzt, man verbringt einen gehörigen Teil seiner Jugend an der frischen Luft.

Quellen u.a.:
https://en.wikipedia.org/wiki/Near-sightedness mit vielen weiteren Nachweisen
https://www.elza-institute.com/de-ch/myopie-kontrolle/zunahme-myopie-kurzsichtigkeit/

 

(2023/11) 31.1.2023
Das Parlament
Ukraine-Krieg; Editorial der Ausgabe v. 23.1.2023: Christian Zentner „Zögern oder Zaudern?“

Wenn sich die deutsche Außenministerin – politisch sozialisiert in einer ehedem nachhaltig pazifistischen Partei – ohne Zögern noch Zaudern in einen Koalitions-Krieg gegen Russland hineindenken kann, dann sind die bedingten Reflexe dieser Republik lange verschlissen, sowohl diejenigen aus der Gründungszeit als auch die aus der Sturm- und Drangzeit der 60er. Die Chancen Deutschlands als Mittler und Makler sind allerdings ebenso perdu.

Bitterböse gewendet kann man es ferner so sehen, und das mag sogar im Ergebnis der heute noch etwas distanzierteren Haltung der politischen Mehrheit nahekommen: „Alii bella gerant, tu felix Germania vende!“ Oder auch: „Lass andere Kriege führen und verkaufe derweil Waffen!

P.S.:
Streng genommen trifft das „vendere“ im zweiten Absatz nicht zu – tatsächlich wird die Bundesrepublik die Kosten der Waffenlieferungen selbst tragen, siehe etwa aus für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen:
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-wer-zahlt-fuer-die-waffenlieferungen-an-die-ukraine,T4BATuO. Aber zumindest die deutsche wehrtechnische Industrie, die verkauft tatsächlich, und das zu sehr angenehmen Preisen. Und hätte ich oben statt „vende!“ etwas korrekter „da!“ formuliert (von dare, schenken), dann wäre auch das vielleicht missverstanden worden 😉

 

(2023/10) 30.1.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; Detlev Esslingers Kommentar „Führung? Oh je“ (Süddeutsche v. 28./29.1.2023, S. 4)

Führung? Ja, es mutet schon lange an wie die Führung des gequälten Tanzbärs – Führung durch das stringente Gewissensmanagement eines Selenskij, Melnyk, Sikorski oder des einen oder anderen Thinktank.

Nicht so bei den freiheitlichen oder den grünen Partnern der SPD; sie denken sich mit einiger Freude in die zum Glück von allen Wählern distanzierte Kriegssituation hinein, siehe jüngst im Überschwang unsere Außenministerin: Endlich wieder ein gerechter Krieg und viel ehrbare Rüstung; dies mag nachhaltig frustrierende Traumata kleinerer Waffengänge der letzten dreißig Jahre vergessen machen, auf dem Balkan, im Mittleren Osten oder in Afrika. Soweit sehr angenehm!

Was aber, wenn die Kampfpanzer nun wacker ihren Job erfüllen und sie dann eine nationalkonservative Kiewer Administration ertüchtigen, viele unliebsame ethnische Russen zu drangsalieren, vielleicht zu deternieren, umzuerziehen oder zu vertreiben? Gründe werden sich schnell finden. Haben wir für diesen Fall etwas vereinbart oder geplant? Da wir doch eigentlich das Humanitäre, die ethnische Toleranz und das "Stay Put" im Schilde führen? Zumindest die Sudetenkrise sollte uns noch in sehr schmerzlicher Erinnerung sein.

 

(2023/9) 30.1.2023
DER SPIEGEL
Ukraine-Krieg; Leitartikel von Ralf Neukirch in der Ausgabe Nr. 5 v. 28.1.2023, S. 6 („Es ist an der Zeit, den Spieß umzudrehen“)

Ist es nun auch an der Zeit, den Spieß gegenüber den ethnischen Russen im Osten und Süden der Ukraine umzudrehen? Nehmen wir an, der Gamechanger erfüllt sein konstruktives Ziel, Land zu erobern und kontrollieren zu können, vielleicht sogar Teile der geopolitisch hoch brisanten Krim. Was, wenn sich eine national konservative Kiewer Administration sodann anschickt, diese schrecklichen „Russen“ zu deternieren, umzuerziehen, zu vertreiben oder auch nur systematisch zu drangsalieren? Gehe zurück auf Los? Wie beim Groundhog Day, nur viel blutiger?

Möglicherweise ist aber zu viel verlangt, bei unserem notorischen step-to-step-approach schon einen Plan für humanitäre Folgen zu haben - wie in Afghanistan. Schau'n wir mal.

 

(2023/8) 29.1.2023
WELT AM SONNTAG
Ukraine-Krieg; Interview von Jacques Schuster mit Alexander Dobrindt unter dem Titel „Wir führen keinen Krieg“ (WELT AM SONNTAG Nr. 5 v. 29.1.2023, S. 4)

In Afghanistan hatten wir uns einen Krieg viel zu spät zu eigen gemacht – in der Ukraine nun ohne jede Vernunft. Das Straßburger Bekenntnis unserer Außenministerin war bestenfalls hoch undiplomatisch. Gewollt oder ungewollt zerrte es selbst Verbündete mit hinein, auch nach den nachgeschobenen Erklärungen. Eigentlich aber war das Statement in jede denkbare Richtung, auch nach Deutschland hinein, polarisierend, instinktlos und folgenschwer.

 

(2023/7) 29.1.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht am 3.2.2023 im Internet-Angebot der ZEIT =
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/02/03/26-januar-2023-ausgabe-5/
Ukraine-Krieg; zu Alice Botas Leitartikel „Die Vertrauensfrage“ (DIE ZEIT No. 5 v. 26.1.2023, S. 1)

Der Ukraine-Krieg beschert uns eine besonders dankbare Form der Machtprojektion, die ideale Distanzwaffe bzw. den modernen Longbow: 100.000 Schuss Artillerie im Monat, davon immer mehr und stärkere Projektile aus unseren Waffenschmieden – und dabei ein rein slawisches Blutopfer ohne eigene Gefahr, selbst ohne nennenswerte Risiken bei kommenden Wahlen.

Kant hat in seinem „Ewigen Frieden“ vor mehr als 200 Jahren einen ebenso schmerzfreien Mechanismus sarkastisch beschrieben: ‚So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischen Kayser, der gutmüthigerweise seinen Streit mit ihm durch einen Zweykampf ausmachen wollte, zur Antwort: „Ein Schmidt, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen herauslangen.“ ‘

Kant hielt zu Recht sehr viel auf dämpfende Rückkopplung – auf Plan, Tat und Schmerz in ein und derselben Person. Massive Waffenlieferungen ohne realitätsnahe Strategie bedeuten sehr viel Schmerz anderer, open ended, und ob das Vertrauen in eine nach unserem Standard wertegeleitete Politik Kiews gerechtfertigt sein wird, das weiß derzeit niemand. Quelle aus Kants „Zum Ewigen Frieden“: Original 1795, S. 32; in der Reclam-Universalbibliothek Nr. 1501, S. 17.

P.S.:
Kant empfiehlt einen wirksamen Rückkopplungsmechanismus nochmals ausdrücklich bei der Entscheidung über den Krieg selbst. Sie erfordere die ausdrückliche „Beystimmung der Staatsbürger“, um nämlich Kriege „wie eine Art von Lustparthie aus unbedeutenden Ursachen“ bzw. nach Lust und Laune der Herrscher zu verhüten (Original S. 23f, Reclam S. 12f).

 

(2023/6) 26.1.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine-Krieg; Leitartikel „Berlin braucht eine Ukraine-Strategie“ von Can Merey (Kölner Stadt-Anzeiger v. 26.1.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:

Wie wahr: Wir brauchen klare und realistische Ziele. In eine Lage ohne Strategie leistungsfähige Panzer und Geschosse zu liefern, das heißt nichts anderes, als an unbegrenzter Zerstörung, Verletzung und Tötung zu verdienen, politisch und wirtschaftlich.

Mehr bedeutet es aber wiederum nicht, zu unserem Glück: Die menschliche Last tragen bequemerweise diese Slawen, auf die wir ohnehin seit Generationen herabsehen, als bestenfalls teilweise zivilisiert. Generalmajor Reinhard Gehlen, Meister der „Fremden Heere Ost“ im letzten großen Krieg wie ebenso danach, er würde sich die Finger lecken. Teile sie und beherrsche sie!

 

(2023/5) 25.1.2023
DER SPIEGEL
Leipziger Schädelfunde; Peter Maxwill „Galerie des Grauens“ (Ausgabe v. Nr. 4 v. 21.1.2023, S. 39)

Die Freude an ausgesuchten Schädeln reicht zurück in unsere Klassik. Goethens erlesene kleine Sammlung etwa umfasste ein dem früh verstorbenen Schiller zugeschriebenes Haupt. Kam würdiger Besuch, so hat man es schon einmal hervorgeholt und andächtig befingert, wie von Humboldt schaudernd seiner Frau berichtete.

Leider hatte Goethe – er war wie auch seine Mutter begeisterter Jünger der Gall’schen „Phrenologie“ – den falschen Schädel befasst und dann auch noch bedichtet. Nach kürzlichem Öffnen vieler weiterer Gräber und emsigem Sägen, Raspeln und Bohren an ungezählten Knochen konnte dies die Stiftung Weimarer Klassik nachweisen, mit 100% Gentechnologie.

Nun aber mag sich der Bogen schließen: Wer weiß – wartet neben vielen anderen Trophäen auch ein Schiller noch unerkannt in dem opulenten Leipziger Raritäten-Kabinett? Leipzig, es läge hier immerhin nahe.

Quellen

„Phrenologie“ / Gall
https://de.wikipedia.org/wiki/Phrenologie
Dazu eine kleine Anekdote zu Goethes Mutter:
In einer der damals sehr angesagten Séancen soll sie den Anatomen Gall ultimativ aufgefordert haben, ihren Schädel und auch den ihres gleichzeitig anwesenden Sohnes abzutasten. Durch die erwarteten morphologischen Übereinstimmungen wollte sie den Beweis führen, dass die besonderen Talente des Sohns gerade ihr und nicht dem Gatten zuzuschreiben wären (!). Leider ist m.W. nur die Episode überliefert, nicht aber der Gall’sche Befund.

Schiller-Projekt der Stiftung Weimarer Klassik
https://www.mdr.de/tv/programm/sendung-699536.html

Add on: Alles das aus der Perspektive meiner Familie (kostet ein wenig Zeit):
https://www.vo2s.de/0030s_doc.doc

 

(2023/4) 16.1.2023
RGA / Volksbote, abgedruckt 18.1.2023
Stadtentwicklung; Sabine Naber „Geschichtsverein macht alte Heimat lebendig“ (RGA / Volksbote v. 16.1.2023, S. 21)

Bei der Vernissage am 13. Januar schilderte mir ein Alt-Burscheider mit leuchtenden Augen die Kastanien-Allee an der Montanusstraße. Damals konnte es Burscheid leicht mit der weltberühmten Bonner Kirschbaum-Allee aufnehmen, wenn der Weg zum Bahnhof in Weiß und Rot erblühte.

Hoffentlich findet sich dazu eine schöne Farbaufnahme und vielleicht sucht Burscheid dann einen Weg „Zurück in die Zukunft“ – nach dem Opfern ungezählter Klafter Baumholz für seine just ausgerufene „Neue Mitte“.

 

(2023/3) 14.1.2023
DER SPIEGEL
Lützerath-Proteste; zur Ausgabe Nr. 3, insbesondere zum Leitartikel von Sophie Garbe „Feuer mit Feuer“, zum Interview von Gerald Traufetter und Martin Knobbe mit Robert Habeck „Lützerath ist schlicht das falsche Symbol“ und zur heiteren Rubrik „Gesprächsbereit - die Antworten der Grünen zu Lützerath" (S. 6, S. 20ff u. S. 122)

Zu Zeiten wiehert der Wahnsinn aus allen Winkeln – das Waffenschieben in Tauschringen und Zweireihern schon auf halbem Wege zur olympischen Disziplin, ebenso das Cracking und das symbolfrei staatstragende Baggern an der Klima-Abrisskante. Im Ergebnis: Die Reichen, Satten, Mächtigen, Selbst-Gläubigen und prinzipiell sogar Langlebigen fiebern einem beschleunigten Ende entgegen. How bizarre, how bizarre.

P.S.:
Unsere Olympiaden könnten leicht weiter bereichert werden, etwa um das trendige Herabwerten von Völkern, Erdteilen und Weltsichten. Oder auch von Generationen von Denkern bzw. von Politikern, die zu ihrer Zeit als inspiriert und bahnbrechend galten. Die Wahrheit hat unvermittelt einen noch stärker dogmatischen Orts- und Zeitbezug als gewohnt. Etwas Untermalung zu „How bizarre“:
https://www.youtube.com/watch?v=oGUMsxVt4YU

 

(2023/2) 10.1.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Islamistischer Terrorismus; Eva Quadbeck „Terrorverdacht unvermindert hoch“ (Ausgabe v. 9.1.2023, S. 4)

Der mutmaßliche Fall eines gewaltbereiten iranischen Islamisten zeigt ein spezifisches Dilemma: Wir lehnen, wie auch im Falle Afghanistans, ein existentes islamisches Regime aus tiefster Seele ab – aber derweil gibt es hier zornige junge Männer von dort, die von unserer Art zu denken und überhaupt von einem geordneten Staatswesen noch viel, viel weiter entfernt sind.

Schon aus rein pragmatischen Gründen spräche viel dafür, die Regierungen dieser Staaten ebenso wenig abzuwerten oder zu isolieren, wie wir es mit den ultrakonservativen Potentaten der arabischen Halbinsel schon lange halten. Es brächte zweierlei Vorteil: Es könnte helfen, jene unruhigen Staaten und Regionen zu stabilisieren. Und wir gäben den zornigen jungen Rebellen nicht das anfeuernde Gefühl, die Deutschen würden ihre Heimat und Kultur – zu der sie typischerweise weiter hindenken und hinfühlen – respektlos, ehrlos und ohne Ansehen menschlicher Not behandeln.

Den Terrorismus werden wir nicht aus der Welt radieren - so wenig wie den Klimawandel. Aber wir können mit einer Politik ohne Heilserwartungen signifikante Antriebskräfte mindern.

 

(2023/1) 6.1.2022
DIE ZEIT, veröffentlicht am 13.1.2023 im Internet-Angebot der ZEIT unter
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/01/13/5-januar-2023-2-ausgabe/
Demokratie; Beitrag von Samiha Shafy „Wie lässt sich die Demokratie beleben?“ (der elfte Vorschlag unter "Zwölf Ideen für eine bessere Zukunft"; DIE ZEIT No. 2 v. 5.1.2023, S. 32)

Wie verführerisch: eine Demokratie nach Themen, nicht nach Köpfen, Kapitalen oder Institutionen! An kommunalen Fragen ist das sogar lange erprobt, im Rahmen der sogenannten Dienel’schen Planungszellen oder Bürgergutachten; sie produzieren anerkannt praktikable und akzeptierte Lösungen.

Aber ginge das denn auch in einer Königsdisziplin, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik? Kant sagt: „Ja!“ und nennt in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ gleich den Vorteil eines unmittelbar rückgekoppelten Schmerzes: „Wenn … die Zustimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle, so ist nichts natürlicher als dass, da sie alle Drangsale des Krieges selbst beschließen müssten, (als da sind …,) sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“

Das gegenteilige role model sind Parlamentarier vom Kaliber eines Dr. Wolfgang Schäuble, heute in seiner 14. Wahlperiode. Zu Beginn der Neunziger war er einer der profiliertesten Befürworter des Aufbruchs der Bundeswehr in die Ära von Auslandseinsätzen mit scharfem Schuss. Diese besondere Errungenschaft ist ungeachtet massiver Fehlschläge und vielfacher Verluste und Traumata bis heute nicht ernsthaft hinterfragt.

P.S.:
Bei einem Sommerfest des Bundesministers des Innern saß ich einmal neben Herrn Schäuble im Bonner Graurheindorf auf einer Bierbank. Nun: Ich bewundere seine virtuose Eloquenz, seine Standfestigkeit und seine persönliche Lebensleistung. Allerdings meine ich: Nach zwei Wahlperioden hätte er seine Energie – ebenso regelmäßig jede/r andere Abgeordnete – sachgerechter anderen Lebenszielen gewidmet, zum Nutzen aller. Ein im langen Abgeordnetenleben angereichertes Vernetzungswissen ist m.E. unvermeidlich nachteilig für eine unvoreingenommene, sachorientierte Analyse politischer Problemstellungen. Die ausgedehnte Anwesenheit schafft ihre eigene Blase, macht überdies bekannt und leichter ansprechbar, schnürt ab und formt letztlich immer weniger repräsentativ.

Auf dem inspirierenden Weg zu dem von Hélène Landemore angeregten System ohne demokratische Elite könnten wir vielleicht schon einmal die parlamentarischen Halbwertzeiten einkürzen und uns damit deutlich mehr demokratische Konvektion gönnen 😉

Quellen:

-      Bürgergutachten/Planungszelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Planungszelle

-       Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden:
Zweiter Abschnitt, Erster Definitivartikel (Reclam-Ausgabe S. 12f), siehe auch
http://philosophiebuch.de/ewfried.htm

-      Zu MdB Wolfgang Schäubles prägender Rolle und als Beispiel manichäischer u. polemischer Rhetorik in der einleitenden Phase der out-of-area-Debatte siehe insbesondere den Redebeitrag in der Plenarsitzung v. 21.4.1993 zu UNOSOM II (Sitzung 12/151, Protokoll S. 12933ff = https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12933) und Schäubles polarisierende Kontroverse mit MdB Konrad Weiß / B’90-Grüne (Protokoll S. 12946f = https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12946)

 

(2022/50) 28.12.2022
DIE ZEIT, abgedruckt 5.1.2023
Krisen-Weihnacht; Leitartikel von Giovanni di Lorenzo „Eine Auszeit, keine Weltflucht“ (DIE ZEIT No. 53 v. 22.12.2022, S. 1)

Ein fantastisches Motto, dieses „Deutschland funktioniert!“. Gar nicht utopisch: Deutschland organisiert sich transparent und berechenbar, es plant mindestens mittelfristig, es übt sich in Erhaltung und Maintainance statt in schöpferischer Zerstörung, intern wie extern. Hinzu gehört aber Bereitschaft zu fortwährender Evaluation und Reflektion. Während wir uns die Ukraine-Hilfe auf die Habenseite schreiben, müssen wir Versäumnisse und Schäden nach unserer jahrzehntelangen Hilfe am Hindukusch nicht verdrängen.

Und wir sollten – da könnten das ältere und das jüngere Projekt zusammenführen – in der Tat jeden leidenschaftlichen Vermittlungsversuch für Menschen in Not wagen, ohne Auszeit, ohne Weltflucht. Fast so, als wären wir neutral.

 

Und ein paar Sammlerstücke aus früheren Jahren:

 

Die Mutter aller [meiner] Leserbriefe:

29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (Kölner Stadt-Anzeiger. v. 29.9.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

Und der am weitesten gereiste Leserbrief:

22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995

I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995. It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful decision"). So I would like to show an alternative view:

It is certainly true that Japanese military leaders commenced the hostilities against the USA. But the Japanese victims at Hiroshima and Nagasaki were in their vast majority civilians. And although they were victims, I am far from sure they were the real addressees of the bombs as well. There is quite a convincing hypothesis: The drop of the bombs in the first place aimed at impressing the counterparts of Truman at the Potsdam Conference of July/August 1945 - Truman, a just invested and still very uneasy-feeling American president. To add: according to now opened American files the Nagasaki bomb was also meant to test a completely redesigned ignition system.

The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event. We hear them over and over again – from Iraq, from France, from China etc. So humanity will never forget those victims, even if some wanted to.

 

Weitere Leserbriefe

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Oder auch ein paar Briefe für
Englisch-sprachige Medien.

Gerne meine >150 Leserbriefe, die zum Thema Außen- und Sicherheitspolitik, Auslandseinsätze bzw. „out of areaveröffentlicht worden sind.

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