Karl Ulrich Voss,
Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahr 2023
Stand: Mai 2023
(2023/39)
24.5.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der
Zeit am 26.5.2023
Kriegskommunikation der Ukraine; Anna Sauerbrey „Wir sagen jetzt Du“ (Ausgabe
No. 21 v. 17.5.2023, S. 1“)
Danke für das offene Wort. Tatsächlich scheint heute recht
belanglos, was an Präsident Selenskyjs Touren und Botschaften authentisch ist
und was clevere Polit-PR. Kiew ist hip, und Moskau ist verkalkt, vergreist und
verbittert, quasi im DOS-Modus steckengeblieben.
Egal ist wohl auch, was gerade man nicht sagt und
selten fragt: Ob die ukrainische Elite ein Modell für die langfristige
Koexistenz mit der großen Zahl ethnischer Russen in der Schublade hat. Oder wie
Ukrainer und Russen selbst darüber denken. Ob man dauerhaft Front-Staatler und
Minuteman sein will oder – was sich historisch ebenfalls anbieten würde –
Mittler. Mit einem lockeren „Du“ für Ost und West.
(2023/38) 17.5.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
IGLU-Studie 2022; Bericht und Kommentar bzgl. der aktuell schlechten IGLU-Noten
(Frank Olbert „Kinder haben Probleme mit dem Lesen“ und „Die Lernschwäche ist
chronisch“, Ausgabe v. 17.5.2023, S. 1 u. 4)
Mit der Bitte um
Nachsicht: Der erste Satz im ersten Artikel des Stadt-Anzeigers vom 17. Mai
lautete: „Bildungsverbände und Politiker haben mit Sorge auf die Ergebnisse
der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), denen zufolge die
Leseleistung deutscher Grundschüler deutlich schlechter ausfällt als vor 20
Jahren.“ Mit diesem leicht defizitären Satz hatten es die älteren
Schreiber*innen den jüngeren Leser*innen nicht leichter gemacht.
Und auch wenn es
heutzutage schmerzen mag, so zu denken: Als
Mitursache fehlender Lese- und Schreibübung könnten wir auch eine fehlgeleitete
Digitalisierung im frühen und frühesten Kindesalter verstehen, die dem Einüben
von Gedächtnis und Konzentration abträglich ist.
(2023/37) 17.5.2023
Kölner Stadt-Anzeiger Regionalausgabe
Rhein-Berg
Stadtentwicklung; Gebäuderiegel an der Friedrich-Goetze-Straße; Beitrag von
Timon Brombach in der Ausgabe v. 15.5.2023, S. 25 („Klimaschützer kritisieren
geplanten Gebäuderiegel“)
Der
IEHK-Planungsprozess hat sehr viele Beteiligte mit materiellem Interesse.
Hilfreich wäre, auch den schlüssigen Rat von nicht unmittelbar eingewobenen
Experten wie vom B.U.N.D. zu beachten – zu den naheliegenden Folgen des
kompakten Gebäuderiegels für das Klima einer Innenstadt, die fast
lückenlos versiegelt ist und thermisch bereits recht belastet. Es geht gerade
nicht nur darum, ob neue Gebäude je für sich aktuelle Energieauflagen erfüllen
werden; das wird schon gelingen. Es geht hier um die ganzheitliche Betrachtung
eines erweiterten Innenstadt-Ensembles und um die gebäudeübergreifenden
Konsequenzen bei Aufheizung, Zirkulation und Zugerscheinungen.
Wünschen würde ich uns
zudem: Ein sogenanntes Baugespann – ein Lattengerüst – nach guter alter
Schweizer Sitte, um die Konturen und Proportionen der Lindwurm-Planung 1:1 im
Raum erfahrbar zu machen, für jede und jeden. Dann wüsste Burscheid schon vor
dem Anrühren des Zements, wie ihm geschieht. Und könnte noch etwas retten, auch
für ein attraktives Stadtbild und für unsere Denkmalliste.
(2023/36) 16.5.2023
RGA Lokalausgabe Burscheid,
abgedruckt 17.5.2023
Stadtentwicklung; Artikel von Nadja Lehmann „Gefährdet dieses innerstädtische
Bauprojekt das Klima?“ (Lokalausgabe Burscheid v. 13.5.2023, S. 22)
Der
Stadtentwicklungsausschuss sollte die in der Sondersitzung v. 11.5.
vorgetragenen Bedenken ernst nehmen: Die Innenstadt ist bereits stark
versiegelt; eine kompakte und großvolumige Barriere wird das wachsende
Klimaproblem voraussehbar weiter verstärken. Egal, was immer man später an den
Wänden und auf den Dächern anbringen mag. Und davon abgesehen: Das „Bergische
Haus“ ist kein Gebäudezug. Die Bergische – und Burscheider – Siedlungsstruktur
ähnelt eher einer Streuobstwiese als einer breiten und hohen Stadtmauer. Zudem
würde dieser Riegel die im Stadtbild wichtige traditionelle Achse zwischen der
Kirchen-Zeile, dem Seifahrt-Haus und der Mebus-Hötte, heute Freikirchliche
evangelische Gemeinde, grob aufschneiden, dominieren bzw. überbauen.
Der angekündigte
Bebauungsplan ist de facto die Einladung für ein groß aufgestelltes
Unternehmen; davon wird die Stadt gar nicht mehr zurückkommen. Ganz im Sinne
des arg breitbeinig geschriebenen IEHK: Mächtige Geschäfte, steile Rampen und
nun noch ein kompakter Lindwurm. Das ist nicht die Stadtentwicklung, die mir
heimatlich und bürgerbezogen erscheint.
Anm.:
Lesenswert ist etwa der Beitrag von Hella Nußbaum „Die Bergische Bauweise und
ihre Renaissance um 1900“, in: Stefan Gorißen u.a. (Hrsg.), Geschichte des
Bergischen Landes Bd. II, Das 19. Und 20. Jahrhundert (2016), S. 454ff; weitere
Anm.: Das IEHK hebt unsere Beispiele Bergischer Bauweise sogar grundsätzlich
als ein wichtiges und attraktives Burscheider Asset hervor, siehe S. 23 und
speziell S. 65f (https://www.burscheid.de/
(2023/35) 28.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Evakuierung aus dem Sudan; Kommentar von Markus Decker „Erfolg für
die Truppe“ (Ausgabe v. 27.4.2023, S. 4)
Weltinnenpolitik? Der
schillernde Begriff hat uns schon zu Beginn der Neunziger beflügelt, die
deutsche Außen- und Sicherheitspolitik räumlich und sachlich zu entgrenzen –
damals beseelt von Francis Fukuyamas „End-of-History“-Theorie. Um anderen
Völkern dabei zu helfen, noch etwas schneller auf den Weg des Westens
einzuschwenken, mit ein wenig auswärtiger Gewalt und auch mit dem von Einigen
lange herbeigesehnten „scharfen Schuss“. Nüchtern gefragt: Wohin hat’s geführt?
P.S.:
Auch wenn es uns nicht so scheinen mag: „Rescue operations“ sind weder nach
nationalem noch nach internationalem Recht zweifelsfrei, weder im „Ob“ noch im
„Wie“ oder, daran ist es am leichtesten zu erkennen: „Ab wann genau?“ Die
Rechtsquellen dazu kann man bestenfalls diffus nennen, siehe etwa https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/evakuierung-ohne-rechtsgrundlage zur Evakuierung aus Afghanistan.
Und eine
„Weltinnenpolitik“ würde nach der Demokratie-Theorie zwingend eine globale
bürgerliche Repräsentanz voraussetzen, der gegenüber die im Einzelfall
handelnde „Welt-Exekutive“ rechenschaftspflichtig wäre („check and balances“)
und deren abstraktes Regelwerk („rule of law“) sie einzuhalten hätte.
Es sei denn, wir
wollten Akte der auswärtigen Gewalt – wie traditionell – als Deputat der
Königsklasse verstehen, dem Willen und der Urteilskraft der laienhaft denkenden
Bürger*innen weit enthoben, ähnlich den Naturgewalten.
Anm.: Ähnlich kritisch
hatte es bereits Immanuel Kant beschrieben, in seiner immer höchst lesenswerten
Schrift „Zum Ewigen Frieden“ v. 1795, im zweiten Abschnitt und ersten
Definitiv-Artikel (siehe Reclam-Ausgabe der Erstauflage in der
Reclam-Universalbibliothek Nr. 1501 auf S. 13; siehe auch hier im Volltext auf
S. 14: https://oxnzeam.de/wp-content/uploads/2015/11/kant-zum_ewigen_frieden.pdf).
(2023/34) 26.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
militärische Evakuierung aus dem Sudan; Kommentar „Nur ein kleiner Erfolg“ von
Daniela Vates (Ausgabe v. 25.4.2023, S. 4)
Es fällt schwer, daran vorbeizusehen:
Unsere Welt ist deutlich unsicherer, misstrauischer und feindlicher geworden.
Wir mögen das eine Herausforderung nennen, aber auch der Westen wird als
raumgreifender Herausforderer gesehen, seit der Zeitenwende 1989. Und
tatsächlich haben auch wir mit teils massiv gescheiterten militärischen
Interventionen Teile des Nahen und des Mittleren Ostens und auch Afrikas
destabilisiert, auf unabsehbare Zeit. Schwer kontrollierbare Ströme von
Migranten und global vagabundierende Waffenflüsse sind markante Nebenfolgen.
Solange wir nicht
unseren höchsteigenen Anteil an den dynamisch wachsenden Krisen nüchtern mit
bilanzieren, solange werden wir diesen Negativ-Trend nicht wandeln. Sondern
müssen symptomatisch therapieren, mit weiter zunehmenden rescue-operations wie
in Tirana, Kabul oder Khartum – und hoffentlich jeweils insoweit mit Erfolg.
P.S. zum Ende des 2.
Abs.:
Tirana = Operation Libelle am 14.3.1997, siehe etwa https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/33) 26.4.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Lokalausgabe Rhein-Wupper, abgedruckt 22.5.2023
Fahrrad-Klimatest 2022; Hans-Günter Borowski und Matthias Niewels „Schlechte
Wege und Ampelphasen“ (Lokalausgabe Rhein-Wupper v. 26.4.2023, S. 25)
Burscheid kann schnell
neue Punkte für den kommenden Fahrradklimatest einsammeln, und zwar in den
zentralen Kategorien „Erreichbarkeit“ und „Sicherheit“: Einerseits durch eine
nun endlich barrierefreie Anbindung der Balkantrasse an die Innenstadt – etwa
fast höhengleich über die Montanusstraße. Andererseits mit einer funktionaleren
Lösung für den bisher verwirrenden und nicht ungefährlichen Fahrrad-Slalom in
der mittleren Hauptstraße – z.B. mittels einer durchgehend klar abgegrenzten Radspur.
(2023/32) 21.4.2023
RGA Lokalausgabe Burscheid,
abgedruckt 25.4.2023
Kulturentwicklungsplan Wermelskirchen/Burscheid; Sabine Naber „Kultur schlägt
einen gemeinsamen Weg ein“ (Volksboten-Ausgabe v. 20.4.2023, S. 21)
Eine wesentliche
Wachstumsbedingung für eine gemeinsame Kultur wird neue Transparenz sein:
Einerseits zu den beiderseitigen aktuellen Veranstaltungen, und zwar digital
ebenso wie in ganz traditionellen, gut platzierten Schaukästen. Andererseits zu
den Spielstätten, für die erleichterte Planung von Proben und Aufführungen,
vielleicht auch zu gemeinsam nutzbarem Equipment.
Gut: Es wird weiter
lokale Interessen geben und Wettbewerb soll auch sein, aber eben auch das arbeitsteilige Ergänzen zu
einem größeren und nachhaltigeren Puzzle. Und wenn wir dann die Balkantrasse
als einen künstlerischen „Sendero Luminoso“ oder: als einen „Erleuchteten Pfad“
nutzen können, wenn wir ferner perspektivisch viele jüngste und junge
Künstler*innen auf den Weg schicken können – dann sieht die Zukunft sehr vielversprechend
aus. Öffentliche und nicht-öffentliche Förderung können gerade in der Kunst
nicht schaden: Mehr Moos, mehr los!
P.S.:
"Sendero Luminoso" ist für gewöhnlich in unseren Breiten nicht so
besonders gut angeschrieben, siehe etwa die Historie des peruanischen
Erleuchteten Pfades unter https://de.wikipedia.org/wiki/
Aber der Begriff
gefällt mir hier recht gut, zumal das Interkommunale Entwicklungskonzept
Burscheid/Wermelskirchen (IKEHK 2030) tatsächlich sogar die (physische)
Beleuchtung der Balkantrasse empfiehlt, siehe bei Interesse unter https://www.burscheid.de/
(2023/31) 10.4.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT am 14.4.2023 =
https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/04/14/05-april-2023-ausgabe-15/
KI; Leitartikel von Peter Neumann „Sind wir denn dumm?“ (Ausgabe No. 15 v.
5.4.2023, S. 1)
Natürlich sind wir
nicht dumm. Aber wir werden immer dümmer, seit unvordenklicher Zeit. Noch der
Vetter aus dem Neandertal hatte ein komfortableres Hirnkammer-Volumen und nach
gefestigten anthropologischen Daten schrumpft unser Denkstübchen zusehends weiter
– seit der festen Siedlungsbildung vor ca. 10.000 Jahren und wegen der dann
zunehmenden Arbeits- und Denk-Teilung. Für manche noch gruseliger: Laut zuletzt
norwegischen Erhebungen schwächelt jetzt auch unser Intelligenzquotient. Unsere
unzähligen digitalen Orientierungs- und Erinnerungs-Helferlein machen es wohl
möglich.
Künstliche Intelligenz
dürfte da nichts so Neues sein. Allerdings mag sie unsere Fähigkeit stärken,
die Welt unbedacht aus den Angeln zu heben – grundstürzend oder neudeutsch:
disruptiv. Dort sehe ich drei zentrale Risikobereiche: Gen-Engineering,
Geo-Engineering und Policy-Engineering, also den Versuch, mit
Stabilbaukasten-Mentalität unsere Erbanlagen, unser Geosystem oder unsere
bürgerliche Kontrolle manipulativ zu „optimieren“.
Auch ein Moratorium
macht wohl wenig Sinn – die Dienste dieser Welt sind unseren bürgerlichen
Phantasien typischerweise weit voraus. Wie setzte es eine Schlagzeile schon
beim Brexit zurecht: „The Bots Want to Leave Europe!“
Quellen etwa:
https://edition.cnn.com/2018/
https://www.n-tv.de/wissen/
(2023/30) 28.3.2023
RGA Volksbote / Lokalteil
Burscheid, abgedruckt: 29.3.2023
Umwelt und Stadtbild; Nadja Lehmann: „Unsere Stadt soll wieder sauberer werden“
(Lokalteil Burscheid v. 28.3.2023, S. 21)
Der Müll muss zuerst
weg – und neuen Müll sollten wir vermeiden. Aber dann sollten wir den Blick
noch etwas weiten: Es gibt einige öffentliche Wegeparzellen in Burscheid, die
werden selten bis nie gekehrt oder gelichtet. Altes Laub stapelt sich in
Schichten; die einzigen, die sich freuen und dynamisch und spitzig ausgreifen,
das sind Haselsträucher & Brombeeren direkt am Wegesrand. Auch das gehört
zum Stadtbild, aber eben nicht zu den erbaulichsten Ansichten. Klar: Der Kreis
und die Stadt können das nicht in beliebiger Häufigkeit und Qualität stemmen,
bei allem anderen, was zu tun und zu finanzieren bleibt. Dort werden halt
freiwillige Patenschaften die einzige Lösung sein.
Beikircher sagt:
"Am schönsten ist’s, wenn’s schön ist!“ Und der Kriminologe weiß: Eine
Umgebung, die auf sich hält, produziert messbar weniger Kriminalität und
Vandalismus. Also: Selbst wer gerne egoistisch unterwegs ist, hat damit ein
prima Motiv für’s Mitmachen. Und am sichtbaren Ergebnis kann man sich das ganze
Jahr lang freuen.
P.S.:
Man könnte sicher auch die „öffentlichen Abfallbehälter“ Burscheids gerechter
verteilen. Bornheim etwa hat m.E. keinen einzigen, Groß-, Klein- und
Berg-Hamberg besitzen zusammen wohl nur einen städtischen Mülleimer; in
Dierath stehen dagegen gleich zwei in gegenseitiger Sichtweite
und mindestens vier weitere gibt’s gratis dazu. Diese
Ungleichverteilung macht sich etwa bei Hundespaziergängen bemerkbar – man trägt
seinen lieben Hunden stundenlang diese olfaktorisch auffälligen Säckchen
hinterher 😉
(2023/29) 22.3.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Irak-Krieg; Analyse v. Markus Decker „Krieg mit einer Lüge gerechtfertigt“
(Ausgabe v. 20.3.2023, S. 4)
Danke! Eine allseits
kritische Analyse ist ein guter Ansatz; vermutlich ist das sogar unverzichtbar,
um die einander überlagernden Krisen der Jetztzeit zu lösen.
Derjenige Teil der Menschheit,
der sich nicht zum Westen zählt – und das ist der deutlich größere – der sieht
unsere Rolle der letzten 30 Jahre mutmaßlich fragwürdiger als wir: Dass wir
bestehende Herrschaftssysteme mit unserer überlegenen Militärtechnologie
tatkräftig aufbrechen konnten, dass wir aber viel zu häufig nichts
Verlässliches an deren Stelle setzen konnten, auf dem Balkan oder in Asien.
Dass wir zwar die Menschenrechte im Schilde führen, dass wir aber parallel
wirtschaftliche Eigen-Interessen verfolgen. Dass ganz oder teilweise
fehlgeschlagene Interventionen einen beträchtlichen zusätzlichen
Migrationsdruck verursacht haben.
Es spricht viel dafür,
unsere ambitionierten Strategien nach 1989 zu überprüfen und ggf. zu
modifizieren, um eine neue Balance vorzubereiten. Die globale Konvergenz nach
westlichem Vorbild, wie sie etwa Francis Fukuyama vorgeschwebt hatte, möchte
ich jedenfalls bis auf Weiteres als Utopie verstehen.
P.S.
Mit einem gewichtigen wirtschaftlichen Eigeninteresse hatte etwa auch Alfred
Neven Dumont argumentiert, als er i.J. 2003 die verpassten deutschen Chancen
beim späteren Wiederaufbau des Irak beklagte; siehe Alfred Neven DuMont
"Der Weg ins Abseits. Die USA, Deutschland und der Krieg",
Leitartikel im KStA v. 15./16.2.2003, S. 4
(2023/28) 17.3.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Potenziale von ChatGPT; Christian Bos „Das freundliche Gesicht der
Maschinenrevolution“ (Ausgabe v. 17.3.2023, S. 20)
Sehen wir es nüchtern:
Gefüttert mit den deutschen Schlagzeilen der letzten 12 Monate zuzüglich der
Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen würde ChatGPT die folgende
Empfehlung auswerfen: Zum nächstmöglichen Zeitpunkt wird Alice Schwarzer
Kanzlerin und Sahra Wagenknecht Ministerin des Auswärtigen.
Ersetzen wir bei der
Eingabe die VN-MRK durch die Bilanzentwicklung von Rheinmetall, dann kämen der
Lanz Markus und Roderich Kiesewetter heraus. Mit der ersten Frage und Antwort
könnte die Welt nach aller Wahrscheinlichkeit freundlicher und länger leben.
(2023/27) 3.3.2023
DER SPIEGEL
Ukraine-Krieg; Essay von Herfried Münkler „Wie beendet man einen
Erschöpfungskrieg?“ (Ausgabe v. 25.2.2023, S. 110f)
Herfried Münkler denkt
für den Staatsmann und er denkt – wie ich es sehe – zu kalt und zu kurz. Der
unbegrenzte Nachschub aus der sicheren Etappe macht ohne ein klares und völlig
eindeutig kommuniziertes Ziel wenig Ehre und wenig Sinn. Was aber könnten
unsere Ziele für eine Nachkriegs-Ukraine sein?
Erstens: Gesicherte
Grenzen nach Stand der 1991er Staatsgründung. Zweitens, und das ist unbedingte
Klarheit, die wir sowohl von Kiew als auch von Moskau fordern müssen: Einen
pluralistischen, toleranten und gerade nicht diskriminierenden Modus für das
Zusammenleben mehrerer Ethnien. Drittens, und das mag Verhandlungssache sein:
Eine zeitlich und räumlich definierte Entmilitarisierung beiderseits der
Staatsgrenzen. Bei der Realisierung des zweiten und/oder dritten Punktes mag
Herr Münkler praktisch werden und sich vor Ort engagieren. Für solche Ziele
macht ein Waffenstillstand sogar Sinn.
P.S.:
Ich räume ein, dass ein Waffenstillstand keinen Sinn macht, wenn das
wesentliche eigene Kriegsziel ein langfristig nachhaltiger Schlag gegen
Russland sein sollte. Ähnlich, wie es mal Kaiser Wilhelm II in seiner
berüchtigten "Hunnenrede" beim Einschiffen des deutschen Kontingents
zum Niederschlagen des Boxeraufstandes formuliert hatte "... dass es
niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!"
Zum damaligen Hintergrund: https://de.wikipedia.org/wiki/Hunnenrede
(2023/26) 28.2.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; Kommentar „Der Gescheiterte“ von Kurt Kister in der Ausgabe v.
24.2.2023, S. 4
Man kann sich die Hände
blutig waschen, in lauter Unschuld. Wie Indien, Brasilien, Südafrika, Israel,
große Teile des globalen Südens und nicht zuletzt Russland es heute sehen
mögen? Das liegt daran, wo genau man den Tabulator für relevante Zeitenwenden
setzt. Etwa nach 1989, als Deutschland sein militärisches Vorfeld in gleich
mehreren Dimensionen nachhaltig entgrenzte – räumlich bis mindestens zum
Hindukusch, zeitlich auf bereits präventive bewaffnete Eingriffe, sachlich
auf den Schutz nun auch ökonomischer Expektanzen qua auswärtiger Gewalt? War es
realistisch anzunehmen, das alles zum Nulltarif zu bekommen?
Russland hat im Jahre
2022 den Krieg zurück nach Europa gebracht, das ist richtig, aber es ist aus
einer Außenperspektive eben nur die halbe Wahrheit: Der Westen war im Falle der
europäischen Hauptstadt Belgrad sehr ähnlich unterwegs, jedenfalls mit dem
vergleichbaren Ziel, bisherige Staatlichkeit und existente Grenzen
aufzutrennen, und dies mehr als 20 Jahre zuvor, ebenso ohne Testat der VN.
Lösungsansätze für den
zu einem ganz wesentlichen Teil ethnischen Ukraine-Konflikt sind auch gar nicht
in Kiew, Berlin, Moskau oder Washington zu vermuten. Sie werden auch nicht im
idealtypischen Durchsetzen einer nationalstaatlichen Symbolik bestehen. Ansätze
– eigentlich: Prozesse – werden wir am ehesten in Mischregionen suchen müssen,
wie in Südtirol, im Elsass, im Baskenland, letztlich auch in Verdun, wo über
Jahre Franken gegen Franzosen verbluteten und umgekehrt.
(2023/25) 27.2.2023
DIE ZEIT
Ukraine-Krieg; Interview von Andreas Öhler und Georg Löwisch mit den
Theologinnen Petra Bahr und Margot Käßmann (Ausgabe No. 9 v. 23.2.2023, S. 54)
Meine Südtiroler Wirtin
erzählte uns gerade diese Begebenheit: Zwei Männer aus St. Peter a.k.a. S.
Pietro eingangs des Grödner Tals, die sich vor 1914 häufiger im Gasthaus resp.
Albergo Überbacher getroffen hatten, sie standen sich nach Kriegsausbruch
plötzlich in dem mit unvorstellbarer Menschenverachtung geführten Bergkrieg in
der Nähe des Lagazuoi gegenüber, Auge in Auge. Sie senkten die Waffen und
drehten sich um. Nach 1918 haben sie häufig beim Überbacher angestoßen.
Diese verbürgte
Geschichte scheint mir die richtige Richtung zu zeigen. Sie erzählt nichts von
rücksichtsloser Sehnsucht und sie liegt fern von einem sicheren Arbeitszimmer
oder von jeder Staatsräson. Dort, wo ich auch die Kirchen suchen möchte.
P.S.:
Im Interview wird ein großer Katechismus mit der verblüffenden, aber bei der
Feld-Seelsorge offenbar nicht unpraktischen Fußnote „Gilt nicht im Kriege“
zum fünften Gebot erwähnt. Er ist mir nur zu gut bekannt. Unser damaliger
Gemeindepfarrer, ein erfahrener früherer Militärseelsorger, hatte ihn mir stolz
im Jahre 1993 präsentiert. Ich hatte mit ihm die Operation UNOSOM II erörtert
und hatte ihn um eine kirchenethische Einordnung für etwas gebeten, was man
auch damals schon als eine „Zeitenwende“ hätte charakterisieren können – eine
Zeitenwende, mit der sich in der Folge einige zehntausend zivile Opfer oder
„collateral damages“ verbinden lassen; von der Bundesregierung sind solche
Opfer allerdings nie systematisch erfasst worden.
Eine allerdings damals
von der Opposition angestoßene Ausnahme ist das erste überhaupt in einer
Bundestagsdrucksache verbriefte zivile Opfer eines bewaffneten
Auslands-Einsatzes der Bundeswehr, nämlich bei der bereits erwähnten und später
erfolglos abgebrochenen Operation UNOSOM II, siehe https://dserver.bundestag.de/
(2023/24) 25.2.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine-Krieg; Leitkommentar von Berthold Kohler „Putin muss scheitern“ in der
Ausgabe v. 24.2.2023, S. 1
Wenn Putin „scheitern
muss“, dann mag man ebenso lesen, dass genau das zweifelhaft ist. Und tatsächlich
weist der Kommentar auf Schwachstellen des Westens hin, etwa auf eine
zweifelhafte Bereitschaft zu dauerhafter Unterstützung, auf die etwaige
Beihilfe Chinas auf Seiten Russlands, auf einen ggf. bald wieder
selbstgenügsamen amerikanischen Hegemon. Ergänzende Zweifel würde ich hegen, da
die bisherige Ukraine-Politik Deutschlands, aber auch Europas keinem
erkennbaren Plan und Ziel folgt, sondern ausschließlich reaktiv daherkommt. Das
schadet bereits der internen demokratischen Vermittlung und Debatte - auch im
Zusammenhang mit dem Schwarzer'schen Manifest. Es mindert aber auch die Chancen
diplomatischer Mitgestaltung.
(2023/23) 24.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine-Krieg; Leitartikel „Die Pflichten des Westens“ von Carsten Fiedler in
der Ausgabe v. 24.2.2023, S. 4
Meine ungeteilte
Zustimmung: Ohne klar definierte und kommunizierte Ziele werden wir einer
Lösung dieses krebsartigen Konflikts keinen Schritt näherkommen, nicht einmal
einem zeitweiligen Einfrieren.
Aber genau das ist nach
der Erfahrung des ersten Kriegsjahres etwas leichter gesagt oder geschrieben
als getan. Es wäre auch eine hochpolitische und geradezu detektivische Aufgabe:
Die entscheidenden, auch die informellen Akteure zu identifizieren, ihre
Interessen strategisch auszugleichen und daraus eine realistische, nicht nur
pro forma unterbreitete Verhandlungsgrundlage zu destillieren.
Bis dahin wird die
Blutpumpe an einer 1000 km messenden Front hochtourig weiterlaufen, mit mehr
als einem Toten pro Kilometer pro Tag. Und sie wird mit immer
lebensfeindlicheren Mechanismen ausgebaut werden. Das ist das wahrhaft
Gespenstische an diesem Tag.
P.S.:
Unser gegenwärtiges Setting erinnert mich fatal an Thomas Stearns Eliots
"Hollow Men", speziell an die letzten Zeilen dieses Gedichts, die später
auch Nevil Shutes "On the Beach" eingeleitet haben. Oder an den in
Eliots Gedicht ganz anfänglich erwähnten Kurtz, einen Charakter aus Joseph
Conrads "Heart of Darkness", der am Ende nochmals in Francis Coppolas
"Apocalypse Now" aufgegriffen werden sollte.
(2023/22) 21.2.2023
FOCUS
Lösung des Ukraine-Konflikts; Beitrag „Wie schaffen wir Frieden?“ von G.
Dolmeteit und M. Wollscheid (Ausgabe v. 18.2.2023, S. 38)
Kein Schritt zum
Frieden ist m.E. ein handlungsreisender Kanzler Scholz, auf der Pirsch nach
mehr Munition oder Schießgerät. Das ist nicht sein Job, es schließt die spätere
Maklerfunktion aus und es war hier sogar wenig erfolgversprechend. Definitiv
kein Beitrag sind Talkshows, in denen aktuell ein „sachverständiger“
Oppositionspolitiker über das Liefern von Kampfflugzeugen, sodann Angriffe auf
Nachschub auf russischem Staatsgebiet und ein Aushungern und so leichtes
Wiedereinnehmen der Krim parliert.
Ein erster Schritt wäre
aber, die NATO als besonders wahrgenommenen und hier nicht völlig interessefreien
Akteur und Ansprechpartner zu ersetzen, durch eine frisch beatmete OSZE. Der
zweite könnte sein, in den Grenzen von 1991 einen international überwachten
Autonomie- und Minderheiten-Mechanismus aufzubauen, ähnlich dem in Südtirol.
Anmerkung hier: Wir dürften oder müssten uns dann freilich aus der bequemen
Etappen-Position des Nachschublieferanten weiter nach vorne wagen. Der dritte
Schritt könnte sein, den Hafen der Schwarzmeerflotte in realistischer Zeit aufs
russische Festland zu verlagern und speziell für die Krim 50 Jahre
NATO-Enthaltsamkeit zu geloben.
P.S.:
Mit dem Oppositionspolitiker ist hier Roderich Kiesewetter gemeint, in einer
ntv-Gesprächsrunde am 20.2.2023 mit Eva Quadbeck bei Micky Beisenherz, siehe https://www.tvnow.de/shows/
(2023/21) 21.2.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; zum Kommentar „Putins Gewalt“ von Stefan Kornelius (Ausgabe v.
18./19.2.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:
Natürlich ist die Lage
zeitkritisch, für Kinder und Greise, Frauen und Männer. Und ich bitte um
Nachsicht für meinen bitteren Sarkasmus: Nun, da wir den altbösen Ost-Feind zum
dritten Mal auf der Streckbank haben, nach 1941 und 1989 – warum bitte sollten
wir ihn so schnell herunterlassen? Zumal wir heute mit der Haut von
Hunderttausenden von Slawen heroisch sein dürfen, komfortabel schmerzfrei. Und
zumal wir jetzt überdurchschnittlich qualifizierte und motivierte Migranten in
den bei Fachkräften notleidenden Standort inkorporieren können.
Wenn schon die
Regierung in Kriegsjahren rechnet, dann werden wir auch Verdun irgendwann
vergessen können, die monströse Blutpumpe. Und zugleich auch die vielen Pleiten
und Pannen unserer militärischen Expeditionen und Operationen der vergangenen
30 Jahre mitsamt ihrem gewaltsamen zivilen Blutzoll und den auf Generationen
destabilisierten Regionen. Es ist und bleibt erhebend, sich auf der Seite –
oder halt in der Blase – der Guten zu wissen. Sarkasmus Ende.
(2023/20) 20.2.2023
Frankfurter Allgemeine
Ukraine-Krieg; Kommentar v. Berthold Kohler: „München an Moskau: Wir halten
durch“ (Ausgabe v. 18.2.2023, S. 1)
M.E. brauchen wir
keinen neuen Macher-Typen, keinen vom Kaliber eines Springflut-Schmidt. Und
sicher keinen Havanna-Schröder. Am wenigsten einen wie Olaf Scholz, der gleich
einem Handlungsreisenden durch die Welt zieht, um Munition oder
Panzer-Kameraden zusammen zu scharren.
Wenn wir ehrlich sind:
Dann brauchen wir an diesem Jahrestag mit einigen hunderttausend toten Slawen
am ehesten einen wie Willy Brandt, der sich zwischen die Fronten denken können
müsste. Um den Score nicht im nächsten Kriegsjahr durchzuhalten, gar zu
vermehren. Und um unsere kulturelle, merkantile und physische Welt nicht
bersten zu lassen.
P.S.:
Die für mich nach wie vor schlüssigste Theorie zur statistisch signifikanten
Abweichung zwischen (lt. Forschung heute sehr hohen) Zahlen habitabler Welten
und der (noch immer extrem geringen) Erfahrung mit außerirdischen Besuchern –
damit auch eine Erklärung für die völlig fehlenden Erfolgsmeldungen jahrzehntelanger SETI-Forschung – ist und bleibt: Technische Zivilisationen scheitern
typischerweise an Energie-Exkursionen, lange bevor sie die Fähigkeiten für
interstellaren Raumflug oder auch nur für eine Kommunikationsform entwickeln,
die über ihren jeweiligen Inkubator nennenswert hinausreicht. Oder auch Murphy‘s
Gesetz: Man multipliziere eine auch nur geringe Chance des
terminalen Schadenseintritts mit nach oben offenen Zeitabschnitten und erzielt
bald Gewissheit, früher oder später.
(2023/19) 19.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 21.2.2023
Lösung des Ukraine-Konflikts; Interview von Joachim Frank mit Margot Käßmann in
der Ausgabe v. 18./19.2.2023, S. 4 („Es geht nicht um den Sieg“)
Um die abschließende Frage von Joachim Frank an Margot
Käßmann aus meiner Sicht zu beantworten: (1) Territoriale Integrität der Ukraine
in den Grenzen der Staatsgründung i.J. 1991. (2) Autonomiestatut für
mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnte Gebiete nach dem Vorbild Südtirols,
für 10 Jahre international überwacht. (3) Abbau des Flottenstützpunktes auf der
Krim binnen fünf Jahren und kein NATO-Stützpunkt für die kommenden 50 Jahre.
Einen solchen Ansatz zu versuchen, das wäre in jedem Fall
humaner, als während des nächsten Jahres die Million slawischer Opfer voll zu
machen, und dabei angestrengt mit erhobenem Zeigefinger wegzusehen. Da gebe ich
Frau Käßmann völlig recht.
(2023/18) 16.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
„Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sowie massive
Feindbilder im Ukraine-Krieg; Titelbild „Vampir Putin“, Leitartikel „Die Fehler des
Manifests“ von Carsten Fiedler (KStA v. 15.2.2023; S. 1 u. 4) und Beilage
„Kölner Rosenmontagszeitung“ (zu Emanationen Putins dort auf S. 12 u. 27)
Man hätte et Alice und
et Sahra doch direkt zum Vlad in seiner Blutorgie dazu retuschieren können.
Jedenfalls vorn auf dem Stadt-Anzeiger; für die Persiflage-Wagen kam das
Manifest ja etwas knapp. Im Ernst: Wir sehen eine Blutpumpe im ukrainischen
Bachmut mit mehr als 1.000 toten Slawen pro Tag, noch vor jedem Leo. Da
erscheint mir jeder Verhandlungsversuch deutlich schlüssiger als das
besinnungslose Beistellen immer neuer, immer tödlicherer Waffen. Wobei das
Ost-Gemetzel für uns hier zugegeben angenehm schmerzlos läuft.
Für meinen Teil werde
ich den Aufruf unterzeichnen und auf einen Karneval dankend verzichten, der
genüsslich giftigste Feindbilder anrührt und den altbösen Feind beschwört –
etwa garniert mit Sowjetstern, Hammer und Sichel. Einen Persiflage-Wagen zur
Bombardierung der slawischen Hauptstadt Belgrad hat dieser Karneval m.W.
niemals auf die Straße gebracht. Nicht 1941, nicht bei der nächstfolgenden
Zeitenwende 58 Jahre danach.
Nachtrag: Habe
mitgezeichnet.
Das sehe ich genauso –
eine Strategie fehlt noch. Und sie müsste, um im Westen stabile Mehrheiten und
im Osten Akzeptanz zu finden, schon heute über das etwaige Ende der Kampfhandlungen
hinausdenken. Ein zentraler Aspekt wird dabei sein: Wie sollen in einer wieder
einheitlich beherrschten Ukraine die Ethnien zusammenleben? Wollen wir
Stabilität durch kulturelle Vereinheitlichung, ggf. durch Umerziehung oder
Verlagerung erreichen? Oder wollen wir – was unseren grundlegenden Werten
deutlich näher läge – ein Neben- und Miteinander aktiv fördern, etwa durch ein
in der Verfassung verbrieftes Autonomie-Statut nach dem Vorbild Südtirols? Die
erste Variante wird den Weg zu einem Waffenstillstand verzögern, die zweite
beschleunigen. Und die zweite Variante wäre gleichzeitig ein deeskalierendes
Modell für das Zusammenleben von Russen und Ukrainern in der Diaspora.
In keinem Fall sollten
wir zum strategischen Ziel erklären, Putin zu Fall oder Moskau ins Schleudern
zu bringen. Es sei denn, wir wollten den blutigen Konflikt open ended
verlängern, auf Kosten der Ukrainer jeder Ethnie.
Die Briefe des General
Ludendorff an seine frühere Ordonnanz Rudolf Peters können zeigen: Burscheid
war mit der Nase dabei, als Weltgeschichte geschrieben wurde. Mitumfasst ist
hier die damals in Deutschland noch völlig ergebnisoffene Phase nach 1914, als
sich sowohl national-konservative als auch national-radikale Kreise mit
Weltverschwörungstheorien etwa des Henry Ford infiziert hatten – speziell nach
den berüchtigten „Protokollen der Weisen von Zion“. Die hatte Ford in seinem
offen antisemitischen Pamphlet „The International Jew – The World’s Foremost
Problem“ weit verbreitet. Ludendorffs Brief v. 8.1.1924 knüpft möglicherweise
genau dort an.
Baldur von Schirach hat
Fords Schrift noch in den Nürnberger Prozessen nach 1945 zitiert, als eine Art
Bibel der jungen Nazis. Die nun aufgetauchte Sammlung verspricht eine hoch
interessante Lektüre und viele neue Einblicke dazu, was damals geschah und ob
und wie man noch hätte gegensteuern können!
Quellen
https://de.wikipedia.org/wiki/
Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/
(2023/15) 8.2.2023
Süddeutsche Zeitung
chinesischer Ballon; „Spionagesatellit alarmiert auch Berlin“ von Juri Auel et
al. sowie Kommentar „Die Machtdemonstration“ von Stefan Kornelius (Süddeutsche
v. 6.2.2023, S. 1 u. 4)
Zum Glück unterscheiden sich die Schlagzeile auf S. 1 und
der Kommentar auf S. 4 ein wenig: Die Schlagzeile spricht fett und leicht
eskaliert schon von einem „Spionagesatelliten“. Der Kommentar lässt die
Einordnung immerhin noch offen, sieht eine Eskalation und bewusste Machtdemonstration
sogar eher auf amerikanischer Seite, getrieben von Hardlinern und einer
emotionalisierten Öffentlichkeit.
Leider sehen wir heute viel zu selten noch den Pfad dahin –
und das wäre m.E. nicht nur Nine-Eleven, mit dem offenbar von zornigen Islamisten
intendierten und erreichten Säurebad für alle organisierte Staatlichkeit dieser
Welt, im Westen wie im Osten, Norden oder Süden. Gehen wir noch einen Schritt
davor, nämlich auf den 7. Mai 1999: Als im Rahmen der wohlgemerkt nicht
durch die VN indossierten Operation Allied Force (OAF) eine europäische
Hauptstadt bombardiert wurde, dabei auch die – vor Ort kaum zu verwechselnde –
chinesische Botschaft in Belgrad. Mit bunkerbrechenden Raketen, mit einigen
Toten und Verletzten und mit nachlesbaren Folgen in der chinesischen
Militärdoktrin. Blicken wir dann in die Phase noch davor, dann sehen wir u.a.
unseren eigenen militärischen Aktionsraum und Anspruch global erweitert,
scharfen Schuss inklusive, in der Praxis höchstens um die Reichweite unserer
aktuellen Interessen begrenzt, nicht aber rechtsstaatlich definiert, durch
Gesetz i.S.v. Art. 19 GG.
Es ist an der Zeit, alles das im Kontext zu bewerten, auch
die globalen Psychosen daraus sowie eine nun wieder zunehmend entglobalisierte
Wirtschaft und Kultur. Immerhin: Ratlose Zauberlehrlinge allerorten.
(2023/14) 7.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger,
Lokalausgabe Rhein-Wupper
Frühzeit des Nationalsozialismus; Artikel von Peter Seidel „Briefe von Erich
Ludendorff beim Aufräumen gefunden“ (Lokalausgabe Rhein Wupper v. 4./5.2.2023,
S. 36)
Das war wirklich ein besonderer Dachbodenfund! Gerade die
jüngeren Briefe aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg weisen zurück in eine
zumeist vergessene, aber sehr schicksalhafte Phase: Als nämlich sowohl
national-konservative als auch national-radikale deutsche Kreise prägende
Impulse und ideologische Bestärkung aus einer heute unerwarteten Richtung
empfingen – aus der sehr konservativen Elite im Umfeld der damaligen „America
First“-Bewegung. Tatsächlich war Ludendorff, dessen Brief vom 8.1.1924 Herr
Seidel hier zitiert, fasziniert von der Weltverschwörungs-Legende gemäß den
sogenannten „Protocols of the Learned Elders of Zion“ – heute als
gezielte plumpe Fälschung überführt. Der offene Antisemit und Automagnat Henry
Ford hatte sie zunächst in seiner Haus-Gazette „The Dearborn Independent / The
Ford International Weekly“ und sodann in dem vierbändigen Werk „The
International Jew: The World’s Foremost Problem“ effizient verbreitet.
In den Nürnberger Prozessen nach Ende des Zweiten Weltkriegs
hat der "Reichsjugendführer" Baldur von Schirach betont: Die jungen
Nazis hätten Fords Machwerk geradezu als Offenbarung aufgesogen. Konsequent
hatte Ford dann auch die Einleitung zur amerikanischen Ausgabe von Hitlers
„Mein Kampf“ verfasst, hat damit auch eigenes Gedankengut in die USA
re-importiert. Und er hat mit stolzer Brust – wie auch der ähnlich
deutschfreundliche Atlantikflieger Charles Lindbergh – noch im Jahre 1938 (!)
den höchsten deutschen Orden für Zivilisten entgegengenommen, den deutschen
Adlerorden. Also: Hier hat die Weltgeschichte in Burscheid angeklopft; ich
würde diese Briefe sehr gerne einmal durchgehen.
(2023/13) 4.2.2023
Frankfurter Allgemeine
chinesischer Ballon; Leitartikel von Nikolas Busse „Folgen einer Ballonfahrt“
(Ausgabe v. 6.2.2023, S. 1)
Im Vergleich der Medien sehr löblich und ein Stück weit
deeskalierend: Wenn es „Spionage!“ nicht gleich aus den Schlagzeilen der F.A.Z.
heraus schreit. Denn dass der Ballon militärisch auskundschaftete, das munkelte
man ja bisher nur in den „Experten“-Kreisen des einen Lagers und selbst dort
galt er nicht als „smoking gun“.
Und sehr richtig: Die strategische Konkurrenz und die damit
verbundenen, fast psychotisch zu nennenden Ängste beider Seiten sind ein
monumentales Rad. Durch einzelne Begegnungen kann es kaum gedreht werden bzw.
können sich die Akteure offenbar nicht therapieren. Es bedarf eines
weitreichenden Konzepts mit vielen vertrauensbildenden, gleichzeitig nicht in
eine andere Richtung vertrauensgefährdenden Maßnahmen, um ein Gleichgewicht zu
halten, sine ira et studio. Eine höchst undankbare, ganz und gar
unheroische Sisyphos-Aufgabe; derzeit sehe ich keinen Aspiranten dafür, keinen
Menschen und keine Nation.
(2023/12) 1.2.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Werbung für den „Traumberuf E-Sportlerin“ in der Ausgabe v. 31.1.2023
(Aufmacher auf S. 1, Artikel von Mariana Friedrich unter den
Duda-Kindernachrichten auf S. 13)
Erstaunliche Koinzidenz: Am Morgen beschreibt der
Stadt-Anzeiger in den Kindernachrichten den großen deutschen Nachholbedarf bei
Computerspielerinnen auf hohem Niveau – bei den wenigen Profis und bei der dann
notwendigerweise großen Pyramide von Amateurinnen und Anfängerinnen darunter. Und
in den Abendnachrichten laufen entzückende Trailer von der Nürnberger
Spielwarenmesse, die den beschleunigten Vormarsch künstlicher („virtual“) und
verschmelzender („augmented“) Wirklichkeiten in die Kinderzimmer animieren.
„Catch them young!“ ist halt ein altbewährter Rat.
Asien, hast Du es schon besser? Nicht wirklich: Nach
aktuellen Studien nimmt dort die Myopie oder Kurzsichtigkeit in den
urbanisierten Gemeinschaften epidemische Ausmaße an – und zwar effizient
angetrieben durch veränderte digitale Sehgewohnheiten und insbesondere
Lichtfarben und Sehabstände. Auch mit der Folge zunehmender praktischer
Blindheit schon in mittleren Lebensjahren. Wenn man es sarkastisch nimmt:
Proportional steigen werden in jedem Fall die Berufschancen als Optikerin und Augenärztin.
Vorausgesetzt, man verbringt einen gehörigen Teil seiner Jugend an der frischen
Luft.
Quellen u.a.:
https://en.wikipedia.org/wiki/
https://www.elza-institute.
(2023/11) 31.1.2023
Das Parlament
Ukraine-Krieg; Editorial der Ausgabe v. 23.1.2023: Christian Zentner „Zögern
oder Zaudern?“
Wenn sich die deutsche Außenministerin – politisch
sozialisiert in einer ehedem nachhaltig pazifistischen Partei – ohne Zögern
noch Zaudern in einen Koalitions-Krieg gegen Russland hineindenken kann, dann
sind die bedingten Reflexe dieser Republik lange verschlissen, sowohl
diejenigen aus der Gründungszeit als auch die aus der Sturm- und Drangzeit der
60er. Die Chancen Deutschlands als Mittler und Makler sind allerdings ebenso perdu.
Bitterböse gewendet kann man es ferner so sehen, und das
mag sogar im Ergebnis der heute noch etwas distanzierteren Haltung der
politischen Mehrheit nahekommen: „Alii bella gerant, tu felix Germania
vende!“ Oder auch: „Lass andere Kriege führen und verkaufe derweil
Waffen!“
P.S.:
Streng genommen trifft das „vendere“ im zweiten Absatz nicht zu –
tatsächlich wird die Bundesrepublik die Kosten der Waffenlieferungen selbst
tragen, siehe etwa aus für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen: https://www.br.de/nachrichten/
(2023/10) 30.1.2023
Süddeutsche Zeitung
Ukraine-Krieg; Detlev Esslingers Kommentar „Führung? Oh je“ (Süddeutsche v.
28./29.1.2023, S. 4)
Führung? Ja, es mutet schon lange an wie die Führung des
gequälten Tanzbärs – Führung durch das stringente Gewissensmanagement eines
Selenskij, Melnyk, Sikorski oder des einen oder anderen Thinktank.
Nicht so bei den freiheitlichen oder den grünen Partnern
der SPD; sie denken sich mit einiger Freude in die zum Glück von allen Wählern
distanzierte Kriegssituation hinein, siehe jüngst im Überschwang unsere
Außenministerin: Endlich wieder ein gerechter Krieg und viel ehrbare Rüstung;
dies mag nachhaltig frustrierende Traumata kleinerer Waffengänge der letzten
dreißig Jahre vergessen machen, auf dem Balkan, im Mittleren Osten oder in
Afrika. Soweit sehr angenehm!
Was aber, wenn die Kampfpanzer nun wacker ihren Job
erfüllen und sie dann eine nationalkonservative Kiewer Administration
ertüchtigen, viele unliebsame ethnische Russen zu drangsalieren, vielleicht zu
deternieren, umzuerziehen oder zu vertreiben? Gründe werden sich schnell
finden. Haben wir für diesen Fall etwas vereinbart oder geplant? Da wir doch
eigentlich das Humanitäre, die ethnische Toleranz und das "Stay Put"
im Schilde führen? Zumindest die Sudetenkrise sollte uns noch in sehr
schmerzlicher Erinnerung sein.
(2023/9) 30.1.2023
DER SPIEGEL
Ukraine-Krieg; Leitartikel von Ralf Neukirch in der Ausgabe Nr. 5 v. 28.1.2023,
S. 6 („Es ist an der Zeit, den Spieß umzudrehen“)
Ist es nun auch an der Zeit, den Spieß gegenüber den
ethnischen Russen im Osten und Süden der Ukraine umzudrehen? Nehmen wir an, der
Gamechanger erfüllt sein konstruktives Ziel, Land zu erobern und kontrollieren
zu können, vielleicht sogar Teile der geopolitisch hoch brisanten Krim. Was,
wenn sich eine national konservative Kiewer Administration sodann anschickt,
diese schrecklichen „Russen“ zu deternieren, umzuerziehen, zu vertreiben oder
auch nur systematisch zu drangsalieren? Gehe zurück auf Los? Wie beim Groundhog
Day, nur viel blutiger?
Möglicherweise ist aber zu viel verlangt, bei unserem
notorischen step-to-step-approach schon einen Plan für humanitäre Folgen zu
haben - wie in Afghanistan. Schau'n wir mal.
(2023/8) 29.1.2023
WELT AM SONNTAG
Ukraine-Krieg; Interview von Jacques Schuster mit Alexander Dobrindt unter dem
Titel „Wir führen keinen Krieg“ (WELT AM SONNTAG Nr. 5 v. 29.1.2023, S. 4)
In Afghanistan hatten wir uns einen Krieg viel zu spät zu
eigen gemacht – in der Ukraine nun ohne jede Vernunft. Das Straßburger
Bekenntnis unserer Außenministerin war bestenfalls hoch undiplomatisch. Gewollt
oder ungewollt zerrte es selbst Verbündete mit hinein, auch nach den
nachgeschobenen Erklärungen. Eigentlich aber war das Statement in jede denkbare
Richtung, auch nach Deutschland hinein, polarisierend, instinktlos und
folgenschwer.
(2023/7) 29.1.2023
DIE ZEIT, veröffentlicht am 3.2.2023 im Internet-Angebot der ZEIT = https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/02/03/26-januar-2023-ausgabe-5/
Ukraine-Krieg; zu Alice Botas Leitartikel „Die Vertrauensfrage“ (DIE ZEIT No. 5
v. 26.1.2023, S. 1)
Der Ukraine-Krieg
beschert uns eine besonders dankbare Form der Machtprojektion, die ideale
Distanzwaffe bzw. den modernen Longbow: 100.000 Schuss Artillerie im Monat,
davon immer mehr und stärkere Projektile aus unseren Waffenschmieden – und
dabei ein rein slawisches Blutopfer ohne eigene Gefahr, selbst ohne
nennenswerte Risiken bei kommenden Wahlen.
Kant hat in seinem
„Ewigen Frieden“ vor mehr als 200 Jahren einen ebenso schmerzfreien Mechanismus
sarkastisch beschrieben: ‚So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischen
Kayser, der gutmüthigerweise seinen Streit mit ihm durch einen Zweykampf
ausmachen wollte, zur Antwort: „Ein Schmidt, der Zangen hat, wird das
glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen herauslangen.“ ‘
Kant hielt zu Recht
sehr viel auf dämpfende Rückkopplung – auf Plan, Tat und Schmerz in ein und
derselben Person. Massive Waffenlieferungen ohne realitätsnahe Strategie
bedeuten sehr viel Schmerz anderer, open ended, und ob das Vertrauen in eine
nach unserem Standard wertegeleitete Politik Kiews gerechtfertigt sein wird,
das weiß derzeit niemand. Quelle aus Kants „Zum Ewigen Frieden“: Original 1795,
S. 32; in der Reclam-Universalbibliothek Nr. 1501, S. 17.
P.S.:
Kant empfiehlt einen wirksamen Rückkopplungsmechanismus nochmals ausdrücklich
bei der Entscheidung über den Krieg selbst. Sie erfordere die ausdrückliche „Beystimmung
der Staatsbürger“, um nämlich Kriege „wie eine Art von Lustparthie aus
unbedeutenden Ursachen“ bzw. nach Lust und Laune der Herrscher zu verhüten
(Original S. 23f, Reclam S. 12f).
(2023/6) 26.1.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Ukraine-Krieg; Leitartikel „Berlin braucht eine Ukraine-Strategie“ von Can
Merey (Kölner Stadt-Anzeiger v. 26.1.2023, S. 4) der nachfolgende Leserbrief:
Wie wahr: Wir brauchen klare und realistische Ziele. In
eine Lage ohne Strategie leistungsfähige Panzer und Geschosse zu liefern, das
heißt nichts anderes, als an unbegrenzter Zerstörung, Verletzung und Tötung zu
verdienen, politisch und wirtschaftlich.
Mehr bedeutet es aber wiederum nicht, zu unserem Glück: Die
menschliche Last tragen bequemerweise diese Slawen, auf die wir ohnehin seit
Generationen herabsehen, als bestenfalls teilweise zivilisiert. Generalmajor
Reinhard Gehlen, Meister der „Fremden Heere Ost“ im letzten großen Krieg wie
ebenso danach, er würde sich die Finger lecken. Teile sie und beherrsche sie!
(2023/5) 25.1.2023
DER SPIEGEL
Leipziger Schädelfunde; Peter Maxwill „Galerie des Grauens“ (Ausgabe v. Nr. 4
v. 21.1.2023, S. 39)
Die Freude an ausgesuchten Schädeln reicht zurück in unsere
Klassik. Goethens erlesene kleine Sammlung etwa umfasste ein dem früh verstorbenen
Schiller zugeschriebenes Haupt. Kam würdiger Besuch, so hat man es schon einmal
hervorgeholt und andächtig befingert, wie von Humboldt schaudernd seiner Frau
berichtete.
Leider hatte Goethe – er war wie auch seine Mutter
begeisterter Jünger der Gall’schen „Phrenologie“ – den falschen Schädel befasst
und dann auch noch bedichtet. Nach kürzlichem Öffnen vieler weiterer Gräber und
emsigem Sägen, Raspeln und Bohren an ungezählten Knochen konnte dies die
Stiftung Weimarer Klassik nachweisen, mit 100% Gentechnologie.
Nun aber mag sich der Bogen schließen: Wer weiß – wartet
neben vielen anderen Trophäen auch ein Schiller noch unerkannt in dem opulenten
Leipziger Raritäten-Kabinett? Leipzig, es läge hier immerhin nahe.
Quellen
„Phrenologie“ / Gall
https://de.wikipedia.org/wiki/
Dazu eine kleine Anekdote zu Goethes Mutter:
In einer der damals sehr angesagten Séancen soll sie den Anatomen Gall
ultimativ aufgefordert haben, ihren Schädel und auch den ihres gleichzeitig
anwesenden Sohnes abzutasten. Durch die erwarteten morphologischen
Übereinstimmungen wollte sie den Beweis führen, dass die besonderen Talente des
Sohns gerade ihr und nicht dem Gatten zuzuschreiben wären (!). Leider
ist m.W. nur die Episode überliefert, nicht aber der Gall’sche Befund.
Schiller-Projekt der Stiftung Weimarer Klassik
https://www.mdr.de/tv/
Add on: Alles das aus der Perspektive meiner Familie
(kostet ein wenig Zeit):
https://www.vo2s.de/0030s_doc.
(2023/4) 16.1.2023
RGA / Volksbote, abgedruckt
18.1.2023
Stadtentwicklung; Sabine Naber „Geschichtsverein macht alte Heimat lebendig“
(RGA / Volksbote v. 16.1.2023, S. 21)
Bei der Vernissage am 13. Januar schilderte mir ein
Alt-Burscheider mit leuchtenden Augen die Kastanien-Allee an der
Montanusstraße. Damals konnte es Burscheid leicht mit der weltberühmten Bonner
Kirschbaum-Allee aufnehmen, wenn der Weg zum Bahnhof in Weiß und Rot erblühte.
Hoffentlich findet sich dazu eine schöne Farbaufnahme und
vielleicht sucht Burscheid dann einen Weg „Zurück in die Zukunft“ – nach dem
Opfern ungezählter Klafter Baumholz für seine just ausgerufene „Neue Mitte“.
(2023/3) 14.1.2023
DER SPIEGEL
Lützerath-Proteste; zur Ausgabe Nr. 3, insbesondere zum Leitartikel von Sophie
Garbe „Feuer mit Feuer“, zum Interview von Gerald Traufetter und Martin Knobbe
mit Robert Habeck „Lützerath ist schlicht das falsche Symbol“ und zur heiteren
Rubrik „Gesprächsbereit - die Antworten der Grünen zu Lützerath" (S. 6, S.
20ff u. S. 122)
Zu Zeiten wiehert der Wahnsinn aus allen Winkeln – das
Waffenschieben in Tauschringen und Zweireihern schon auf halbem Wege zur
olympischen Disziplin, ebenso das Cracking und das symbolfrei staatstragende
Baggern an der Klima-Abrisskante. Im Ergebnis: Die Reichen, Satten, Mächtigen,
Selbst-Gläubigen und prinzipiell sogar Langlebigen fiebern einem beschleunigten
Ende entgegen. How bizarre, how bizarre.
P.S.:
Unsere Olympiaden könnten leicht weiter bereichert werden, etwa um das trendige
Herabwerten von Völkern, Erdteilen und Weltsichten. Oder auch von Generationen
von Denkern bzw. von Politikern, die zu ihrer Zeit als inspiriert und
bahnbrechend galten. Die Wahrheit hat unvermittelt einen noch stärker
dogmatischen Orts- und Zeitbezug als gewohnt. Etwas Untermalung zu „How
bizarre“: https://www.youtube.com/watch?
(2023/2) 10.1.2023
Kölner Stadt-Anzeiger
Islamistischer Terrorismus; Eva Quadbeck „Terrorverdacht unvermindert hoch“
(Ausgabe v. 9.1.2023, S. 4)
Der mutmaßliche Fall eines gewaltbereiten iranischen
Islamisten zeigt ein spezifisches Dilemma: Wir lehnen, wie auch im Falle
Afghanistans, ein existentes islamisches Regime aus tiefster Seele ab – aber derweil
gibt es hier zornige junge Männer von dort, die von unserer Art zu denken und
überhaupt von einem geordneten Staatswesen noch viel, viel weiter entfernt
sind.
Schon aus rein pragmatischen Gründen spräche viel dafür,
die Regierungen dieser Staaten ebenso wenig abzuwerten oder zu isolieren, wie
wir es mit den ultrakonservativen Potentaten der arabischen Halbinsel schon
lange halten. Es brächte zweierlei Vorteil: Es könnte helfen, jene unruhigen
Staaten und Regionen zu stabilisieren. Und wir gäben den zornigen jungen
Rebellen nicht das anfeuernde Gefühl, die Deutschen würden ihre Heimat und
Kultur – zu der sie typischerweise weiter hindenken und hinfühlen – respektlos,
ehrlos und ohne Ansehen menschlicher Not behandeln.
Den Terrorismus werden wir nicht aus der Welt radieren - so
wenig wie den Klimawandel. Aber wir können mit einer Politik ohne
Heilserwartungen signifikante Antriebskräfte mindern.
(2023/1) 6.1.2022
DIE ZEIT, veröffentlicht am 13.1.2023 im Internet-Angebot der ZEIT unter https://blog.zeit.de/leserbriefe/2023/01/13/5-januar-2023-2-ausgabe/
Demokratie; Beitrag von Samiha Shafy „Wie lässt sich die Demokratie beleben?“
(der elfte Vorschlag unter "Zwölf Ideen für eine bessere Zukunft";
DIE ZEIT No. 2 v. 5.1.2023, S. 32)
Wie verführerisch: eine Demokratie nach Themen, nicht nach
Köpfen, Kapitalen oder Institutionen! An kommunalen Fragen ist das sogar lange
erprobt, im Rahmen der sogenannten Dienel’schen Planungszellen oder
Bürgergutachten; sie produzieren anerkannt praktikable und akzeptierte
Lösungen.
Aber ginge das denn auch in einer Königsdisziplin, etwa in
der Außen- und Sicherheitspolitik? Kant sagt: „Ja!“ und nennt in seiner Schrift
„Zum ewigen Frieden“ gleich den Vorteil eines unmittelbar rückgekoppelten
Schmerzes: „Wenn … die Zustimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu
beschließen, ob Krieg sein solle, so ist nichts natürlicher als dass, da sie
alle Drangsale des Krieges selbst beschließen müssten, (als da sind …,) sie
sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“
Das gegenteilige role model sind Parlamentarier vom
Kaliber eines Dr. Wolfgang Schäuble, heute in seiner 14. Wahlperiode. Zu Beginn
der Neunziger war er einer der profiliertesten Befürworter des Aufbruchs der
Bundeswehr in die Ära von Auslandseinsätzen mit scharfem Schuss. Diese
besondere Errungenschaft ist ungeachtet massiver Fehlschläge und vielfacher
Verluste und Traumata bis heute nicht ernsthaft hinterfragt.
P.S.:
Bei einem Sommerfest des Bundesministers des Innern saß ich einmal neben Herrn
Schäuble im Bonner Graurheindorf auf einer Bierbank. Nun: Ich bewundere seine
virtuose Eloquenz, seine Standfestigkeit und seine persönliche Lebensleistung.
Allerdings meine ich: Nach zwei Wahlperioden hätte er seine Energie – ebenso
regelmäßig jede/r andere Abgeordnete – sachgerechter anderen Lebenszielen
gewidmet, zum Nutzen aller. Ein im langen Abgeordnetenleben angereichertes
Vernetzungswissen ist m.E. unvermeidlich nachteilig für eine unvoreingenommene,
sachorientierte Analyse politischer Problemstellungen. Die ausgedehnte
Anwesenheit schafft ihre eigene Blase, macht überdies bekannt und leichter
ansprechbar, schnürt ab und formt letztlich immer weniger repräsentativ.
Auf dem inspirierenden Weg zu dem von Hélène Landemore
angeregten System ohne demokratische Elite könnten wir vielleicht schon
einmal die parlamentarischen Halbwertzeiten einkürzen und uns damit deutlich
mehr demokratische Konvektion gönnen 😉
Quellen:
-
Bürgergutachten/Planungszelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/
-
Immanuel
Kant, Zum Ewigen Frieden:
Zweiter Abschnitt, Erster Definitivartikel (Reclam-Ausgabe S. 12f), siehe auch http://philosophiebuch.de/
-
Zu
MdB Wolfgang Schäubles prägender Rolle und als Beispiel manichäischer u.
polemischer Rhetorik in der einleitenden Phase der out-of-area-Debatte siehe
insbesondere den Redebeitrag in der Plenarsitzung v. 21.4.1993 zu UNOSOM II
(Sitzung 12/151, Protokoll S. 12933ff = https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12933) und Schäubles
polarisierende Kontroverse mit MdB Konrad Weiß / B’90-Grüne (Protokoll S.
12946f = https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12946)
(2022/50) 28.12.2022
DIE ZEIT, abgedruckt 5.1.2023
Krisen-Weihnacht; Leitartikel von Giovanni di Lorenzo „Eine Auszeit, keine
Weltflucht“ (DIE ZEIT No. 53 v. 22.12.2022, S. 1)
Ein fantastisches Motto, dieses „Deutschland
funktioniert!“. Gar nicht utopisch: Deutschland organisiert sich transparent
und berechenbar, es plant mindestens mittelfristig, es übt sich in Erhaltung
und Maintainance statt in schöpferischer Zerstörung, intern wie extern. Hinzu
gehört aber Bereitschaft zu fortwährender Evaluation und Reflektion. Während
wir uns die Ukraine-Hilfe auf die Habenseite schreiben, müssen wir Versäumnisse
und Schäden nach unserer jahrzehntelangen Hilfe am Hindukusch nicht verdrängen.
Und wir sollten – da könnten das ältere und das jüngere
Projekt zusammenführen – in der Tat jeden leidenschaftlichen
Vermittlungsversuch für Menschen in Not wagen, ohne Auszeit, ohne Weltflucht.
Fast so, als wären wir neutral.
Und ein paar
Sammlerstücke aus früheren Jahren:
Die Mutter aller [meiner]
Leserbriefe:
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (Kölner
Stadt-Anzeiger. v. 29.9.1992)
Hätten wir am
Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der
Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit
ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind
brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime
bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und
eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der
vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher
von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes
geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im
doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn
auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde,
bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im
Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.
Und der am weitesten
gereiste Leserbrief:
22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of
August 14, 1995
I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August 14,
1995. It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite
insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto
Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful
decision"). So I would like to show an alternative view:
It is certainly true that Japanese military leaders commenced the
hostilities against the
The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event.
We hear them over and over again – from
Weitere
Leserbriefe
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Oder auch ein paar Briefe für Englisch-sprachige Medien.
Gerne meine >150
Leserbriefe, die zum Thema Außen- und
Sicherheitspolitik, Auslandseinsätze bzw. „out of area“ veröffentlicht worden sind.
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